L 1 RA 88/01

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stendal (SAN)
Aktenzeichen
S 6 RA 54/98
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 RA 88/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Nach Abschluss einer dreijährigen Ausbildung zum Agrotechniker am 31. August 1968 war der am 1951 geborene Kläger bis zum 31. Dezember 1969 Mitglied der LPG Tierproduktion M. –W ... Nach dreijähriger Dienstverpflichtung bei der NVA war er von 1973 bis 1975 als Erzieher in Kinderheimen tätig, währenddessen er eine Erziehungshelferkurzausbildung begann. Von 1975 bis 1977 war er als Lagerverwalter und Archivar bei der Handelsorganisation G. , von 1977 bis 1986 als Traktorist beim agrochemischen Zentrum M. beschäftigt; währenddessen qualifizierte er sich von November 1978 bis Mai 1980 an der Landwirtschaftsschule S. zum Meister der Landwirtschaft. Von 1987 bis 1990 war der Kläger zunächst als Einrichter, seit Juni 1989 dann als stellvertretender Schichtleiter im VEB Textima-Teilefertigung G. tätig. Von 1990 bis 1993 arbeitete er bei einer Spedition, anfangs als EDV-Sachbearbeiter, seit Januar 1993 als stellvertretender Schichtleiter. Vom 26. Januar 1994 bis 31. Januar 1997 war er als Außendienstmitarbeiter in der Grußkarten-Vertrieb N. GmbH tätig. Auf Grund von Arbeitsunfähigkeit ab 27. September 1996 bezog der Kläger ab 8. November 1996 Krankengeld, nochmals ab 24. Januar 1997. Seit Februar 1997 ist er arbeitslos.

Auf Grund einer auf das Herz bezogenen Panikneurose beantragte der Kläger am 30. Januar 1997 die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte zog daraufhin den Bericht des Facharztes für Innere Medizin E. vom 26. Oktober 1995 über eine am selben Tag durchgeführte Oberbauchsonographie und die Berichte der Lungenklinik B. vom 21. Dezember 1995 und 27. September 1996 wegen obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms bei. Darüber hinaus veranlasste sie ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vom 7. April 1997. Dieser diagnostizierte eine angstneurotische Entwicklung des Klägers mit funktionellen Herzbeschwerden bei abhängiger Persönlichkeitsstörung, darüber hinaus liege eine Tranquilizerabhängigkeit vor. Die allgemein-klinische und neurologische Untersuchung des Klägers habe keine richtungsweisenden pathologischen Befunde ergeben. Der Kläger schildere das Auftreten von Herzrasen, Herzrhythmusstörungen, Luftnot, Zittern und Schweißausbrüchen. Situationen, in denen solche Symptome aufträten, meide er. Es habe sich ein deutlicher sozialer Rückzug entwickelt. Ursächlich dafür seien wahrscheinlich traumatisierende Kindheitserlebnisse, der Kläger könne nicht mit Kränkungen und Zurücksetzungen umgehen, Wünsche und Bedürfnisse könne er nicht in angemessener Weise realisieren. Er erscheine gehemmt und durchsetzungsschwach. Er sei unverhältnismäßig nachgiebig und ordne sich auch seiner Ehefrau unter, zu der ein starkes Abhängigkeitsgefühl bestehe. Zwar habe er immer wieder versucht, Selbstbestätigung durch beruflichen Erfolg zu finden, jedoch sei es an jeder Arbeitsstelle zu Konflikten mit Mitarbeitern oder Vorgesetzten gekommen. Bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter seien ihm die Kundengespräche sehr schwer gefallen. Der Gutachter befürwortete eine mehrmonatige Langzeittherapie, in der sowohl die Tranquilizerabhängigkeit als auch die angstneurotische Entwicklung behandelt werden müssten. Zwar sei der Kläger dazu bereit, habe aber insgesamt erhebliche Bedenken gegen eine solche Maßnahme. Derzeit könne der Kläger vollschichtig eine körperlich leichte Tätigkeit ohne Publikumsverkehr ausüben, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter sei wegen der Überforderung des Klägers auf Grund seiner Ängste vor Kundengesprächen ausgeschlossen.

Darüber hinaus holte die Beklagte ein Gutachten des Arztes für Innere Medizin/Kardiologie Dr. G. vom 23. April 1997 ein. Der Sachverständige stellte vordergründig eine Angst-Panikneurose und Kardiophobie bei Brustmuskelverspannungen und –schmerzen, links ausgeprägt, rechts angedeutet, fest, daneben bestünden orthopädischerseits eine geringgradige Knochenzäckchenbildung auf der Halswirbelsäule, eine beginnende Schultergelenksabnutzung rechts, ein durch Computertomographie gesicherter rechtsseitiger geringgradiger Bandscheibenvorfall, der derzeit keine neurologische Wurzelreizsymptomatik aufzeige und schließlich Knieschmerzen. Die vom Kläger angegebenen Schmerzen im linken Brustkorb ("im linken mittleren Brustbereich vorn steche und schmerze es, es komme dabei oft auch zu Herzstolpern und Aussetzern, die Schmerzen strahlten in die linke Schulter, den linken Arm bis in die Hand aus, nach oben bis ins Kinn") seien zwar glaubhaft, jedoch nicht nachvollziehbar. Auf Grund seiner, des Sachverständigen, Untersuchung ließen sie sich nicht objektivieren: Klinisch seien die erhobenen Lungen-, Herz- und Bauchbefunde ebenso wie Spirographie und EKG unauffällig. Damit seien lediglich körperlich schwere Arbeiten, verbunden mit Heben und Tragen schwerer Lasten, in gebückter Körperhaltung, mit ständigem Bücken und Wiederaufrichten, mit häufigen Überkopfarbeiten bei Gebrauch des rechten Armes, mit Zwangshaltungen und mit einseitiger körperlicher Belastung nicht mehr zumutbar.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 28. Juli 1997 ab: Der Kläger sei noch in der Lage, in seinem bisherigen Berufsbereich und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig erwerbstätig zu sein. Mit seinem am 4. August 1997 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch wies der Kläger auf seinen sich verschlechternden psychischen Gesundheitszustand hin. Daraufhin veranlasste die Beklagte ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. vom 7. November 1997, die die Diagnosen einer Kardiophobie im Rahmen einer primären neurotischen Fehlentwicklung bei aggressiv-gehemmter Persönlichkeitsstruktur und einer chronischen Medikamentenabhängigkeit bestätigte. Nach Angaben des Klägers traten seine Beschwerden erstmals während der Dienstverpflichtung bei der NVA auf. Auch Dr. F. gegenüber schilderte er seine schwierige Familiensituation in Kindheit und Jugend und die chronischen Rivalitätskonflikte mit Gleichgestellten bzw. Autoritätskonflikte mit Vorgesetzten. Mangels der nicht ausgeprägten Fähigkeit, Wünsche und Forderungen angemessen durchzusetzen, habe der Kläger seine Versagens- und Bewältigungsängste, assoziiert mit einem ausgeprägten Selbstwertmangelerleben, mit der Einnahme von Tranquillizern zu kompensieren versucht. 1991, 1992 und 1996 sei es zu stationären Entzugsbehandlungen in Königslutter gekommen, nach deren Ende der Kläger die Medikamenteneinnahme wieder aufgenommen habe. Er wisse um seine Abhängigkeit und wolle sie fortsetzen. Der Kläger würde die Berentung als alternativen Lösungsversuch seiner bisher gescheiterten krankhaften Bewältigungsversuche seiner sozialen Konflikte erleben. Sinnvoll sei eine stationäre Entziehungsbehandlung mit psycho- und verhaltenstherapeutischem Inhalt, eine Rentengewährung würde das Erleben des Krankseins und die Verfestigung des Suchtverhaltens fördern. Im Ergebnis könne der Kläger körperlich leichte Arbeiten ohne Publikumsverkehr vollschichtig ausüben, wegen des Medikamentenmissbrauchs sei er nicht fahrtauglich.

Schließlich hat die Beklagte den Entlassungsbericht der Hardtwaldklinik Bad Z. vom 30. Januar 1998 beigezogen, in deren verhaltenstherapeutischer Abteilung der Kläger vom 6. bis 27. Januar 1998 stationär behandelt wurde. Hier wurde eine Agoraphobie mit Panikstörung bei narzißtischen Persönlichkeitszügen und eine Benzodiazepinabhängigkeit diagnostiziert. Im Aufnahmebefund wurde ein deutlicher, vom Kläger differenziert geschilderter Leidensdruck festgestellt. Im Rahmen der folgenden psychotherapeutischen Einzelgespräche habe eine Aufarbeitung nicht stattgefunden, da der Kläger auf Grund seines Rentenbegehrens auf die Gewährung der Rente fixiert gewesen sei und kein Veränderungsanliegen gehabt habe. Bei der Teilnahme an der verhaltenstherapeutisch-kognitiven Angstgruppe sei es ihm nicht möglich gewesen, die gegebenen Informationen und Modelle auf sich zu beziehen. Nachdem aus Sicht der Rehabilitationsklinik die Beurteilung der Leistungsfähigkeit abgeschlossen und dies dem Kläger auch mitgeteilt worden sei, habe er die Behandlung zu beenden gewünscht; vor dem Hintergrund der fehlenden Therapiemotivation des Klägers habe die Klinik dem zugestimmt. Die beim Kläger diagnostizierte Störung sei grundsätzlich gut bis sehr gut behandelbar, so dass er grundsätzlich vollschichtig leistungsfähig, vorübergehend jedoch wegen der Labilisierung durch den Rentenkonflikt arbeitsunfähig sei. Aus therapeutischer Sicht trage eine Berentung nicht zu einer Verbesserung der Angstsymptomatik, sondern zu einer weiteren Chronifizierung bei. Unter Bezug auf die im Widerspruchsverfahren eingeholten medizinischen Befunde wies die Beklagte den Widerspruch daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 1998 als unbegründet zurück.

Mit seiner am 28. April 1998 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage verfolgt der Kläger nach Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Stendal sein Begehren fort. Zur Begründung hat er insbesondere das im Auftrag des Arbeitsamts Stendal erstellte Gutachten der Arbeitsamtsärztin und Fachärztin für Allgemeinmedizin/Betriebsmedizin/So-zialmedizin Dr. L. vom 21. Juli 1998 vorgelegt, die die Leistungsfähigkeit des Klägers infolge der schweren chronifizierten psychischen Fehlentwicklung mit Herzsymptomatik und Panikattacken und einer inzwischen zusätzlich vorhandenen Depression als hochgradig eingeschränkt bewertete. Eine intensive stationäre Psychotherapie sei erforderlich, wobei der Erfolg nach fast dreißigjähriger Chronifizierung fraglich sei. Des weiteren hat der Kläger zwei Briefe des Arztes für Neurologie/Psychiatrie/Psychotherapie Dr. K. vom 10. Mai 1999 und 28. November 2000 vorgelegt. Im ersten Bericht legt der behandelnde Arzt dar, seiner Auffassung nach hindere der Konsum von Tranquilizern und zusätzlich eines Antidepressivums den Kläger, einer Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert nachzugehen. Selbst unter der Voraussetzung einer Gewöhnung würden wenig belastende Tätigkeiten eine gewisse Konstanz der Gedächtnisfunktion und Wachsamkeit verlangen, die beim Kläger durch die Medikation erheblich beeinträchtig seien. In seinem zweiten Brief weist Dr. K. darauf hin, dass beim Kläger eine seelische Erkrankung bestehe, die auf Grund der Chronizität, erwiesener Therapieresistenz und Vergesellschaftung mit einer Abhängigkeitserkrankung derzeit und auf absehbare Zeit nicht grundlegend zu bessern sei. Darüber hinaus setzt sich Dr. K ... im letztgenannten Bericht mit im Klageverfahren eingeholten Befunden auseinander und führt aus, dass als Lehrsatz weder richtig sei, Psychotherapie sei erfolgreich, wenn der Kranke es nur wolle bzw. seine Motivation stimme, noch dass jede Neurose oder psychische Erkrankung prinzipiell heilbar sei. Der praktische Arzt Dipl.-Med. B. attestierte dem Kläger in seinem Arztbrief vom 13. November 2000 eine stark eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte des Klägers (Facharzt für Orthopädie Dr. Bo. vom 24. August 1998, Dipl.-Med. B. vom 14. September 1998, Dr. K. vom 21. September 1998).

Darüber hinaus hat es die medizinischen Unterlagen des Landesarbeitsamtes Sachsen-Anhalt-Thüringen beigezogen, denen neben dem vollständigen Gutachten Dr. L. vom 21. Juli 1998 insbesondere die Epikrisen des Niedersächsischen Landeskrankenhauses (LKH) Königslutter - Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie vom 27. September 1991, vom 7. Februar 1994 und vom 2. Juli 1997 über jeweils mehrwöchige stationäre Behandlungen des Klägers beigefügt waren. Die erste Aufnahme in das Niedersächsische LKH im Juni 1991 erfolgte wegen Alkohol- und Tablettenproblemen. Der internistische Status bei Aufnahme war regelrecht. Nach der akuten Entgiftung habe sich der Kläger nur langsam auf der Station eingewöhnt, er habe Schwierigkeiten gehabt, soziale Kontakte zu seinen Mitpatienten zu knüpfen. Er habe sich als durchaus introspektionsfähig gezeigt. Im zweiten Entlassungsbericht vom 7. Februar 1997 gab der Kläger anamnestisch an, bereits zum Ende seiner Schulzeit seien Herzstolpern und Herzstechen aufgetreten, die durch Gabe von Beruhigungsmitteln behandelt worden seien. Aktualisiert und verstärkt sei seine Herzangstneurose geworden, als er in das Dorf seiner Schwiegerfamilie zog und hier sozial in der Familie ins Hintertreffen geriet. In seinem Wunsch nach Harmonie und wohl auch der Sorge, die Zuneigung seiner Frau zu verlieren, habe er darauf verzichtet, sich zu behaupten und den Ärger heruntergeschluckt. Das wiederum habe zu verstärkten Herzsymptomen und Angst geführt. Die EKGs vom 1. und 8. November 1993 waren mit Ausnahme einer leichten respiratorischen Arrhythmie unauffällig. Im dritten Entlassungsbericht vom 2. September 1997 gab der Kläger an, er selbst erlebe seine Medikamentenabhängigkeit eigentlich nicht als problematisch, da erst die Tabletteneinnahme es ihm ermögliche, ein einigermaßen normales Leben zu führen. Ohne Medikamente könne er beispielsweise einen Beruf nicht mehr ausüben. Zwar sei ihm bewusst, dass er durch die Tabletten vergesslicher werde und in seiner Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt sei, aber sie gäben ihm die Gewissheit, dass keine Panikattacken aufträten. Eine psychotherapeutische Behandlung habe der Kläger wegen "Wirkungslosigkeit" von vornherein abgelehnt. Nach beiden vorhergehenden Therapieversuchen 1991 und 1993 sei er rückfällig geworden und hätte statt der "erarbeiteten" Ersatzmedikamente Saroten und Dociton erneut Tranxilium eingenommen. Die jetzige medikamentöse Umstellung sei nur langsam möglich gewesen, da der Kläger auf jede Veränderung mit erheblicher Verunsicherung und teils somatischen Beschwerden reagiert habe. Zuletzt habe er sich trotz Fortschritten entschlossen, den Umstellungsversuch abzubrechen, da er die Ersatzmedikation als weniger wirkungsvoll als sein bisheriges Medikament Tranxilium erlebt habe. Das erstellte EKG habe einen Normalbefund ergeben. Den Arbeitsamtsunterlagen lagen des weiteren drei Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) vom 28. Februar, 26. Mai und 29. August 1997 bei.

Des weiteren hat das Sozialgericht den Entlassungsbericht des Niedersächsischen Landeskrankenhauses K. vom 3. Januar 2000 beigezogen, in dem der Kläger erneut vom 5. Oktober bis 30. November 1999 stationär behandelt wurde. Zwei EKG-Untersuchungen am 6. Oktober und 9. November 1999 waren unauffällig. Psychopathologisch seien Zeitgitterstörungen aufgefallen. Bei fast ununterbrochenem Redefluss habe der Patient deutlich verlangsamt und monoton gedämpft gewirkt. Seine Stimmung sei mit nahezu aufgehobener Schwingungsfähigkeit gedrückt gewesen, klammernd und eingeengt kreisend um die somatischen Beschwerden insbesondere des Herzens. Es sei kaum affektive Beteiligung spürbar, dafür bestehe eine deutliche Antriebsminderung. Bei Reduktion der bislang eingenommenen Medikamentenmenge habe der Kläger zunehmend unter vegetativen Entzugssymptomen, insbesondere Unruhe und Schlafstörungen gelitten. Da er seine Beschwerden als einer psychologischen Bearbeitung zugängliches Symptom anfangs gänzlich abgelehnt habe, sei ihm eine klare Tagesstrukturierung mit Wechsel zwischen Anforderung und Entspannung angeboten worden. Unangenehmen Behandlungsterminen sei er ohne offene Auseinandersetzung darüber ausgewichen. Unter Gabe von stimmungsstabilisierenden Medikamenten habe er zuletzt in Betracht gezogen, seine Ängste könnten anders als organisch begründet sein. Mit seiner Angst vor einem erneuten Benzodiazepinabusus außerhalb des geschützten Klinikraums sei der Kläger in ausreichend stabilem Allgemeinzustand entlassen worden. Dem Entlassungsbericht beigefügt war eine ärztliche Stellungnahme der Stationsärztin B. –L. vom 3. Februar 2000, die den Kläger aus psychiatrischer Sicht für prinzipiell arbeitsfähig hielt.

Schließlich hat das Sozialgericht ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. vom 15. April 1999 nebst drei ergänzenden Stellungnahmen eingeholt. In der Anamnese teilte der Kläger mit, an seinem Wohnort nutze er den Pkw, längere Strecken in unbekannte Städte und Gegenden traue er sich aber nicht mehr zu. Die neurologische Untersuchung ergab keinen krankhaften Befund. Im EEG fanden sich deutliche Hinweise für eine chronische Medikamenteneinnahme in Form von Tranquilizern. Im psychischen Befund stellte der Sachverständige fest, der Kläger wirke affektiv etwas lahm, die Schwingungsfähigkeit sei reduziert, er spreche mit langsamer, monotoner und teilweise wegen der Medikamentennebenwirkung undeutlicher Stimme. Sicherlich als Nebenwirkung der Psychopharmaka wirke der Kläger streckenweise etwas verlangsamt, schwerwiegende hirnorganische Leistungseinbußen bestünden nicht, insbesondere ließen sich eine wesentliche Einschränkung oder Reduktion der Merkfähigkeit, des Konzentrationsvermögens und des Auffassungsvermögens nicht erkennen. Die Stimmungslage sei fraglich gedrückt und fraglich subdepressiv, eine sichere Antriebsreduktion bestehe nicht. Während des gesamten Untersuchungsgangs sei der Kläger sehr verspannt und verkrampft gewesen. Unter Auswertung der von ihm erhobenen Befunde und der Aktenlage diagnostiziert der Sachverständige aus neurologisch-psychiatrischer Sicht eine chronische angstneurotische Entwicklung mit gelegentlichen Panikattacken und kardiophobischen Zügen auf dem Boden einer Persönlichkeitsstörung und einen daraus resultierenden sekundären Medikamentenmissbrauch. Diese Leiden seien durchaus krankheitswertig, bedingt durch das anhängige Rentenverfahren sei es allerdings zu einer weiteren Verfestigung und zusätzlichen Labilisierung mit zunehmenden Regressionstendenzen gekommen. Unter zumutbarer und einzufordernder willentlicher Anstrengung könne jedoch eine Stabilisierung und Besserung erzielt werden. Trotz der Gesundheitsstörungen sei der Kläger durchaus in der Lage, körperlich leichte Arbeiten mit gelegentlichem Bücken, Heben und Tragen mittlerer Lasten, in geschlossenen Räumen, unter Vermeidung von Akkorddruck, Fließbandarbeiten und Wechselschicht, mit einfacher bis gehobener Verantwortung ganztags ohne zusätzliche Pausen zu verrichten. Wegen des Tranquilizerkonsums und der Neigung zu angstneurotischen und panikartigen Anfällen in Stresssituationen sei das ständige Führen eines Fahrzeugs über längere Strecken ausgeschlossen; gleiches gelte für längere Strecken mit dem Fahrrad. Öffentliche Verkehrsmittel könne der Kläger aber benutzen. Obwohl von Seiten des Klägers nur eine geringe Motivation erkennbar sei, solle er nochmals auf die Möglichkeit ambulanter oder stationärer psychotherapeutischer Maßnahmen bei gleichzeitiger Reduktion des Tranquilizerkonsums hingewiesen werden. Auf Grund des Arztbriefes Dr. K. vom 10. Mai 1999 hat der Sachverständige am 18. Oktober 1999 ergänzend Stellung bezogen: Während der behandelnde Arzt die Auffassung vertritt, dass der Kläger angesichts des Medikamentenabusus selbst unter den Voraussetzungen der Gewöhnung keiner Berufstätigkeit mehr nachgehen kann, ist der Sachverständige der Ansicht, dass gerade deswegen eine weitere Erwerbsfähigkeit unter Beachtung der von ihm benannten Einschränkungen möglich sei. Nach Beiziehung des Entlassungsberichtes des Niedersächsischen LKH K. vom 3. Januar 2000 hat der Sachverständige erneut am 20. September 2000 Stellung genommen: Hinsichtlich der während des erneuten stationären Aufenthalts ausschließlich behandelten sekundären Benzodiazepinabhängigkeit sei der Kläger prinzipiell arbeitsfähig. Die seit dem Jugendalter bestehende Angsterkrankung sei inzwischen erheblich chronifiziert, ebenso die Medikamentenabhängigkeit, die Folge des einzigen genutzten Behandlungsschemas der Primärerkrankung sei. Unter Festhalten an seiner Leistungsbeurteilung schlägt der Sachverständige eine erneute konsequente, möglichst stationäre psychotherapeutische/verhaltenstherapeutische Behandlung vor. Auf den weiteren Arztbrief Dr. K vom 28. November 2000 führt der Sachverständige am 24. April 2001 schließlich aus, da der behandelnde Arzt keine wesentlich neuen, für die Beurteilung des Krankheitsbildes relevanten Fakten aufzeige, sei er, wie alle bisherigen Gutachter der Auffassung, dass dem Kläger eine willentliche Anstrengung zumutbar sei, mit der er seinem Leistungsbild gerechte Arbeiten ausführen könne.

Mit Urteil vom 13. Juni 2001 ist das Sozialgericht dem Gutachten Dr. Sch. gefolgt. Zwar könne der Kläger seinen bisherigen Beruf als Außendienstmitarbeiter nicht mehr ausüben, mangels Berufsschutzes sei er aber auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.

Gegen das ihm am 13. August 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger noch im selben Monat Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt der Kläger vor, sicherlich sei die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter als ungelernt zu beurteilen; jedoch habe er die davor ausgeübte Tätigkeit als Sachbearbeiter in einer Spedition aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Auf Grund seiner persönlichen Befähigung sei er ohne Absolvierung der entsprechenden Ausbildung in der Lage gewesen, diese Facharbeitertätigkeit vollwertig auszuüben. Darüber hinaus sei er auf Grund seines Medikamentenmissbrauchs in der Wegefähigkeit eingeschränkt; unstreitig stellten die medizinischen Sachverständigen fest, dass er längere Strecken weder mit dem Pkw noch mit dem Fahrrad zurücklegen dürfe. Bislang unbeachtet sei des weiteren seine fehlende Therapiefähigkeit geblieben, die durch die nicht erfolgreichen Rehabilitationsmaßnahmen vor allem in der Nervenklinik K. dokumentiert seien. Schließlich sei sein behandelnder Neurologe Dr. K. besser als jeder der bisher befragten medizinischen Sachverständigen in der Lage, seinen Gesundheitszustand zu beurteilen, da er ihn seit mehr als zehn Jahren betreue, während die gutachterliche Bewertung nur auf einem vergleichsweise kurzen Eindruck beruhe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 13. Juni 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 3. April 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab Januar 1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit beziehungsweise ab Januar 2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Darüber hinaus ist sie bereit, die Kosten für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme zu übernehmen.

Das Gericht hat Befunde der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt: In seinem Bericht vom 28. Januar 2002 hat der Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie Dr. H. darauf hingewiesen, dass der Kläger sich einmalig am 10. Januar 2002 vorgestellt habe, nach seinen Angaben sei er zuvor seit Jahren nicht in fachärztlicher Behandlung gewesen. Mit dem von ihm diagnostizierten Bandscheibenverschleiß zwischen dem 5. Lendenwirbelkörper und dem Kreuzbein, Schulterbeschwerden rechts und einem beginnenden Verschleiß des rechten Kniegelenks seien aus orthopädischer Sicht körperlich leichte Arbeiten in vorwiegend sitzender Position, ohne Tätigkeiten in Fehl- und Zwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten, ohne häufiges Bücken und Tragen und ohne äußere Umwelteinflüsse vollschichtig verrichten. In seinem Befundbericht vom 19. Februar 2002 bekräftigt der behandelnde Facharzt für Neurologie/Psychiatrie Dr. K. seine Auffassung.

Das Gericht hat darüber hinaus ein Gutachten des Facharztes für Neurologie/Psychiatrie/Psychotherapie Dr. Ge. vom 5. Juni 2002 eingeholt. Nachdem er auf Anraten Dr. K. seit 1997 ununterbrochen krank geschrieben sei, teilt der Kläger zu seiner Tagesstruktur mit, habe er sich einen Hobbykeller mit einer Sitzmöglichkeit ausgebaut, in dem er Plastiken fertige. Dazu habe er sich einen Brennofen gekauft. Er würde gern in einer Gruppe künstlerisch tätig sein, finde aber niemand Gleichgesinntes. Seit drei Jahren besuche er in K. eine Kreativtherapie, wo seine Arbeiten Anklang fänden. Sobald seine Frau – die Lehrerin ist - morgens das Haus verlasse, verrichte er die Hausarbeit und kümmere sich um den Garten, in dem Erdbeeren, Bohnen, Erbsen und anderes Gemüse zu versorgen seien. Neben täglichen Telefonaten mit seinem Bruder surfe er viel im Internet. Darüber hinaus lese er gern und fahre gern in Urlaub. Bei der neurologischen Untersuchung durch den Sachverständigen fielen einzig erhebliche vegetative Stigmata (kaltschweißige Hände und Füße, deutliches Lidflattern bei Augenschluss) auf. Psychisch habe sich der Kläger in der Untersuchungssituation zugewandt und kooperativ verhalten, habe frei und zusammenhängend über seine Beschwerden und Ängste gesprochen, Fragen habe er gezielt beantwortet. Hinweise auf formale Denkstörungen oder ein psychoorganisches Syndrom bestünden nicht. Bei den Schilderungen des Klägers sei auffällig gewesen, dass er affektiv nur geringgradig berührt gewesen sei. Seine Affektivität insgesamt sei nicht krankhaft beeinträchtigt, der Antrieb nicht reduziert, die Stimmungslage ausgeglichen. Konzentrations- und Merkfähigkeit sowie Auffassungsgabe seien unbeeinträchtigt, während der dreistündigen Exploration habe es keinen Abfall im Reaktions- und Berichtsvermögen gegeben. In seiner Persönlichkeitsstruktur kontrastiere ein verhältnismäßig hoher Geltungsanspruch mit einer eingeschränkten psychischen Belastbarkeit und Tendenzen zu vegetativen Reaktionen im Sinne einer psychosomatischen Symptombildung im Konfliktfall. Deutlich sei eine erhebliche psychische Bindung an das Suchtmittel Benzodiazepin geworden, das bei ihm einen innerseelischen Spannungsausgleich herbeiführe. Ein Leidensdruck oder eine ernsthafte Veränderungsmotivation seien nicht erkennbar. Bei den apparativen Zusatzuntersuchungen zeigte das EEG vom 16. Mai 2002 ein Hirnstrombild mit deutlichen Zeichen eines aktuellen Benzodiazepineinflusses und einem im Übrigen grenzwertigen Befund mit leichten subkortikalen und minimalen allgemeinen cerebralen Funktionsstörungen. Zusammenfassend lasse sich vordergründig eine gemischte Angststörung und eine Benzodiazepinabhängigkeit feststellen. Damit seien dem Kläger körperlich leichte Tätigkeiten in beliebiger Haltungsart unter Vermeidung von Überkopfarbeiten, Arbeiten im Knien, Bücken und Hocken und in der Höhe, mit durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortung und Zuverlässigkeit, ohne besonderen Zeitdruck und ohne besondere Stressbelastung vollschichtig zumutbar. Auch Bildschirmarbeiten und Arbeiten mit Publikumsverkehr seien ihm möglich. Darüber hinaus solle er gegenwärtig kein Kraftfahrzeug führen. Es sei jedoch zu beobachten, dass langjährig an Benzodiazepin gewöhnte Menschen oftmals praktisch kaum Beeinträchtigungen des Fahrvermögens zeigten, auch der Kläger habe jahrelang unter Medikamenteneinfluss ein Auto gefahren, ohne dass er schwerwiegende Verkehrsunfälle verursacht hätte. Es bestünden ernsthafte Zweifel an der Bereitschaft des Klägers, tatsächlich suchtmittelfrei zu werden, auch wenn Behandlungen, insbesondere 1994 in K. , offenbar recht erfolgreich gewesen seien. Nach den medizinischen Behandlungsrichtlinien dürfe Benzodiazepin nicht verordnet werden, es sei denn die Gesamtpalette der medikamentösen, tiefenpsychologischen und verhaltenstherapeutischen Möglichkeiten sei ausgeschöpft, was auf den Kläger nicht zutreffe. Nach dem vom Kläger geschilderten Verhältnis zu seinem behandelnden Nervenarzt Dr. K. , der ihm sogar seine private Telefonnummer gegeben habe, verschreibe dieser gleichwohl weiterhin das Medikament.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und auf die Verwaltungsakten der Beklagten (Az.: ), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und im übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid vom 28. Juli 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. April 1998 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, da er weder berufs- noch erwerbsunfähig ist.

Berufsunfähig sind gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung des Gesetzes vom 2. Mai 1996 Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Tätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Unter Auswertung der medizinischen Sachverständigengutachten und unter Berücksichtigung der weiteren aktenkundigen Befunde ist der Senat der Überzeugung, dass der Kläger nicht berufsunfähig ist, weil er weiterhin noch vollschichtig zumutbar auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein kann, ohne dass von vornherein Zweifel an seiner Eingliederungsfähigkeit bestünden. Die vom Kläger bei Beantragung der Rente angegebenen Herzbeschwerden sind nach dem Gutachten des Arztes für Innere Medizin/Kardiologie Dr. G. vom 23. April 1997 nicht nachvollziehbar, da die klinische, paraklinische und röntgenologische Untersuchung von Herz, aber auch von Lunge und Gefäßstatus unauffällige Befunde ergab. Dementsprechend diagnostizierte der Sachverständige eine Angst-Panikneurose und Kardiophobie bei Brustmuskelverspannungen mit Schmerzen. Weitere Anhaltspunkte für ernsthafte kardiale Beschwerden bestehen nicht. Zwar diagnostiziert der praktische Arzt Dipl.-Med. B. in seinem Befundbericht vom 14. September 1998 und in seinem Arztbrief vom 13. November 2000 das Vorliegen einer (asymptomatischen) chronisch-ischämischen Herzkrankheit, die von ihm mitgeteilten Untersuchungsbefunde sind jedoch regelrecht: Blutdruck: 100/70 bei normotonem Langzeitverhalten, Langzeit-EKG ohne krankhafte Veränderungen.

Im Vordergrund der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung stehen die neurologisch-psychiatrischen Gesundheitsstörungen, die Angststörung einerseits, der Medikamentenmissbrauch andererseits, auf dessen leistungsmindernde Folgen der Kläger in der Berufungsbegründung vom 7. Februar 2003 ausdrücklich hinweist. Wegen beider Gesundheitsstörungen ist der Kläger insgesamt viermal gutachterlich untersucht worden und hat an einer verhaltenstherapeutisch ausgerichteten Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen. Darüber hinaus ist im Niedersächsischen Landeskrankenhaus K. viermal eine stationäre Medikamentenentwöhnung versucht worden, schließlich liegen mehrere Briefe des behandelnden Arztes für Neurologie/Psychiatrie/Psychotherapie des Klägers, Dr. K. , vor. In allen diesen medizinischen Befunden ist die Diagnosestellung im wesentlichen gleich: Stets werden eine Angstsymptomatik festgestellt, Panikattacken beschrieben und auf die Herzsymptomatik verwiesen. Darüber hinaus wird übereinstimmend eine sekundäre Benzodiazepinabhängigkeit diagnostiziert. Auch die Erklärungsmodelle für die gestellten Diagnosen gleichen sich, indem eine bis in die Kindheit und Jugend zurückreichende neurotische Fehlentwicklung angenommen wird. Übereinstimmend bejahen die neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen Dr. R. in seinem Gutachten vom 7. April 1997, Dr. F. in ihrem Gutachten vom 7. November 1994, Dr. Sch. in seinem Gutachten vom 15. April 1999 nebst seinen ergänzenden Stellungnahmen und schließlich Dr. Ge. in seinem Gutachten vom 5. Juni 2002 ein vollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers auch mit den von Seiten ihres Fachgebiets festgestellten Gesundheitsstörungen, sie halten jedoch qualitative Einschränkungen für erforderlich: Dr. R. und Dr. F. schließen eine Tätigkeit mit Publikumsverkehr aus, Dr. Schreiner verneint die Belastbarkeit des Klägers insbesondere für Arbeiten im Akkord, am Fließband und in Wechselschicht, Dr. Ge. schließlich hält besonderen Zeitdruck und Stress für ausgeschlossen. Im Entlassungsbericht der Hardtwaldklinik Bad Zwesten vom 30. Januar 1998 wurde der Kläger für grundsätzlich vollschichtig leistungsfähig gehalten, auch die Stationsärztin B. –L. im Niedersächsischen Landeskrankenhaus K. hielt den Kläger in ihrem Arztbrief vom 3. Februar 2000 für prinzipiell arbeitsfähig. Einzig abweichend votieren die Arbeitsamtsärztin Dr. L. in ihrem Gutachten vom 21. Juli 1998, deren Beurteilung kein besonderes Gewicht beigemessen werden kann, da sie Ärztin für Allgemein-, Betriebs- und Sozialmedizin ist, jedoch über keine Spezialisierung im neurologisch-psychiatrischen Bereich verfügt, und der behandelnde Neurologe/Psychiater Dr. K. , der seine Argumente besonders ausführlich in dem vom Kläger vorgelegten Arztbrief vom 28. November 2000 unter Auseinandersetzung insbesondere mit der Stellungnahme Dr. B -L. vom 3. Februar 2000 und dem Gutachten Dr. Sch. vom 15. April 1999 nebst dessen ergänzenden Stellungnahmen darlegt. Bei im wesentlichen gleicher Diagnosestellung vertritt der behandelnde Arzt die Auffassung, dass jede Erwerbstätigkeit des Klägers auf Grund der festgestellten Krankheitsbilder unter Beachtung der Chronizität der Beschwerden und der erwiesenen Therapieresistenz, insbesondere der fortdauernden Abhängigkeitserkrankung, ausgeschlossen sei. Dieser Ansatz vermag den Senat nicht zu überzeugen:

Da sich die Angststörung des Klägers hauptsächlich auf seine Herzneurose ohne jeden organ-pathologischen Anhalt bezieht, ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Leistungsfähigkeit des Klägers hierdurch beeinträchtigt sein sollte. Ergänzend weist der Sachverständige Ge. in seinem Gutachten vom 5. Juni 2002 darauf hin, dass umfängliche Feldstudien gezeigt hätten, dass Störsyndrome in Form von Angststörungen, Zwangsstörungen und Depressionen in zweistelligen Prozentsätzen in der Bevölkerung zu vermuten seien. Schwerwiegender schien dem Senat demgegenüber der Medikamentenmissbrauch des Klägers. Während der vier Entzugsbehandlungen im Niedersächsischen Landeskrankenhaus K. konnte stets eine erhebliche Reduktion oder eine vollständige Substitution der eingenommenen Benzodiazepine erreicht werden. 1991 wurde der Kläger in deutlich gebessertem Zustand unter ausschließlicher Medikation von Saroten entlassen und dabei auf die Wichtigkeit eines regelmäßigen Gruppenbesuchs für Abhängigkeitserkrankte hingewiesen. Auch 1994 wurde er mit der Empfehlung einer ambulanten Psychotherapie entlassen; die Abschlussmedikation umfasste die Ersatzstoffe Saroten und Dociton. 1997 nahm der Kläger bei Entlassung weiterhin Tranxilium, jedoch in einer reduzierten Dosis von 3 x 10 mg. 2000 konnte das Benzodiazepin am Ende abgesetzt werden. Außerhalb der Klinik führte der Kläger den dreimal erfolgreichen Suchtmittelentzug im Sinne nur noch der Einnahme von Ersatzpräparaten nicht fort, vielmehr verordnete der behandelnde Neurologe Dr. K. ihm erneut Tranxilium. In der als Hilfestellung angebotenen Rehabilitationsmaßnahme in der Hardtwaldklinik im Januar 1998 zeigte der Kläger sogar keinerlei Veränderungsmotivation, so dass er die Einnahme von Tranxilium dreimal täglich und bei Bedarf fortsetzte. Da der Kläger nach seinen Angaben bereits seit seiner NVA-Zeit Beruhigungsmittel und seit Behandlungsbeginn bei Dr. K. im Januar 1992 regelmäßig Benzodiazepin einnimmt, ist, wie insbesondere Dr. Sch. und Dr. G. hervorheben, unzweifelhaft ein Gewöhnungseffekt eingetreten, so dass der Kläger bei – nicht durch Therapiemaßnahmen begleitetem - Entzug des Suchtmittels nicht leistungsfähig wäre. Indiz dafür, dass die Leistungsbeurteilung der medizinischen Gutachter zutreffend ist, ist der vom Kläger gegenüber Dr. Ge. geschilderte Tagesablauf, der trotz Suchtmitteleinnahme strukturiert und gestaltet ist: So ist er, zumindest teilweise, mit mittelschwerer Hausarbeit, wie Staubsaugen und Bettenmachen, beschäftigt und versorgt den Garten, in dem verschiedene Obst- und Gemüsesorten wachsen. Er verbringt viel Zeit im Internet und liest. Eine soziale Isolation ist nicht festzustellen, vielmehr besucht er seit Ende der 90er weit außerhalb seines Wohnortes M. regelmäßig eine Kreativtherapie in K. , verreist und hält engen Kontakt zu seinem Bruder. Darüber hinaus hat er einen Hobbykeller mit einer Sitzmöglichkeit ausgebaut, wo er gern in einer Gruppe künstlerisch tätig sein würde, aber er niemand Gleichgesinntes finde.

Nachvollziehbar ist – in welcher Hinsicht auch der Kläger in der Berufungsbegründung vom 7. Februar 2003 die Argumentation Dr. Sch. und Dr. Ge. aufgreift - dass er wegen seiner Medikamentenabhängigkeit längere Wegstrecken weder mit dem Auto noch mit dem Fahrrad zurücklegen kann. Seine Wegefähigkeit ist gleichwohl erhalten, da er, wie Dr. Ge. ausdrücklich feststellt, in der Gehfähigkeit nicht eingeschränkt ist und ohne weiteres öffentliche Verkehrsmittel benutzen kann. Hinzu kommt, dass der Kläger Dr. Ge. gegenüber geäußert hat, er bewege sich in der Stadt auch mit dem Auto und habe sich das Autofahren erst in den letzten 3 Jahren, also etwa seit 1999 abgewöhnt, wobei er offenbar gleichwohl regelmäßig zur Kreativtherapie ins weiter entfernte K. fährt.

Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung dergestalt, dass der Kläger jeglichen Publikumsverkehr meiden muss, liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor. Es überzeugt, wenn Dr. Ge. in seinem Gutachten vom 5. Juni 2002 darauf hinweist, dass er während der - nach seiner Liquidation - etwa fünfstündigen Untersuchung des Klägers eine Einschränkung der sozialkommunikativen Fähigkeiten nicht feststellen konnte und der Kläger selbst angab, dass Panikattacken zumeist nachts, gegenwärtig drei- bis viermal monatlich aufträten. Da der Kläger nach den Erhebungen des Sachverständigen zudem gut durchschnittlich intelligent ist, ist ihm schlüssig grundsätzlich ein nicht zu belastender Publikumsverkehr möglich. Dies steht insbesondere im Einklang mit den Ausführungen Dr. R. und Dr. Felgentreffs in ihren im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten vom 7. April 1997 und 7. November 1997. Die von beiden benannte qualitative Einschränkung einer Tätigkeit ohne Publikumsverkehr wird im Zusammenhang mit der letzten Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter im Grußkartenverkauf genannt, die als reine Verkaufstätigkeit mit Publikumsumgang sicherlich wegen deren Erfolgsdrucks und der daraus folgenden Stressbelastung gesundheitlich nicht für den Kläger geeignet ist. Zur Überzeugung des Senats ist dem Kläger aber durch gelegentliche "besucherfreie" Zeiten unterbrochener Publikumsverkehr in Auskunft erteilender oder beratender Funktion durchaus gesundheitlich möglich.

Schließlich hindert die vom Kläger in der Berufungsbegründung vom 7. Februar 2003 angesprochene nach ärztlicher Ansicht fehlende Therapiefähigkeit eine Erwerbsfähigkeit nicht. Übereinstimmend gehen die medizinischen Gutachter davon aus, dass eine Psychotherapie empfehlenswert und sogar notwendig sei, um die Angststörung und die Medikamentenabhängigkeit zu verarbeiten, gleichwohl ist das Leistungsvermögen ihrer Ansicht nach trotz der bislang nicht austherapierten Gesundheitsstörungen quantitativ nicht eingeschränkt. Die Richtigkeit dieser Einschätzung wird dadurch bestätigt, dass der Kläger trotz der seit Jahren bestehenden Gesundheitsstörungen bis 1997 vollschichtig gearbeitet hat.

Weiteren Ermittlungsbedarf hat der Senat nicht gesehen. Insbesondere hat er nochmalige Stellungnahmen Dr. K. und des Sachverständigen Dr. Ge. für entbehrlich gehalten, da beide Ärzte ihre jeweiligen Standpunkte bereits ausführlich schriftlich dargelegt haben, ersterer in seinem Gutachten vom 5. Juni 2002, letzterer in seinen verschiedenen Arztbriefen, insbesondere in der Stellungnahme vom 28. November 2000 und zuletzt mit im Berufungsverfahren eingeholtem Befundbericht vom 19. Februar 2002. Bei im Wesentlichen gleicher Diagnosestellung unterscheiden sich die Ärzte in ihren daraus gezogenen sozialmedizinischen Folgerungen. Die rechtliche Würdigung dieser voneinander abweichenden Auffassungen aber ist – oben vorgenommene - Aufgabe des Gerichts.

Für die in der Berufungsbegründung vom 7. Februar 2003 erstmals vorgetragene Behauptung, der Kläger habe seine vorletzte Tätigkeit als Disponent in einer Spedition 1993 aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben, hat der Kläger keine Nachweise vorgelegt. Darüber hinaus widerlegen seine Angaben gegenüber sämtlichen medizinischen Sachverständigen die neu vorgetragene Behauptung: Dr. R. berichtete der Kläger, dass er als Disponent – wie auch in den zuvor ausgeübten Beschäftigungen - gravierende Konflikte mit seinen Vorgesetzten gehabt habe, die ihn abgeschoben hätten. Er habe dann gekündigt. Ähnlich schilderte er Dr. F. , nach wenigen Wochen in der Spedition habe er Auseinandersetzungen mit seinem Vorgesetzten gehabt, der fachlich weniger qualifiziert als er gewesen sei. Da er keinen Sinn im Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gesehen habe, habe er sich 1993 kündigen lassen. Auch Dr. Sch. berichtete der Kläger von Problemen mit den Vorgesetzten, er habe sich abgeschoben gefühlt, dann sei die Kündigung erfolgt. Dem Sachverständigen Dr. Ge. schließlich schilderte der Kläger, 1993 sei ihm betriebsbedingt gekündigt worden: Bei der Wahl zwischen einem Mitbewerber und ihm habe man sich für den Konkurrenten entschieden. Dass die damalige Kündigung, unabhängig davon, ob der Kläger selbst oder der Speditionsbetrieb gekündigt hat, offensichtlich im Zusammenhang mit der Persönlichkeitsstruktur des Klägers steht, kann nicht herangezogen werden, um eine Aufgabe des Berufs aus gesundheitlichen Gründen zu belegen, da dieser Charakterzug von den Gutachtern und Sachverständigen nicht als krankheitswertig bewertet wird: Die gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers liegt vielmehr in seiner körperlich auf das Herz fixierten Angstneurose.

Bisheriger Beruf des Klägers ist daher die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter, dem er mit den ärztlicherseits festgestellten Leistungseinschränkungen nicht mehr nachgehen kann. Nach der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (s. zuletzt ausführlicher Urteil vom 14. Mai 1996, 4 RA 60/94, SozR3-2600 § 43 Nr. 13) ist er auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit verweisbar, da die bisherige Tätigkeit in Ermangelung einer besonderen Ausbildung einerseits und einer besonderen Qualifikation des Klägers andererseits allenfalls als angelernte Tätigkeit des unteren Bereichs zu bewerten ist; der Kläger selbst vertritt in der Berufungsbegründung vom 7. Februar 2003 sogar die weitergehende Auffassung, dass es sich um eine ungelernte Tätigkeit handelt.

Der Kläger ist somit nicht berufsunfähig. Daraus folgt zugleich, dass er auch nicht erwerbsunfähig ist. Erwerbsunfähig sind gemäß § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 DM übersteigt; erwerbsunfähig sind auch Versicherte nach § 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Damit setzt die Erwerbsunfähigkeit eine noch erheblichere Einschränkung des Leistungsvermögens als die Berufsunfähigkeit voraus, so dass der Kläger erst recht nicht erwerbsunfähig ist.

Daher liegen auch die noch engeren Voraussetzungen einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG, die Revision zuzulassen, lagen nicht vor, da es sich um eine Einzelfallentscheidung auf geklärter Rechtsgrundlage handelt.
Rechtskraft
Aus
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