L 2 B 23/08 AL ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 15 AL 519/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 B 23/08 AL ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Untätigkeitsbeschwerde - Berufliche Weiterbildung - Prognose zur Notwendigkeit
Die Untätigkeitsbeschwerde des Antragstellers wird als unzulässig verworfen. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 17. Dezember 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von der Antragsgegnerin die Erteilung eines Bildungsgutscheins gemäß § 77 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) und die vorläufige Übernahme der Kosten der von ihm am 17. September 2007 begonnenen Weiterbildungsmaßnahme zum Eisenbahnfahrzeugführer Klasse III (Lokführer) bei der A. - und W. V. L. GmbH (AWV).

Der im Jahr 1977 geborene Antragsteller begann nach seinem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zum Kachelofen-Luftheizungsbauer, die er nicht abschloss. Von Dezember 1995 bis Juli 1997 absolvierte er erfolgreich eine Ausbildung zum Fliesen-Platten-Mosaikleger. In diesem Beruf arbeitete er bis März 1999. Nach Ableistung des Grundwehrdienstes von Mai 1999 bis Februar 2000 arbeitete der Antragsteller bis März 2002 zeitweise als Fliesenleger, war jedoch auch zeitweise arbeitslos und währenddessen aushilfsweise als Lagerarbeiter, Kraftfahrer und Fliesenleger beschäftigt. Von April 2002 bis einschließlich Mai 2007 war der Antragsteller Zeitsoldat. Ab Januar 2007 nahm er erfolgreich an einem von der Bundeswehrfachschule N. durchgeführten Lehrgang zum Bürokaufmann mit IHK-Abschlussprüfung teil, der bis zum 22. Juni 2007 dauerte. Bis 31. Mai 2008 bezog der Antragsteller von der Wehrbereichsverwaltung Süd Übergangsgebührnisse in Höhe von monatlich 1.354,29 EUR netto.

Am 5. April 2007 meldete sich der Antragsteller bei der Antragsgegnerin und erklärte, er sei ab 1. Juni 2007 arbeitslos, absolviere jedoch noch bis zum 22. Juni 2007 eine Ausbildung. Am 16. Juli 2007 teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin telefonisch mit, er wolle eine Weiterbildung zum Lokführer beginnen. Bei seiner Vorsprache am 26. Juli 2007 beantragte er die Gewährung eines Bildungsgutscheins (BGS) für die Ausbildung zum Eisenbahnfahrzeugführer im Weiterbildungslehrgang der AWV vom 17. September 2007 bis zum 17. Juli 2008. Ausweislich des Vermerks der Arbeitsvermittlerin vom 26. Juli 2007 wies sie den Antragsteller auf die Möglichkeit der Förderung der Weiterbildung bei der Bundeswehr hin. Weiter heißt es in dem Vermerk: " die Aushändigung eines BGS wird abgelehnt, Herr Sch. verfügt über zwei abgeschlossene Berufsausbildungen, er ist Ausbaufacharbeiter und Bürokaufmann. Hiermit wäre er im regionalen als auch im bundesweiten Arbeitsmarkt vermittelbar, der aktuelle Stellenmarkt hält hierfür entsprechende Angebote bereit, wobei er keine Bereitschaft zur bundesweiten Arbeitsaufnahme zeigt, "

Mit Bescheid vom selben Tag lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Weiterbildung ab, da im Falle des Antragstellers keine Notwendigkeit i.S.v. § 77 Abs. 1 Nr. 1 SGB III bestehe. Der Antragsteller verfüge über zwei abgeschlossene Berufsausbildungen. Als Ausbaufacharbeiter und als Bürokaufmann sei er auf dem regionalen und dem bundesweiten Arbeitsmarkt vermittelbar. Dafür gebe es Angebote auf dem aktuellen Stellenmarkt.

Den am 20. August 2007 vom Antragsteller eingelegten Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2007 als unbegründet zurück. Die Eingliederungschancen des Antragstellers in den Arbeitsmarkt seien in den Ausgangsberufen positiv einzuschätzen. Es gebe derzeit etwa 100 offene Stellen im Bau- und Verkaufsbereich. 26 Stellenangebote passten genau. Da dem Antragsteller voraussichtlich in absehbarer Zeit ein Arbeitsplatz vermittelt werden könne, sei die gewünschte Weiterbildung zum Lokführer nicht notwendig.

Ab dem 17. September 2007 hat der Antragsteller – unter Stundung der Lehrgangsgebühren durch die Weiterbildungsträgerin zunächst bis 31. Dezember 2007 – bei der AWV an der Weiterbildung zum Lokführer teilgenommen. Die Lehrgangskosten betragen insgesamt 10.220 EUR, welche in zehn monatlichen Raten zu zahlen sind. Hiervon hat der Berufsförderungsdienst der Bundeswehr mit Bescheid vom 29. Oktober 2007 anteilige Lehrgangsgebühren von 2.444,24 EUR nach § 5 Soldatenversorgungsgesetz übernommen.

Am 1. Oktober 2007 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Halle (SG) Klage gegen die Ablehnungsentscheidung der Antragsgegnerin erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 15 AL 469/07 anhängig ist. Am 22. Oktober 2007 hat er beim SG um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht und zur Begründung vorgetragen: Die Antragsgegnerin habe bei ihrer Entscheidung seinen beruflichen Werdegang und die bei ihm bestehenden Vermittlungshemmnisse missachtet und darüber hinaus die Marktlage und Entwicklung in den erlernten Berufen als Fliesenleger und Bürokaufmann und in dem Zielberuf als Eisenbahnfahrzeugführer ungenügend und einseitig erforscht. Die Annahme sehr guter Eingliederungsmöglichkeiten sei willkürlich. Die Ablehnung der Förderung beruhe auf sachfremden Erwägungen. Bislang habe die Antragsgegnerin keine Vermittlungsbemühungen unternommen. Etwa 70 schriftliche und telefonische Bewerbungen des Antragstellers seit Beginn seiner Arbeitslosigkeit seien erfolglos geblieben. Nach einer beigefügten Auflistung, die nicht mit den Daten der Bewebungen versehen ist, hat sich der Antragsteller bei zwanzig Firmen als Fliesenleger beworben. Darauf erhielt er vier Absagen, zehn Bewerbungen blieben nach Angabe in der Liste "noch ohne Resonanz". Siebzehn Bewerbungen richtete er an Transportunternehmen. Bei vier Absagen waren dreizehn Bewerbungen "noch ohne Resonanz". Auf elf Bewerbungen als Bürokaufmann im Baustoffhandel gab es eine Absage, zehn Bewerbungen blieben "noch ohne Resonanz".

Der Antragsteller hat weiter vorgetragen: Nach seinen Ermittlungen im Internetportal der Antragsgegnerin seien im August 2007 im Arbeitsamtsbezirk M. fünf offene Stellen für Fliesenleger gemeldet gewesen. Die Statistik "Arbeitslose nach Berufen" habe elf Fliesenleger verzeichnet. Im gesamten Land Sachsen-Anhalt habe es 48 freie Stellen für Fliesenleger gegeben. Landesweit gebe es 467 arbeitslose Fliesenleger. Bundesweit seien 1.378 freie Stellen verzeichnet bei 5.673 Arbeitslosen. Bei den Bürofachkräften sei das Bild deutlich schlechter. Im Arbeitsamtsbezirk M. stünden 25 offenen Stellen 1598 Arbeitslose als potentielle Bewerber gegenüber. Die Aussichten für Lokführer seien deutlich besser. Sie würden nur nach Bedarf der Arbeitgeber ausgebildet, weshalb sie nicht arbeitslos würden und die AWV entsprechend hohe Vermittlungsquoten (regelmäßig 90 Prozent) nach Abschluss der Weiterbildung habe. Entsprechend habe auch der Antragsteller bereits eine Einstellungszusage der Firma ELL E. L. GmbH (ELL) erhalten. Im beigefügten Schreiben vom 28. September 2007 bestätigt die ELL dem Antragsteller, dass sie "entsprechend dem in der AWV V. L. geführten Personalgespräch beabsichtige, Sie nach erfolgreichem Abschluss der Weiterbildungsmaßnahme zum Eisenbahnfahrzeugführer in unserem Unternehmen versicherungspflichtig einzustellen." Geschäftsführer der ELL ist H. –D. M ... Dieser ist zugleich geschäftsführender Gesellschafter der AWV und einer der beiden Prozessbevollmächtigten des Antragstellers.

Schließlich seien die individuellen Vermittlungshemmnisse des Antragstellers nicht berücksichtigt worden. Er habe seit dem Jahr 2002 keine Tätigkeit als Fliesenleger mehr ausgeübt und besitze keine Berufspraxis als Bürokraft. Die sechsmonatige Ausbildung ohne Praxisbezug bei der Bundeswehr habe nicht zu einem anerkannten Abschluss als Bürokaufmann geführt.

Im Erörterungstermin beim SG am 12. Dezember 2007 hat der Antragsteller erklärt, der Kontakt zur Firma ELL sei ihm über die AWV zwecks Einstellungszusage vermittelt worden. Die AWV habe erklärt, es gebe für Lokführer genügend Arbeit. Deshalb sei es zu dem Gespräch mit der Firma ELL gekommen, bei dem man ihm mitgeteilt habe, dass eine Übernahme möglich sei, wenn er den entsprechenden "Schein" habe. Über konkrete Konditionen, wie Zeitpunkt der Einstellung, Entgelt oder Befristung des Arbeitsverhältnisses, sei nicht gesprochen worden. Bis Ende des Jahres 2007 sei die Finanzierung der Weiterbildung durch die Mittelbewilligung aus dem Ausbildungsfonds der Bundeswehr gesichert. Über die Finanzierung ab Januar 2008 habe er mit der AWV noch nicht gesprochen; zunächst solle der Ausgang des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens abgewartet werden. Er habe sich um eine Finanzierung nicht gekümmert. Nachdem die Antragsgegnerin die Förderung abgelehnt habe, habe er sich an die AWV gewandt. Die habe ihm seinen Prozessbevollmächtigten vermittelt. Er habe zum damaligen Zeitpunkt nicht gewusst, dass Herr M. sowohl Geschäftsführer der AWV als auch der ELL sei und zudem Anwalt in der von ihm bevollmächtigten Kanzlei.

Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, die begehrte Weiterbildung sei nicht notwendig, denn der Antragsteller habe sich nicht im Anschluss an die Bildungsmaßnahme zum Bürokaufmann eine längere Zeit intensiv um eine zumutbare Beschäftigung bemüht. Zudem habe der Antragsteller eine Vermittlung über den Tagespendelbereich hinaus abgelehnt.

Mit Beschluss vom 10. Dezember 2007 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt: Der Antragsteller habe voraussichtlich keinen Anspruch auf Erteilung eines Bildungsgutscheins. Da die Erteilung im Ermessen der Antragsgegnerin liege, sei eine Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nur möglich, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege. Es liege jedoch kein Fall der Ermessensreduzierung vor; insbesondere habe die Einstellungszusage der ELL, die Anlass zu rechtlichen Zweifeln biete, nicht diese Wirkung. Es könne dahinstehen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 77 SGB III überhaupt vorlägen.

Gegen die ihm am 2. Januar 2008 zugestellte Entscheidung hat der Antragsteller am 22. Januar 2008 Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen: AWV und ELL seien verschiedene juristische Personen; es finde keine kollusive Zusammenarbeit statt. Die ELL sei auf dem Markt aktiv und erbringe Eisenbahnverkehrsdienstleistungen. Sie habe einen Betriebsleiter und drei vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, besitze drei einsatzfähige Baufahrzeuge, die insbesondere zum Oberleitungsbau eingesetzt würden. Diese würden mit Führer beispielsweise für Kontrollen vermietet. Der Antragsteller sei nur durch die Weiterbildung zum Lokführer noch in den ersten Arbeitsmarkt einzugliedern. Eine Vermittelbarkeit in den erlernten Berufen als Fliesenleger und Bürokaufmann bestehe nicht. Die Antragsgegnerin habe ihm keine Arbeitsstellen vermitteln können. Er habe sich bei ihr nicht als Arbeitsloser abgemeldet, sondern lediglich mitgeteilt, dass er ab dem 17. September 2007 bei der AWV eine Weiterbildungsmaßnahme absolviere. Da die begehrte Weitebildung notwendig sei, habe die Antragsgegnerin eine Ermessensentscheidung zu treffen. Da dies nicht erfolgt sei, könne das Gericht die Ermessensentscheidung ersetzen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen, dass große Teile der Ausbildung bereits durch das Kreiswehrersatzamt finanziert würden, der Antragsteller eine Arbeitsplatzzusage von der ELL habe, und er seit nunmehr 8 Monaten arbeitslos sei. Im Schriftsatz vom 31. Januar 2008 hat der Antragsteller ausgeführt, er nehme unter Stundung der Lehrgangsgebühren bis zum Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens weiter an der Weiterbildungsmaßnahme teil.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 17. Dezember 2007 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller einen Bildungsgutschein nach § 77 SGB III zu erteilen, der seine Ausbildung zum Eisenbahnfahrzeugführer ab dem 17. September 2007 bei der AWV umfasst.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die angestrebte Weiterbildung weiterhin für nicht notwendig. Der Antragsteller habe nach nicht einmal einmonatiger Arbeitslosigkeit telefonisch mitgeteilt, dass er die Weiterbildung zum Lokführer anstrebe. In so kurzer Zeit könne sich noch nicht herausgestellt haben, dass der Antragsteller ohne die begehrte Weiterbildung nicht in den allgemeinen Arbeitsmarkt integrierbar sei. Dem Antragsteller seien ihm keine weiteren Stellenangebote unterbreitet worden, weil er sich am 4. Oktober 2007 als Arbeitsuchender abgemeldet habe.

Am 22. Juli 2008 hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers Untätigkeitsbeschwerde eingelegt und ausgeführt: Die überlange, die Rechtsgewährung verhindernde Verfahrensdauer begründe einen Verfassungsverstoß, der nicht hinnehmbar sei. Das Verfahren sei unverzüglich fortzuführen. Auf Hinweis des Senats vom 11. August 2008 zur Unzulässigkeit der Untätigkeitsbeschwerde hat der Antragsteller diese aufrechterhalten, jedoch eine Vorlage des Verfahrens beim Bundessozialgericht (BSG) nicht gewünscht.

In einem am 12. September 2008 beim Senat eingegangenen Schriftsatz hat der Antragsteller erklärt: Zwar habe er den Lehrgang bis zum Ende besuchen dürfen, allerdings sei ihm von der AWV nicht gestattet worden, an der abschließenden Prüfung teilzunehmen. Dazu hat er ein Schreiben der AWV vom 5. Mai 2008 vorgelegt, in dem ihm für den Fall des Ausgleichs der Weiterbildungskosten die Möglichkeit der Teilnahme an der Prüfung u.a. im Zeitraum vom 24. November bis 5. Dezember 2008 angeboten wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.

II.

Die vom Antragsteller eingelegte Untätigkeitsbeschwerde ist unzulässig. Eine Untätigkeitsbeschwerde ist im Sozialgerichtsgesetz (SGG), das das hier einschlägige Prozessrecht regelt, nicht vorgesehen. Eine gesetzlich nicht geregelte, richterrechtliche Untätigkeitsbeschwerde entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 16. Juni 2005, Az.: 1 BvR 2790/04, NJW 2005, 2685) nicht dem aus dem Rechtsstaatsgebot abzuleitenden Gebot der Rechtsmittelklarheit. Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger erkennbar seien. Zudem geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass eine richterrechtlich begründete außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde kein wirksamer Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer sein kann (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006, NJW 2006, 2389). Dem sind die obersten Gerichte des Bundes gefolgt (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 4. Oktober 2005, Az.: II S 10/05; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 5. Dezember 2006, Az.: 10 B 68/06, jew. zit. n. juris; BSG, Beschluss vom 21. Mai 2007, Az.: B 1 KR 4/07 S, NZS 2008, 278).

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 17. Dezember 2007 ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden.

Sie ist jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen für den begehrten Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nach-teile nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO) den Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) sowie die Dringlichkeit der Entscheidung des Gerichts (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen. Bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist von den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auszugehen.

Das zur Annahme eines Anordnungsgrundes erforderliche Element der besonderen Dringlichkeit liegt hier vor, denn im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ist dem Antragsteller, dem zunächst durch den Maßnahmeträger AWV die Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme unter Stundung der Lehrgangskosten gestattet worden war, die Teilnahme an der Abschlussprüfung verwehrt worden. Da noch im November und Dezember 2008 eine Möglichkeit zur Teilnahme an der Abschlussprüfung, die von der Zahlung der offenen Lehrgangskosten abhängig gemacht wird, besteht, ist es unzumutbar, den Antragsteller auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu verweisen.

Es besteht jedoch kein Anordnungsanspruch. Eine vorläufige gerichtliche Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller die Kosten für die auf eigenes Risiko begonnene Weiterbildung zu finanzieren, scheidet aus, weil der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung eines Bildungsgutscheins nach § 77 Abs. 3 SGB III hat.

Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB III kann ein Arbeitnehmer bei der beruflichen Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn die Weiterbildung notwendig ist, um ihn bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, wenn vor Beginn der Maßnahme eine Beratung durch den Leistungsträger erfolgt ist, und wenn die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind. Die letztgenannten Voraussetzungen werden nicht in Frage gestellt. Streitig ist allein die Notwendigkeit der Weiterbildung bei Arbeitslosigkeit. Dabei kommt es darauf an, ob gerade die vom Antragsteller gewünschte Weiterbildung notwendig ist, d.h. ob ohne die Teilnahme an der gewünschten Maßnahme eine berufliche Eingliederung voraussichtlich nicht möglich ist.

Das BSG hat bereits zur Vorgängervorschrift von § 77 SGB III, dem § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz, ausgeführt, dass die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme notwendig ist, wenn sie die einzige Möglichkeit ist, um einen bereits arbeitslosen Antragsteller beruflich einzugliedern (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 1987, Az.: 11b RAr 5/86, SozR 4100 § 44 Rdnr. 46). Die Entscheidung, ob die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme "notwendig" ist, also ob ohne die Maßnahme "in absehbarer und angemessener Zeit" kein der bisherigen beruflichen Stellung entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, ist vom Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung, spätestens vom Beginn der Maßnahme her zukunftsorientiert im Sinne einer Prognoseentscheidung zu fällen. Im Rahmen dieser Prognoseentscheidung ist u.a. die Dauer der vorangegangenen Arbeitslosigkeit, die Qualifikation, die Gefragtheit der bislang ausgeübten Beschäftigung sowie andere Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang hat das BSG die regelmäßige Forderung der Arbeitsämter von mehr als sechs Monaten uneingeschränkter Vermittlungsbemühungen nicht beanstandet. An dieser Rechtsprechung hat das BSG in der Folgezeit festgehalten und zu § 77 SGB III weiter fortgeführt (vgl. Urteil vom 3. Juli 2003, Az.: B 7 AL 66/02 R, Breith 2004, 686): Die Neuregelung entspreche inhaltlich im Wesentlichen dem zuvor geltenden Recht. Weiterhin erfordere daher die Förderung der Teilnahme von Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung eine Beschäftigungsprognose. Es müsse die Erwartung bestehen, dass die Eingliederungschancen nach der Maßnahme besser seien als vorher. Könne hingegen dem Arbeitnehmer auch ohne die Förderung ein anderer Arbeitsplatz vermittelt werden, so werde das Ziel der Förderung der beruflichen Weiterbildung anderweitig erreicht. In diesem Fall sei eine Förderung nicht notwendig. Dem entspreche auch, dass bereits nach § 4 Abs. 2 SGB III der Vermittlung in der Regel gegenüber den Leistungen der aktiven Arbeitsförderung ein Vorrang zukomme. Dementsprechend könne allein aus dem Umstand, dass nach Ablauf des dritten Monats der Arbeitslosigkeit noch kein neuer Arbeitsplatz im bisherigen Beruf vermittelt wurde, nicht abgeleitet werden, dass keine Erwartung bestehe, im Ausgangsberuf vermittelt zu werden. In Zeiten allgemein angespannter Arbeitsmarktlage sei eine dreimonatige Arbeitslosigkeit noch kein Nachweis dafür, dass Vermittlungsbemühungen aussichtslos seien. Nach § 77 Abs. 1 Nr. 1 SGB III sei zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen eine Prognoseentscheidungen erforderlich, ob die Maßnahme der beruflichen Weiterbildung die Eingliederungschancen erhöhe. Hierbei habe die BA einen Beurteilungsspielraum. Insoweit unterliege der gerichtlichen Kontrolle lediglich, ob die Verwaltungsentscheidung tatsächlich unter Berücksichtigung aller verfügbaren Daten in einer dem Sachverhalt angemessenen und methodisch einwandfreien Weise erarbeitet worden sei. Selbst wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 77 Abs. 1 SGB III vorlägen, habe die BA ihr pflichtgemäßes Ermessen auszuüben, ob die Teilnahme an einer Maßnahme und, wenn ja, an welcher und in welchem Umfang gefördert werde. Im Rahmen der Prognoseentscheidung seien sowohl die Arbeitsmarktlage als auch individuelle Vermittlungshemmnisse zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juli 2003, a.a.O.).

Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Notwendigkeit der Weiterbildungsmaßnahme ist danach entweder der des Erlasses des Widerspruchsbescheides (30. August 2007) oder der des Beginns der Maßnahme (17. September 2007).

Letztlich ist im vorliegenden Fall die von der Antragsgegnerin vorgenommene Prognoseentscheidung, die zu dem Ergebnis gelangt, die begehrte Weiterbildungsmaßnahme sei für den Antragsteller nicht notwendig, nach Prüfung durch den Senats nicht zu beanstanden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 Nr. 1 SGB III liegen nicht vor, denn es kann nicht festgestellt werden, dass die begehrte Weiterbildung notwendig ist, um den Antragsteller bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern. Zum Zeitpunkt des Beginns der Weiterbildungsmaßnahme kann nicht festgestellt werden, dass keine Erwartung besteht, den Antragsteller in einem seiner erlernten Berufe als Fliesenleger bzw. Bürofachkraft zu vermitteln. Die im vorliegenden Fall bestehende Arbeitslosigkeit von weniger als drei Monaten bis zum Beginn der Weiterbildungsmaßnahme (23. Juni bis 10. September 2007) war zu kurz, als dass man aus dem Umstand, dass der Antragsteller in diesem Zeitraum keine neue Beschäftigung gefunden hat, ableiten könnte, Vermittlungsbemühungen würden auch weiterhin erfolglos bleiben.

Denn trotz der allgemein angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt gab es – nach den Angaben des Antragstellers – allein im Bereich des Arbeitsamtes M. fünf freie Stellen für Fliesenleger bei zwölf arbeitslosen Fiesenlegern. Damit war die Stellenmarktsituation für den Beruf des Fliesenlegers im heimischen Umfeld des Antragstellers zum Zeitpunkt einer Beschäftigungssuche nicht ungünstig. Es bestanden für einen Bewerber gute Aussichten, eine der fünf Stellen zu erhalten. Landes- und bundesweit war die Stellensituation für Fliesenleger zwar schlechter, aber immer noch deutlich besser als diejenige für Bürofachkräfte.

Soweit der Antragsteller ausführt, mehr als 70 Bewerbungen in der Zeit seiner Arbeitslosigkeit hätten nicht zu einer Beschäftigung geführt, ist dies kein Beleg für seine mangelnde Vermittelbarkeit im erlernten Beruf des Fliesenlegers. Aus der vom Antragsteller vorgelegten Liste seiner Bewerbungen bei Fliesenlegerfachbetrieben, auf der das Datum der Bewerbung jeweils nicht vermerkt ist, ergibt sich, dass sich der Antragsteller bei zwanzig Firmen beworben hat. Bis zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes am 22. Oktober 2007 hatte er auf diese zwanzig Bewerbungen jedoch nur vier Absagen erhalten, für die übrigen sechzehn Bewerbungen gab es nach den Vermerken des Antragstellers "noch keine Resonanz". Daraus lässt sich nicht zwingend schließen, dass diese Bewerbungen bei Fortführen des Bewerbungsverfahrens erfolglos geblieben wären. Der Antragsteller hat keine Angaben dazu gemacht, ob er die Bewerbungen nach Aufnahme der Weiterbildung am 17. September 2007 aufrechterhalten hat und welche Reaktionen erfolgten. Dasselbe Bild bieten die Bewerbungen des Antragstellers im Transportwesen. Bei siebzehn Bewerbungen gab es vier Absagen; auf die übrigen Bewerbungen war noch keine Resonanz zu verzeichnen. Auf elf Bewerbungen als Bürokaufmann, die jeweils im Baustoffhandel erfolgten, gab es eine Absage; auf die übrigen Bewerbungen gab es im Zeitpunkt der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes "noch keine Resonanz". Die Auflistung des Antragstellers zu seinen Bewerbungsaktivitäten belegt vielmehr, dass der Zeitraum, in dem sich der Antragsteller selber einen Arbeitsplatz gesucht hat, bis zum Beginn der Weiterbildungsmaßnahme zu kurz war, um die Vermittlungschancen des Antragstellers auf dem Arbeitsmarkt zu verneinen. Keinesfalls konnte am 17. September 2007 mit relativer Sicherheit ausgeschlossen werden, dass dem Antragsteller binnen absehbarer Zeit auch ohne die begehrte Förderung ein anderer Platz hätte vermittelt werden können.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vom Antragsteller geltend gemachten individuellen Vermittlungshemmnisse. Zwar trifft es zu, dass die letzte Berufstätigkeit des Antragstellers als Fliesenleger zum hier maßgeblichen Zeitpunkt bereits fünf Jahre zurücklag. Aber der Antragsteller war in dieser Zeit nicht arbeitslos und insoweit untätig, sondern hat als Zeitsoldat gedient, was den geltend gemachten Nachteil zumindest teilweise ausgleichen dürfte. Zudem verfügt der Antragsteller verfügt über eine nicht unwesentliche Berufspraxis in seinem Ausbildungsberuf, denn er war insgesamt mehr als vier Jahre vollzeitbeschäftigt und zeitweise in Nebentätigkeit in seinem Beruf tätig. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass der Antragsteller bei der Ausübung seines Berufes möglicherweise "etwas aus der Übung gekommen ist", bedeutet dies nach Überzeugung des Senats keinesfalls, dass er die in seinem Beruf verlangten handwerklichen Fertigkeiten verloren hat. Gegebenfalls benötigt er eine Einarbeitungsphase, die jedoch kein gravierendes Vermittlungshemmnis darstellen dürfte. Durch seine bei der Bundeswehr absolvierte sechsmonatige Ausbildung zum Bürokaufmann hat er sich zudem zusätzlich qualifiziert. Diese Zusatzqualifikation in Verbindung mit seiner handwerklichen Ausbildung dürfte ihn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt breiter einsetzbar und damit besser vermittelbar machen, denn dadurch kommen für ihn auch Stellen in Baumärkten und Fliesenfachhandel in Betracht. Auch war der im Zeitpunkt des Beginns der Weiterbildungsmaßnahme 30jährige Antragsteller keinesfalls zu alt für eine erfolgreiche Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt.

Daher ist die von der Antragsgegnerin in den angegriffenen Bescheiden ausgeführte positive Beschäftigungsprognose aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 SGB III bereits nicht vorliegen, besteht im vorliegenden Fall kein Raum für eine Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin. Es kommt daher zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr darauf an, ob die "Einstellungszusage" der ELL als rechtsverbindliche Zusicherung geeignet wäre, das Ermessen der Antragsgegnerin im Hinblick auf eine Bewilligung der Weiterbildung zu beschränken, oder ob sie rechtlich unverbindliche Absichtserklärung zu bewerten ist.

Der Senat verkennt nicht, dass aufgrund der personellen Verflechtung zwischen Weiterbildungsträger, potentiellem Arbeitgeber und Prozessbevollmächtigten durch die Person des Rechtsanwalts H. –D. M. beim Antragsteller möglicherweise ein Vertrauen hervorgerufen wurde, die Finanzierung seiner Weiterbildung würde "geregelt", doch dieses bindet weder die Antragsgegnerin noch den Senat.

Insbesondere der Umstand der nicht einmal dreimonatigen Arbeitslosigkeit des Antragstellers bei Beginn der Weiterbildungsmaßnahme unterscheidet diesen Fall von demjenigen, in dem der Senat mit Beschluss vom 18. Januar 2006 (Az.: L 2 B 70/05 AL ER) die Antragsgegnerin zur vorläufigen Erteilung eines Bildungsgutscheins verpflichtet hatte. Der dortige Antragsteller war bereits seit neun Monaten arbeitslos.

Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 SGB III nicht vorliegen, hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung eines Bildungsgutscheins nach § 77 Abs. 3 SGB III. Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

gez. Lauterbach gez. Bücker gez. Wöstmann
Rechtskraft
Aus
Saved