L 2 B 45/06 AL

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 8 AL 305/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 B 45/06 AL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
SGB III-Insolvenzereignis
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:
I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin die außergerichtlichen Kosten eines in der Hauptsache erledigten Klageverfahrens zu erstatten hat. In der Sache ging es um eine Insolvenzgeldforderung für den Zeitraum 1. April 2004 bis 20. April 2004. Die Klägerin war vom 24. Januar 2001 bis zum 15. März 2004 bei der Z. GmbH (künftig Z. ) in der B. Str. 33 in 39xxx Ze. als Bürokraft beschäftigt. Es handelte sich um eine in das Handelsregister eingetragene GmbH, deren Geschäftsführer Herr P. war. Das Arbeitsverhältnis endete durch Arbeitgeberkündigung wegen Insolvenz. Über das Vermögen der Z wurde am 8. April 2004 das Insolvenzverfahren durch das Amtsgericht Dessau eröffnet. Am 27. Februar 2004 schloss die Klägerin ab März 2004 einen Arbeitsvertrag als kaufmännische Angestellte mit der Firma Fenster- und Türentechnik Ze. GmbH (künftig F. ). Diese Firma hatte ihren Firmensitz ebenfalls in der B. Str. 33 und wurde von Herrn P. geführt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Arbeitgeberkündigung in der Probezeit zum 20. April 2004. Für März 2004 zahlte die Arbeitgeberin das Arbeitsentgelt, für April 2004 erhielt die Klägerin den abgerechneten Lohn nicht. Danach erhielt die Klägerin Arbeitslosengeld von der Beklagten. Die F. meldet zum August 2004 das Gewerbe ab wegen "Sitzverlegung". Die Klägerin beantragte am 19. Oktober 2004 bei der Beklagten Insolvenzgeld für noch offen stehendes Entgelt bei der F. für den Zeitraum 1. April bis 20. April 2004 in Höhe von 733,33 EUR brutto (556,54 EUR netto). Mit Bescheid vom 2. Dezember 2004 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, da kein Insolvenztatbestand vorliege. Hiergegen erhob die Klägerin erfolglos Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2005). Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 28. Juli 2005 Klage vor dem Sozialgericht Dessau erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Trotz der unterschiedlichen Arbeitsverträge sei für sie kein Arbeitgeberwechsel erkennbar gewesen. Die Firma F. habe in den gleichen Räumlichkeiten unter dem gleichen Geschäftsführer mit den vorhandenen Arbeitsmaterialien unter anderer Firmierung die Arbeiten fortgesetzt. Insofern müsse davon ausgegangen werden, dass das Insolvenzereignis der Z. auch für die F. gelte. Es handele sich um dieselbe Firma, bei der sie vor und nach der Insolvenz beschäftigt gewesen sei.

Mit Schreiben vom 21. Oktober 2005 hat die Klägerin die Erledigung der Hauptsache erklärt, da der Geschäftsführer der F. , Herr P. , im Wege eines vor dem Arbeitsgericht geltend gemachten Schadensersatzes auf die offene Vergütung für April 2004, Zahlung geleistet habe. Zugleich hat die Klägerin Kostenantrag gestellt. Sie gehe davon aus, sie hätte ohne die Zahlung Dritter mit ihrer Klage Erfolg gehabt. Die Beklagte hat sich der Erledigung angeschlossen. Eine Kostentragungspflicht sehe sie nicht, da der angegriffene Bescheid nicht fehlerhaft gewesen sei. Dies zeige auch der Umstand, dass der vorrangig zur Leistung verpflichtete Arbeitgeber letztlich dieser Pflicht nachgekommen sei. Mit Beschluss vom 3. Februar 2006 hat das Sozialgericht Dessau entschieden, die Beklagte habe die außergerichtlichen Kosten der Klägerin nicht zu tragen. Die Klage der Klägerin hätte nach der bis zum erledigenden Ereignis maßgebenden Sach- und Rechtslage keinen Erfolg gehabt.

Gegen den ihr am 10. Februar 2006 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 27. Februar 2006 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Zahlung von Herrn P. könne nicht als Indiz für eine Zahlungsfähigkeit der Firma F. gewertet werden, denn in dem arbeitgerichtlichen Verfahren sei der ehemalige Geschäftsführer der F. persönlich aufgrund seiner Geschäftsführerhaftung im Wege des Schadensersatzes in Anspruch genommen worden und habe sich im Wege eines Vergleiches vor dem Arbeitsgericht Dessau zur Zahlung verpflichtet. Sie gehe davon aus, dass eine Parteiidentität von Z. und F. vorliege und auch die F. aufgrund der Insolvenz unter der Firmierung Z. mit liquidiert und von Amts wegen mangels Masse gelöscht sei.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 3. Februar 2006 aufzuheben und die Beklagte zur Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten zu verpflichten.

Die Beklagte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Begründung des Sozialgerichts für zutreffend.

Für weitere Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind vom Senat bei seiner Entscheidung berücksichtigt worden.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Nach § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) findet gegen die Entscheidung des Sozialgerichts die Beschwerde an das Landessozialgericht statt. Der Ausschlusstatbestand von § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG findet keine Anwendung, da diese Einschränkung erst ab dem 1. April 2008 gilt. Kostenbeschwerden, die vor diesem Datum bereits erhoben worden sind, bleiben zulässig. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht im Sinne des § 173 Abs. 1 SGG erhoben. Das Sozialgericht hat ihr nicht abgeholfen (vgl. § 174 SGG).

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Nach § 193 Abs. 1 Halbsatz 2 SGG entscheidet das Gericht durch Beschluss darüber, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren nicht durch Urteil entschieden wird. Die Klägerin hat das Klageverfahren für erledigt erklärt und beantragt, die Beklagten zu verpflichten, ihre außergerichtlichen Kosten zu tragen.

Das SGG bestimmt nicht ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen Kosten zu erstatten sind. Die §§ 91 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) sind nicht unmittelbar anwendbar, die dort aufgestellten Grundsätze sind aber im Allgemeinen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens bei der Kostenentscheidung heranzuziehen. Bei Erledigung des Rechtsstreits durch Erledigungserklärung entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen (vgl. § 91a ZPO). Maßgeblich ist hierbei zunächst der wahrscheinliche Verfahrensausgang (vgl. Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 25. Mai 1957 – 6 RKa 16/54 – SozR Nr. 4 zu § 193 SGG), aber auch, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat, ob sich die Sachlage nach Erlass des streitigen Verwaltungsaktes geändert und der Unterlegene dem durch sofortiges Anerkenntnis entsprochen hat (Meyer-Ladewig/Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 193 Rdnr. 12-13 mit weiteren Nachweisen).

Die Klage hatte voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenzgeld lagen nicht vor.

Anspruch auf Insolvenzgeld haben Arbeitnehmer nach § 183 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderungsrecht (SGB III), wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Vorliegend fehlt ein Insolvenzereignis. Maßgebend sind die Verhältnisse des Arbeitgebers der Klägerin. Für den hier relevanten Zeitraum 1. April bis 20. April 2004 war die Firma F. Arbeitgeberin der Klägerin. Arbeitgeber ist derjenige, dem die Arbeitsleistung geschuldet wird und der das Arbeitsentgelt zu zahlen hat. Mit der Firma F. hat die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum einen Arbeitsvertrag geschlossen. Die beiden Firmen Z. und F. können nicht als einheitlicher Arbeitgeber angesehen werden. Die Firma Z. ist als eingetragene GmbH eine eigenständige juristische Person, bei der für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nur das Gesellschaftsvermögen haftet. Das Arbeitsverhältnis mit dieser Firma endete durch Arbeitgeberkündigung zum 15. März 2004 oder, wenn diese nach § 613a Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unwirksam gewesen sein sollte, durch den Betriebsübergang, dem die Klägerin nicht widersprochen hat. Es ist nicht entscheidend, dass der Geschäftsführer und möglicherweise auch der Alleingesellschafter in beiden Fällen Herr P. war und die Aufträge der Z. durch die F. abgearbeitet wurden. Auch wenn es sich um einen Betriebsübergang nach § 613a des BGB gehandelt haben sollte, ändert dies nichts am Arbeitgeberwechsel. Auch im Falle eines Betriebsübergangs, dem der Arbeitnehmer nicht widerspricht, ändert sich der Arbeitgeber; die Schutzvorschrift des § 613a BGB bewirkt lediglich, dass der neue Arbeitgeber die Rechte und Pflichten aus dem alten Arbeitsverhältnis übernehmen muss (Besitzstandsschutz). Die Haftung des alten Arbeitgebers bezieht sich nur auf Forderungen vor dem Betriebsübergang (also vor dem 1. März 2004). Es besteht kein offener Anspruch auf Arbeitsentgelt für April 2004 gegen den ehemaligen Arbeitgeber. Die Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Firma Z. ist daher nicht relevant.

Bei der Arbeitgeberin der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum, der Firma F. , liegt kein Insolvenzereignis vor. Ein Insolvenzantrag für diese Firma ist nicht gestellt worden. Es mag zwar die Betriebstätigkeit vollständig im April 2004 eingestellt worden sein, es fehlen jedoch die Voraussetzungen für eine offensichtliche Masselosigkeit. Die Gewerbeabmeldung der Firma erfolgte wegen Sitzverlegung der Gesellschaft. Der Geschäftführer selbst hat mit Schreiben vom 29. November 2004 mitgeteilt, dass die Firma nicht insolvent sei. Es kommt anders als bei der Z. hier auf die Vermögensverhältnisse der Gesellschafter an. Es kommt nicht darauf an, ob es sich um eine Vorgründungsgesellschaft (vor Abschluss des Gesellschaftsvertrages) oder um eine Vor-GmbH gehandelt hat, in beiden Fällen haften auch die Gesellschafter mit ihrem persönlichen Vermögen. Die Gesellschaft ist erst masselos, wenn dies auch für das Vermögen der Gesellschafter gilt. Vorliegend ist nicht bekannt, ob überhaupt ein Gesellschaftsvertrag für die F. abgeschlossen worden ist. Eine vor der Gründung einer Vor-GmbH bestehende Vorgründungsgesellschaft bildet, wenn sie in diesem Stadium ein Handelsgewerbe unter gemeinsamer Firma betreibt, eine OHG; ist dies nicht der Fall, ist sie eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, auf die die §§ 705 ff. BGB anwendbar sind. In beiden Fällen können die Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich und unbeschränkt in Anspruch genommen werden (vgl. BAG, Urteil vom 25. Januar 2006 – 10 AZR 238/05 – AP Nr. 20 zu § 128 HGB). Demgegenüber kann eine durch Abschluss eines Gesellschaftsvertrages errichtete aber noch nicht eingetragene Vor-GmbH Trägerin von Rechten und Pflichten sein, sie ist nach § 50 Abs. 2 ZPO passiv parteifähig und kann als Arbeitgeberin verklagt werden. Es besteht für die Gesellschafter eine bis zur Eintragung der Gesellschaft andauernde Verlustdeckungshaftung, die nicht auf die Höhe des Einlageversprechens beschränkt ist (vgl. BGH, Vorlagebeschluss v. 4. März 1996 – II ZR 123/94 – AP Nr. 6 zu § 11 GmbHG). Diese Haftung ist im Regelfall in Form einer Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft ausgestaltet, in besonderen Konstellationen, bei denen ein direkter Durchgriff keine Abwicklungsschwierigkeiten mit sich bringt, kann auch eine Durchgriffshaftung auf die Gründungsgesellschafter zulässig sein. (vgl. BGH; Urteil v. 27. Januar 1997 – II ZR 123/94 – AP Nr. 10 zu § 11 GmbHG). In jeder Fallkonstellation kommt es für die Beurteilung der Masselosigkeit der Gesellschaft letztlich auf die Vermögensverhältnisse der Gesellschafter an. Auch der Ausgleichsanspruch gegen einen solventen Gesellschafter stellt einen Vermögenswert dar. Es ist davon auszugehen, dass Herr P. zumindest "Mit"gesellschafter der F. war, wenn auch viel für eine Alleingesellschafterstellung spricht. Insofern ist auch die Zahlung der geschuldeten Summe durch ihn ein Indiz, dass zumindest ein solventer Gesellschafter da war.

Andere Gründe, der Beklagten trotz der fehlenden Erfolgsaussicht der Klage einen Teil der Kosten aufzuerlegen, bestehen nicht. Die Beklagte hat keine Veranlassung zur Klage gegeben.

Der Beschluss ist nach § 177 SGG nicht durch eine Beschwerde anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved