L 2 KG 1/05

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 3 KG 2/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 KG 1/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nichtberücksichtigung der Waisenrente für den Kindergeldanspruch einer Vollwaisen
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. Februar 2005 und der Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2004 werden aufgehoben. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung und die Erstattung von Kindergeld (Kg) für das Jahr 2003 in Höhe von insgesamt 1.386 EUR.

Die am ... 1979 geborene Klägerin ist seit dem Tode ihres Vaters im August 1997 Vollwaise und bezieht Waisenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Seit Februar 1998 erhält sie das Kg selber. Bereits im Jahr 2000 war der Bezug von Kg bereits einmal für zwei Monate unterbrochen, weil ihr damaliges Einkommen aus Lehrgeld und Waisenrente die Bezügegrenze überstieg.

Nach Abbruch eines Berufsfachschulbesuchs Wirtschaftsassistenz im Juli 2003 schloss die Klägerin zum 1. August 2003 einen Ausbildungsvertrag mit der BBI – Akademie für berufliche Bildung gGmbH in H. (BBI) – für eine Ausbildung zur "staatlich geprüften gestaltungstechnischen Assistentin" im Schwerpunkt Mode und Design an der Berufsfachschule. Für die zweijährige Ausbildung erhob die Schule ein Schulgeld in Höhe von 50 EUR für August 2003 sowie 170 EUR je Monat der restlichen Ausbildungszeit. Arbeits- und Lehrmaterialien waren im Schulgeld nicht enthalten und vom Schüler zu tragen. Für die Ausbildung erhielt die Klägerin Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ab dem 1. August 2003 in Höhe von 377 EUR monatlich. Auch für die vorherige Ausbildung hatte sie im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2003 Leistungen nach dem BAföG in Höhe von 221 EUR monatlich erhalten.

Die von der Klägerin bezogene Waisenrente betrug im Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 30. Juni 2003 389,96 EUR brutto, ab dem 1. Juli 2003 394,42 EUR brutto. Auf Nachfrage der Beklagten führte die Klägerin mit Schreiben vom 23. Oktober 2003 aus, sie habe von Juli bis September 2003 aus Erwerbstätigkeit ein Bruttogehalt von insgesamt 1.290,00 EUR erhalten. Hierzu legte sie Gehaltsabrechnungen vor, nach denen sie in den Monaten Juli, August und September 2003 ein Bruttogehalt von jeweils 522,50 EUR erzielt hatte. Wegen der Insolvenz ihres Arbeitgebers habe sie danach kein Gehalt mehr erzielt.

Auf der Grundlage dieser Angaben berechnete die Beklagte am 26. November 2003 prognostisch die Einkünfte und Bezüge der Klägerin für das Kalenderjahr 2003 und gelangte zu einem die Einkommen, das die Grenze von 7.188,00 EUR überstieg.

Mit Schreiben vom 27. November 2003 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Aufhebung der Kindergeldbewilligung für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. September 2003 an. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nach § 48 und § 50 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) hob die Beklagte die Bewilligung des Kindergeldes gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 SGB X auf für die Monate Januar bis September 2003 in Höhe von bereits gezahlten 154,00 EUR monatlich (Gesamtbetrag 1.386,00 EUR) sowie ab Oktober 2003 auf. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe im Kalenderjahr 2003 voraussichtlich Einkünfte und Bezüge in Höhe von 8.379,78 EUR. Dieser Betrag übersteige die jährliche Einkommensgrenze von 7.188,00 EUR. Es lägen keine besonderen Umstände vor, die der rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung des Kindergeldes entgegenstünden. Der überzahlte Betrag von 1.386,00 EUR sei von der Klägerin gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

Bereits im Schreiben vom 8. Dezember 2003, das erst am 9. Januar 2004 zum Verwaltungsvorgang der Beklagten gelangte, hatte die Klägerin ausgeführt, dass sie das Gehalt für ihren Teilzeitjob aufgrund der Insolvenz des Arbeitgebers nicht erhalten habe. Ein Teilbetrag davon in Höhe von 960,00 EUR sei ihr von der Beklagten als Vorschuss auf das zu erwartende Insolvenzgeld bewilligt worden. Zudem machte sie Werbungskosten für das Jahr 2003 geltend. Für Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihrer Ausbildungsstelle habe sie insgesamt 204,40 EUR (Straßenbahnfahrkarte, 1,40 EUR x 2 x 73 Tage = 204,40 EUR) aufgewandt. Das Schulgeld für das Jahr 2003 habe insgesamt 730,00 EUR betragen. Insgesamt an 147 Tagen seien Verpflegungsmehraufwendungen wegen einer Abwesenheit von mindestens acht Stunden angefallen. Zudem habe sie sonstige Aufwendungen für die Ausbildung (insbesondere Büromaterial) von 16,29 EUR, 78,59 EUR, 43,40 EUR, 36,91 EUR und 121,95 EUR gehabt.

Mit Schreiben vom 8. Januar 2004, der bei der Beklagten am 12. Januar 2004 einging, legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Dezember 2003 ein und führte zur Begründung aus: Die Beklagte habe ihre Werbungskostenabrechnung nicht berücksichtigt. Daraufhin nahm die Beklagte eine Neuberechnung der Einkünfte und Bezüge für das Kalenderjahr 2003 vor, die unter Einbeziehung der geltend gemachten Werbungskosten zu einer Summe der Einnahmen von 7.465,73 EUR führte. Dabei berücksichtigte sie Arbeitsmittel in Höhe von 1.027,14 EUR (Schulgeld und Aufwendungen für die Schule) sowie Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von insgesamt 739,20 EUR (sowohl 0,36 EUR je Entfernungskilometer für 210 Tage entsprechend 151,20 EUR als auch Kostenersatz in Höhe von 2,80 EUR für 210 Tage entsprechend 588,00 EUR). Die Beklagte ermittelte, dass der Klägerin Insolvenzgeld von insgesamt 1.375,79 EUR für den Zeitraum von Juli bis September 2003 durch das Arbeitsamt Halle gewährt worden war und berücksichtigte auch dieses bei der Berechnung des Einkommens der Klägerin.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Nach § 1 Abs. 1 BKGG erhalte Kg für sich selbst, wer u.a. in Deutschland seinen Wohnsitz habe und Vollwaise sei. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a BKGG seien auch Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten und eine Berufsausbildung absolvierten, bei der Zahlung von Kg zu berücksichtigen. Voraussetzung sei jedoch, dass das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet seien, von nicht mehr als 7.188 EUR im Kalenderjahr habe (§ 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG). Dabei seien Einkünfte solche im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG). Bezüge seien alle übrigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert, die im Rahmen der einkommenssteuerrechtlichen Einkünfte-Ermittlung nicht erfasst würden. Dazu gehörten z.B. Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, BAföG-Leistungen und auch das Insolvenzgeld. Die Bezüge seien um eine jährliche Kostenpauschale von 180 EUR zu mindern. Zudem sei bei dem steuerpflichtigen Ertragsanteil der Rente ein Werbungskostenpauschbetrag von 102,00 EUR kalenderjährlich abzuziehen. Von den Einkünften und Bezügen des Kindes seien zudem dessen besondere Ausbildungskosten abzusetzen. Dabei handele es sich um ausbildungsbedingte Ausgaben, die nicht bereits Werbungskosten seien, jedoch der Höhe nach wie Werbungskosten zu berücksichtigen seien. Die Klägerin habe im Jahr 2003 Einkünfte und Bezüge von insgesamt 9.514,07 EUR erzielt, die sich zusammensetzten aus: - BAföG Januar bis Juli 2003 1.547,00 EUR, - BAföG August bis Dezember 2003 1.885,00 EUR, - Waisenrente Januar bis Juni 2003 brutto 2.339,76 EUR, - Waisenrente Juli bis Dezember 2003 brutto 2.366,52 EUR und - Insolvenzgeld 1.375,79 EUR. Davon seien die Kostenpauschale von 180,00 EUR und der Werbungskostenpauschbetrag von 102,00 EUR abzuziehen sowie die besonderen Ausbildungskosten in Form von Aufwendungen für Arbeitsmittel und Schulgeld, die im Falle der Klägerin zusammen 1.027,14 EUR ausmachten; zudem die die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte. Die danach ermittelten Einkünfte und Bezüge der Klägerin für das Jahr 2003 überschritten den maßgeblichen Grenzbetrag, sodass für alle Anspruchsmonate des Kalenderjahres kein Anspruch auf Kg bestehe. Im vorliegenden Fall seien die Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung ab Januar 2003 erfüllt. Es handele sich um einen typischen Regelfall, sodass die Aufhebung rückwirkend erfolgen müsse. Gemäß § 50 Abs. 1 SGB X seien die erbrachten Leistungen zu erstatten.

Am 18. März 2004 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Beklagte habe fehlerhaft die von ihr bezogene Waisenrente mit ihrem vollen Wert angesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) sei nur der Ertragsanteil abzüglich der Werbungskostenpauschale anzusetzen.

Dazu hat die Beklagte ausgeführt, im Ergebnis sei die Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung voll anzurechnen. Wie die Klägerin zutreffend ausgeführt habe, gehöre der Ertragsanteil nach Bereinigung zu den Einkünften. Der über den Ertragsanteil hinausgehende Rentenbetrag gehöre zu den Bezügen im Sinne der übrigen nicht der Steuerpflicht unterliegenden Einnahmen.

Mit Urteil vom 18. Februar 2005 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Rentenleistungen der Klägerin unterfielen dem Begriff der Einkünfte und Bezüge im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG. Nach Abzug von Kostenpauschale, Werbungskosten und besonderen Ausbildungskosten blieben der Klägerin zu berücksichtigende Einnahmen, die die Einkommensgrenze von 7.188 EUR überschritten. Sie habe auch keinen Anspruch auf Kg nur für die erste Jahreshälfte 2003. Zwar habe sie in diesem Zeitraum nur geringere Einnahmen erzielt, welche im Ergebnis zum Bestehen eines Anspruchs auf Kg geführt hätten, jedoch ergebe sich aus § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG, dass auf das Jahr und nicht auf die einzelnen Monate abzustellen sei. Gegen das ihr am 28. Februar 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29. März 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Bewertung der Kapitalanteile der Waisenrente als Bezug und die daraus folgende Berücksichtigung bei den Einnahmen verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Die ihr gewährte Waisenrente trete an die Stelle der ansonsten von den Eltern geschuldeten Unterhaltsleistungen. Diese würden jedoch, unabhängig davon, ob sie in Form des Naturalunterhaltes oder als Geldleistungen erbracht werden, bei der Berechnung des Kg nicht mit einbezogen. Werde im Falle der Klägerin das von ihr bezogene Surrogat (Waisenrente) gleichwohl mit einbezogen, so werde sie als Vollwaise gegenüber den Kindern benachteiligt, welche noch über unterhaltsverpflichtete Elternteile verfügten. Denn letztere erhielten Kg.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. Februar 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt aus, der Bundesfinanzhof (BFH) habe bereits mit Urteil vom 14. November 2000 bestätigt, dass eine Waisenrente bei der Berechnung des Anspruchs auf Kg auch dann zu berücksichtigen sei, wenn sie an die Stelle von Unterhaltsleistungen eines Elternteils getreten sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung des Senats ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht erhoben. Der letzte Tag der einmonatigen Berufungsfrist für das der Klägerin am 28. Februar 2005 zugestellte Urteil, der 28. März 2005, war ein Feiertag (Ostermontag), sodass die Berufungsfrist hier mit Ablauf des 29. März 2005 endete. Die Berufung ist nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der hier maßgeblichen bis zum 30. März 2000 geltenden Fassung statthaft, da der Streitwert die Berufungsgrenze übersteigt. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung der Klägerin ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 2004 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, denn die Klägerin hat einen Anspruch auf die Gewährung von Kg für das Jahr 2003. Die Beklagte hat mit den angegriffenen Bescheiden somit zu Unrecht das für den Zeitraum von Januar bis einschließlich September 2003 das Kg gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.386 EUR zurückgefordert.

Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Kg-Bewilligung kommt nur § 48 Abs. 1 SGB X in Betracht. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Satz 2 Nr. 3). Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung sind hier nicht erfüllt. Denn die Klägerin hat zu Recht im Jahr 2003 Kg bezogen.

Dem Grunde nach ist die Klägerin gemäß § 1 Abs. 2 BKGG in seiner im vorliegenden Fall im Jahr 2003 maßgeblichen anspruchsberechtigt. Zwar sind in der Regel (§ 1 Abs. 1 BKGG) die Eltern Anspruchsberechtigte für das Kg für ihre Kinder. Ein Kind erhält aber nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BKGG Kg für sich selbst, wenn es in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt und nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist. Die Klägerin lebt in Deutschland und ist Vollwaise. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 BKGG findet auf den Anspruch der Klägerin § 2 Abs. 2 BKGG entsprechende Anwendung. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 a BKGG sind im Hinblick auf einen Anspruch auf Kg Kinder zu berücksichtigen, wenn sie das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG werden sie in diesem Fall aber nur berücksichtigt, wenn sie Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.188 EUR im Kalenderjahr haben. Abzüge, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind, bleiben hierbei außer Ansatz; entsprechendes gilt für Einkünfte, soweit sie für solche Zwecke verwendet werden (§ 2 Abs. 2 Satz 5 BKGG).

Die Klägerin war im hier streitigen Jahr 2003 noch nicht 27 Jahre alt. Sie wurde auch für einen Beruf ausgebildet. Sowohl die bis zum 30. Juli 2003 absolvierte Fachschulausbildung zur staatlich geprüften Wirtschaftsassistentin als auch ihre anschließend aufgenommene Fachschulausbildung bei der BBI zur staatlich geprüften gestaltungstechnischen Assistentin sind auf eine Berufsqualifizierung ausgerichtete Ausbildungen. Es handelt sich um Ausbildungsverhältnisse, die planmäßig ausgestaltet sind und sich an einem bestimmten Ausbildungsziel orientieren. Dabei werden die Ausbildungsinhalte in Schulform vermittelt.

Für die Ermittlung der Höhe der Einkünften und Bezügen des Kindes finden die Regelungen des Einkommenssteuergesetzes (EStG) zurückzugreifen. Das BKGG enthält insoweit selbst keine eigenständigen Regelungen. Ausdrücklich verweist § 2 Abs. 2 Satz 4 BKGG darauf, dass zu den Bezügen auch Gewinne nach §§ 14, 16 etc. EStG gehören, die steuerfrei sind. § 32 Abs. 4 EStG ist in seiner im Jahr 2003 gültigen Fassung wortgleich mit § 2 Abs. 2 BKGG. Der anzuwendende Begriff der Einkünfte entspricht grundsätzlich der Legaldefinition im Steuerrecht (§ 2 Abs. 2 EStG). Bezüge sind steuerrechtlich in der Regel alle (übrigen, nicht zu den Einkünften gehörenden) Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommenssteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden (vgl. Loschelder in Schmidt: EStG, 26. Auflage 2007, § 32 RN 54).

Nach Auffassung des Senats scheidet dabei eine Berücksichtigung der von der Klägerin bezogenen Waisenrente bei den Einkünften und Bezügen im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 BKGG aus.

Wertungsmäßig ist die an Vollwaisenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung so zu behandeln wie der von den Eltern dem Kind erbrachte Unterhalt. Der einem Kind von den Eltern erbrachte Unterhalt bleibt bei der Bestimmung der Einkünfte und Bezüge des Kindes im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG außer Betracht. Denn Kg wird typischerweise dafür gewährt, dass Eltern eigene Unterhaltsleistungen erbringen. Deshalb würde es dem Sinn des Kg widersprechen, die von Eltern erbrachten Unterhaltsleistungen als Einkommen des Kindes bei der Bestimmung der Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 BKGG zu berücksichtigen (vgl. Bundesfinanzhof – BFH, Urteil vom 14.11.2000, Az.: VI R 52/98, BFHE 193, 453). Das Kg dient dem sozialpolitischen Familienlastenausgleich. Der durch Kinder bedingte höhere Aufwand einer Familie soll zumindest teilweise ausgeglichen werden. Von diesem Zweck her betrachtet ist es geboten, bei der Anrechnung eigenen Einkommens des Kindes den im Rahmen des Familienverbandes erbrachten Unterhaltsleistungen außer Betracht zu lassen, weil solche nur von den Eltern zum Kind transferiert werden, ohne die Leistungsfähigkeit der Familie zu steigern.

Für eine entsprechende Behandlung der Waisenrente spricht, dass diese für die Klägerin die Unterhaltsleistungen ihrer nicht mehr lebenden Eltern ersetzt. Allerdings hat der BFH hierzu ausgeführt, auch Rentenleistungen mit Unterhaltsersatzfunktion seien mit dem Ertragsanteil abzüglich des Werbungskostenpauschalbetrages als Einkünfte und mit dem Kapitalanteil abzüglich der Unkostenpauschale als Bezüge im Sinne des § 32 § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu erfassen. Dies gelte ungeachtet dessen, dass diese Leistung an die Stelle der Unterhaltsleistungen eines Elternteils trete. Denn Leistungen Dritter an das Kind seien grundsätzlich zu erfassen. Dahinter stehe die Erwägung, dass es Zweck des Familienleistungsausgleichs sei, die Eltern bei ihren Unterhaltsleistungen für das Kind zu entlasten; diese Entlastung sei aber nicht mehr erforderlich, wenn das Kind sich selbst unterhalten könne (BFH, Urteil vom 14.11.2000, Az. VI R 52/98 = BFHE 193,453 und Beschluss vom 26.4.2002, Az. VIII B 169/01, BFH/NV 2002, 1029).

Nach Auffassung des Senats kann diese Betrachtungsweise aber nur für Halbwaisenrenten gelten, die insofern zusammen mit anderem Einkommen des Kindes dazu führen könne, dass das Existenzminimum des Kindes auch ohne Leistungen des verbleibenden Elternteils gesichert ist. Eine entsprechende Behandlung der Rente für Vollwaisen nach dem SGB VI als zu berücksichtigende Einkünfte und Bezüge des Kindes wird nicht der besonderen Situation der Vollwaisen gerecht. In einem solchen Fall gibt es die Familie, für die der Familienlastenausgleich über das Kg bestimmt ist, nicht mehr. Im Wege der Gleichbehandlung wird die Vollwaise nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BKGG als allein verbliebener Abkömmling der Familie in Bezug auf das Kg so behandelt, als gebe es die Familie noch. Innerhalb dieser für die Kindergeldberechtigung "fingierten" Familie ersetzt der Anspruch auf Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres nach § 48 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. B SGB VI typisierend den ausgefallenen Ausbildungsunterhalt (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2008, B 13/4 R 49/06 R, zit. n. juris), der ansonsten von den Eltern an das Kind geleistet würde, ohne als Einkommen berücksichtigt zu werden. Somit ist nach dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 2 Satz 1 BKGG folgerichtig, bei der im Satz 2 der Vorschrift entsprechend angeordneten Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 1 BKGG die Vollwaisenrente von der Anrechnung auszunehmen. Damit wird auch berücksichtigt, dass der Klägerin – anders als anderen erwachsenen Kindern in der Ausbildung – der familiäre Rückhalt eines Elternhauses vollständig fehlt; ihr sind familientypische Leistungen, die über bezifferbaren Unterhaltsansprüche hinausgehen, versperrt. Benötigt die Klägerin diese, muss sie sich diese Leistungen am Markt beschaffen und dazu zusätzliche finanzielle Mittel aufbringen. Dieser Unterschied und die die Klägerin treffende Mehrbelastung im Vergleich zu anderen erwachsenen Kindern in der Ausbildung rechtfertigt es nach der Überzeugung des Senats, die von der Klägerin bezogene Waisenrente anrechnungsfrei zu lassen.

Somit ergeben sich für die Klägerin nur zu berücksichtigende Einkünfte im Jahre 2003 von insgesamt 3.294,24 EUR. Berücksichtigung finden dabei zum einen die von der Klägerin bezogene BAföG-Leistungen im Jahreszeitraum 2003 von insgesamt 3.432,00 EUR. Davon abzusetzen sind nach § 32 Abs. 3 Satz 5 EStG die Beträge, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt waren. Dies sind Beträge in Höhe der Kostenpauschale nach dem BAföG vom 180,00 EUR und die ausbildungsbedingten Kosten nach Einzelnachweis von insgesamt 1.231,54 EUR (das Schulgeld mit 730,00 EUR, Aufwendung für Arbeitsmittel mit 297,14 EUR, Fahrkosten zur Schule entsprechend der Angaben der Klägerin nur für 73 Tage zu 2,80 EUR = 204,40 EUR), insgesamt 1.513,54 EUR. Weiter ist als Einkommen das gezahlte Insolvenzgeld mit 1.375,79 EUR zu berücksichtigen.

Es ergibt sich als Saldo ein Einnahmenbetrag von 3.294,25 EUR, der unter dem Grenzbetrag von 7.188 EUR nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BKGG liegt. so dass der Anspruch der Kläger auf Kindergeld nicht ausgeschlossen ist.

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligung von Kindergeld nach § 48 Abs. 1 SGB X lagen nicht vor, so dass die angegriffenen Bescheide aufzuheben waren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

gez. Lauterbach gez. Bücker gez. Wöstmann
Rechtskraft
Aus
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