Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 11 AS 1140/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 B 177/07 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Kostenentscheidung - Zusicherung - Unterkunft - Änderung der Sachlage
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 18. Mai 2007 verpflichtet, die der Klägerin entstandenen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über die Erstattung außergerichtlicher Kosten für ein inzwischen in erster Instanz erledigtes sozialgerichtliches Klageverfahren, in dem die Klägerin von der Beklagten die Zusicherung der Kostenübernahme für eine eigene Wohnung nach § 22 Abs. 2a des Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) begehrte.
Die am geborene Klägerin bewohnte mit ihren Eltern, ihrer am 29. Januar 1989 geborenen Schwester und ihrem am 27. Februar 1991 geboren Bruder eine etwa 70 qm große 4-Zimmer-Eigentumswohnung. Sie teilte sich ein 10 qm großes Zimmer mit ihrer Schwester.
Am 10. Mai 2005 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, die ihr von der Beklagten für die Monate August (Bescheid vom 26. Oktober 2005) und Oktober 2005 (Bescheid vom 2. Februar 2006) bewilligt wurden.
Am 17. Oktober 2005 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Zusicherung der Übernahme der Kosten für eine eigene Wohnung. Sie habe kein eigenes Zimmer und müsse sich mit ihrer 17-jährigen Schwester ein 10 qm großes Zimmer teilen. Diesem Antrag fügte sie ein Wohnungsangebot für eine 57 qm große Wohnung zu einem monatlichen Gesamtmietpreis einschließlich Heizkostenvorauszahlungen von 312,00 EUR, ab Januar 2006 von 295,45 EUR/Monat, bei. Zur Prüfung der Notwendigkeit eines Umzuges führte die Beklagte am 25. November 2005 einen Hausbesuch durch. Im Prüfbericht heißt es: " Frau St. C. , 19 Jahre alt, bewohnt bzw. schläft mit ihrer Schwester J. , 17 Jahre alt, ein 10 qm großes Kinderzimmer. Hier standen eine ausziehbare Liege, ein Kleiderschrank und eine Sitzgelegenheit. Mehr Einrichtungsgegenstände kann der Raum nicht aufnehmen. Nebenan schläft der 15-jährige Bruder in einem 8 m2 Zimmer. Die 4-Raumwohnung hat für 5 Personen bescheidene 69 qm. Auf die Frage, warum bisher kein Notstand angezeigt wurde, antworteten die Eltern, dass die Töchter mittlerweile in einem Alter seien, in dem mindestens ein eigenes Zimmer vorhanden sein müsste. "
Mit Bescheid vom 13. Dezember 2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Wohnungsbeschaffungskosten ab, da keine Notwendigkeit für einen Umzug bestehe. Der Gesetzgeber sehe nicht vor, dass jedes Kind ein eigenes Zimmer haben müsse. Da sie (die Klägerin) zurzeit auch nicht wirtschaftlich selbstständig sei, sei eine eigene Wohnung auch nicht zwingend erforderlich.
Den gegen diesen Bescheid seitens der Klägerin am 22. Dezember 2005 mit der wesentlichen Begründung erhobenen Widerspruch, sie und ihre Schwester hätten beide einen Freund, aber keine Rückzugsmöglichkeiten, weswegen es zu Streit mit den Eltern und der Schwester käme, wies die Beklagte mit Widerspruchbescheid vom 10. August 2006 als unbegründet zurück. Der Umzug sei nicht erforderlich, zudem würde sich die Hilfebedürftigkeit der Klägerin drastisch erhöhen.
Am 4. September 2006 hat die Klägerin gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. August 2006 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben. Bereits am 13. Juli 2006 hatte die Klägerin einen erneuten Antrag auf Zustimmung zu einem Wohnungswechsel bei der Beklagten gestellt. Sie sei im dritten Monat schwanger und wolle zusammen mit ihrem Freund eine Familie gründen. Die Wohnung ihrer Eltern sei zu klein. Diesen Antrag hat die Beklagte mit Bescheid vom 25. August 2006 zurückgewiesen. Eine erneute Prüfung der Erforderlichkeit des Umzuges könne erst mit der Geburt des Kindes geprüft werden. Bis zu diesem Zeitpunkt werde auf die Ablehnung vom 13. Dezember 2005 verwiesen.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Widerspruch eingelegt. Am 30. Oktober 2006 hat die Klägerin beim SG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, die Beklagte zu verpflichten, ihr die Zusicherung der Übernahme der Aufwendungen einer neuen Unterkunft zu erteilen (S 11 AS 1481/06 ER). Die Geburt ihres Kindes sei am 8. Februar 2007 zu erwarten.
Mit Bescheid vom 2. November 2006 hat die Beklagte der Klägerin die Übernahme der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung für den Bezug einer eigenen Wohnung zugesichert. Die Klägerin hat daraufhin das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und das Klageverfahren für erledigt erklärt und beantragt, über die Kostentragung zu entscheiden. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen und sich bereit erklärt, die Kosten der Klägerin im Klageverfahren zur Hälfte zu tragen, da sie davon ausgehe, dass die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. August 2006 zur Fristwahrung erfolgt sei. Die Klage selbst habe keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Die Erforderlichkeit des Umzuges habe sich einzig und allein aus der vorliegenden Schwangerschaft ergeben.
Mit Beschluss vom 18. Mai 2007 hat das SG festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin keine weiteren außergerichtlichen Kosten zu erstatten habe. Ob die Zusicherung des Umzuges hätte erteilt werden müssen, wäre abhängig vom Ergebnis weiterer Ermittlungen gewesen (räumliche Verhältnisse der alten Wohnung, Angemessenheit der eingereichten Wohnungsangebote). Es entspreche billigem Ermessen, der Beklagten die Hälfte der außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
Gegen den ihr am 24. Mai 2007 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 31. Mai 2007 Beschwerde eingelegt. Ungeklärte tatsächliche Umstände hätten nicht vorgelegen, da der Beklagten sämtliche Wohnumstände bekannt gewesen seien. Es sei nur die Rechtsfrage zu entscheiden gewesen, ob die Entscheidung der Beklagten rechtmäßig gewesen sei.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 18. Mai 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die ihr entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.
Die Beklagte hat Gelegenheit zur Stellungnahme zur Beschwerde erhalten, davon jedoch keinen Gebrauch gemacht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens S 11 AS 1481/06 ER ergänzend Bezug genommen.
II.
Die nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 31. März 2008 gültigen Fassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§ 173 SGG) ist begründet.
Nach § 193 Abs. 1 zweiter Halbsatz SGG entscheidet das Gericht durch Beschluss darüber, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Im SGG ist nicht ausdrücklich bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Kosten zu erstatten sind.
Die §§ 91 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) sind nicht unmittelbar anwendbar; die dort aufgestellten Grundsätze sind aber im Allgemeinen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens bei der Kostenentscheidung heranzuziehen. Nach Beendigung des Rechtsstreits durch Erledigungserklärung entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (vgl. § 91a ZPO). Maßgeblich sind dabei zunächst der wahrscheinliche Verfahrensausgang, aber auch, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat, bzw. ob sich die Sachlage nach Erlass des streitigen Verwaltungsakts geändert und der Unterlegene dem durch sofortiges Anerkenntnis entsprochen hat (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 193, Rn. 12b). Darüber hinaus kann im Rahmen der Ermessenserwägungen auch der konkrete Anlass für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes oder die Verursachung unnötiger Kosten durch einen Verfahrensbeteiligten berücksichtigt werden. Bei der Überprüfung der Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren hat das Beschwerdegericht sein Ermessen vollumfänglich auszuüben (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193, Rn. 17). Die Entscheidung des SG im Beschluss vom 18. Mai 2007 ist unter Beachtung dieser Grundsätze aufzuheben.
Da es sich vorliegend um eine Verpflichtungsklage handelt, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit der Klage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 54, Rz. 34) bzw. des erledigenden Ereignisses. Zum somit hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses des Abhilfebescheides vom 2. November 2006 hatte die Klage Aussicht auf Erfolg. Nach § 22 Abs. 2a SGB II (eingefügt durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. a des Gesetzes vom 24. März 2006, BGBl I S. 558 mit Wirkung vom 1. April 2006), ist der Leistungsträger nur dann verpflichtet, Leistungen für Unterkunft und Heizung an Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zu zahlen, wenn er dieses vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn 1. der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann, 2. der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist, oder 3. ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
In der Regel ist es unbillig, der Beklagten das Prozess- und Kostenrisiko aufzuerlegen, wenn sie auf eine erst im Verlauf des Rechtsstreits eingetretene Änderung in den Verhältnissen der Klägerin umgehend reagiert und der Änderung Rechnung getragen hat (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. März 2004, L 7 B 1/04 B, juris m.w.N.). Vorliegend jedoch hatte die Beklagte von der veränderten Sachlage (Schwangerschaft der Klägerin) bereits vor Klagerhebung Kenntnis. Das SG hat nicht berücksichtigt, dass die Beklagte dadurch Anlass zur Klagerhebung gegeben hatte. Bei Erlass des Widerspruchsbescheides am 10. August 2006 wusste sie bereits, dass die Klägerin schwanger war und mit ihrem Freund zusammen eine eigene Wohnung beziehen wollte. Diesen Umstand hatte sie in einem (erneuten) Antrag auf die Übernahme der Kosten einer eigenen Wohnung am 13. Juli 2006 der Beklagten mitgeteilt. Bei der Entscheidung des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2006 blieb jedoch diese Änderung der Sachlage unberücksichtigt. Der Umstand der Schwangerschaft und die zum Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreites in etwa drei Monaten bevorstehende Geburt machten einen Umzug notwendig. In der etwa 70 qm großen, von fünf Personen bewohnten 4-Zimmer-Wohnung wäre die zusätzliche Unterbringung eines Säuglings wohl kaum zumutbar gewesen. Zudem wollte die Klägerin mit ihrem Freund zusammen in eine Wohnung ziehen und dort gemeinsam mit ihm und dem Kind leben. Auch dieser durch Art. 6 Grundgesetz (GG) geschützte Wunsch führt zu einer Verpflichtung der Beklagten zur Zusicherung der Kostentragung für eine neue (eigene) angemessene Wohnung. Zu berücksichtigen ist hier letztlich auch, dass die Beklagte bei der Ablehnung des Antrags vom 13. Juli 2006 keinerlei Ermessen ausgeübt hat. Sie hat vielmehr unter Verweis auf die bereits erfolgte Ablehnung vom 13. Dezember 2005 eine weitere Prüfung der Erforderlichkeit des Umzuges bis zur Geburt des Kindes der Klägerin abgelehnt.
Es kann daher hier zur Beurteilung der Erfolgsaussicht der Klage offen bleiben, ob die beengten Wohnverhältnisse der Klägerin (sie musste sich mit ihrer 17-jährigen Schwester ein 10 qm großes Zimmer teilen) die Pflicht einer Zusicherung nach § 22 Abs. 2a Ziffer 1 SGB II begründeten. In jedem Fall aber lag ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund in der Person der Klägerin vor, der die Pflicht der Erteilung der Zusicherung der Beklagten nach § 22 Abs. 2a Ziffer 3 SGB II zu begründen vermochte. Die Klägerin war schwanger. Das Bestehen einer Schwangerschaft hat der Gesetzgeber selbst als einen "sonstigen, ähnlich schwerwiegenden Grund" betrachtet, bei dem allerdings der Leistungsträger einen Entscheidungsspielraum habe (vgl. BT-Drs. 16/688, S. 12 a.E.).
Nach alledem war der Beschluss des SG aufzuheben und die Beklagte zur vollen Übernahme der Kosten zu verpflichten.
Die Kostenentscheidung erfolgte in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über die Erstattung außergerichtlicher Kosten für ein inzwischen in erster Instanz erledigtes sozialgerichtliches Klageverfahren, in dem die Klägerin von der Beklagten die Zusicherung der Kostenübernahme für eine eigene Wohnung nach § 22 Abs. 2a des Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) begehrte.
Die am geborene Klägerin bewohnte mit ihren Eltern, ihrer am 29. Januar 1989 geborenen Schwester und ihrem am 27. Februar 1991 geboren Bruder eine etwa 70 qm große 4-Zimmer-Eigentumswohnung. Sie teilte sich ein 10 qm großes Zimmer mit ihrer Schwester.
Am 10. Mai 2005 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, die ihr von der Beklagten für die Monate August (Bescheid vom 26. Oktober 2005) und Oktober 2005 (Bescheid vom 2. Februar 2006) bewilligt wurden.
Am 17. Oktober 2005 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Zusicherung der Übernahme der Kosten für eine eigene Wohnung. Sie habe kein eigenes Zimmer und müsse sich mit ihrer 17-jährigen Schwester ein 10 qm großes Zimmer teilen. Diesem Antrag fügte sie ein Wohnungsangebot für eine 57 qm große Wohnung zu einem monatlichen Gesamtmietpreis einschließlich Heizkostenvorauszahlungen von 312,00 EUR, ab Januar 2006 von 295,45 EUR/Monat, bei. Zur Prüfung der Notwendigkeit eines Umzuges führte die Beklagte am 25. November 2005 einen Hausbesuch durch. Im Prüfbericht heißt es: " Frau St. C. , 19 Jahre alt, bewohnt bzw. schläft mit ihrer Schwester J. , 17 Jahre alt, ein 10 qm großes Kinderzimmer. Hier standen eine ausziehbare Liege, ein Kleiderschrank und eine Sitzgelegenheit. Mehr Einrichtungsgegenstände kann der Raum nicht aufnehmen. Nebenan schläft der 15-jährige Bruder in einem 8 m2 Zimmer. Die 4-Raumwohnung hat für 5 Personen bescheidene 69 qm. Auf die Frage, warum bisher kein Notstand angezeigt wurde, antworteten die Eltern, dass die Töchter mittlerweile in einem Alter seien, in dem mindestens ein eigenes Zimmer vorhanden sein müsste. "
Mit Bescheid vom 13. Dezember 2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Wohnungsbeschaffungskosten ab, da keine Notwendigkeit für einen Umzug bestehe. Der Gesetzgeber sehe nicht vor, dass jedes Kind ein eigenes Zimmer haben müsse. Da sie (die Klägerin) zurzeit auch nicht wirtschaftlich selbstständig sei, sei eine eigene Wohnung auch nicht zwingend erforderlich.
Den gegen diesen Bescheid seitens der Klägerin am 22. Dezember 2005 mit der wesentlichen Begründung erhobenen Widerspruch, sie und ihre Schwester hätten beide einen Freund, aber keine Rückzugsmöglichkeiten, weswegen es zu Streit mit den Eltern und der Schwester käme, wies die Beklagte mit Widerspruchbescheid vom 10. August 2006 als unbegründet zurück. Der Umzug sei nicht erforderlich, zudem würde sich die Hilfebedürftigkeit der Klägerin drastisch erhöhen.
Am 4. September 2006 hat die Klägerin gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. August 2006 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben. Bereits am 13. Juli 2006 hatte die Klägerin einen erneuten Antrag auf Zustimmung zu einem Wohnungswechsel bei der Beklagten gestellt. Sie sei im dritten Monat schwanger und wolle zusammen mit ihrem Freund eine Familie gründen. Die Wohnung ihrer Eltern sei zu klein. Diesen Antrag hat die Beklagte mit Bescheid vom 25. August 2006 zurückgewiesen. Eine erneute Prüfung der Erforderlichkeit des Umzuges könne erst mit der Geburt des Kindes geprüft werden. Bis zu diesem Zeitpunkt werde auf die Ablehnung vom 13. Dezember 2005 verwiesen.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Widerspruch eingelegt. Am 30. Oktober 2006 hat die Klägerin beim SG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, die Beklagte zu verpflichten, ihr die Zusicherung der Übernahme der Aufwendungen einer neuen Unterkunft zu erteilen (S 11 AS 1481/06 ER). Die Geburt ihres Kindes sei am 8. Februar 2007 zu erwarten.
Mit Bescheid vom 2. November 2006 hat die Beklagte der Klägerin die Übernahme der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung für den Bezug einer eigenen Wohnung zugesichert. Die Klägerin hat daraufhin das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und das Klageverfahren für erledigt erklärt und beantragt, über die Kostentragung zu entscheiden. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen und sich bereit erklärt, die Kosten der Klägerin im Klageverfahren zur Hälfte zu tragen, da sie davon ausgehe, dass die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. August 2006 zur Fristwahrung erfolgt sei. Die Klage selbst habe keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Die Erforderlichkeit des Umzuges habe sich einzig und allein aus der vorliegenden Schwangerschaft ergeben.
Mit Beschluss vom 18. Mai 2007 hat das SG festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin keine weiteren außergerichtlichen Kosten zu erstatten habe. Ob die Zusicherung des Umzuges hätte erteilt werden müssen, wäre abhängig vom Ergebnis weiterer Ermittlungen gewesen (räumliche Verhältnisse der alten Wohnung, Angemessenheit der eingereichten Wohnungsangebote). Es entspreche billigem Ermessen, der Beklagten die Hälfte der außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
Gegen den ihr am 24. Mai 2007 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 31. Mai 2007 Beschwerde eingelegt. Ungeklärte tatsächliche Umstände hätten nicht vorgelegen, da der Beklagten sämtliche Wohnumstände bekannt gewesen seien. Es sei nur die Rechtsfrage zu entscheiden gewesen, ob die Entscheidung der Beklagten rechtmäßig gewesen sei.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 18. Mai 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die ihr entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.
Die Beklagte hat Gelegenheit zur Stellungnahme zur Beschwerde erhalten, davon jedoch keinen Gebrauch gemacht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens S 11 AS 1481/06 ER ergänzend Bezug genommen.
II.
Die nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 31. März 2008 gültigen Fassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§ 173 SGG) ist begründet.
Nach § 193 Abs. 1 zweiter Halbsatz SGG entscheidet das Gericht durch Beschluss darüber, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Im SGG ist nicht ausdrücklich bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Kosten zu erstatten sind.
Die §§ 91 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) sind nicht unmittelbar anwendbar; die dort aufgestellten Grundsätze sind aber im Allgemeinen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens bei der Kostenentscheidung heranzuziehen. Nach Beendigung des Rechtsstreits durch Erledigungserklärung entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (vgl. § 91a ZPO). Maßgeblich sind dabei zunächst der wahrscheinliche Verfahrensausgang, aber auch, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat, bzw. ob sich die Sachlage nach Erlass des streitigen Verwaltungsakts geändert und der Unterlegene dem durch sofortiges Anerkenntnis entsprochen hat (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 193, Rn. 12b). Darüber hinaus kann im Rahmen der Ermessenserwägungen auch der konkrete Anlass für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes oder die Verursachung unnötiger Kosten durch einen Verfahrensbeteiligten berücksichtigt werden. Bei der Überprüfung der Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren hat das Beschwerdegericht sein Ermessen vollumfänglich auszuüben (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 193, Rn. 17). Die Entscheidung des SG im Beschluss vom 18. Mai 2007 ist unter Beachtung dieser Grundsätze aufzuheben.
Da es sich vorliegend um eine Verpflichtungsklage handelt, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit der Klage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 54, Rz. 34) bzw. des erledigenden Ereignisses. Zum somit hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses des Abhilfebescheides vom 2. November 2006 hatte die Klage Aussicht auf Erfolg. Nach § 22 Abs. 2a SGB II (eingefügt durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. a des Gesetzes vom 24. März 2006, BGBl I S. 558 mit Wirkung vom 1. April 2006), ist der Leistungsträger nur dann verpflichtet, Leistungen für Unterkunft und Heizung an Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zu zahlen, wenn er dieses vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn 1. der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann, 2. der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist, oder 3. ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
In der Regel ist es unbillig, der Beklagten das Prozess- und Kostenrisiko aufzuerlegen, wenn sie auf eine erst im Verlauf des Rechtsstreits eingetretene Änderung in den Verhältnissen der Klägerin umgehend reagiert und der Änderung Rechnung getragen hat (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. März 2004, L 7 B 1/04 B, juris m.w.N.). Vorliegend jedoch hatte die Beklagte von der veränderten Sachlage (Schwangerschaft der Klägerin) bereits vor Klagerhebung Kenntnis. Das SG hat nicht berücksichtigt, dass die Beklagte dadurch Anlass zur Klagerhebung gegeben hatte. Bei Erlass des Widerspruchsbescheides am 10. August 2006 wusste sie bereits, dass die Klägerin schwanger war und mit ihrem Freund zusammen eine eigene Wohnung beziehen wollte. Diesen Umstand hatte sie in einem (erneuten) Antrag auf die Übernahme der Kosten einer eigenen Wohnung am 13. Juli 2006 der Beklagten mitgeteilt. Bei der Entscheidung des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2006 blieb jedoch diese Änderung der Sachlage unberücksichtigt. Der Umstand der Schwangerschaft und die zum Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreites in etwa drei Monaten bevorstehende Geburt machten einen Umzug notwendig. In der etwa 70 qm großen, von fünf Personen bewohnten 4-Zimmer-Wohnung wäre die zusätzliche Unterbringung eines Säuglings wohl kaum zumutbar gewesen. Zudem wollte die Klägerin mit ihrem Freund zusammen in eine Wohnung ziehen und dort gemeinsam mit ihm und dem Kind leben. Auch dieser durch Art. 6 Grundgesetz (GG) geschützte Wunsch führt zu einer Verpflichtung der Beklagten zur Zusicherung der Kostentragung für eine neue (eigene) angemessene Wohnung. Zu berücksichtigen ist hier letztlich auch, dass die Beklagte bei der Ablehnung des Antrags vom 13. Juli 2006 keinerlei Ermessen ausgeübt hat. Sie hat vielmehr unter Verweis auf die bereits erfolgte Ablehnung vom 13. Dezember 2005 eine weitere Prüfung der Erforderlichkeit des Umzuges bis zur Geburt des Kindes der Klägerin abgelehnt.
Es kann daher hier zur Beurteilung der Erfolgsaussicht der Klage offen bleiben, ob die beengten Wohnverhältnisse der Klägerin (sie musste sich mit ihrer 17-jährigen Schwester ein 10 qm großes Zimmer teilen) die Pflicht einer Zusicherung nach § 22 Abs. 2a Ziffer 1 SGB II begründeten. In jedem Fall aber lag ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund in der Person der Klägerin vor, der die Pflicht der Erteilung der Zusicherung der Beklagten nach § 22 Abs. 2a Ziffer 3 SGB II zu begründen vermochte. Die Klägerin war schwanger. Das Bestehen einer Schwangerschaft hat der Gesetzgeber selbst als einen "sonstigen, ähnlich schwerwiegenden Grund" betrachtet, bei dem allerdings der Leistungsträger einen Entscheidungsspielraum habe (vgl. BT-Drs. 16/688, S. 12 a.E.).
Nach alledem war der Beschluss des SG aufzuheben und die Beklagte zur vollen Übernahme der Kosten zu verpflichten.
Die Kostenentscheidung erfolgte in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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