Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 8 U 139/02
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 33/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe – (BK 1302) anzuerkennen ist.
Der 1948 geborene Kläger arbeitete nach seiner Berufsausbildung zum Rohrleger und der Ableistung seines Grundwehrdienstes von Juni 1969 an bis Ende Dezember 1990 als Spritzer und Lackierer im ehemaligen VEB M. -W. S. (nunmehr M.- F.- werke GmbH). Vom 1. Januar 1991 an bis zum 15. Dezember 1992 war er als Abrissarbeiter bei der Sanierungsgesellschaft M. F. -werke S. mbH beschäftigt und anschließend bis zum 15. Juni 1993 ohne Arbeit. In der Folgezeit führte er bis zum 30. November 1995 (im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) bei der St. Sanierungsgesellschaft S. mbH nochmals Abrissarbeiten aus und war danach bis zum 7. Mai 1996 wiederum ohne Arbeit. Vom 8. Mai 1996 an bis zum 30. November 2000 war er wieder als Spritzer und Lackierer tätig (Bautischlerei K. in R. ), wobei vom 2. Mai 2000 an krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bestanden hatte. Seit dem 1. Dezember 2000 bezieht der Kläger eine – zunächst befristete – Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Am 13. Juli 2000 zeigte die AOK Sachsen-Anhalt der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (nunmehr Berufsgenossenschaft Elektro – Textil – Feinmechanik) den Verdacht einer bei dem Kläger bestehenden BK an, die den Vorgang am 6. November 2000 zuständigkeitshalber an die Beklagte weiter leitete. Auf entsprechende Anforderung übersandte der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Sch. der Beklagten am 29. November 2000 medizinische Befunde: Aus dem Arztbrief des Krankenhauses am R. S. vom 29. Mai 2000 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 8. bis zum 20. Mai 2000 ging hervor, dass die Einweisung wegen bereits eingetretener Leistungsinsuffizienz bei erstmanifestiertem Diabetes mellitus Typ 2 (Blutzuckererkrankung) erfolgt war. Zusätzlich waren eine Leberzirrhose (Schrumpfleber) ungeklärter Genese (Entstehung) sowie Varizen (Krampfadern) im Ösophagus (Speiseröhre) Grad III und im Fundus (Magen) diagnostiziert worden. Die laborchemische Untersuchung hatte u.a. eine Gamma-GT (Gammaglutamyltransferase – u.a. Alkoholindikator) von 9,7 ergeben. Zu diskutieren sei ein toxischer Leberschaden auf Grund beruflicher Lösungsmittelexposition, zumal der Kläger einen Alkoholabusus (Missbrauch) negiert habe. In der Zeit vom 29. Mai bis zum 26. Juni 2000 hatte sich der Kläger zur Anschlussheilbehandlung in der Rehabilitationsklinik B. befunden. Im Entlassungsbericht vom 6. Juli 2000 waren bei einem Körpergewicht des Klägers von 92,6 kg und einer Größe von 1,82 m ein BMI (Body-mass-index: Gewicht: Größe2) von 28 und als Diagnosen ein Diabetes mellitus Typ 2, eine Zirrhose bzw. Fibrose (Umbau) der Leber sowie eine Hypercholesterinämie (Fettstoffwechselstörung) festgehalten worden. Die am 30. Mai 2000 durchgeführten laborchemischen Untersuchungen hatten u.a. eine Gamma-GT von 4,6 ergeben. Bei den am 20. Oktober und 9. November 2000 in der Klinik und Poliklinik für I. M. der M. –L. –U. H.-W. durchgeführten Gastroskopien (Spiegelungen des oberen Verdauungstraktes) waren Ösophagus- (Grad I und II nach Therapie mit Gummiband) und Fundusvarizen bestätigt worden.
Mit Schreiben vom 16. März 2001 legte die AOK Sachsen-Anhalt der Beklagten das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt vom 6. Februar 2000 vor. Gegenüber dem Gutachter Dr. H. hatte der Kläger bei der ambulanten Untersuchung am 5. Februar 2001 einen Alkoholkonsum seit Mai 2000 negiert (vorher gelegentlich). Im Ergebnis war Dr. H. zu der Einschätzung gelangt, bei dem Kläger liege wegen der bestehenden Ösophagusvarizen bei Leberzirrhose unklarer Genese sowie des insulinpflichtigen Diabetes mellitus im Hinblick auf seine bisherige Tätigkeit auf Dauer Arbeitsunfähigkeit vor.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten führte in seiner zur Beschäftigungszeit des Klägers im VEB M. –W. S. (Juli 1969 bis Ende Dezember 1990) erstellten Arbeitsplatzanalyse vom 16. März 2001 aus: Im Drei-Schichtbetrieb seien von 15 bis 20 Spritzlackierern pneumatisch Fahrradteile für ca. 400.000 bis 600.000 pro Jahr hergestellte Fahrräder lackiert worden. Zur Verarbeitung seien etwa 20 verschiedene Alkyd-Aminharz-Lackfarben und Alkydharz-Kombinations-Metalleffektfarben gekommen. Die Spritzpistolen und die Hände seien mit Verdünnung, die Toluol, Xylol, Butanol, Butylacetat, Testbenzin und Ethylglykol enthalten habe, und Trichlorethen gereinigt worden; Atemschutz sei nicht zum Einsatz gekommen. Der Kläger habe damit sowohl inhalativ als auch dermal (über die Haut) Kontakt zu den genannten Stoffen gehabt. Mit Schreiben vom 17. April 2001 teilte die Unfallkasse Sachsen-Anhalt der Beklagten mit, der Kläger sei während seiner Beschäftigungszeit als Abrissarbeiter (16. Juni 1993 bis 30. November 1995) nicht gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen oder anderen Lösungsmitteln exponiert gewesen.
Vom zuständigen Rentenversicherungsträger des Klägers zog die Beklagte u.a. den Arztbrief der Klinik und Poliklinik für I. M. der M. –L. –U. H. –W. vom 23. Januar 2001 (gemeint offenbar 23. Februar 2001) bei. Nach dem hierin wiedergegebenen Befund habe die am 30. August 2000 durchgeführte feingewebliche Leberuntersuchung einen metabolisch-toxischen (stoffwechsel-giftigen) Leberzellschaden mit Cholestase (Rückstau von Gallenbestandteilen) und Einzelzellnekrosen (-Absterben) ohne einen Anhalt für eine Malignität (Bösartigkeit) erbracht. Das typische Muster einer alkoholischen Läsion (Schädigung) liege nicht vor. Da auch kein Anhalt für eine medikamentöse Genese bzw. eine Verursachung durch eine Virushepatitis bestehe, sei am ehesten eine Entstehung durch die langjährige Lösemittelexposition in Betracht zu ziehen.
Auf entsprechende Anforderung der Beklagten nahm der TAD der Beigeladenen am 18. Oktober 2001 und ergänzend am 6. Dezember 2001 zu den beruflichen Einwirkungen während der Beschäftigungszeit des Klägers in der Bautischlerei K. (8. Mai 1996 bis 1. Mai 2000) Stellung und schätzte ein, dass eine Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen nicht bestanden habe. Dies gelte auch für die Noxen (Giftstoffe) Arsen sowie Phosphor und ihre Verbindungen, Beryllium, Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologen, Methylalkohol, halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide, Vinylchlorid, p-t-Butylphenol sowie Dimethylformamid. Bereits in seinem Schreiben vom 7. August 2000 hatte der Kläger selbst eingeschätzt, während dieses Zeitraums keiner Schadstoffeinwirkung ausgesetzt gewesen zu sein.
In ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20. Dezember 2001 empfahl die Ärztin für Arbeitsmedizin Dr. M. die Ablehnung einer BK 1302. Die Einwirkung lebertoxischer Substanzen habe bei dem Kläger im Dezember 1990 geendet, seine Erkrankung sei erst im Mai 2000 aufgetreten. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sei der Beginn eines toxischen Leberschadens durch berufliche Einwirkungen erst zehn Jahre nach Beendigung der schädigenden Einwirkung unwahrscheinlich.
Dieser Beurteilung schloss sich Dr. F. in ihrer gewerbeärztlichen Einschätzung vom 11. Februar 2002 an und führte ergänzend aus, eine Einwirkung toxischer Stoffe in leberwirksamer Konzentration, wofür überhaupt nur Trichlorethen in Frage komme, sei schon nicht gesichert.
Mit Bescheid vom 14. März 2002 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des geäußerten Verdachtes auf das Vorliegen einer BK 1302 ab. Zwar sei der Kläger bis Dezember 1990 gegenüber Lösungsmitteln exponiert gewesen. Seine Lebererkrankung sei aber erst zehn Jahre nach Beendigung dieser schädigenden Einwirkung aufgetreten. Damit sei eine berufliche Verursachung der Erkrankung unwahrscheinlich, so dass eine Entschädigungspflicht entfalle.
Hiergegen erhob der Kläger am 25. März 2002 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2002 unter Wiederholung der im angefochtenen Bescheid gegebenen Begründung als unbegründet zurückwies.
Am 18. Juni 2002 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben und zur Begründung geltend gemacht: Auch schon vor Mai 2000 habe er Beschwerden gehabt. Aus Angst vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes habe er jedoch keinen Arzt aufgesucht, sondern versucht, sich – soweit möglich – selbst zu kurieren. Dass die alleinige Ursache der Leberzirrhose seine 21jährige Tätigkeit als Spritzer und Lackierer im VEB M. –W. S. sei, ergebe sich eindeutig aus dem Arztbrief der M. –L. –U. H.-W. vom 23. Februar 2001. Eine sonstige Alternativursache habe die Beklagte nicht nachgewiesen. Im Übrigen sei er auch während der Zeit seiner Tätigkeit bei der Bautischlerei K. schädigenden Einwirkungen von Halogenkohlenwasserstoffen ausgesetzt gewesen, so dass keine relevante Latenzzeit vorliege.
Das SG hat mit Beschluss vom 2. September 2002 die Beigeladene am Verfahren beteiligt und von Dr. Sch. weitere Befunde eingeholt. Neben bereits bekannten medizinischen Unterlagen hat Dr. Sch. einen Ausdruck seiner Patientendatei über den Kläger übersandt, aus dem für den Zeitraum vom 8. bis zum 18. Februar 1994 sowie für den 29. November 1995 Beschwerden im Sinne von Übelkeit, Erbrechen und Leibschmerzen sowie Völlegefühlen hervorgehen. Hierzu hat Dr. Sch. am 13. November 2002 ergänzend eingeschätzt, eine Lebererkrankung bereits im Jahre 1994 sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Die Beschwerden im Februar 1994 seien eindeutig einer akuten Gastritis (Magenschleimhautentzündung) zuzuordnen gewesen, die nach Einsatz eines Magensäure hemmenden Mittels in kürzester Zeit abgeklungen sei. Eine Lebererkrankung würde auf diese Therapie nicht angesprochen haben. Die seinerzeitige Arbeitsunfähigkeit habe sich zudem nur wegen einer anschließenden fieberhaften Bronchitis über insgesamt zehn Tage hingezogen.
Am 26. Mai 2003 hat das SG die Sache mit den Beteiligten erörtert. In diesem Termin hat der Kläger vorgetragen, bei der Bautischlerei K. mit Verdünnern (organische Lösemittel) gearbeitet zu haben. In der dazu erstellten ergänzenden Stellungnahme vom 11. Juli 2003 hat der TAD der Beigeladenen dargelegt, der Kläger sei im Zeitraum vom 8. Mai 1996 bis zum 2. Mai 2000 lediglich grenzwertunterschreitend gegenüber Gemischen organischer Lösemittel exponiert gewesen.
Mit Urteil vom 12. Februar 2004 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Lebererkrankung als BK 1302. Denn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Exposition gegenüber verschiedenen leberschädigenden Stoffen sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Für einen solchen Zusammenhang spreche zwar der lange Zeitraum des Umgangs mit den lebertoxischen Substanzen. Entscheidender Gesichtspunkt gegen eine berufliche Verursachung sei jedoch der lange Zeitraum zwischen dem Ende der Exposition 1990 und der erstmaligen Diagnose der Lebererkrankung im Mai 2000. Eine (beruflich bedingte) Leberzirrhose könne nämlich deutlich nach Beendigung der Exposition nicht mehr entstehen.
Gegen das am 20. Februar 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. März 2004 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass das SG zu Unrecht die Einschätzung der behandelnden Ärzte der M.-L. –U. H. -W. in ihrem Brief vom 23. Februar 2001 ignoriert habe. Danach komme nur die langjährige Schadstoffexposition als Erkrankungsursache in Frage. Ferner nehme er auf die von ihm vorgelegte Stellungnahme der Dipl.-Chemie-Ingenieurin R. G. von Januar 2005, die 24 Jahre als Betriebschemikerin im VEB M. –W. S. tätig gewesen war, Bezug. Danach habe der Kläger während seiner Tätigkeit im VEB M. –W. S. ständig Farb- und Lösungsmittelnebel inhalieren müssen, die schädigende Halogenkohlenwasserstoffe (z.B. Trichloräthylen, Tetrachlorkohlenstoff oder Methylenchlorid), aromatische Amine und Kohlenwasserstoffe (z.B. Benzol, Xylol und Toluol), Phenole und Metallverbindungen (z.B. Verbindungen des Bleis und des Chroms) enthalten hätten. Im Übrigen sieht sich der Kläger dadurch in seiner Ansicht bestätigt, dass viele seiner damaligen Arbeitskollegen bereits verstorben seien. So sei etwa der 1947 geborene Gerhard Dietrich, der ebenfalls als Lackierer im VEB M. W. S. beschäftigt gewesen sei, am 31. Dezember 2004 an Lungenkrebs gestorben. Auch dies belege eindeutig den Ursachenzusammenhang zwischen Schadstoffexposition und Krankheitsentstehung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12. Februar 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2002 aufzuheben und festzustellen, dass seine Leberzirrhose mit Ösophagusvarizen Grad I und einer Fundusvarize eine Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide für zutreffend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und nochmals betont, für die Zeit ihrer Zuständigkeit (8. Mai 1996 bis 2. Mai 2000) seien mangels schädigender Einwirkung bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen der strittigen BK nicht erfüllt. Damit erübrige sich aus ihrer Sicht eine Stellungnahme zum medizinischen Sachverhalt.
Der Senat hat von dem Direktor der Klinik und Poliklinik für I. M. der M. –L.-U. H. –W. Prof. Dr. F. das nach stationärer Untersuchung vom 12. bis zum 15. Januar 2005 zusammen mit dem Assistenzarzt Dr. A. erstellte Gutachten vom 2. April 2005 eingeholt. Gegenüber dem Sachverständigen hat der Kläger einen Alkoholkonsum für die gesamte Lebenszeit verneint; geraucht habe er in einem Umfang von ungefähr 25 pack-years (Packungsjahre – Zigarettenpackungen pro Tag x Anzahl der Raucherjahre) bis vor etwa 15 Jahren. Prof. Dr. F. hat u.a. einen CDT-Wert (Carbohydrat-defizientes Transferrin = Gamma-GT) von 2,28 festgehalten und eine Leberzirrhose mit Ösophagusvarizen Grad I und einer Fundusvarize, einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 2 sowie eine Fettstoffwechselstörung diagnostiziert. Im Ergebnis hat er eingeschätzt, eine berufliche Entstehung der Leberzirrhose sei zwar denkbar, jedoch als eher wenig wahrscheinlich einzustufen. So sei eine Verursachung durch die Einwirkung von Alkydharzen, die seit Jahrzehnten – auch im Heimwerkerbereich – in Gebrauch seien und nicht in der Gefahrstoffverordnung geführt würden, unwahrscheinlich. Dass der Umgang des Klägers mit Toluol, Xylol, Butanol, Testbenzin sowie Ethylglykol die Leberschädigung bewirkt habe, sei ebenfalls nicht sehr wahrscheinlich. Denn eine leberschädigende Wirkung dieser Stoffe auf den Menschen sei bislang nicht ausreichend gesichert. Trichlorethen könne zwar zu Leberschäden führen, typisch seien insoweit jedoch Akutreaktionen. Damit sei hier von einem multifaktoriellen Geschehen auszugehen, zumal eine Leberzirrhose durch vielfältige Einflüsse bedingt werden könne. Zu nennen sei etwa ein chronischer Alkoholmissbrauch, eine chronische virale Hepatitis (Fettleber), eine nicht-alkoho-lische Steatohepatitis (NASH), ein Medikamentenmissbrauch, Stoffwechselkrankheiten oder aber eine chronische Stauungsleber kardialer (herzbedingter) Genese. In Betracht zu ziehen sei beim Kläger eine NASH. Mitte 2000 sei bei ihm neben der Leberschädigung ein metabolisches Syndrom (Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörung sowie Übergewichtigkeit) gesichert worden, so dass eine hinreichende Voraussetzung für eine NASH vorgelegen habe. Bei etwa 75 % der Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 werde eine Fettleber gefunden, wobei – je nach Ausprägung der NASH – bei bis zu 25 % dieser Patienten über fünf bis zehn Jahre die Progression zu einer Zirrhose zu beobachten sei. Gegen den angeschuldigten Ursachenzusammenhang spreche schließlich auch die Unwahrscheinlichkeit des Beginns eines toxischen Leberschadens erst neuneinhalb Jahre nach der Exposition.
Schließlich hat der Facharzt für I. M. und Chefarzt des Krankenhauses am R. Sangerhausen Dr. St. auf Anfrage des Senats am 29. Januar 2008 dargelegt, im Hinblick auf die Anfang und Ende Mai 2000 in Sangerhausen bzw. Barby dokumentierten Gamma-GT-Werte (9,7 bzw. 4,6) sei eine Daten- bzw. Behandlungsverwechselung mit einem anderen Patienten unwahrscheinlich. Vielmehr sei der Abfall der Gamma-GT innerhalb weniger Tage bzw. Wochen unter Abstinenz typisch.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
I. Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage, welche der Kläger gemäß den §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässigerweise als kombiniertes Anfechtungs- und Feststellungsbegehren verfolgen kann (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 46/03 R – SozR 4-2700 § 2 Nr. 3; Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 19/06 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 23, m.w.N.), zu Recht abgewiesen. Denn bei dem Kläger kann keine BK 1302 festgestellt werden, so dass ihn die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht in seinen Rechten verletzen (§ 54 Abs. 2 SGG).
Anzuwenden sind hier die Vorschriften des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII). Denn der vom Kläger geltend gemachte Versicherungsfall (BK), zu dem auch der (hier erst seit Mai 2000 erfolgte) Nachweis einer einschlägigen Erkrankung gehört, kann erst nach dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten sein (vgl. Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungs-gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I, 1254 ff.; § 212 SGB VII).
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BK´en Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleidet. Die näheren Einzelheiten zum Erlass der BKV regeln § 9 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 SGB VII. Voraussetzung der hier strittigen BK 1302 ist, dass der Versicherte aufgrund seiner versicherten Tätigkeit Einwirkungen von Halogenkohlenwasserstoffen ausgesetzt war (versicherte berufliche Einwirkung = Exposition = arbeitstechnische Voraussetzungen i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII), die eine Erkrankung hervorgerufen haben.
1. Ausgehend hiervon ist bei dem Kläger insbesondere für den Zeitraum von Juni 1969 an bis Dezember 1990 das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unstrittig. Darüber hinaus ist bei ihm mit einer seit Mai 2000 gesicherten Leberzirrhose nach dem auch insoweit erforderlichen Beweismaßstab des so genannten Vollbeweises (mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit) ferner eine einschlägige Erkrankung im Sinne der BK 1302 belegt (vgl. Merkblatt des damaligen Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zur BK 1302 in der Bekanntmachung vom 29. März 1985, BArbBl 1985, 55; Triebig/Kentner/Schiele, Arbeitsmedizin – Handbuch für Theorie und Praxis, 1. Aufl. 2003, Abschn. 4.1.3.2.3, S. 220; Schönberger/Mehr-tens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Abschn. 21.7, S. 1312; Mehrtens/Brandenburg, Die Berurfskrankheitenverordnung, Stand April 2008, M 1302, Rn. 4.1, S. 11). Der Senat geht ebenfalls davon aus, dass der Kläger während des zuvor genannten Zeitraums der Einwirkung von Halogenkohlenwasserstoffen – also Verbindungen von Kohlenwasserstoffen mit Fluor, Chlor, Brom und Jod – ausgesetzt war, die generell geeignet sind, Schädigungen der Leber hervorzurufen. Sowohl der TAD der Beklagten als auch die ehemalige Betriebschemikerin des VEB M. –W. S. G. haben in ihren Stellungnahmen vom 16. März 2001 bzw. von Januar 2005 übereinstimmend geschildert, dass der Kläger als Spritzer und Lackierer sowohl inhalativ als auch dermal langjährig Kontakt zu verschiedenen schädigenden chemischen Substanzen hatte. Gerade der festgestellte Umgang mit Trichlorethen (Trichloräthylen) kann lebertoxisch sein (vgl. Merkblatt, a.a.O.).
2. Allein aus dieser generell toxischen Wirkung der regelmäßig eingesetzten Substanzen kann jedoch nicht auf eine berufsbedingte Entstehung der Leberzirrhose geschlossen werden (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 1997 – 2 RU 48/96 – SGb 1999, 39 ff.; Urteil vom 7. September 2004, a.a.O.). Vielmehr beurteilt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen den schädigenden Einwirkungen und der geltend gemachten Erkrankung im konkreten Fall nach dem Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit.
Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Dabei setzt die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltende "Theorie der wesentlichen Bedingung" in Eingrenzung der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jede nicht hinwegzudenkende Bedingung (conditio-sine-qua-non) kausal ist, voraus, dass die versicherte Einwirkung nicht nur irgendeine Bedingung in der Kette der Faktoren für die Entstehung der Erkrankung, sondern wegen ihrer besonderen Beziehung zur geltend gemachten Krankheit die wesentliche Ursache war (vgl. KassKomm-Ricke, Stand Oktober 2008, § 8 SGB VII Rn. 4 und 15, m.w.N.). Rechtlich erheblich ist deshalb nur diejenige Ursache, die bei wertender Betrachtung zumindest als gleichwertige Mitursache einen wesentlichen Einfluss auf den Eintritt der Krankheit gehabt hat. Von einer Wesentlichkeit im Rechtssinne kann allerdings dann nicht ausgegangen werden, wenn ein anderer (unversicherter) Umstand einen überwiegenden kausalen Einfluss auf den Eintritt des Schadens hatte. Das bedeutet, dass ein Gesundheitsschaden einem Versicherungsfall (hier der BK) selbst dann nicht rechtlich zugerechnet werden kann, wenn die versicherte Einwirkung zwar generell geeignet war, den Schadenseintritt zu bewirken und die Erkrankung gelegentlich der versicherten Tätigkeit aufgetreten ist (Adäquanztheorie), sie jedoch konkret-individuell keine wesentliche Bedeutung hatte (Gelegenheitsursache). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Erfolges (Erkrankung) wertend abgeleitet werden. Gesichtspunkte hierfür sind Art und Ausmaß der versicherten Einwirkung sowie der konkurrierenden Ursachen, der zeitliche Verlauf, die Krankheitsgeschichte unter Berücksichtigung der aktuellen medizinischen Erkenntnisse sowie ergänzend auch der Schutzzweck der Norm (siehe BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 15; Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).
Gemessen hieran ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Anknüpfungstatsachen nach der gebotenen wertenden Betrachtung ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen der angeschuldigten Exposition und der Leberzirrhose nicht hinreichend wahrscheinlich. Denn es spricht mehr gegen als für diese Kausalität. Kein im Verfahren gehörter Mediziner hat einen solchen Zusammenhang im Ergebnis bejaht. Der Senat sieht keine Veranlassung, sich dieser einhelligen Bewertung nicht anzuschließen.
a) Schon der Umstand, dass nicht feststeht und auch nicht mehr feststellbar ist, ob der Kläger der Einwirkung gefährdender Stoffe überhaupt in leberwirksamer Konzentration ausgesetzt war (siehe zu den aktuellen Grenzwerten das Gefahrstoffinformationssystem der gewerblichen Berufsgenossenschaften – GESTIS-Stoffdatenbank; abrufbar unter: http:// www.dguv.de/bgia/de/gestis/stoffdb/index.jsp) spricht gegen eine im wesentlichen berufsbedingte Entstehung der Leberzirrhose, worauf Dr. F. zutreffend hingewiesen hat. Überdies hat Prof. Dr. F. dargelegt, dass das Bild einer insbesondere durch Trichlorethen hervorgerufenen Schädigung durch Akutreaktionen gekennzeichnet ist. Das Fehlen derartiger charakteristischer Vergiftungserscheinungen beim Kläger während seiner Expositionszeit im VEB M. –W. S. , die auf eine Gefährdung durch Trichlorethen in leberwirksamer Konzentration rückschließen lassen, ist mit anderen Worten ein deutliches Indiz gegen eine grenzwertüberschreitende Einwirkung, zumal die hepatoxische Wirksamkeit von Trichlorethen vergleichsweise gering ist (siehe Triebig/Kentner/Schiele, a.a.O., S. 221).
b) Weitere entscheidende Zweifel an einer wesentlichen Teilursächlichkeit der berufsbedingten Schadstoffeinwirkung für die Entstehung der Leberzirrhose werden durch den Krankheitsverlauf genährt. Die Exposition des Klägers gegenüber den schädigenden Substanzen hat Ende Dezember 1990 geendet. Der Verdacht auf das Vorliegen einer Leberzirrhose wurde dagegen erst knapp neuneinhalb Jahre später, nämlich Anfang Mai 2000 geäußert. Sowohl die Dres. M. und F. als auch Prof. Dr. F. im Einklang mit den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen darauf hingewiesen, dass der Beginn eines toxischen Leberschadens durch chronische berufliche Belastungen erst zu einem so weit zurückliegenden Zeitpunkt nach Beendigung der schädigenden Einwirkung unwahrscheinlich ist (vgl. Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 1302, Rn. 6, S. 13; Triebig/Kentner/Schiele, a.a.O., S. 221). Weder im Hinblick auf die Exposition noch auf die Erkrankung sind Anhaltspunkte für eine verkürzte Latenz bzw. Brückensymptomatik ersichtlich. Zwar hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren und dabei insbesondere im Termin am 26. Mai 2003 vorgetragen, auch während seiner Beschäftigungszeit in der Bautischlerei Krüger (8. Mai 1996 bis 1. Mai 2000) schädigenden Einwirkungen von Halogenkohlenwasserstoffen ausgesetzt gewesen zu sein. Diese Behauptung, die im Übrigen seinen eigenen zeitnäheren Angaben im Schreiben vom 7. August 2000 widerspricht, hat der TAD der Beigeladenen in seinen Stellungnahmen vom 18. Oktober und 6. Dezember 2001 sowie 11. Juli 2003 jedoch nachvollziehbar entkräftet. Auch soweit es einen früheren Beginn der Lebererkrankung anbelangt, fehlen ausreichende Indizien. Vielmehr hat Dr. Sch. am 13. November 2002 bezüglich der insoweit einzig in Frage kommenden Beschwerden des Klägers im Zeitraum vom 8. bis zum 18. Februar 1994 plausibel klargestellt, dass es sich hierbei um Symptome einer akuten Gastritis gehandelt hatte.
c) Gegen die Wahrscheinlichkeit des geltend gemachten Ursachenzusammenhangs spricht schließlich, dass eine einleuchtende berufskrankheitsunabhängige Erklärung für die Leberzirrhose in Betracht kommt.
(1) Dabei kann dahinstehen, ob bei dem Kläger ein früherer Alkoholabusus als konkurrierende Ursache (siehe hierzu Merkblatt, a.a.O.) anzunehmen ist, wobei seine Angaben hierzu widersprüchlich sind. Hat er einen entsprechenden Konsum im Mai 2000 negiert und im Januar 2005 gegenüber Prof. Dr. F. sogar für die gesamte Lebenszeit bestritten, hatte er am 5. Februar 2001 anlässlich der Befragung durch Dr. H. eine Abstinenz erst seit Mai 2000 eingeräumt. Insoweit mag die von Dr. St. am 29. Januar 2008 als Erklärung des Abfalls der Anfang Mai 2000 gemessenen Gamma-GT von 9,7 (normaler Referenzwert ( 5,5; siehe Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl. 2004, S. 1548) auf den einige Wochen später festgehaltenen Wert von 4,6 angedeutete Möglichkeit einer erst seit kurzem bestehenden Abstinenz zwar auch nicht von vornherein abwegig sein. Entscheidend erschüttert wird die Variante einer alkoholinduzierten Leberzirrhose aber jedenfalls durch den im Arztbrief der Klinik und Poliklinik für I. M. der M. –L. –U. H. –W. vom 23. Februar 2001 wiedergegebenen Histologiebefund vom 30. August 2000. Danach hatte das typische Muster einer alkoholischen Läsion nämlich nicht festgestellt werden können, was bei einer so kurz nach einer erst seit Anfang Mai 2000 unterstellten Abstinenz erfolgten Untersuchung aber zwingend zu erwarten gewesen wäre.
(2) Wie Prof. Dr. F. als behandelnder Arzt des Klägers nachvollziehbar dargelegt hat, kommt als Erklärung für die Leberzirrhose durch einen nicht versicherten Umstand nämlich eine (abgelaufene) NASH in Frage. Neben einer Leberzirrhose leidet der Kläger an einem Diabetes mellitus Typ 2 und an einer Fettstoffwechselstörung. Zudem hatte bei ihm im Jahr 2000 auch noch Übergewichtigkeit vorgelegen. Denn in dem im Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Barby vom 6. Juli 2000 dokumentierten Aufnahmebefund betrug sein BMI seinerzeit – gerundet – 28 (Normalgewicht bis 25; siehe Pschyrembel, a.a.O., S. 250). Mit dem damit bestehenden metabolischen Syndrom war nicht nur eine entscheidende Voraussetzung für die Ausbildung einer NASH gegeben. Vielmehr ist gerade bei dem Vorliegen eines Diabetes mellitus Typ 2 das Risiko einer Fettleber mit dem Übergang zu einer Zirrhose erheblich erhöht.
Ist danach die gesicherte Leberzirrhose des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als Folge des beruflichen Umgangs mit Halogenkohlenwasserstoffen wahrscheinlich zu machen, besteht kein Anspruch auf Anerkennung als BK 1302. Dagegen ist die Ableitung des Klägers, mangels gesicherter Alternativursache seien im Umkehrschluss die angeschuldigten beruflichen Einwirkungen als wesentliche Bedingung des Leberschadens anzusehen, im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung unzulässig (siehe nochmals BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.). Denn dieses setzt "nur" die hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den versicherten beruflichen Risikofaktoren und der geltend gemachten Erkrankung voraus. Ist eine solche – wie gezeigt – nicht gegeben, bedarf es nicht zusätzlich des Nachweises einer nichtversicherten alternativen Schadensursache.
Die Berufung konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
III. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Streitig ist, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe – (BK 1302) anzuerkennen ist.
Der 1948 geborene Kläger arbeitete nach seiner Berufsausbildung zum Rohrleger und der Ableistung seines Grundwehrdienstes von Juni 1969 an bis Ende Dezember 1990 als Spritzer und Lackierer im ehemaligen VEB M. -W. S. (nunmehr M.- F.- werke GmbH). Vom 1. Januar 1991 an bis zum 15. Dezember 1992 war er als Abrissarbeiter bei der Sanierungsgesellschaft M. F. -werke S. mbH beschäftigt und anschließend bis zum 15. Juni 1993 ohne Arbeit. In der Folgezeit führte er bis zum 30. November 1995 (im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) bei der St. Sanierungsgesellschaft S. mbH nochmals Abrissarbeiten aus und war danach bis zum 7. Mai 1996 wiederum ohne Arbeit. Vom 8. Mai 1996 an bis zum 30. November 2000 war er wieder als Spritzer und Lackierer tätig (Bautischlerei K. in R. ), wobei vom 2. Mai 2000 an krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bestanden hatte. Seit dem 1. Dezember 2000 bezieht der Kläger eine – zunächst befristete – Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Am 13. Juli 2000 zeigte die AOK Sachsen-Anhalt der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (nunmehr Berufsgenossenschaft Elektro – Textil – Feinmechanik) den Verdacht einer bei dem Kläger bestehenden BK an, die den Vorgang am 6. November 2000 zuständigkeitshalber an die Beklagte weiter leitete. Auf entsprechende Anforderung übersandte der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Sch. der Beklagten am 29. November 2000 medizinische Befunde: Aus dem Arztbrief des Krankenhauses am R. S. vom 29. Mai 2000 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 8. bis zum 20. Mai 2000 ging hervor, dass die Einweisung wegen bereits eingetretener Leistungsinsuffizienz bei erstmanifestiertem Diabetes mellitus Typ 2 (Blutzuckererkrankung) erfolgt war. Zusätzlich waren eine Leberzirrhose (Schrumpfleber) ungeklärter Genese (Entstehung) sowie Varizen (Krampfadern) im Ösophagus (Speiseröhre) Grad III und im Fundus (Magen) diagnostiziert worden. Die laborchemische Untersuchung hatte u.a. eine Gamma-GT (Gammaglutamyltransferase – u.a. Alkoholindikator) von 9,7 ergeben. Zu diskutieren sei ein toxischer Leberschaden auf Grund beruflicher Lösungsmittelexposition, zumal der Kläger einen Alkoholabusus (Missbrauch) negiert habe. In der Zeit vom 29. Mai bis zum 26. Juni 2000 hatte sich der Kläger zur Anschlussheilbehandlung in der Rehabilitationsklinik B. befunden. Im Entlassungsbericht vom 6. Juli 2000 waren bei einem Körpergewicht des Klägers von 92,6 kg und einer Größe von 1,82 m ein BMI (Body-mass-index: Gewicht: Größe2) von 28 und als Diagnosen ein Diabetes mellitus Typ 2, eine Zirrhose bzw. Fibrose (Umbau) der Leber sowie eine Hypercholesterinämie (Fettstoffwechselstörung) festgehalten worden. Die am 30. Mai 2000 durchgeführten laborchemischen Untersuchungen hatten u.a. eine Gamma-GT von 4,6 ergeben. Bei den am 20. Oktober und 9. November 2000 in der Klinik und Poliklinik für I. M. der M. –L. –U. H.-W. durchgeführten Gastroskopien (Spiegelungen des oberen Verdauungstraktes) waren Ösophagus- (Grad I und II nach Therapie mit Gummiband) und Fundusvarizen bestätigt worden.
Mit Schreiben vom 16. März 2001 legte die AOK Sachsen-Anhalt der Beklagten das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt vom 6. Februar 2000 vor. Gegenüber dem Gutachter Dr. H. hatte der Kläger bei der ambulanten Untersuchung am 5. Februar 2001 einen Alkoholkonsum seit Mai 2000 negiert (vorher gelegentlich). Im Ergebnis war Dr. H. zu der Einschätzung gelangt, bei dem Kläger liege wegen der bestehenden Ösophagusvarizen bei Leberzirrhose unklarer Genese sowie des insulinpflichtigen Diabetes mellitus im Hinblick auf seine bisherige Tätigkeit auf Dauer Arbeitsunfähigkeit vor.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten führte in seiner zur Beschäftigungszeit des Klägers im VEB M. –W. S. (Juli 1969 bis Ende Dezember 1990) erstellten Arbeitsplatzanalyse vom 16. März 2001 aus: Im Drei-Schichtbetrieb seien von 15 bis 20 Spritzlackierern pneumatisch Fahrradteile für ca. 400.000 bis 600.000 pro Jahr hergestellte Fahrräder lackiert worden. Zur Verarbeitung seien etwa 20 verschiedene Alkyd-Aminharz-Lackfarben und Alkydharz-Kombinations-Metalleffektfarben gekommen. Die Spritzpistolen und die Hände seien mit Verdünnung, die Toluol, Xylol, Butanol, Butylacetat, Testbenzin und Ethylglykol enthalten habe, und Trichlorethen gereinigt worden; Atemschutz sei nicht zum Einsatz gekommen. Der Kläger habe damit sowohl inhalativ als auch dermal (über die Haut) Kontakt zu den genannten Stoffen gehabt. Mit Schreiben vom 17. April 2001 teilte die Unfallkasse Sachsen-Anhalt der Beklagten mit, der Kläger sei während seiner Beschäftigungszeit als Abrissarbeiter (16. Juni 1993 bis 30. November 1995) nicht gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen oder anderen Lösungsmitteln exponiert gewesen.
Vom zuständigen Rentenversicherungsträger des Klägers zog die Beklagte u.a. den Arztbrief der Klinik und Poliklinik für I. M. der M. –L. –U. H. –W. vom 23. Januar 2001 (gemeint offenbar 23. Februar 2001) bei. Nach dem hierin wiedergegebenen Befund habe die am 30. August 2000 durchgeführte feingewebliche Leberuntersuchung einen metabolisch-toxischen (stoffwechsel-giftigen) Leberzellschaden mit Cholestase (Rückstau von Gallenbestandteilen) und Einzelzellnekrosen (-Absterben) ohne einen Anhalt für eine Malignität (Bösartigkeit) erbracht. Das typische Muster einer alkoholischen Läsion (Schädigung) liege nicht vor. Da auch kein Anhalt für eine medikamentöse Genese bzw. eine Verursachung durch eine Virushepatitis bestehe, sei am ehesten eine Entstehung durch die langjährige Lösemittelexposition in Betracht zu ziehen.
Auf entsprechende Anforderung der Beklagten nahm der TAD der Beigeladenen am 18. Oktober 2001 und ergänzend am 6. Dezember 2001 zu den beruflichen Einwirkungen während der Beschäftigungszeit des Klägers in der Bautischlerei K. (8. Mai 1996 bis 1. Mai 2000) Stellung und schätzte ein, dass eine Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen nicht bestanden habe. Dies gelte auch für die Noxen (Giftstoffe) Arsen sowie Phosphor und ihre Verbindungen, Beryllium, Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologen, Methylalkohol, halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide, Vinylchlorid, p-t-Butylphenol sowie Dimethylformamid. Bereits in seinem Schreiben vom 7. August 2000 hatte der Kläger selbst eingeschätzt, während dieses Zeitraums keiner Schadstoffeinwirkung ausgesetzt gewesen zu sein.
In ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20. Dezember 2001 empfahl die Ärztin für Arbeitsmedizin Dr. M. die Ablehnung einer BK 1302. Die Einwirkung lebertoxischer Substanzen habe bei dem Kläger im Dezember 1990 geendet, seine Erkrankung sei erst im Mai 2000 aufgetreten. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen sei der Beginn eines toxischen Leberschadens durch berufliche Einwirkungen erst zehn Jahre nach Beendigung der schädigenden Einwirkung unwahrscheinlich.
Dieser Beurteilung schloss sich Dr. F. in ihrer gewerbeärztlichen Einschätzung vom 11. Februar 2002 an und führte ergänzend aus, eine Einwirkung toxischer Stoffe in leberwirksamer Konzentration, wofür überhaupt nur Trichlorethen in Frage komme, sei schon nicht gesichert.
Mit Bescheid vom 14. März 2002 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des geäußerten Verdachtes auf das Vorliegen einer BK 1302 ab. Zwar sei der Kläger bis Dezember 1990 gegenüber Lösungsmitteln exponiert gewesen. Seine Lebererkrankung sei aber erst zehn Jahre nach Beendigung dieser schädigenden Einwirkung aufgetreten. Damit sei eine berufliche Verursachung der Erkrankung unwahrscheinlich, so dass eine Entschädigungspflicht entfalle.
Hiergegen erhob der Kläger am 25. März 2002 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2002 unter Wiederholung der im angefochtenen Bescheid gegebenen Begründung als unbegründet zurückwies.
Am 18. Juni 2002 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben und zur Begründung geltend gemacht: Auch schon vor Mai 2000 habe er Beschwerden gehabt. Aus Angst vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes habe er jedoch keinen Arzt aufgesucht, sondern versucht, sich – soweit möglich – selbst zu kurieren. Dass die alleinige Ursache der Leberzirrhose seine 21jährige Tätigkeit als Spritzer und Lackierer im VEB M. –W. S. sei, ergebe sich eindeutig aus dem Arztbrief der M. –L. –U. H.-W. vom 23. Februar 2001. Eine sonstige Alternativursache habe die Beklagte nicht nachgewiesen. Im Übrigen sei er auch während der Zeit seiner Tätigkeit bei der Bautischlerei K. schädigenden Einwirkungen von Halogenkohlenwasserstoffen ausgesetzt gewesen, so dass keine relevante Latenzzeit vorliege.
Das SG hat mit Beschluss vom 2. September 2002 die Beigeladene am Verfahren beteiligt und von Dr. Sch. weitere Befunde eingeholt. Neben bereits bekannten medizinischen Unterlagen hat Dr. Sch. einen Ausdruck seiner Patientendatei über den Kläger übersandt, aus dem für den Zeitraum vom 8. bis zum 18. Februar 1994 sowie für den 29. November 1995 Beschwerden im Sinne von Übelkeit, Erbrechen und Leibschmerzen sowie Völlegefühlen hervorgehen. Hierzu hat Dr. Sch. am 13. November 2002 ergänzend eingeschätzt, eine Lebererkrankung bereits im Jahre 1994 sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Die Beschwerden im Februar 1994 seien eindeutig einer akuten Gastritis (Magenschleimhautentzündung) zuzuordnen gewesen, die nach Einsatz eines Magensäure hemmenden Mittels in kürzester Zeit abgeklungen sei. Eine Lebererkrankung würde auf diese Therapie nicht angesprochen haben. Die seinerzeitige Arbeitsunfähigkeit habe sich zudem nur wegen einer anschließenden fieberhaften Bronchitis über insgesamt zehn Tage hingezogen.
Am 26. Mai 2003 hat das SG die Sache mit den Beteiligten erörtert. In diesem Termin hat der Kläger vorgetragen, bei der Bautischlerei K. mit Verdünnern (organische Lösemittel) gearbeitet zu haben. In der dazu erstellten ergänzenden Stellungnahme vom 11. Juli 2003 hat der TAD der Beigeladenen dargelegt, der Kläger sei im Zeitraum vom 8. Mai 1996 bis zum 2. Mai 2000 lediglich grenzwertunterschreitend gegenüber Gemischen organischer Lösemittel exponiert gewesen.
Mit Urteil vom 12. Februar 2004 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Lebererkrankung als BK 1302. Denn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Exposition gegenüber verschiedenen leberschädigenden Stoffen sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Für einen solchen Zusammenhang spreche zwar der lange Zeitraum des Umgangs mit den lebertoxischen Substanzen. Entscheidender Gesichtspunkt gegen eine berufliche Verursachung sei jedoch der lange Zeitraum zwischen dem Ende der Exposition 1990 und der erstmaligen Diagnose der Lebererkrankung im Mai 2000. Eine (beruflich bedingte) Leberzirrhose könne nämlich deutlich nach Beendigung der Exposition nicht mehr entstehen.
Gegen das am 20. Februar 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. März 2004 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass das SG zu Unrecht die Einschätzung der behandelnden Ärzte der M.-L. –U. H. -W. in ihrem Brief vom 23. Februar 2001 ignoriert habe. Danach komme nur die langjährige Schadstoffexposition als Erkrankungsursache in Frage. Ferner nehme er auf die von ihm vorgelegte Stellungnahme der Dipl.-Chemie-Ingenieurin R. G. von Januar 2005, die 24 Jahre als Betriebschemikerin im VEB M. –W. S. tätig gewesen war, Bezug. Danach habe der Kläger während seiner Tätigkeit im VEB M. –W. S. ständig Farb- und Lösungsmittelnebel inhalieren müssen, die schädigende Halogenkohlenwasserstoffe (z.B. Trichloräthylen, Tetrachlorkohlenstoff oder Methylenchlorid), aromatische Amine und Kohlenwasserstoffe (z.B. Benzol, Xylol und Toluol), Phenole und Metallverbindungen (z.B. Verbindungen des Bleis und des Chroms) enthalten hätten. Im Übrigen sieht sich der Kläger dadurch in seiner Ansicht bestätigt, dass viele seiner damaligen Arbeitskollegen bereits verstorben seien. So sei etwa der 1947 geborene Gerhard Dietrich, der ebenfalls als Lackierer im VEB M. W. S. beschäftigt gewesen sei, am 31. Dezember 2004 an Lungenkrebs gestorben. Auch dies belege eindeutig den Ursachenzusammenhang zwischen Schadstoffexposition und Krankheitsentstehung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12. Februar 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2002 aufzuheben und festzustellen, dass seine Leberzirrhose mit Ösophagusvarizen Grad I und einer Fundusvarize eine Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide für zutreffend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und nochmals betont, für die Zeit ihrer Zuständigkeit (8. Mai 1996 bis 2. Mai 2000) seien mangels schädigender Einwirkung bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen der strittigen BK nicht erfüllt. Damit erübrige sich aus ihrer Sicht eine Stellungnahme zum medizinischen Sachverhalt.
Der Senat hat von dem Direktor der Klinik und Poliklinik für I. M. der M. –L.-U. H. –W. Prof. Dr. F. das nach stationärer Untersuchung vom 12. bis zum 15. Januar 2005 zusammen mit dem Assistenzarzt Dr. A. erstellte Gutachten vom 2. April 2005 eingeholt. Gegenüber dem Sachverständigen hat der Kläger einen Alkoholkonsum für die gesamte Lebenszeit verneint; geraucht habe er in einem Umfang von ungefähr 25 pack-years (Packungsjahre – Zigarettenpackungen pro Tag x Anzahl der Raucherjahre) bis vor etwa 15 Jahren. Prof. Dr. F. hat u.a. einen CDT-Wert (Carbohydrat-defizientes Transferrin = Gamma-GT) von 2,28 festgehalten und eine Leberzirrhose mit Ösophagusvarizen Grad I und einer Fundusvarize, einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 2 sowie eine Fettstoffwechselstörung diagnostiziert. Im Ergebnis hat er eingeschätzt, eine berufliche Entstehung der Leberzirrhose sei zwar denkbar, jedoch als eher wenig wahrscheinlich einzustufen. So sei eine Verursachung durch die Einwirkung von Alkydharzen, die seit Jahrzehnten – auch im Heimwerkerbereich – in Gebrauch seien und nicht in der Gefahrstoffverordnung geführt würden, unwahrscheinlich. Dass der Umgang des Klägers mit Toluol, Xylol, Butanol, Testbenzin sowie Ethylglykol die Leberschädigung bewirkt habe, sei ebenfalls nicht sehr wahrscheinlich. Denn eine leberschädigende Wirkung dieser Stoffe auf den Menschen sei bislang nicht ausreichend gesichert. Trichlorethen könne zwar zu Leberschäden führen, typisch seien insoweit jedoch Akutreaktionen. Damit sei hier von einem multifaktoriellen Geschehen auszugehen, zumal eine Leberzirrhose durch vielfältige Einflüsse bedingt werden könne. Zu nennen sei etwa ein chronischer Alkoholmissbrauch, eine chronische virale Hepatitis (Fettleber), eine nicht-alkoho-lische Steatohepatitis (NASH), ein Medikamentenmissbrauch, Stoffwechselkrankheiten oder aber eine chronische Stauungsleber kardialer (herzbedingter) Genese. In Betracht zu ziehen sei beim Kläger eine NASH. Mitte 2000 sei bei ihm neben der Leberschädigung ein metabolisches Syndrom (Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörung sowie Übergewichtigkeit) gesichert worden, so dass eine hinreichende Voraussetzung für eine NASH vorgelegen habe. Bei etwa 75 % der Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 werde eine Fettleber gefunden, wobei – je nach Ausprägung der NASH – bei bis zu 25 % dieser Patienten über fünf bis zehn Jahre die Progression zu einer Zirrhose zu beobachten sei. Gegen den angeschuldigten Ursachenzusammenhang spreche schließlich auch die Unwahrscheinlichkeit des Beginns eines toxischen Leberschadens erst neuneinhalb Jahre nach der Exposition.
Schließlich hat der Facharzt für I. M. und Chefarzt des Krankenhauses am R. Sangerhausen Dr. St. auf Anfrage des Senats am 29. Januar 2008 dargelegt, im Hinblick auf die Anfang und Ende Mai 2000 in Sangerhausen bzw. Barby dokumentierten Gamma-GT-Werte (9,7 bzw. 4,6) sei eine Daten- bzw. Behandlungsverwechselung mit einem anderen Patienten unwahrscheinlich. Vielmehr sei der Abfall der Gamma-GT innerhalb weniger Tage bzw. Wochen unter Abstinenz typisch.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
I. Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage, welche der Kläger gemäß den §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässigerweise als kombiniertes Anfechtungs- und Feststellungsbegehren verfolgen kann (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 46/03 R – SozR 4-2700 § 2 Nr. 3; Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 19/06 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 23, m.w.N.), zu Recht abgewiesen. Denn bei dem Kläger kann keine BK 1302 festgestellt werden, so dass ihn die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht in seinen Rechten verletzen (§ 54 Abs. 2 SGG).
Anzuwenden sind hier die Vorschriften des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII). Denn der vom Kläger geltend gemachte Versicherungsfall (BK), zu dem auch der (hier erst seit Mai 2000 erfolgte) Nachweis einer einschlägigen Erkrankung gehört, kann erst nach dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten sein (vgl. Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungs-gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I, 1254 ff.; § 212 SGB VII).
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BK´en Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleidet. Die näheren Einzelheiten zum Erlass der BKV regeln § 9 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 SGB VII. Voraussetzung der hier strittigen BK 1302 ist, dass der Versicherte aufgrund seiner versicherten Tätigkeit Einwirkungen von Halogenkohlenwasserstoffen ausgesetzt war (versicherte berufliche Einwirkung = Exposition = arbeitstechnische Voraussetzungen i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII), die eine Erkrankung hervorgerufen haben.
1. Ausgehend hiervon ist bei dem Kläger insbesondere für den Zeitraum von Juni 1969 an bis Dezember 1990 das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unstrittig. Darüber hinaus ist bei ihm mit einer seit Mai 2000 gesicherten Leberzirrhose nach dem auch insoweit erforderlichen Beweismaßstab des so genannten Vollbeweises (mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit) ferner eine einschlägige Erkrankung im Sinne der BK 1302 belegt (vgl. Merkblatt des damaligen Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zur BK 1302 in der Bekanntmachung vom 29. März 1985, BArbBl 1985, 55; Triebig/Kentner/Schiele, Arbeitsmedizin – Handbuch für Theorie und Praxis, 1. Aufl. 2003, Abschn. 4.1.3.2.3, S. 220; Schönberger/Mehr-tens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Abschn. 21.7, S. 1312; Mehrtens/Brandenburg, Die Berurfskrankheitenverordnung, Stand April 2008, M 1302, Rn. 4.1, S. 11). Der Senat geht ebenfalls davon aus, dass der Kläger während des zuvor genannten Zeitraums der Einwirkung von Halogenkohlenwasserstoffen – also Verbindungen von Kohlenwasserstoffen mit Fluor, Chlor, Brom und Jod – ausgesetzt war, die generell geeignet sind, Schädigungen der Leber hervorzurufen. Sowohl der TAD der Beklagten als auch die ehemalige Betriebschemikerin des VEB M. –W. S. G. haben in ihren Stellungnahmen vom 16. März 2001 bzw. von Januar 2005 übereinstimmend geschildert, dass der Kläger als Spritzer und Lackierer sowohl inhalativ als auch dermal langjährig Kontakt zu verschiedenen schädigenden chemischen Substanzen hatte. Gerade der festgestellte Umgang mit Trichlorethen (Trichloräthylen) kann lebertoxisch sein (vgl. Merkblatt, a.a.O.).
2. Allein aus dieser generell toxischen Wirkung der regelmäßig eingesetzten Substanzen kann jedoch nicht auf eine berufsbedingte Entstehung der Leberzirrhose geschlossen werden (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 1997 – 2 RU 48/96 – SGb 1999, 39 ff.; Urteil vom 7. September 2004, a.a.O.). Vielmehr beurteilt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen den schädigenden Einwirkungen und der geltend gemachten Erkrankung im konkreten Fall nach dem Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit.
Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Dabei setzt die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltende "Theorie der wesentlichen Bedingung" in Eingrenzung der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jede nicht hinwegzudenkende Bedingung (conditio-sine-qua-non) kausal ist, voraus, dass die versicherte Einwirkung nicht nur irgendeine Bedingung in der Kette der Faktoren für die Entstehung der Erkrankung, sondern wegen ihrer besonderen Beziehung zur geltend gemachten Krankheit die wesentliche Ursache war (vgl. KassKomm-Ricke, Stand Oktober 2008, § 8 SGB VII Rn. 4 und 15, m.w.N.). Rechtlich erheblich ist deshalb nur diejenige Ursache, die bei wertender Betrachtung zumindest als gleichwertige Mitursache einen wesentlichen Einfluss auf den Eintritt der Krankheit gehabt hat. Von einer Wesentlichkeit im Rechtssinne kann allerdings dann nicht ausgegangen werden, wenn ein anderer (unversicherter) Umstand einen überwiegenden kausalen Einfluss auf den Eintritt des Schadens hatte. Das bedeutet, dass ein Gesundheitsschaden einem Versicherungsfall (hier der BK) selbst dann nicht rechtlich zugerechnet werden kann, wenn die versicherte Einwirkung zwar generell geeignet war, den Schadenseintritt zu bewirken und die Erkrankung gelegentlich der versicherten Tätigkeit aufgetreten ist (Adäquanztheorie), sie jedoch konkret-individuell keine wesentliche Bedeutung hatte (Gelegenheitsursache). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Erfolges (Erkrankung) wertend abgeleitet werden. Gesichtspunkte hierfür sind Art und Ausmaß der versicherten Einwirkung sowie der konkurrierenden Ursachen, der zeitliche Verlauf, die Krankheitsgeschichte unter Berücksichtigung der aktuellen medizinischen Erkenntnisse sowie ergänzend auch der Schutzzweck der Norm (siehe BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 15; Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).
Gemessen hieran ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Anknüpfungstatsachen nach der gebotenen wertenden Betrachtung ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen der angeschuldigten Exposition und der Leberzirrhose nicht hinreichend wahrscheinlich. Denn es spricht mehr gegen als für diese Kausalität. Kein im Verfahren gehörter Mediziner hat einen solchen Zusammenhang im Ergebnis bejaht. Der Senat sieht keine Veranlassung, sich dieser einhelligen Bewertung nicht anzuschließen.
a) Schon der Umstand, dass nicht feststeht und auch nicht mehr feststellbar ist, ob der Kläger der Einwirkung gefährdender Stoffe überhaupt in leberwirksamer Konzentration ausgesetzt war (siehe zu den aktuellen Grenzwerten das Gefahrstoffinformationssystem der gewerblichen Berufsgenossenschaften – GESTIS-Stoffdatenbank; abrufbar unter: http:// www.dguv.de/bgia/de/gestis/stoffdb/index.jsp) spricht gegen eine im wesentlichen berufsbedingte Entstehung der Leberzirrhose, worauf Dr. F. zutreffend hingewiesen hat. Überdies hat Prof. Dr. F. dargelegt, dass das Bild einer insbesondere durch Trichlorethen hervorgerufenen Schädigung durch Akutreaktionen gekennzeichnet ist. Das Fehlen derartiger charakteristischer Vergiftungserscheinungen beim Kläger während seiner Expositionszeit im VEB M. –W. S. , die auf eine Gefährdung durch Trichlorethen in leberwirksamer Konzentration rückschließen lassen, ist mit anderen Worten ein deutliches Indiz gegen eine grenzwertüberschreitende Einwirkung, zumal die hepatoxische Wirksamkeit von Trichlorethen vergleichsweise gering ist (siehe Triebig/Kentner/Schiele, a.a.O., S. 221).
b) Weitere entscheidende Zweifel an einer wesentlichen Teilursächlichkeit der berufsbedingten Schadstoffeinwirkung für die Entstehung der Leberzirrhose werden durch den Krankheitsverlauf genährt. Die Exposition des Klägers gegenüber den schädigenden Substanzen hat Ende Dezember 1990 geendet. Der Verdacht auf das Vorliegen einer Leberzirrhose wurde dagegen erst knapp neuneinhalb Jahre später, nämlich Anfang Mai 2000 geäußert. Sowohl die Dres. M. und F. als auch Prof. Dr. F. im Einklang mit den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen darauf hingewiesen, dass der Beginn eines toxischen Leberschadens durch chronische berufliche Belastungen erst zu einem so weit zurückliegenden Zeitpunkt nach Beendigung der schädigenden Einwirkung unwahrscheinlich ist (vgl. Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 1302, Rn. 6, S. 13; Triebig/Kentner/Schiele, a.a.O., S. 221). Weder im Hinblick auf die Exposition noch auf die Erkrankung sind Anhaltspunkte für eine verkürzte Latenz bzw. Brückensymptomatik ersichtlich. Zwar hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren und dabei insbesondere im Termin am 26. Mai 2003 vorgetragen, auch während seiner Beschäftigungszeit in der Bautischlerei Krüger (8. Mai 1996 bis 1. Mai 2000) schädigenden Einwirkungen von Halogenkohlenwasserstoffen ausgesetzt gewesen zu sein. Diese Behauptung, die im Übrigen seinen eigenen zeitnäheren Angaben im Schreiben vom 7. August 2000 widerspricht, hat der TAD der Beigeladenen in seinen Stellungnahmen vom 18. Oktober und 6. Dezember 2001 sowie 11. Juli 2003 jedoch nachvollziehbar entkräftet. Auch soweit es einen früheren Beginn der Lebererkrankung anbelangt, fehlen ausreichende Indizien. Vielmehr hat Dr. Sch. am 13. November 2002 bezüglich der insoweit einzig in Frage kommenden Beschwerden des Klägers im Zeitraum vom 8. bis zum 18. Februar 1994 plausibel klargestellt, dass es sich hierbei um Symptome einer akuten Gastritis gehandelt hatte.
c) Gegen die Wahrscheinlichkeit des geltend gemachten Ursachenzusammenhangs spricht schließlich, dass eine einleuchtende berufskrankheitsunabhängige Erklärung für die Leberzirrhose in Betracht kommt.
(1) Dabei kann dahinstehen, ob bei dem Kläger ein früherer Alkoholabusus als konkurrierende Ursache (siehe hierzu Merkblatt, a.a.O.) anzunehmen ist, wobei seine Angaben hierzu widersprüchlich sind. Hat er einen entsprechenden Konsum im Mai 2000 negiert und im Januar 2005 gegenüber Prof. Dr. F. sogar für die gesamte Lebenszeit bestritten, hatte er am 5. Februar 2001 anlässlich der Befragung durch Dr. H. eine Abstinenz erst seit Mai 2000 eingeräumt. Insoweit mag die von Dr. St. am 29. Januar 2008 als Erklärung des Abfalls der Anfang Mai 2000 gemessenen Gamma-GT von 9,7 (normaler Referenzwert ( 5,5; siehe Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl. 2004, S. 1548) auf den einige Wochen später festgehaltenen Wert von 4,6 angedeutete Möglichkeit einer erst seit kurzem bestehenden Abstinenz zwar auch nicht von vornherein abwegig sein. Entscheidend erschüttert wird die Variante einer alkoholinduzierten Leberzirrhose aber jedenfalls durch den im Arztbrief der Klinik und Poliklinik für I. M. der M. –L. –U. H. –W. vom 23. Februar 2001 wiedergegebenen Histologiebefund vom 30. August 2000. Danach hatte das typische Muster einer alkoholischen Läsion nämlich nicht festgestellt werden können, was bei einer so kurz nach einer erst seit Anfang Mai 2000 unterstellten Abstinenz erfolgten Untersuchung aber zwingend zu erwarten gewesen wäre.
(2) Wie Prof. Dr. F. als behandelnder Arzt des Klägers nachvollziehbar dargelegt hat, kommt als Erklärung für die Leberzirrhose durch einen nicht versicherten Umstand nämlich eine (abgelaufene) NASH in Frage. Neben einer Leberzirrhose leidet der Kläger an einem Diabetes mellitus Typ 2 und an einer Fettstoffwechselstörung. Zudem hatte bei ihm im Jahr 2000 auch noch Übergewichtigkeit vorgelegen. Denn in dem im Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Barby vom 6. Juli 2000 dokumentierten Aufnahmebefund betrug sein BMI seinerzeit – gerundet – 28 (Normalgewicht bis 25; siehe Pschyrembel, a.a.O., S. 250). Mit dem damit bestehenden metabolischen Syndrom war nicht nur eine entscheidende Voraussetzung für die Ausbildung einer NASH gegeben. Vielmehr ist gerade bei dem Vorliegen eines Diabetes mellitus Typ 2 das Risiko einer Fettleber mit dem Übergang zu einer Zirrhose erheblich erhöht.
Ist danach die gesicherte Leberzirrhose des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als Folge des beruflichen Umgangs mit Halogenkohlenwasserstoffen wahrscheinlich zu machen, besteht kein Anspruch auf Anerkennung als BK 1302. Dagegen ist die Ableitung des Klägers, mangels gesicherter Alternativursache seien im Umkehrschluss die angeschuldigten beruflichen Einwirkungen als wesentliche Bedingung des Leberschadens anzusehen, im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung unzulässig (siehe nochmals BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.). Denn dieses setzt "nur" die hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den versicherten beruflichen Risikofaktoren und der geltend gemachten Erkrankung voraus. Ist eine solche – wie gezeigt – nicht gegeben, bedarf es nicht zusätzlich des Nachweises einer nichtversicherten alternativen Schadensursache.
Die Berufung konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
III. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
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