L 3 R 305/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 1 R 485/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 305/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zurückverweisung, Einverständnis Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, Befangenheitsantrag
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 26. Juni 2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialge-richt zurückverwiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminde-rung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminde-rung bei Berufsunfähigkeit nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).

Der am 1952 geborene Kläger absolvierte nach seiner Schulausbildung (zehn Klassen) in der Zeit vom 1. September 1969 bis zum 6. Juli 1971 eine Ausbildung zum Baufach-arbeiter und war bis zum 18. August 1991 in diesem Beruf beschäftigt. Daran an-schließend war er nach seinen Angaben im Tiefbau als Vorarbeiter bis zur Insolvenz des Unternehmens am 31. August 1999 mit der Verlegung von Telefonkabeln und Schachtarbeiten befasst. Zwischenzeitlich habe er in der Zeit vom 2. Juni bis zum 18. August 1998 in einem Beschäftigungsverhältnis als Bauwerker gestanden.

Der Kläger schloss mit Wirkung vom 27. September 1999 einen Arbeitsvertrag als Sanierungshelfer im Bereich Bauwerk. Das Arbeitsverhältnis hat bis zur insolvenzbe-dingten Kündigung im Jahr 2007 bestanden. Vom 27. Mai bis zum 7. Dezember 2003 und ab dem 17. April 2004 bezog der Kläger Krankengeld bis zu seiner Aussteuerung, unterbrochen durch einen Arbeitsversuch von zwei Tagen im Dezember 2004.

Der Kläger beantragte am 12. Juli 2004 bei der Beklagten die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung. In dem von der Beklagten eingeholten Befundbericht vom 17. August 2004 gab der Facharzt für Innere Medizin Dipl.-Med. R. an, bei dem Kläger lägen eine hypertensive Herzerkrankung, eine Osteoporose, Myogelosen, eine generalisierte Arthropathie sowie eine Hyperlipidämie vor. Die Beklagte zog ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 12. August 2004 bei, in dem eine dauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers in der ausgeübten körperlich schweren und größtenteils in gebückter Haltung zu verrichten-den Tätigkeit des Kanalsanierers, nicht aber für körperlich leichte Arbeiten festgestellt wird.

In der von der Beklagten eingeholten Arbeitgeberauskunft vom 14. September 2004 gab die K. R. GmbH an, die Tätigkeit des Klägers in diesem Unternehmen seit dem 27. September 1999 habe im Ausführen von Reparaturen an Abwasserkanälen und -schächten bestanden. Die Arbeiten hätten eine Anlernzeit von ca. zwei bis drei Monaten vorausgesetzt, die der Kläger durchlaufen habe. Erforderlich gewesen seien - für die körperlich schweren Arbeiten - handwerkliches Geschick (z.B. Maurerarbeiten, Fliesen legen) sowie die Bedienung von Sanierungsanlagen. Die Tätigkeit habe ein besonderes Verantwortungsbewusstsein, ein Vertrauensverhältnis bzw. eine über das übliche Maß hinausgehende Zuverlässigkeit vorausgesetzt. Die Entlohnung in der Lohngruppe 2 habe der eines angelernten Arbeiters entsprochen.

In dem von der Beklagten eingeholten Gutachten vom 11. Februar 2005 führte der Chefarzt der Orthopädie der Rehabilitationsklinik E. B. S.-Kur-GmbH Priv.-Doz. Dr. W.l aus, der athletische und adipöse Kläger (202 cm, 116 kg) befinde sich in einem guten Allgemein- und Ernährungszustand. Der Kläger zeige ein normales Gangbild. Im Vordergrund stünden die Schmerzen im Schulter-Nackenbereich mit Verspannungen der Schulter-Nackenmuskulatur und einer Einschränkung der Beweglichkeit und Funktionseinschränkung des linken Schultergelenks. Die vom Kläger angegebenen Schmerzen im linken Kniegelenk entsprächen röntgenologisch sichtbaren degenerati-ven Veränderungen und einer Fehlstellung im Sinne eines Genu varum. Aus orthopä-discher Sicht sei der Kläger auf Grund seiner Körpergröße sicherlich für die mit Zwangshaltungen verbundene Arbeit in engen Röhren ungeeignet. Er könne sonstige mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen, Knien und ohne Arbei-ten mit Armvorhalte oder Überkopfarbeiten sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 22. Februar 2005 ab. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne er auf dem allgemeinen Arbeits-markt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben.

Zur Begründung seines am 9. März 2005 bei der Beklagten eingegangenen Wider-spruchs führte der Kläger aus, er könne auf Grund seiner Schmerzen und Funktions-einschränkungen im gesamten Bereich der Schultern, Halswirbelsäule (HWS) und Lendenwirbelsäule (LWS) nicht in dem von der Beklagten angenommenen Umfang tätig sein. Sein linkes Knie sei faktisch nicht belastbar. Auf Grund einer Harzvergiftung leide er unter Kreislaufproblemen, die häufig zu Schwindel, begleitet von einer kurzen Orientierungslosigkeit, führten. Er sei zumindest als berufsunfähig anzusehen, da er das gesamte Berufsleben in seinem erlernten Beruf als Baufacharbeiter gearbeitet habe. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2005 als unbegründet zurück. Der Kläger verfüge noch über ein Leistungsvermögen von sechs Stunden täglich und mehr für mittelschwere Arbeiten ohne häufiges Knien, Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten sowie ohne Arbeiten in Armvorhalte unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Auf Grund seines beruflichen Werdeganges sei der Kläger als Abwasserkanalsanierer der Gruppe der Angelernten im unteren Bereich zuzuordnen, sodass er auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweis-bar sei.

Mit seiner am 5. August 2005 bei dem Sozialgericht Dessau erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er leide an erheblichen orthopädischen Beein-trächtigungen der gesamten linken Körperhälfte und sei durch die Folgen eines Arbeitsunfalls, bei dem er Kunstharzverbindungen eingeatmet habe, die zum Abdichten von Abwasserleitungen dienen, beeinträchtigt. Seine Knie seien auch durch die Injektionsbehandlung nicht dauerhaft schmerzfrei zu halten. Er sei von seiner letzten Arbeitgeberin als Baufacharbeiter eingestellt worden und habe fast ausschließlich diesem Beruf zuzuordnende Arbeiten verrichtet habe. Das ihm gezahlte Arbeitsentgelt entspreche nicht der Entlohnung eines Angelernten. Er hat seinen Vortrag insbesonde-re auf eine Bescheinigung seiner letzten Arbeitgeberin vom 19. September 2005, nach der er zum größten Teil Beschichtungstätigkeiten im Kanal, Maurerarbeiten mit Kanalklinkern, Fuge-, Verlege und Fliesenlegerarbeiten verrichtete, und eine Erklärung seines Vorarbeiters, P. H., vom 12. Januar 2007 zur qualitativen Wertigkeit seiner letzten Tätigkeit gestützt.

Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte eingeholt. Der Facharzt für Innere Medizin Dipl.-Med. R. hat in seinem Befundbericht vom 28. November 2005 angege-ben, der Kläger leide unter einem Zervikalsyndrom, einer diffusen Osteopathie, einer Myelopathie unklarer Genese, einer Arthrose, einer koronaren Herzkrankheit, einer Nierenstenose beidseits sowie einer Hyperlipidämie. Er sei gut belastbar. Die orthopä-dischen Befunde seien unverändert. Der Facharzt für Orthopädie Dipl.-Med. Sch. hat in seinem Befundbericht vom 10. Januar 2006 weitgehend therapieresistente Beschwer-den in Form eines Subacromialsyndroms, eines Zervikal-, Thorakal- und Lumbal-syndroms sowie einer Cox- und Gonarthrose beidseits angegeben. Aus der hausärztli-chen Mitteilung des praktischen Arztes Dipl.-Med. L. vom 12. Februar 2006 geht hervor, der Herz-Kreislaufbefund habe sich unter Dauermedikation stabilisiert mit nun normalen Blutdruckverhältnissen. Der orthopädische Befund sei insgesamt wechsel-haft, der Kräftezustand beeinträchtigt. Nach einem Arztbrief des Kreiskrankenhauses K. vom 8. Juni 2005 besteht bei dem Kläger im Bereich des linken Schultergelenkes eine Bewegungseinschränkung mit einem "Painful-arc" bei Abduktion zwischen 60 und 120 Grad ohne "Drop-arm-sign". Ein Rentenbegehren könne nicht ausgeschlossen werden, zumal sich keine objektiven Befunde nachweisen ließen.

Der Kläger hat dem Gericht das in seinem Verfahren auf Anerkennung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) vor dem Sozialgericht Dessau (Az. S 5 SB 77/05) erstattete Gutachten des Chefarztes des Reha-Zentrums B. D. Dr. E. vom 23. September 2005 übersandt. Nach den Feststellungen des Sachverständigen liegen bei dem Kläger auf orthopädischem Fachgebiet folgende Veränderungen vor: 1. Myostatisch degeneratives Wirbelsäulensyndrom bei einer Beinlängendifferenz von fast 1 cm rechts mit konsekutiver Seitenausbiegung rechtslumbal, linksthora-kal, einer vermehrten Lordosierung und einer easy standing position bei insuffi-zienter Bauch- und Rückenmuskulatur mit beginnenden Aufbraucherscheinungen (Spondylosis deformans, Gefügestörung, HWK 5/6, Einengung der Foramina in-terverbralia HWK 4/5, 5/6 links und 3/4 rechtsseitig bei einer Uncovertebralarthro-se). 2. Endgradig schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der linken Schulter bei weiterbestehender Tendinosis calcarea (Kalkeinlagerung in die Sehnen des Schul-tergelenkes. 3. Streckdefizit von 5° in den Mittelgelenken der Finger 2 bis 5 beidseits. 4. O-Beinfehlstellung bei einem Intercondylarabstand von 3 cm mit beginnender Aufbraucherscheinung medial, also innenseitig betont, linksseitig. Im Bereich der Schulter bestehe immer noch bzw. wieder eine Kalkeinlagerung, die zu endgradigen schmerzhaften Bewegungseinschränkungen führe. Die Fehlstellung im Bereich der Kniegelenke habe linksseitig zu einer inzwischen auch arthroskopisch nachgewiesenen Knorpelschädigung und somit beginnenden arthrotischen Verände-rungen geführt. Der GdB betrage für die zu 1. bis 4. genannten Diagnosen 20 v.H., 10 v.H., 0 v.H. und 10 v.H., der Gesamt-GdB 30 v.H.

Das Sozialgericht hat sodann mit Beweisanordnung vom 3. Juli 2006 den Facharzt für Orthopädie, Physikalische Medizin und Rehabilitative Medizin Prof. Dr. R. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 12. August 2006 hat Prof. Dr. R. ausgeführt, der Kläger habe bei der Untersuchung am 3. August 2008 angegeben, beim Schlafen Schmerzen in der HWS zu haben. Dann knacke es beim Drehen im Kopf, es verschwimme im linken Auge - wie eine Jalousie - und er sehe nichts mehr. Der Kläger befinde sich in einem guten Ernährungs- und Allgemeinzustand. Sein Gangbild sei kleinschrittig und links hinkend. Als Diagnosen und Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat lägen vor: 1. Lokales lumbales vertebragenes Schmerzsyndrom bei primär hypermobiler LWS mit hohen Zwischenwirbelräumen und dysostotischen Feinzeichen (alter Morbus Scheuermann) mit Baastrupschem Phänomen und beginnender Gefügelockerung bei muskulärer Dekompensation mit angedeuteter Einengung des Spinalkanals. 2. Arthralgie der rechten Schulter bei Zustand nach subacromialer Dekompression vom 15. April 2005 mit Entfernung eine Acromialsporns und Tendinosis calcarea. 3. Operativ behandelte Meniskusläsion am linken Kniegelenk. 4. Konversionsneurose. Der Druckschmerz interspinal lumbosakral als Bänderschmerz mit sulzig verdicktem Ligamentum supraspinalis und die schwach ausgebildete lumbale Rückenstreckmus-kulatur seien die wichtigsten Funktionsstörungen. Es bestünden keine neurologischen Defizite. An der Schulter liege eine endgradige Bewegungseinschränkung in der Rotation und in der aktiven Abduktion ohne akute Reizerscheinungen vor. Am linken Kniegelenk seien keine wesentlichen degenerativen Veränderungen und keine akuten Reizerscheinungen erkennbar. Die druckschmerzhafte Anschwellung unklarer Genese unterhalb des medialen Gelenkspaltes beeinträchtige die Belastbarkeit nicht. Die Konversionsneurose sei durch die Verwandlung unverarbeiteter schmerzhafter Erlebnisse entstanden. Die Schmerzangaben folgten nicht den bekannten sensomoto-rischen Mustern, sondern affektiven Gesetzen. Anhaltspunkte für eine Simulation bestünden nicht. Dagegen bestehe eine gewisse Aggravation mit einer bewussten Motivbildung und absichtlichen Symptombildung, wobei ein Verdeutlichungsverhalten in der Begutachtungssituation als ein an den Kontext angepasstes Verhalten angese-hen werden müsse, in welchem der Kläger den Gutachter von seinem Leiden zu überzeugen habe. Im Vordergrund stünden bei dem Kläger weniger objektivierbare Diagnosen und Funktionsstörungen als Schmerzen. Die sich aus den objektiven Befunden ergebenden Beschwerden könnten im Fall des Klägers durch eine zumutba-re Willensanstrengung überwunden werden. Die bestehende langandauernde Arbeits-unfähigkeit des Klägers, die bei reiner Beurteilung der Diagnosen und Funktionsstö-rungen des Stütz- und Bewegungsapparates nicht begründet werden könne, berge ein größeres Krankheitspotential als eine regelmäßige dosierte Arbeitsbelastung mit entsprechender Aktivierung der Muskulatur. Der Kläger könne mit den vorhandenen Diagnosen und Funktionsstörungen eine körperliche leichte und mittelschwere Arbeit mit einer Höchsttragebelastung von 15 kg sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Die Arbeiten könnten wechselweise im Sitzen, im Gehen oder im Stehen verrichtet werden, wobei eine ausschließlich sitzende Tätigkeit nicht empfohlen werde. Zugluft und Nässe seien zu vermeiden. Der Kläger könne noch mehr als 500 Meter viermal täglich ohne unzumutbare Beschwerden und ohne lange Pausen zu Fuß zurücklegen. Die Minderung der Leistungsfähigkeit sei rückwirkend nach Aktenlage auch für Juli 2004 entsprechend einzuschätzen. Es werde der Einschätzung zugestimmt, dass der 2,02 Meter große Kläger sich nicht unbedingt in engen Kanalrohren bewegen müsse.

Das Gutachten von Prof. Dr. R. vom 12. August 2006 ist am 14. August 2006 bei dem Sozialgericht eingegangen und dem Kläger am 22. August 2006 zugegangen. Das Sozialgericht hat die Übersendung des Gutachtens mit der Mitteilung verbunden (Richterbrief unter dem 15. August 2006), weitere medizinischen Ermittlungen von Amts wegen seien derzeit nicht beabsichtigt.

Der Kläger hat in seinem beim Sozialgericht am 18. August 2006 eingegangenen Schriftsatz vom 16. August 2006 - d.h. vor Zugang des Gutachtens von Prof. Dr. R. - mitgeteilt, es hätten sich einige Bedenken in Bezug auf die Unparteilichkeit und Geeignetheit des Gutachters ergeben. Der Sachverständige habe ihm während der Untersuchung mitgeteilt, dass mit Blick auf die Finanzlage der Sozialkassen keine Rente gewährt werden könne. Scheinbar sei der Sachverständige nicht so sehr an seiner Aufgabe als Arzt und Gutachter sowie einer umfassenden und objektiven medizinischen Begutachtung interessiert. Dies sei nur mit einer Art unterschwelligem Verbundenheitsgefühl zu erklären, wie es wohl entstehen könne, wenn man regelmä-ßig Aufträge von ein und demselben Auftraggeber erhalte.

Prof. Dr. R. hat mit Schreiben vom 30. August 2006 zu dem ihm übersandten Schrift-satz des Klägers vom 16. August 2006 ausgeführt, dieser sei "nicht nur dumm, sondern geradezu unverschämt". Er fertige seit Jahren Gutachten nur für Sozialgerichte an. Ein "unterschwelliges Verbundenheitsgefühl für Sozialkassen" sei daraus nicht abzuleiten. Wenn er die ihm vorgeworfene Formulierung tatsächlich geäußert habe, wäre er nicht nur befangen, sondern unfähig, solche Gutachten anzufertigen.

Nach einer Bitte um Fristverlängerung zur Stellungnahme hat der Kläger mit am 13. Oktober 2006 beim Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz ausgeführt, durch seine Stellungnahme vom 30. August 2006 habe sich der Sachverständige selbst für befangen erklärt. Zur Glaubhaftmachung hat er auf eine beigefügte eidesstattliche Versicherung folgenden Inhalts vom 9. Oktober 2006 verwiesen:

Während der Untersuchung am 03.07.2006 zur Begutachtung, entsprechend der Beweisanordnung des Sozialgerichts Dessau vom 03.07.2006 Az.: S 1 R 485/05, hat der gerichtlich bestellte Gutachter, Herr Prof. Dr. D. R ..., ernsthaft zu mir gesagt, dass mit Blick auf die Finanzlage der Sozialkassen keine Rente ge-währt werden könne.

Er habe unmittelbar nach der Untersuchung von den Aussagen des Gutachters recht erregt bei seinem Bevollmächtigten angerufen und diesen von dem Ablauf der Unter-suchung unterrichtet. Die Tendenz des Gutachters lasse sich auch daraus erkennen, dass dieser zur Frage 3 der Beweisanordnung ausgeführt habe, er habe den Sachver-ständigen von den Leiden überzeugt wollen. Dem sei nicht so, da er einen Arbeitsplatz habe und die Arbeit gern verrichten würde, wenn er dies gesundheitlich nur könnte. Das Gutachten stütze im Übrigen seinen Rentenanspruch, da die für erforderlich gehaltene Therapie seiner Schmerzen noch nicht durchgeführt worden sei. Allerdings berücksichtige diese Annahme des Sachverständigen nicht, dass seinen Schmerzen objektive Befunde zugrunde lägen.

In seiner vom Sozialgericht angeforderten Stellungnahme vom 30. Oktober 2006 hat der Sachverständige ausgeführt, der Inhalt der von dem Kläger vorgelegten eidesstatt-lichen Versicherung sei falsch. Im vorliegenden Fall bestehe ein krasses Missverhältnis zwischen der Selbsteinschätzung der Leistungsfähigkeit durch den Kläger und der vorliegenden sozialmedizinischen Einschätzung auf der Grundlage der Diagnosen und Funktionsstörungen des Stütz- und Bewegungsapparates. Dies sei neben dem Erfordernis einer Aktivierung, um den Teufelskreis Schmerz-Aktivität-Vermeidungsverhalten-zunehmender Schmerz zu durchbrechen, in einem abschlie-ßenden Gespräch erläutert worden.

Der Kläger hat sich daraufhin auch auf die Feststellungen in dem Gutachten von Dr. med. habil. Dr. F. vom 11. Dezember 2006 gestützt, der auf seinen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in dem die Höhe des GdB betreffenden Verfahren vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - Az. L 7 SB 5/06 - gehört wurde. Die Feststellungen dieses Sachverständigen stünden in einem diametralen Gegensatz zu den Einschätzungen vom Prof. Dr. R ...

Dr. F. hat in seinem Gutachten angegeben, der Kläger befinde sich in einem regelrech-ten Allgemeinzustand und leicht adipösen Ernährungszustand. Das An- und Ausklei-den geschehe mit eingeschränktem Bewegungsverhalten unter Schonhaltung der Wirbelsäule. Der Gang sei regelrecht, raumgreifend, flüssig und ohne Hinken. Das Einnehmen der tiefen Hocke sei möglich, das Aufrichten erzeuge offensichtlich leichte Schmerzen im linken Kniegelenk und der Wirbelsäule im unteren Abschnitt. Es handele sich bei dem Kläger um eine multifokale Erkrankung im Bereich der Wirbelsäule, vorwiegend imponierend im LWS- und HWS-Bereich, mit Beteiligung der gesamten Wirbelsäule und erheblichen Einschränkungen im HWS-Bereich. Das linke Schulterge-lenk sei geschädigt, dessen Bewegung und Belastbarkeit deutlich eingeschränkt. Im Bereich des linken Armes seien lageabhängige Parästhesien vorhanden, die durch das MRT der HWS plausibel seien. Die Umfangmaße zeigten eine Muskelatrophie, die als Inaktivitätsatrophie zu werten sei. Im Bereich des linken Knies bestehe eine deutliche Belastungsinsuffizienz, beim Strecken entstünden dort Gelenkhemmungen. Das linke Bein zeige eine Inaktivitätsatrophie. Es bestehe ein komplexes Schmerzsyndrom nicht nur im Bereich der linken Körperseite, sondern auch im Bereich der HWS und LWS. Hieraus resultierten bei dem Kläger Schlafstörungen. Das komplexe Krankheitsbild entspreche nicht einer natürlichen, d.h. altersabhängigen Degeneration, sondern gehe weit über den physiologischen Alterungsprozess hinaus. Damit sei der Kläger einer ständigen erheblichen psychischen Belastung ausgesetzt. Da der Kläger den linken Arm seitlich nur um 90 Grad heben könne, sei dies mit einem GdB von 10, der Menis-kus-Knorpelschaden im linken Knie sei ebenfalls mit einem GdB von 10 anzusetzen. Unter Berücksichtigung der Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30 bis 40 sei ein Gesamt-GdB von 40 zutreffend.

Der Kläger hat ausgeführt, einer Auslegung seines Vorbringens im Sinne eines Ablehnungsgesuchs wegen Befangenheit des Sachverständigen Prof. Dr. R. "sei nicht widersprochen". Es sei im Übrigen von Amts wegen weiter zu ermitteln. Nach Erörte-rung der Sach- und Rechtslage in der nicht-öffentlichen Sitzung vor dem Sozialgericht am 9. Januar 2007 hat er erklärt: "Die Klägerseite wird nochmals schriftsätzlich Stellung nehmen. Sie erklärt sich jedoch bereits jetzt ebenfalls mit einer Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden."

Das Sozialgericht hat den Rechtsstreit daraufhin vertagt. Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2007 hat der Kläger erklärt, seinen Befangenheitsantrag leider aufrecht erhalten zu müssen. Da die gerügte Äußerung im Rahmen eines Vier-Augen-Gesprächs erfolgt sei, könne eine weitergehende Glaubhaftmachung seiner Angaben nicht erfolgen. Es werde hilfsweise beantragt, ein Gutachten nach § 109 SGG einzuho-len, da ohne die Entscheidung des Gerichts über den Befangenheitsantrag kein Gutachten existiere.

Das Sozialgericht hat dem Kläger mit Richterbrief vom 12. April 2007 mitgeteilt, es gehe davon aus, dass der Kläger nach wie vor mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei. Darauf hat der Käger mit Schriftsatz vom 26. April 2007 ausgeführt: " sei dem Gericht mitgeteilt, dass die Zustimmung selbstverständlich weiterhin gilt, wenn auch davon ausgegangen wird, dass aus hiesiger Sicht das Gericht hiervon noch nicht Gebrauch machen kann, da die notwendigen Ermittlungen nicht abgeschlossen sind".

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2007 abgewiesen. Der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Er könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung in geschlossenen Räumen oder im Freien unter Witterungsschutz, mit einer Höchsttrage-belastung von 15 kg unter Vermeidung von Überkopfarbeiten, Arbeiten in Armvorhalte, Zugluft und Nässe mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Dies ergebe sich aus dem ausführlichen Gutachten von Prof. Dr. R. vom 12. August 2006. Die Leistungsein-schätzung durch den Sachverständigen sei diagnostisch ausreichend unterlegt, in sich schlüssig und widerspruchsfrei und stehe im Einklang mit den Beurteilungen durch den Orthopäden Priv.-Doz. Dr. W. in dessen als Urkundenbeweis verwertbarem Gutachten vom 11. Februar 2005 sowie dem MDK-Gutachten vom 12. August 2004. Aus den beigezogenen Befundberichten ergäben sich keine abweichenden Anhaltspunkte. Das Gutachten von Prof. Dr. R. könne der Entscheidung als Sachverständigenbeweis zugrunde gelegt werden. Die vom Kläger behauptete Äußerung des Sachverständigen sei nicht bewiesen oder glaubhaft gemacht, sodass es dahin stehen könne, ob eine solche Äußerung geeignet sei, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachver-ständigen zu begründen. Hier stehe Aussage gegen Aussage. Zeugen seien bei dem Gespräch nicht anwesend gewesen, der Sachverständige habe die zur Last gelegte Äußerung nicht bestätigt. Die eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 9. Oktober 2006 sei als Mittel der Glaubhaftmachung nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 406 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) ausgeschlossen. Weitere medizinische Ermittlungen von Amts wegen seien nicht angezeigt gewesen. Der Antrag auf Anhörung eines vom Kläger bestimmten Arztes nach § 109 SGG sei nicht rechtzeitig gestellt worden, da ihm bereits im August 2006 mitgeteilt worden sei, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt seien. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da er in seinem bisherigen Beruf als Abwasserkanalsanierer allenfalls als Angelernter im unteren Bereich anzuse-hen und damit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei. Diese Einstufung ergebe sich aus der Entlohnung des Klägers nach der Lohngruppe 2 des Tarifvertrages Bau und der für die verrichteten Tätigkeiten lediglich erforderlichen Anlernzeit von zwei bis drei Monaten für einen völlig ungelernten Arbeiter.

Gegen das ihm am 12. Juli 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1. August 2007 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Das Sozialgericht habe seine Entscheidung nicht auf das Gutachten von Prof. Dr. R. stützen dürfen. Da es bei einem Vier-Augen-Gespräch keinen Zeugen geben könne, sei die eidesstattliche Versicherung ein ausreichendes Mittel für die Glaubhaftmachung. Zumindest hätte eine Parteivernehmung zu diesem Zweck durchgeführt werden können. Es habe auch insbesondere berücksichtigt werden müssen, dass er seinen Bevollmächtigten nach der Untersuchung angerufen habe, noch bevor ihm das Ergebnis der Begutachtung bekannt geworden sei. Auch aus der Frage des Sachverständigen, warum er, der Kläger, keinen Leistungssport treibe, werde erkennbar, dass Prof. Dr. R. die durch das Gutachten von Dr. F. belegten Gesundheitsstörungen nicht beachtet habe. Es werde im Übrigen die Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt, da das Sozialgericht seinem Antrag nach § 109 SGG nicht gefolgt sei. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass das Gericht sich bezüglich weiterer Ermittlungen nicht festlegen werde, bevor es über den Befangenheitsantrag entschieden habe. Das Sozialgericht habe auch seinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu Unrecht verneint, da es nicht gewürdigt habe, dass er in seiner letzten Beschäftigung im Rahmen seiner Qualifikation als Baufacharbeiter eingesetzt worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 26. Juni 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2005 aufzuheben, und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juli 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie verweist im Übrigen auf die dem Kläger mit ihrem Bescheid vom 2. Oktober 2007 bewilligten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines Eingliederungszuschusses.

Der Senat hat die den Kläger betreffende Personalakte seiner letzten Arbeitgeberin beigezogen. Mit Schreiben der K. Company vom 22. April 2009 ist auf Anfrage des Senats eine Klarstellung der tarifvertraglichen Zuordnung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zur Betriebsstätte in N.-W. erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklag-ten, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist im Sinne einer Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und einer Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht begründet.

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Ent-scheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet.

Das Urteil des Sozialgerichts leidet an wesentlichen Verfahrensmängeln im Sinne dieser Vorschrift.

Das Sozialgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.

Der Kläger hat im vorliegenden Fall nicht wirksam nach § 124 Abs. 2 SGG auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

Nach § 124 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz der zwingenden Mündlichkeit ergibt sich, wenn die Beteiligten wirksam ein Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erklären. Ein ohne ein solches Einverständnis ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil stellt eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs dar (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 12. April 2005 - B 2 U 135/04 B - SozR 4-1500 § 124 Nr. 1). Aus dem Schriftsatz des Klägers vom 26. April 2007 geht ein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht eindeutig hervor. Die Einverständnis-erklärung ist nur dann wirksam erteilt, wenn sie sich auf den zum Zeitpunkt der Erklärung vorliegenden Verfahrensstand bezieht. Das Einverständnis mit einer Ent-scheidung ohne mündliche Verhandlung stellt eine Prozesserklärung dar. Eine solche Erklärung ist grundsätzlich bedingungsfeindlich (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 1980 - 9 RV 16/79 - juris; Bundesgerichtshof (BGH) - Beschluss vom 21. Juli 2005 - VII ZB 39/05 - juris). Wird die Erklärung unter dem Vorbehalt der Durchführung weiterer Ermittlungen abgegeben, kann darauf eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht gestützt werden. Dem Gericht steht die Möglichkeit offen, durch einen entspre-chenden Hinweis zu klären, ob ein unbedingtes Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung abgegeben werden soll.

Zutreffend hat der Kläger auch eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör im Hinblick auf die Feststellung des Sozialgerichts, ein Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG sei nicht fristgestellt gestellt worden, gerügt. Die Begründung des Sozial-gerichts, der Kläger sei bereits im August 2006 darauf hingewiesen worden, weitere Ermittlungen seien nicht beabsichtigt, vermag die Ablehnung weiterer Ermittlungen auf der Grundlage eines Antrags des Klägers nach § 109 Abs. 1 SGG nicht zu stützen. Zum Zeitpunkt dieses gerichtlichen Hinweises waren dem Sozialgericht die Einwände des Klägers in Bezug auf die Frage einer Unvoreingenommenheit des Sachverständi-gen Prof. Dr. R. noch nicht bekannt und auch dessen Äußerung zu den vom Kläger dargelegten Vorwürfen noch nicht erfolgt, sodass der gerichtliche Hinweis durch die nachfolgenden Ereignisse überholt wurde. Angesichts der Nachfrage bei Prof. Dr. R. und dessen Antwort sowie der beigebrachten weiteren medizinischen Ermittlungser-gebnisse hat der Kläger nicht von einer Beendigung der Ermittlungen des Sozialge-richts ausgehen können und müssen, zumal auch über den von ihm gestellten Befan-genheitsantrag hinsichtlich des Gutachters Prof. Dr. R. noch nicht entschieden war.

Das Urteil des Sozialgerichts leidet weiter unter dem Mangel der Verletzung der zwingenden Regelung in § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 406 Abs. 5 ZPO, die eine Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit eines Sachverständi-gen vor Entscheidung in der Sache verlangt.

Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverstän-diger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abge-lehnt werden. Der Ablehnungsantrag ist bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung (a.a.O. Absatz 2 Satz 1). Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen (a.a.O. Absatz 2 Satz 2).

Der Kläger hat hier ausdrücklich einen Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit gestellt. Bereits den Ausführungen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 16. August 2006 ist hinreichend deutlich ein Gesuch der Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. R. wegen Befangenheit zu entnehmen.

Bezüglich dieses Ablehnungsgesuches ist durch die Erörterung des Sach- und Streitstandes im Termin vor dem Sozialgericht am 9. Januar 2007 eine Verwirkung hier nicht eingetreten.

Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine mündliche Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 43 ZPO vor, sind die vor dem maßgebenden Zeitpunkt liegenden Ablehnungsgründe geheilt (vgl. Vollkommer in Zöller (Begr.), ZPO Kommentar, 27. Aufl. 2009, § 43 RdNr. 7). Diese Heilung kann auch ein Einverständnis eines Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (vgl. Bundesfi-nanzhof (BFH), Beschluss vom 15. April 1987 - IX B 99/85 - DB 1987, 1976; Bundes-gerichtshof (BGH), Beschluss vom 1. Juni 2006 - V ZB 193/05 - NJW 2006, 2776) oder die Mitwirkung im Rahmen eines Erörterungstermins vor dem abgelehnten Richter (vgl. BFH, Beschluss vom 15. April 1987, a.a.O.) bewirken. Grundsätzlich ist die Regelung in § 43 ZPO in entsprechender Anwendung auf die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Befangenheit übertragbar (vgl. Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf, Beschluss vom 28. September 1993 - 10 W 109/93 - MDR 1994, 620). Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch, wie bereits ausgeführt, an einem wirksamen Einver-ständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Die Rechtsprechung zur Heilung der Ablehnungsgründe durch eine Erörterung des Sach- und Streitstandes mit dem Richter ist auf die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Befangenheit nicht voll übertragbar. Das wird schon daraus erkennbar, dass gegebenenfalls ein solcher Termin erforderlich ist, um die Ablehnungsgründe abschließend zu klären. Der Kläger hat hier indirekt sowohl im Erörterungstermin am 9. Januar 2007 als auch ausdrücklich im nachfolgenden Schriftsatz vom 17. Januar 2007 an dem Einwand der Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen Prof. Dr. R. festgehalten. Auch das Sozialgericht ist nach seinen Ausführungen in dem Urteil vom 26. Juni 2007 nicht von einer Erledigung des Ablehnungsgesuchs ausgegangen. Andernfalls wären Ausfüh-rungen in den Entscheidungsgründen zur fehlenden Glaubhaftmachung der Ableh-nungsgründe nicht erforderlich gewesen.

Über den hier gestellten Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen hat das Sozialgericht nicht, wie es das Gesetz fordert, durch Beschluss entschieden. Nach § 406 Abs. 5 ZPO findet gegen den Beschluss, durch den die Ablehnung für unbe-gründet erklärt wird, die sofortige Beschwerde statt. Aus der Regelung in § 406 Abs. 5 ZPO ergibt sich, dass die Entscheidung über einen Antrag auf Ablehnung des Sach-verständigen durch (rechtsmittelfähigen) Beschluss zu erfolgen hat. Soweit eine Entscheidung im Rahmen der Begründung eines Endurteils z.B. für offensichtlich unzulässige - insbesondere verspätete - Ablehnungsanträge zugelassen wird (vgl. Zimmermann in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl., § 407 RdNr. 14), kann dies im vorliegenden Fall bereits deshalb nicht berücksichtigt werden, da sich das Sozialge-richt das Befangenheitsgesuch des Klägers nicht als unzulässig behandelt hat und Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit des Gesuchs auch nicht ersichtlich sind.

Die Entscheidung des Sozialgerichts beruht auf den vorgenannten Verfahrensfehlern. Das Sozialgericht hätte eine Entscheidung am Terminstag hier ohne Annahme eines Einverständnisses des Klägers mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht treffen können. Im Übrigen hätte es im Fall einer erfolgreichen Ablehnung des Sachverständigen eine - spätere - Enscheidung nicht auf das Gutachten von Prof. Dr. R. stützen können und ggfs. auch einen Antrag des Klägers nach § 109 Abs. 1 SGG in anderer Weise behandelt.

Vor diesem Hintergrund überwiegt im Rahmen der Ermessensausübung des Senats das Interesse des Klägers an einer Wiedereröffnung einer zweiten Tatsacheninstanz nach ordnungsgemäßer Entscheidung über den von ihm verfolgten Anspruch durch das Sozialgericht.

Eine Zurückverweisung an das Sozialgericht soll durch das Landessozialgericht, dem selbst die Möglichkeiten zur Erforschung des Sachverhaltes offen stehen, nur im Ausnahmefall erfolgen. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn das erstinstanzliche Verfahren auf Grund eines wesentlichen Verfahrensmangels nicht zur Grundlage einer Entscheidung gemacht werden kann (vgl. Fichte, SGb 1987, 271, 277). Der Senat sieht sich im vorliegenden Fall nicht in der Lage, selbst zu entscheiden. Denn es bleibt u.a. offen, ob der Kläger gegen einen das Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit des Sachverständigen zurückweisenden Beschluss des Sozialgerichts Beschwerde eingelegt und diese Erfolg gehabt hätte und ob das Sozialgericht im Fall einer erfolg-reichen Beschwerde weitere Ermittlungen für erforderlich gehalten hätte bzw. auf weitere Ermittlungen gerichtetes Vorbringen der Beteiligten erfolgt wäre.

Das Landessozialgericht kann bei Ablehnung eines Sachverständigen nach § 406 ZPO erst nach einem gesonderten Beschluss über das Gesuch eine Endentscheidung in der Sache treffen (vgl. BSG, Urteil vom 23. Mai 2000 - B 1 KR 9/00 R - juris). Denn nur hierdurch wird sichergestellt, dass die Beteiligten weitere, vom Ergebnis der Entschei-dung über das Ablehnungsgesuch abhängige, Beweisanregungen oder ggf. z.B. einen Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG stellen können. Für die Entscheidung über den Ableh-nungsantrag selbst ist das Landessozialgericht aber erst auf die Beschwerde hin zuständig.

Das Sozialgericht hat im Rahmen der erneuten Entscheidung auch Gelegenheit zu prüfen, ob dem Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit allein auf Grund eines fehlenden Zeugenbeweises der Erfolg versagt bleibt. Die vom Kläger behauptete Aussage des Sachverständigen Prof. Dr. R., eine Rente könne mit Blick auf die Finanzlage der Sozialkassen nicht gewährt werden, wäre grundsätzlich geeignet, aus der Sicht eines Beteiligten Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständi-gen zu begründen, wenn er diese Aussage so, oder in einem diese Aussage nicht in einem anderen Licht erscheinen lassenden Kontext gemacht hätte. Da für die Glaub-haftmachung des Ablehnungsgrundes der Sachstand zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das Gesuch maßgebend ist, wird diesbezüglich neben den Ausfüh-rungen des Klägers zu dem Telefonat mit seinem Klägerbevollmächtigten sowie dem Inhalt der Stellungnahme des Sachverständigen zu den gegen ihn erhobenen Vorwür-fen ggfs. auch weiterer Vortrag zu berücksichtigen sein.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe I. Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision nur zu, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbe-vollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich beim Bundessozialgericht Kassel, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel, einzulegen. Die Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist beim Bundessozialgericht eingegangen sein.

Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen: a) Rechtsanwälte b) Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule mit Befähigung zum Richteramt c) zur Vertretung ihrer Mitglieder und bei einem Handeln durch Personen mit Befähi-gung zum Richteramt oder durch Diplomjuristen - selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung - berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft - Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände oder andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung - Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessen-vertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkrei-ses die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten d) juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der zu c) genannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt. Dazu ist ein Handeln durch Personen mit Befähigung zum Richteramt oder Diplomjuristen und die Haftung der Organisation für die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten Voraussetzung.

Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte oder solche anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts ein-schließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusam-menschlüsse vertreten lassen. Diese Beschäftigten müssen die Befähigung zum Richteramt haben oder Diplomjurist sein.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich zu begründen.

In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundessozialgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, bezeichnet werden. Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht und eine Verlet-zung des § 103 SGG nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. II. Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht schon durch einen Bevollmächtigten der unter I. c) und I. d) genannten Vereini-gungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.

Der Antrag kann von dem Beteiligten persönlich gestellt werden; er ist beim Bundesso-zialgericht entweder schriftlich einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.

Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirt-schaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen; hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten und ggf. durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Erklärung über die persön-lichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - ggf. nebst entsprechenden Belegen - müssen bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim Bundessozialgericht eingegangen sein.

Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt benannt werden.

Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.

gez. Klamann gez. Fischer gez. Frank

Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.
Rechtskraft
Aus
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