Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 13 U 227/01
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 119/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. Juni 2004 wird aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 8. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2001 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger von April 2001 an Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. zu zahlen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge und das Vorverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob Folgen eines Arbeitsunfalls über den März 2001 hinaus einen Anspruch auf eine Verletztenrente begründen. Der 1960 geborene Kläger erlitt am 9. Juni 1998 einen Arbeitsunfall, als er bei An-stricharbeiten auf einem Hochspannungsmast abrutschte und mit dem Knie auf den Windverband aufschlug. Die nachfolgende Arbeitsunfähigkeit dauerte bis zum 10. April 1999.
Der Orthopäde Dipl.-Med. B. , Oberarzt am Fachkrankenhaus für Rheumatologie und Orthopädie V. –G. , schätzte im ersten Rentengutachten vom 28. Dezember 1999 die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab Ende der Arbeitsunfähig-keit für dauernd mit 20 v. H. ein. Die Unfallfolge benannte er als Instabilität des rechten Kniegelenks bei Zustand nach vorderem Kreuzbandriss, der auch mit einer Kreuz-bandplastik nicht vollständig wieder hergestellt werden könne. Eine zusätzliche Instabilität bestehe durch eine nicht vollständige Entfernung des Innenmeniskushinter-horns mit Knorpelschaden am medialen Femurcondylus mit einer hier beginnenden Arthrose und Gelenkspaltverschmälerung. Der Kreuzbandriss werde muskulär eini-germaßen kompensiert. Als Befund fand sich ein diskretes Schonhinken rechtsseitig mit einer leichten Varusstellung des rechten Kniegelenkes von 10 Grad. Streckung und Beugung waren zwischen 0/5/120 Grad (links 0/0/140 Grad) möglich. Bei der Prüfung des vorderen Kreuzbandes waren das Lachmann- und das Schubladenzeichen mit un-ter fünf Millimeter im Seitenvergleich positiv. Die Meniskuszeichen waren angedeutet medial positiv, Steinmann I und Apley. Es fand sich eine leichte Kapselschwellung ohne Erguss und eine Muskelminderung des Oberschenkels um 1,5 cm. Die Narben-verhältnisse waren reizlos. Am mittleren Gelenkspalt und am Schienbeinkopf zeigte sich ein Druckschmerz. Die Beschwerden des Klägers bestanden in Schmerzen des rechten Kniegelenkes bei schnellerem Laufen, die zu einem hinkenden Gang führten. Beim Aufstehen nach längerem Sitzen bestehe ein plötzlicher Schmerz, unter dem er innen etwas zusammenknicke und ein Unsicherheitsgefühl habe. Längere Belastung führe zu wiederkehrenden Schwellungen. Längere kniende bzw. stark gebeugte Kniehaltung sei nicht möglich.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2000 erkannte die Rechtsvorgängerin der Beklagten (folgend einheitlich Beklagte) den Unfall vom 9. Juni 1998 als Arbeitsunfall an und bewilligte dem Kläger vom 11. April 1999 an als vorläufige Entschädigung eine Verletz-tenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H ... Als Folgen des Versicherungsfalls stellte sie fest: Bewegungseinschränkung sowie Instabilität des rechten Kniegelenkes, mediale Gelenkspaltverschmälerung um ein Drittel sowie Knorpelschaden am medialen Gelenkkopf des Oberschenkelknochens mit beginnender posttraumatischer Arthrose nach vorderem Kreuzbandabriss mit folgender Kreuzband-plastik und Innenmeniskushinterhornlängsriss mit erfolgter Resektion.
Im zweiten Rentengutachten vom 30. Januar 2001 schätzte der Orthopäde Dr. W. , Chefarzt an der gleichen Einrichtung, in Zusammenarbeit mit Dipl.-Med. B. die Minderung der Erwerbsfähigkeit weiterhin mit 20 v. H. ein. Als Unfallfol-gen führte der Gutachter jetzt auch einen schon 1999 vorhandenen teilweisen Riss der Kreuzbandplastik auf und beschrieb eine Zunahme der medialen Gelenkspaltver-schmälerung. Es fand sich weiterhin ein diskretes Schonhinken rechtsseitig. Streckung und Beugung waren jetzt mit 0/0/130 Grad möglich. Die Varusstellung wurde weiterhin mit 10 Grad gemessen. Die Muskelverminderung am Oberschenkel betrug noch einen Zentimeter. Als Beschwerden gab der Kläger ergänzend eine leichte Schwellung des Knies nach längerer Belastung an.
Nach Auswertung durch den beratenden Arzt hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 16. Februar 2001 zu der Absicht an, die bisherige Rente zu entziehen. Dagegen wandte sich der Kläger mit der Behauptung, seine gesundheitliche Situation habe sich seit dem Rentenantrag nicht geändert.
Mit Bescheid vom 8. März 2001 lehnte die Beklagte die Feststellung eines Anspruchs auf Rente für unbestimmte Zeit ab und entzog die bisherige Rente mit Ablauf des Monats März 2001. Sie führte aus, über die Rente auf unbestimmte Zeit habe sie gemäß § 62 Abs. 2 SGB VII ohne Nachweis einer Änderung allein nach dem gegen-wärtigen Zustand zu entscheiden. Als Unfallfolgen lägen nunmehr noch vor: Funktionell unbedeutende Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk, restliche minimale Muskelminderung im Bereich des rechten Oberschenkels sowie leichte Knorpelverän-derungen am Oberschenkelknorren rechts nach vorderem Kreuzbandriss rechts, Teil-riss der eingebrachten Kreuzbandplastik und Innenmeniskushinterhornriss.
Daraus ergebe sich keine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr.
Gegen den Bescheid legte der Kläger noch im gleichen Monat Widerspruch ein. Dabei verwies er auf die positiven Kreuzband- und Meniskuszeichen und die fortdauernden Beschwerden.
In einem weiteren Gutachten vom 12. September 2001 schätzte der Chirurg Dr. Sp. die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 10 v. H. ein. Der Gutachter benannte als Unfallfolgen eine verminderte Beweglichkeit der rechten Kniescheibe, positive Innen-meniskuszeichen, Narben, ein vermehrtes Bewegungsreiben im Kniegelenk und Röntgenveränderungen nach vorderer Kreuzbandplastik. Eine klinisch nachweisbare Kapselbandlockerung sei bei deutlicher Gegenspannung nicht objektivierbar. Eine Weichteilminderung bestehe nicht. Das Beschwerdebild erkläre sich möglicherweise aus einer Randkantenausziehung an der Innenkante der Gelenkfläche der rechten Kniescheibe, die erstmals auf Röntgenaufnahmen vom 12. Dezember 1999 dargestellt sei. Ob es sich dabei um eine Unfallfolge handele, könne mangels entsprechender, zeitnah zum Unfall gemachter Aufnahmen nicht beurteilt werden. Auch dem Bericht über die erste Kniegelenksspiegelung seien dazu keine Informationen zu entnehmen. Eine Beseitigung des Beschwerdebildes durch Abtragung der knöchernen Vorwölbung sei denkbar. Bei den sicheren Unfallfolgen handele es sich um einen Dauerzustand. Der Gutachter maß die Kniegelenksbeweglichkeit beidseits gleich und beschrieb raum-greifende Schritte ohne erkennbares Hinken. Der Hocksitz konnte bis zu einer Knie-beugung von ungefähr 100 Grad beiderseits ausgeführt werden. Als beschränkend wurde ein Spannungsgefühl im rechten Kniegelenk angegeben. Das Erheben aus der Hocke sei zügig ohne erkennbare Schwierigkeiten durchgeführt worden. Die Konturen der Kniegelenke seien unauffällig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2001 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Er stützte sich dabei insbesondere auf das Gutachten von Dr. Sp ... Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger auf dem Postwege übersandt.
Mit der am 29. Dezember 2001 beim Sozialgericht Magdeburg eingegangenen Klage hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, eine Untersuchung im Ruhezustand sei unzureichend. Die aktive Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes sei nach spätestens ein bis eineinhalb Stunden Bewegung stark eingeschränkt. Das Bein würde dann stark anschwellen. Morgens nach einer solchen Belastung sei das Bein wie gelähmt und knicke im Unterschenkel nach innen weg.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 30. Juni 2004 die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen der Folgen des Arbeitsunfalles sei ab April 2001 nicht mehr rentenberechtigend gewesen, weil sie nicht mehr den Grad von 20 v. H. erreicht habe. Insoweit folge das Gericht der Beurteilung des Beratungsarztes der Beklagten und des Gutachters Dr. Sp. , die gegenüber der Bewertung von Dr. W. / Dipl.-Med. B. überzeugender seien. Dr. Sp. habe eine seitengleiche Kniebeweglichkeit ohne Instabilität vorgefunden, den erho-benen Befund umfassender dargelegt und für geklagte Schmerzen Umstände geschildert, denen die erforderliche Wahrscheinlichkeit für einen wesentlichen ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis fehle.
Gegen das ihm am 16. Juli 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Eingangsdatum vom 13. August 2004 Berufung eingelegt. Er ist bei seinem Vorbringen geblieben.
Der Senat hat Befundberichte eingeholt, wegen deren Inhalt im Einzelnen auf Bl. 87 - 102, 108 und 111 - 125 d. A. Bezug genommen wird. Dipl.-Med. W. hat in seinem Befundbericht vom 1. März 2006 mitgeteilt, die Befunde hätten sich ab 1999, deutlicher ab 2001 gebessert. Zuletzt habe keine Bewegungseinschränkung gegenüber der gesunden Seite bestanden. Das rechte Kniegelenk sei im Umfang gegenüber dem linken um einen Zentimeter stärker gewesen. Beigefügt war ein Durchgangsarztbericht vom 5. September 2003 im Hinblick auf einen weiteren Unfall vom 26. August 2003. Dabei war die Kontur des Kniegelenks nicht verstrichen. Es bestand freie Beweglich-keit. Der Bandapparat war klinisch fest. Meniskuszeichen und Schubladenphänomen waren negativ. Dr. W. / Dipl.-Med. B. berichteten über eine letzte Behand-lung vom 2. April 1999.
Das Gericht hat auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Gutachten des Facharz-tes für Chirurgie Dr. M. , Leiter der Abteilung für Unfallchirurgie am Klinikum Sch. vom 9. April 2008 eingeholt, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 163 - 188 d. A. sowie wegen einer ergänzenden Stellungnahme vom 22. Oktober 2008 auf Bl. 199 - 201 d. A. Bezug genommen wird.
Der Sachverständige ist im Wesentlichen zu der Einschätzung gelangt, die Minderung der Erwerbsfähigkeit belaufe sich seit April 2001 auf Dauer auf 20 v. H ... Dazu hat er ausgeführt, das Knie sei in Ruhe um 15 Grad gegenüber der unverletzten Seite in der Beugung eingeschränkt. Der Unterschenkel befinde sich gegenüber dem Oberschen-kel in einer Fehlstellung nach vorn um etwa acht Millimeter. Die Instabilität in Form der Bewegungsmöglichkeit nach vorn belaufe sich auf insgesamt zehn Millimeter im Vergleich zur unverletzten Seite. Dort lasse sich das Knie um etwa sechs Millimeter in diese Richtung bewegen. Unter Belastung bestehe eine mangelnde Kraft und Ausdau-erleistung sowie eine Koordinationsstörung der Muskulatur des Beines. Das gestörte Roll-Gleitverhalten des Gelenkes führe dort zu Schmerzen. Nach Belastung bestehe ein Streckdefizit von zehn Grad und ein Beugedefizit von 30 Grad. Eine Knorpelverlet-zung (Chondromalazie) des Grades II der inneren Oberschenkelrolle sei bereits im Arthroskopiebericht vom 12. Juni 1998 erwähnt. Mit der Begutachtung durch Dr. W. stimme er überein. Dr. Sp. habe die Instabilität des Kniegelenkes wegen einer beschriebenen, wohl schmerzbedingten Gegenspannung nicht objektiviert und berücksichtigt. Die fehlende Muskelverschmächtigung sei gegenüber den konkre-ten Ergebnissen des Belastungstests nicht von erheblicher Bedeutung. Eine Randkan-tenausziehung der Innenkante der Kniescheibengelenkfläche habe er auf einer speziell zu diesem Zweck gefertigten Röntgenaufnahme nicht erkennen können. Vielmehr sei die Kniescheibengelenkfläche nicht krankhaft verändert. Die Einschätzung der Minde-rung der Erwerbsfähigkeit beruhe auf dem Standardwerk Schönberger/Mehr-tens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit. Der Kläger hatte dem Sachverständi-gen gegenüber angegeben, die Beschwerden seien in den letzten Jahren gleich geblieben. Er habe ständig Schmerzen, insbesondere auf der Innenseite des Kniege-lenkes. Die Intensität wäre unterschiedlich und wetterabhängig. Nach einer Ruhephase müsse er sich erst einlaufen. Die ersten Schritte wären dann unsicher. Manchmal würde das Knie wegsacken. Gelegentlich träten Instabilitäten auf, die zu mehrtägigen Beschwerden führten. Im Übrigen wäre die normale Belastung beim Gehen mit erträg-lichen Beschwerden verbunden. Eine Einschränkung der Gehstrecke gab der Kläger nicht an, er könne aber nicht mehr rennen. Behindert wären das Steigen von Treppen, Stehen auf Leitern oder Zwangshaltungen wie Knien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. Juni 2004 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 28. November 2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab April 2001 Verletztenrente auf unbe-stimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. zu zahlen. Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Gutachten des Sachverständigen Dr. M. grundsätzlich für überzeu-gend, schließt sich aber dessen Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht an. Es handele sich um eine muskulär kompensierte Restinstabilität des rechten Kniegelenkes, die in der gängigen Literatur mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. bewertet werde. Darin sei eine gewisse Ermüdung nach längerer Belas-tung, wie sie im Falle des Klägers durch das Gutachten von Dr. M. nachgewiesen worden sei, enthalten. Die muskuläre Kompensation ergebe sich aus der Möglichkeit des Klägers, durch Gegenspannung die Prüfung der Instabilität zu verhindern.
Die Akte der Beklagten über den Unfall – Az. 7/09417/98 - 3 – hat in der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Beru-fung hat Erfolg. Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtungsklage im Sinne von § 54 Abs. 1 SGG gegen die Entziehung der vorläufigen Entschädigung mit Ablauf des März 2001 und damit verbundene Ablehnung einer Rente auf unbestimmte Zeit. Gegenstand ist weiterhin die nach § 54 Abs. 4 SGG mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungs-klage auf Zahlung der Rente auf unbestimmte Zeit. Die Leistungsklage hat der Kläger im Wege einer nach § 99 Abs. 2 SGG zulässigen Klageänderung erhoben. Diese Klageänderung ist zulässig, weil die Beklagte sich auf den geänderten Antrag in der mündlichen Verhandlung ohne Rüge eingelassen hat. Sie ist darüber hinaus sachdien-lich, weil der Kläger nur so die Möglichkeit hat, seinen Rentenanspruch bis zum Zeit-punkt der letzten mündlichen Verhandlung klären zu lassen, soweit sein Standpunkt sich als richtig erweist. Für die gegenüber der ursprünglich nur anhängigen Anfechtungsklage zusätzlich erho-bene Leistungsklage hat der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BSG, Urt. v. 5.2.08 – B 2 U 6/07 R – zitiert nach Juris, Rdnr. 11). Zwar kann er schon mit der Anfechtungs-klage klären, ob ihm die Beklagte zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung die vorläufige Entschädigung entziehen durfte. Im Regelfall wird mit dem Ausspruch der Aufhebung gleichzeitig die Rechtsfolge des § 62 Abs. 2 S. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII – in der unveränderten Ausgangsfassung durch G. v. 7.8.1996, BGBl. I S. 1254) eintreten, wonach kraft Gesetzes die vorläufige Entschä-digung allein durch Zeitablauf zur Rente auf unbestimmte Zeit wird. Im Obsiegensfalle steht damit gleichwohl aber nur fest, dass die Voraussetzungen für die Entziehung zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (zum maßgeblichen Prüfungszeitpunkt bei der Anfechtungsklage z.B. BSG, Urt. v. 20.4.1993 – 2 RU 52/92 – SozR 3-1500 § 54 Nr. 18) nicht vorgelegen haben. Die Beklagte könnte zu jedem nachfolgenden Zeitpunkt, insoweit auch rückwirkend, im Rahmen der Möglichkeiten des § 48 SGB X die Rente erneut zu entziehen versuchen. Damit kann der Betroffene sich begnügen, muss es aber nicht. Der Bescheid der Beklagten vom 8. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 28. November 2001 beschwert den Kläger im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, soweit die Beklagte die vorläufige Entschädigung entzogen und die Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einem Grad der Minde-rung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. abgelehnt hat. Der Kläger hat gem. § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. – gem. § 62 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB VII auf unbestimmte Zeit – ab April 2001. Insoweit folgt das Gericht dem Gutachter Dr. W. und dem Sachverständigen Dr ... Grundlage für die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII der Umfang der sich aus der Be-einträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden ver-minderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft (BSG, Urt. v. 18.3.2003 – B 2 U 31/02 R – Breithaupt S. 565; Urt. v. 2.11.1999 – B 2 U 49/98 R – SozR 3-2200 § 581 Nr. 6). Diese sind für die Entscheidung im Einzelfall zwar nicht bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis. Danach ist die Einschätzung des Sachverständigen Dr. M. und der Gutachter Dr. W. / Dipl.-Med. B. überzeugend, wonach die Minderung der Erwerbsfähig-keit ab April 2001 weiterhin einen Grad von 20 v. H. erreicht. Denn im Falle einer verbleibenden Gangunsicherheit bei fehlender muskulärer Kompensation (Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., Abschn. 8.10.11, S. 724) bzw. – gleichbedeutend – eines muskulär nicht kompensierten Wackelknies (Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl., S. 169) beläuft sich der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach medizinischen Erfahrungssätzen auf 20 v. H ...
Ein solcher Zustand folgt bereits aus dem ersten Rentengutachten von Dipl.-Med. B ... Dieser hat dort ausgeführt, (nur) die Folgen des Kreuzbandrisses seien muskulär "einigermaßen" kompensiert, es bestehe daneben aber eine mediale Instabilität bei Innenmeniskusteilentfernung. Im zweiten Rentengutachten findet sich zwar nicht eine solche unmittelbare Darstellung gerade der muskulären Kompensation; es werden aber weitgehend gleiche Befunde bei einer nur um einen halben Zentimeter verbesser-ten Muskelminderung und einer Verbesserung der Beugefähigkeit um nur zehn Grad beschrieben. Dies lässt nicht den Schluss auf eine unterdessen erfolgte muskuläre Kompensation der medialen Instabilität zu, weil die mediale Gelenkarthrose, die Dipl.-Med. B. im ersten Rentengutachten mit der dortigen Instabilität in Ver-bindung gebracht hat, bereits zugenommen hat. Auch dem Gutachten von Dr. M. ist eine unzureichende muskuläre Kompensation im Hinblick auf den von ihm diagnostizierten "gestörten Roll-Gleitmechanismus" zu entnehmen. Dem entspricht die Beschwerde-schilderung des Klägers mit der Darstellung, er empfinde das Einlaufen als instabil, sein Knie sacke manchmal weg und er habe sich schon bei normalen Bewegungen das Kniegelenk mit der Folge mehrtägiger Schmerzen und Schwellungen verdreht.
Das Gutachten von Dr. Sp. bietet keine Grundlage für eine abweichende Bewertung. Zwar hat dieser aufgrund muskulärer Gegenspannung des Klägers keine Instabilität erheben können; dies spricht angesichts der anderweitigen Feststellungen aber nicht zwingend gegen deren Vorliegen. Zudem hat auch er das durchgehend und glaubhaft geschilderte Beschwerdebild des Klägers selbst für erklärungsbedürftig gehalten, ist dafür aber von einer letztlich nicht zutreffenden Vermutung ausgegangen. Denn Dr. M. hat seiner Erklärung der Beschwerden durch Randkantenauszie-hungen der Kniescheibe nach gezielter Befunderhebung ausdrücklich widersprochen und die Kniescheibe ausdrücklich für nicht krankhaft verändert erklärt. Dies hält das Gericht für nachvollziehbar.
Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich nicht schon aus dem Umstand, dass der Kläger bei der Untersuchung durch Dr. Sp. eine genauere Prüfung der Instabilität durch Gegenspannung verhindert hat, eine muskuläre Kompensation der Instabilität herleiten. Diese Schlussfolgerung zieht Dr. Sp. auch überhaupt nicht. Er führt allein aus, eine Kapsel-Bandlockerung (als Grundlage einer Instabilität) sei deshalb nicht objektivierbar. Es wäre aber als Grundlage seiner Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zwingend festzuhalten gewesen, wenn Art und Um-fang der muskulären Gegenspannung den Schluss der Beklagten zugelassen hätten. Auch Dr. M. bewertet die auch bei ihm aufgetretene schmerzbedingte Gegen-spannung nicht in diesem Sinne. Der Senat sieht auch keinen Zusammenhang zwischen dem Krafteinsatz bei einer schmerzbedingten Abwehrreaktion und demjeni-gen beim Gehen, der zum Ausgleich einer Gelenkinstabilität erforderlich ist.
Der Senat hält danach auch für erwiesen, dass zwischen der Begutachtung durch Dr. W. / Dipl.-Med. B. und durch Dr. M. zu keiner Zeit eine Veränderung mit Auswirkungen auf den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit eingetreten ist, wie Dr. M. auch selbst einschätzt. Dies lag bereits nach dem ersten Rentengut-achten von Dipl.-Med. B. nahe, der schon damals von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. auf Dauer ausgegangen ist. Die seither in die verschie-denen Gutachten aufgenommenen Beschwerdeäußerungen des Klägers und erhobe-nen Befunde unterscheiden sich nur in so geringem Maße, dass ein Unter-schied im Hinblick auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht erkennbar ist.
Die Rente war im Umkehrschluss aus § 62 Abs. 1 S. 1 SGB VII bereits vor Ablauf der Frist des § 62 Abs. 2 S. 1 SGB VII auf unbestimmte Zeit zu leisten, weil mit Ablauf des Monats März 2001 eine abschließende Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähig-keit möglich war. Das folgt schon aus dem ersten und zweiten Rentengutachten selbst.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen gem. § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG nicht vor.
gez. Eyrich gez. Dr. Ulrich gez. Boldt
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger von April 2001 an Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. zu zahlen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge und das Vorverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob Folgen eines Arbeitsunfalls über den März 2001 hinaus einen Anspruch auf eine Verletztenrente begründen. Der 1960 geborene Kläger erlitt am 9. Juni 1998 einen Arbeitsunfall, als er bei An-stricharbeiten auf einem Hochspannungsmast abrutschte und mit dem Knie auf den Windverband aufschlug. Die nachfolgende Arbeitsunfähigkeit dauerte bis zum 10. April 1999.
Der Orthopäde Dipl.-Med. B. , Oberarzt am Fachkrankenhaus für Rheumatologie und Orthopädie V. –G. , schätzte im ersten Rentengutachten vom 28. Dezember 1999 die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab Ende der Arbeitsunfähig-keit für dauernd mit 20 v. H. ein. Die Unfallfolge benannte er als Instabilität des rechten Kniegelenks bei Zustand nach vorderem Kreuzbandriss, der auch mit einer Kreuz-bandplastik nicht vollständig wieder hergestellt werden könne. Eine zusätzliche Instabilität bestehe durch eine nicht vollständige Entfernung des Innenmeniskushinter-horns mit Knorpelschaden am medialen Femurcondylus mit einer hier beginnenden Arthrose und Gelenkspaltverschmälerung. Der Kreuzbandriss werde muskulär eini-germaßen kompensiert. Als Befund fand sich ein diskretes Schonhinken rechtsseitig mit einer leichten Varusstellung des rechten Kniegelenkes von 10 Grad. Streckung und Beugung waren zwischen 0/5/120 Grad (links 0/0/140 Grad) möglich. Bei der Prüfung des vorderen Kreuzbandes waren das Lachmann- und das Schubladenzeichen mit un-ter fünf Millimeter im Seitenvergleich positiv. Die Meniskuszeichen waren angedeutet medial positiv, Steinmann I und Apley. Es fand sich eine leichte Kapselschwellung ohne Erguss und eine Muskelminderung des Oberschenkels um 1,5 cm. Die Narben-verhältnisse waren reizlos. Am mittleren Gelenkspalt und am Schienbeinkopf zeigte sich ein Druckschmerz. Die Beschwerden des Klägers bestanden in Schmerzen des rechten Kniegelenkes bei schnellerem Laufen, die zu einem hinkenden Gang führten. Beim Aufstehen nach längerem Sitzen bestehe ein plötzlicher Schmerz, unter dem er innen etwas zusammenknicke und ein Unsicherheitsgefühl habe. Längere Belastung führe zu wiederkehrenden Schwellungen. Längere kniende bzw. stark gebeugte Kniehaltung sei nicht möglich.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2000 erkannte die Rechtsvorgängerin der Beklagten (folgend einheitlich Beklagte) den Unfall vom 9. Juni 1998 als Arbeitsunfall an und bewilligte dem Kläger vom 11. April 1999 an als vorläufige Entschädigung eine Verletz-tenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H ... Als Folgen des Versicherungsfalls stellte sie fest: Bewegungseinschränkung sowie Instabilität des rechten Kniegelenkes, mediale Gelenkspaltverschmälerung um ein Drittel sowie Knorpelschaden am medialen Gelenkkopf des Oberschenkelknochens mit beginnender posttraumatischer Arthrose nach vorderem Kreuzbandabriss mit folgender Kreuzband-plastik und Innenmeniskushinterhornlängsriss mit erfolgter Resektion.
Im zweiten Rentengutachten vom 30. Januar 2001 schätzte der Orthopäde Dr. W. , Chefarzt an der gleichen Einrichtung, in Zusammenarbeit mit Dipl.-Med. B. die Minderung der Erwerbsfähigkeit weiterhin mit 20 v. H. ein. Als Unfallfol-gen führte der Gutachter jetzt auch einen schon 1999 vorhandenen teilweisen Riss der Kreuzbandplastik auf und beschrieb eine Zunahme der medialen Gelenkspaltver-schmälerung. Es fand sich weiterhin ein diskretes Schonhinken rechtsseitig. Streckung und Beugung waren jetzt mit 0/0/130 Grad möglich. Die Varusstellung wurde weiterhin mit 10 Grad gemessen. Die Muskelverminderung am Oberschenkel betrug noch einen Zentimeter. Als Beschwerden gab der Kläger ergänzend eine leichte Schwellung des Knies nach längerer Belastung an.
Nach Auswertung durch den beratenden Arzt hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 16. Februar 2001 zu der Absicht an, die bisherige Rente zu entziehen. Dagegen wandte sich der Kläger mit der Behauptung, seine gesundheitliche Situation habe sich seit dem Rentenantrag nicht geändert.
Mit Bescheid vom 8. März 2001 lehnte die Beklagte die Feststellung eines Anspruchs auf Rente für unbestimmte Zeit ab und entzog die bisherige Rente mit Ablauf des Monats März 2001. Sie führte aus, über die Rente auf unbestimmte Zeit habe sie gemäß § 62 Abs. 2 SGB VII ohne Nachweis einer Änderung allein nach dem gegen-wärtigen Zustand zu entscheiden. Als Unfallfolgen lägen nunmehr noch vor: Funktionell unbedeutende Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk, restliche minimale Muskelminderung im Bereich des rechten Oberschenkels sowie leichte Knorpelverän-derungen am Oberschenkelknorren rechts nach vorderem Kreuzbandriss rechts, Teil-riss der eingebrachten Kreuzbandplastik und Innenmeniskushinterhornriss.
Daraus ergebe sich keine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr.
Gegen den Bescheid legte der Kläger noch im gleichen Monat Widerspruch ein. Dabei verwies er auf die positiven Kreuzband- und Meniskuszeichen und die fortdauernden Beschwerden.
In einem weiteren Gutachten vom 12. September 2001 schätzte der Chirurg Dr. Sp. die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 10 v. H. ein. Der Gutachter benannte als Unfallfolgen eine verminderte Beweglichkeit der rechten Kniescheibe, positive Innen-meniskuszeichen, Narben, ein vermehrtes Bewegungsreiben im Kniegelenk und Röntgenveränderungen nach vorderer Kreuzbandplastik. Eine klinisch nachweisbare Kapselbandlockerung sei bei deutlicher Gegenspannung nicht objektivierbar. Eine Weichteilminderung bestehe nicht. Das Beschwerdebild erkläre sich möglicherweise aus einer Randkantenausziehung an der Innenkante der Gelenkfläche der rechten Kniescheibe, die erstmals auf Röntgenaufnahmen vom 12. Dezember 1999 dargestellt sei. Ob es sich dabei um eine Unfallfolge handele, könne mangels entsprechender, zeitnah zum Unfall gemachter Aufnahmen nicht beurteilt werden. Auch dem Bericht über die erste Kniegelenksspiegelung seien dazu keine Informationen zu entnehmen. Eine Beseitigung des Beschwerdebildes durch Abtragung der knöchernen Vorwölbung sei denkbar. Bei den sicheren Unfallfolgen handele es sich um einen Dauerzustand. Der Gutachter maß die Kniegelenksbeweglichkeit beidseits gleich und beschrieb raum-greifende Schritte ohne erkennbares Hinken. Der Hocksitz konnte bis zu einer Knie-beugung von ungefähr 100 Grad beiderseits ausgeführt werden. Als beschränkend wurde ein Spannungsgefühl im rechten Kniegelenk angegeben. Das Erheben aus der Hocke sei zügig ohne erkennbare Schwierigkeiten durchgeführt worden. Die Konturen der Kniegelenke seien unauffällig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2001 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Er stützte sich dabei insbesondere auf das Gutachten von Dr. Sp ... Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger auf dem Postwege übersandt.
Mit der am 29. Dezember 2001 beim Sozialgericht Magdeburg eingegangenen Klage hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, eine Untersuchung im Ruhezustand sei unzureichend. Die aktive Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes sei nach spätestens ein bis eineinhalb Stunden Bewegung stark eingeschränkt. Das Bein würde dann stark anschwellen. Morgens nach einer solchen Belastung sei das Bein wie gelähmt und knicke im Unterschenkel nach innen weg.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 30. Juni 2004 die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen der Folgen des Arbeitsunfalles sei ab April 2001 nicht mehr rentenberechtigend gewesen, weil sie nicht mehr den Grad von 20 v. H. erreicht habe. Insoweit folge das Gericht der Beurteilung des Beratungsarztes der Beklagten und des Gutachters Dr. Sp. , die gegenüber der Bewertung von Dr. W. / Dipl.-Med. B. überzeugender seien. Dr. Sp. habe eine seitengleiche Kniebeweglichkeit ohne Instabilität vorgefunden, den erho-benen Befund umfassender dargelegt und für geklagte Schmerzen Umstände geschildert, denen die erforderliche Wahrscheinlichkeit für einen wesentlichen ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis fehle.
Gegen das ihm am 16. Juli 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Eingangsdatum vom 13. August 2004 Berufung eingelegt. Er ist bei seinem Vorbringen geblieben.
Der Senat hat Befundberichte eingeholt, wegen deren Inhalt im Einzelnen auf Bl. 87 - 102, 108 und 111 - 125 d. A. Bezug genommen wird. Dipl.-Med. W. hat in seinem Befundbericht vom 1. März 2006 mitgeteilt, die Befunde hätten sich ab 1999, deutlicher ab 2001 gebessert. Zuletzt habe keine Bewegungseinschränkung gegenüber der gesunden Seite bestanden. Das rechte Kniegelenk sei im Umfang gegenüber dem linken um einen Zentimeter stärker gewesen. Beigefügt war ein Durchgangsarztbericht vom 5. September 2003 im Hinblick auf einen weiteren Unfall vom 26. August 2003. Dabei war die Kontur des Kniegelenks nicht verstrichen. Es bestand freie Beweglich-keit. Der Bandapparat war klinisch fest. Meniskuszeichen und Schubladenphänomen waren negativ. Dr. W. / Dipl.-Med. B. berichteten über eine letzte Behand-lung vom 2. April 1999.
Das Gericht hat auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Gutachten des Facharz-tes für Chirurgie Dr. M. , Leiter der Abteilung für Unfallchirurgie am Klinikum Sch. vom 9. April 2008 eingeholt, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Bl. 163 - 188 d. A. sowie wegen einer ergänzenden Stellungnahme vom 22. Oktober 2008 auf Bl. 199 - 201 d. A. Bezug genommen wird.
Der Sachverständige ist im Wesentlichen zu der Einschätzung gelangt, die Minderung der Erwerbsfähigkeit belaufe sich seit April 2001 auf Dauer auf 20 v. H ... Dazu hat er ausgeführt, das Knie sei in Ruhe um 15 Grad gegenüber der unverletzten Seite in der Beugung eingeschränkt. Der Unterschenkel befinde sich gegenüber dem Oberschen-kel in einer Fehlstellung nach vorn um etwa acht Millimeter. Die Instabilität in Form der Bewegungsmöglichkeit nach vorn belaufe sich auf insgesamt zehn Millimeter im Vergleich zur unverletzten Seite. Dort lasse sich das Knie um etwa sechs Millimeter in diese Richtung bewegen. Unter Belastung bestehe eine mangelnde Kraft und Ausdau-erleistung sowie eine Koordinationsstörung der Muskulatur des Beines. Das gestörte Roll-Gleitverhalten des Gelenkes führe dort zu Schmerzen. Nach Belastung bestehe ein Streckdefizit von zehn Grad und ein Beugedefizit von 30 Grad. Eine Knorpelverlet-zung (Chondromalazie) des Grades II der inneren Oberschenkelrolle sei bereits im Arthroskopiebericht vom 12. Juni 1998 erwähnt. Mit der Begutachtung durch Dr. W. stimme er überein. Dr. Sp. habe die Instabilität des Kniegelenkes wegen einer beschriebenen, wohl schmerzbedingten Gegenspannung nicht objektiviert und berücksichtigt. Die fehlende Muskelverschmächtigung sei gegenüber den konkre-ten Ergebnissen des Belastungstests nicht von erheblicher Bedeutung. Eine Randkan-tenausziehung der Innenkante der Kniescheibengelenkfläche habe er auf einer speziell zu diesem Zweck gefertigten Röntgenaufnahme nicht erkennen können. Vielmehr sei die Kniescheibengelenkfläche nicht krankhaft verändert. Die Einschätzung der Minde-rung der Erwerbsfähigkeit beruhe auf dem Standardwerk Schönberger/Mehr-tens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit. Der Kläger hatte dem Sachverständi-gen gegenüber angegeben, die Beschwerden seien in den letzten Jahren gleich geblieben. Er habe ständig Schmerzen, insbesondere auf der Innenseite des Kniege-lenkes. Die Intensität wäre unterschiedlich und wetterabhängig. Nach einer Ruhephase müsse er sich erst einlaufen. Die ersten Schritte wären dann unsicher. Manchmal würde das Knie wegsacken. Gelegentlich träten Instabilitäten auf, die zu mehrtägigen Beschwerden führten. Im Übrigen wäre die normale Belastung beim Gehen mit erträg-lichen Beschwerden verbunden. Eine Einschränkung der Gehstrecke gab der Kläger nicht an, er könne aber nicht mehr rennen. Behindert wären das Steigen von Treppen, Stehen auf Leitern oder Zwangshaltungen wie Knien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. Juni 2004 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 28. November 2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab April 2001 Verletztenrente auf unbe-stimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. zu zahlen. Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Gutachten des Sachverständigen Dr. M. grundsätzlich für überzeu-gend, schließt sich aber dessen Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht an. Es handele sich um eine muskulär kompensierte Restinstabilität des rechten Kniegelenkes, die in der gängigen Literatur mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. bewertet werde. Darin sei eine gewisse Ermüdung nach längerer Belas-tung, wie sie im Falle des Klägers durch das Gutachten von Dr. M. nachgewiesen worden sei, enthalten. Die muskuläre Kompensation ergebe sich aus der Möglichkeit des Klägers, durch Gegenspannung die Prüfung der Instabilität zu verhindern.
Die Akte der Beklagten über den Unfall – Az. 7/09417/98 - 3 – hat in der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Beru-fung hat Erfolg. Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtungsklage im Sinne von § 54 Abs. 1 SGG gegen die Entziehung der vorläufigen Entschädigung mit Ablauf des März 2001 und damit verbundene Ablehnung einer Rente auf unbestimmte Zeit. Gegenstand ist weiterhin die nach § 54 Abs. 4 SGG mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungs-klage auf Zahlung der Rente auf unbestimmte Zeit. Die Leistungsklage hat der Kläger im Wege einer nach § 99 Abs. 2 SGG zulässigen Klageänderung erhoben. Diese Klageänderung ist zulässig, weil die Beklagte sich auf den geänderten Antrag in der mündlichen Verhandlung ohne Rüge eingelassen hat. Sie ist darüber hinaus sachdien-lich, weil der Kläger nur so die Möglichkeit hat, seinen Rentenanspruch bis zum Zeit-punkt der letzten mündlichen Verhandlung klären zu lassen, soweit sein Standpunkt sich als richtig erweist. Für die gegenüber der ursprünglich nur anhängigen Anfechtungsklage zusätzlich erho-bene Leistungsklage hat der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BSG, Urt. v. 5.2.08 – B 2 U 6/07 R – zitiert nach Juris, Rdnr. 11). Zwar kann er schon mit der Anfechtungs-klage klären, ob ihm die Beklagte zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung die vorläufige Entschädigung entziehen durfte. Im Regelfall wird mit dem Ausspruch der Aufhebung gleichzeitig die Rechtsfolge des § 62 Abs. 2 S. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII – in der unveränderten Ausgangsfassung durch G. v. 7.8.1996, BGBl. I S. 1254) eintreten, wonach kraft Gesetzes die vorläufige Entschä-digung allein durch Zeitablauf zur Rente auf unbestimmte Zeit wird. Im Obsiegensfalle steht damit gleichwohl aber nur fest, dass die Voraussetzungen für die Entziehung zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (zum maßgeblichen Prüfungszeitpunkt bei der Anfechtungsklage z.B. BSG, Urt. v. 20.4.1993 – 2 RU 52/92 – SozR 3-1500 § 54 Nr. 18) nicht vorgelegen haben. Die Beklagte könnte zu jedem nachfolgenden Zeitpunkt, insoweit auch rückwirkend, im Rahmen der Möglichkeiten des § 48 SGB X die Rente erneut zu entziehen versuchen. Damit kann der Betroffene sich begnügen, muss es aber nicht. Der Bescheid der Beklagten vom 8. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 28. November 2001 beschwert den Kläger im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, soweit die Beklagte die vorläufige Entschädigung entzogen und die Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einem Grad der Minde-rung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. abgelehnt hat. Der Kläger hat gem. § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. – gem. § 62 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB VII auf unbestimmte Zeit – ab April 2001. Insoweit folgt das Gericht dem Gutachter Dr. W. und dem Sachverständigen Dr ... Grundlage für die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII der Umfang der sich aus der Be-einträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden ver-minderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft (BSG, Urt. v. 18.3.2003 – B 2 U 31/02 R – Breithaupt S. 565; Urt. v. 2.11.1999 – B 2 U 49/98 R – SozR 3-2200 § 581 Nr. 6). Diese sind für die Entscheidung im Einzelfall zwar nicht bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis. Danach ist die Einschätzung des Sachverständigen Dr. M. und der Gutachter Dr. W. / Dipl.-Med. B. überzeugend, wonach die Minderung der Erwerbsfähig-keit ab April 2001 weiterhin einen Grad von 20 v. H. erreicht. Denn im Falle einer verbleibenden Gangunsicherheit bei fehlender muskulärer Kompensation (Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., Abschn. 8.10.11, S. 724) bzw. – gleichbedeutend – eines muskulär nicht kompensierten Wackelknies (Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl., S. 169) beläuft sich der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach medizinischen Erfahrungssätzen auf 20 v. H ...
Ein solcher Zustand folgt bereits aus dem ersten Rentengutachten von Dipl.-Med. B ... Dieser hat dort ausgeführt, (nur) die Folgen des Kreuzbandrisses seien muskulär "einigermaßen" kompensiert, es bestehe daneben aber eine mediale Instabilität bei Innenmeniskusteilentfernung. Im zweiten Rentengutachten findet sich zwar nicht eine solche unmittelbare Darstellung gerade der muskulären Kompensation; es werden aber weitgehend gleiche Befunde bei einer nur um einen halben Zentimeter verbesser-ten Muskelminderung und einer Verbesserung der Beugefähigkeit um nur zehn Grad beschrieben. Dies lässt nicht den Schluss auf eine unterdessen erfolgte muskuläre Kompensation der medialen Instabilität zu, weil die mediale Gelenkarthrose, die Dipl.-Med. B. im ersten Rentengutachten mit der dortigen Instabilität in Ver-bindung gebracht hat, bereits zugenommen hat. Auch dem Gutachten von Dr. M. ist eine unzureichende muskuläre Kompensation im Hinblick auf den von ihm diagnostizierten "gestörten Roll-Gleitmechanismus" zu entnehmen. Dem entspricht die Beschwerde-schilderung des Klägers mit der Darstellung, er empfinde das Einlaufen als instabil, sein Knie sacke manchmal weg und er habe sich schon bei normalen Bewegungen das Kniegelenk mit der Folge mehrtägiger Schmerzen und Schwellungen verdreht.
Das Gutachten von Dr. Sp. bietet keine Grundlage für eine abweichende Bewertung. Zwar hat dieser aufgrund muskulärer Gegenspannung des Klägers keine Instabilität erheben können; dies spricht angesichts der anderweitigen Feststellungen aber nicht zwingend gegen deren Vorliegen. Zudem hat auch er das durchgehend und glaubhaft geschilderte Beschwerdebild des Klägers selbst für erklärungsbedürftig gehalten, ist dafür aber von einer letztlich nicht zutreffenden Vermutung ausgegangen. Denn Dr. M. hat seiner Erklärung der Beschwerden durch Randkantenauszie-hungen der Kniescheibe nach gezielter Befunderhebung ausdrücklich widersprochen und die Kniescheibe ausdrücklich für nicht krankhaft verändert erklärt. Dies hält das Gericht für nachvollziehbar.
Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich nicht schon aus dem Umstand, dass der Kläger bei der Untersuchung durch Dr. Sp. eine genauere Prüfung der Instabilität durch Gegenspannung verhindert hat, eine muskuläre Kompensation der Instabilität herleiten. Diese Schlussfolgerung zieht Dr. Sp. auch überhaupt nicht. Er führt allein aus, eine Kapsel-Bandlockerung (als Grundlage einer Instabilität) sei deshalb nicht objektivierbar. Es wäre aber als Grundlage seiner Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zwingend festzuhalten gewesen, wenn Art und Um-fang der muskulären Gegenspannung den Schluss der Beklagten zugelassen hätten. Auch Dr. M. bewertet die auch bei ihm aufgetretene schmerzbedingte Gegen-spannung nicht in diesem Sinne. Der Senat sieht auch keinen Zusammenhang zwischen dem Krafteinsatz bei einer schmerzbedingten Abwehrreaktion und demjeni-gen beim Gehen, der zum Ausgleich einer Gelenkinstabilität erforderlich ist.
Der Senat hält danach auch für erwiesen, dass zwischen der Begutachtung durch Dr. W. / Dipl.-Med. B. und durch Dr. M. zu keiner Zeit eine Veränderung mit Auswirkungen auf den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit eingetreten ist, wie Dr. M. auch selbst einschätzt. Dies lag bereits nach dem ersten Rentengut-achten von Dipl.-Med. B. nahe, der schon damals von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. auf Dauer ausgegangen ist. Die seither in die verschie-denen Gutachten aufgenommenen Beschwerdeäußerungen des Klägers und erhobe-nen Befunde unterscheiden sich nur in so geringem Maße, dass ein Unter-schied im Hinblick auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht erkennbar ist.
Die Rente war im Umkehrschluss aus § 62 Abs. 1 S. 1 SGB VII bereits vor Ablauf der Frist des § 62 Abs. 2 S. 1 SGB VII auf unbestimmte Zeit zu leisten, weil mit Ablauf des Monats März 2001 eine abschließende Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähig-keit möglich war. Das folgt schon aus dem ersten und zweiten Rentengutachten selbst.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen gem. § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG nicht vor.
gez. Eyrich gez. Dr. Ulrich gez. Boldt
Rechtskraft
Aus
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SAN
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