L 2 AL 118/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 9/7 AL 678/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AL 118/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ermessensausübung zur Höhe der Leistung nach § 217 SGB III
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Anspruchs des Klägers auf einen ihm für die Beschäftigung des Arbeitnehmers S. bewilligten Eingliederungszuschusses.

Der Kläger stellte am 7. Januar 2004 den Antrag auf Bewilligung eines Eingliederungszuschusses für ältere Arbeitnehmer. Es gab an, der am 1953 geborene Arbeitnehmer S. solle ab dem 16. Februar 2004 als Dipl.-Ing. im Tiefbau eingestellt werden. Nach dem Text des verwendeten Vordrucks war der Antrag auf Leistungen in Höhe von 50% des für die Bemessung berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts für die Dauer von 12 Monaten gerichtet. Nach dem mit dem Arbeitnehmer geschlossenen Anstellungsvertrag erfolgte die Einstellung als Dipl.-Ing. für Planung, Bauleitung und Vermessung im Bereich Tief-, Straßen-, Wasserbau und Vermessung. Im Zusammenhang mit der Antragstellung fertigte die sachbearbeitende Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter bei der Beklagten einen Vermerk mit der Einschätzung, aufgrund des Alters des Arbeitnehmers, des neuen Anforderungsprofils und der zu besetzenden Stelle sei ein Eingliederungszuschuss in der beantragten Höhe geboten. In einer internen Stellungnahme zu dem Antrag führte ein anderer Mitarbeiter der Beklagten aus, der Arbeitnehmer gehöre aufgrund des Alters und der fehlenden beruflichen Kenntnisse zum förderungsfähigen Personenkreis; aufgrund des Anforderungsprofils der zu besetzenden Stelle sei eine umfangreiche Einarbeitung erforderlich. Es werde vorgeschlagen, den Eingliederungszuschuss in Höhe von 30% des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts für die Dauer von 12 Monaten zu bewilligen.

Mit Bescheid vom 2. März 2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger den Eingliederungszuschuss in Höhe von 30% des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts für die Dauer von 12 Monaten mit 720,00 EUR monatlich. Hiergegen erhob der Kläger am 9. März 2004 Widerspruch mit der Begründung, er habe einen Zuschuss in Höhe von 50% des Arbeitsentgelts beantragt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2004 als unbegründet zurück und führte aus: Die Förderungsbedürftigkeit des Arbeitnehmers sei gegeben. Aufgrund der vorhandenen beruflichen Kenntnis als Dipl. Ing. im Bauwesen im Bereich Vermessung, Baugutachten und einer entsprechenden Erfahrung auf dem 1. Arbeitsmarkt werde die erkennbare Minderleistung auf dem zu besetzenden Arbeitsplatz aber mit einer Übernahme von 30% der Lohnkosten ausreichend ausgeglichen.

Der Kläger hat am 19. Oktober 2004 Klage beim Sozialgericht (SG) Dessau (jetzt Dessau-Roßlau) erhoben und zur Begründung ausgeführt: Er habe bei Antragstellung darauf hingewiesen, dass der Arbeitnehmer S. eine allgemein fundierte Ausbildung als Dipl.-Ing. und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Baustellenleitung habe, die aber artfremd zu dem geplanten Einsatz im Ingenieurbüro seien, wo eine Tätigkeit ausschließlich im planerischen Bereich unter Anwendung computergestützter Rechenprogramme sein solle. Er habe dann das von ihm verwendete Formblatt für den Antrag bekommen und die zuständige Mitarbeiterin habe mitgeteilt, dass die Voraussetzungen für eine Förderung mit 50% des Arbeitsentgelts für 12 Monate gegebenen seien. Ohne diese Zusage hätte er den Arbeitnehmer nicht eingestellt. Der Arbeitnehmer habe mit den planerischen Arbeiten, für die er eingestellt worden sei, zuvor noch nichts zu tun gehabt. Der eingestellte Arbeitnehmer arbeite mit dem CAD-System CADdy in der Version 17.0.

Auf Anforderung des SG hat der Arbeitnehmer S. einen Lebenslauf und Nachweise über seine beruflichen Qualifikationen übersandt. Danach hatte er im Jahre 1974 eine "höhere Fachausbildung" als Agraringenieur (Fachstudienrichtung Melioration) in G. abgeschlossen und danach als Ingenieur im Meliorationsbau und später als Bauingenieur auch in anderen Bereichen (Hausbau) gearbeitet. Von Dezember 1997 bis Januar 1999 hat er eine Weiterbildungsmaßnahme "Führungsorientiertes Projekt-Management für Hoch- und Fachschulsabsolventen" absolviert. Zum Inhalt gehört u. a. "Computer-Training". Von Februar 2002 bis zu dessen Schließung im Dezember 2003 war er im Ingenieurbüro R. in D. beschäftigt und dort im Wesentlichen mit der Überwachung von Tief- und Wasserbauprojekten beschäftigt. Nach dem ihm erteilten Arbeitszeugnis war der Arbeitnehmer "initiativreich und teamfähig ... und bereit, sich schnell in neue Aufgabenstellungen einzuarbeiten und rationelle Lösungsvarianten zu gestalten".

Das SG hat eine sachverständige Stellungnahme von Prof. Dr. S. vom Fachbereich Architektur und Bauingenieurswesen der Fachhochschule Anhalt in D. eingeholt. In der Stellungnahme vom 5. Januar 2006 hat Prof. Dr. S. ausgeführt: Er selbst habe vor zehn Jahren zum letzten Mal mit dem System CADdy gearbeitet. Die Version 17.0 bzw. 17.02 sei ihm nicht bekannt. Deshalb könne er nur eine sehr grobe Einschätzung zum Zeitaufwand für das Erlernen des Systems geben. Er gehe davon aus, dass ein Ingenieur nach 40 Übungs- und Lernstunden den Umgang mit dem System ausreichend beherrsche. In einer weiteren vom SG eingeholten fachkundigen Stellungnahme vom 20. März 2006 hat Dipl.-Ing. W. von Ingenieurbüro W. in. I. ausgeführt: Bei CADdy könne ein auf Windowsprogrammen ausgebildeter Operator ohne weiteres gewisse Einarbeitungsprobleme haben. Allerdings sollte ein Tiefbauingenieur nach ca. vier Wochen schon effizient mit dem Werkzeug umgehen können.

Das SG hat den Arbeitnehmer S. im Sitzungstermin am 3. August 2006 als Zeugen vernommen. Dieser hat ausgesagt: Das vollständige Programm CADdy beherrsche er bis heute noch nicht. Das Problem mit dem Programm sei, dass es viele Module habe. Er sei von dem Kläger unterwiesen worden und habe circa ein Jahr benötigt, um selbständig arbeiten zu können. Auch nach dem Jahr habe er immer wieder Nachfragen gehabt. Er sei jetzt wieder seit einem Jahr arbeitslos. Den Kläger kenne er aus der Zeit seiner Beschäftigung beim Ingenieurbüro R. , wo auch dieser beschäftigt gewesen sei. Als Herr R. die Firma geschlossen habe, habe der Kläger ihm mitgeteilt, seine eigene Firma aufmachen und ihn übernehmen zu wollen. Dabei sei klar gewesen, dass er nicht mehr die Bauüberwachung übernehmen, sondern voll in die Planung "einsteigen" solle. Mit CADdy habe er im Büro R. nicht gearbeitet. Die Übernahme beim Kläger habe sich dann zeitlich etwas verschoben.

Im Sitzungstermin am 14. September 2006 hat das SG die Mitarbeiterin der Beklagten S. als Zeugin gehört. Diese hat ausgesagt: Sie sei vor Ort im Ingenieurbüro R. gewesen. Es sei um die Arbeitnehmer gegangen, die vorher im Büro R. beschäftigt gewesen seien. In einem Gespräch am 8. Januar 2004 habe sie dem Kläger bezogen auf den Arbeitnehmer S. gesagt, dass "ein Eingliederungszuschuss in der Regel bis zu 50% möglich" sei; eine Förderung in dieser Höhe habe sie aber nicht konkret zugesagt.

Mit Urteil vom 14. September 2006 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen und in den Gründen ausgeführt: Die Beklagte habe bei der von ihr zu treffenden Prognoseentscheidung davon ausgehen können, dass ein Eingliederungszuschuss in Höhe von 30% die vorhandene Minderleistung beim einzustellenden Arbeitnehmer ausgleiche. Probleme bei dem Umgang mit einem neuen, unbekannten Programm seien nicht der Minderleistung geschuldet, sondern der projektspezifischen Arbeit. Die Einarbeitung in spezielle Detailprobleme begründe keinen Ausgleich einer Minderleistung. Eine verbindliche Zusage auf eine höhere Förderung sei nicht erfolgt; nach der Aussage der Zeugin S. auch keine mündliche Zusage.

Gegen das am 20. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. November 2006 Berufung eingelegt und vorgetragen: Der Arbeitnehmer S. sei erst nach umfangreicher, längerer Schulung in der Lage gewesen, den Anforderungen des Ingenieurbüros des Klägers zu entsprechen. Durch den Neueinstieg des Arbeitnehmers in die computergestützte Projektierung sei der Zeitaufwand für den Kläger immens hoch gewesen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 14. September 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 2. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag des Klägers vom 7. Januar 2004 neu unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, die Leistungsbewilligung sei ermessenfehlerfrei ergangen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG). Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das angefochtene Urteil und der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2004 sind rechtmäßig.

Es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gem. §§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 SGG in Form einer Bescheidungsklage auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den betreffenden Antrag. Eine Ermessenreduzierung auf Null kommt nicht in Betracht und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

Die Rechtsgrundlage für die Bewilligung von Eingliederungszuschüssen ergibt sich aus § 217 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III). Arbeitgeber können zur Eingliederung von Arbeitnehmern mit Vermittlungshemmnissen Zuschüsse zu den Arbeitsentgelten erhalten, wenn deren Vermittlung durch in ihrer Person liegende Umstände erschwert ist. Die Förderungshöhe und die Förderungsdauer richten sich nach dem Umfang einer Minderleistung des Arbeitnehmers und den jeweiligen Eingliederungserfordernissen. Nach § 218 Abs. 1 SGB III darf der Eingliederungszuschuss 50% des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts nicht übersteigen und längstens für eine Förderungsdauer von zwölf Monaten erbracht werden. Sowohl hinsichtlich dessen, ob überhaupt eine Förderung erfolgt, als auch bezogen auf die Förderungshöhe entscheidet somit die Beklagte unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben nach pflichtgemäßem Ermessen.

Die Ermessensentscheidung, die beantragte Leistung für die höchstmögliche Dauer von zwölf Monaten (nur) in Höhe von 30% des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts zu bewilligen, hält sich im Rahmen des der Verwaltung eingeräumten Ermessens auf der Rechtsfolgenseite (vgl. § 39 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil des Sozialgesetzbuches). Eine Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes, welcher im Ermessen der Behörde steht, ist gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das Gericht hat bei der Rechtskontrolle zu prüfen, ob die Verwaltung von dem richtigen Sachverhalt ausgegangen ist und alle wesentlichen Tatsachen ermittelt wurden.

Ermessensfehler liegen hier nicht vor. Die Beklagte hat erkannt, dass eine Ermessensentscheidung bezogen auf die Förderungsdauer und die Förderungshöhe zu treffen war. Sie hat sich bei ihren Ermessenserwägungen im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung gehalten. Das im Widerspruchsbescheid genannten Kriterium der erkennbaren Minderleistung in der geförderten Beschäftigung ist sachgerecht. Die konkret zu erwartende Minderleistung des Arbeitnehmers ist maßgeblich für die jeweiligen Eingliederungserfordernisse. Dabei ergibt sich aus der Natur der Sache, dass hier ein Einschätzung im Rahmen einer Prognoseentscheidung zu treffen war. Denn in welchen Umfang wirklich eine Minderleistung auftreten wird, lässt sich zu Beginn der Beschäftigung nicht mit Sicherheit bestimmen. Sinn der Förderung ist es auch nicht, dem Arbeitgeber das Risiko abzunehmen, einen Arbeitnehmer einzustellen, der sich für die zu besetzende Stelle weniger eignet als erhofft und bei dem sich der Erwerb erforderlicher Kenntnisse und Fertigkeiten wesentlich langsamer gestaltet, als es nach den Bewerbungsunterlagen und dem ersten Eindruck zu erwarten war. Hier war eine Minderleistung des geförderten Arbeitnehmers zu erwarten, weil er kein "gelernter" Bauingenieur war und sich zudem in einen für ihn neuen Aufgabenbereich, nämlich der EDV-gestützten Bauplanung, einarbeiten musste. Anderseits durfte die Beklagte berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer sich nach seinem beruflichen Werdegang schon vorher in ausbildungsfremde Tätigkeiten eingearbeitet hatte und auch von Februar 2002 bis Dezember 2003 schon als Tiefbauingenieur im Ingenieurbüro R. als Kollege des Klägers gearbeitete hatte. Seine dortige Haupttätigkeit, die Bauleitung bzw. Überwachung, war zumindest auch als Tätigkeitsbereich im vom Kläger eingereichten Einstellungsvertrag neben der Planung aufgeführt. Die vom Arbeitnehmer S. in der mündlichen Verhandlung vor dem SG geschilderten erheblichen Schwierigkeiten bei der EDV-gestützten Bauplanung, wonach er erst nach einem Jahr selbständig mit dem verwendeten Programm arbeiten konnte, brauchte die Beklagte in dieser Form nicht in ihre Prognoseentscheidung einstellen. Nach der sachkundigen Stellungnahme des mit dem verwendeten Programm CADdy vertrauten Ingenieurs W. ist davon auszugehen, dass bei einem Tiefbauingenieur das einschlägige Programm als "Werkzeug" der Bauplanung nach vier Wochen effizient genutzt werden kann. Dass dies beim geförderten Arbeitnehmer nach dessen Aussage weit länger dauerte, war so für die Beklagte nicht vorhersehbar. Auch in Hinblick darauf, dass der Beklagen bei der Einschätzung der Minderleistung ein Beurteilungsspielraum zukommt (vgl. Kruse in LPK-SGB III, § 217 Rdnr. 17) ist die Ermessensentscheidung nicht rechtsfehlerhaft.

Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, er habe den Arbeitnehmer S. nur im Vertrauen auf eine zugesagte Förderung in Höhe von 50% des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts eingestellt. Alleine dass diese Förderungshöhe so im Antragsformular genannt war, begründet noch keinen die Beklagte in ihrer Ermessensentscheidung bindenden Vertrauenstatbestand. Der Kläger hat auch nicht der Aussage der Zeugin S ... widersprochen, wonach diese im Zusammenhang mit der Antragstellung zwar (korrekterweise) gesagt hat, eine Förderung in Höhe von 50% des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts sei "möglich", aber keine Zusage auf eine bestimmte Förderungshöhe abgegeben hat. Insofern durfte der Kläger zwar auf eine Förderung in der beantragten Höhe hoffen, ein geschütztes Vertrauen lag aber nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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