L 6 U 149/05

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 11 U 71/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 149/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 2/09 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Bewilligung einer Rente als vorläufige Entschädigung erledigt sich durch die erstmalige Entscheidung und bleibt daher nach § 39 Abs. 2 SGB X nur bis zu dieser Entscheidung wirksam, ohne einer Aufhebung zu bedürfen. Dies gilt auch dann, wenn nicht nur der Vomhundertsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) neu festgesetzt, die Rente aber weitergezahlt wird, sondern die niedriger festgesetzte MdE zur Ablehnung der Rente auf unbestimmte Zeit führt, weil diese MdE keinen rentenberechtigenden Grad – gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII mindestens 20 vom Hundert – erreicht. Selbst wenn in dem Bescheid nicht nur die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit abgelehnt, sondern seinem Wortlaut nach auch die zuvor bewilligte Rente als vorläufige Entschädigung „entzogen“ wird, setzt die „Entziehung“ keine Aufhebung wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X voraus (a.A. BSG, Urteil vom 05.02.2008 – B 2 U 6/07 R, Rn. 19). Durch die „Entziehung“ wird nur das Ende der Gewährung der Rente als vorläufige Entschädigung festgesetzt.

2. Allein die Aufhebung des Verfügungssatzes, durch den in dem angefochtenen Bescheid die Weiterzahlung der bisherigen vorläufigen Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit abgelehnt worden ist, kann nicht die Folge haben, dass aufgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit weiterzuzahlen ist (insoweit a.A. BSG, Urteil vom 05.02.2008 – B 2 U 6/07 R, Rn. 11). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Verwaltungsakt, durch den der Versicherungsträger die Rente auf unbestimmte Zeit abgelehnt hat, formell rechtmäßig ist. Wenn nur fraglich ist, ob in dem streitgegenständlichen Zeitraum die MdE eine rentenberechtigende Höhe erreicht, muss eine Rente auf unbestimmte Zeit durch eine mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage erstritten werden.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Weitergewährung der ihr von der Beklagten wegen der Folgen eines am 26. Januar 2001 erlittenen Arbeitsunfalls gewährten Verletztenrente über den 30. November 2003 hinaus hat.

Die 1958 geborene Klägerin war am Unfalltag als Lehrerin beim G. -Sch.-G. in Z. beschäftigt. Während einer Klassenfahrt nach Tschechien ist sie am 26. Januar 2001 bei Glatteis vor dem Hotel ausgerutscht und auf das linke Handgelenk gefallen. Die orthopädische Primärversorgung mit Gips erfolgte in Tschechien. Am folgenden Tag stellte sie sich dem Durchgangsarzt Dr. H. , Chefarzt der Unfallchirurgie im G. –A. –K. Z. , vor. Ausweislich seines Berichts vom 27. Januar 2001 zog sie sich bei dem Unfall eine stark dislozierte Fraktur am distalen Radiusende (verschobener gelenksnaher Speichenbruch) mit Gelenkbeteiligung links sowie eine Mittelgesichtskontusion zu. Noch am selben Tag wurde die Fraktur mittels operativer Kirschnerdrahtosteosynthese im G. –A. –K. Z. stabilisiert.

Mit Schreiben vom 24. April 2001 berichtete Dr. H. , dass zunächst ein guter Bruchstand habe erreicht werden können. Nach der Operation seien keine Komplikationen aufgetreten. Am 19. März 2001 sei das Osteosynthesematerial planmäßig ambulant entfernt worden. Die letzten Röntgenaufnahmen hätten nach anfänglich sehr guter Bruchstellung jetzt doch eine Sinterung (Spontanverformung) im Bereich der Radiusfraktur gezeigt, so dass es zu einem leichten Ulnavorschub (Ulna = Elle) gekommen sei. Die Beweglichkeit im linken Handgelenk – gemessen nach der Neutral-Null-Methode – sei noch deutlich eingeschränkt (20/0/20 Grad), der Faustschluss sei frei. Die Außenrotation sei ebenfalls noch um etwa 70 Grad eingeschränkt. Voraussichtlich werde eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um fast 20 vom Hundert (vH) verbleiben.

Im Auftrag der Beklagten erstellte der Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Priv.-Doz. (PD) Dr. St. , Direktor der Klinik für Plastische und Handchirurgie der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken H. – B. – unter Mitarbeit der Oberärztin und Fachärztin für Chirurgie/Handchirurgie Dr. K. eine fachchirurgische Stellungnahme vom 29. Mai 2001 nach Untersuchung der Klägerin am 23. Mai 2001. Darin ist ausgeführt, die Funktion im Handgelenk, insbesondere bezüglich der Unterarmdrehung und der Bewegung im Handgelenk, sei nach in Fehlstellung verheilter distaler Radiusfraktur mit Abbruch des Processus styloideus ulnae (Griffelfortsatz am Ende der Elle) sehr schlecht. Es werde eine weiterer Handlungsbedarf gesehen, um längerfristig die Situation für die Klägerin zu bessern. Zunächst sei eine invasive Diagnostik in Form einer Handgelenksarthroskopie zu empfehlen. Die Schulter- und Ellenbogengelenke seien frei beweglich. Links sei die Einwärtsdrehung des Unterarmes hälftig eingeschränkt. Der Unterarm könne nicht auswärts gedreht werden. Auch die Beweglichkeit im linken Handgelenk sei nahezu hälftig eingeschränkt. Die Beweglichkeit des linken Handgelenkes habe handrückenwärts/hohlhandwärts 40/0/30 Grad (rechts: 60/0/70 Grad) sowie ellenwärts/speichenwärts 30/0/10 Grad (rechts: 50/0/20 Grad) betragen, die Unterarmdrehung 0/0/45 Grad (rechts: 90/0/90 Grad). Die MdE betrage derzeit nach freier Schätzung 30 vH.

Mit Arztbrief vom 19. Juni 2001 berichtete Dr. H. nochmals über die Behandlung der Klägerin. Danach habe sie angegeben, die in den Berufsgenossenschaftlichen K. H. (B. ) vorgeschlagene Operation nicht ausführen lassen zu wollen, da sie wenig Beschwerden habe und mit der Stellung des Handgelenkes zufrieden sei. Äußerlich sei keine Fehlstellung sichtbar. Deutlich eingeschränkt sei jedoch die Beweglichkeit des linken Handgelenks. Aus der Verletzung verbleibe – wie von PD Dr. St. / Dr. K. eingeschätzt – vorübergehend eine MdE von 30 vH.

Unter dem 16. August 2001 erstellte PD Dr. St. unter Mitarbeit des Oberarztes Dr. N. das Erste Rentengutachten. Bei der Untersuchung am 6. August 2001 wurden folgende Beweglichkeitswerte gemessen: Unterarmdrehung links 30/0/80 Grad, rechts 90/0/90 Grad, Handgelenk links handrückenwärts/hohlhandwärts 50/0/30 Grad, rechts 70/0/80 Grad sowie ellenwärts/speichenwärts links 25/0/10 Grad, rechts 29/0/20 Grad. Es habe sich eine Einschränkung in der Unterarmdrehung, insbesondere der Auswärtsdrehung gezeigt. Die Auswärtsdrehung links sei um 60 Grad gegenüber rechts gemindert, die Handwärtsdrehung um ca. 10 Grad, die Handgelenksbeweglichkeit handrückenwärts um 20 Grad und die hohlhandwärtige Bewegung um 50 Grad. Die ellen- / speichenwärtige Bewegung sei nahezu identisch. Der Umfang habe 10 cm unterhalb des äußeren Oberarmknorrens links 21 cm und rechts 22 cm betragen. Die Armlängen seien um 2 cm links gegenüber rechts vermindert. Letzteres hänge mit einer angeborenen Kyphoskoliose (Buckelbildung bei gleichzeitiger seitlicher Verkrümmung) und einem diskreten Schulterhochstand links zusammen. Die wesentlichen Unfallfolgen fasste PD Dr. St. wie folgt zusammen:

1. Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Handgelenkes im Vergleich zum rechten, insbesondere im Rahmen der Dorsal- (rückseitigen) und Palmarbewegungen (Palma = Handfläche) des Handgelenkes sowie in der mangelhaften Unterarmdrehfähigkeit links im Vergleich zu rechts. 2. Missempfindungen im Bereich der 1. Zwischenfingerfalte dorsal. 3. Radiologische Veränderungen im Handskelett und radiologisch erkennbare, in leichter Fehlstellung ausgeheilte distale Radiusfraktur. 4. Minderung der Kraft der linken Hand.

Die MdE betrage vom 26. März 2001 bis voraussichtlich auf unbestimmte Zeit 20 vH.

Mit Bescheid vom 2. November 2001 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 vH mit einem Rentenbeginn am 25. März 2001. Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte sie an: eine Bewegungseinschränkung des linken Handgelenkes, eine Einschränkung der Unterarmdrehfähigkeit nach außen, eine Minderung der Kraft der Hand, Missempfindungen im Bereich der ersten Zwischenfingerfalte, eine Kalksalzminderung des Handskelettes sowie röntgenologisch nachweisbare umformende Veränderungen im ehemaligen Bruchbereich.

In einem Nachschaubericht vom 3. April 2002 teilte Dr. H. mit, die Klägerin habe angegeben, mit der linken Hand nur wenig Beschwerden zu haben. Die Beweglichkeit im linken Handgelenk sei besser geworden. Sie wolle deshalb keine weiteren operativen Schritte vornehmen lassen. Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 30. April 2002 mit, dass eine weitere Begutachtung vorgesehen sei. Die Klägerin erklärte der Beklagten daraufhin telefonisch, eine Besserung sei nicht eingetreten, eher eine Verschlechterung. Schließlich untersuchte Dr. H. die Klägerin am 30. August 2002 erneut und stellte in seinem Bericht hierzu vom 2. September 2002 folgende Bewegungsmaße am linken Handgelenk und Unterarm fest: Extension/Flexion (handrücken-/hohlhandwärts) 50/0/35 Grad, ulnar/radial (ellen-/spei¬chen¬wärts) 20/0/25 Grad sowie Rotation (Unterarmdrehung) 30/0/90 Grad. Der Unterarmumfang habe links 22,0 cm und rechts 22,5 cm betragen. Die Beklagte veranlasste zunächst keine weitere Begutachtung.

Unter dem 19. August 2003 erstellte Dr. K. nach Untersuchung der Klägerin am 11. August 2003 das Zweite Rentengutachten, das durch eine weitere, unbekannte Person in Vertretung für PD Dr. St. unterschrieben ist. Darin ist ausgeführt, bei freier Unterarmdrehung rechts ergebe sich links eine über hälftige Einschränkung der Auswärtsdrehung des Unterarmes sowie eine endgradige Einschränkung der Einwärtsdrehung. Es bestehe eine erhebliche Einschränkung der Beweglichkeit im Handgelenk links, insbesondere handrückenwärts und hohlhandwärts. Rechts habe die handrückenwärtige und hohlhandwärtige Bewegung 60/0/75 Grad und links 40/0/25 Grad betragen, die ellenwärtige/speichenwärtige Abduktion rechts 45/0/20 Grad und links 30/0/15 Grad. Der Umfang habe 10 cm unterhalb des äußeren Oberarmknorrens links 22,5 cm und rechts 23 cm betragen. Die Untersuchung der Griffkraft am computerisierten Handmessplatz habe eine mäßige Einschränkung der maximalen Kraft der linken Hand ergeben. Im Gutachten sind die noch bestehenden Unfallfolgen wie folgt zusammen gefasst:

• Eingeschränkte Unterarmdrehung links, insbesondere hinsichtlich der Auswärtsdrehung; • erheblich eingeschränkte Beweglichkeit im linken Handgelenk; • Kraftminderung der linken Hand; • Narbenbildung radiocarpal am linken Handgelenk; • Sensibilitätsminderung im Versorgungsgebiet des sensiblen Radialis-astes; • radiologisch in Fehlstellung verheilte distale Radiusfraktur; • radiologisch beginnende Radiocarpalarthrose sowie degenerative Veränderungen radioulnar.

Die Erwerbsfähigkeit sei weiterhin um 20 vH herabgesetzt. Diese MdE sei auf Dauer anzunehmen.

In einem Aktenvermerk der Beklagten vom 1. Oktober 2003 wird gegen das Gutachten eingewendet, im Vergleich mit den MdE-Erfahrungswerten sei eine Bewertung der unfallbedingten Funktionseinschränkung bzw. -einbuße mit einer MdE um 20 vH nicht gerechtfertigt. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 14. Oktober 2003 ihre Absicht mit, die Rente zu entziehen, weil die auf Grund der ärztlichen Befunde festgestellten und im Anhörungsschreiben aufgezählten Folgen des Versicherungsfalls keine rentenberechtigende MdE mehr bedingten. Die Klägerin äußerte daraufhin am 16. Oktober 2003 telefonisch, sie sei mit der beabsichtigten Entscheidung nicht einverstanden. Sämtliche Gutachten belegten eine MdE um 20 vH. Unter dem 16. Oktober 2003 übersandte die Beklagte der Klägerin das Gutachten vom 19. August 2003. Mit einem weiteren Schreiben vom 21. Oktober 2003 informierte die Beklagte die Klägerin dahingehend, dass sie eine Klärung der Angelegenheit im Rahmen eines persönlichen Gesprächs mit PD Dr. St. beabsichtige. Anschließend werde die Bescheiderteilung vorgenommen. Unter dem 7. November 2003 erklärte PD Dr. St. nach einer Unterredung vom selben Tag mit der Mitarbeiterin der Beklagten Frau M. schriftlich, aus seiner Sicht sei eine Fehleinschätzung getroffen worden. Auf Grund der unterhalb einer Gesamtmenge von 50 Grad liegenden Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit und einer hälftigen Einschränkung der Unterarmdrehung im Bereich der Auswärtsdrehung sei eine MdE um 20 vH auch unter Berücksichtigung der Ausfälle im dorsalen Radialisast nicht berechtigt. Er schätze die MdE für die Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit auf 15 vH und revidiere damit das Gutachten vom 19. August 2003.

Mit Bescheid vom 18. November 2003 entzog die Beklagte die Rente als vorläufige Entschädigung mit Ablauf des 30. November 2002 (gemeint 30. November 2003, wie im Widerspruchsbescheid klargestellt wurde) und lehnte die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit ab. Zur Begründung führte sie aus, nach § 62 Abs. 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) sei spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Unfall die Rente auf unbestimmte Zeit festzustellen. Diese Feststellung setze eine Änderung der Verhältnisse nicht voraus. Die noch vorliegenden Unfallfolgen minderten die Erwerbsfähigkeit nicht mehr in rentenberechtigendem Grade. Zu diesem Ergebnis sei PD Dr. St. gekommen.

Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 1. Dezember 2003, bei der Beklagten spätestens am 3. Dezember 2003 eingegangen, Widerspruch und verwies zur Begründung auf das Zweite Rentengutachten vom 19. August 2003. Darin kämen die Fachärzte der Berufsgenossenschaftlichen K. B. im Ergebnis zu der Einschätzung, dass die Erwerbsfähigkeit weiterhin um 20 vH herabgesetzt und dies auf Dauer anzunehmen sei. Damit werde im Wesentlichen das bestätigt, was sich schon aus dem Ersten Rentengutachten vom 16. August 2001 ergebe. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb nunmehr die Rente entzogen werden solle. Bei dem Zweiten Rentengutachten habe es sich nicht um ein Gefälligkeitsgutachten gehandelt, sondern um ein unabhängiges Gutachten, das die tatsächlichen Funktionseinschränkungen dokumentiere.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Nach den MdE-Erfahrungswerten sei die MdE bei einem Speichenbruch mit Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit um insgesamt 40 Grad mit 10 vH und Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit um insgesamt 80 Grad mit 20 bis 30 vH zu bewerten. Die Einschränkung der Unterarmdrehfähigkeit sei zusätzlich mit einer Erhöhung der MdE zu berücksichtigen. Nach den medizinischen Erfahrungswerten sei jedoch in funktioneller Hinsicht die Auswärtsdrehung des Unterarmes im Ellenbogengelenk von geringer Bedeutung. Sei hingegen die Einwärtsdrehung deutlich eingeschränkt, wirke sich dieses auf zahlreiche Tätigkeiten des täglichen Lebens (Schneiden mit dem Messer, Schreiben, Feinmotorik usw.) in einem stärkeren Maße aus als dies bei der Einwärtsdrehung (gemeint wohl Auswärtsdrehung) der Fall sei.

Dagegen hat die Klägerin am 13. Mai 2004 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben. Sie sei mit der getroffenen Entscheidung der Beklagten und insbesondere mit der Verfahrensweise, in dem auf nochmaliges Nachfragen der Beklagten die begutachtenden Ärzte ihre eindeutige Entscheidung revidiert hätten, nicht einverstanden. Sie ist der Auffassung, dass insbesondere das Schreiben des PD Dr. St. vom 7. November 2003 als "Gefälligkeitsschreiben" zu betrachten sei. Es sei absolut nicht nachvollziehbar, dass seitens des Gutachters eine Fehleinschätzung im Rahmen des Gutachtens vom 19. August 2003 getroffen worden sei. Dies habe einer genaueren medizinischen Begründung bedurft. Im Übrigen habe ihr privater Unfallversicherer ebenfalls bei PD Dr. St. ein ärztliches Gutachten in freier Form in Auftrag gegeben. Aus diesem Gutachten ergebe sich, dass die linke Hand derzeit zu zwei Fünftel in ihrer Funktion beeinträchtigt und der Zustand als Dauerschaden zu werten sei.

Das Sozialgericht hat den Direktor der Klinik für Unfallchirurgie der O. -v. -G. -U. M. Prof. Dr. W. mit einem Gutachten nach Aktenlage beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 25. Juli 2005 ausgeführt, eine Muskelminderung im Bereich des Oberarmes links lasse sich nicht feststellen, lediglich im Unterarmbereich links finde sich eine geringgradige Muskelminderung. Diese Werte drückten aus, dass der linke Arm bei Rechtshändigkeit nicht geschont werde. Die am computerisierten Messplatz erhobenen Befunde fänden damit indirekt ihre Bestätigung und ließen die Einschätzung nur mäßiggradiger Krafteinbussen zu. Wesentlich sei bei der Unterarmdrehung die Einwärtsdrehung. Bei allen Tätigkeiten wie Schreiben am Computer, Gebrauch des Messers oder der Gabel werde eine gute Einwärtsdrehung benötigt. Die Einwärtsdrehung sei gegenüber rechts nur um 5 Grad vermindert. Funktionell nicht so wesentlich sei die Einschränkung der Auswärtsdrehung. Diese Einschätzung werde durch die empfohlenen MdE-Werte gestützt, denn bei Versteifung in Einwärtsdrehstellung betrage die MdE 20 vH, bei Versteifung in Auswärtsdrehstellung 40 vH. Die Beweglichkeit im Handgelenk links, insbesondere die hohlhandwärtige Bewegung betreffend, sei gegenüber rechts auf ein Drittel eingeschränkt. In diesem Fall sei schon von einer deutlicheren Einschränkung der Handgelenksbewegung auszugehen. Hierbei sei aber hauptsächlich die hohlhandwärtige Handgelenksbeweglichkeit betroffen. Die handrückenwärtige Beweglichkeit sei gegenüber rechts um ca. ein Drittel eingeschränkt. Nach den Erfahrungswerten werde eine Versteifung des Handgelenks in guter Stellung mit einer MdE von 25 vH bewertet. Eine gute Stellung drücke aus, dass eine handrückenwärtige Einsteifung vorgenommen worden sei, die ca. 20 Grad betrage. Für Störungen der Umwendebewegungen gelte das bereits Gesagte. Insgesamt ist Prof. Dr. W. zu der Einschätzung gelangt, dass die vorliegenden Funktionswerte des Handgelenks eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß nicht ergäben. Nach seiner Schätzung betrage die MdE 15 vH. Die Klägerin ist diesem Gutachten entgegen getreten und hat ein nochmaliges Sachverständigengutachten mit Untersuchung angeregt. Sie könne in Folge ihrer Beeinträchtigungen nicht einmal ordnungsgemäß die Gabel zum Mund führen.

Mit Urteil vom 12. Oktober 2005 hat das Sozialgericht Halle die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Gutachten von Prof. Dr. W. bezogen. Allerdings erscheine die Kritik der Klägerin am Verfahren zur Erstellung und Korrektur des Zweiten Rentengutachtens durchaus nachvollziehbar, da die Revidierung eines kurz zuvor erstellten Gutachtens auf Intervention des Auftraggebers zumindest einen unprofessionellen, wenig überzeugenden Eindruck vermitteln könne. Gleichwohl sei die Korrektur des Zweiten Rentengutachtens durch PD Dr. St. nicht aus fragwürdigen subjektiven Motiven erfolgt, sondern stehe in vollem Einklang mit den Tabellenwerten der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Klägerin hat am 20. Oktober 2005 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt gegen das ihr am 21. November 2005, einem Montag, zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Sie hat ausgeführt, das Sozialgericht habe im Hinblick auf den Verfahrensablauf einen Sachverständigen beauftragen müssen, der nicht nur ein Gutachten nach Aktenlage erstellt, sondern eine Untersuchung durchführt. Inwieweit der Sachverständige Prof. Dr. W. aufgrund der in den Akten ausgewiesenen Messwerte überhaupt in der Lage gewesen sei, eine Entscheidung über die MdE zu treffen, sei zweifelhaft.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr vom 1. Dezember 2003 an eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH auf unbestimmte Zeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend. Ergänzend hat sie ausgeführt, die Schätzung der MdE durch den Gutachter stelle nur eine Empfehlung ohne Bindungswirkung dar. Die Bewertung der MdE, also die Beurteilung der Auswirkungen der festgestellten Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit, sei eine Rechtsfrage.

Während des Berufungsverfahrens hat Dr. H. auf Anforderung der Beklagten ein Gutachten zur Nachprüfung der MdE erstattet, nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 13. Oktober 2005 bei der Beklagten eine Neufeststellung der MdE beantragt hatte. Diesen Antrag hatte sie mit einer Verschlechterung des Zustandes begründet: Im Handgelenk bestünden funktionelle Einschränkungen sowohl bei der Einwärts- als auch bei der Auswärtsdrehung. Weiterhin sei eine Schmerzzunahme zu verzeichnen. In seinem Gutachten vom 14. Dezember 2005 hat Dr. H. nach Untersuchung der Klägerin am 12. Dezember 2005 eine MdE in Höhe um 20 vH ermittelt und diese Einschätzung in seiner Auskunft vom 27. Juli 2006 auf Anfrage des Berichterstatters nochmals bestätigt. In seinem Gutachten hat er die noch bestehenden Unfallfolgen zusammengefasst: in mäßiger Dislokation verheilte distale Radiusfraktur mit relativem Ulnarvorschub, deutliche Einschränkung der Umwendebewegung des Unterarmes und Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk mit verminderter Belastbarkeit, Parese (Teillähmung bzw. Schwäche) des Nervus radialis superficialis im Handrückenbereich. Gegenüber dem Gutachten vom 19. August 2003 sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Der Einschätzung vom 7. November 2003 könne er sich nicht anschließen, da es sich hierbei offenbar um eine rein formale Bewertung nach formalen Gesichtspunkten handele und der aktuelle klinische Befund außer Acht gelassen worden sei. Bei der Untersuchung durch Dr. H. haben sich folgende Beweglichkeitsmaße ergeben: Unterarmdrehung auswärts/einwärts 30/0/90 Grad links sowie 80/0/90 Grad rechts, Handgelenke handrückenwärts/hohlhandwärts 40/0/25 Grad links sowie 70/0/60 Grad rechts und ellenwärts/speichenwärts 30/0/20 Grad links sowie 50/0/30 Grad rechts. Die Umfangmaße betrugen 10 cm unterhalb des äußeren Oberarmknorrens 22 cm links und 23 cm rechts. In seiner Stellungnahme vom 27. Juli 2006 hat Dr. H. ausgeführt, eine schlüssige gutachtliche Bewertung sei auf der Grundlage rechnerischer Experimente mit zahlenmäßigen Erfahrungswerten nicht zu erwarten. Er komme zu einer Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit von 95 Grad. Dieser Wert ergebe sich aus 65 Grad Einschränkung der Extension/Flexion (handrückenwärts/hohlhandwärts) zuzüglich 30 Grad Ulnar-/Radialabduktion (ellenwärts/speichenwärts), alles verglichen mit den Normalwerten auf der gesunden rechten Seite der Klägerin. Rechnerisch führe dieser Wert schon allein – ohne Berücksichtigung der erheblich eingeschränkten Unterarmdrehung – auf eine MdE von über 20 vH. Allerdings lehne er diese bloß rechnerische Begutachtung ohnehin ab. Auf Grund der Verletzungsfolgen schätze er die MdE weiterhin mit 20 vH ein. Dabei seien die in Dislokation verheilte distale Unterarmfraktur links mit Gelenkbeteiligung und die daraus resultierende Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks in allen Ebenen sowie die erhebliche Einschränkung der Unterarmdrehung links berücksichtigt. Aus der allseitigen Bewegungseinschränkung resultiere eine Verminderung der Muskelmasse am linken Unterarm. Des Weiteren bestehe eine Sensibilitätsstörung im Bereich des sensiblen Astes des Nervus radialis am linken Handrücken.

Die Klägerin sieht sich durch die Einschätzung des Dr. H. in ihrer Auffassung bestätigt. Dagegen meint die Beklagte, Dr. H. stehe mit seiner Ablehnung der Anwendung der Erfahrungswerte nicht im Konsens mit der allgemeinen Praxis und vor allem der Rechtsanwendung. Auch sei der vom Gutachter geführte Vergleich der Funktionswerte der verletzten Hand mit denen der unverletzten Hand unzulässig. Die der Klägerin verbliebenen Funktionswerte der verletzten Hand seien mit den Normwerten zu vergleichen, denn nur diese würden vom allgemeinen Arbeitsmarkt abgefragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen. Diese Akten haben bei der mündlichen Verhandlung sowie der anschließenden Beratung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die auch im Übrigen zulässige Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 SGG statthaft. Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH vom 1. Dezember 2003 an. Dem steht die Ablehnung einer durch diese Merkmale bestimmten Rente durch den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2004 entgegen. Die Klägerin hat auch für die Leistungsklage ein Rechtsschutzbedürfnis. Nach der Rechtsauffassung des Senats kann sie nämlich ihr Ziel der Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit nicht durch eine reine Anfechtungsklage erreichen.

Die Beklagte hat zwar in ihrem Bescheid vom 18. November 2003 auch das Ende der Zahlung einer Rente als vorläufige Entschädigung, die sie der Klägerin mit Bescheid vom 2. November 2001 bewilligt hatte, auf den 30. November 2003 festgesetzt. Allein durch die Aufhebung dieser – in dem Bescheid als "Entziehung einer Rente als vorläufige Entschädigung" bezeichneten – Regelung und der Ablehnung einer Weiterzahlung als Rente auf unbestimmte Zeit könnte die Klägerin aber nicht die Weiterzahlung als Rente auf unbestimmte Zeit erreichen. Eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 18. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2004 könnte nach § 39 Abs. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) nur zur Folge haben, dass der Bescheid vom 2. November 2001 über den 30. November 2003 wirksam geblieben ist. Dieser Bescheid ist aber nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB X mit dem Inhalt wirksam geworden, mit dem er bekannt gegeben worden war. Durch den Verfügungssatz des Bescheides vom 2. November 2001 war die Rente nicht auf unbestimmte Zeit, sondern nur als vorläufige Entschädigung bewilligt worden. Nur mit diesem Inhalt würde dieser Bescheid nach § 39 Abs. 2 SGB X infolge einer Aufhebung des Bescheids vom 18. November 2003 wirksam bleiben. Der Versicherungsträger ist zwar nach § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII verpflichtet, eine nur als vorläufige Entschädigung bewilligte Rente als Rente auf unbestimmte Zeit weiterzuzahlen, wenn er nicht bis zum Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall durch einen Verwaltungsakt entschieden hat, ob der Versicherte einen Anspruch auf diese Rente hat. Diese Verpflichtung ist aber nicht Inhalt des Verwaltungsakts, durch den der Versicherungsträger die Rente – nur – als vorläufige Entschädigung bewilligt hat, sondern die gesetzliche Rechtsfolge des § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII.

Auch eine Aufhebung des Verfügungssatzes, durch den in dem angefochtenen Bescheid die Weiterzahlung der bisherigen vorläufigen Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit abgelehnt worden ist, kann nach Auffassung des Senats nicht die Folge haben, dass aufgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit weiterzuzahlen ist (insoweit a.A. BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 6/07 R – juris Rn. 11). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Verwaltungsakt, durch den der Versicherungsträger die Rente auf unbestimmte Zeit abgelehnt hat, formell rechtmäßig ist. Denn dann ist § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach seinem Sinn und Zweck nicht mehr anwendbar. Wenn nur fraglich ist, ob in dem streitgegenständlichen Zeitraum die MdE eine rentenberechtigende Höhe erreicht, muss eine Rente auf unbestimmte Zeit durch eine mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage erstritten werden, wie sie die Klägerin auch erhoben hat.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente auf unbestimmte Zeit. Denn ihre Erwerbsfähigkeit ist in dem streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Dezember 2003 nicht, wie § 56 Abs. 1 SGB VII voraussetzt, infolge des Versicherungsfalls am 26. Januar 2001 um wenigstens 20 vH gemindert.

Der Ablehnung der Rente auf unbestimmte Zeit steht nicht entgegen, dass die Beklagte in dem Bescheid vom 2. November 2001 der Bewilligung einer Rente als vorläufige Entschädigung eine rentenberechtigende MdE um 20 vH zugrunde gelegt hatte, ohne dass es darauf ankommt, ob sich die Verhältnisse geändert haben. Denn sie hat in den angefochtenen Bescheiden erstmals nach der vorläufigen Entschädigung über eine Rente auf unbestimmte Zeit entschieden. Nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII kann der Vomhundertsatz der MdE bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben. Insoweit hat die Festsetzung einer Rente als vorläufige Entschädigung für die erstmalige Entscheidung über eine Rente nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII keine Bindungswirkung. Die Bewilligung einer Rente als vorläufige Entschädigung erledigt sich durch die erstmalige Entscheidung und bleibt daher nach § 39 Abs. 2 SGB X nur bis zu dieser Entscheidung wirksam, ohne einer Aufhebung zu bedürfen. Nach Auffassung des Senats gilt dies auch dann, wenn nicht nur der Vomhundertsatz der MdE neu festgesetzt, die Rente aber weitergezahlt wird, sondern die niedriger festgesetzte MdE zur Ablehnung der Rente auf unbestimmte Zeit führt, weil diese MdE keinen rentenberechtigenden Grad – gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII mindestens 20 vH – erreicht. Auch wenn in dem Bescheid – wie hier – nicht nur die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit abgelehnt, sondern seinem Wortlaut nach auch die zuvor bewilligte Rente als vorläufige Entschädigung "entzogen" wird, setzt die "Entziehung" keine Aufhebung wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X voraus (a.A. BSG, Urteil vom 5. Februar 2008, a.a.O., Rn. 19). Nach Auffassung des Senats hat die in den angefochtenen Bescheiden mitgeteilte "Entziehung" über die Festsetzung des Endes der Gewährung der vorläufigen Entschädigung hinaus keinen eigenen Regelungsgehalt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X.

§ 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII gilt seinem Wortlaut nach zwar nur "bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung". Die Bestimmung ist aber nach Auffassung des Senats dahin auszulegen, dass sie nicht nur im Falle einer Rentengewährung gilt. Gemeint ist die erstmalige Entscheidung über eine Rente auf unbestimmte Zeit, und zwar über das Ob und bejahendenfalls über die Höhe. Der Gesetzessystematik sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass der Unfallversicherungsträger z.B. bei einer vorläufigen Entschädigung auf der Grundlage einer MdE um 60 vH die Rente auf unbestimmte Zeit auch ohne wesentliche Änderung der Verhältnisse nach einer MdE um 50 vH feststellen darf, aber in dem praktisch bedeutsameren Fall einer vorläufigen Entschädigung auf der Grundlage einer MdE um 20 vH die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit nicht auch ohne wesentliche Änderung der Verhältnisse ablehnen darf, weil kein rentenberechtigender Grad erreicht wird. Hintergrund der Regelung ist, dass der Unfallversicherungsträger während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall eine Entscheidung über eine Rente als vorläufige Entschädigung treffen können soll, solange sich die Gesundheitsverhältnisse noch nicht stabilisiert oder konsolidiert haben, also wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Denn erfahrungsgemäß treten in der ersten Zeit nach einem Unfall Schwankungen im Heilverlauf ein. Insbesondere bei Folgen von Arbeitsunfällen spielt im weiteren Verlauf auch der Gesichtspunkt der Anpassung und der Gewöhnung eine Rolle. Könnte der Vomhundertsatz der MdE bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung dagegen nur dann abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, wenn sich die Verhältnisse geändert haben, würden die Unfallversicherungsträger sehr viel restriktiver bei der Gewährung von Renten als vorläufige Entschädigung sein, als dies bisher der Fall ist. Die Praxis zeigt, dass die MdE bei der vorläufigen Entschädigung häufig zugunsten der Versicherten höher festgestellt wird als die am Dauerzustand orientierten MdE-Erfahrungswerte (so auch Ricke in: Kasseler Kommentar, Band 2, § 62 SGB VII, Rn. 11; Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 62 Rn. 10).

Aus diesen Gründen ist bei der erstmaligen Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit – ohne Bindung an die zuvor bei der Rente als vorläufige Entschädigung zugrunde gelegte MdE – auf den Zustand der Folgen des Versicherungsfalls zum Zeitpunkt dieser Rentenfeststellung abzustellen. Auch ohne wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse kann somit die MdE grundsätzlich abweichend vom Bescheid über die vorläufige Rente festgesetzt werden (so schon Urteil des Senats vom 13. September 2007 – L 6 U 152/04 –; ebenso Kunze in: SGB VII, Lehr- und Praxiskommentar, § 62 Rn. 6; Benz in: Wannagat, SGB VII, § 62 Rn. 9; Kater in: Kater/Leube, SGB VII, § 62 Rn. 13; Burchardt in: Brackmann, Bd. 3/1, § 62 Rn. 17, Sacher in: Lauterbach, SGB VII, Band 3, § 62 Rn. 23; Ricke, a.a.O.; Kranig, a.a.O.). Demzufolge ist hier eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Hinblick auf die Untersuchung der Klägerin im August 2003 im Vergleich zu derjenigen Situation, die der vorläufigen Entschädigung zugrunde lag, nicht erforderlich. Deshalb ist unerheblich, ob sich die Verhältnisse während des Zeitraumes der Untersuchungen im Mai 2001 bis August 2003 wesentlich geändert haben. Im Übrigen ist dies nach Überzeugung des Senats aber auch nicht der Fall. Die Klägerin selbst hat in der mündlichen Verhandlung ebenfalls eingeschätzt, eine wesentliche Änderung sei nicht eingetreten.

Grundlage für die Bemessung der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung ist § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Nach dieser Vorschrift richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze (BSG, Urteil vom 18. März 2003 – B 2 U 31/02 R –, Breithaupt 2003, 565; Urteil vom 2. November 1999 – B 2 U 49/98 R –, SozR 3-2200 § 581 Nr. 6) trifft. Diese sind für die Entscheidung im Einzelfall zwar nicht bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis.

Im unfallversicherungsrechtlichen Schrifttum wird bezüglich der MdE bei Speichenbruch mit Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbewegungen um insgesamt 40 Grad ein Erfahrungswert um 10 vH genannt; bei einem Speichenbruch mit erheblicher Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbewegungen um insgesamt 80 Grad wird ein Erfahrungswert um 20 bis 30 vH veranschlagt. Bei einer Einschränkung auch der Unterarmdrehfähigkeit ist je nach deren Schwere die MdE höher zu bewerten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 622; Podzun/Nehls/Platz/Römer, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl. 2007, Gliederungs-Nr. 500, S. 37).

Vorliegend haben die Messungen der Handgelenksbeweglichkeit bei den für die Entscheidung über die erstmalige Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit ab Dezember 2003 maßgeblichen Untersuchungen im August 2003 und im Dezember 2005 maximal eine Abweichung von 40 Grad ergeben. Die Normalbeweglichkeit beträgt nach der Neutral-Null-Methode handrückenwärts / hohlhandwärts 35-60/0/50-60 Grad, ellenwärts / speichenwärts 25-30/0/30-40 Grad. Bei der Untersuchung durch Dr. K. am 11. August 2003 betrug die Abweichung der Handgelenksbeweglichkeit von den Normalwerten 40 Grad, bei derjenigen durch Dr. H. am 12. Dezember 2005 sogar nur 35 Grad. Daraus ergibt sich nach den Erfahrungswerten eine MdE um 10 vH. Allerdings ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass bei der Klägerin hauptsächlich die hohlhandwärtige Handgelenksbeweglichkeit betroffen ist. Diese betrug sowohl bei der Untersuchung am 11. August 2003 als auch am 12. Dezember 2005 25 Grad. Normal wären nach der Neutral-Null-Methode dagegen 50 bis 60 Grad. Die handrückenwärtige Beweglichkeit liegt dagegen mit 40 Grad an beiden Untersuchungstagen im Bereich der Normalbeweglichkeit (35 bis 60 Grad). Zu Recht hat Prof. Dr. W. in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die bei der Klägerin nicht so stark betroffene handrückenwärtige Beweglichkeit wesentlicher ist als die hohlhandwärtige.

Eine Höherbewertung der MdE um 10 vH aufgrund einer Einschränkung auch der Unterarmdrehfähigkeit scheidet im vorliegenden Fall aus. Nach der Literatur ist eine derartige Höherbewertung je nach Schwere der Einschränkung der Unterarmdrehfähigkeit in Betracht zu ziehen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine Einschränkung der Einwärtsdrehung der Unterarmdrehung beeinträchtigender wirkt als eine Einschränkung der Auswärtsdrehung. Zu Recht hat Prof. Dr. W. in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass bei Tätigkeiten des täglichen Lebens wie Schreiben am Computer sowie Gebrauch des Messers oder der Gabel eine gute Einwärtsdrehung benötigt wird. Dass die Einschränkung der Auswärtsdrehung funktionell nicht so wesentlich ist, verdeutlichen auch die in der Literatur vorgeschlagenen MdE-Werte bei einer – hier nicht in Rede stehenden – Versteifung. Bei einer solchen in Einwärtsdrehstellung wird eine MdE in Höhe um 20 vH vorgeschlagen, in Auswärtsdrehstellung dagegen um 40 vH (Podzun/Nehls/Platz/Römer, Der Unfallsachbearbeiter, a.a.O.). Bei der Klägerin ist aber gerade die – funktionell nicht so wesentliche – Auswärtsdrehung beeinträchtigt. Die Normalbeweglichkeit beträgt bei der Unterarmdrehung 80-90/0/80-90 Grad. Somit ist die Einwärtsdrehung links mit 85 Grad (11. August 2003) bzw. 90 Grad (12. Dezember 2005) sogar im Normbereich. Die Auswärtsdrehung ist dagegen gegenüber den Normalwerten deutlich eingeschränkt (40 Grad am 11. August 2003 bzw. 50 Grad am 12. Dezember 2005). Sie ist aber – wie dargestellt – funktionell nicht so wesentlich. Daher rechtfertigt diese Einschränkung nicht die Erhöhung der MdE um 10 vH.

Auch darüber hinaus besteht kein Grund, die MdE zu erhöhen. Die Kraftmessung am computerisierten Handmessplatz während der Untersuchung am 11. August 2003 hat im Grifftest nur eine mäßige Einschränkung der maximalen Griffkraft der linken Hand ergeben. Dementsprechend weisen die Umfangmaße 10 cm unterhalb des äußeren Oberarmknorrens – also im Unterarmbereich – nur geringe Abweichungen im Vergleich rechts / links auf. Bei der Untersuchung am 11. August 2003 sind rechts 23 cm und links 22,5 cm gemessen worden, am 12. Dezember 2005 rechts erneut 23 cm und links 22 cm. Diese geringgradige Muskelminderung drückt aus, dass die Klägerin – die Rechtshänderin ist – den linken Arm nicht schont. Das wird auch daran deutlich, dass die Umfangmaße 15 cm oberhalb des äußeren Oberarmknorrens – also im Oberarmbereich – sowohl am 11. August 2003 (29,5 cm) als auch am 12. Dezember 2005 (30 cm) rechts und links gleich waren.

Zu Recht hat Prof. Dr. W. in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass die Sensibilitätsminderung im Versorgungsbereich des oberflächlichen Speichennervens funktionell nicht wesentlich ist. Eine andere Beurteilung könnte sich allenfalls bei einer Lähmung oder Teillähmung ergeben. Zwar hat Dr. H. in seinem Gutachten vom 14. Dezember 2005 eine Parese (also Teillähmung oder Schwäche) erwähnt. Aber in seiner Stellungnahme vom 27. Juli 2006 hat er nur von einer Sensibilitätsstörung im Bereich des sensiblen Astes des Speichennervs berichtet. Auch in dem Gutachten der Berufsgenossenschaftlichen K. (B. ) vom 19. August 2003 ist nicht von einer Lähmung oder Teillähmung des Speichennervs die Rede gewesen. In diesem Gutachten ist ebenfalls (nur) eine Sensibilitätsminderung im Versorgungsgebiet des sensiblen Radialisastes als Unfallfolge bezeichnet worden. Zutreffend hat Prof. Dr. W. darüber hinaus erklärt, dass die – im Gutachten vom 19. August 2003 nachgewiesenen – umbauenden Veränderungen im ehemaligen Bruchbereich für die Höhe der MdE nicht ausschlaggebend sind. Denn die MdE bemisst sich nach dem Ausmaß der feststellbaren Funktionseinschränkungen.

Der Senat folgt dagegen nicht der Einschätzung von Dr. H ... Seine in der Auskunft vom 27. Juli 2006 geäußerte Auffassung, eine schlüssige gutachtliche Bewertung sei auf der Grundlage rechnerischer Experimente mit zahlenmäßigen Erfahrungswerten nicht zu erwarten, widerspricht der ständigen Rechtsprechung und der medizinischen Literatur. Die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung etablierten allgemeinen Erfahrungssätze – die selbstverständlich nicht wie Rechtsnormen binden – bilden gerade die Grundlage für eine gleiche und damit gerechte Bewertung der MdE. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, in begründeten Einzelfällen von diesen allgemeinen Erfahrungssätzen abzuweichen. Im vorliegenden Fall bieten sich jedoch keine Ansatzpunkte für eine derartige Abweichung. Im Übrigen ist die von Dr. H. errechnete Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit von 95 Grad so nicht haltbar. Denn er hat dieses Ergebnis durch einen Vergleich mit den Bewegungsmaßen der gesunden rechten Seite der Klägerin erzielt. Diese Werte können aber nicht der Vergleichsmaßstab sein. Abzustellen ist vielmehr auf die Normalbeweglichkeit nach der Neutral-Null-Methode. Letztlich erschöpft sich die Begründung Dr. H. für eine MdE um 20 vH in der Aufzählung der Unfallfolgen. Seine Einschätzung lässt daher eine tragfähige Grundlage vermissen.

Auch in dem Gutachten der Berufsgenossenschaftlichen K. B. vom 19. August 2003 ist eine MdE um 20 vH nicht schlüssig begründet. Denn die Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit der Klägerin bedingt nach den Erfahrungswerten maximal eine MdE um 10 vH (sh. oben). Dem Gutachten ist nicht zu entnehmen, warum die MdE um mindestens 10 vH zu erhöhen sein sollte. Abgesehen davon ist der Beweiswert dieses Gutachtens, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. den §§ 115 ff. Zivilprozessordnung) verwerten darf, aus verfahrensrechtlichen Gründen ohnehin eingeschränkt. Denn nicht der durch die Beklagte ausdrücklich beauftragte PD Dr. St. , sondern Dr. K. hat das Gutachten erstattet. Es ist lediglich durch eine weitere, unbekannte Person in Vertretung für PD Dr. St. unterschrieben. Deshalb hat die Beklagte zu Recht eine Stellungnahme des von ihr beauftragen PD Dr. St. eingeholt. Es unterliegt keinen Bedenken, dass dieser – wie später auch Prof. Dr. W. – seine Bewertung nach Aktenlage ohne eine erneute Untersuchung abgegeben hat. Denn die Beweglichkeitsmaße waren durch die bereits am 11. August 2003 erfolgte Untersuchung bekannt. Auf dieser Basis konnte die Einschätzung der MdE erfolgen, wobei die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung etablierten allgemeinen Erfahrungssätze – wie bereits ausgeführt – die Grundlage bilden. Insoweit handelt es sich um eine juristische Bewertung der bekannten Beweglichkeitsmaße. In der Sache hat PD Dr. St. die MdE-Bewertung in dem Gutachten vom 19. August 2003 zu Recht kritisiert, wobei offen bleiben kann, ob die MdE von ihm mit 15 vH überhaupt zutreffend eingeschätzt wurde. Denn eine rentenberechtigende MdE um 20 vH wird jedenfalls nicht erreicht.

Der angefochtene Bescheid ist auch formell rechtmäßig. Es kann dahinstehen, ob § 24 SGB X eine Anhörung gebietet, wenn eine Rente auf unbestimmte Zeit abgelehnt werden soll (so Ricke, a.a.O., Rn. 13), weil diese jedenfalls ordnungsgemäß vor der Erteilung des Bescheides vom 18. November 2003 erfolgt ist. Die Beklagte hat der Klägerin mit Schreiben vom 14. Oktober 2003 ihre Absicht mitgeteilt, die Rente zu entziehen, weil die auf Grund der ärztlichen Befunde festgestellten und im Anhörungsschreiben aufgezählten Folgen des Versicherungsfalls keine rentenberechtigende MdE mehr bedingten. Zudem hat sie der Klägerin unter dem 16. Oktober 2003 das Gutachten vom 19. August 2003 übersandt. Mit einem weiteren Schreiben vom 21. Oktober 2003 hat sie die Klägerin dahingehend informiert, dass sie eine Klärung der Angelegenheit im Rahmen eines persönlichen Gesprächs mit PD Dr. St. beabsichtige. Anschließend werde die Bescheiderteilung vorgenommen. Die Klägerin hat somit jedenfalls durch die Übersendung des ärztlichen Gutachtens vom 19. August 2003 Kenntnis von den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen gehabt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er den Fragen, ob ein Anspruch auf eine Rente auf unbestimmte Zeit nach "Entziehung" der vorläufigen Entschädigung nicht allein durch eine Anfechtungsklage, sondern nur in Verbindung mit einer Leistungsklage geltend gemacht werden kann und ob nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII auch die Ablehnung einer Rente auf unbestimmte Zeit wegen einer abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellten MdE keine Änderung der Verhältnisse voraussetzt, grundsätzliche Bedeutung zumisst.
Rechtskraft
Aus
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