Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 RJ 290/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 136/09 WA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wiederaufnahme bei neuer Urkunde und Anfechtung der Berufungsrücknahmeerklärung
Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 3 RJ 85/05 durch Rücknahme der Berufung erledigt ist. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 3 RJ 85/05, in dem der Kläger die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung verfolgt hat.
Der am ... 1950 geborene Kläger hat sich mit seiner am 16. September 2004 vor dem Sozialgericht Dessau erhobenen Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2004 gewandt, mit dem die Beklagte seinen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 26. Mai 2003 abgelehnt hatte.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Mai 2005 abgewiesen. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu. Er sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert und auch nicht berufsunfähig. Der Kläger sei gelernter Berufskraftfahrer und habe bis zum Jahr 1990 in diesem Beruf gearbeitet. Im Anschluss daran habe er bis Februar 1998 als Frischdienstverkäufer/ Auslieferungsfahrer für Brot und Backwaren bei einer Backwaren-Vertriebsgesellschaft gearbeitet. In seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Frischdienstverkäufer könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten. Diese Tätigkeit sei in Übereinstimmung mit den Feststellungen von Dr. P. in seinem für die Beklagte im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten vom 19. September 2003 als für den Kläger leidensgerecht anzusehen.
Gegen den ihm am 10. Mai 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit am 6. Juni 2005 bei dem Sozialgericht Dessau eingegangenen Schreiben Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) - L 3 RJ 85/05 - eingelegt. Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, seine Tätigkeit als Frischdienstverkäufer umfasse im Hinblick auf ihre qualitative Wertigkeit in vollem Umfang die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers. Da er über ein Facharbeiterzeugnis verfüge, sei die Dauer seiner Berufsausbildung nicht maßgebend. Bei einer zutreffenden tariflichen Zuordnung hätte seine letzte Tätigkeit höher, nämlich nach der Vergütungsgruppe G des Tarifvertrages für alle Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer und Auszubildenden der Brot- und Backwarenindustrie und Großbäckereien vom 19. September 1997, entlohnt werden müssen. Die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit eines Pförtners an der Nebenpforte sei ihm sozial und gesundheitlich nicht zumutbar.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 17. Dezember 2008 ist zunächst der Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert worden. Nach Unterbrechung der Sitzung ist eine Zusammenfassung der rechtlichen Hinweise der Vorsitzenden in der Sitzungsniederschrift aufgenommen worden:
"Die Vorsitzende weist darauf hin, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg bietet. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass er seine letzte Tätigkeit als Frischdienstverkäufer aus gesundheitlichen Gründen seit Rentenantragstellung nicht mehr verrichten kann und von einem Berufsschutz als oberer Angelernter ausgeht, dürfte nach den medizinischen Befunden jedenfalls als eine gesundheitlich zumutbare Verweisungstätigkeit die des Pförtners an der Nebenpforte bestehen. Ein Berufsschutz als Facharbeiter kommt keinesfalls in Betracht, da der Kläger insoweit keine dreijährige Ausbildung nach der ab 2001 geltenden Ausbildungsverordnung abgeschlossen hat. Auch hat er zuletzt eine Mischtätigkeit mit ungelernten Arbeiten verrichtet."
Die Klägerbevollmächtigte hat daraufhin folgende Erklärung abgegeben und diese nach dem Vorlesen durch die Protokollführerin genehmigt: "Aufgrund dieses Hinweises nehme ich im Einvernehmen mit dem Kläger die Berufung zurück."
Eine Abschrift der Sitzungsniederschrift ist dem Kläger am 29. Dezember 2008 zugestellt worden.
Am 4. März 2009 ist bei dem LSG die Fotokopie eines Merkblatts der Industrie- und Handelskammer (IHK) H.-D. "Regelung über die Gleichstellung von Facharbeiter- und Meisterzeugnissen" eingegangen, das mit dem Namen des Klägers und dem Aktenzeichen L 3 RJ 85/05 überschrieben sowie dem handschriftlichen Zusatz "Beantrage Überprüfung sowie Neuaufnahme des Verfahrens" unter dem fotokopierten Text versehen ist. Mit am 24. März 2009 bei dem Senat eingegangenem Schriftsatz vom 22. März 2009 hat der Kläger (selbst) ausgeführt, nach Rücksprache mit seinem Anwalt sowie der IHK B. stehe fest, dass sein Facharbeiterzeugnis volle Wertigkeit habe und er somit kein oberer Angelernter, sondern ein außerordentlicher Facharbeiter sei. Die Rücknahme der Berufung sei auf Grund ausdrücklicher Anweisung der Vorsitzenden erfolgt. Daraus ergebe sich eine die Anfechtung der Erklärung über die Rücknahme der Berufung rechtfertigende Drohung und Nötigung, da ihm die fehlende Erfolgsaussicht in der Sache mitgeteilt worden sei. Da aber nun andere Umstände aufgetreten seien, verlange er die sofortige Neuaufnahme des Verfahrens binnen vierzehn Tagen.
Der Senat hat mit Schreiben vom 18. März 2009 bei der Bevollmächtigten des Klägers angefragt, ob sie – die rechtswirksam die Berufungsrücknahme erklärt habe – ebenfalls behaupte, durch Drohung oder Nötigung zu dieser Erklärung veranlasst worden zu sein. Die in der mündlichen Verhandlung am 17. Dezember 2008 für den Kläger aufgetretene Rechtssekretärin der Bevollmächtigten des Klägers hat dem Senat mit Schriftsatz vom 31. März 2009 mitgeteilt, sie habe die streitige Prozesshandlung der Berufungsrücknahme rechtswirksam abgegeben und behaupte nicht, durch Drohung und Nötigung hierzu veranlasst worden zu sein. Eine Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens werde von ihr nicht beantragt.
Der Kläger (selbst) hat mit den Schriftsätzen vom 3. und 22. April 2009 im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 22. März 2009 wiederholt und ergänzend auf einen Bescheid der IHK H.-D. vom 2. April 2009 über die Gleichstellung seines Prüfungszeugnisses "Berufskraftfahrer" mit dem bundesdeutschen Berufsabschluss zum Berufskraftfahrer sowie einen Ausdruck von Hinweisen zur Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit in einem Internet-Auftritt eines Rentenversicherungsträgers Bezug genommen. Soweit eine Rücknahme [gemeint ist: eine Rücknahme der Berufungsrücknahmeerklärung] seitens seiner Prozessbevollmächtigten nicht erfolge, entziehe er ihr die Vertretung, übernehme das Mandat selbst bzw. mandatiere einen Rechtsanwalt seiner Wahl.
Der Kläger beantragt,
das Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 3 RJ 85/05 fortzusetzen, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau vom 4. Mai 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juni 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass das Berufungsverfahren L 3 RJ 85/05 durch die Rücknahme der Berufung erledigt ist, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und meint, dass das Berufungsverfahren hier auf Grund der Berufungsrücknahmeerklärung nicht fortgesetzt werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die Gerichtsakten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat in einer von der mündlichen Verhandlung des Senats am 17. Dezember 2008 abweichenden Besetzung entscheiden können, da dem Gesetz diesbezüglich keine besonderen Vorgaben zu entnehmen sind (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 30. Januar 1976 - 9 RV 98/75 - SozR 1500 § 101 Nr. 4).
Die Voraussetzungen einer Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 3 RJ 85/05 liegen nicht vor.
Ist die Beendigung des Rechtsstreits durch eine Prozesshandlung widerrufen worden, weil deren Wirksamkeit nachträglich in Frage gestellt wird, hat das Gericht auf Antrag das Verfahren, in dem die betreffende Erklärung abgegeben worden ist, fortzusetzen und das Verfahren mit einem Urteil abzuschließen, in dem es eine Sachentscheidung trifft oder feststellt, dass der Rechtsstreit erledigt ist.
Hier hat der Kläger zum einen die Erklärung der Berufungsrücknahme widerrufen, da er hierzu durch Drohung bzw. Nötigung der Vorsitzenden veranlasst worden sei. Zum anderen hat er behauptet, aus der von ihm nunmehr vorgelegten Bescheinigung der IHK ergebe sich ein neuer Sachverhalt, der zur Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens führen müsse.
Nach § 179 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung (ZPO) wieder aufgenommen werden. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 179 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 578 ff. ZPO ist hier nicht zulässig. Die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens durch eine Nichtigkeits- oder eines Restitutionsklage ist nach § 578 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur statthaft, wenn das Verfahren durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossen wurde (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juli 1968 - 10 RV 135/66 - NJW 1968, 2396, 2397). Der Senat hat in der vorliegenden Rechtssache nicht durch Urteil entschieden.
Die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 179 Abs. 2 SGG liegen offensichtlich nicht vor. Eine Wiederaufnahme nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat. Dafür ist hier nichts erkennbar.
Einer Fortsetzung des Berufungsverfahrens und damit einer inhaltlichen Überprüfung des angefochtenen Bescheides der Beklagten steht hier damit die Rücknahme des Rechtsmittels entgegen. Die Klage ist unzulässig geworden, weil die Grundlage einer Entscheidung über den erhobenen Anspruch (§ 123 SGG) hierdurch entfallen ist.
Der Kläger kann sich nicht auf eine Unwirksamkeit der Erklärung über die Berufungsrücknahme berufen. Handlungen, die unmittelbar die Einleitung, Führung oder Beendigung eines Prozesses betreffen, sind bedingungsfeindlich und nicht nach Maßgabe der §§ 119 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anfechtbar (h.M.: vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Beschl. v. 15. Februar 1954 - IV ZB 1/54 - BGHZ 12, 284, 285; BSG, Urteil vom 29. März 1961 - 2 RU 204/56 - BSGE 14, 138, 141; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 7. August 1998 - 4 B 75/98 - NVwZ-RR 1999, 407, 408; BSG, Beschluss vom 19. März 2002 - B 9 V 75/01 B - juris; BSG, Beschluss vom 24. April 2003 - B 11 AL 33/03 B - juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH), Beschluss vom 17. März 2009 - 3 ZB 07.2220 - juris). Die zur Niederschrift des Gerichts erklärte, laut vorgelesene und genehmigte Berufungsrücknahme des Klägers ist eine Prozesshandlung in diesem Sinne.
Eine Prozesserklärung kann nur widerrufen werden, wenn ein Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO vorliegt oder wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 1991 – III ZB 1/91 – NJW 1991, 2839; BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998 - 4 B 75/98 - NVwZ-RR 1999, 407; Bayerischer VGH, Beschluss vom 17. März 2009 - 3 ZB 07.2220 – juris; offen gelassen in BSG, Urteil vom 29. März 1961, a.a.O.). Die analoge Anwendung der Restitutionsgründe auf diese Konstellation begründet sich damit, dass der Rechtssuchende durch die Erledigung des Verfahrens durch eine Prozesshandlung nicht schlechter gestellt werden soll, als er im Fall einer Beendigung des Verfahrens durch ein rechtskräftiges Urteil gestanden hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 15. Februar 1954, a.a.O.; BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998, a.a.O.).
Einer Restitutionsklage wegen der in § 580 Nr. 1 bis 5 ZPO genannten Gründe steht die Regelung in § 581 Abs. 1 ZPO entgegen, die den Anwendungsbereich hier auf die Fälle beschränkt, in denen wegen einer Straftat eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht erfolgen kann.
Auch einen Restitutionsgrund im Sinne des § 580 Nr. 6 bis 8 ZPO hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 580 Nr. 6 ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist. Nach § 580 Nr. 8 ZPO kann sich auch aus der Feststellung einer Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Restitutionsgrund ergeben. Für beide Tatbestände liegen hier keine Anhaltspunkte vor.
Nach § 580 Nr. 7 ZPO ergibt sich ein Restitutionsgrund auch dann, wenn die Partei ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstige Entscheidung herbeigeführt haben würde.
Weder das Merkblatt der IHK H.-D. "Regelung über die Gleichstellung von Facharbeiter- und Meisterzeugnissen" noch der Ausdruck aus dem Internet-Auftritt des Rentenversicherungsträgers haben Urkundenqualität in diesem Sinne. Urkunden sind verkörperte Gedankenerklärungen, die geeignet sind, Beweis für streitiges Parteivorbringen zu ergeben (vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, vor § 415 Rn. 2). Irgendein Beweiswert kommt den vorgenannten rechtlichen Hinweisen nicht zu.
Bezüglich des Bescheides der IHK H.-D. vom 2. April 2009 über die Gleichstellung des Prüfungszeugnisses des Klägers für seine Ausbildung als Berufskraftfahrer mit einem bundesdeutschen Berufsabschluss fehlt es an einer Urkunde, die einen bereits bei Abgabe der Prozesserklärung vorliegenden Sachverhalt betrifft. Ein Restitutionsgrund kann nur auf eine Urkunde gestützt werden, die zu einem Zeitpunkt erstellt wurde, in dem noch vor dem Gericht hätte vorgetragen werden können, wenn der Beteiligte Zugriff auf die (bereits vorhandene) Urkunde gehabt hätte. Der Gleichstellungsbescheid ist hier aber nach der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2008 erlassen worden.
Im Übrigen entfaltet der Gleichstellungsbescheid hier auch materiell keine Rechtswirkungen für die Vergangenheit. Selbst wenn der Bescheid der IHK vor mündlichen Verhandlung des Senats erlassen worden wäre, hätte dies keine für den Kläger günstigere Entscheidung des Senats herbeiführen können. Denn der Senat hat - wie es der Zusammenfassung der rechtlichen Hinweise in der Sitzungsniederschrift vom 17. Dezember 2008 zu entnehmen ist - die Tätigkeit als Frischdienstverkäufer als "bisherigen Beruf" des Klägers gemäß § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) angesehen. Dieser erfüllt weder im Hinblick auf die Ausbildungsdauer noch auf die tarifliche Eingruppierung die Voraussetzungen, einen Berufsschutz des Klägers als Facharbeiter zu begründen. Dabei ist maßgebend die tatsächlich erfolgte tarifliche Eingruppierung. Ob der Kläger Anspruch auf eine höhere Eingruppierung gehabt hätte, wie er behauptet, kann dahinstehen. Selbst wenn auf eine Tätigkeit des Klägers als Berufskraftfahrer abzustellen gewesen wäre, könnte allein aus der Gleichstellung seines Prüfungszeugnisses durch die IHK kein Berufsschutz als Facharbeiter abgeleitet werden. Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 2 des Einigungsvertrages (Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands, ausgefertigt am 31. August 1990 (BGBl. II S. 889), zuletzt angepasst durch Art. 12 des Gesetzes vom 30. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2130) i.V.m. Art. 6 Nr. 5 des Gesetzes vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2940)) stehen im Beitrittsgebiet und den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland abgelegte Prüfungen oder erworbene Befähigungsnachweise einander gleich, wenn sie gleichwertig sind. Die Feststellung durch die zuständige Stelle nach Art. 37 Abs. 1 Satz 3 Einigungsvertrag, die für das Facharbeiterzeugnis des Klägers erfolgt ist, erstreckt sich (nur) auf die Feststellung dieser Gleichwertigkeit. Die im Kapitel VIII des Einigungsvertrages (Kultur, Bildung, Wissenschaft, Sport) geregelte Gleichstellung hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Anwendung der Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Abschluss einer Facharbeiterprüfung ist für sich genommen für die Zuordnung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu einer Stufe des Mehrstufenschemas im Sinne der Rechtsprechung nicht maßgebend. Vielmehr ist allein auf die Qualität der verrichteten Tätigkeit, die den "bisherigen Beruf" im oben genannten Sinne darstellt, abzustellen (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, § 240 SGB VI RdNr. 43). Da der Kläger nicht geltend gemacht hat, sich von seiner bis zum 14. Dezember 1990 ausgeübten Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen gelöst zu haben, kommt es ausschließlich darauf an, welche Wertigkeit seine (letzte) Tätigkeit als Frischdienstverkäufer hatte. Diese Tätigkeit war weder im Hinblick auf die erforderliche Ausbildung noch ihre tarifliche Einstufung eine Facharbeitertätigkeit im Sinne des Mehrstufenschemas des BSG. Der Senat hat dem Kläger hierzu seine Rechtsauffassung, an der festgehalten wird, erläutert.
Es kann damit offen bleiben, ob der Kläger mit seinem dem Senat am 4. März 2009 ohne Unterschrift übersandten Merkblatt der IHK H.-D. einen Restitutionsgrund fristgerecht, d.h. innerhalb eines Monats nach Kenntnis der ihn seiner Ansicht nach zum Widerruf der Berufungsrücknahme berechtigenden Tatsachen, geltend gemacht hat (vgl. zur maßgebenden Frist aus § 586 Abs. 1 und 2 ZPO auch im Fall des Widerrufs einer Rechtsmittelrücknahme: BGH, Beschluss vom 8. Juli 1960 - IV ZB 201/60 – BGHZ 33, 73, 75).
Die Voraussetzungen des Widerrufs der Rücknahme der Berufung wegen einer Verletzung von Treu und Glauben liegen ebenfalls nicht vor.
In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Betroffene durch eine richterliche Belehrung oder Empfehlung zu einer bestimmten prozessualen Erklärung bewogen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 1980 – IVb ZR 592/80, NJW 1981, 576, 577; BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998, a.a.O.).
Dabei ist für die Frage, ob die Prozesshandlung der Berufungsrücknahme den Kläger bindet, auf den Kenntnisstand und das Verhalten seiner Bevollmächtigten abzustellen. Der Bevollmächtigte ist Vertreter des Beteiligten, gibt gegenüber dem Gericht aber eigene Willenserklärungen ab (vgl. Oberlandesgericht (OLG) Hamm, Urteil vom 22. Oktober 2008 - 20 U 70/07 - MDR 2009, 193, 194). Sollte die für den Kläger von seinem Bevollmächtigten abgegebene Erklärung nicht mit dem tatsächlichen Willen des Klägers übereingestimmt haben, wäre ihm dennoch ein ggf. auch schuldhaftes Handeln des Bevollmächtigten zuzurechnen (vgl. hierzu Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 2. April 1998 - V ZB 6/98 - NJW-RR 1998, 1446). Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen für die Beteiligten in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von dem Beteiligten selbst vorgenommen wären. Dies gilt für Geständnisse und andere tatsächliche Erklärungen, insoweit sie nicht von dem miterschienenen Beteiligten sofort widerrufen oder berichtigt werden (a.a.O. Satz 2). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Prozessbevollmächtigte eine Erklärung abgegeben hat, die offensichtlich in Widerspruch zu den Interessen des Vertretenen steht, d.h. dies für den Prozessgegner und das Gericht deutlich wird (vgl. BGH, Beschluss vom 2. April 1998, a.a.O.). Auch dafür ist hier nichts erkennbar. Der Senat hätte die Berufungsrücknahme nicht zu Protokoll genommen, wenn ein solcher Widerspruch zutage getreten wäre.
Der Kläger ist durch den Senat nicht zu einer seinen Interessen eindeutig widersprechenden Erklärung aufgefordert worden. Vielmehr ist ihm im Rahmen der dem Senat obliegenden Hinweispflichten dargelegt worden, dass von Seiten der Richter eine Erfolgsaussicht - auch in Bezug auf die hilfsweise auf die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gerichtete Klage - zu verneinen gewesen ist. Bei einer im Wesentlichen von einer Tatsachenwürdigung abhängenden Entscheidung des Berufungsgerichts ist dem Kläger dadurch nach Auffassung des Senats ein Rechtsmittel nicht genommen worden, da die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision nicht vorgelegen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Entscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 3 RJ 85/05, in dem der Kläger die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung verfolgt hat.
Der am ... 1950 geborene Kläger hat sich mit seiner am 16. September 2004 vor dem Sozialgericht Dessau erhobenen Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2004 gewandt, mit dem die Beklagte seinen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 26. Mai 2003 abgelehnt hatte.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Mai 2005 abgewiesen. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu. Er sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert und auch nicht berufsunfähig. Der Kläger sei gelernter Berufskraftfahrer und habe bis zum Jahr 1990 in diesem Beruf gearbeitet. Im Anschluss daran habe er bis Februar 1998 als Frischdienstverkäufer/ Auslieferungsfahrer für Brot und Backwaren bei einer Backwaren-Vertriebsgesellschaft gearbeitet. In seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Frischdienstverkäufer könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten. Diese Tätigkeit sei in Übereinstimmung mit den Feststellungen von Dr. P. in seinem für die Beklagte im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten vom 19. September 2003 als für den Kläger leidensgerecht anzusehen.
Gegen den ihm am 10. Mai 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit am 6. Juni 2005 bei dem Sozialgericht Dessau eingegangenen Schreiben Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) - L 3 RJ 85/05 - eingelegt. Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, seine Tätigkeit als Frischdienstverkäufer umfasse im Hinblick auf ihre qualitative Wertigkeit in vollem Umfang die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers. Da er über ein Facharbeiterzeugnis verfüge, sei die Dauer seiner Berufsausbildung nicht maßgebend. Bei einer zutreffenden tariflichen Zuordnung hätte seine letzte Tätigkeit höher, nämlich nach der Vergütungsgruppe G des Tarifvertrages für alle Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer und Auszubildenden der Brot- und Backwarenindustrie und Großbäckereien vom 19. September 1997, entlohnt werden müssen. Die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit eines Pförtners an der Nebenpforte sei ihm sozial und gesundheitlich nicht zumutbar.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 17. Dezember 2008 ist zunächst der Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert worden. Nach Unterbrechung der Sitzung ist eine Zusammenfassung der rechtlichen Hinweise der Vorsitzenden in der Sitzungsniederschrift aufgenommen worden:
"Die Vorsitzende weist darauf hin, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg bietet. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass er seine letzte Tätigkeit als Frischdienstverkäufer aus gesundheitlichen Gründen seit Rentenantragstellung nicht mehr verrichten kann und von einem Berufsschutz als oberer Angelernter ausgeht, dürfte nach den medizinischen Befunden jedenfalls als eine gesundheitlich zumutbare Verweisungstätigkeit die des Pförtners an der Nebenpforte bestehen. Ein Berufsschutz als Facharbeiter kommt keinesfalls in Betracht, da der Kläger insoweit keine dreijährige Ausbildung nach der ab 2001 geltenden Ausbildungsverordnung abgeschlossen hat. Auch hat er zuletzt eine Mischtätigkeit mit ungelernten Arbeiten verrichtet."
Die Klägerbevollmächtigte hat daraufhin folgende Erklärung abgegeben und diese nach dem Vorlesen durch die Protokollführerin genehmigt: "Aufgrund dieses Hinweises nehme ich im Einvernehmen mit dem Kläger die Berufung zurück."
Eine Abschrift der Sitzungsniederschrift ist dem Kläger am 29. Dezember 2008 zugestellt worden.
Am 4. März 2009 ist bei dem LSG die Fotokopie eines Merkblatts der Industrie- und Handelskammer (IHK) H.-D. "Regelung über die Gleichstellung von Facharbeiter- und Meisterzeugnissen" eingegangen, das mit dem Namen des Klägers und dem Aktenzeichen L 3 RJ 85/05 überschrieben sowie dem handschriftlichen Zusatz "Beantrage Überprüfung sowie Neuaufnahme des Verfahrens" unter dem fotokopierten Text versehen ist. Mit am 24. März 2009 bei dem Senat eingegangenem Schriftsatz vom 22. März 2009 hat der Kläger (selbst) ausgeführt, nach Rücksprache mit seinem Anwalt sowie der IHK B. stehe fest, dass sein Facharbeiterzeugnis volle Wertigkeit habe und er somit kein oberer Angelernter, sondern ein außerordentlicher Facharbeiter sei. Die Rücknahme der Berufung sei auf Grund ausdrücklicher Anweisung der Vorsitzenden erfolgt. Daraus ergebe sich eine die Anfechtung der Erklärung über die Rücknahme der Berufung rechtfertigende Drohung und Nötigung, da ihm die fehlende Erfolgsaussicht in der Sache mitgeteilt worden sei. Da aber nun andere Umstände aufgetreten seien, verlange er die sofortige Neuaufnahme des Verfahrens binnen vierzehn Tagen.
Der Senat hat mit Schreiben vom 18. März 2009 bei der Bevollmächtigten des Klägers angefragt, ob sie – die rechtswirksam die Berufungsrücknahme erklärt habe – ebenfalls behaupte, durch Drohung oder Nötigung zu dieser Erklärung veranlasst worden zu sein. Die in der mündlichen Verhandlung am 17. Dezember 2008 für den Kläger aufgetretene Rechtssekretärin der Bevollmächtigten des Klägers hat dem Senat mit Schriftsatz vom 31. März 2009 mitgeteilt, sie habe die streitige Prozesshandlung der Berufungsrücknahme rechtswirksam abgegeben und behaupte nicht, durch Drohung und Nötigung hierzu veranlasst worden zu sein. Eine Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens werde von ihr nicht beantragt.
Der Kläger (selbst) hat mit den Schriftsätzen vom 3. und 22. April 2009 im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 22. März 2009 wiederholt und ergänzend auf einen Bescheid der IHK H.-D. vom 2. April 2009 über die Gleichstellung seines Prüfungszeugnisses "Berufskraftfahrer" mit dem bundesdeutschen Berufsabschluss zum Berufskraftfahrer sowie einen Ausdruck von Hinweisen zur Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit in einem Internet-Auftritt eines Rentenversicherungsträgers Bezug genommen. Soweit eine Rücknahme [gemeint ist: eine Rücknahme der Berufungsrücknahmeerklärung] seitens seiner Prozessbevollmächtigten nicht erfolge, entziehe er ihr die Vertretung, übernehme das Mandat selbst bzw. mandatiere einen Rechtsanwalt seiner Wahl.
Der Kläger beantragt,
das Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 3 RJ 85/05 fortzusetzen, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau vom 4. Mai 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juni 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass das Berufungsverfahren L 3 RJ 85/05 durch die Rücknahme der Berufung erledigt ist, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und meint, dass das Berufungsverfahren hier auf Grund der Berufungsrücknahmeerklärung nicht fortgesetzt werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die Gerichtsakten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat in einer von der mündlichen Verhandlung des Senats am 17. Dezember 2008 abweichenden Besetzung entscheiden können, da dem Gesetz diesbezüglich keine besonderen Vorgaben zu entnehmen sind (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 30. Januar 1976 - 9 RV 98/75 - SozR 1500 § 101 Nr. 4).
Die Voraussetzungen einer Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 3 RJ 85/05 liegen nicht vor.
Ist die Beendigung des Rechtsstreits durch eine Prozesshandlung widerrufen worden, weil deren Wirksamkeit nachträglich in Frage gestellt wird, hat das Gericht auf Antrag das Verfahren, in dem die betreffende Erklärung abgegeben worden ist, fortzusetzen und das Verfahren mit einem Urteil abzuschließen, in dem es eine Sachentscheidung trifft oder feststellt, dass der Rechtsstreit erledigt ist.
Hier hat der Kläger zum einen die Erklärung der Berufungsrücknahme widerrufen, da er hierzu durch Drohung bzw. Nötigung der Vorsitzenden veranlasst worden sei. Zum anderen hat er behauptet, aus der von ihm nunmehr vorgelegten Bescheinigung der IHK ergebe sich ein neuer Sachverhalt, der zur Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens führen müsse.
Nach § 179 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung (ZPO) wieder aufgenommen werden. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 179 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 578 ff. ZPO ist hier nicht zulässig. Die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens durch eine Nichtigkeits- oder eines Restitutionsklage ist nach § 578 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur statthaft, wenn das Verfahren durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossen wurde (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juli 1968 - 10 RV 135/66 - NJW 1968, 2396, 2397). Der Senat hat in der vorliegenden Rechtssache nicht durch Urteil entschieden.
Die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 179 Abs. 2 SGG liegen offensichtlich nicht vor. Eine Wiederaufnahme nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat. Dafür ist hier nichts erkennbar.
Einer Fortsetzung des Berufungsverfahrens und damit einer inhaltlichen Überprüfung des angefochtenen Bescheides der Beklagten steht hier damit die Rücknahme des Rechtsmittels entgegen. Die Klage ist unzulässig geworden, weil die Grundlage einer Entscheidung über den erhobenen Anspruch (§ 123 SGG) hierdurch entfallen ist.
Der Kläger kann sich nicht auf eine Unwirksamkeit der Erklärung über die Berufungsrücknahme berufen. Handlungen, die unmittelbar die Einleitung, Führung oder Beendigung eines Prozesses betreffen, sind bedingungsfeindlich und nicht nach Maßgabe der §§ 119 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anfechtbar (h.M.: vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Beschl. v. 15. Februar 1954 - IV ZB 1/54 - BGHZ 12, 284, 285; BSG, Urteil vom 29. März 1961 - 2 RU 204/56 - BSGE 14, 138, 141; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 7. August 1998 - 4 B 75/98 - NVwZ-RR 1999, 407, 408; BSG, Beschluss vom 19. März 2002 - B 9 V 75/01 B - juris; BSG, Beschluss vom 24. April 2003 - B 11 AL 33/03 B - juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH), Beschluss vom 17. März 2009 - 3 ZB 07.2220 - juris). Die zur Niederschrift des Gerichts erklärte, laut vorgelesene und genehmigte Berufungsrücknahme des Klägers ist eine Prozesshandlung in diesem Sinne.
Eine Prozesserklärung kann nur widerrufen werden, wenn ein Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO vorliegt oder wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 1991 – III ZB 1/91 – NJW 1991, 2839; BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998 - 4 B 75/98 - NVwZ-RR 1999, 407; Bayerischer VGH, Beschluss vom 17. März 2009 - 3 ZB 07.2220 – juris; offen gelassen in BSG, Urteil vom 29. März 1961, a.a.O.). Die analoge Anwendung der Restitutionsgründe auf diese Konstellation begründet sich damit, dass der Rechtssuchende durch die Erledigung des Verfahrens durch eine Prozesshandlung nicht schlechter gestellt werden soll, als er im Fall einer Beendigung des Verfahrens durch ein rechtskräftiges Urteil gestanden hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 15. Februar 1954, a.a.O.; BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998, a.a.O.).
Einer Restitutionsklage wegen der in § 580 Nr. 1 bis 5 ZPO genannten Gründe steht die Regelung in § 581 Abs. 1 ZPO entgegen, die den Anwendungsbereich hier auf die Fälle beschränkt, in denen wegen einer Straftat eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht erfolgen kann.
Auch einen Restitutionsgrund im Sinne des § 580 Nr. 6 bis 8 ZPO hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 580 Nr. 6 ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist. Nach § 580 Nr. 8 ZPO kann sich auch aus der Feststellung einer Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Restitutionsgrund ergeben. Für beide Tatbestände liegen hier keine Anhaltspunkte vor.
Nach § 580 Nr. 7 ZPO ergibt sich ein Restitutionsgrund auch dann, wenn die Partei ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstige Entscheidung herbeigeführt haben würde.
Weder das Merkblatt der IHK H.-D. "Regelung über die Gleichstellung von Facharbeiter- und Meisterzeugnissen" noch der Ausdruck aus dem Internet-Auftritt des Rentenversicherungsträgers haben Urkundenqualität in diesem Sinne. Urkunden sind verkörperte Gedankenerklärungen, die geeignet sind, Beweis für streitiges Parteivorbringen zu ergeben (vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, vor § 415 Rn. 2). Irgendein Beweiswert kommt den vorgenannten rechtlichen Hinweisen nicht zu.
Bezüglich des Bescheides der IHK H.-D. vom 2. April 2009 über die Gleichstellung des Prüfungszeugnisses des Klägers für seine Ausbildung als Berufskraftfahrer mit einem bundesdeutschen Berufsabschluss fehlt es an einer Urkunde, die einen bereits bei Abgabe der Prozesserklärung vorliegenden Sachverhalt betrifft. Ein Restitutionsgrund kann nur auf eine Urkunde gestützt werden, die zu einem Zeitpunkt erstellt wurde, in dem noch vor dem Gericht hätte vorgetragen werden können, wenn der Beteiligte Zugriff auf die (bereits vorhandene) Urkunde gehabt hätte. Der Gleichstellungsbescheid ist hier aber nach der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2008 erlassen worden.
Im Übrigen entfaltet der Gleichstellungsbescheid hier auch materiell keine Rechtswirkungen für die Vergangenheit. Selbst wenn der Bescheid der IHK vor mündlichen Verhandlung des Senats erlassen worden wäre, hätte dies keine für den Kläger günstigere Entscheidung des Senats herbeiführen können. Denn der Senat hat - wie es der Zusammenfassung der rechtlichen Hinweise in der Sitzungsniederschrift vom 17. Dezember 2008 zu entnehmen ist - die Tätigkeit als Frischdienstverkäufer als "bisherigen Beruf" des Klägers gemäß § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) angesehen. Dieser erfüllt weder im Hinblick auf die Ausbildungsdauer noch auf die tarifliche Eingruppierung die Voraussetzungen, einen Berufsschutz des Klägers als Facharbeiter zu begründen. Dabei ist maßgebend die tatsächlich erfolgte tarifliche Eingruppierung. Ob der Kläger Anspruch auf eine höhere Eingruppierung gehabt hätte, wie er behauptet, kann dahinstehen. Selbst wenn auf eine Tätigkeit des Klägers als Berufskraftfahrer abzustellen gewesen wäre, könnte allein aus der Gleichstellung seines Prüfungszeugnisses durch die IHK kein Berufsschutz als Facharbeiter abgeleitet werden. Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 2 des Einigungsvertrages (Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands, ausgefertigt am 31. August 1990 (BGBl. II S. 889), zuletzt angepasst durch Art. 12 des Gesetzes vom 30. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2130) i.V.m. Art. 6 Nr. 5 des Gesetzes vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2940)) stehen im Beitrittsgebiet und den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland abgelegte Prüfungen oder erworbene Befähigungsnachweise einander gleich, wenn sie gleichwertig sind. Die Feststellung durch die zuständige Stelle nach Art. 37 Abs. 1 Satz 3 Einigungsvertrag, die für das Facharbeiterzeugnis des Klägers erfolgt ist, erstreckt sich (nur) auf die Feststellung dieser Gleichwertigkeit. Die im Kapitel VIII des Einigungsvertrages (Kultur, Bildung, Wissenschaft, Sport) geregelte Gleichstellung hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Anwendung der Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Abschluss einer Facharbeiterprüfung ist für sich genommen für die Zuordnung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu einer Stufe des Mehrstufenschemas im Sinne der Rechtsprechung nicht maßgebend. Vielmehr ist allein auf die Qualität der verrichteten Tätigkeit, die den "bisherigen Beruf" im oben genannten Sinne darstellt, abzustellen (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, § 240 SGB VI RdNr. 43). Da der Kläger nicht geltend gemacht hat, sich von seiner bis zum 14. Dezember 1990 ausgeübten Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen gelöst zu haben, kommt es ausschließlich darauf an, welche Wertigkeit seine (letzte) Tätigkeit als Frischdienstverkäufer hatte. Diese Tätigkeit war weder im Hinblick auf die erforderliche Ausbildung noch ihre tarifliche Einstufung eine Facharbeitertätigkeit im Sinne des Mehrstufenschemas des BSG. Der Senat hat dem Kläger hierzu seine Rechtsauffassung, an der festgehalten wird, erläutert.
Es kann damit offen bleiben, ob der Kläger mit seinem dem Senat am 4. März 2009 ohne Unterschrift übersandten Merkblatt der IHK H.-D. einen Restitutionsgrund fristgerecht, d.h. innerhalb eines Monats nach Kenntnis der ihn seiner Ansicht nach zum Widerruf der Berufungsrücknahme berechtigenden Tatsachen, geltend gemacht hat (vgl. zur maßgebenden Frist aus § 586 Abs. 1 und 2 ZPO auch im Fall des Widerrufs einer Rechtsmittelrücknahme: BGH, Beschluss vom 8. Juli 1960 - IV ZB 201/60 – BGHZ 33, 73, 75).
Die Voraussetzungen des Widerrufs der Rücknahme der Berufung wegen einer Verletzung von Treu und Glauben liegen ebenfalls nicht vor.
In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Betroffene durch eine richterliche Belehrung oder Empfehlung zu einer bestimmten prozessualen Erklärung bewogen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 1980 – IVb ZR 592/80, NJW 1981, 576, 577; BVerwG, Beschluss vom 7. August 1998, a.a.O.).
Dabei ist für die Frage, ob die Prozesshandlung der Berufungsrücknahme den Kläger bindet, auf den Kenntnisstand und das Verhalten seiner Bevollmächtigten abzustellen. Der Bevollmächtigte ist Vertreter des Beteiligten, gibt gegenüber dem Gericht aber eigene Willenserklärungen ab (vgl. Oberlandesgericht (OLG) Hamm, Urteil vom 22. Oktober 2008 - 20 U 70/07 - MDR 2009, 193, 194). Sollte die für den Kläger von seinem Bevollmächtigten abgegebene Erklärung nicht mit dem tatsächlichen Willen des Klägers übereingestimmt haben, wäre ihm dennoch ein ggf. auch schuldhaftes Handeln des Bevollmächtigten zuzurechnen (vgl. hierzu Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 2. April 1998 - V ZB 6/98 - NJW-RR 1998, 1446). Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen für die Beteiligten in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von dem Beteiligten selbst vorgenommen wären. Dies gilt für Geständnisse und andere tatsächliche Erklärungen, insoweit sie nicht von dem miterschienenen Beteiligten sofort widerrufen oder berichtigt werden (a.a.O. Satz 2). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Prozessbevollmächtigte eine Erklärung abgegeben hat, die offensichtlich in Widerspruch zu den Interessen des Vertretenen steht, d.h. dies für den Prozessgegner und das Gericht deutlich wird (vgl. BGH, Beschluss vom 2. April 1998, a.a.O.). Auch dafür ist hier nichts erkennbar. Der Senat hätte die Berufungsrücknahme nicht zu Protokoll genommen, wenn ein solcher Widerspruch zutage getreten wäre.
Der Kläger ist durch den Senat nicht zu einer seinen Interessen eindeutig widersprechenden Erklärung aufgefordert worden. Vielmehr ist ihm im Rahmen der dem Senat obliegenden Hinweispflichten dargelegt worden, dass von Seiten der Richter eine Erfolgsaussicht - auch in Bezug auf die hilfsweise auf die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gerichtete Klage - zu verneinen gewesen ist. Bei einer im Wesentlichen von einer Tatsachenwürdigung abhängenden Entscheidung des Berufungsgerichts ist dem Kläger dadurch nach Auffassung des Senats ein Rechtsmittel nicht genommen worden, da die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision nicht vorgelegen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Entscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
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