Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 KR 238/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 10 KR 24/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Brustverkleinerung; Entstellung
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 31. Januar 2007 – S 4 KR 238/05 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Versorgung mit einer Mammareduktionsplastik (MRP, operative Brustverkleinerung).
Die 1952 geborene Klägerin beantragte erstmals im Jahre 1999 eine MRP. Die Beklagte lehnte dies ab. Ein im anschließenden Sozialgerichtsverfahren (SG Dessau S 2 KR 55/99) eingeholtes Gutachten des Facharztes für Orthopädie Prof. Dr. R. hielt eine MRP zur Behandlung der von der Klägerin beklagten Rückenbeschwerden für erforderlich. Andere Behandlungsmethoden böten keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin habe seit ihrer Pubertät eine große Brust gehabt. Nach Geburt des ersten Kindes im Jahre 1979 habe deren Wachstum weiter zugenommen. Im Jahre 1997 habe sie einen Posteriorinfarkt (Schlaganfall) erlitten. Nachfolgend sei ihre Regel ausgeblieben. Es sei sodann zu einer deutlichen Gewichtszunahme gekommen, die sich auch auf die Brüste ausgewirkt habe. Das Sozialgericht gab u.a. auf der Grundlage dieses Gutachtens der Klage statt. Das Landessozialgericht wies sie ab, da ein Nachweis für eine positive Einwirkung der MRP auf die Rückenbeschwerden nicht bestehe und vorrangig eine Reduzierung des erheblichen Körpergewichts anzustreben sei (Urt. v. 2. September 2003 – L 4 KR 25/01). Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 28. Dezember 2004 zurück (B 1 KR 73/03).
Am 13. Juni 2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut eine MRP unter Vorlage einer (undatierten) Verordnung der Fachärztin für Chirurgie Dr. S. über "Gigantomastie bds. zur Reduktionsplastik". Dem Antrag beigefügt war ein Arztbrief des Chefarztes der Hauptabteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe der Klinik St. M. in M. Dr. B. vom 7. Juni 2005 nebst Fotografien des unbekleideten Oberkörpers der Klägerin (Bl. 31 der Gerichtsakte = GA). Dr. B. diagnostizierte aufgrund einer Vorstellung der Klägerin am 12. April 2005 eine Gigantomastie bds., massive Ptosis (Herabhängen) beider Brüste (Jugulum-Mamillen-Abstand (JMA) re. 47 cm, li. 49 cm), tiefe BH-Schnürfurchen bds. und ein intertriginöses Exzem beider Submammärfalten nebst Hyperpigmentation. Die Körpergröße der Klägerin wird mit 168 cm, das Gewicht mit 110 kg (= Body-Maß-Index (BMI) 39) und die BH-Körbchengröße mit "G" angegeben. Orthopädisch diagnostizierte Dr. B. u.a. ein cervikales lokales Schmerzsyndrom bei Spondylarthrose und einengender Spondylose, einen Rundrücken mit mehrfachen Osteochondrosen sowie primäre konstitutionelle Hypermobilität. Er konstatierte eine erhebliche Zunahme von Brustvolumen und Ptosis in den letzten fünf Jahren bei einer Zunahme des Körpergewichts von 7 kg. Weiter heißt es: "Der in Fett umgebaute Brustdrüsenkörper reagiert auch in der peri- und postmenopausalen Hormonsituation – selbst ohne exogene Hormonzufuhr – durch endogene Estrogene mit einer Proliferation und somit Volumen- bzw. Größenzunahme. Selbst durch Reduzierung des Körpergewichts wäre die endogene Estrogenproduktion nicht auf "Null" zu reduzieren." Auch unter Hinweis auf eine größenbedingt vermehrte Strahlenbelastung durch Brustkrebs-Vorsorgeuntersuchungen hielt Dr. B. abschließend eine MRP für indiziert.
In einem von der Beklagten daraufhin veranlassten Gutachten nach Aktenlage des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in Sachsen-Anhalt (MDK) vom 6. Juli 2005 empfahl der Facharzt für Chirurgie M. , den Antrag abzulehnen. Es bestünde bei der Klägerin kein Missverhältnis zwischen Größe der Brust und allgemeinem Körpervolumen, ein wissenschaftlicher Nachweis für einen Zusammenhang zwischen Brustgröße und orthopädischen Beschwerden fehle und anderweitige Behandlungsmethoden zur Abhilfe seien nicht ausgeschöpft (Gewichtsreduktion durch Ernährungsumstellung, Rückenschule etc.). Mit Bescheid vom 14. Juli 2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Mit ihrem Widerspruch beanstandete die Klägerin, dass die Beklagte und der Gutachter nicht auf die Argumente des Dr. B. eingegangen seien; zudem habe "das Beschwerdebild" seit dem Jahr 2000 stark zugenom-men.
In einem weiteren Gutachten des MDK vom 7. September 2005 stellte die Ärztin J. aufgrund einer Untersuchung der Klägerin die Körpergröße mit 161 cm, das Gewicht mit 109,1 kg (BMI: 42), eine BH-Größe von 105 F und eine Brustlast (nach der Körpergewichtsdifferenzmethode) von 2400 g bds. fest. Es könne weder eine Gewichtsreduktion noch eine muskuläre Konditionierung konstatiert werden. Dass die Estrogenproduktion bei der Klägerin auch durch eine Gewichtsreduktion nicht beeinflusst werden könne (so Dr. B. ), sei kein krankhafter Prozess, sondern eine physiologische Wandlung im Laufe eines weiblichen Lebens. Bei der Ptosis handele es sich nicht um einen krankhaften Zustand, sondern um eine Normvariante. Die aufgrund der Makromastie alle zwei Jahre erforderlichen Vorsorgeuntersuchungen gegen Brustkrebs ließen unter Berücksichtigung des Lebensalters der Klägerin eine krebsinduzierende Wirkung der Bestrahlung nicht erwarten. Eine Linderung der von der Wirbelsäule ausgehenden Beschwerden der Klägerin sei keinesfalls durch eine MRP zu erreichen. Unter Berufung auf diese Stellungnahme wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 7. November 2005 zurück.
Auf die am 5. Dezember 2005 erhobene Klage hat das Sozialgericht drei Befundberichte eingeholt. Die Fachärztin für Chirurgie Dr. S. , bei der die Klägerin von 1994 bis Juni 2007 in Behandlung war, hat unter dem 5. Januar 2006 ausgeführt, dass sich die altersmäßigen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule seit 1994 trotz lang andauernder orthopädischer Behandlung und massiver Physiotherapieverordnung deutlich verschlechtert und das Beschwerdebild vermehrt hätten. Eine klinische Untersuchung habe eine Diskrepanz zwischen Makromastie und sonstigem Körperbau der Klägerin ergeben. Die Ablehnung der MRP durch die Beklagte sei medizinisch nicht nachzuvollziehen. Der Facharzt für Orthopädie Dr. L. , der die Klägerin seit 2003 behandelt, hat unter dem 12. Januar 2006 über Beschwerden der Klägerin im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule (HWS/BWS) sowie über Triggerpoints (tastbare Muskelverhärtungen) im Schulter-Nacken-Bereich berichtet. Die bestehende Makromastie wirke sich ungünstig auf den Verlauf dieser Erkrankungen aus. Er habe daher eine MRP angeraten. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin DM B. schließlich hat unter dem 16. Januar 2006 von rezidivierenden "Verquellungen" im Schultergürtel-Bereich sowie von relativ stabilen Befunden bezüglich eines Diabetes mellitus (Typ II) berichtet.
Mit Urteil vom 31. Januar 2007 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Verschlimmerung der Wirbelsäulenbeschwerden hätte an der im Vorprozess festgestellten Ungeeignetheit der MRP zu ihrer Behandlung nichts geändert. Aufgrund der in der Akte befindlichen Fotografien, des optischen Eindrucks und der Schilderungen der Klägerin über Belästigungen als Kassiererin in der mündlichen Verhandlung wie schon gegenüber dem Gutachter Prof. R. im Vorprozess sei die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Größe ihrer Brüste entstellend wirke und die Teilhabe der Klägerin am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtige. Die MRP sei zur Beseitigung dieses krankheitswertigen Zustands geeignet und erforderlich.
Gegen das ihr am 15. Februar 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. März 2007 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass im Falle der Klägerin zwischen Brustgröße und übrigem Körper im Hinblick auf die Adipositas permagna (sehr ausgeprägte Fettleibigkeit) keine Disproportion bestehe. Anders als in den vom Sozialgericht herangezogenen Urteilen könne daher von einer Entstellung nicht die Rede sein. Zudem sei bei einer Reduzierung des Körpergewichts je Kilogramm mit einem Rückgang des Brustgewichts um 20 g zu rechnen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 31. Januar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Einschätzung des Sozialgerichts von der Übergröße und entstellenden Wirkung ihrer Brüste. Diese seien seit dem Schlaganfall 1997 stark gewachsen. Im Erörterungstermin am 4. März 2009 hat die Klägerin eine (in ihrem Personalausweis eingetragene) Körpergröße von 163 cm, ein Gewicht von 107 kg sowie eine BH-Größe von inzwischen H/I angegeben. Wegen der Größe ihrer Brüste fühle sie sich sowohl als Kassiererin als auch bei anderen Gelegenheiten belastenden Situationen ausgesetzt. So seien einmal während eines Belastungs-EKGs nacheinander fünf Arzthelferinnen durch den Behandlungsraum gegangen; erst im Nachhinein habe sie registriert, dass sie als Schauobjekt gedient habe. In öffentliche Schwimmbäder gehe sie gar nicht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin geschildert, dass sie während der Reha-Maßnahme in der B. klinik Bad K. auf Vorschlag einer Ärztin für die Wassergymnastik einer besonderen Kleingruppe von behinderten Menschen zugewiesen worden sei. In der größeren Gruppe habe sie wegen ihrer großen Brüste nicht daran teilnehmen wollen.
Der Senat hat weitere Befundberichte eingeholt. Die Fachärztin für Chirurgie Dr. S. hat unter dem 17. Dezember 2007 für die Zeit bis Juni 2007 von konstanten Befunden berichtet, wobei die Klägerin eine Zunahme der Beschwerden angegeben habe. Der Fach-arzt für Orthopädie Dr. L. hat unter dem 18. Dezember 2007 über seit 1999 zunehmende Angaben der Klägerin von belastungsabhängigen Schmerzen im HWS/BWS-Bereich mit Ausstrahlung in den Schulter-Nacken-Bereich berichtet. Nach Versagen der schulmedizinischen Maßnahmen habe er zu einer MRP geraten, um eine weitere Chronifizierung des Beschwerdebildes und ein Voranschreiten der degenerativen Veränderungen zu vermeiden. Unter dem 15. Dezember 2009 hat Dr. L. mitgeteilt, dass eine Befundbesserung trotz regelmäßiger Krankengymnastik nicht erreicht worden sei.
Der Facharzt für Neurologie DM B. hat unter dem 17. Dezember 2007 wie auch unter dem 2. Dezember 2009 über einen Zustand nach Posteriorinfarkt links (1997), einer Stenose der Aorta carotis interna rechts (asymptomatisch), ein zervikales muskuläres Schmerzsyndrom und eine Quadrantenanopsie rechts berichtet. Der neurologische Befund sei unverändert, die Gesichtsfelddefekte persistierend. Zugenommen hätten die Beschwerden im muskulären Bereich mit ständigen Schmerzen. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin DM B. hat unter dem 9. Januar 2008 die Diagnosen chronische Rückenschmerzen, Struma nodosa (Vergrößerung der Schilddrüse mit tastbaren Knoten), Z.n. Posteriorinfarkt (1997), Myalgie und Diabetes mellitus Typ II angegeben. Die erhobenen Befunde seien trotz regelmäßiger Behandlungen stabil, insbesondere auch die Schmerzen im Schultergürtel-Nacken-Bereich. Im Bericht vom 18. Dezember 2009 hat DM B. ausgeführt, dass bei den Myogelesen trotz Gewichtsreduktion (von 113 auf 107 kg) keine Besserung eingetreten sei.
Nach dem von Dr. L. vorgelegten Entlassungsbericht der M. klinik in Bad M. vom 7. Oktober 2009 (Stationsarzt Dr. K. ) über eine Reha-Maßnahme vom 9. Septem-ber 2009 bis zum 7. Oktober 2009 hat sich in Einzelgesprächen eine Anpassungsstörung (ICD-10: F 43.23) der Klägerin herausgestellt, die sowohl auf die Belastung durch den seit Jahren geführten Rechtsstreit um die MRP als auch auf die Beschwerden wie Rückenschmerzen und Schamgefühl in der Öffentlichkeit zurückzuführen sei, die mit der vergrößerten Brust der Klägerin einhergingen. Im Abschlussgespräch habe die Klägerin berichtet, weiterhin Schmerzen im LWS-Bereich zu verspüren, jedoch habe deren Häufigkeit deutlich nachgelassen (Intensität auf Skala von 1-10: 5). Ihr Gewicht habe sich während der Maßnahme von 110 auf 108 kg reduziert. Ein Großteil der Beschwerden der Klägerin sei auf die vergrößerte Mamma zurückzuführen und daher eine MRP zu empfehlen.
Der Senat hat schließlich die Akte des Vorprozesses L 4 KR 25/01 LSG Sachsen-Anhalt beigezogen. Ferner hat er den Beteiligten das in einem anderen Rechtsstreit erstattete Gutachten des Instituts für Medizinische Begutachtung Magdeburg (Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie, Sportmedizin und Sozialmedizin Dr. S. ) vom 29. Januar 2009 zur Kenntnis gegeben. Dieses schließt u.a. wegen des Anpassungsvermögens des menschlichen Körpers einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Beschwerden im Haltungs- und Bewegungsapparat und der Größe der weiblichen Brust grundsätzlich aus (Scheinkausalität), wenn nicht eine plötzliche und rapide, sondern eine allmähliche Zunahme der Körpermasse in Rede stehe. Ein wissenschaftlicher Nachweis für den Ursachenzusammenhang bestehe nicht.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Akten des Vorprozesses haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf ihren Inhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und in der Frist des § 151 Abs 1 SGG eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist aber nicht begründet.
Die Klägerin hat - wie das Sozialgericht zutreffend erkannt hat - einen Anspruch darauf, dass eine operative Verkleinerung ihrer Brüste zu Lasten der Beklagten durchgeführt wird. Ein solcher Eingriff ist im konkreten Fall eine im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringende Krankenbehandlung.
Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V). Die Krankenbehandlung setzt eine behandlungsbedürftige Krankheit voraus. Krankheit im Sinne des Versicherungsrechts ist ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - in BSGE 35, 10, 12 mwN = SozR Nr 52 zu § 182 RVO; BSG SozR 2200 § 182 Nr 9). Als "regelwidrig" ist dabei ein Zustand anzusehen, der von der Norm, vom Leitbild des gesunden Menschen, abweicht (BSGE 26, 240, 242 = SozR Nr 23 zu § 182 RVO; BSGE 59, 119, 120 mwN und 66, 248, 249).
Ein solcher regelwidriger Zustand kann auch bei der entstellenden Wirkung einer körperli-chen Abweichung zu bejahen sein, ohne dass damit notwendigerweise der Verlust oder die Störung einer motorischen oder geistigen Funktion einhergehen muss. Eine solche entstellende Wirkung ist im Hinblick auf die Größe der weiblichen Brust anzunehmen, wenn diese es einer Frau erschwert oder gar unmöglich macht, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen, weil sie "naturgemäß" ständig alle Blicke auf sich zieht und zum Objekt der Neugierde wird, so dass ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt wird (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 45 S. 253).
Bei der Klägerin liegt aufgrund der außergewöhnlichen Größe ihrer Brüste eine Entstellung vor, die nur durch eine operative Brustverkleinerung ausgeglichen werden kann. Der Senat kommt zu diesem Ergebnis aufgrund der Auswertung der vorliegenden medizinischen Befunde und der eigenen tatrichterlichen Beurteilung in der mündlichen Verhandlung.
Übereinstimmend wird von allen behandelnden Ärzten und Gutachtern die außergewöhnliche Gigantomastie der Klägerin bestätigt (Jugulum-Mamillen-Abstand: 47/49 cm; BH-Körbchengröße F/G, nach Angaben der Klägerin zuletzt H). Die Brustgröße nimmt dabei weiter zu. Nach der Anamnese im Gutachten von Prof. R. im Vorprozess (Bl. 47 ff. dieser Akten) hat sich die seit der Pubertät schon große Brust der Klägerin nach der Geburt des ersten Kindes im Jahre 1972 weiter vergrößert und nicht wieder zurückgebildet. Ein erneutes Wachstum setzte nach einem Schlaganfall im Jahre 1997 und der zeitgleich eingetretenen Menopause ein. In seinem Arztbrief vom 7. Juni 2005 stellte Dr. B. eine weitere erhebliche Zunahme des Volumens seit dem Jahr 2000 fest, die sich nach seinem Urteil nicht mit einer Gewichtszunahme erklären ließ.
Wie die seit nunmehr zehn Jahren geführten Rechtsstreite und die darin eingeholten Befundberichte und sonstigen ärztlichen Stellungnahmen belegen, leidet die Klägerin seit langer Zeit erheblich an den Folgen dieser anatomischen Besonderheit. Dies folgt etwa aus den Befundberichten der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin DM B. (vgl. bereits Befundbericht vom 31. Mai 2000, Bl. 34 f. d. A. des Vorprozesses) sowie aus der Begutachtung durch Prof. R. vom 2. Januar 2001 (Bl. 47 ff. d. A. des Vorprozesses). Im Abschlussbericht von Dr. K. über die Reha-Maßnahme in der M. klinik in Bad M. vom 7. Oktober 2009 werden eine verzweifelte Stimmung und Niedergeschlagenheit der Klägerin festgestellt und eine Anpassungsstörung (ICD F43.23) wegen der großen Brüste u.a. aufgrund von Schamgefühl in der Öffentlichkeit diagnostiziert.
Der Senat verkennt nicht, dass aus diesen Feststellungen noch nicht zwangsläufig das Vorliegen einer körperlichen Entstellung zu folgern ist. Das BSG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass bei der Bewertung als Entstellung die außerordentliche Vielfalt von Form und Größe der weiblichen Brust zu berücksichtigen ist. Dies hat zur Folge, dass aufgrund einer besonderen Größe oder Form der Brust "kaum" eine Entstellung festzustellen sein wird (vgl. Urteil des BSG vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 9/04 R). Diese Einschätzung teilt der erkennende Senat, der – ebenso wie der seinerzeit für das Krankenversicherungsrecht zuständige 4. Senat des LSG Sachsen-Anhalt (vgl Urt v 10. November 2005 – L 4 KR 22/05, Juris) – in seiner Spruchpraxis auch mehrfach darauf hingewiesen hat, dass alleine die subjektive Einschätzung einer Klägerin, die Form ihrer Brüste sei auffällig, stigmatisiere sie und bedürfe deshalb der Korrektur, nicht zum Anspruch auf einen operativen Eingriff zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung führen kann. Im konkreten Fall liegt nach der Auffassung des erkennenden Senats aber eine Ausnahme vor.
Aufgrund des Augenscheins in der mündlichen Verhandlung, bei der die Klägerin in normaler, die Größe ihrer Brust nicht besonders betonender Bekleidung aufgetreten ist, gelangt der Senat in Übereinstimmung mit der Vorinstanz zu der Einschätzung, dass die Größe und Ausprägung der Brüste der Klägerin schon bei flüchtiger Betrachtung im alltäglichen Leben stark auffällig ist und von einem unvoreingenommenen Betrachter als außergewöhnlich bewertet wird. Der optische Eindruck der extrem groß und schwer wirkenden Brüste ist geradezu "erschlagend" und wesentlich auffälliger als der bei anderen Klägerinnen, die ebenfalls ihr Begehren auf eine MRP vor dem Senat in einer mündlichen Verhandlung vorgetragen haben. Das gilt trotz der bei der Klägerin zweifellos bestehenden erheblichen Adipositas. Denn das Übergewicht der Klägerin fällt nicht in gleicher Weise ins Auge; ihre Erscheinung wirkt – von den Brüsten abgesehen – keineswegs voluminös, sondern eher klein und kompakt (Körpergröße 163 cm). Hierzu bilden die Brüste aufgrund ihres extremen Volumens (Körbchengröße G bis H) einen hervorstechenden, ins Auge springenden Kontrast. Diese Einschätzung wird von Dr. S. in ihrem Bericht vom 5. Januar 2006 bestätigt, in welchem sie aufgrund einer klinischen Untersuchung eine Diskrepanz zwischen Makromastie und sonstigem Körperbau konstatierte. Die Ablehnung der MRP durch die Beklagte sei medizinisch nicht nachzuvollziehen. Nach der Einschätzung des Senats lässt sich die Auffälligkeit der Brüste der Klägerin aufgrund der außergewöhnlichen Größe durchaus in den Folgen mit der Kahlköpfigkeit bei einer Frau vergleichen.
Aufgrund dieses äußeren Eindrucks hält es der Senat für glaubhaft und naheliegend, dass sich die Klägerin – wie sie vorträgt – in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und sportlichen Leben eingeschränkt fühlt. Die von der Klägerin ohne jedes Anzeichen für Übertreibung geschilderten Erlebnisse aus ihrem Privat- und Berufsleben (an der Kasse oder bei der Wassergymnastik sowie bei der Vermeidung öffentlicher Schwimmbäder) erscheinen dem Senat nach dem Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, wahrheitsgemäß wiedergegeben. Dass die Klägerin danach u. a. zum Schauobjekt von Arzthelferinnen geworden ist, die berufsbedingt durchaus an unterschiedlichste Anblicke gewöhnt sein dürften, verdeutlicht die entstellende Wirkung der großen Brüste.
Diese Feststellung wird indiziell dadurch bestätigt, dass mit Ausnahme des MDK sämtliche behandelnden Ärzte und Gutachter, denen sich die Klägerin vorgestellt hat, eine operative Brustverkleinerung als Leistung der Krankenkasse befürwortet haben. Auch wenn dies überwiegend aus orthopädischen Gründen geschah, wird dafür auch die äußere Erscheinung der Klägerin von maßgeblicher Bedeutung gewesen sein. Das wird in den Stellungahmen von Dr. B. und Dr. S. deutlich und dürfte auch sonst das ärztliche Urteil beeinflusst haben. Eine Entstellung wird – ohne ausdrückliche Befragung hierzu – schon aus Gründen der Rücksichtnahme kaum attestiert werden. Andererseits verspricht eine orthopädische Indikation üblicherweise die größten Erfolgsaussichten für die Durchsetzung der befürworteten Therapie (MRP) bei den Krankenkassen.
Der Beeinträchtigung in der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben kann schließlich nicht durch eine psychologische Betreuung erfolgreich entgegen gewirkt werden, mit deren Hilfe versucht wird, den Körper in seiner Gesamtheit akzeptieren zu lernen. Die Beeinträchtigung der Teilhabe ist zur Überzeugung des Senats nicht durch eine krankhafte Fehlverarbeitung bei der Klägerin bedingt. Sie geht vielmehr von den durch die extreme Auffälligkeit der Brüste immer wieder zu erwartenden spontanen Reaktionen der Mitmenschen aus (Hinstar-ren, erkennbare Verwunderung, Tuscheln etc.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Versorgung mit einer Mammareduktionsplastik (MRP, operative Brustverkleinerung).
Die 1952 geborene Klägerin beantragte erstmals im Jahre 1999 eine MRP. Die Beklagte lehnte dies ab. Ein im anschließenden Sozialgerichtsverfahren (SG Dessau S 2 KR 55/99) eingeholtes Gutachten des Facharztes für Orthopädie Prof. Dr. R. hielt eine MRP zur Behandlung der von der Klägerin beklagten Rückenbeschwerden für erforderlich. Andere Behandlungsmethoden böten keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin habe seit ihrer Pubertät eine große Brust gehabt. Nach Geburt des ersten Kindes im Jahre 1979 habe deren Wachstum weiter zugenommen. Im Jahre 1997 habe sie einen Posteriorinfarkt (Schlaganfall) erlitten. Nachfolgend sei ihre Regel ausgeblieben. Es sei sodann zu einer deutlichen Gewichtszunahme gekommen, die sich auch auf die Brüste ausgewirkt habe. Das Sozialgericht gab u.a. auf der Grundlage dieses Gutachtens der Klage statt. Das Landessozialgericht wies sie ab, da ein Nachweis für eine positive Einwirkung der MRP auf die Rückenbeschwerden nicht bestehe und vorrangig eine Reduzierung des erheblichen Körpergewichts anzustreben sei (Urt. v. 2. September 2003 – L 4 KR 25/01). Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 28. Dezember 2004 zurück (B 1 KR 73/03).
Am 13. Juni 2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut eine MRP unter Vorlage einer (undatierten) Verordnung der Fachärztin für Chirurgie Dr. S. über "Gigantomastie bds. zur Reduktionsplastik". Dem Antrag beigefügt war ein Arztbrief des Chefarztes der Hauptabteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe der Klinik St. M. in M. Dr. B. vom 7. Juni 2005 nebst Fotografien des unbekleideten Oberkörpers der Klägerin (Bl. 31 der Gerichtsakte = GA). Dr. B. diagnostizierte aufgrund einer Vorstellung der Klägerin am 12. April 2005 eine Gigantomastie bds., massive Ptosis (Herabhängen) beider Brüste (Jugulum-Mamillen-Abstand (JMA) re. 47 cm, li. 49 cm), tiefe BH-Schnürfurchen bds. und ein intertriginöses Exzem beider Submammärfalten nebst Hyperpigmentation. Die Körpergröße der Klägerin wird mit 168 cm, das Gewicht mit 110 kg (= Body-Maß-Index (BMI) 39) und die BH-Körbchengröße mit "G" angegeben. Orthopädisch diagnostizierte Dr. B. u.a. ein cervikales lokales Schmerzsyndrom bei Spondylarthrose und einengender Spondylose, einen Rundrücken mit mehrfachen Osteochondrosen sowie primäre konstitutionelle Hypermobilität. Er konstatierte eine erhebliche Zunahme von Brustvolumen und Ptosis in den letzten fünf Jahren bei einer Zunahme des Körpergewichts von 7 kg. Weiter heißt es: "Der in Fett umgebaute Brustdrüsenkörper reagiert auch in der peri- und postmenopausalen Hormonsituation – selbst ohne exogene Hormonzufuhr – durch endogene Estrogene mit einer Proliferation und somit Volumen- bzw. Größenzunahme. Selbst durch Reduzierung des Körpergewichts wäre die endogene Estrogenproduktion nicht auf "Null" zu reduzieren." Auch unter Hinweis auf eine größenbedingt vermehrte Strahlenbelastung durch Brustkrebs-Vorsorgeuntersuchungen hielt Dr. B. abschließend eine MRP für indiziert.
In einem von der Beklagten daraufhin veranlassten Gutachten nach Aktenlage des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in Sachsen-Anhalt (MDK) vom 6. Juli 2005 empfahl der Facharzt für Chirurgie M. , den Antrag abzulehnen. Es bestünde bei der Klägerin kein Missverhältnis zwischen Größe der Brust und allgemeinem Körpervolumen, ein wissenschaftlicher Nachweis für einen Zusammenhang zwischen Brustgröße und orthopädischen Beschwerden fehle und anderweitige Behandlungsmethoden zur Abhilfe seien nicht ausgeschöpft (Gewichtsreduktion durch Ernährungsumstellung, Rückenschule etc.). Mit Bescheid vom 14. Juli 2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Mit ihrem Widerspruch beanstandete die Klägerin, dass die Beklagte und der Gutachter nicht auf die Argumente des Dr. B. eingegangen seien; zudem habe "das Beschwerdebild" seit dem Jahr 2000 stark zugenom-men.
In einem weiteren Gutachten des MDK vom 7. September 2005 stellte die Ärztin J. aufgrund einer Untersuchung der Klägerin die Körpergröße mit 161 cm, das Gewicht mit 109,1 kg (BMI: 42), eine BH-Größe von 105 F und eine Brustlast (nach der Körpergewichtsdifferenzmethode) von 2400 g bds. fest. Es könne weder eine Gewichtsreduktion noch eine muskuläre Konditionierung konstatiert werden. Dass die Estrogenproduktion bei der Klägerin auch durch eine Gewichtsreduktion nicht beeinflusst werden könne (so Dr. B. ), sei kein krankhafter Prozess, sondern eine physiologische Wandlung im Laufe eines weiblichen Lebens. Bei der Ptosis handele es sich nicht um einen krankhaften Zustand, sondern um eine Normvariante. Die aufgrund der Makromastie alle zwei Jahre erforderlichen Vorsorgeuntersuchungen gegen Brustkrebs ließen unter Berücksichtigung des Lebensalters der Klägerin eine krebsinduzierende Wirkung der Bestrahlung nicht erwarten. Eine Linderung der von der Wirbelsäule ausgehenden Beschwerden der Klägerin sei keinesfalls durch eine MRP zu erreichen. Unter Berufung auf diese Stellungnahme wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 7. November 2005 zurück.
Auf die am 5. Dezember 2005 erhobene Klage hat das Sozialgericht drei Befundberichte eingeholt. Die Fachärztin für Chirurgie Dr. S. , bei der die Klägerin von 1994 bis Juni 2007 in Behandlung war, hat unter dem 5. Januar 2006 ausgeführt, dass sich die altersmäßigen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule seit 1994 trotz lang andauernder orthopädischer Behandlung und massiver Physiotherapieverordnung deutlich verschlechtert und das Beschwerdebild vermehrt hätten. Eine klinische Untersuchung habe eine Diskrepanz zwischen Makromastie und sonstigem Körperbau der Klägerin ergeben. Die Ablehnung der MRP durch die Beklagte sei medizinisch nicht nachzuvollziehen. Der Facharzt für Orthopädie Dr. L. , der die Klägerin seit 2003 behandelt, hat unter dem 12. Januar 2006 über Beschwerden der Klägerin im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule (HWS/BWS) sowie über Triggerpoints (tastbare Muskelverhärtungen) im Schulter-Nacken-Bereich berichtet. Die bestehende Makromastie wirke sich ungünstig auf den Verlauf dieser Erkrankungen aus. Er habe daher eine MRP angeraten. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin DM B. schließlich hat unter dem 16. Januar 2006 von rezidivierenden "Verquellungen" im Schultergürtel-Bereich sowie von relativ stabilen Befunden bezüglich eines Diabetes mellitus (Typ II) berichtet.
Mit Urteil vom 31. Januar 2007 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Verschlimmerung der Wirbelsäulenbeschwerden hätte an der im Vorprozess festgestellten Ungeeignetheit der MRP zu ihrer Behandlung nichts geändert. Aufgrund der in der Akte befindlichen Fotografien, des optischen Eindrucks und der Schilderungen der Klägerin über Belästigungen als Kassiererin in der mündlichen Verhandlung wie schon gegenüber dem Gutachter Prof. R. im Vorprozess sei die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Größe ihrer Brüste entstellend wirke und die Teilhabe der Klägerin am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtige. Die MRP sei zur Beseitigung dieses krankheitswertigen Zustands geeignet und erforderlich.
Gegen das ihr am 15. Februar 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. März 2007 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass im Falle der Klägerin zwischen Brustgröße und übrigem Körper im Hinblick auf die Adipositas permagna (sehr ausgeprägte Fettleibigkeit) keine Disproportion bestehe. Anders als in den vom Sozialgericht herangezogenen Urteilen könne daher von einer Entstellung nicht die Rede sein. Zudem sei bei einer Reduzierung des Körpergewichts je Kilogramm mit einem Rückgang des Brustgewichts um 20 g zu rechnen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 31. Januar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Einschätzung des Sozialgerichts von der Übergröße und entstellenden Wirkung ihrer Brüste. Diese seien seit dem Schlaganfall 1997 stark gewachsen. Im Erörterungstermin am 4. März 2009 hat die Klägerin eine (in ihrem Personalausweis eingetragene) Körpergröße von 163 cm, ein Gewicht von 107 kg sowie eine BH-Größe von inzwischen H/I angegeben. Wegen der Größe ihrer Brüste fühle sie sich sowohl als Kassiererin als auch bei anderen Gelegenheiten belastenden Situationen ausgesetzt. So seien einmal während eines Belastungs-EKGs nacheinander fünf Arzthelferinnen durch den Behandlungsraum gegangen; erst im Nachhinein habe sie registriert, dass sie als Schauobjekt gedient habe. In öffentliche Schwimmbäder gehe sie gar nicht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin geschildert, dass sie während der Reha-Maßnahme in der B. klinik Bad K. auf Vorschlag einer Ärztin für die Wassergymnastik einer besonderen Kleingruppe von behinderten Menschen zugewiesen worden sei. In der größeren Gruppe habe sie wegen ihrer großen Brüste nicht daran teilnehmen wollen.
Der Senat hat weitere Befundberichte eingeholt. Die Fachärztin für Chirurgie Dr. S. hat unter dem 17. Dezember 2007 für die Zeit bis Juni 2007 von konstanten Befunden berichtet, wobei die Klägerin eine Zunahme der Beschwerden angegeben habe. Der Fach-arzt für Orthopädie Dr. L. hat unter dem 18. Dezember 2007 über seit 1999 zunehmende Angaben der Klägerin von belastungsabhängigen Schmerzen im HWS/BWS-Bereich mit Ausstrahlung in den Schulter-Nacken-Bereich berichtet. Nach Versagen der schulmedizinischen Maßnahmen habe er zu einer MRP geraten, um eine weitere Chronifizierung des Beschwerdebildes und ein Voranschreiten der degenerativen Veränderungen zu vermeiden. Unter dem 15. Dezember 2009 hat Dr. L. mitgeteilt, dass eine Befundbesserung trotz regelmäßiger Krankengymnastik nicht erreicht worden sei.
Der Facharzt für Neurologie DM B. hat unter dem 17. Dezember 2007 wie auch unter dem 2. Dezember 2009 über einen Zustand nach Posteriorinfarkt links (1997), einer Stenose der Aorta carotis interna rechts (asymptomatisch), ein zervikales muskuläres Schmerzsyndrom und eine Quadrantenanopsie rechts berichtet. Der neurologische Befund sei unverändert, die Gesichtsfelddefekte persistierend. Zugenommen hätten die Beschwerden im muskulären Bereich mit ständigen Schmerzen. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin DM B. hat unter dem 9. Januar 2008 die Diagnosen chronische Rückenschmerzen, Struma nodosa (Vergrößerung der Schilddrüse mit tastbaren Knoten), Z.n. Posteriorinfarkt (1997), Myalgie und Diabetes mellitus Typ II angegeben. Die erhobenen Befunde seien trotz regelmäßiger Behandlungen stabil, insbesondere auch die Schmerzen im Schultergürtel-Nacken-Bereich. Im Bericht vom 18. Dezember 2009 hat DM B. ausgeführt, dass bei den Myogelesen trotz Gewichtsreduktion (von 113 auf 107 kg) keine Besserung eingetreten sei.
Nach dem von Dr. L. vorgelegten Entlassungsbericht der M. klinik in Bad M. vom 7. Oktober 2009 (Stationsarzt Dr. K. ) über eine Reha-Maßnahme vom 9. Septem-ber 2009 bis zum 7. Oktober 2009 hat sich in Einzelgesprächen eine Anpassungsstörung (ICD-10: F 43.23) der Klägerin herausgestellt, die sowohl auf die Belastung durch den seit Jahren geführten Rechtsstreit um die MRP als auch auf die Beschwerden wie Rückenschmerzen und Schamgefühl in der Öffentlichkeit zurückzuführen sei, die mit der vergrößerten Brust der Klägerin einhergingen. Im Abschlussgespräch habe die Klägerin berichtet, weiterhin Schmerzen im LWS-Bereich zu verspüren, jedoch habe deren Häufigkeit deutlich nachgelassen (Intensität auf Skala von 1-10: 5). Ihr Gewicht habe sich während der Maßnahme von 110 auf 108 kg reduziert. Ein Großteil der Beschwerden der Klägerin sei auf die vergrößerte Mamma zurückzuführen und daher eine MRP zu empfehlen.
Der Senat hat schließlich die Akte des Vorprozesses L 4 KR 25/01 LSG Sachsen-Anhalt beigezogen. Ferner hat er den Beteiligten das in einem anderen Rechtsstreit erstattete Gutachten des Instituts für Medizinische Begutachtung Magdeburg (Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie, Sportmedizin und Sozialmedizin Dr. S. ) vom 29. Januar 2009 zur Kenntnis gegeben. Dieses schließt u.a. wegen des Anpassungsvermögens des menschlichen Körpers einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Beschwerden im Haltungs- und Bewegungsapparat und der Größe der weiblichen Brust grundsätzlich aus (Scheinkausalität), wenn nicht eine plötzliche und rapide, sondern eine allmähliche Zunahme der Körpermasse in Rede stehe. Ein wissenschaftlicher Nachweis für den Ursachenzusammenhang bestehe nicht.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Akten des Vorprozesses haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf ihren Inhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und in der Frist des § 151 Abs 1 SGG eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist aber nicht begründet.
Die Klägerin hat - wie das Sozialgericht zutreffend erkannt hat - einen Anspruch darauf, dass eine operative Verkleinerung ihrer Brüste zu Lasten der Beklagten durchgeführt wird. Ein solcher Eingriff ist im konkreten Fall eine im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringende Krankenbehandlung.
Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V). Die Krankenbehandlung setzt eine behandlungsbedürftige Krankheit voraus. Krankheit im Sinne des Versicherungsrechts ist ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - in BSGE 35, 10, 12 mwN = SozR Nr 52 zu § 182 RVO; BSG SozR 2200 § 182 Nr 9). Als "regelwidrig" ist dabei ein Zustand anzusehen, der von der Norm, vom Leitbild des gesunden Menschen, abweicht (BSGE 26, 240, 242 = SozR Nr 23 zu § 182 RVO; BSGE 59, 119, 120 mwN und 66, 248, 249).
Ein solcher regelwidriger Zustand kann auch bei der entstellenden Wirkung einer körperli-chen Abweichung zu bejahen sein, ohne dass damit notwendigerweise der Verlust oder die Störung einer motorischen oder geistigen Funktion einhergehen muss. Eine solche entstellende Wirkung ist im Hinblick auf die Größe der weiblichen Brust anzunehmen, wenn diese es einer Frau erschwert oder gar unmöglich macht, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen, weil sie "naturgemäß" ständig alle Blicke auf sich zieht und zum Objekt der Neugierde wird, so dass ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt wird (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 45 S. 253).
Bei der Klägerin liegt aufgrund der außergewöhnlichen Größe ihrer Brüste eine Entstellung vor, die nur durch eine operative Brustverkleinerung ausgeglichen werden kann. Der Senat kommt zu diesem Ergebnis aufgrund der Auswertung der vorliegenden medizinischen Befunde und der eigenen tatrichterlichen Beurteilung in der mündlichen Verhandlung.
Übereinstimmend wird von allen behandelnden Ärzten und Gutachtern die außergewöhnliche Gigantomastie der Klägerin bestätigt (Jugulum-Mamillen-Abstand: 47/49 cm; BH-Körbchengröße F/G, nach Angaben der Klägerin zuletzt H). Die Brustgröße nimmt dabei weiter zu. Nach der Anamnese im Gutachten von Prof. R. im Vorprozess (Bl. 47 ff. dieser Akten) hat sich die seit der Pubertät schon große Brust der Klägerin nach der Geburt des ersten Kindes im Jahre 1972 weiter vergrößert und nicht wieder zurückgebildet. Ein erneutes Wachstum setzte nach einem Schlaganfall im Jahre 1997 und der zeitgleich eingetretenen Menopause ein. In seinem Arztbrief vom 7. Juni 2005 stellte Dr. B. eine weitere erhebliche Zunahme des Volumens seit dem Jahr 2000 fest, die sich nach seinem Urteil nicht mit einer Gewichtszunahme erklären ließ.
Wie die seit nunmehr zehn Jahren geführten Rechtsstreite und die darin eingeholten Befundberichte und sonstigen ärztlichen Stellungnahmen belegen, leidet die Klägerin seit langer Zeit erheblich an den Folgen dieser anatomischen Besonderheit. Dies folgt etwa aus den Befundberichten der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin DM B. (vgl. bereits Befundbericht vom 31. Mai 2000, Bl. 34 f. d. A. des Vorprozesses) sowie aus der Begutachtung durch Prof. R. vom 2. Januar 2001 (Bl. 47 ff. d. A. des Vorprozesses). Im Abschlussbericht von Dr. K. über die Reha-Maßnahme in der M. klinik in Bad M. vom 7. Oktober 2009 werden eine verzweifelte Stimmung und Niedergeschlagenheit der Klägerin festgestellt und eine Anpassungsstörung (ICD F43.23) wegen der großen Brüste u.a. aufgrund von Schamgefühl in der Öffentlichkeit diagnostiziert.
Der Senat verkennt nicht, dass aus diesen Feststellungen noch nicht zwangsläufig das Vorliegen einer körperlichen Entstellung zu folgern ist. Das BSG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass bei der Bewertung als Entstellung die außerordentliche Vielfalt von Form und Größe der weiblichen Brust zu berücksichtigen ist. Dies hat zur Folge, dass aufgrund einer besonderen Größe oder Form der Brust "kaum" eine Entstellung festzustellen sein wird (vgl. Urteil des BSG vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 9/04 R). Diese Einschätzung teilt der erkennende Senat, der – ebenso wie der seinerzeit für das Krankenversicherungsrecht zuständige 4. Senat des LSG Sachsen-Anhalt (vgl Urt v 10. November 2005 – L 4 KR 22/05, Juris) – in seiner Spruchpraxis auch mehrfach darauf hingewiesen hat, dass alleine die subjektive Einschätzung einer Klägerin, die Form ihrer Brüste sei auffällig, stigmatisiere sie und bedürfe deshalb der Korrektur, nicht zum Anspruch auf einen operativen Eingriff zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung führen kann. Im konkreten Fall liegt nach der Auffassung des erkennenden Senats aber eine Ausnahme vor.
Aufgrund des Augenscheins in der mündlichen Verhandlung, bei der die Klägerin in normaler, die Größe ihrer Brust nicht besonders betonender Bekleidung aufgetreten ist, gelangt der Senat in Übereinstimmung mit der Vorinstanz zu der Einschätzung, dass die Größe und Ausprägung der Brüste der Klägerin schon bei flüchtiger Betrachtung im alltäglichen Leben stark auffällig ist und von einem unvoreingenommenen Betrachter als außergewöhnlich bewertet wird. Der optische Eindruck der extrem groß und schwer wirkenden Brüste ist geradezu "erschlagend" und wesentlich auffälliger als der bei anderen Klägerinnen, die ebenfalls ihr Begehren auf eine MRP vor dem Senat in einer mündlichen Verhandlung vorgetragen haben. Das gilt trotz der bei der Klägerin zweifellos bestehenden erheblichen Adipositas. Denn das Übergewicht der Klägerin fällt nicht in gleicher Weise ins Auge; ihre Erscheinung wirkt – von den Brüsten abgesehen – keineswegs voluminös, sondern eher klein und kompakt (Körpergröße 163 cm). Hierzu bilden die Brüste aufgrund ihres extremen Volumens (Körbchengröße G bis H) einen hervorstechenden, ins Auge springenden Kontrast. Diese Einschätzung wird von Dr. S. in ihrem Bericht vom 5. Januar 2006 bestätigt, in welchem sie aufgrund einer klinischen Untersuchung eine Diskrepanz zwischen Makromastie und sonstigem Körperbau konstatierte. Die Ablehnung der MRP durch die Beklagte sei medizinisch nicht nachzuvollziehen. Nach der Einschätzung des Senats lässt sich die Auffälligkeit der Brüste der Klägerin aufgrund der außergewöhnlichen Größe durchaus in den Folgen mit der Kahlköpfigkeit bei einer Frau vergleichen.
Aufgrund dieses äußeren Eindrucks hält es der Senat für glaubhaft und naheliegend, dass sich die Klägerin – wie sie vorträgt – in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und sportlichen Leben eingeschränkt fühlt. Die von der Klägerin ohne jedes Anzeichen für Übertreibung geschilderten Erlebnisse aus ihrem Privat- und Berufsleben (an der Kasse oder bei der Wassergymnastik sowie bei der Vermeidung öffentlicher Schwimmbäder) erscheinen dem Senat nach dem Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, wahrheitsgemäß wiedergegeben. Dass die Klägerin danach u. a. zum Schauobjekt von Arzthelferinnen geworden ist, die berufsbedingt durchaus an unterschiedlichste Anblicke gewöhnt sein dürften, verdeutlicht die entstellende Wirkung der großen Brüste.
Diese Feststellung wird indiziell dadurch bestätigt, dass mit Ausnahme des MDK sämtliche behandelnden Ärzte und Gutachter, denen sich die Klägerin vorgestellt hat, eine operative Brustverkleinerung als Leistung der Krankenkasse befürwortet haben. Auch wenn dies überwiegend aus orthopädischen Gründen geschah, wird dafür auch die äußere Erscheinung der Klägerin von maßgeblicher Bedeutung gewesen sein. Das wird in den Stellungahmen von Dr. B. und Dr. S. deutlich und dürfte auch sonst das ärztliche Urteil beeinflusst haben. Eine Entstellung wird – ohne ausdrückliche Befragung hierzu – schon aus Gründen der Rücksichtnahme kaum attestiert werden. Andererseits verspricht eine orthopädische Indikation üblicherweise die größten Erfolgsaussichten für die Durchsetzung der befürworteten Therapie (MRP) bei den Krankenkassen.
Der Beeinträchtigung in der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben kann schließlich nicht durch eine psychologische Betreuung erfolgreich entgegen gewirkt werden, mit deren Hilfe versucht wird, den Körper in seiner Gesamtheit akzeptieren zu lernen. Die Beeinträchtigung der Teilhabe ist zur Überzeugung des Senats nicht durch eine krankhafte Fehlverarbeitung bei der Klägerin bedingt. Sie geht vielmehr von den durch die extreme Auffälligkeit der Brüste immer wieder zu erwartenden spontanen Reaktionen der Mitmenschen aus (Hinstar-ren, erkennbare Verwunderung, Tuscheln etc.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.
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