Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 2 SB 128/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 9/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Gesamt-GdB bei mehreren Behinderungen
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Grad der Behinderung (GdB) streitig.
Der am ... 1960 geborene Kläger erlitt im Mai 2005 einen Hinterwandmyokardinfarkt und beantragte am 6. Juni des Jahres beim Beklagten die Feststellung einer Behinderung. Dem Antrag war ein Reha-Entlassungsbericht der P.-Klinik B. über seinen stationären Aufenthalt vom 24. Mai bis 14. Juni 2005 beigefügt. Chefarzt Dr. M. diagnostizierte darin:
Koronare Zweigefäßerkrankung mit PTCA und Stentversorgung der RCA im Mai 2005 Zustand nach Myokardinfarkt 2. Mai 2005 Adipositas arterieller Hypertonus insulinpflichtiger Diabetes mellitus 2 (ED Mai 2005) ohne PNP.
Ferner gab der Arzt an: Bei der klinischen Aufnahme habe sich der Patient in einem guten Allgemein- und Kräftezustand ohne Luftnot befunden. Echokardiografisch sei von einer leicht reduzierten linksventrikulären Pumpfunktion mit einem EF-Wert (Verhältnis von Schlagvolumen zu enddiostolischem Volumen in Prozent) von 56 % auszugehen. Er sei ergometrisch bis 125 Watt belastbar. Beruflich sei er deutschlandweit als Gleisbauer und Schweißer tätig und müsse dabei kurzzeitig auch schwere körperliche Tätigkeiten verrichten. Der Diabetes mellitus sei im Klinikum Q. erkannt und auf Insulin eingestellt worden. Eine Insulintherapie sei derzeit nicht mehr notwendig. Der Beklagte holte einen Befundbericht vom Facharzt für Allgemeinmedizin R. ein, dem ein Arztbrief des Klinikums Q. über eine ambulante Behandlung vom 5. Juli 2005 mit der Einschätzung von Privatdozent Dr. P. beigefügt war, dass der Kläger wieder im Beruf eingesetzt werden könne. Die Versorgungsärztin Dr. R. bewertete am 10. August 2005 in Auswertung dieser Unterlagen die Durchblutungsstörungen des Herzens, den Bluthochdruck sowie die die Zuckerkrankheit mit einem Gesamt–GdB von 20. Dem folgend stellte der Beklagte mit Feststellungsbescheid vom 11. August 2005 ab dem 6. Juni 2005 einen GdB von 20 fest.
Am 24. Mai 2006 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Behinderung und darüber hinaus das Merkzeichen "G" (erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr); er fügte den weiteren Reha-Entlassungsbericht der P.-KlinikB. über seinen stationären Aufenthalt vom 8. Mai bis 2. Juni 2006 bei. Chefarzt Dr. M. berichtete darin die bereits bekannten Erkrankungen und teilte rezidivierende Gichtanfälle bei einer aktuellen Normurikämie (Erhöhung der Harnsäure im Blut) mit. Der Patient habe seit Januar 2006 eine zunehmende Belastungsluftnot bemerkt. Das Treppensteigen sei ihm noch gut möglich. Der ursprünglich insulinpflichtige Diabetes mellitus sei nun bereits seit über einem Jahr diätetisch gut geführt. Bei einem Belastungs-EKG am 12. Mai 2006 habe er eine maximale Stufe von 100 Watt für eine Minute bei einem Puls von 147/min und einem Blutdruck von 177/73 mmHg erreicht. Dabei seien keine Ischämiezeichen aufgetreten. Der systolische Blutdruckwert habe im Tagesprofil zwischen 110 und 120 mmHg gelegen. Diastolisch liege dieser Wert zwischen 60 und 80 mmHg. Der Rehabilitationsverlauf sei wie folgt einzuschätzen: Bei der Aufnahme sei der Kläger auf mittlerem Belastungsniveau kardiopulmonal kompensiert und relativ beschwerdefrei gewesen. Er habe am kardiologischen Programm mit Ausnahme einer kurzen Durchfallerkrankung im Wesentlichen ungehindert teilnehmen können und eine angemessene Leistungssteigerung erreicht. Zwar könne er seinen alten Beruf nicht mehr ausüben, perspektivisch sei ihm jedoch bei günstigem Verlauf nach etwa sechs Monaten eine leichte bis mittelschwere Arbeit ohne Stress- und Akkordbelastungen wieder möglich. Mit Bescheid vom 12. Juli 2006 hob der Beklagte den Bescheid vom 11. August 2005 auf und stellte ab dem 24. Mai 2006 einen GdB von 30 fest. Hiergegen legte der Kläger am 24. Juli 2006 Widerspruch ein und rügte die unvollständige Prüfung und Bewertung seiner Funktionsbeeinträchtigungen. Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2007 den Widerspruch zurück.
Am 5. Juni 2007 hat der Kläger beim Sozialgericht Magdeburg Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Er könne seine bisherige Tätigkeit aufgrund der Folgen des Herzinfarktes nicht mehr ausüben. Auch die letzte Heilbehandlung in B. im Frühjahr 2007 habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wieder herstellen können. Die vorliegenden Behinderungen rechtfertigten daher einen GdB von wenigstens 50. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von Dr. R. vom 30. Oktober 2008 eingeholt. Danach habe der Kläger als Beschwerden Herzschmerzen, Atemnot sowie eine Belastungsinsuffizienz angegeben. Im Jahr 2005 hätten die Blutzuckerwerte vorübergehend noch zum Teil über 10,0 mmol/l gelegen, seien aber unter Insulingabe so weit normalisiert worden, dass der Diabetes mellitus jetzt diätetisch geführt werden könne. Der Kläger sei nicht mehr voll belastbar und könne seinen alten Beruf als Schweißer nicht mehr ausüben. Insgesamt bestehe eine reduzierte Belastbarkeit für das Berufsleben. Dem Befundbericht waren zwei Arztbriefe des Klinikums Q. (Klinik für Innere Medizin) beigefügt. Im Brief vom 23. Dezember 2005 berichtete Privatdozent Dr. P. über ein exzellentes Langzeitergebnis bei der erneuten Herzkathederuntersuchung zur Kontrolle der Stentimplantation. Zur Beseitigung einer zwischenzeitlich fortgeschrittenen langstreckigen Stenose sei eine zweimalige Dilatation und Doppelstentimplantation der RCA (Arteria coronaria dextra, das rechte Herzkranzgefäß) mit dem Ergebnis einer Reststenose von weniger als 10% durchgeführt worden. Im Brief vom 20. März 2006 gab Dr. P. an: Wegen erneuter deutlicher Progression der Koronarsklerose mit 70%iger Stenose des proximalen RIVA (Ramus interventricularis anterior, einer der beiden Äste der linken Herzkranzarterie, versorgt typischerweise die Herzvorderwand und Teile des Septums zwischen den Kammern; ein Verschluß des RIVA führt zu einem Vorderwandinfarkt) müsse eine koronare Bypassoperation durchgeführt werden. Diese Operation wurde am am 26. April 2006 durchgeführt. Ferner war dem Befundbericht von Dr. R. der Entlassungsbericht der Knappschaftsklinik B. über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 20. März 2007 bis 10. April 2007 beigefügt. Darin gab Oberarzt P. an: Während des stationären Aufenthaltes habe der Patient eine intensive Schulungs- und Trainingskurmaßnahme durchlaufen. Eine Ergo-Spirometrie vom 26. März 2007 habe eine befriedigende Belastbarkeit bis 115 Watt bei einem Puls von 113/Min sowie einem Blutdruck von 159/96 mmHg ergeben. Im Belastungstest hätten fragliche Ischämiezeichen bestanden, da vereinzelt ventrikuläre Extrasystolen und selten supraventrikuläre Extrasystolen aufgetreten seien. Bei seiner Entlassung sei der Kläger für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schweißer und Gleisbauer mit Montagetätigkeit arbeitsunfähig. Er könne nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Stress und ohne Zeitdruck vollschichtig ausüben. In einem weiteren Arztbrief hat die Fachärztin für Innere Medizin Dr. T. unter dem 20. Juni 2008 angegeben: Der Kläger habe aktuell keine Beschwerden und sei auf Arbeitssuche. Der Blutzuckerwert habe sich zwischenzeitlich verschlechtert, sei jedoch nach Gewichtsabnahme wieder besser geworden. Echokardiografisch sei der Befund unverändert.
Der Beklagte hat nach Auswertung dieser Unterlagen eine prüfärztliche Stellungnahme von Frau S. vom 19. November 2008 vorgelegt, wonach die Herzleistungsminderung mit einem GdB von 30 bereits wohlwollend bewertet sei, weil der Kläger im Jahr 2007 eine ergometrische Belastung von 115 Watt erreicht habe. Hinweise für Folgeerscheinungen des Blutdrucks seien nicht erkennbar. Der Diabetes mellitus sei diätetisch eingestellt und rechtfertige keinen GdB mehr. Insgesamt sei von einem GdB von 30 auszugehen.
Das Sozialgericht Magdeburg hat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung im Urteil vom 4. Februar 2009 die Klage abgewiesen und sich in der Begründung der prüfärztlichen Stellungnahme angeschlossen. Der Blutdruck des Klägers sei gut eingestellt und rechtfertige höchstens einen Einzel-GdB von 10.
Nach Zustellung des Urteils am 11. Februar 2009 hat der Kläger am 3. März 2009 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Seine reduzierte Belastbarkeit habe zur Aufgabe seines früheren Berufs geführt. Diese geringe Belastbarkeit bestätige auch sein Hausarzt. Zur genauen Bewertung des Umfangs der Behinderung sei ein abschließendes Gutachten erforderlich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 4. Februar 2009 aufzuheben, den Bescheid vom 12. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2007 aufzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung vom 24. Mai 2006 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Bescheide sowie die Entscheidung der Vorinstanz für zutreffend.
Der Berichterstatter hat die Gerichtsakte des Rentenverfahrens des Klägers vor dem Sozialgericht Magdeburg (Az. S 6 KN 99/07) beigezogen und aktuelle Befundberichte von Dr. R. und Frau Dr. T. eingeholt. Dr. R. hat unter dem 24. August 2009 folgende Beschwerden des Klägers angegeben: Wiederholte Schwindelattacken, Kopfschmerzen, Sehstörungen und Kreislaufprobleme. Der Befund habe sich verschlechtert. Der Kläger sei nicht mehr belastbar und erheblich beeinträchtigt. Dr. T. hat unter dem 23. August 2009 angegeben: Der Kläger habe über eine wetterabhängige Luftnot und Brustschmerzen sowie über kalte Füße und Schweißausbrüche geklagt. Seine Leistungsfähigkeit habe sich leicht verbessert, wobei die übrigen Befunde unverändert geblieben seien. Alltagsbelastungen wie Treppensteigen und Gehen seien ihm möglich. Zusammenfassend sei seine Leistungsfähigkeit mäßig eingeschränkt. Nach dem beigefügten Arztbrief vom 19. Dezember 2008 an Dr. R. hatte Frau Dr. T. Folgendes berichtet: Ein Ergometerbelastungstest habe über acht Minuten und 20 Sekunden bis maximal 150 Watt durchgeführt werden können. Der Abbruch sei wegen Ermüdung bei einer Ausbelastungsfrequenz von 86 % erfolgt. Ischämietypische Veränderungen des EKG seien nicht aufgetreten. Leistungsfähigkeit und Körpergewicht hätten sich erhöht. In einem weiteren Arztbrief vom 19. Juni 2009 hatte Dr. T. gegenüber dem behandelnden Hausarzt angegeben, der Kläger habe in einer Anamnese vom 19. Juni 2009 über Probleme in seiner neuen Arbeit berichtet. Er fühle sich darin überfordert, habe jedoch kardial eigentlich keine Probleme. Der echokardiografische Befund sei unverändert.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten sowie das Rentenverfahren S 6 Kn 99/07 (Sozialgericht Magdeburg) haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch statthafte Berufung des Klägers, ist nicht begründet.
Die Klage gegen den Bescheid vom 12. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2007 ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft. Sie ist jedoch unbegründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von mehr als 30. Bei der hier erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2000 - B 9 SB 3/99 R = SozR 3-3870 § 3 Nr. 9 S. 22). Danach liegt bei dem Kläger seit dem 24. Mai 2006 bis zur Entscheidung des Senats kein GdB von mehr als 30 vor.
Da der Beklagte bereits mit Bescheid vom 11. August 2005 einen GdB von 20 festgestellt und damit über den GdB des Klägers entschieden hat, richten sich die Voraussetzungen für die Neufeststellung nach § 48 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustands eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrads um wenigstens 10 ergibt. Die Änderung der Behinderungsbezeichnung oder das Hinzutreten weiterer Teil-Behinderungen ohne Auswirkung auf den Gesamtbehinderungsgrad allein stellen noch keine wesentliche Änderung dar (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 – B 9 SB 18/97 R, zitiert nach juris). Für die wesentliche Änderung kommt es weder auf den Inhalt des Vergleichsbescheids noch auf die von der Behörde bei der Bewilligung oder später angenommenen Verhältnisse, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse und deren objektive Änderung an (KassKomm-Steinwedel, SGB X, § 48 Rdnr. 14 m.w.N.).
Im Vergleich zu den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheids vom 11. August 2005 vorgelegen haben, ist eine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten, die eine Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrads von 20 auf 30 gerechtfertigt hat. Deshalb hat der Beklagte zu Recht mit Bescheid vom 12. Juli 2006 den Bescheid vom 11. August 2005 aufgehoben und einen GdB von 30 ab 24. Mai 2006 festgestellt. Eine darüber hinaus gehende Erhöhung des Grades der Behinderung ist jedoch seit der Antragstellung am 24. Mai 2006 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht festzustellen, sondern weiterhin von einem Grad der Behinderung von 30 auszugehen.
Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Der hier anzuwendende § 69 SGB IX ist durch die Gesetze vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) und vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden. Infolge der verfahrensrechtlichen Änderungen des § 69 SGB IX durch das Gesetz vom 23. April 2004 (a.a.O.) hat sich im Übrigen nur die Satzzählung geändert. Im Folgenden werden die Vorschriften des § 69 SGB IX nach der neuen Satzzählung zitiert.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den Grad der Behinderung die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den Grad der Behinderung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Absatz 17 ermächtigt worden ist.
Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 R – SozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind – inhaltlich unverändert – in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2004 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden. Im Folgenden werden die Vorschriften der Versorgungsmedizinische Grundsätze zitiert. Die Begriffe GdS und GdB werden dabei nach gleichen Grundsätzen bemessen. Sie unterscheiden sich lediglich dadurch, dass sich der GdS kausal auf Schädigungsfolgen und sich der GdB final auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von deren Ursachen auswirkt (vgl. Versorgungsmedizinsche Grundsätze, Teil A: Allgemeine Grundsätze 2 a (S. 8)).
Durch die Neuregelung ist den Einwänden gegen die bisherigen "Anhaltspunkte" jedenfalls für den vorliegenden Fall der Boden entzogen worden. Zum einen ist durch die Neuregelung die auch von der Rechtsprechung geforderte Rechtsgrundlage für die bisherigen "Anhaltspunkte" geschaffen worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 28. September 2007, BT-Drucks. 16/6541, S. 1, 31). Zum anderen ist durch die Verweisung des neu gefassten § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX auf die Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG klargestellt worden, dass auch für die Feststellung des GdB "die allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen" maßgeblich sind. Zudem hatte sich auch schon zu der früheren Fassung des § 69 Abs. 1 SGB IX eine ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebildet, nach der trotz der Ersetzung des Schwerbehindertengesetzes durch das SGB IX inhaltlich das Beurteilungsgefüge der Anhaltspunkte maßgeblich geblieben war (vgl. BSG, Urt. v. 24. April 2008 – B 9/9a SB 6/06 R – in juris Rn. 15 m.w.N.).
Der hier streitigen Bemessung des GdB ist daher die GdS (Grad der Schädigung)-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A, S. 17 ff.) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A, S. 8 ff.) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, S. 8) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a, Seite 18).
Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen des Klägers kein höherer GdB als 30 festgestellt werden. Dabei stützt sich der Senat auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten, die eingeholten Befundberichte und Arztbriefe sowie auf die rentenversicherungsrechtlichen Entlassungsberichte der P.-Klinik B. und der Knappschaftsklinik B.
a. Das Hauptleiden des Klägers betrifft das Funktionssystem "Herz und Kreislauf". Nach den hier maßgeblichen Anhaltspunkten 2004 sowie 2008 Nr. 26.9 (S. 71 ff) bzw. den versorgungsmedizinischen Grundsätzen (2009) Ziff. 9 (S. 46 ff), kommt es bei Herz-Kreislauferkrankungen nicht auf die Art der Erkrankung, sondern auf die jeweilige konkrete Leistungseinbuße an. Bei der Beurteilung des GdB ist daher zunächst grundsätzlich von dem klinischen Bild und von den Funktionseinschränkungen im Alltag auszugehen. Ergometerdaten und andere Parameter stellen dabei lediglich Richtwerte dar, die das klinische Bild ergänzen. Elektrokardiografische Abweichungen allein gestatten in der Regel keinen Rückschluss auf die Leistungseinbuße. Auswirkungen des Leidens auf andere Organe (z.B. Lungen, Leber, Gehirn, Nieren) sind zu beachten.
Entsprechend der Nr. 26.9 der AHP 2004 und 2008 (S. 71 f) bzw. den versorgungsmedizinischen Grundsätzen Ziff. 9 (S. 46 ff) ist bei Herzkrankheiten von folgendem Bewertungsrahmen auszugehen:
Krankheiten des Herzens
(Herzklappenfehler, koronare Herzkrankheit, Kardiomyopathien, angeborene Herzfehler u.a.)
1. ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (z.B. sehr schnelles Gehen [7-8 km/h], schwere körperliche Arbeit), keine Einschränkung der Solleistung bei Ergometerbelastung; bei Kindern und Säuglingen (je nach Alter) beim Strampeln, Krabbeln, Laufen, Treppensteigen keine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung, keine Tachypnoe, kein Schwitzen ... 0 – 10
2. mit Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (z.B. forsches Gehen [5-6 km/h], mittelschwere körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten); bei Kindern und Säuglingen Trinkschwierigkeiten, leichtes Schwitzen, leichte Tachy- und Dyspnoe, leichte Zyanose, keine Stauungsorgane, Beschwerden und Auftreten pathologischer Meßdaten bei Ergometerbelastung mit 1 Watt/kg Körpergewicht ...20 – 40
3. mit Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z.B. Spazierengehen [3-4 km/h], Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Meßdaten bei Ergometerbelastung mit 50 Watt (wenigstens 2 Minuten); bei Kindern und Säuglingen deutliche Trinkschwierigkeiten, deutliches Schwitzen, deutliche Tachy- und Dyspnoe, deutliche Zyanose, rezidivierende pulmonale Infekte, kardial bedingte Gedeihstörungen, Beschwerden und Auftreten pathologischer Meßdaten bei Ergometerbelastung mit 0,75 Watt/kg Körpergewicht ...50 – 70
Die kardiologische Belastbarkeit des Klägers ergab zwischen 2006 bis 2008 eine leichte Verbesserung des Leistungsbildes. Nach den vorliegenden Unterlagen erreichte der Kläger nach dem Reha-Entlassungsbericht der P.-Klinik B. im Mai/Juni 2006 bei einem Belastungs-EKG vom 12. Mai 2006 eine maximale Stufe von 100 Watt für eine Minute bei einem Puls von 147/min und einem Blutdruck von 177/73 mmHg. Hierbei zeigten sich keinerlei Ischämiezeichen. Insgesamt ergeben sich nach dem Reha-Entlassungsbericht keine Hinweise auf eine Leistungseinschränkung schon bei alltäglicher leichter Belastung, sondern eine Leistungsfähigkeit für mittelschwere Tätigkeiten. Nach dem späteren stationären Aufenthalt in der Knappschaftsklinik B. im März/April 2007 erreichte der Kläger bei einer Ergo-Spirometrie vom 26. März 2007 eine Belastbarkeit bis 115 Watt bei einem Puls von 113/Min sowie einem Blutdruck von 159/96 mmHg, wobei jedoch Hinweise auf Ischämiezeichen aufgetreten waren. Auch dort wurde der Kläger nach ärztlicher Einschätzung mit einem mittleren Leistungsbild eingeschätzt. Noch besser war das Ergebnis des Belastungstests vom 19. Dezember 2008. Nach dem Bericht von Dr. T. erreichte der Kläger bei einer Ergometerbelastung vom 19. Dezember 2008 bei einer Belastungszeit von über 8 Minuten 20 Sekunden bis maximal 150 Watt. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Dr. T. die Leistungsfähigkeit des Klägers als nur mäßig eingeschränkt bewertet hat. Alltagsbelastungen wie Treppensteigen und ähnliches sind ihm danach noch problemlos möglich, was einen Einzel-GdB von mehr als 30 nicht rechtfertigt. Angesichts dieser Befunde und der Bewertung von Frau Dr. T. kann der Einschätzung von Dr. R. vom 24. August 2009, der Befund habe sich verschlechtert und der Kläger sei nicht mehr belastbar und erheblich beeinträchtigt, nicht gefolgt werden. Offenbar hat Dr. R. seine Bewertung hauptsächlich auf die Beschwerdeangaben des Klägers gestützt, obwohl nach der ihm bekannten deutliche positiveren Leistungseinschätzung von Dr. T. eine andere Bewertung nahe gelegen hat. Die für den Kläger belastende Tatsache, seine alte Berufstätigkeit wegen der damit verbundenen schweren Arbeiten sowie der hohen Zeitbelastung nicht mehr ausüben zu können, bleibt für die Bewertung des Einzel-GdB außer Betracht. Nach der medizinischen Einschätzung der Knappschaftsklinik B. sind ihm noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Stress und ohne Zeitdruck möglich. Diese Leistungseinschätzung hat sich auch nach den Feststellungen von Dr. T. nicht geändert, sondern sogar eher noch leicht gebessert. Die für eine höhere GdB-Bewertung notwendige Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung kann beim Kläger daher vom Senat nicht festgestellt werden.
Als weiteres Leiden besteht beim Kläger im selben Funktionssystem ein Bluthochdruck, der nach Ansicht des Senats jedoch höchstens mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet werden kann.
Nach Nr. 26.9 S. 75 der Anhaltspunkte 2004 und 2008 bzw. den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen Ziffer 9.3 (S. 51) ist beim Bluthochdruck von folgendem Bewertungsrahmen auszugehen.
Hypertonie (Bluthochdruck) leichte Form keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) ... 0 – 10 mittelschwere Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen – Fundus hypertonicus I-II – und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung ...20 – 40
Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen bestehen keine Hinweise für blutdruckbedingte Leistungseinschränkungen oder für dadurch bewirkte Organbeteiligungen, so dass keine Tatsachen bestehen, die den GdB-Rahmen von 20 und mehr eröffnen könnten.
b. Daneben leidet der Kläger im Funktionsbereich "Stoffwechsel, innere Sekretion" an einem Diabetes Mellitus sowie an einer Gicht mit erhöhten Harnsäurewerten im Blut, die jeweils keinen Einzel-GdB von mehr als 10 rechtfertigen.
Nach dem Bewertungsrahmen in 26.15 der Anhaltspunkte 2004 und 2008 (S. 98 ff) und den gleichlautenden versorgungsmedizinischen Grundsätzen kommt es beim Diabetes mellitus nicht auf die Laborwerte, sondern auf die jeweils konkreten Auswirkungen an.
Während beim Kläger zunächst für einen kurzen Zeitraum im Jahr 2005 die Insulingabe erforderlich wurde, stabilisierten sich vor seinem Neufeststellungsantrag seine Blutzuckerwerte unter dieser kurzzeitigen Insulintherapie so deutlich, dass der Diabetes mellitus seit 2006 lediglich diätetisch geführt werden muss. Dieser Zustand rechtfertigt nach den Anhaltspunkten bzw. den versorgungsmedizinischen Grundsätzen einen Einzel-GdB von allenfalls 10. Die neue Rechtsprechung des BSG zum Diabetes mellitus und die damit verbundene besondere Hervorhebung der Einstellungsqualität sowie des Therapieaufwandes (vgl. Urteil vom 24. April 2008 – B 9/9a SB 10/06 R; Urteil vom 11. Dezember 2008 – B 9/9a SB 4/07 R; Urteil vom 23. April 2009 – B 9 SB 3/08 R, jeweils zitiert nach juris) bezieht sich nur auf den insulinpflichtigen Diabetes mellitus, der beim Kläger nicht vorliegt.
Bei der Gicht kommt es auf die jeweiligen Funktionseinschränkungen der betroffenen Gelenke, die Schmerzen, die Häufigkeit der entzündlichen Schübe sowie die mögliche Beteiligung der inneren Organe an. Nach den vorliegenden Unterlagen sind keine darauf bezogenen Funktionseinschränkungen ärztlich dokumentiert. Für die Feststellung eines Einzel-GdB bleibt daher kein Raum.
c. Da bei dem Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren Grad der Behinderung vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Gesamtbehinderung zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Nr. 3. a) – c) der Allgemeinen Grundsätze der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Seite 8) anzuwenden. Nach Nr. 3 c) (Seite 10) ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt, und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.
Danach ist von dem Behinderungsgrad von 30 als höchstem Einzelbehinderungsgrad auszugehen. Dieser kann auch nicht erhöht werden, weil der Bluthochdruck und das weitere betroffene Funktionssystem "Stoffwechsel, innere Sekretion" nur mit einem Einzelgrad von höchstens 10 zu bewerten sind. Denn nach Nr. 3 Ziff. d) ee) (S. 10) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze führen – von hier fern liegenden Ausnahmefällen abgesehen – zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzelgrad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen und verschiedene Lebensbereiche betreffen (vgl. BSG, Urteil v. 13.12.2000 – B 9 V 8/00 R = SozR 3 – 3870 § 4 Nr. 28).
Letztlich widerspräche hier die von dem Kläger begehrte Schwerbehinderteneigenschaft dem nach Nr. 3 b) (S. 10) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu berücksichtigenden Gesamtmaßstab. Die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen beeinträchtigt seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Grad der Behinderung (GdB) streitig.
Der am ... 1960 geborene Kläger erlitt im Mai 2005 einen Hinterwandmyokardinfarkt und beantragte am 6. Juni des Jahres beim Beklagten die Feststellung einer Behinderung. Dem Antrag war ein Reha-Entlassungsbericht der P.-Klinik B. über seinen stationären Aufenthalt vom 24. Mai bis 14. Juni 2005 beigefügt. Chefarzt Dr. M. diagnostizierte darin:
Koronare Zweigefäßerkrankung mit PTCA und Stentversorgung der RCA im Mai 2005 Zustand nach Myokardinfarkt 2. Mai 2005 Adipositas arterieller Hypertonus insulinpflichtiger Diabetes mellitus 2 (ED Mai 2005) ohne PNP.
Ferner gab der Arzt an: Bei der klinischen Aufnahme habe sich der Patient in einem guten Allgemein- und Kräftezustand ohne Luftnot befunden. Echokardiografisch sei von einer leicht reduzierten linksventrikulären Pumpfunktion mit einem EF-Wert (Verhältnis von Schlagvolumen zu enddiostolischem Volumen in Prozent) von 56 % auszugehen. Er sei ergometrisch bis 125 Watt belastbar. Beruflich sei er deutschlandweit als Gleisbauer und Schweißer tätig und müsse dabei kurzzeitig auch schwere körperliche Tätigkeiten verrichten. Der Diabetes mellitus sei im Klinikum Q. erkannt und auf Insulin eingestellt worden. Eine Insulintherapie sei derzeit nicht mehr notwendig. Der Beklagte holte einen Befundbericht vom Facharzt für Allgemeinmedizin R. ein, dem ein Arztbrief des Klinikums Q. über eine ambulante Behandlung vom 5. Juli 2005 mit der Einschätzung von Privatdozent Dr. P. beigefügt war, dass der Kläger wieder im Beruf eingesetzt werden könne. Die Versorgungsärztin Dr. R. bewertete am 10. August 2005 in Auswertung dieser Unterlagen die Durchblutungsstörungen des Herzens, den Bluthochdruck sowie die die Zuckerkrankheit mit einem Gesamt–GdB von 20. Dem folgend stellte der Beklagte mit Feststellungsbescheid vom 11. August 2005 ab dem 6. Juni 2005 einen GdB von 20 fest.
Am 24. Mai 2006 beantragte der Kläger die Neufeststellung seiner Behinderung und darüber hinaus das Merkzeichen "G" (erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr); er fügte den weiteren Reha-Entlassungsbericht der P.-KlinikB. über seinen stationären Aufenthalt vom 8. Mai bis 2. Juni 2006 bei. Chefarzt Dr. M. berichtete darin die bereits bekannten Erkrankungen und teilte rezidivierende Gichtanfälle bei einer aktuellen Normurikämie (Erhöhung der Harnsäure im Blut) mit. Der Patient habe seit Januar 2006 eine zunehmende Belastungsluftnot bemerkt. Das Treppensteigen sei ihm noch gut möglich. Der ursprünglich insulinpflichtige Diabetes mellitus sei nun bereits seit über einem Jahr diätetisch gut geführt. Bei einem Belastungs-EKG am 12. Mai 2006 habe er eine maximale Stufe von 100 Watt für eine Minute bei einem Puls von 147/min und einem Blutdruck von 177/73 mmHg erreicht. Dabei seien keine Ischämiezeichen aufgetreten. Der systolische Blutdruckwert habe im Tagesprofil zwischen 110 und 120 mmHg gelegen. Diastolisch liege dieser Wert zwischen 60 und 80 mmHg. Der Rehabilitationsverlauf sei wie folgt einzuschätzen: Bei der Aufnahme sei der Kläger auf mittlerem Belastungsniveau kardiopulmonal kompensiert und relativ beschwerdefrei gewesen. Er habe am kardiologischen Programm mit Ausnahme einer kurzen Durchfallerkrankung im Wesentlichen ungehindert teilnehmen können und eine angemessene Leistungssteigerung erreicht. Zwar könne er seinen alten Beruf nicht mehr ausüben, perspektivisch sei ihm jedoch bei günstigem Verlauf nach etwa sechs Monaten eine leichte bis mittelschwere Arbeit ohne Stress- und Akkordbelastungen wieder möglich. Mit Bescheid vom 12. Juli 2006 hob der Beklagte den Bescheid vom 11. August 2005 auf und stellte ab dem 24. Mai 2006 einen GdB von 30 fest. Hiergegen legte der Kläger am 24. Juli 2006 Widerspruch ein und rügte die unvollständige Prüfung und Bewertung seiner Funktionsbeeinträchtigungen. Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2007 den Widerspruch zurück.
Am 5. Juni 2007 hat der Kläger beim Sozialgericht Magdeburg Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Er könne seine bisherige Tätigkeit aufgrund der Folgen des Herzinfarktes nicht mehr ausüben. Auch die letzte Heilbehandlung in B. im Frühjahr 2007 habe seine Arbeitsfähigkeit nicht wieder herstellen können. Die vorliegenden Behinderungen rechtfertigten daher einen GdB von wenigstens 50. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von Dr. R. vom 30. Oktober 2008 eingeholt. Danach habe der Kläger als Beschwerden Herzschmerzen, Atemnot sowie eine Belastungsinsuffizienz angegeben. Im Jahr 2005 hätten die Blutzuckerwerte vorübergehend noch zum Teil über 10,0 mmol/l gelegen, seien aber unter Insulingabe so weit normalisiert worden, dass der Diabetes mellitus jetzt diätetisch geführt werden könne. Der Kläger sei nicht mehr voll belastbar und könne seinen alten Beruf als Schweißer nicht mehr ausüben. Insgesamt bestehe eine reduzierte Belastbarkeit für das Berufsleben. Dem Befundbericht waren zwei Arztbriefe des Klinikums Q. (Klinik für Innere Medizin) beigefügt. Im Brief vom 23. Dezember 2005 berichtete Privatdozent Dr. P. über ein exzellentes Langzeitergebnis bei der erneuten Herzkathederuntersuchung zur Kontrolle der Stentimplantation. Zur Beseitigung einer zwischenzeitlich fortgeschrittenen langstreckigen Stenose sei eine zweimalige Dilatation und Doppelstentimplantation der RCA (Arteria coronaria dextra, das rechte Herzkranzgefäß) mit dem Ergebnis einer Reststenose von weniger als 10% durchgeführt worden. Im Brief vom 20. März 2006 gab Dr. P. an: Wegen erneuter deutlicher Progression der Koronarsklerose mit 70%iger Stenose des proximalen RIVA (Ramus interventricularis anterior, einer der beiden Äste der linken Herzkranzarterie, versorgt typischerweise die Herzvorderwand und Teile des Septums zwischen den Kammern; ein Verschluß des RIVA führt zu einem Vorderwandinfarkt) müsse eine koronare Bypassoperation durchgeführt werden. Diese Operation wurde am am 26. April 2006 durchgeführt. Ferner war dem Befundbericht von Dr. R. der Entlassungsbericht der Knappschaftsklinik B. über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 20. März 2007 bis 10. April 2007 beigefügt. Darin gab Oberarzt P. an: Während des stationären Aufenthaltes habe der Patient eine intensive Schulungs- und Trainingskurmaßnahme durchlaufen. Eine Ergo-Spirometrie vom 26. März 2007 habe eine befriedigende Belastbarkeit bis 115 Watt bei einem Puls von 113/Min sowie einem Blutdruck von 159/96 mmHg ergeben. Im Belastungstest hätten fragliche Ischämiezeichen bestanden, da vereinzelt ventrikuläre Extrasystolen und selten supraventrikuläre Extrasystolen aufgetreten seien. Bei seiner Entlassung sei der Kläger für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schweißer und Gleisbauer mit Montagetätigkeit arbeitsunfähig. Er könne nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Stress und ohne Zeitdruck vollschichtig ausüben. In einem weiteren Arztbrief hat die Fachärztin für Innere Medizin Dr. T. unter dem 20. Juni 2008 angegeben: Der Kläger habe aktuell keine Beschwerden und sei auf Arbeitssuche. Der Blutzuckerwert habe sich zwischenzeitlich verschlechtert, sei jedoch nach Gewichtsabnahme wieder besser geworden. Echokardiografisch sei der Befund unverändert.
Der Beklagte hat nach Auswertung dieser Unterlagen eine prüfärztliche Stellungnahme von Frau S. vom 19. November 2008 vorgelegt, wonach die Herzleistungsminderung mit einem GdB von 30 bereits wohlwollend bewertet sei, weil der Kläger im Jahr 2007 eine ergometrische Belastung von 115 Watt erreicht habe. Hinweise für Folgeerscheinungen des Blutdrucks seien nicht erkennbar. Der Diabetes mellitus sei diätetisch eingestellt und rechtfertige keinen GdB mehr. Insgesamt sei von einem GdB von 30 auszugehen.
Das Sozialgericht Magdeburg hat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung im Urteil vom 4. Februar 2009 die Klage abgewiesen und sich in der Begründung der prüfärztlichen Stellungnahme angeschlossen. Der Blutdruck des Klägers sei gut eingestellt und rechtfertige höchstens einen Einzel-GdB von 10.
Nach Zustellung des Urteils am 11. Februar 2009 hat der Kläger am 3. März 2009 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Seine reduzierte Belastbarkeit habe zur Aufgabe seines früheren Berufs geführt. Diese geringe Belastbarkeit bestätige auch sein Hausarzt. Zur genauen Bewertung des Umfangs der Behinderung sei ein abschließendes Gutachten erforderlich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 4. Februar 2009 aufzuheben, den Bescheid vom 12. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2007 aufzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung vom 24. Mai 2006 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Bescheide sowie die Entscheidung der Vorinstanz für zutreffend.
Der Berichterstatter hat die Gerichtsakte des Rentenverfahrens des Klägers vor dem Sozialgericht Magdeburg (Az. S 6 KN 99/07) beigezogen und aktuelle Befundberichte von Dr. R. und Frau Dr. T. eingeholt. Dr. R. hat unter dem 24. August 2009 folgende Beschwerden des Klägers angegeben: Wiederholte Schwindelattacken, Kopfschmerzen, Sehstörungen und Kreislaufprobleme. Der Befund habe sich verschlechtert. Der Kläger sei nicht mehr belastbar und erheblich beeinträchtigt. Dr. T. hat unter dem 23. August 2009 angegeben: Der Kläger habe über eine wetterabhängige Luftnot und Brustschmerzen sowie über kalte Füße und Schweißausbrüche geklagt. Seine Leistungsfähigkeit habe sich leicht verbessert, wobei die übrigen Befunde unverändert geblieben seien. Alltagsbelastungen wie Treppensteigen und Gehen seien ihm möglich. Zusammenfassend sei seine Leistungsfähigkeit mäßig eingeschränkt. Nach dem beigefügten Arztbrief vom 19. Dezember 2008 an Dr. R. hatte Frau Dr. T. Folgendes berichtet: Ein Ergometerbelastungstest habe über acht Minuten und 20 Sekunden bis maximal 150 Watt durchgeführt werden können. Der Abbruch sei wegen Ermüdung bei einer Ausbelastungsfrequenz von 86 % erfolgt. Ischämietypische Veränderungen des EKG seien nicht aufgetreten. Leistungsfähigkeit und Körpergewicht hätten sich erhöht. In einem weiteren Arztbrief vom 19. Juni 2009 hatte Dr. T. gegenüber dem behandelnden Hausarzt angegeben, der Kläger habe in einer Anamnese vom 19. Juni 2009 über Probleme in seiner neuen Arbeit berichtet. Er fühle sich darin überfordert, habe jedoch kardial eigentlich keine Probleme. Der echokardiografische Befund sei unverändert.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten sowie das Rentenverfahren S 6 Kn 99/07 (Sozialgericht Magdeburg) haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch statthafte Berufung des Klägers, ist nicht begründet.
Die Klage gegen den Bescheid vom 12. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2007 ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft. Sie ist jedoch unbegründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von mehr als 30. Bei der hier erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2000 - B 9 SB 3/99 R = SozR 3-3870 § 3 Nr. 9 S. 22). Danach liegt bei dem Kläger seit dem 24. Mai 2006 bis zur Entscheidung des Senats kein GdB von mehr als 30 vor.
Da der Beklagte bereits mit Bescheid vom 11. August 2005 einen GdB von 20 festgestellt und damit über den GdB des Klägers entschieden hat, richten sich die Voraussetzungen für die Neufeststellung nach § 48 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustands eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrads um wenigstens 10 ergibt. Die Änderung der Behinderungsbezeichnung oder das Hinzutreten weiterer Teil-Behinderungen ohne Auswirkung auf den Gesamtbehinderungsgrad allein stellen noch keine wesentliche Änderung dar (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 – B 9 SB 18/97 R, zitiert nach juris). Für die wesentliche Änderung kommt es weder auf den Inhalt des Vergleichsbescheids noch auf die von der Behörde bei der Bewilligung oder später angenommenen Verhältnisse, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse und deren objektive Änderung an (KassKomm-Steinwedel, SGB X, § 48 Rdnr. 14 m.w.N.).
Im Vergleich zu den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheids vom 11. August 2005 vorgelegen haben, ist eine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten, die eine Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrads von 20 auf 30 gerechtfertigt hat. Deshalb hat der Beklagte zu Recht mit Bescheid vom 12. Juli 2006 den Bescheid vom 11. August 2005 aufgehoben und einen GdB von 30 ab 24. Mai 2006 festgestellt. Eine darüber hinaus gehende Erhöhung des Grades der Behinderung ist jedoch seit der Antragstellung am 24. Mai 2006 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht festzustellen, sondern weiterhin von einem Grad der Behinderung von 30 auszugehen.
Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Der hier anzuwendende § 69 SGB IX ist durch die Gesetze vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) und vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden. Infolge der verfahrensrechtlichen Änderungen des § 69 SGB IX durch das Gesetz vom 23. April 2004 (a.a.O.) hat sich im Übrigen nur die Satzzählung geändert. Im Folgenden werden die Vorschriften des § 69 SGB IX nach der neuen Satzzählung zitiert.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den Grad der Behinderung die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den Grad der Behinderung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Absatz 17 ermächtigt worden ist.
Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 R – SozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind – inhaltlich unverändert – in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2004 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden. Im Folgenden werden die Vorschriften der Versorgungsmedizinische Grundsätze zitiert. Die Begriffe GdS und GdB werden dabei nach gleichen Grundsätzen bemessen. Sie unterscheiden sich lediglich dadurch, dass sich der GdS kausal auf Schädigungsfolgen und sich der GdB final auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von deren Ursachen auswirkt (vgl. Versorgungsmedizinsche Grundsätze, Teil A: Allgemeine Grundsätze 2 a (S. 8)).
Durch die Neuregelung ist den Einwänden gegen die bisherigen "Anhaltspunkte" jedenfalls für den vorliegenden Fall der Boden entzogen worden. Zum einen ist durch die Neuregelung die auch von der Rechtsprechung geforderte Rechtsgrundlage für die bisherigen "Anhaltspunkte" geschaffen worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 28. September 2007, BT-Drucks. 16/6541, S. 1, 31). Zum anderen ist durch die Verweisung des neu gefassten § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX auf die Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG klargestellt worden, dass auch für die Feststellung des GdB "die allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen" maßgeblich sind. Zudem hatte sich auch schon zu der früheren Fassung des § 69 Abs. 1 SGB IX eine ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebildet, nach der trotz der Ersetzung des Schwerbehindertengesetzes durch das SGB IX inhaltlich das Beurteilungsgefüge der Anhaltspunkte maßgeblich geblieben war (vgl. BSG, Urt. v. 24. April 2008 – B 9/9a SB 6/06 R – in juris Rn. 15 m.w.N.).
Der hier streitigen Bemessung des GdB ist daher die GdS (Grad der Schädigung)-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A, S. 17 ff.) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A, S. 8 ff.) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, S. 8) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a, Seite 18).
Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen des Klägers kein höherer GdB als 30 festgestellt werden. Dabei stützt sich der Senat auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten, die eingeholten Befundberichte und Arztbriefe sowie auf die rentenversicherungsrechtlichen Entlassungsberichte der P.-Klinik B. und der Knappschaftsklinik B.
a. Das Hauptleiden des Klägers betrifft das Funktionssystem "Herz und Kreislauf". Nach den hier maßgeblichen Anhaltspunkten 2004 sowie 2008 Nr. 26.9 (S. 71 ff) bzw. den versorgungsmedizinischen Grundsätzen (2009) Ziff. 9 (S. 46 ff), kommt es bei Herz-Kreislauferkrankungen nicht auf die Art der Erkrankung, sondern auf die jeweilige konkrete Leistungseinbuße an. Bei der Beurteilung des GdB ist daher zunächst grundsätzlich von dem klinischen Bild und von den Funktionseinschränkungen im Alltag auszugehen. Ergometerdaten und andere Parameter stellen dabei lediglich Richtwerte dar, die das klinische Bild ergänzen. Elektrokardiografische Abweichungen allein gestatten in der Regel keinen Rückschluss auf die Leistungseinbuße. Auswirkungen des Leidens auf andere Organe (z.B. Lungen, Leber, Gehirn, Nieren) sind zu beachten.
Entsprechend der Nr. 26.9 der AHP 2004 und 2008 (S. 71 f) bzw. den versorgungsmedizinischen Grundsätzen Ziff. 9 (S. 46 ff) ist bei Herzkrankheiten von folgendem Bewertungsrahmen auszugehen:
Krankheiten des Herzens
(Herzklappenfehler, koronare Herzkrankheit, Kardiomyopathien, angeborene Herzfehler u.a.)
1. ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (z.B. sehr schnelles Gehen [7-8 km/h], schwere körperliche Arbeit), keine Einschränkung der Solleistung bei Ergometerbelastung; bei Kindern und Säuglingen (je nach Alter) beim Strampeln, Krabbeln, Laufen, Treppensteigen keine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung, keine Tachypnoe, kein Schwitzen ... 0 – 10
2. mit Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (z.B. forsches Gehen [5-6 km/h], mittelschwere körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten); bei Kindern und Säuglingen Trinkschwierigkeiten, leichtes Schwitzen, leichte Tachy- und Dyspnoe, leichte Zyanose, keine Stauungsorgane, Beschwerden und Auftreten pathologischer Meßdaten bei Ergometerbelastung mit 1 Watt/kg Körpergewicht ...20 – 40
3. mit Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z.B. Spazierengehen [3-4 km/h], Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Meßdaten bei Ergometerbelastung mit 50 Watt (wenigstens 2 Minuten); bei Kindern und Säuglingen deutliche Trinkschwierigkeiten, deutliches Schwitzen, deutliche Tachy- und Dyspnoe, deutliche Zyanose, rezidivierende pulmonale Infekte, kardial bedingte Gedeihstörungen, Beschwerden und Auftreten pathologischer Meßdaten bei Ergometerbelastung mit 0,75 Watt/kg Körpergewicht ...50 – 70
Die kardiologische Belastbarkeit des Klägers ergab zwischen 2006 bis 2008 eine leichte Verbesserung des Leistungsbildes. Nach den vorliegenden Unterlagen erreichte der Kläger nach dem Reha-Entlassungsbericht der P.-Klinik B. im Mai/Juni 2006 bei einem Belastungs-EKG vom 12. Mai 2006 eine maximale Stufe von 100 Watt für eine Minute bei einem Puls von 147/min und einem Blutdruck von 177/73 mmHg. Hierbei zeigten sich keinerlei Ischämiezeichen. Insgesamt ergeben sich nach dem Reha-Entlassungsbericht keine Hinweise auf eine Leistungseinschränkung schon bei alltäglicher leichter Belastung, sondern eine Leistungsfähigkeit für mittelschwere Tätigkeiten. Nach dem späteren stationären Aufenthalt in der Knappschaftsklinik B. im März/April 2007 erreichte der Kläger bei einer Ergo-Spirometrie vom 26. März 2007 eine Belastbarkeit bis 115 Watt bei einem Puls von 113/Min sowie einem Blutdruck von 159/96 mmHg, wobei jedoch Hinweise auf Ischämiezeichen aufgetreten waren. Auch dort wurde der Kläger nach ärztlicher Einschätzung mit einem mittleren Leistungsbild eingeschätzt. Noch besser war das Ergebnis des Belastungstests vom 19. Dezember 2008. Nach dem Bericht von Dr. T. erreichte der Kläger bei einer Ergometerbelastung vom 19. Dezember 2008 bei einer Belastungszeit von über 8 Minuten 20 Sekunden bis maximal 150 Watt. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Dr. T. die Leistungsfähigkeit des Klägers als nur mäßig eingeschränkt bewertet hat. Alltagsbelastungen wie Treppensteigen und ähnliches sind ihm danach noch problemlos möglich, was einen Einzel-GdB von mehr als 30 nicht rechtfertigt. Angesichts dieser Befunde und der Bewertung von Frau Dr. T. kann der Einschätzung von Dr. R. vom 24. August 2009, der Befund habe sich verschlechtert und der Kläger sei nicht mehr belastbar und erheblich beeinträchtigt, nicht gefolgt werden. Offenbar hat Dr. R. seine Bewertung hauptsächlich auf die Beschwerdeangaben des Klägers gestützt, obwohl nach der ihm bekannten deutliche positiveren Leistungseinschätzung von Dr. T. eine andere Bewertung nahe gelegen hat. Die für den Kläger belastende Tatsache, seine alte Berufstätigkeit wegen der damit verbundenen schweren Arbeiten sowie der hohen Zeitbelastung nicht mehr ausüben zu können, bleibt für die Bewertung des Einzel-GdB außer Betracht. Nach der medizinischen Einschätzung der Knappschaftsklinik B. sind ihm noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Stress und ohne Zeitdruck möglich. Diese Leistungseinschätzung hat sich auch nach den Feststellungen von Dr. T. nicht geändert, sondern sogar eher noch leicht gebessert. Die für eine höhere GdB-Bewertung notwendige Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung kann beim Kläger daher vom Senat nicht festgestellt werden.
Als weiteres Leiden besteht beim Kläger im selben Funktionssystem ein Bluthochdruck, der nach Ansicht des Senats jedoch höchstens mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet werden kann.
Nach Nr. 26.9 S. 75 der Anhaltspunkte 2004 und 2008 bzw. den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen Ziffer 9.3 (S. 51) ist beim Bluthochdruck von folgendem Bewertungsrahmen auszugehen.
Hypertonie (Bluthochdruck) leichte Form keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) ... 0 – 10 mittelschwere Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen – Fundus hypertonicus I-II – und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung ...20 – 40
Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen bestehen keine Hinweise für blutdruckbedingte Leistungseinschränkungen oder für dadurch bewirkte Organbeteiligungen, so dass keine Tatsachen bestehen, die den GdB-Rahmen von 20 und mehr eröffnen könnten.
b. Daneben leidet der Kläger im Funktionsbereich "Stoffwechsel, innere Sekretion" an einem Diabetes Mellitus sowie an einer Gicht mit erhöhten Harnsäurewerten im Blut, die jeweils keinen Einzel-GdB von mehr als 10 rechtfertigen.
Nach dem Bewertungsrahmen in 26.15 der Anhaltspunkte 2004 und 2008 (S. 98 ff) und den gleichlautenden versorgungsmedizinischen Grundsätzen kommt es beim Diabetes mellitus nicht auf die Laborwerte, sondern auf die jeweils konkreten Auswirkungen an.
Während beim Kläger zunächst für einen kurzen Zeitraum im Jahr 2005 die Insulingabe erforderlich wurde, stabilisierten sich vor seinem Neufeststellungsantrag seine Blutzuckerwerte unter dieser kurzzeitigen Insulintherapie so deutlich, dass der Diabetes mellitus seit 2006 lediglich diätetisch geführt werden muss. Dieser Zustand rechtfertigt nach den Anhaltspunkten bzw. den versorgungsmedizinischen Grundsätzen einen Einzel-GdB von allenfalls 10. Die neue Rechtsprechung des BSG zum Diabetes mellitus und die damit verbundene besondere Hervorhebung der Einstellungsqualität sowie des Therapieaufwandes (vgl. Urteil vom 24. April 2008 – B 9/9a SB 10/06 R; Urteil vom 11. Dezember 2008 – B 9/9a SB 4/07 R; Urteil vom 23. April 2009 – B 9 SB 3/08 R, jeweils zitiert nach juris) bezieht sich nur auf den insulinpflichtigen Diabetes mellitus, der beim Kläger nicht vorliegt.
Bei der Gicht kommt es auf die jeweiligen Funktionseinschränkungen der betroffenen Gelenke, die Schmerzen, die Häufigkeit der entzündlichen Schübe sowie die mögliche Beteiligung der inneren Organe an. Nach den vorliegenden Unterlagen sind keine darauf bezogenen Funktionseinschränkungen ärztlich dokumentiert. Für die Feststellung eines Einzel-GdB bleibt daher kein Raum.
c. Da bei dem Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren Grad der Behinderung vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Gesamtbehinderung zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Nr. 3. a) – c) der Allgemeinen Grundsätze der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Seite 8) anzuwenden. Nach Nr. 3 c) (Seite 10) ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt, und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.
Danach ist von dem Behinderungsgrad von 30 als höchstem Einzelbehinderungsgrad auszugehen. Dieser kann auch nicht erhöht werden, weil der Bluthochdruck und das weitere betroffene Funktionssystem "Stoffwechsel, innere Sekretion" nur mit einem Einzelgrad von höchstens 10 zu bewerten sind. Denn nach Nr. 3 Ziff. d) ee) (S. 10) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze führen – von hier fern liegenden Ausnahmefällen abgesehen – zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzelgrad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen und verschiedene Lebensbereiche betreffen (vgl. BSG, Urteil v. 13.12.2000 – B 9 V 8/00 R = SozR 3 – 3870 § 4 Nr. 28).
Letztlich widerspräche hier die von dem Kläger begehrte Schwerbehinderteneigenschaft dem nach Nr. 3 b) (S. 10) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu berücksichtigenden Gesamtmaßstab. Die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen beeinträchtigt seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
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