L 1 R 267/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 4 RA 964/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 267/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
AAÜG, fiktive Einbeziehung
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 8. Mai 2006 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob zugunsten des Klägers Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz und der dabei erzielten Entgelte festzustellen sind.

Dem 1950 geborenen Kläger wurde mit Urkunde der Ingenieurhochschule vom 29. August 1980 der akademische Grad "Diplom-Ingenieur" verliehen. Nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis (SVA) arbeitete der Kläger ab September 1980 im VEB KPV, Stammbetrieb VEB Pumpenwerke. Dort arbeitete er auch noch am 30. Juni 1990, nach dem SVA als Abteilungsleiter. Eine Zusatzversorgungszusage erhielt der Kläger nicht.

Am 27. Januar 2003 beantragte er die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften und erklärte auf eine schriftliche Anfrage der Beklagten, am 30. Juni 1990 als Abteilungsleiter der Abt. Terminplanung tätig gewesen zu sein. Hauptaufgaben seien die Auftragseinplanung, die Auftragsterminierung, die Auftragssteuerung und die Kapazitätsplanung gewesen. Mit Bescheid vom 17. Juni 2003 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab und führte zur Begründung aus, er sei zwar berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen, sei jedoch nicht als Ingenieur beschäftigt gewesen. Seinen gegen den Bescheid am 4. Juli 2003 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, seine Hauptaufgabe habe neben der Anleitung seiner Kollegen in der Lösung technisch-technologischer Aufgaben bestanden. Er habe z. B. Kundenaufträge unter Berücksichtigung von Lieferterminen zu Betriebsaufträgen zusammengefasst, die Einhaltung der vorgegebenen Terminkette überwacht, Arbeitsergebnisse für die vierteljährlichen Hauptterminplanrapporte dokumentiert und kontrolliert, Kundenänderungswünsche umgesetzt, Kapazitätsbilanzen erstellt und an der Einführung neuer EDV-Systeme mitgewirkt. Diese Aufgaben seien sehr komplex gewesen und hätten umfassende konstruktive, technologische, materialwirtschaftliche und technische Kenntnisse und Erfahrungen erfordert. Außerdem habe man die betrieblichen Abläufe kennen müssen, um z. B. die Änderungen bei den Kundenwünschen einarbeiten zu können. Für seinen Arbeitsplatz sei ein Diplomabschluss in der Fachrichtung Technologie oder Konstruktion Voraussetzung gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da es sich bei der Beschäftigung des Klägers nicht um eine ingenieurtechnische Tätigkeit gehandelt habe.

Am 19. Dezember 2003 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Halle erhoben und zur Begründung ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen ausgeführt, die Abteilung Hauptterminplanung sei eine Abteilung in der Abteilung Produktionssteuerung und Lenkung gewesen. Wegen des Inhalts seiner Tätigkeit hat er auf eine "Anforderungsstudie Abteilungsleiter Hauptterminplanung" vom 18. April 1979 und Beurteilungen und Leistungseinschätzungen durch den VEB verwiesen. Ab März 1990 sei er aufgrund von Strukturänderungen als Ingenieur für Organisation in der Produktionslenkung tätig gewesen (Änderungsvertrag vom 4. April 1990). Auch ehemalige Kollegen, die in ähnlicher Funktion wie er tätig gewesen seien, hätten die Zusatzversorgung erhalten.

Die Beklagte hat ausgeführt, der Kläger sei nach der Rahmenrichtlinie für die neue Gliederung der Beschäftigten der Industrie und des Bauwesens vom 10. Dezember 1974 (GBl. I Nr. 1 S. 1) im Bereich 40 – Leitungs- und Produktionssichernde Bereiche – beschäftigt gewesen. Die dort Beschäftigten seien nicht in den unmittelbaren Produktionsprozess eingegliedert gewesen und hätten daher nicht aktiv den Produktionsprozess beeinflussen können. Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (GBl. Nr. 62, S. 487; im Folgenden 2. DB) ergebe sich aber, dass nur diejenigen Ingenieure zur technischen Intelligenz zählten, die aktiv in den Produktionsprozess selbst eingegliedert gewesen seien.

Das Sozialgericht hat die Personalakte des Klägers beigezogen, Auszüge kopiert und zur Gerichtsakte genommen. Außerdem hat das Sozialgericht Unterlagen zum VEB Pumpenwerke beigezogen und zur Gerichtsakte genommen.

Mit Urteil vom 8. Mai 2006 hat das Sozialgericht Halle die Beklagte unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide verurteilt, den Zeitraum vom 1. September 1980 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem festzustellen. Der Kläger sei am 30. Juni 1990 in einem volkseigenen Betrieb, der industriell Sachgüter produziert habe, beschäftigt gewesen. Dieser habe am 30. Juni 1990 auch noch im Volkseigentum gestanden, da die Rechtsfähigkeit erst am 13. August 1990 beendet worden sei. Der Kläger sei auch berechtigt gewesen, den akademischen Grad "Diplom-Ingenieur" zu führen und auch ingenieurtechnisch im Sinne der Versorgungsordnung der technischen Intelligenz tätig gewesen. Nach den in der Anforderungsstudie für die Stelle des Abteilungsleiters Hauptterminplanung beschriebenen Arbeitsinhalten sei davon auszugehen, dass der Kläger in verantwortlicher Position den Gegenstand der konkret durchgeführten Produktion von Pumpen habe bestimmen können. Er habe den Produktionsprozess festzulegen und zu bestimmen gehabt, wann welche Pumpen produziert worden seien. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) genüge für die Feststellung einer ingenieurtechnischen Tätigkeit der bestimmende Einfluss auf den Produktionsprozess, den der Kläger gehabt habe. Die in der Anforderungsstudie daneben benannten weiteren Tätigkeiten, die nicht dem Produktionsbereich zuzuordnen seien, seien demgegenüber von untergeordneter Bedeutung gewesen und hätten nicht den wesentlichen Inhalt der Tätigkeit des Klägers dargestellt. Das Urteil ist der Beklagten am 9. Juni 2006 zugestellt worden.

Am 15. Juni 2006 hat die Beklagte bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie zunächst ausgeführt, dass der Kläger nicht die sachliche Voraussetzung für die Einbeziehung in das Versorgungssystem der technischen Intelligenz erfülle. Von dieser sollten nämlich nur die ingenieurtechnisch Tätigen erfasst werden, die hervorragenden Einfluss auf die Produktionsvorgänge genommen hätten. Dies sei nur bei Ingenieuren der Fall gewesen, die konstruktiv, technisch-technologisch oder wissenschaftlich-technisch auf den Produktionsprozess eingewirkt hätten. Der Kläger sei jedoch in der Produktionsvorbereitung in einem Bereich tätig gewesen, der nur organisatorisch auf den Produktionsprozess eingewirkt habe. Außerdem läge auch die betriebliche Voraussetzung nicht vor, da der VEB Pumpenwerke am 30. Juni 1990 nur noch als "leere Hülle" existiert habe. Bei einer Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft sei unabhängig von der Eintragung in das Handelsregister zu prüfen, ob der VEB nach Gründung der Kapitalgesellschaft noch selbst – für eigene Rechnung – produziert und damit aktiv am Wirtschaftsleben teilgenommen habe. Wenn durch die Gründung der Kapitalgesellschaft die Betriebsmittel (Fonds) auf die Nachfolgegesellschaft übergegangen seien (Abschlussbilanz, Bilanzbrücke), sei davon auszugehen, dass von diesem Zeitpunkt an der VEB zwar als Rechtssubjekt bestanden, aber keine Produktionsaufgaben mehr erfüllt habe. Er sei vermögenslos gewesen und könne daher nur als "leere Hülle" betrachtet werden, weil die Produktionsaufgaben und die wirtschaftliche Tätigkeit bereits von der Vorgesellschaft wahrgenommen worden seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 8. Mai 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die Ausführungen des Sozialgerichts für zutreffend. Die Beklagte habe seinen Tätigkeitsbereich unzutreffend definiert. Er habe einzelne Kundenaufträge sinnvoll zu Betriebsaufträgen zusammenstellen müssen, um die Serienmäßigkeit der Produktion zu erhöhen und damit wirtschaftlicher zu gestalten. Dabei habe er die vom Kunden geforderten Pumpentypen, Stückzahlen, Materialvarianten, Konstruktionsarten und den Liefertermin zu beachten gehabt. Betriebsintern sei zu beachten gewesen, dass technologisch sinnvolle Losgrößen erreicht worden seien, und es sei zu prüfen gewesen, ob zusätzliche Konstruktionsleistungen, Technologien bzw. neue Modelle für Gussteile erforderlich gewesen seien. Er habe auch die vielfältigen Änderungswünsche der Kunden bearbeiten müssen. So habe er entscheiden müssen, welche Auswirkungen dies auf die Technologie des Bauteils gehabt habe. Wenn z. B. ein Kunde eine Leistungsänderung der Pumpe gewünscht habe, habe er prüfen müssen, ob die Pumpe diese Parameter erfüllt habe oder ob eine völlig neue Pumpe habe ausgeschrieben werden müssen. Zudem habe er bei der Einführung neuer Pumpenbaureihen das "Technikgespräch" mit Vertretern des Verkaufs, der Konstruktion, der Technologie, der Materialwirtschaft, der Gießerei, der mechanischen Abteilung und der Abteilung Montage und Hauptterminplanung führen müssen. Hierbei habe er frühzeitig Probleme erkennen müssen, die im Zusammenhang mit der geplanten Neukonstruktion hätten auftreten können. Dabei seien die Interessen jeder Abteilung zu erfassen, die aufgeworfenen Probleme darzulegen und die Optimierung der vorgestellten Konstruktion zu veranlassen gewesen. Im Rahmen von Kooperationsverträgen mit anderen Unternehmen habe er die Änderungen von Fertigungstechnologien und die Anschaffung neuer Maschinen abzustimmen gehabt. Nachdem er im Zuge einer Organisationsreform in den Pumpenwerken im Frühjahr 1990 als Ingenieur für Organisation eingesetzt worden sei, habe er in der Komponentenfertigung die angelieferten Ersatzteile zu überprüfen und hinsichtlich deren Einsatzes das Nötige zu veranlassen gehabt.

Das Gericht hat den ehemaligen Betriebsdirektor des VEB Pumpenwerke, als Zeugen vernommen (siehe Protokoll des Erörterungstermins vom 10. Dezember 2008, Bl. 187 der Gerichtsakte). Außerdem hat es Unterlagen aus dem statistischen Betriebsregister der DDR und der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR zum VEB Pumpenwerke beigezogen und an die Beteiligten übersandt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist gem. § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2003 beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Denn auf die beantragten Feststellungen hat er gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG, in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007, BGBl. I S. 3024) keinen Anspruch. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das AAÜG für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Eine Versorgung ist dem Kläger nicht zugesagt worden. Daher ist für ihn das AAÜG nicht anwendbar.

Der Senat folgt nämlich nicht der Rechtsprechung des BSG, wonach sich die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 AAÜG auch aus einem sogenannten fiktiven Anspruch ergeben könne (z. B. BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 41/01 R, SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 6, S. 40).

Der Senat ist zum Einen nicht der Auffassung, dass das AAÜG den Kreis der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen erweitert und das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 31/01 R, SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 2, S. 12). Erst diese Annahme führt jedoch zu einer vom BSG behaupteten Ungleichbehandlung ("Wertungswiderspruch"), die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu korrigieren sei. Zum Anderen ist der Senat der Ansicht, dass, wenn die Annahme des BSG tatsächlich zutreffen sollte und mit dem AAÜG der einbezogene Personenkreis erweitert worden ist, zumindest keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich ist, da die behauptete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen hätte das BSG wegen des von ihm unterstellten "Wertungswiderspruchs" keine erweiternde Auslegung vornehmen dürfen, sondern eine konkrete Normenkontrolle durch Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) veranlassen müssen. Denn die vom BSG vorgenommene Rechtsfortbildung überschreitet die Grenzen richterlicher Entscheidungsbefugnis, die sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergeben.

In den Gesetzesmaterialien findet sich kein Hinweis dafür, dass durch das AAÜG außer den Personen, die durch einen nach Art. 19 EVertr bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 31/01 R, a. a. O., S. 11), weitere Personen einbezogen werden sollten (siehe BTDrs. 12/405, S. 113, 146; BTDrs. 12/786, S. 139; II A, IV A; BTDrs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird in den Gesetzesmaterialien immer auf den Einigungsvertrag Bezug genommen. Zwar wird dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des Einigungsvertrages zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe (BTDrs. 12/405, S. 113), jedoch ist aus der weiteren Gesetzesbegründung ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechnung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelüberprüfung und der Kostenerstattung durch den Bund beziehen (a. a. O., S. 113, 114). Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Auch bei der Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem Einigungsvertrag vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (BTDrs. 12/405, S. 146).

Auch überzeugt den Senat nicht, dass aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auf eine Modifizierung des Verbots der Neueinbeziehung zu schließen sei (BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 31/01 R, a. a. O., S. 12). In den Gesetzesmaterialien findet sich nämlich kein Anhaltspunkt für die vom BSG vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Der Gesetzgeber benutzt im Gegenteil auch zur Beschreibung des Personenkreises des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, der auch nach Ansicht des BSG konkret einbezogen war (BSG, a. a. O., S. 12), den Terminus "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" (BTDrs. 12/826, S. 21) und nicht etwa "Einbeziehung in ein Versorgungssystem".

Der Gesetzgeber ging auch, soweit erkennbar, nicht davon aus, dass die in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochene Personengruppe eine Erweiterung der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen darstellt. Ursprünglich war Satz 2 in der Gesetzesvorlage nicht enthalten (BTDrs. 12/405, S. 77). Erst in den Ausschussberatungen wurde dann die Anfügung des Satzes 2 empfohlen (BTDrs. 12/786, S. 139). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Anfügung nur eine Klarstellung bedeute (BTDrs. 12/826, S. 21). Der Gesetzgeber nahm also an, dass diese Personengruppe ohnehin von Satz 1 und vom Überführungsauftrag des Einigungsvertrages umfasst ist.

Auch mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG (über den Wortlaut hinaus) lässt sich ein Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung nicht begründen (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 31/01 R, a. a. O., S. 12).

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist jedoch nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Das Grundrecht wird jedoch verletzt, wenn eine Gruppe von Rechtsanwendungsbetroffenen anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z. B. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005, Az: 1 BvR 1921/04 u. a., dokumentiert in Juris, Rdnr. 36).

Für den Senat ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb das BSG der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, also der Personen, die irgendwann vor dem 30. Juni 1990 (aber nicht am 30. Juni 1990) konkret einbezogen waren (BSG, a. a. O.), die Personengruppe gegenüberstellt, die nie konkret einbezogen war, aber zumindest am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatte. Verfassungsrechtlich relevant ist nämlich nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (z. B. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007, Az: 1 BvF 1/05, dokumentiert in Juris, Rdnr. 89). Hier unterscheiden sich jedoch die Tatbestände in wesentlichen Gesichtspunkten. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG knüpft nämlich an ein in der Vergangenheit verliehenes Versorgungsprivileg an, welches ein Bedürfnis nach der im AAÜG vorgesehenen Sonderprüfung der Rentenwirksamkeit erzielter Arbeitsentgelte anzeigt. Bei Personen, die nie in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, besteht ein solches Bedürfnis hingegen nicht.

Richtiger wäre es nach Ansicht des Senats ohnehin, der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als Vergleichsgruppe die Personen gegenüberzustellen, die nicht konkret einbezogen waren, irgendwann vor dem – aber nicht am – 30. Juni 1990 jedoch alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatten.

Das Bundesverfassungsgericht führt zum Vergleich dieser Personengruppen aus (BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005, a. a. O., Rdnr. 45):

"Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrs. 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis (gemeint ist der Personenkreis, der irgendwann vor dem 30. Juni 1990, aber nicht am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatte) hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der Deutschen Demokratischen Republik zu keinem Zeitpunkt inne. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Personenkreis den durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtlichen Renteneinheit zu untersagen."

Die gleichen Überlegungen gelten für einen Vergleich zwischen den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG betroffenen Personen und denjenigen, die nach der Rechtsprechung des BSG vom fiktiven Anspruch profitieren sollen. Auch die fiktiv in den Anwendungsbereich des AAÜG Einbezogenen hatten zu Zeiten der DDR keine Rechtsposition inne, die ihnen einen Zugang zu einer zusätzlichen Altersversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem ermöglicht hätte. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Diese Punkte lässt das Bundesverfassungsgericht genügen, um eine Ungleichbehandlung mit den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen zu rechtfertigen. Dasselbe muss dann auch bei einem Vergleich der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen und den Personen gelten, die am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem erfüllt hatten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, weil er nicht der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG folgt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann. Der Senat geht außerdem davon aus, dass der Kläger unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung einen Anspruch auf Anerkennung von Zusatzversorgungszeiten hätte, da er die vom BSG aufgestellten Voraussetzungen erfüllt und das BSG noch keine Entscheidung zur Problematik der Umwandlung der VEB in Kapitalgesellschaften (Rechtsfigur der "leeren Hülle") getroffen hat. Damit ist die Abweichung von der Rechtsprechung des BSG auch erheblich.
Rechtskraft
Aus
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