L 1 R 131/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 4 R 453/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 131/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz, fiktive Einbeziehung, Diplom-Chemiker
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 1. März 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) festzustellen.

Die 1934 geborene Klägerin bestand am 3. März 1959 die Diplom-Chemiker-Hauptprüfung an der Universität. Ab April 1959 bis über Juni 1990 hinaus war sie im VEB Leuna-Werke "Walter Ulbricht" bzw. einem Nachfolgebetrieb beschäftigt. Ab Februar 1972 zahlte sie Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR). Eine Zusatzversorgungszusage erhielt sie nicht.

Am 20. Januar 1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Mit Bescheid vom 19. April 1999 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 28. April 1999 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 1999 zurückwies. Am 27. August 1999 erhob die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Halle. Mit Beschluss vom 14. März 2000 setzte das Sozialgericht das Verfahren in analoger Anwendung des § 114 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aus.

Am 26. Juli 2006 hat das Sozialgericht das Verfahren wieder aufgenommen und in Hinsicht auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 4. August 2004 (1 BvR 1557/01) bei der Klägerin angefragt, ob sie an der Klage festhalte. Diese hat entgegnet, die Frage der Zugehörigkeit von Diplomchemikern zur AVItech sei noch nicht entschieden, da das BVerfG die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen habe. Mit Gerichtsbescheid vom 1. März 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

Gegen den ihr am 6. März 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 30. März 2007 Berufung bei dem Sozialgericht Halle eingelegt. Sie trägt vor, die Beklagte habe für ihre Interpretation der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (GBl. I S. 48, 2. DB) keine Beweise vorgelegt. Es gäbe kein Dokument aus DDR-Zeiten, welches die Chemiker von der AVItech ausschließe. Ihr sei auch kein Fall bekannt, in dem ein Diplomchemiker deshalb nicht zur Zusatzversorgung zugelassen worden sei, weil er nur Chemiker und kein Ingenieur gewesen sei. Die Ungleichbehandlung von Chemikern und Ingenieuren verstoße außerdem gegen das Grundgesetz (GG). Sie sei zumindest als Techniker der Chemie oder als Diplomingenieur der Stoffumwandlung von der Zusatzversorgung erfasst.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 1. März 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 19. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Zeitraum vom 20. April 1959 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die in diesem Zeitraum erzielten Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den gesamten Senat zugestimmt. Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf deren Inhalt ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet.

Gegenstand der Berufung ist die Verpflichtung der Beklagten, Feststellungen nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG i. d. F. v. Artikel 13 des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007, BGBl. I S. 3024) hinsichtlich des Zeitraums vom 20. April 1959 bis zum 30. Juni 1990 zu treffen.

Die Berufung ist unbegründet, weil der Bescheid der Beklagten vom 19. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 1999 die Klägerin nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Die Klägerin hat nämlich keinen Anspruch gegen die Beklagte, den begehrten Zeitraum als Zugehörigkeitszeit nach § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 und § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG feststellen zu lassen, denn das AAÜG ist im Fall der Klägerin nicht anwendbar.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Artikel 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Artikel 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az: B 4 RA 31/01 R, SozR 3-8570 § 1 AAÜG, Nr. 2, S. 11).

Die Klägerin erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihr von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden, noch ist sie aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in ihrem Falle nicht stattgefunden.

Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, ob der Senat der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG folgt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann (ablehnend, siehe z. B. Urteil vom 19. März 2009, Az: L 1 R 91/06, dokumentiert in juris), da auch die dafür vom BSG aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen.

Nach der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. I S. 844, VO-AVItech) i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB von drei Voraussetzungen ab. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für (1.) Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und (2.) die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar (3.) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

In Anwendung dieser Maßstäbe hatte die Klägerin am 1. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech, da die persönliche Voraussetzung nicht erfüllt ist.

Das BSG hat wiederholt entschieden, dass Diplom-Chemiker nicht obligatorisch in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz einbezogen waren (z. B. Urteil vom 10. April 2002, Az: B 4 RA 18/01, SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 8; Urteil vom 18. Oktober 2007, Az: B 4 RS 25/07 R, SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 13). Auch der erkennende Senat hat mehrfach in diesem Sinne entschieden (siehe z. B. Urteile vom 11. Oktober 2007, Az: L 1 RA 96/05; 17. Juli 2008, Az: L 1 R 115/07; 12. März 2008, Az: L 1 RA 71/05; 6. November 2008, L 1 R 501/06 und vom 16. Dezember 2009, Az: L 1 R 135/07). Diese Rechtsprechung verstößt auch nicht gegen das GG (BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004, Az: 1 BvR 1557/01, dokumentiert in juris, Rdnr. 6).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG nicht, weil die Rechtslage bezüglich der Ablehnungsgründe durch die angegebene Rechtsprechung des BSG geklärt ist.
Rechtskraft
Aus
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