L 3 R 25/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stendal (SAN)
Aktenzeichen
S 2 R 106/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 25/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erwerbsminderung, Wegefähigkeit
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 22. Dezember 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI) ab 1. April 2006.

Der am ... 1963 geborene Kläger durchlief nach dem Abschluss der 10. Schulklasse von September 1978 bis Februar 1981 erfolgreich eine Ausbildung zum Landmaschinenschlosser. Er war anschließend bis Mai 1999 – unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit – als Kraftfahrer, Heizer, Wachmann, kaufmännischer Angestellter und Dachdecker tätig. Zuletzt stand der Kläger von April 2001 bis Januar 2003 in einem Arbeitsverhältnis als Kraftfahrer, wobei er jedoch aufgrund eines am 25. Juli 2001 erlittenen Arbeitsunfalls bereits ab diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig war. Der Kläger bezog vom 25. Juli 2001 bis zum 21. Januar 2003 Verletztengeld, ab dem 22. Januar 2003 Unfallrente, zunächst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 von Hundert (v.H.), später nach einer MdE von 20 v.H ... Vom 17. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2004 erhielt er Arbeitslosenhilfe, seit dem 1. Januar 2005 bezieht er Arbeitslosengeld II.

Der Kläger verfügt über eine Fahrerlaubnis und einen PKW.

Den ersten Antrag des Klägers vom 17. Januar 2003 auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung hatte die Beklagte mit Bescheid von 11. April 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2003 abgelehnt. Die beim Sozialgericht Stendal dagegen erhobene Klage hatte der Kläger am 25. Mai 2004 zurückgenommen und gleichzeitig einen Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X) gestellt. Das Überprüfungsverfahren endete mit rechtskräftigem klageabweisendem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 6. Februar 2006 (S 2 R 252/05).

Den dem Streitverfahren zugrunde liegenden Rentenantrag stellte der Kläger am 28. März 2006. Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. Juli 2001 – Bruch der Wirbelsäule – könne er keine Arbeiten mehr verrichten. Die Beklagte zog zunächst die ärztlichen Unterlagen aus dem früheren Renten- und dem Überprüfungsverfahren bei.

In dem Abschlussbericht der Fachklinik B. L. vom 12. Oktober 2002 nach der vom Kläger vom 9. September bis zum 7. Oktober 2002 absolvierten berufsgenossenschaftlichen stationären Weiterbehandlung (BGSW) lauteten die Diagnosen: Inkomplette Querschnittslähmung unterhalb L 1 nach instabiler Lendenwirbelkörper (LWK) 3-Fraktur. Zustand nach dorsaler Stabilisierung mit Fixateur intern LWK 2 (am 27. Juli 2001), postoperativ erneute Revision und Hämatomausräumung wegen Paraparese. Ventrale Spondylodese L 2/3 mittels kortikospongiösem Beckenkammspan am 27. August 2001. ME Fixateur intern am 7. August 2002. Beim Kläger bestehe zukünftig ein vollschichtiges Leistungsvermögen für eine leichte bis maximal mittelschwere körperliche Tätigkeit unter Vermeidung von häufigem Heben, Tragen und Bewegen schwerer Lasten, längeren Überkopfarbeiten und Oberkörpervorhalten.

In dem Gutachten des Facharztes für Orthopädie - Sportmedizin - Spezielle Schmerztherapie - Akupunktur Dipl.-Med. H. vom 3. April 2003 wurden als Diagnosen benannt: Fehlstatik der Lendenwirbelsäule bei Zustand nach Kompressionsfraktur L 3. Muskuläre Dysbalance der unteren Extremitäten. Posttraumatische Nervenläsion im Segment L 3/4 rechts. Peronäusparese links (muss rechts heißen). Die Folgen nach der Kompressionsfraktur LWK 3 seien funktionell adaptiert und morphologisch stabil. Es bestehe lediglich eine Peronäusparese rechts als Restzustand. Der Kläger sei für leichte und mittelschwere Tätigkeiten, die nicht über Schulterhöhe gingen, im Wechsel von Stehen, Laufen, Sitzen vollschichtig einsatzfähig. Die im Bericht vom 12. Oktober 2002 prognostizierte Stabilisierung der Leistungsfähigkeit habe sich eingestellt. Der Kläger sei ferner in der Lage, eine einfache Wegstrecke von mehr als 500 Meter viermal täglich innerhalb von 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen.

Der Beklagten lagen darüber hinaus das im Auftrag der H.-Mannheimer Sachversicherungs-AG erstellte Gutachten von Dr. R., des Direktors des Zentrums für Rückenmarkverletzte und der Klinik für Orthopädie der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B., vom 20. April 2004 vor sowie das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. K. vom 5. Februar 2005. Letzterer hatte angegeben, in den ärztlichen Berichten fänden sich im Gegensatz zu den jetzigen anamnestischen Angaben des Klägers keine Hinweise auf eine Blasen- und Mastdarmfunktionsstörungen. Die Untersuchung habe neben groben Diskrepanzen der Befunde auch eine grobe Verschlechterung der motorischen Leistungen beider Beine im Vergleich zu den Voruntersuchungen ergeben. Seit der Beendigung der ambulanten Physiotherapie im Januar 2003 sei keine ärztliche Behandlung erfolgt. Nach den aktuellen Befunden und dem dokumentierten Krankheitsverlauf erscheine eine aggravatorische Überlagerung als führend. Für die Objektivierung der sensomotorischen Defizite beider Beine sei eine eingehende elektrophysiologische Zusatzuntersuchung erforderlich.

Nach Vorlage des Ergebnisses der elektromyographischen und elektroneurografischen Zusatzuntersuchung durch den leitenden Oberarzt der Klinik für Neurologie II der O.-v.-G. Universität M. Prof. Dr. F. vom 18. April 2005 war Prof. Dr. K. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25. April 2005 zu der Feststellung gelangt, die vom Kläger gezeigten motorischen Störungen hätten nicht objektiviert werden können. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht liege keine Minderung oder Aufhebung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben vor; der Kläger könne mittelschwere Arbeiten vollschichtig verrichten. Zudem sei er in der Lage, eine einfache Wegstrecke von mehr als 500 Meter viermal täglich innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen.

Den Rentenantrag des Klägers vom 28. März 2006 lehnte die Beklagte nach Einholung eines Befundberichts der Fachärztin für Innere Medizin Dr. K. vom 4. April 2006 mit Bescheid vom 2. Juni 2006 ab. In dem dagegen am 21. Juni 2006 erhobenen Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend, sein Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert. Er könne nur noch maximal fünf Minuten am Stück laufen und benötige auch wieder zwei Unterarmgehstützen. Darüber hinaus leide er unter einer Muskelschwäche der rechten Schulter, einem vermehrten Harn- und Stuhldrang mit Inkontinenz sowie Einschränkungen der Sexualität.

Die Beklagte ließ den Kläger sodann von dem Facharzt für Orthopädie Dr. F. unter dem 27. November 2006 begutachten. Bei der Untersuchung am 23. November 2006 habe sich der Kläger problemlos alleine an- und auskleiden können. Ein rechtsseitiges Hinken an zwei Unterarmgehstützen sei zu beobachten gewesen. Zehen- und Hackenstand seien nicht möglich, Patellar- und Achillessehnenreflex negativ, das Zeichen nach Lasègue beidseits bei 30° positiv gewesen. Dr. F. benannte als Diagnosen eine Paraplegie bei Kompressionsfraktur L3, ein Cervikalsyndrom und eine Periarthritis humero scapularis beidseits. Er zeigte Diskrepanzen bei der klinischen Untersuchung auf. Im Liegen habe der Kläger eine fast komplette Fußheber- und Fußsenkerschwäche geboten; beim Laufen mit Unterarmgehstützen würden die Füße jedoch deutlich angehoben. Nicht erklärbar sei auch die strumpfförmige Hypästhesie im Bereich des kompletten rechten Unterschenkels und Fußes, die nicht typisch für eine radikuläre Symptomatik sei. Die muskuläre Situation im Bereich beider Beine sei gut und nicht wesentlich seitendifferent. Aus orthopädischer Sicht bestehe Eignung für eine leichte körperliche Arbeit im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen für sechs Stunden und mehr täglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2007 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Es bestehe ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich für leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Haltungswechsel, ohne häufiges Bücken, Hocken, Knien, häufiges Klettern und Steigen, Leiterarbeiten sowie häufiges Gehen auf unebenem Gelände unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Ferner werde eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Wegefähigkeit durch die medizinischen Beweismittel nicht bestätigt.

Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 12. April 2007 beim Sozialgericht Stendal erhobenen Klage gewandt. Er hat geltend gemacht, er könne kein Fahrzeug mehr führen, da er in seinem rechten Bein kein Gefühl habe. Hinzu komme die Einnahme das Reaktionsvermögen beeinflussender Medikamente.

Das Sozialgericht hat zunächst einen Befundbericht der den Kläger seit 2003 einzig behandelnden Ärztin Dr. K. vom 3. Juni 2007 eingeholt. Diese hat einen gleichbleibenden Gesundheitszustand mitgeteilt und auf eine gute Erträglichkeit der Schmerzen unter Tramal verwiesen. Ihrer Einschätzung nach könne der Kläger keine Arbeiten mehr verrichten.

Sodann hat das Sozialgericht eine fachchirurgische Begutachtung des Klägers durch den Chefarzt der Chirurgischen Klinik des H. E. Hospitals Dr. H. vom 27. Dezember 2007 veranlasst. Dort habe der Kläger bei der Untersuchung am 13. September 2007 angegeben, er könne höchstens fünf bis zehn Minuten an zwei Gehstützen gehen, dann halte er es vor Schmerzen nicht aus. Das Gefühl sei in den Beinen vermindert, die Füße seien kalt. Ferner sei er stuhlinkontinent. Durch die Überlastung mit den Gehstützen hänge die rechte Schulter und schmerze. Autofahren könne er nicht mehr. Der Vater, der den Kläger zur Untersuchung gefahren habe, habe diesem bei der Entkleidung geholfen. Das Aufstehen aus dem Sitzen sei nur unter Zuhilfenahme von zwei Gehstützen unter primärer Belastung des linken Beines gelungen. Das Gangbild stellte sich unter Zuhilfenahme von zwei Unterarmgehstützen rechtsseitig hinkend dar. Zehen- und Hackenstand seien nicht möglich gewesen. Im Bereich der unteren Reflexe seien der Achillessehnenreflex beidseits und der Patellarsehnenreflex rechts nicht, links nur andeutungsweise auslösbar gewesen. Das Zeichen nach Lasègue habe sich rechts bei 30 Grad und links bei 40 Grad als positiv dargestellt. Ferner habe sich eine Hypästhesie im Bereich des gesamten rechten Unterschenkels samt Fuß gezeigt. Der rechte Fuß sei im Vergleich zum linken etwas kälter, die Muskelbemantelung sei im Bereich beider Beine normal und nicht wesentlich seitendifferent gewesen. Bei der Untersuchung der Finger sei eine Beschwielung beider Handflächen als Zeichen einer ständigen Benutzung der Unterarmgehstützen festzustellen gewesen. Dr. H. hat als Diagnosen angeführt: Zustand nach inkompletter Querschnittslähmung unterhalb der neurologischen Etage L 2 nach LWK 3-Fraktur mit leichten rechtsbetonten motorischen Defiziten. Deutliche Verminderung der Berührungsempfindung am rechten Bein, insbesondere Unterschenkel. Störung der Warm-Kalt-Unterscheidung am Unterschenkel rechts. Verblockung zwischen LWK 3 und LWK 2 mit leichter kyphotischer Stellung von ca. 5 Grad. Minderbeweglichkeit der Lendenwirbelsäule (LWS). Cervikalsyndrom. Periarthritis humeroscapularis beidseits. Als neue Diagnosen hat er angegeben: Dorsomedianer Bandscheibenvorfall mit nach kaudal luxiertem Sequester BWK 8/9. Osteochondrosen BWK 5/6 und BWK 11/12 mit breitflächigen dorsomedianen bis beidseits intraforaminalen Bandscheibenprotrusionen. Anamnestisch angegeben: Stuhlinkontinenz Die vorgebrachten Beschwerden seien glaubhaft, jedoch bestehe eine deutliche aggravatorische Überlagerung. Die vorbestehenden Nervenschädigungen hätten sich günstig zurückgebildet. An Beinen und Armen seien keine Muskelatrophien festzustellen gewesen. Auch im Bereich des rechten Beines sei nicht von einer ausgeprägten Muskelatrophie zu sprechen. Bezüglich des neu diagnostizierten Bandscheibenvorfalls bestehe keine Verschlimmerung der klinischen Symptomatik. Es liege eine normale körperliche altersentsprechende Voralterung des Klägers vor. Der Kläger könne noch leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen mit gelegentlichem Haltungswechsel sechs Stunden täglich verrichten. Arbeiten mit Zwangshaltungen, Bücken, Hocken, Knien, Klettern und Steigen, mit häufigem Gehen auf unebenem Gelände, unter Expositionen von Kälte und Nässe, Leiter- und Überkopfarbeiten, Arbeiten mit Zeitdruck sowie Akkord- oder Fließbandarbeiten sollten vermieden werden. Schematisch einfache Tätigkeiten seien ausführbar. Arbeiten mit Maschinen mit besonderer Verletzungsgefahr sowie Verantwortung für Andere sollten eingeschränkt werden. Die Hände seien gebrauchsfähig. Das rechte Bein müsse geschont werden. Die Benutzung einer Gehstütze sei sicherlich zu empfehlen. Die Benutzung von zwei Gehstützen biete dem Kläger mehr Sicherheit. Dem Kläger sollten zusätzliche Ruhepausen ermöglicht werden. Bei einer Zunahme der Schmerzen sollte ein Haltungswechsel durchführbar sein. Ferner sei bei Stuhldrang die Erreichbarkeit einer Toilette notwendig. Die zeitliche Einteilung der Arbeit sollte dem Kläger in gewissen Grenzen überlassen bleiben. Der Gesundheitszustand sei dauernder Natur. Das Ergebnis des Gutachtens weiche im Ergebnis von anderen früher eingeholten Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen nicht ab. Der Kläger sei jedoch nicht in der Lage, viermal täglich mindestens 500 Meter zu Fuß zurückzulegen. Er könne nur noch viermal täglich mindestens 250 Meter zu Fuß bewältigen. Zudem könne er nur bedingt einen PKW zu fahren; öffentliche Verkehrsmittel könne er benutzen.

Dr. H. hat seinem Gutachten eine durch die Fachärztin für diagnostische Radiologie Dr. S. vorgenommene Auswertung von Kernspintomografien der Brustwirbelsäule (BWS) und LWS vom 16. September 2007 beigefügt.

Das Sozialgericht Stendal hat mit Gerichtsbescheid vom 22. Dezember 2008 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Beklagte zur Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 1. April 2006 verurteilt. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens sei der Kläger nicht in der Lage, Wegstrecken von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen. Zur Überwindung solcher Strecken könne er auch nicht auf die Benutzung eines eigenen PKW verwiesen werden. Denn nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. H. in dem Gutachten vom 27. Dezember 2007 sei der Kläger nur noch bedingt fähig, einen PKW zu führen; mit dem Fahrrad könne er nicht mehr fahren. Darüber hinaus sei der Kläger unter Berücksichtigung der von Dr. H. angeführten qualitativen Leistungseinschränkungen nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig zu sein, weil es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Tätigkeiten gebe, denen der Kläger noch nachgehen könnte. Dabei könne die Frage dahinstehen, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen noch sechs Stunden für leichte körperliche Tätigkeiten einsetzbar sei; selbst bei einem sechsstündigen Leistungsvermögen sei er voll erwerbsgemindert. Unter Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen genüge der Kläger nämlich nicht einmal mehr durchschnittlichen Anforderungen, die an einen Arbeitnehmer bei der Eingehung eines Arbeitsverhältnisses gestellt würden. Das Gericht sei davon überzeugt, dass kein Arbeitgeber den Kläger in Kenntnis der Tatsache einstellen würde, dass dieser nur noch körperlich leichte Tätigkeiten verrichten könne. Aufgrund der Vielzahl der Leistungseinschränkungen sei der Kläger allein zeitlich nur in der Lage, weniger an Arbeitsleistungen als ein durchschnittlich befähigter Arbeitnehmer zu erbringen. Er wäre somit von Anfang an nicht in der Lage, seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen. Die Versichertenrente des Klägers sei unbefristet zu leisten, da es sich bei dem Gesundheitszustand zweifelsfrei um einen Dauerzustand handele.

Gegen den ihr am 29. Dezember 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 23. Januar 2009 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und vorgetragen, die Wegefähigkeit des Klägers sei gegeben. Die Kammer habe sich die Feststellungen des fachchirurgischen Gutachtens von Dr. H. zur Wegefähigkeit unkritisch zu Eigen gemacht, obwohl dieser bei einer identischen und nicht abweichenden Befundlage im Vergleich zu den Vorgutachtern festgestellt habe, dass der Kläger nicht in der Lage sei, viermal täglich mindestens 500 Meter zu Fuß zurückzulegen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 22. Dezember 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für zutreffend.

In der auf Anforderung des Senats erstellten fachärztlichen Stellungnahme vom 16. November 2009 hat Dr. H. mitgeteilt, seine Einschätzung, wonach der Kläger nicht in der Lage sei, viermal mindestens 500 Meter zurückzulegen, habe sich aus der damaligen Zusammenschau der klinischen und röntgenologischen Befunde ergeben. Glaubhaft habe der Kläger vermittelt, nur noch mit zwei Stützen gehen zu können. Dies bedinge aber nicht, dass er nicht in der Lage gewesen sei, wie dies auch im Gutachten beschrieben werde, sechs Stunden und mehr für leichte Tätigkeiten täglich eingesetzt zu werden.

Der Senat hat sodann den Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin - Chirotherapie -Physikalische Therapie - Akupunktur Dr. S. das Gutachten vom 8. März 2010 erstatten lassen. Der Kläger habe ständige Schmerzen in der LWS angegeben. Das Gehen sei nur noch an Unterarmgehstützen möglich; die Gehstrecke sei auf maximal 100 Meter beschränkt. Es bestehe ein Taubheitsgefühl in beiden Beinen, Unterschenkeln und Füßen, rechts mehr als links; die Kraft im rechten Bein sei komplett aufgehoben und links deutlich vermindert. Beim Gang zum Arztzimmer habe sich auf ebener Erde ein kleinschrittiges Gangbild an zwei Unterarmgehstützen gezeigt. Zehenspitzen- und Fersengang seien beiderseits nicht möglich gewesen. Beide Beine seien voll belastet worden. Der Einbeinstand sei beidseits nicht ausführbar, das Ablegen der Oberkleidung und der Beinbekleidung sei nur mit Hilfe des Vaters möglich gewesen. Dieser habe die Schuhe und Strümpfe ausziehen müssen. Es hätten sich deutliche Zeichen einer Aggravation gezeigt. Beim Barfußgang auf ebener Erde sei ebenfalls ein sehr eingeschränktes Gangbild an zwei Unterarmgehstützen demonstriert worden. Das Zeichen nach Lasègue sei als ab 30 Grad schmerzhaft angegeben worden bei einer massiven Gegenspannung des Klägers. Dagegen sei der Langsitz auf der Untersuchungsliege mit gestreckten Beinen gut möglich gewesen. Eine Hypästhesie habe sich im Bereich des gesamten rechten Unterschenkels und Fußes gezeigt. Die Kraft beider unterer Extremitäten sei mit einer Fußheber- und -senkerparese beidseits als aufgehoben demonstriert worden. Das Heben des gestreckten Beines sei beidseits nicht möglich, der Achillessehnenreflex sei beidseits nicht sicher, der Patellarsehnenreflex rechts nicht und links gut auslösbar gewesen. Wesentliche Umfangsdifferenzen der Beine hätten nicht bestanden. Ferner sei die Beinmuskulatur relativ gut ausgebildet gewesen. Das Hinlegen und Aufstehen von der Untersuchungsliege sei sehr erschwert und verlangsamt demonstriert worden, weil ein Bewegen der Beine beidseits nicht möglich gewesen sei. Beim passiven Durchbewegen beider Extremitäten habe sich beidseits eine altersentsprechend ausreichende Beweglichkeit gezeigt. Beim Verlassen der Praxis sei der Kläger allerdings zügig an zwei Unterarmgehstützen gegangen. Bei einer kompletten Parese beider Beine wäre ein Steppergang zu erwarten gewesen, der jedoch nicht vorgelegen habe. Als Diagnosen hat Dr. S. angeführt: Zustand nach inkompletter Querschnittslähmung rechts mehr als links unterhalb der neurologischen Etage L2 bei Zustand nach operativ versorgter instabiler Fraktur des 3. Lendenwirbelkörpers mit rechtsbetonten motorischen Defiziten, verminderter Sensibilität beider Unterschenkel und Füße, rechts mehr als links. Störung der Warm-/Kaltempfindung am rechten Unterschenkel. Zustand nach Verblockung L 2/3 in guter Stellung mit Muskelhartspann, Druckschmerzhaftigkeit und schmerzhaft eingeschränkter Beweglichkeit, radiologisch in guter Stellung mit nur leichten radiologisch nachweisbaren degenerativen Veränderungen sowie kernspintographisch nachweisbarer geringer Protrusion (Vorwölbung) Brustwirbelkörper 11/12 und Bandscheibenvorfall Brustwirbelkörper 8/9. Cervikobrachialgie beiderseits, d. h. rezidivierende Schmerzen in der Halswirbelsäule (HWS) mit Ausstrahlung in beide Schultergelenke bei Muskelhartspann mit leichter Druckschmerzhaftigkeit, eingeschränkter Beweglichkeit ohne objektivierbare radikuläre Ausfallsymptomatik bei radiologisch nachweisbaren leichten degenerativen Veränderungen. Senk-Spreizfuß beidseits ohne wesentliche Beschwerdesymptomatik. Zusammenfassend hat der Sachverständige eingeschätzt, sowohl radiologisch als auch kernspintomographisch habe sich eine gute Stellung der operativ stabilisierten LWK 3-Fraktur ohne wesentliche Einengung der Neuroforamina gezeigt. Die degenerativen Veränderungen der HWS gingen nicht über die altersentsprechende Norm hinaus. Der Kläger sei nur noch in der Lage, eine leichte körperliche Tätigkeit überwiegend im Sitzen im Wechsel zwischen Gehen und Stehen vollschichtig auszuüben. Wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten wie Heben und Tragen von Gegenständen über fünf kg, Arbeiten in Zwangshaltung und im Bücken, auf Leitern und Gerüsten sowie Klettern und Steigen könnten nicht mehr zugemutet werden. Die Einwirkung von Kälte, Nässe und Zugluft sei zu vermeiden. Überkopfarbeiten sollten nur noch eingeschränkt abverlangt werden. Die Gebrauchsfähigkeit beider Hände sowie das Seh- und Hörvermögens seien nicht beeinträchtigt. Aufgrund der ständigen Schmerzsymptomatik von Seiten der LWS seien nur noch geistig einfache Arbeiten sowie Arbeiten mit einfachen Anforderungen an das Denkvermögen, Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit möglich. Arbeiten in Wechselschichten und unter Zeitdruck seien noch zu bewältigen. Einfache körperliche Verrichtungen wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen, seien noch vollschichtig möglich. Außer einer halbstündigen Arbeitspause oder zwei viertelstündigen Arbeitspausen in einer mehr als sechsstündigen Arbeitsschicht seien keine zusätzlichen Pausen notwendig. Der Kläger müsse allerdings bei einer vorwiegend sitzenden Tätigkeit im Fall der Zunahme der Schmerzen vor allem im Bereich der LWS die Möglichkeit haben, sich bewegen zu können. Er sei noch in der Lage, 500 Meter am Stück in angemessener Zeit, d. h. in maximal 20 Minuten, viermal täglich zu Fuß zurückzulegen. Gegen die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bestünden keine Einwände. Ein Kraftfahrzeug sollte der Kläger aufgrund der Schwäche der Beine, vor allem des rechten Fußes, nicht mehr führen. Sinnvoll seien zunächst eine fachorthopädische ambulante Behandlung, die seit 2003 nicht mehr erfolgte, ferner ein Muskelaufbautraining und gegebenenfalls physikalische Anwendungen.

Der Kläger hat sich mit dem Gutachten nicht einverstanden erklärt und geltend gemacht, der Sachverständige habe seine Krankheitsgeschichte nicht vollständig wiedergegeben. Ferner seien die Angaben hinsichtlich seiner Größe und seines Gewichts unzutreffend. Zudem habe er sowohl bei der Einnahme des Langsitzes als auch beim Verlassen der Praxis erhebliche Probleme gehabt. Darüber hinaus habe die gesamte Untersuchung seiner Person nur ca. 30 Minuten gedauert. Vor, während und auch nach der Begutachtung sei er aufgrund seiner Verletzungen nicht in der Lage gewesen, den Oberkörper in eine Position von ca. fast 90 Grad zu bringen, sondern habe weit darunter in einer Position von ca. 45 Grad verharren müssen. Den Langsitz habe er nicht auf Anforderung des Gutachers, sondern vielmehr in Eigeninitiative eingenommen, da er die Untersuchungen nicht habe verfolgen können.

Dr. S. hat mit Schreiben vom 9. Mai 2010 mitgeteilt, er habe eine Größe von 175 cm und ein Gewicht von 70 kg – wie vom Kläger bei der Begutachtung genannt – angegeben. Bei der Anamneseerhebung habe er das Geschehen lediglich mit den wichtigen Fakten zusammengefasst. Die Einnahme des Langsitzes sei für ihn ein klares Zeichen der Aggravation, da dies bei einem wirklich positiven Zeichen nach Lasègue ab 40 Grad nicht möglich sei. Überrascht sei er auch gewesen, wie zügig der Kläger in Begleitung seines Vaters die Praxis habe verlassen können, als er ihm unbeobachtet hinterher geschaut habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Gerichts- und des Verwaltungsverfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten und der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senates waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nach den §§ 143, 144 Absatz 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und gemäß § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerecht erhoben.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung verurteilt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Der ablehnende Bescheid der Beklagten ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Aus diesem Grunde war der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Senat konnte auch in der Sache entscheiden, obwohl das erstinstanzliche sozialgerichtliche Verfahren an einem erheblichen Mangel litt. Das Sozialgericht hätte nicht durch Gerichtsbescheid des Kammervorsitzenden entscheiden dürfen; dies ist dem Gericht nach § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nur erlaubt, wenn die Sache u.a. keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Ferner hätte auch die Anhörungsmitteilung zum beabsichtigten Erlass eines Gerichtsbescheides fallbezogen sein müssen; ein formularmäßiger Hinweis allein ist gerade nicht ausreichend (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz Kommentar, 9. Aufl., § 105 Rn. 10).

Ein Gerichtsbescheid kann aber nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht erlassen werden, wenn es sich um einen Fall mit überdurchschnittlicher Schwierigkeit handelt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz Kommentar, 9. Aufl., § 105 Rn. 6) oder auch nur um Streitsachen von normaler durchschnittlicher Schwierigkeit (Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 324). Dr. H. hatte in seinem Gutachten vom 27. Dezember 2007 einerseits übereinstimmende Befunde und Untersuchungsergebnisse und ausdrücklich eine Übereinstimmung mit den Vorgutachten festgestellt, andererseits aber eine von sämtlichen Vorgutachtern abweichende Einschätzung zur Wegefähigkeit des Klägers abgegeben, ohne diese Abweichung näher zu begründen. Eine ergänzende Stellungnahme mit einer medizinischen Begründung für seine Beurteilung und die Aufklärung der Widersprüchlichkeit ist von dem gerichtlichen Sachverständigen nicht eingeholt worden. Bei dieser Sachlage konnte das Sozialgericht nicht von einem eindeutig geklärten medizinischen Sachverhalt ausgehen.

Entscheidet das Sozialgericht durch den Kammervorsitzenden allein, obwohl die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht gegeben sind, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, weil den Beteiligten der gesetzliche Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) in Form der Kammer in voller Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern entzogen worden ist (vgl. auch Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 16. März 2006 – B 4 RA 59/04 R –, NZS 2007, S. 51). Dieser Mangel ist auch wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kammer in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.

Trotz dieses wesentlichen Verfahrensmangels konnte der Senat jedoch in der Sache selbst entscheiden, weil er gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG zwar befugt, aber nicht zwingend verpflichtet war, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen (vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2006, a.a.O., LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. Juni 2008 - L 3 R 102/06 -). Im Rahmen seines Ermessens hat der Senat das Interesse der Beteiligten an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreits einerseits mit den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz andererseits gegeneinander abgewogen und dem Interesse des Klägers an einer frühzeitigen Entscheidung des Senats mehr Gewicht beigemessen.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Der Kläger ist weder voll noch teilweiser erwerbsgemindert. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger ist nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert, weil er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Dabei geht der Senat von folgendem Leistungsbild aus: Der Kläger ist noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen im Wechsel zwischen Gehen und Stehen vollschichtig auszuüben. Wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten wie Heben und Tragen von Gegen- ständen über fünf kg, Arbeiten in Zwangshaltungen und im Bücken, auf Leitern und Gerüsten sowie Klettern und Steigen sind nicht zumutbar. Tätigkeiten mit Einwirkung von Kälte, Nässe und Zugluft sind zu meiden. Überkopfarbeiten können nur eingeschränkt abverlangt werden. Arbeiten in Wechselschichten und unter Zeitdruck sind zu bewältigen. Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen, einfachen geistigen Anforderungen sowie einfachen Anforderungen an mnestische Fähigkeiten wie Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit sind noch möglich. Es besteht eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände.

Dieses Leistungsbild ergibt sich für den Senat insbesondere aus dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. S. vom 8. März 2009 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 9. Mai 2010 sowie den im Wesentlichen mit den Befunden und Diagnosen übereinstimmenden Gutachten von Dr. F. vom 27. November 2006, Dr. H. vom 27. November 2007 und Prof. Dr. K. vom 5. Februar 2005 sowie dessen ergänzender Stellungnahme vom 25. April 2005.

Der Kläger leidet an einem Zustand nach einer inkompletten Querschnittslähmung rechts mehr als links unterhalb L 2 nach einer Fraktur des 3. LWK, die nach einer operativen Stabilisierung in guter Stellung verheilt ist. Sämtliche Gutachter bestätigen das Vorliegen von rechtsbetonten motorischen Defiziten, einer verminderten Sensibilität beider Unterschenkel und Füße, rechts mehr als links, sowie einer Störung der Warm-/Kaltempfindung am rechten Unterschenkel. Infolge des Zustandes nach Verblockung zwischen LWK 2 und 3 waren neben einer reizlosen Narbe über der LWS und beiden Beckenkämmen ein Muskelhartspann, eine Druckschmerzhaftigkeit und eine schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule feststellbar. Kernspintographisch zeigte sich im September 2007 eine geringe Vorwölbung der Brustwirbelkörper 11/12 und ein Bandscheibenvorfall der Brustwirbelkörper 8/9, jedoch ohne zunehmende klinische Symptomatik; radiologisch waren nur leichte degenerative Veränderungen der HWS nachweisbar. Unter Berücksichtigung der klinischen Untersuchungsergebnisse und der erhobenen Befunden besteht nach übereinstimmender Einschätzung aller Gutachter ein mindestens sechsstündiges tägliches Leistungsvermögen des Klägers unter Berücksichtigung der oben dargestellten qualitativen Einschränkungen.

Die vom Kläger bei allen Begutachtungen angegebene Stuhlinkontinenz konnte nicht objektiviert werden. Allerdings würde diese Erkrankung lediglich zu der qualitativen Einschränkung führen, dass der Kläger nur in Toilettennähe einsetzbar wäre. Ein quantitativ vermindertes Leistungsvermögen resultierte daraus nicht.

Im Falle des Klägers liegt auch kein Seltenheits- oder Katalogfall vor, der zur Pflicht der Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes führen würde (vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 35 f.). Der Arbeitsmarkt gilt unter anderem als verschlossen, wenn einem Versicherten die so genannte Wegefähigkeit fehlt. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 Meter mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehender Mobilitätshilfen benutzen kann. Dann gilt die Erwerbsfähigkeit als nicht in beachtlichem Maße einschränkt und die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit ist nicht erforderlich. Sind Arbeitsplätze auf andere Art als zu Fuß erreichbar, zum Beispiel mit dem eigenen Kraftfahrzeug bzw. mit einem Fahrrad, ist der Arbeitmarkt ebenfalls nicht verschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 73/90 - SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10).

Mit Ausnahme von Dr. H. haben die Gutachter Dr. S., Dr. H., Prof. Dr. K. und Dr. F. übereinstimmend die Fähigkeit des Klägers bejaht, viermal täglich knapp mehr als 500 Meter zu Fuß zurücklegen zu können. Der Senat schließt sich der nur insoweit abweichenden Einschätzung von Dr. H. nicht an, da dieser eine Begründung für seine Beurteilung nicht angegeben hat. Vielmehr hat er sich trotz der mit den anderen Gutachtern übereinstimmenden Befunden und technischen Untersuchungsergebnissen allein auf die subjektiven Angaben des Klägers gestützt. Wie die Gutachter Prof. Dr. K., Dr. F. und Dr. S. hat auch Dr. H. eine annähernd normale Muskelbemantelung und eine nicht seitendifferente Bemuskelung der unteren Extremitäten festgestellt. Eine Atrophie der Muskulatur der Beine, wie sie bei einer kompletten Parese beider Beine zu erwarten gewesen wäre, ist nicht nachweisbar gewesen. Hinweise für einen deutlichen Mindergebrauch der Beine haben nicht bestanden. Zudem haben sich auch nach den Feststellungen von Dr. H. die vorbestehenden Nervenschädigungen günstig zurückgebildet. Im Übrigen haben alle Gutachter einschließlich Dr. H. deutliche Zeichen von Aggravation aufgezeigt und auf eine erhebliche Diskrepanz zwischen der vom Kläger geklagten Beschwerdesymptomatik und den objektiven Befunden hingewiesen. Die jeweils im Rahmen der neurologischen Untersuchung vom Kläger beschriebenen sensomotorischen Defizite konnten nicht objektiviert werden. Ausweislich des Ergebnisses der elektromyographischen und elektroneurografischen Zusatzuntersuchung durch Prof. Dr. F. vom 18. April 2005 waren pathologische Auffälligkeiten nicht feststellbar; eine Schädigung der zentralen motorischen Leitungsbahnen als Ursache für die vom Kläger dargestellten motorischen Störungen konnte ausgeschlossen werden. Die vom Kläger bei Dr. S. demonstrierte vollständig aufgehobene Beweglichkeit beider Beine, das positive Zeichen nach Lasègue beidseits ab 30 Grad, die aufgehobene Beweglichkeit der LWS sowie die deutliche Einschränkung der Beweglichkeit der HWS sind nicht in Einklang zu bringen mit der von ihm gezeigten Fähigkeit, den Langsitz auf der Untersuchungsliege mit gestreckten Beinen problemlos einzunehmen und sich zügig an zwei Unterarmgehstützen fortbewegen zu können. Zudem hat Dr. S. eine ausgeprägte Gegenspannung bei der passiven Bewegungsprüfung der LWS beschrieben. Bei Dr. F. konnte der Kläger beim Laufen mit den Unterarmgehstützen deutlich die Beine anheben, was bei einer kompletten Fußheber- und Fußsenkerschwäche ausgeschlossen ist. Darüber hinaus ist nach den Feststellungen von Dr. H. die Benutzung von zwei Unterarmgehstützen aus medizinischer Sicht nicht erforderlich. Vielmehr wäre zur Schonung des rechten Beines die Zuhilfenahme einer Gehstütze lediglich zu empfehlen, aber nicht zwingend.

Ferner schließt der Senat aus der Tatsache, dass sich der Kläger seit 2003 in mehr in fachärztlicher Behandlung befindet und auch nicht, wie gutachterlich mehrfach empfohlen, an krankengymnastischen und physiotherapeutisch Therapien teilnimmt, dass der Leidensdruck hinsichtlich der orthopädischen Erkrankungen nicht erheblich ausgeprägt sein kann. Die Einwände des Klägers gegen das Gutachten von Dr. S. sind nicht nachvollziehbar. Die Mitteilung im Gutachten zu Größe und Gewicht des Klägers basieren auf dessen eigenen Angaben. Die Krankengeschichte ist auf den Seiten 3 bis 13 des Gutachtens in den wesentlichen Grundzügen wiedergegeben. Zudem hat der Gutachter – wie die Ausführungen auf den Seiten 13 bis 17 zeigen – eine ausführliche Anamnese und ausweislich der Angaben auf den Seiten 17 bis 25 im Einzelnen konkrete Befunde des gesamten Bewegungsapparates erhoben. Der Senat hat daher keine Bedenken, das Gutachten seiner Entscheidungsfindung zugrunde zu legen. Zudem hat sich der Senat bei seiner Entscheidung, dass der Kläger in der Lage ist, viermal täglich knapp mehr als 500 Meter innerhalb 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen, auf die in sämtlichen Gutachten im Wesentlichen übereinstimmenden objektivierbaren Befunde und Untersuchungsergebnisse stützen können.

Darüber hinaus kann der Kläger Tätigkeiten unter betriebsüblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Die Notwendigkeit von zusätzlichen Pausen besteht auch nach den Feststellungen von Dr. H. nicht. Bereits durch die Reduzierung des Anforderungsprofils auf leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen im Wechsel von Stehen und Gehen wird vollumfänglich der Belastungsminderung des Bewegungsapparates Rechnung getragen und dem Kläger sowohl die Möglichkeit zur Durchführung des von Dr. H. empfohlenen Haltungswechsels sowie zur Bewegung nach Bedarf eingeräumt.

Bei dem Kläger liegt auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führt. Die Beklagte ist daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Das Restleistungsvermögen des Klägers reicht vielmehr noch für leichte körperliche Verrichtungen im Wechsel der drei Körperhaltungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996, - GS 2/95 -, a.a.O.). Sämtliche gehörte Gutachter bestätigen eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände. Insoweit ist der Senat – anders als das Sozialgericht – der Überzeugung, dass der Kläger bei Aufgabe der gezeigten Aggravation und Aufbringen der von ihm zumutbar abzuverlangenden Leistungsbereitschaft durchaus in der Lage ist, zufriedenstellende Arbeitsleistungen im Rahmen einer leidensgerechten Arbeit zu erbringen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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