Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 4 R 500/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 468/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Gesetzliche Rentenversicherung, Altersrente für schwerbehinderte Menschen, § 116 SGB IX
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. Oktober 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen hat.
Die 1946 geborene Klägerin stellte am 3. März 2006 einen Antrag auf Altersrente nach §§ 37, 236a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) wegen der Vollendung des 60. Lebensjahres und Schwerbehinderung ab dem 1. Juni 2006. Mit Bescheid vom 30. Mai 2006 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Die Klägerin sei nicht als schwerbehinderter Mensch im Sinne des § 2 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) anerkannt. Aus dem der Beklagten vorliegenden Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 27. März 2006 gehe hervor, dass zu Beginn der Altersrente wegen Schwerbehinderung der Grad für die festgestellten Behinderungen (GdB) 30 betrage. Am 7. Juni 2006 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch und führte aus, nach dem Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes gelte der von 50 auf 30 herabgesetzte GdB erst nach Ablauf der Schutzfrist Ende Juli 2006. Erst danach stehe ihr der Schwerbehindertenausweis als Nachweis eines GdB von 50 nicht mehr zu. Zum 1. Juni 2006, dem Zeitpunkt des beantragten Rentenbeginns, sei ein GdB von 50 gegeben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Für den Bescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 27. März 2006 sei – mangels Klage vor dem Sozialgericht – zum beantragten Beginn der Altersrente (1. Juni 2006) bereits Bindungswirkung eingetreten; zum beantragten Rentenbeginn sei daher von einem GdB von 30 auszugehen gewesen. Die in dem Bescheid des Landesverwaltungsamtes eingeräumte Schutzfrist nach § 116 Abs. 1 SGB IX führe zu keiner anderen Beurteilung.
Hiergegen hat die Klägerin am 8. August 2006 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Sie sei im Besitz eines Schwerbehindertenausweises, der bis einschließlich September 2006 verlängert worden sei. Hiernach betrage der GdB 50. Sie sei aufgrund dessen am 1. Juni 2006 als schwerbehinderter Mensch einzustufen gewesen.
Das SG hat mit Urteil vom 11. Oktober 2007 die Verwaltungsentscheidung der Beklagten aufgehoben und sie verpflichtet, der Klägerin ab dem 1. Juni 2006 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236a SGB VI zu gewähren. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Schwerbehinderteneigenschaft hätten bei der Klägerin am 1. Juni 2006 zwar nicht mehr vorgelegen, da der einen GdB von 30 feststellende Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes vom 27. März 2006 mit Ablauf der Klagefrist am 30. April 2006 unanfechtbar geworden sei. Jedoch sei zugunsten der Klägerin die Schutzfrist des § 116 Abs. 1 SGB IX auch in Bezug auf § 236a SGB VI anzuwenden. Denn auch bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen handele es sich um eine "besondere Regelung für schwerbehinderte Menschen". Dafür, dass die Schutzfrist nur hinsichtlich der im Zweiten Teil des SGB IX normierten besonderen Rechte von schwerbehinderten Menschen gelten solle, finde sich im Gesetzestext keine Grundlage. Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck sprächen vielmehr für eine Rentenbewilligung. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen schwerbehinderte Menschen drei Monate nach Wegfall der Schwerbehinderteneigenschaft weiterhin Anspruch auf Sonderurlaub hätten und den besonderen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen genießen würden, eine Altersrente für sie dagegen nicht beginnen könne. Zudem hätte die Klägerin die Altersrente für Schwerbehinderte unstreitig erhalten, wenn sie zunächst gegen den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Klage erhoben hätte.
Gegen das am 5. November 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. November 2007 Berufung eingelegt. Die Schutzfrist des § 116 Abs. 1 SGB IX sei nicht anwendbar. Diese solle verhindern, dass der Betroffene unmittelbar nach Eintritt der Bindungswirkung des entsprechenden Bescheides den besonderen gesetzlichen Schutz für schwerbehinderte Menschen verliere. Die Vorschrift regele nicht, dass die Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX noch bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Aufhebungs- bzw. Abänderungsbescheides über die Schwerbehinderteneigenschaft vorliege, sondern dass das Schwerbehindertenrecht (Teil II des SGB IX) unter den Voraussetzungen des § 116 SGB IX bis zum Ende der Schutzfrist weiter angewendet werde. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ergäben sich jedoch nicht aus dem SGB IX, sondern aus dem SGB VI. Nach § 236a SGB VI sei nur das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX zum Zeitpunkt des Rentenbeginns maßgebend. Eine Gültigkeit der Schutzfrist des § 116 SGB IX für sämtliche Gesetze, die einem Schwerbehinderten in irgendeiner Weise Schutz gewähren würden, sei aus dem Gesetzestext des § 116 SGB IX nicht abzuleiten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. Oktober 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichtes Magdeburg vom 11. Oktober 2007 zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie habe keine rechtliche Beratung in Anspruch genommen und nicht gewusst, dass sie lediglich Klage gegen den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes hätte erheben müssen. Nach ihrer Ansicht habe sie alle notwendigen Schritte unternommen, um den GdB von 50 zu erhalten.
Der Senat hat den Vorgang des Landesverwaltungsamtes - Versorgungsamt - beigezogen und Teile hiervon in Kopie zur Gerichtsakte genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte nach den Zustimmungserklärungen der Beteiligten gemäß §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Verwaltungsentscheidung der Beklagten ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Das Urteil des SG ist nicht zutreffend und war aufzuheben.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Nach § 236a SGB VI haben Anspruch auf eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen Versicherte, die – neben weiteren Voraussetzungen – bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 SGB IX) anerkannt sind (§ 236a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI).
Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht.
Sie war am 1. Juni 2006 nicht mehr schwerbehindert im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX. Hiernach sind Menschen im Sinne des Zweiten Teils des SGB IX schwerbehindert, wenn – neben weiteren Voraussetzungen – bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Nach dem bestandskräftig gewordenen Bescheid des Landesverwaltungsamtes vom 22. August 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2006 lag bei der Klägerin am 1. Juni 2006 nur noch ein GdB von 30 vor.
Etwas anderes ergibt sich – entgegen der Auffassung des SG – auch nicht aus § 116 Abs. 1 SGB IX. Hiernach werden die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen nach dem Wegfall der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 SGB IX nicht angewendet, wenn sich der GdB auf weniger als 50 verringert, jedoch erst am Ende des dritten Kalendermonats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des die Verringerung feststellenden Bescheides.
Der Gesetzgeber macht mit der Einstellung der Regelung in den Zweiten Teil des SGB IX ("Besondere Regelungen zur Teilhabe behinderter Menschen") deutlich, dass sich § 116 Abs. 1 SGB IX auf eben diesen Zweiten Teil des SGB IX bezieht, nicht jedoch auf andere Gesetze, die Regelungen für Schwerbehinderte enthalten. Vor diesem gesetzesystematischen Hintergrund ist der Gesetzeswortlaut zu verstehen. Die Schutzfrist bezieht sich auf die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen und damit nur auf den Teil II des SGB IX, nämlich auf die §§ 68 ff. SGB IX, nicht jedoch auf Regelungen aus dem SGB VI, wie hier § 236a SGB VI. Das Kapitel 8 des 2. Teils des SGB IX, in das § 116 SGB IX eingestellt ist, hat die Überschrift: Beendigung der Anwendung der besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter und gleichgestellter behinderter Menschen. Die Schutzfrist stellt nach dieser Systematik nicht auf eine gesetzesübergreifende Bedeutung des Begriffs "besondere Regelung" ab, sondern auf die Begrifflichkeiten des Zweiten Teils des SGB IX. Insoweit folgt der Senat nicht der Argumentation des SG, wonach auch § 236a SGB VI eine besondere Regelung für schwerbehinderte Menschen i.S.d. § 116 Abs. 1 SGB IX sei.
Aus dem Sinn und Zweck von § 116 Abs. 1 SGB IX lässt sich ebenfalls nicht auf deren Anwendbarkeit im vorliegenden Fall schließen. Durch die Regelung soll erreicht werden, dass der behinderte Mensch nicht von heute auf morgen einer neuen, für ihn sozial bedenklichen Situation gegenüber gestellt wird (Majerski-Pahlen in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Auflage 2005, § 116 Rn. 7). Es ging dem Gesetzgeber darum, den bisherigen Status für eine Übergangszeit zu bewahren. Ab dem Statusverlust sind die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen nicht mehr anzuwenden. Diesen zeitlichen Gleichlauf von Schwerbehinderteneigenschaft und Anwendbarkeit begünstigenden Sonderrechts durchbricht die in § 116 Abs. 1 Halbsatz 2 SGB IX geregelte Schutzfrist (Dau in: Dau/Düwell/Haines, Kommentar SGB IX, 2. Auflage, § 116 Rn. 6). Die Schutzfrist hat damit nur den gesetzgeberischen Sinn, einen bereits bestehenden Status für eine Übergangsfrist zu bewahren, nicht jedoch den Sinn, eine noch nicht bestehende Begünstigung wie eine Rentengewährung trotz fehlender Schwerbehinderteneigenschaft zu ermöglichen.
Im Ergebnis kann damit die vorgezogene Altersrente nur in Anspruch genommen werden, wenn ein Bescheid, der einen GdB von unter 50 festlegt, noch nicht unanfechtbar geworden ist. Der Anspruch nach § 236a SGB VI besteht dagegen nicht, wenn der GdB bei Beginn der Altersrente bereits unanfechtbar auf weniger als 50 festgelegt ist, auch wenn dieser Zeitpunkt noch innerhalb der dreimonatigen Schutzfrist liegt (Ritz in: Bihr/Fuchs/Krauskopf/Lewering, Kommentar SGB IX, § 116, Rn. 9; Kossenz in: Kossenz/ von der Heide/ Maaß, SGB IX, Kommentar, 2. Auflage, § 116 Rn. 5).
Dass die Klägerin – wie das SG ausführt – die Altersrente für Schwerbehinderte unstreitig erhalten hätte, wenn sie gegen den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes vom 27. März 2006 Klage erhoben hätte, ändert nichts an der vorstehenden Beurteilung. Es bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten, eine entsprechende Vorschrift auch für Fälle wie den vorliegenden einzuführen. Soweit die Klägerin – wegen fehlender rechtlicher Beratung – irrtümlich gemeint hat, der ihr vorliegende Schwerbehindertenausweis reiche aus, führt dies ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Es lässt sich kein Ansatzpunkt dafür finden, die Erhebung einer Klage gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsamtes zu fingieren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Der Senat sieht insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Denn es liegt keine klärungsbedürftige Rechtsfrage vor, wenn die Antwort sich – wie im vorliegenden Fall – unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 8. Auflage, § 160 Rn. 7).
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen hat.
Die 1946 geborene Klägerin stellte am 3. März 2006 einen Antrag auf Altersrente nach §§ 37, 236a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) wegen der Vollendung des 60. Lebensjahres und Schwerbehinderung ab dem 1. Juni 2006. Mit Bescheid vom 30. Mai 2006 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Die Klägerin sei nicht als schwerbehinderter Mensch im Sinne des § 2 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) anerkannt. Aus dem der Beklagten vorliegenden Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 27. März 2006 gehe hervor, dass zu Beginn der Altersrente wegen Schwerbehinderung der Grad für die festgestellten Behinderungen (GdB) 30 betrage. Am 7. Juni 2006 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch und führte aus, nach dem Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes gelte der von 50 auf 30 herabgesetzte GdB erst nach Ablauf der Schutzfrist Ende Juli 2006. Erst danach stehe ihr der Schwerbehindertenausweis als Nachweis eines GdB von 50 nicht mehr zu. Zum 1. Juni 2006, dem Zeitpunkt des beantragten Rentenbeginns, sei ein GdB von 50 gegeben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Für den Bescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 27. März 2006 sei – mangels Klage vor dem Sozialgericht – zum beantragten Beginn der Altersrente (1. Juni 2006) bereits Bindungswirkung eingetreten; zum beantragten Rentenbeginn sei daher von einem GdB von 30 auszugehen gewesen. Die in dem Bescheid des Landesverwaltungsamtes eingeräumte Schutzfrist nach § 116 Abs. 1 SGB IX führe zu keiner anderen Beurteilung.
Hiergegen hat die Klägerin am 8. August 2006 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Sie sei im Besitz eines Schwerbehindertenausweises, der bis einschließlich September 2006 verlängert worden sei. Hiernach betrage der GdB 50. Sie sei aufgrund dessen am 1. Juni 2006 als schwerbehinderter Mensch einzustufen gewesen.
Das SG hat mit Urteil vom 11. Oktober 2007 die Verwaltungsentscheidung der Beklagten aufgehoben und sie verpflichtet, der Klägerin ab dem 1. Juni 2006 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236a SGB VI zu gewähren. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Schwerbehinderteneigenschaft hätten bei der Klägerin am 1. Juni 2006 zwar nicht mehr vorgelegen, da der einen GdB von 30 feststellende Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes vom 27. März 2006 mit Ablauf der Klagefrist am 30. April 2006 unanfechtbar geworden sei. Jedoch sei zugunsten der Klägerin die Schutzfrist des § 116 Abs. 1 SGB IX auch in Bezug auf § 236a SGB VI anzuwenden. Denn auch bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen handele es sich um eine "besondere Regelung für schwerbehinderte Menschen". Dafür, dass die Schutzfrist nur hinsichtlich der im Zweiten Teil des SGB IX normierten besonderen Rechte von schwerbehinderten Menschen gelten solle, finde sich im Gesetzestext keine Grundlage. Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck sprächen vielmehr für eine Rentenbewilligung. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen schwerbehinderte Menschen drei Monate nach Wegfall der Schwerbehinderteneigenschaft weiterhin Anspruch auf Sonderurlaub hätten und den besonderen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen genießen würden, eine Altersrente für sie dagegen nicht beginnen könne. Zudem hätte die Klägerin die Altersrente für Schwerbehinderte unstreitig erhalten, wenn sie zunächst gegen den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes Klage erhoben hätte.
Gegen das am 5. November 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. November 2007 Berufung eingelegt. Die Schutzfrist des § 116 Abs. 1 SGB IX sei nicht anwendbar. Diese solle verhindern, dass der Betroffene unmittelbar nach Eintritt der Bindungswirkung des entsprechenden Bescheides den besonderen gesetzlichen Schutz für schwerbehinderte Menschen verliere. Die Vorschrift regele nicht, dass die Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX noch bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Aufhebungs- bzw. Abänderungsbescheides über die Schwerbehinderteneigenschaft vorliege, sondern dass das Schwerbehindertenrecht (Teil II des SGB IX) unter den Voraussetzungen des § 116 SGB IX bis zum Ende der Schutzfrist weiter angewendet werde. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ergäben sich jedoch nicht aus dem SGB IX, sondern aus dem SGB VI. Nach § 236a SGB VI sei nur das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX zum Zeitpunkt des Rentenbeginns maßgebend. Eine Gültigkeit der Schutzfrist des § 116 SGB IX für sämtliche Gesetze, die einem Schwerbehinderten in irgendeiner Weise Schutz gewähren würden, sei aus dem Gesetzestext des § 116 SGB IX nicht abzuleiten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. Oktober 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichtes Magdeburg vom 11. Oktober 2007 zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie habe keine rechtliche Beratung in Anspruch genommen und nicht gewusst, dass sie lediglich Klage gegen den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes hätte erheben müssen. Nach ihrer Ansicht habe sie alle notwendigen Schritte unternommen, um den GdB von 50 zu erhalten.
Der Senat hat den Vorgang des Landesverwaltungsamtes - Versorgungsamt - beigezogen und Teile hiervon in Kopie zur Gerichtsakte genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte nach den Zustimmungserklärungen der Beteiligten gemäß §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Verwaltungsentscheidung der Beklagten ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Das Urteil des SG ist nicht zutreffend und war aufzuheben.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Nach § 236a SGB VI haben Anspruch auf eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen Versicherte, die – neben weiteren Voraussetzungen – bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 SGB IX) anerkannt sind (§ 236a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI).
Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht.
Sie war am 1. Juni 2006 nicht mehr schwerbehindert im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX. Hiernach sind Menschen im Sinne des Zweiten Teils des SGB IX schwerbehindert, wenn – neben weiteren Voraussetzungen – bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Nach dem bestandskräftig gewordenen Bescheid des Landesverwaltungsamtes vom 22. August 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2006 lag bei der Klägerin am 1. Juni 2006 nur noch ein GdB von 30 vor.
Etwas anderes ergibt sich – entgegen der Auffassung des SG – auch nicht aus § 116 Abs. 1 SGB IX. Hiernach werden die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen nach dem Wegfall der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 SGB IX nicht angewendet, wenn sich der GdB auf weniger als 50 verringert, jedoch erst am Ende des dritten Kalendermonats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des die Verringerung feststellenden Bescheides.
Der Gesetzgeber macht mit der Einstellung der Regelung in den Zweiten Teil des SGB IX ("Besondere Regelungen zur Teilhabe behinderter Menschen") deutlich, dass sich § 116 Abs. 1 SGB IX auf eben diesen Zweiten Teil des SGB IX bezieht, nicht jedoch auf andere Gesetze, die Regelungen für Schwerbehinderte enthalten. Vor diesem gesetzesystematischen Hintergrund ist der Gesetzeswortlaut zu verstehen. Die Schutzfrist bezieht sich auf die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen und damit nur auf den Teil II des SGB IX, nämlich auf die §§ 68 ff. SGB IX, nicht jedoch auf Regelungen aus dem SGB VI, wie hier § 236a SGB VI. Das Kapitel 8 des 2. Teils des SGB IX, in das § 116 SGB IX eingestellt ist, hat die Überschrift: Beendigung der Anwendung der besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter und gleichgestellter behinderter Menschen. Die Schutzfrist stellt nach dieser Systematik nicht auf eine gesetzesübergreifende Bedeutung des Begriffs "besondere Regelung" ab, sondern auf die Begrifflichkeiten des Zweiten Teils des SGB IX. Insoweit folgt der Senat nicht der Argumentation des SG, wonach auch § 236a SGB VI eine besondere Regelung für schwerbehinderte Menschen i.S.d. § 116 Abs. 1 SGB IX sei.
Aus dem Sinn und Zweck von § 116 Abs. 1 SGB IX lässt sich ebenfalls nicht auf deren Anwendbarkeit im vorliegenden Fall schließen. Durch die Regelung soll erreicht werden, dass der behinderte Mensch nicht von heute auf morgen einer neuen, für ihn sozial bedenklichen Situation gegenüber gestellt wird (Majerski-Pahlen in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Auflage 2005, § 116 Rn. 7). Es ging dem Gesetzgeber darum, den bisherigen Status für eine Übergangszeit zu bewahren. Ab dem Statusverlust sind die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen nicht mehr anzuwenden. Diesen zeitlichen Gleichlauf von Schwerbehinderteneigenschaft und Anwendbarkeit begünstigenden Sonderrechts durchbricht die in § 116 Abs. 1 Halbsatz 2 SGB IX geregelte Schutzfrist (Dau in: Dau/Düwell/Haines, Kommentar SGB IX, 2. Auflage, § 116 Rn. 6). Die Schutzfrist hat damit nur den gesetzgeberischen Sinn, einen bereits bestehenden Status für eine Übergangsfrist zu bewahren, nicht jedoch den Sinn, eine noch nicht bestehende Begünstigung wie eine Rentengewährung trotz fehlender Schwerbehinderteneigenschaft zu ermöglichen.
Im Ergebnis kann damit die vorgezogene Altersrente nur in Anspruch genommen werden, wenn ein Bescheid, der einen GdB von unter 50 festlegt, noch nicht unanfechtbar geworden ist. Der Anspruch nach § 236a SGB VI besteht dagegen nicht, wenn der GdB bei Beginn der Altersrente bereits unanfechtbar auf weniger als 50 festgelegt ist, auch wenn dieser Zeitpunkt noch innerhalb der dreimonatigen Schutzfrist liegt (Ritz in: Bihr/Fuchs/Krauskopf/Lewering, Kommentar SGB IX, § 116, Rn. 9; Kossenz in: Kossenz/ von der Heide/ Maaß, SGB IX, Kommentar, 2. Auflage, § 116 Rn. 5).
Dass die Klägerin – wie das SG ausführt – die Altersrente für Schwerbehinderte unstreitig erhalten hätte, wenn sie gegen den Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamtes vom 27. März 2006 Klage erhoben hätte, ändert nichts an der vorstehenden Beurteilung. Es bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten, eine entsprechende Vorschrift auch für Fälle wie den vorliegenden einzuführen. Soweit die Klägerin – wegen fehlender rechtlicher Beratung – irrtümlich gemeint hat, der ihr vorliegende Schwerbehindertenausweis reiche aus, führt dies ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Es lässt sich kein Ansatzpunkt dafür finden, die Erhebung einer Klage gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsamtes zu fingieren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Der Senat sieht insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Denn es liegt keine klärungsbedürftige Rechtsfrage vor, wenn die Antwort sich – wie im vorliegenden Fall – unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 8. Auflage, § 160 Rn. 7).
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