L 3 R 212/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 1 R 486/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 212/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Halbwaisenrente, Haushaltaufnahme, Unterhalt
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Weiterbewilligung von Halbwaisenrente über den 30. April 2006 hinaus.

Der am ... 1988 geborene Kläger ist der leibliche Sohn der am ... 1962 geborenen S. K. (im Folgenden: Mutter) und Stiefsohn des am ... 1962 geborenen und am ... 1999 verstorbenen M. S. (im Folgenden: Versicherter). Der Kläger ist schwerbehindert; seit dem 2. Dezember 1993 sind bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und das Merkzeichen "B" anerkannt. Die Mutter und der Versicherte hatten am 18. August 1994 geheiratet und waren ausweislich des Mietvertrages vom 27. Oktober 1995 ab 15. November 1995 Mieter einer im 1. Obergeschoss gelegenen Wohnung in der Lohmannstraße 125 in K ...

Nach einer später im Verwaltungsverfahren von der Beklagten beigezogenen Mitteilung der Staatsanwaltschaft D. vom 4. Mai 2006 war der Versicherte am 4. Juli 1999 durch einen Sturz aus dem Fenster der Wohnung in der Lohmannstraße 125 zu Tode gekommen.

Auf dem Antrag auf Bewilligung von Halbwaisenrente für den Kläger gab die Mutter unter dem 12. Juli 1999 an, der Kläger habe sich bis zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten in dessen Haushalt befunden. Eine von vornherein zeitlich begrenzte Aufnahme in den Haushalt sei nicht vorgesehen gewesen. Ausweislich der von der Beklagten angeforderten Meldebescheinigung des Einwohnermeldeamtes der Stadt K. vom 14. September 1999 war die Mutter zusammen mit dem Kläger, der am ... 1985 geborenen A. V. – der leiblichen Schwester des Klägers (im Folgenden: Zeugin A. V.) – und der am 31. Mai 1992 geborenen schwerbehinderten L. S. (GdB von 100 und Merkzeichen "B" seit 8. März 1995) – der gemeinsamen Tochter der Mutter und des Versicherten – unter der Anschrift Lohmannstraße 125 in K. seit 14. November 1995 gemeldet.

Mit Bescheid vom 27. September 1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 4. Juli 1999 eine bis zum 30. April 2006 – bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres – befristete Halbwaisenrente mit einem monatlichen Zahlbetrag in Höhe von 313,42 DM. Ausweislich des in der Anlage 2 des Bescheides angeführten Versicherungsverlaufs für den Versicherten hatte dieser vom 3. Juni bis zum 31. Dezember 1998 und vom 15. März 1999 bis zu seinem Tod – unterbrochen durch den Bezug von Arbeitslosenhilfe – in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden; nach den Angaben der Mutter zunächst im Rahmen einer Montagetätigkeit und 1999 bei einer Dachdeckerfirma.

Mit Schreiben vom 21. Oktober 1999 machte das Sozialamt des Landkreises K./Anhalt der Beklagten gegenüber einen Erstattungsanspruch für in der Zeit vom 4. Juli bis zum 30. November 1999 verauslagte Leistungen an die Mutter, den Kläger, die Zeugin A. V. und L. S. geltend.

Die Mutter beantragte am 21. Februar 2006 die Weitergewährung der Halbwaisenrente. Ausweislich der vorgelegten Bescheinigung der A.-H.-Schule, Förderschule für Geistigbehinderte, vom 15. Februar 2006 sollte die Schulzeit des Klägers bei einer genehmigten Verlängerung durch die obere Schulbehörde eventuell erst im Juli 2007 und nicht bereits am 31. Juli 2006 enden.

Auf Anforderung der Beklagten legte die Mutter eine Archivauskunft der Stadt K. vom 24. April 2006 vor. Danach war der Versicherte vom 20. November 1995 bis zum 19. Januar 1998 in der Lohmannstraße 125, vom 19. Januar 1998 bis zum 9. Dezember 1998 in der Franz-Straße 32 und dann bis zu seinem Tod am 1999 in der Albrechtstraße 7 in K. mit Hauptwohnung gemeldet.

In den später beigezogenen Verwaltungsakten des Sozialamtes der Stadt K. befindet sich eine mit Wirkung vom 1. Januar 1998 geänderte Lohnsteuerkarte des Versicherten und eine unter dem 3. Februar 1998 unterschriebene Erklärung der Mutter über steuerliches Getrenntleben seit dem 10. Oktober 1997. Beim Sozialamt war am 10. Juni 1999 ein Widerruf dieser Erklärung, unterschrieben von der Mutter an demselben Tag, eingegangen.

Mit Bescheid vom 3. Mai 2006 lehnte die Beklagte den Antrag auf Weitergewährung der Halbwaisenrente ab. Waisenrentenberechtigt seien Stiefkinder des Versicherten, die dieser in seinen Haushalt aufgenommen habe. Dieser Tatbestand sei nicht gegeben. Der Bescheid vom 27. September 1999 könne wegen bestehenden Vertrauensschutzes nicht zurückgenommen werden. Der nicht gegebenen Haushaltsaufnahme werde nunmehr mit der Ablehnung der Weitergewährung der Waisenrente Rechnung getragen.

Mit Schreiben vom 4. Mai 2006, eingegangen bei der Beklagten am 8. Mai 2006, bestätigten die Mutter und die Zeugin Voigt, der Versicherte habe seit Februar 1999 bei ihnen gewohnt, sie mit versorgt und seine Wohnung bereits gekündigt.

Den am 16. Mai 2006 gegen den Bescheid vom 3. Mai 2006 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2006 mit der Begründung zurück, der Tatbestand der Haushaltsaufnahme habe nicht nachgewiesen werden können. Laut der Meldebescheinigung der Stadt K. vom 24. April 2006 habe die Wohnortmeldung Albrechtstraße 7 in 06366 K. auch zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten am 4. Juli 1999 bestanden. Eine Rückmeldung in die Lohmannstraße 125 sei nicht erfolgt. Zudem könnten weder der Widerruf der Erklärung über steuerliches Getrenntleben vom 10. Juni 1999 noch die Erklärung der Staatsanwaltschaft D. vom 4. Mai 2006 die Haushaltsaufnahme zum Zeitpunkt des Todes nachweisen.

Dagegen hat sich der Kläger mit der am 26. Oktober 2006 beim Sozialgericht Dessau erhobenen Klage gewandt. Zum Zeitpunkt des Todes habe der Versicherte denselben Wohnsitz wie er – der Kläger – gehabt; zudem habe eine familienähnliche gemeinsame Haushalts- und Wirtschaftsführung bestanden. Nach einem Wohnortwechsel des Versicherten habe dieser wieder ab Februar 1999 mit ihm und seiner Familie zusammen in einem Haushalt gewohnt. Ungeachtet der Wohnortmeldung zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten seien die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend. Eine versäumte Ummeldung könne nicht zu seinen Lasten gehen. Ein Kündigungsschreiben des Versicherten über die Kündigung der Wohnung in der Albrechtstraße 7 könne nicht vorgelegt werden. Ferner sei die Anschrift des vormaligen Vermieters in der Albrechtstraße 7 nicht bekannt, da der Vermieter nach Holland verzogen sei.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von schriftlichen Erklärungen dazu, ob der Versicherte im Jahr 1999 bis zu seinem Tod am 1999 zusammen mit dem Kläger in der Wohnung Lohmannstraße 125 in K. gewohnt habe. Der damalige Vermieter der Wohnung in der Lohmannstraße 125, G. E., hat unter dem 10. Januar 2008 mitgeteilt, er habe in dieser Zeit dort nahezu täglich bzw. ganztägig Renovierungsarbeiten durchgeführt. Der Versicherte habe sich ausschließlich in der Lohmannstraße 125 als festem Wohnsitz aufgehalten; er habe dort auch genächtigt. Ihm sei jedenfalls nicht aufgefallen, dass der Versicherte aus der Lohmannstraße weggezogen oder aber in der Lohmannstraße lediglich ein- und ausgegangen sei. Die Zeugin E. N., eine Tante des Klägers, hat unter dem 25. Januar 2008 angegeben, der Versicherte habe im Jahr 1999 wieder in der Wohnung Lohmannstraße 125 gewohnt. Der Versicherte habe seine Kleider in der Wohnung Lohmannstraße 125 gehabt; darüber, ob er den Hausrat mit zurückgenommen habe oder das Mietverhältnis in der Albrechtstraße 7 habe kündigen wollen, könne sie keine Angaben machen. Die Wohnung in der Albrechtstraße 7 habe sie nicht gekannt. Sie wisse nur, der Versicherte habe zu seiner Familie zurückkehren wollen. Die Zeugin A. K., eine weitere Tante des Klägers, hat unter dem 14. Januar 2008 mitgeteilt, der Versicherte habe bis zu seinem Tod mit dem Kläger und der ganzen Familie in der Lohmannstraße 125 gewohnt. Er sei hin und wieder in die Albrecht-Straße 7 gegangen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Nach seinem Tod habe die Mutter des Klägers die Wohnung gekündigt und ausgeräumt.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau am 20. Juni 2008 die Klage abgewiesen. Die gerichtliche Sachaufklärung habe nicht zur vollen Überzeugung der Kammer im Sinne eines Vollbeweises ergeben, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten in dessen Haushalt aufgenommen gewesen sei. Es sei bereits zweifelhaft, ob der Kläger zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten tatsächlich mit diesem in einer gemeinsamen Familienwohnung gelebt habe. Diese Zweifel gründeten sich insbesondere auf die Archivauskunft des Einwohnermeldeamtes der Stadt K. vom 24. April 2006, wonach der Versicherte bis zu seinem Tod am 4. Juli 1999 in der Albrechtstraße 7 gemeldet gewesen sei. Die vom Gericht schriftlich befragten Tanten des Klägers sowie der Vermieter hätten lediglich bestätigen können, dass sich der Versicherte bis zum Zeitpunkt seines Todes regelmäßig in der Wohnung in der Lohmannstraße 125 aufgehalten habe. Aus dem Schreiben des Sozialamtes des Landkreises K. gehe hervor, der Versicherte sei dort nicht als Hilfeempfänger des Haushalts Lohmannstraße 125 geführt worden. Selbst wenn man einen häufigen Aufenthalt des Versicherten in der Lohmannstraße 125 unterstellte, sei damit noch nicht das Tatbestandsmerkmal der Haushaltsaufnahme bewiesen. Eine auf Dauer angelegte gemeinsame Haushaltsführung im Sinne einer Familienwohnung setze eine örtliche Bindung voraus, die darauf schließen lasse, dass die Herstellung einer familiären Gemeinschaft beabsichtigt sei. Hiervon könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausgegangen werden.

Gegen das ihm am 26. Juni 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. Juli 2008 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Angesichts der schriftlichen Zeugenerklärungen sei die Entscheidung des Sozialgerichts nicht nachvollziehbar; zumindest hätten weitere Ermittlungen durch Einholung weiterer Zeugenaussagen durchgeführt werden müssen. Insbesondere hätten, wie mehrfach beantragt, die Mutter und die Zeugin A. V. persönlich gehört werden müssen. Grund für die Familienzusammenführung sei u.a. die Unterstützung der Mutter bei der Rundum-Versorgung der behinderten Kinder gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 20. Juni 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Halbwaisenrente über den 30. April 2006 hinaus zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts und ihre angefochtenen Bescheide für zutreffend.

Im Erörterungstermin am 13. Februar 2009 hat die Berichterstatterin die Mutter des Klägers und die Zeugin A. V. gehört. Wegen des Ergebnisses der Vernehmung wird auf das Protokoll vom 13. Februar 2009 (Blatt 127 bis 132 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Auf Nachfrage des Senats hat die Zeugin E. B., die Schwester der Mutter, in den schriftlichen Erklärungen vom 10. und 20. März 2009 mitgeteilt, der Versicherte habe auf Drängen der Mutter die Wohnung in der Lohmannstraße wegen seiner Spielsucht verlassen müssen. Er habe vorübergehend bei ihrem Ex-Mann, dem Zeugen A.-K. B., in der Franz-Straße 32 gewohnt, der zwischenzeitlich mit seiner neuen Frau in der Albrechtstraße 7 in K. wohne. Er habe aber die Kinder nicht im Stich gelassen. Der Versicherte sei immer mehr bei dem Kläger als in der Wohnung des Zeugen A.-K. Berger gewesen, da er die Kinder sehr geliebt habe. Er habe wieder zu der Mutter ziehen wollen, sei jedoch zuvor gestorben.

Der Zeuge A.-K. B. hat mit Schreiben vom 7. Mai 2009 mitgeteilt, der Versicherte habe mit ihm nur zeitweise in der Franz-Straße 32 gewohnt. Er habe kein Zimmer und nur einmal Kontakt mit seiner Familie gehabt. Er könne in Anbetracht des lange zurückliegenden Zeitraums keine weiteren Angaben machen.

Ausweislich der Verwaltungsakten des Sozialamtes der Stadt K. hat die Mutter ab 1. Januar 1997 Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zunächst unter Berücksichtigung des Versicherten bei der Bedarfsberechnung bezogen. Ab dem Februar 1998 (Bescheid des Sozialamtes der Stadt K. vom 12. Februar 1998) bis zu seinem Tod (Bescheid des Sozialamtes vom 21. Juni 1999) ist dieser als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nicht mehr mit aufgeführt worden.

Schließlich hat der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung die Zeugen A. V., E. B. und A.-K. B. vernommen. Die auf Antrag des Klägers geladenen Zeugen E. N. und A. K. haben von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 23. Juni 2010 (Blatt 193 bis 197 der Gerichtsakte) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Gerichts- und des Verwaltungsverfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die vom Senat beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten betreffend die Witwenrente der Mutter und die beigezogenen Verwaltungsakten des Sozialamtes der Stadt K., die sämtlich Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senates waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthaft, insbesondere ist sie nach § 141 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt.

Sie ist aber unbegründet, da der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2006 rechtmäßig und der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 54 Abs. 2 SGG). Er hat keinen Anspruch auf Weiterbewilligung der Halbwaisenrente über den 30. April 2006 hinaus.

Nach § 48 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI) haben Kinder nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn sie

noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

Als Kinder werden gemäß § 48 Abs. 3 SGB VI auch Stiefkinder berücksichtigt, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren.

Das Recht auf eine Halbwaisenrente setzt demnach ein Eltern-Kind-Verhältnis zu zwei Elternteilen voraus, wobei bei einem Stiefkind zusätzlich die Aufnahme in den Haushalt des Verstorbenen Voraussetzung ist (Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. August 2001 – B 4 RA 109/00 R –, SozR 3-2600 § 48 Nr. 5 mit weiteren Nachweisen).

Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB VI besteht der Anspruch auf Halbwaisenrente bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (Nr. 1) oder bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres (Nr. 2), wenn u.a. die Waise sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet (Ziff. a) oder wegen körperlicher, geistiger oder seelischen Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (Ziff. d).

Die Voraussetzungen für die Halbwaisenrente sind hier jedenfalls ab 1. Mai 2006 nicht erfüllt. Der Kläger ist über das 18. Lebensjahr hinaus wegen seiner geistigen Behinderung zum eigenständigen Unterhalt nicht in der Lage. Er hat zudem zwar noch einen Elternteil, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und der Versicherte hatte die allgemeine Wartezeit erfüllt. Der Kläger ist aber nicht als Stiefkind des Versicherten in dessen Haushalt aufgenommen worden.

Was unter einer "Haushaltsaufnahme" zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht. Nach der Rechtsprechung des BSG fällt hierunter nicht schon die Begründung einer Wohngemeinschaft. Vielmehr ist ein auf längere Dauer gerichtetes Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienähnlicher Art, die Aufnahme in die Familiengemeinschaft oder ein elternähnliches, auf Dauer berechnetes Band zwischen Versichertem und Stiefkind maßgeblich. Denn die Halbwaisenrente hat eine Unterhaltsersatzfunktion zum Ausgleich der durch den verstorbenen Eltern- oder Stiefelternteil erbrachten materiellen und immateriellen Unterhaltsleistungen. Unter einer Haushaltsaufnahme ist danach nicht nur ein örtlich gebundenes Zusammenleben zu verstehen, sondern sie ist als Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) gekennzeichnet (BSG, Urteil vom 30. August 2001, a.a.O.). Diese drei genannten Kriterien stehen in enger Beziehung zueinander und können sich auch teilweise überschneiden; keines davon darf jedoch gänzlich fehlen (BSG, Urteil vom 30. Januar 2002 - B 5 RJ 34/01 R -, SozR 3-2600 § 48 Nr. 6). Dabei ist maßgeblich abzustellen auf den letzten Dauerzustand vor dem Tod, der in der Regel mit mindestens einem Jahr zu veranschlagen ist (BSG, Urteil vom 30. August 2001, a.a.O.).

Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass im letzten Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten zwischen dem Kläger und dem Versicherten ein elternähnliches, auf Dauer berechnetes Band, das durch örtliche, materielle und immaterielle Merkmale der Haushaltsaufnahme eines Kindes in den Haushalt eines Stiefelternteils gekennzeichnet war, bestand.

Der Senat geht zwar unter Zugrundelegung der Angaben der Mutter des Klägers und derjenigen der Zeuginnen A. V. und E. B. davon aus, dass zwischen dem Versicherten und dem Kläger ein elternähnliches Band immaterieller Art begründet worden war. Der Versicherte hatte sich um den Kläger fürsorglich gekümmert, mit ihm die Freizeit verbracht, ihn zum Arzt begleitet und war mit ihm in den Urlaub gefahren.

Allerdings konnte sich der Senat nach der Befragung der Mutter in der mündlichen Verhandlung, der Vernehmung der Zeugen und unter Berücksichtigung der beigezogenen Verwaltungsakten des Sozialamtes der Stadt K. nicht mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon überzeugen, dass die erforderliche örtliche Nähe im Sinne einer Familienwohnung des Klägers mit dem Versicherten und das Erfordernis materiellen Unterhalts vor dem Tod, d.h. von Mitte 1998 bis zum 1999, im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand gegeben war.

Für den Senat steht fest, dass sich der Versicherte und die Mutter im Januar 1998 getrennt haben. Ausweislich der Archivauskunft der Stadt K. vom 24. April 2006 hat der Versicherte ab 19. Januar 1998 – bis zu seinem Tod – einen anderen Wohnsitz als der Kläger und seine Mutter innegehabt. Auch unter Berücksichtigung sämtlicher Erklärungen der Mutter – unter dem 4. Mai 2006 gegenüber der Beklagten, in der Klage- und Berufungsbegründung, im Erörterungstermin am 13. Februar 2009 und in der mündlichen Verhandlung am 23. Juni 2010 – hat eine Trennung der Eheleute Anfang des Jahres 1998 stattgefunden. Zudem belegen die mit Wirkung vom 1. Januar 1998 geänderte Lohnsteuerkarte des Versicherten und die unter dem 3. Februar 1998 unterschriebene Erklärung der Mutter über steuerliches Getrenntleben seit dem 10. Oktober 1997 eine Trennung der Eheleute zu Beginn des Jahres 1998.

Ein die Haushaltsaufnahme beendender Tatbestand liegt dann vor, wenn eines der drei Hilfskriterien dauerhaft entfällt und damit ein neuer Normalzustand eintritt. Da die Haushaltsaufnahme ein auf Dauer angelegtes Familienband begründet, wird dieses nicht durch Ereignisse von kurzfristiger bzw. vorübergehender Dauer "zerrissen"; es kommt vielmehr auf den dauerhaften Normalzustand an; deshalb muss sich auch der Beendigungstatbestand als Dauerzustand und damit als neuer Normalzustand erweisen. Dieser dauerhafte Fortfall der Haushaltsaufnahme als neuer Normalzustand muss ferner als der letzte Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten bestanden haben (BSG, Urteil vom 30. August 2001, a.a.O.). Damit waren Anfang 1998 ein die bis dahin vorliegende Haushaltsaufnahme beendender Tatbestand und ein neuer dauerhafter Normalzustand eingetreten. Es hatten sich die Kriterien der örtlichen und materiellen Art wesentlich geändert.

Der Versicherte besuchte den Kläger zwar weiterhin regelmäßig, er hatte jedoch eine eigene Wohnung angemietet, in der er sich auch aufhielt mit der Folge, dass er nicht mehr so oft in der Lohmannstraße 125 anwesend war wie vor der Trennung. Vom 3. Juni bis zum 31. Dezember 1998 arbeitete der Versicherte auf Montage, sodass er überhaupt nur am Wochenende die Möglichkeit hatte, sich in der Lohmannstraße 125 aufzuhalten.

Zudem trug er nicht mehr zum materiellen Unterhalt des Klägers bei. Der Unterhalt eines nicht mit seinen beiden Elternteilen zusammenlebenden nichtehelichen Kindes besteht aus dem Barunterhalt, den der nichterziehende Elternteil in Form einer Unterhaltsrente zu leisten hat (§§ 1615a, 1612 Abs.1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuches – BGB), und dem Naturalunterhalt durch Zuwendung von Pflege und Erziehung, auf den sich der andere Elternteil beschränken darf (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB, so genannter Betreuungsunterhalt). Barunterhalt und Naturalunterhalt (Betreuungsunterhalt) sind grundsätzlich gleichwertig, folgerichtig auch gleich zu bewerten (BSG, Urteil vom 15. März 1988 – 4/11a RA 14/82 –, SozR 2200, § 1267 Nr. 35; Urteil vom 8. Juli 1998 – B 13 RJ 97/97R –, SozR 3-2200 § 1267 Nr. 6, Palandt/Diederichsen, BGB, § 1606 Rdnr. 8).

Soweit ist bereits fraglich, ob der Versicherte dem Kläger zuletzt einen erheblichen Betreuungsunterhalt in Form von Pflege (Beaufsichtigung und Erziehung) geleistet hat. Ein Betreuungsunterhalt ist dann nicht unerheblich, wenn er zumindest ein Viertel des insgesamt für das Kind aufzubringenden zeitlichen Betreuungsaufwands beansprucht (BSG, Urteil vom 15. März 1988, a.a.O.; Gürtner, Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 48 Rdnr. 21). In Anbetracht der Tatsache, dass der Versicherte sich vom 3. Juni bis zum 31. Dezember 1998 während der Woche auf Montage befand, konnte der Zeitaufwand des Versicherten nicht mindestens ein Viertel des insgesamt erforderlichen Betreuungsaufwands erreichen.

Jedenfalls konnte sich der Senat nicht von der Gewährung einer Barunterhaltsleistung des Versicherten an den Kläger überzeugen. Zumindest ab Februar 1998 hat der Kläger von dem Versicherten keinen Barunterhalt bezogen. Die Mutter des Klägers hat mitgeteilt, den täglichen Unterhalt von den Leistungen des Sozialamtes bestritten zu haben. Ab Februar 1998 bis zu seinem Tod ist der Versicherte jedoch bei der Bedarfsberechnung für die Sozialhilfe der Bedarfsgemeinschaft der Mutter und der drei Kinder nicht mehr berücksichtigt worden. Er ist aber auch nicht durch einen anderweitigen regelmäßigen finanziellen Beitrag für den Unterhalt des Klägers aufgekommen. Allein durch regelmäßige monatliche Geschenke in Form von Spielen und Zeitschriften an den Kläger oder Geschenke zu besonderen Anlässen, wie zum Beispiel an Weihnachten, oder eine gelegentliche finanzielle Beteiligung an Einkäufen ist eine Unterhaltsgewährung nicht gegeben. Auch in der finanziellen Unterstützung der Familie immer dann, wenn dem Versicherten Geld zur Verfügung gestanden hat, wie dies die Zeugin Erika Berger bekundete, ist lediglich eine unregelmäßige, gelegentliche materielle Zuwendung zu sehen.

Im Rahmen der Beweisaufnahme konnte bereits nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob der Versicherte zu einem späteren Zeitpunkt die Haushaltsgemeinschaft mit dem Kläger wieder hergestellt hat. Nach den Angaben der Mutter in der mündlichen Verhandlung des Rechtstreits vor dem Senat sei der Versicherte nach der Trennung Anfang 1998 nicht wieder in die Lohmannstraße eingezogen. Er sei jedoch während der Montagetätigkeit 1998 häufig am Wochenende bei seiner Familie gewesen; im Jahr 1999 habe er diese jeden Tag besucht, während der Beschäftigung bei der Dachdeckerfirma abends. Er habe sich während dieser Zeit allerdings stets selbst versorgt. Der Vortrag der Mutter, der Versicherte sei nicht wieder in die Lohmannstraße gezogen, wird gestützt durch zahlreiche Vermerke in den Sozialamtsakten. Danach bestätigte die Mutter unter dem 3. April 1998 unterschriftlich, der Versicherte halte sich nach wie vor in der Franz-Straße 32 auf. Darüber hinaus gab hat der Vermieter E. unter dem 3. Dezember 1998 an, in der Wohnung in der Lohmannstraße 123, 1. Obergeschoss, wohnten insgesamt vier Personen unter Benennung der Mutter als Hauptmieterin. Zudem beantragte die Mutter unter dem 9. Dezember 1998 im Rahmen der Hausratsteilung wegen der Trennung von dem Versicherten eine einmalige Unterstützung beim Sozialamt. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Versicherte ab Februar 1998 bis zu seinem Tod bei der Bedarfsberechnung der Sozialhilfe nicht mehr berücksichtigt wurde.

Andererseits konnten die vom Senat gehörten Zeugen ein Getrenntleben der Mutter und des Versicherten bis zu dessen Tod nicht bestätigen. Die Zeugin A. V. hat im Erörterungstermin am 13. Februar 2009 ausgesagt, der Versicherte sei spielsüchtig gewesen, er habe eine Wohnung in der Franz-Straße angemietet. Er sei jedoch nicht aus der gemeinsamen Wohnung in der Lohmannstraße 125 ausgezogen, sondern habe bis zu seinem Tod dort gewohnt. Diese Aussage hat die Zeugin in der mündlichen Verhandlung am 23. Juni 2010 bestätigt und bekundet, der Versicherte sei jeden Tag bei seiner Familie gewesen; für ihre Geschwister und sie habe sich in den Jahren 1998 und 1999 im Vergleich zu früher nichts geändert. Der Zeuge A.-K. B. konnte sich nicht mehr genau an die Wohnverhältnisse erinnern und lediglich mitteilen, der Versicherte habe sich nicht jeden Tag in der Franz-Straße aufgehalten. Die Zeugin E. B. hat bereits in ihren Erklärungen vom 10. und 20. März 2009 angegeben, der Versicherte sei mehr beim Kläger als in seiner eigenen Wohnung gewesen. Hiervon ist sie bei ihrer Zeugenaussage in der mündlichen Verhandlung nicht angewichen und hat mitgeteilt, der Versicherte habe sich von 1998 bis zu seinem Tod an ungefähr vier Tagen der Woche in der Lohmannstraße aufgehalten. Sie hat dann erklärt, im letzten halben Jahr vor seinem Tod sei es mit seiner Ehe aufwärts gegangen und der Versicherte sei während der gesamten Woche bei seiner Familie in der Lohmannstraße gewesen. Die Aussage der Zeugin über ein erneutes Zusammenleben der Eheleute wird gestützt durch den unter dem 10. Juni 1999 erfolgten Widerruf der Erklärung über steuerrechtliches Getrenntleben.

Selbst wenn der Senat davon ausginge, ab 1999 bzw. im letzten halben Jahr vor seinem Tod hätte der Versicherte mit dem Kläger wieder eine Haushaltsgemeinschaft in der Lohmannstraße 125 geführt, würde dies in zeitlicher Hinsicht nicht ausreichen. Denn abzustellen ist auf den letzten Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten, der in der Regel mit mindestens einem Jahr zu veranschlagen ist (BSG, Urteil vom 30. August 2001 – B 4 RA 109/00 R –, a.a.O.).

Der Senat konnte jedoch offen lassen, ob im letzten Dauerzustand eine gemeinsame Familienwohnung des Versicherten und des Klägers bestand. Denn letztendlich ist zwischen dem Kläger und dem Versicherten kein elternähnliches, auf Dauer berechnetes Band, begründet worden, da es an der Gewährung eines regelmäßigen materiellen Unterhalts des Versicherten an den Kläger fehlte. Diese Voraussetzung ist jedoch unerlässlich, da Hinterbliebenenrenten die Funktion zukommt, einen durch den Tod des Versicherten entfallenden Unterhalt zu ersetzen. Waisenrente kann mithin nicht demjenigen gewährt werden, dem durch den Tod eines Elternteils nur die Zuwendung immaterieller Art genommen worden ist (BSG, Urteil vom 15. März 1988, a.a.O.). Auch im Jahr 1999 hat der Versicherte zur Überzeugung des Senats dem Kläger weder Bar- noch Betreuungsunterhalt gewährt. Da er vom 15. März bis zu seinem Tod am 4. Juli 1999 ebenfalls eine versicherungspflichtige Tätigkeit als Dachdecker verrichtet hatte, ist auch hier fraglich, ob der Zeitaufwand des Versicherten nicht mindestens ein Viertel des insgesamt erforderlichen Betreuungsaufwands erreichte. Jedenfalls geht der Senat aus den bereits angeführten Gründen davon aus, dass der Versicherte auch im Jahr 1999 keinen Barunterhalt an den Kläger geleistet hat.

Hinzu kommt die Tatsache, dass L., die leibliche Tochter des Versicherten, ab 1. März 1998 vom Jugendamt laufende Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erhalten hat. Da der Versicherte bereits seiner leiblichen Tochter nach der Trennung keinen Barunterhalt mehr gezahlt hat, bekräftigt dies die Überzeugung des Senats, dass der Versicherten erst recht im letzten Dauerzustand an den Kläger als seinen Stiefsohn keinen regelmäßigen materiellen Unterhalt geleistet hat. Da nur eine zu Lebzeiten im letzten Dauerzustand stete materielle Unterhaltsgewährung eine Einstandspflicht der Versichertengemeinschaft an Stelle des Versicherten nach dessen Tod rechtfertigt, ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung von Halbwaisenrente jedenfalls ab 30. April 2006 nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SSG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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