L 7 SB 8/05

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 2 SB 152/01
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 8/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
GdB bei unklarer Diagnose
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die schwerbehinderte Klägerin begehrt die Feststellung eines Behinderungsgrads von 70.

Die am ... 1954 geborene Klägerin beantragte am 12. März 1998 erstmals die Feststellung von Behinderungen. Der Beklagte holte Befundscheine der behandelnden Ärzte der Klägerin ein. Die Fachärztin für Innere Medizin Dr. K. diagnostizierte am 6. April 1998 eine chronische Magenentzündung, eine Refluxösophagitis, eine chronisch venöse Insuffizienz mit Kompressionstherapie, ein chronisches Lumbalsyndrom bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, eine chronisch rezidivierende Migräne, eine Trigeminusneuralgie mit Übelkeit, Erbrechen, eine Multiallergie sowie Struma diffusa. Der Facharzt für Orthopädie Dr. S. stellte am 6. April 1998 ein chronisches Lumbal- und Zervikalsyndrom sowie einem Zustand nach Periarthropathia fest. Außerdem bestehe eine ausgeprägte psychosomatische Funktionsstörung. Die Beweglichkeit sei nicht vermindert und die Belastbarkeit der 55 kg schweren und 162 cm großen Klägerin sei nicht wesentlich eingeschränkt. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. teilte am 26. April 1998 mit, der Allgemeinzustand der Klägerin sei aufgrund ständiger Oberbauchbeschwerden mit Erbrechen beeinträchtigt. Nach Beteiligung des ärztlichen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 25. Juni 1998 einen Grad der Behinderung von 40 fest.

Auf den Widerspruch der Klägerin vom 10. Juli 1998 holte der Beklagte nochmals von Dr. K. Befundscheine (19. Oktober 1998, 1. Mai 1999) sowie eine telefonische Auskunft am 1. Juli 1999 ein. Danach habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin verschlechtert. Es bestünden chronische Trigeminusneuralgieschmerzen mit Auslösung von Migräneattacken mit Übelkeit und Erbrechen. Auch sei das Allgemeinbefinden durch die Magenerkrankung mit Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen stark beeinträchtigt. Der Allgemein- und körperliche Zustand sei erheblich reduziert. Die Ernährung sei stark eingeschränkt. Die Klägerin wiege derzeit 54 kg. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 1999 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Magdeburg lag das Sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) vom 13. März 2000 vor. Danach habe die Klägerin bekleidet 58,2 kg gewogen. Organpathologische Befunde seien nicht feststellbar gewesen. Offensichtlich leide die Klägerin an einer chronifizierten Somatisierungsstörung, doch habe sie weder eine Psychotherapie-Motivation noch eine Psychogenese. Daraufhin erklärte sich der Beklagte bereit, für eine seelische Behinderung mit Organbeschwerden einen Grad der Behinderung von 40, das Krampfaderleiden der Beine mit Schwellungsneigung von 20, die Funktionsminderung der Wirbelsäule von 10 sowie einen Gesamtgrad von 50 festzustellen. Mit Bescheid vom 11. Juli 2000 hob der Beklagte den Bescheid vom 25. Juni 1998 auf und stellte bei der Klägerin ab 13. März 2000 einen Grad der Behinderung von 50 fest.

Am 29. September 2000 beantragte die Klägerin die Neufeststellung ihrer Behinderung, weil sie nur geringe Mengen Nahrung aufnehmen könne und krampfartige Schmerzen im oberen Bauchbereich habe. Im Verwaltungsverfahren lag ein Arztbericht des Prof. Dr. M. (Zentrum für Innere Medizin, Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie der O.-Universität M.) vom 4. August 1999 vor. Danach seien sämtliche Organuntersuchungen unauffällig gewesen. Es müsse vielmehr an eine psychosomatische Genese gedacht werden. Nach nochmaliger Beteiligung des ärztlichen Diensts lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Dezember 2000 die Neufeststellung der Behinderungen ab. Aufgrund des am 4. Januar 2001 erhobenen Widerspruchs holte der Beklagte einen Befundschein der Fachärztin für Allgemeinmedizin, Betriebsmedizin, Allergologie S. vom 9. März 2001 ein. Danach bestehe kein Anhalt für eine Zoeliakie oder eine andere Erkrankung. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2001 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 7. September 2001 Klage beim Sozialgericht Stendal erhoben und einen Grad der Behinderung von 70 beantragt. Sie wiege jetzt nur noch 51 kg und trage Kleidergröße 36 bis 38. Ihr Kräfte- und Ernährungszustand sei schwer reduziert. Die Stoffwechselstörung habe gewiss auch seelische Auswirkungen, doch seien diese organisch bedingt und insbesondere durch die Belastung von Lebensmitteln mit Umweltgiften hervorgerufen. Sie hat einen Arztbrief der Spezialklinik N. (Akutklinik zur Behandlung von Allergien, Haut- und Umwelterkrankungen) vom 10. September 2001 übersandt. Dort waren ein Reizdarmsyndrom ohne Diarrhoe, der Verdacht auf eine Laktoseintoleranz sowie eine somatoforme autonome Funktionsstörung diagnostiziert worden.

Mit Beschluss vom 25. September 2001 hat das Sozialgericht Stendal den Rechtsstreit an das Sozialgericht Magdeburg verwiesen.

Zur Unterstützung ihres Klagebegehrens hat die Klägerin weitere Befunde übersandt: Nach einer Sonographie vom 20. September 2001 liege eine wandbetonte Dickdarmschlinge im Bereich des Sigmas bei sonst unauffälliger Oberbauchsonographie vor. Die pathologische Untersuchung vom 1. Oktober 2001 habe ödeme Dickdarmschleimhautteile gezeigt. Nach einem Bericht der Praxis für Medizinische Genetik Drs. A. vom 22. Januar 2004 sei der Nachweis einer Autoimmunerkrankung nicht gelungen. Mit Arztbrief vom 24. Mai 2004 hat der Facharzt für Chirurgie/Gefäßchirurgie Dr. L. eine deutliche Rezidivvarikose am rechten Bein diagnostiziert und eine konservative Behandlung mit Kompressionen empfohlen.

Das Sozialgericht hat weitere Befundberichte eingeholt. Die Fachärztin für Orthopädie/Chirotherapie Dr. v. K. hat von einer einmaligen Untersuchung der Klägerin am 13. März 2002 berichtet. Dabei habe sie ein Zervikalsyndrom sowie ein thorakolumbales Schmerzsyndrom bei Wirbelsäulenblockierung mit Fehlstatik und Störung der Muskelbalance diagnostiziert. Infolge der chronischen Darmentzündung sei ein rezidivierendes Auftreten der Beschwerden erklärbar. Dr. W. hat einen an die Bundesanstalt für Arbeit gerichteten Befundbericht vom 4. Juli 2002 übersandt. Danach habe in der Gastroenterologischen Poliklinik-Sprue-Sondersprechstunde der Freien Universität B. eine einheimische Sprue, eine chronisch entzündliche Darmerkrankung, ein Morbus Whipple, eine Kollagenose sowie eine Amyloidose ausgeschlossen werden können. Dr. S. hat mit Befundbericht vom 2. März 2004 mitgeteilt, die Klägerin sei nach fünfjähriger Pause erstmals wieder am 6. März 2003 bei ihm in Behandlung gewesen. Umfangreiche Untersuchungen der gesamten Wirbelsäulenabschnitte und des Beckens seien erfolgt. Doch seien aus orthopädischer Sicht ihre Beschwerden nicht erklärbar. Einschränkungen und Funktionsstörungen aufgrund einer orthopädisch-/rheumatologischen Erkrankung lägen nicht vor. Im Vordergrund stünden psychosomatische Beschwerden. Auffällig sei, dass die Klägerin sich nicht bei dem Schmertherapeuten vorgestellt hatte. Auch die dringend angeratene nervenärztliche Behandlung sei nicht erfolgt. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. übersandte neben bereits bekannten Unterlagen einen Arztbrief des Prof. Dr. M. (Medizinische Hochschule H., Abteilung Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie) vom 7. Januar 2003. Danach habe die Klägerin angegeben, über abdominelle Beschwerden seit ca. 20 Jahren mit Diarrhoen bis maximal viermal am Tag und Obstipation bis maximal sieben Tagen zu leiden. Zusätzlich habe sie Bauchschmerzen. Das Gewicht liege konstant um 55 kg. Der körperliche Untersuchungsbefund sei weitgehend unauffällig gewesen. Die Klägerin habe sich in einem guten Allgemein- und einem schlanken Ernährungszustand befunden. Aus der Anamnese und den durchgeführten Untersuchungen hätten sich keine Hinweise für eine Nahrungsmittelallergie ergeben. Insgesamt ergebe sich das Bild eines Reizdarm-Syndroms. Andere Erkrankungen seien durch die durchgeführte umfangreiche Diagnostik auszuschließen. Eine somatoforme Funktions- bzw. Schmerzstörung sei zu diskutieren. Der Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie Dr. P. hat mit Befundbericht vom 7. Mai 2004 einen Zustand nach einer Halsdistorsion mit einer subakuten Bewegungseinschränkung diagnostiziert. Dr. K. hat am 16. August 2004 über einen unveränderten Gesundheitszustand berichtet und in Anlage einen Arztbrief der Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und Internistische Onkologie Drs. U. vom 23. Februar 2004 übersandt. Danach befinde sich die Klägerin in einem guten Allgemein- und Ernährungszustand. Aus hämatologischer Sicht lägen keine pathologischen Befunde vor, sodass aufgrund der Eindringlichkeit der vorgetragenen Symptomatik auch eine psychosomatische Störung einbezogen werden solle. Schließlich hat eine Epikrise der Hautklinik H. vom 29. Juli 2004 vorgelegen. In dieser ist der Verdacht auf eine Somatisierungsstörung geäußert worden. Eine Allergie bzw. eine Pseudoallergie habe nicht nachgewiesen werden können.

Mit Urteil vom 17. Dezember 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Gesundheitsstörungen aus dem Funktionssystem Verdauung rechtfertigten einen Einzelgrad von 50. Die chronischen Darmstörungen mit rezidivierenden Durchfällen, Schmerzen und Blähungen seien mit 30 zu bewerten. Dieser Behinderungsgrad berücksichtige auch die Speisen- und Medikamentenunverträglichkeit und erfasse auch den geschilderten Kräfteverlust. Die Klägerin sei zwar von schlanker Gestalt, eine erhebliche Minderung des Kräfte- und Ernährungszustands liege aber nicht vor. Aufgrund der Pankreatitis sei der Einzelbehinderungsgrad auf 40 zu erhöhen. Da auch die Trigeminusneuralgiebeschwerden im Zusammenhang mit den Durchfällen stünden, sei ein Einzelbehinderungsgrad für das Funktionssystem Verdauung von 50 festzustellen. Die Varikosis sei mit einem Einzelgrad von 10 zu bewerten, denn ausgeprägte Ödeme lägen nicht vor. Für das Funktionssystem Rumpf sei wegen der nur geringfügigen Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule kein höherer Grad der Behinderung als 10 festzustellen. Ein weiterer Einzelbehinderungsgrad für psychische Leiden der Klägerin liege nicht vor, da die Kammer die beschriebenen Durchfälle mit Schmerzen als Organleiden ansehe. Auch die Klägerin selbst sehe psychische Probleme nur als eine Randerscheinung ihrer organisch bedingten Erkrankung. Der Einzelbehinderungsgrad von 50 für das Funktionssystem Verdauung könne nicht durch die Einzelbehinderungsgrade von je 10 für die Varikosis und das Wirbelsäulenleiden erhöht werden.

Gegen das ihr am 10. Januar 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. Februar 2005 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und weitere Unterlagen übersandt.

Nach der Epikrise der Medizinischen Hochschule H. (Prof. Dr. M., Abteilung Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie) vom 12. Juni 2005 habe sie sich in einem normalen Allgemeinzustand und ein schlanken Ernährungszustand (54 kg) befunden. Ödeme hätten nicht vorgelegen. Zusammenfassend ist ausgeführt worden, die durchgeführte Diagnostik, die auch eine Allergiediagnostik umfasst habe, sei negativ gewesen. Die erhobenen Befunde könnten die Beschwerden der Klägerin nicht erklären.

Nach der Epikrise der Medizinischen Hochschule H. (Prof. Dr. Z., Abteilung Rheumatologie) vom 22. August 2006 waren eine Fingerpolyarthrose mit aktuell geringgradiger Aktivierung, Arthralgien der Sprunggelenke beidseits und chronisch-rezidivierende Zervikalgien bei Schuppenflechte diagnostiziert worden. Die HWS sei nur endgradig eingeschränkt gewesen. Der übrige Wirbelsäulenbefund sei unauffällig gewesen (Ott 30/34 cm, Schober 10/13 cm, Finger-Boden-Abstand 10 cm). Die Klägerin habe 54 kg gewogen.

Zudem hat die Klägerin ein Gutachten der Dr. K. vom 13. Oktober 2006 vorgelegt, das diese im Rechtsstreit gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund im Verfahren L 1 RA 53/02 nach Untersuchung der Klägerin am 24. August 2006 erstattet hatte. Danach habe sich diese in einem deutlich reduzierten Allgemein- und mäßig reduziertem Ernährungszustand (52 kg, Bodymaßindex 19,0). Die seit Jahren eingehaltene erhebliche Nahrungsmittelrestrektion und die häufig akuten Nahrungsmittelunverträglichkeitsreaktionen hätten zu einem körperlichen Kräfteverfall geführt, so dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, selbst leichte körperliche Tätigkeiten auch nur für kurze Zeiten dauerhaft zu absolvieren. Eine psychosomatische Genese liege nicht vor.

Außerdem hat die Klägerin eine Stellungnahme des Prof. Dr. M. (Universitätsklinikum B., Forschungsgruppe Systemische Mastzellerkrankungen) vom 17. April 2008 übersandt. Danach sei sie an einer systemischen Mastozytose vom Typ des Mastzellenhyperaktivitätssyndroms mit ausgeprägtem Mastzellmediatorsyndrom erkrankt. Diese Erkrankung gehöre zu den myeloproliferativen Erkrankungen, für die je nach Auswirkung ein Behinderungsgrad von 10 bis 100 angenommen werden könne. Bei der Klägerin lägen stärkere bis starke Auswirkungen auf eine Vielzahl von Organfunktionen vor.

Des Weiteren hat die Klägerin die Epikrise vom 15. Mai 2008 vom stationären Aufenthalt im Universitätsklinikum B. vorgelegt. Dort waren eine systemische Mastozytose vom Typ des Mastzellenüberaktivitätssyndroms mit ausgeprägtem Mastzellmediatiorsyndroms sowie eine arterielle Hypertonie mit hypertensiver Entgleisung diagnostiziert worden. Die Klägerin habe sich im mageren Ernährungs- und unauffälligem Kräftezustand befunden. Die Haut sei rosig, die Herztöne rein und die Herzaktionen normfrequent- und rhythmisch gewesen. Der Blutdruck habe 160/90 mm/Hg betragen. Die Wirbelsäule sei nicht klopfschmerzhaft und die Gliedmaßen frei beweglich und der Neurostatus unauffällig gewesen. Auch das EKG sei unauffällig gewesen. Die Langzeitblutdruckmessung habe ein leicht hypertones Blutdruckprofil ergeben. Die Ergometriebelastung habe bei 50 Watt wegen einer hypertensiven Entgleisung (260/120 mm/Hg) abgebrochen werden müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 17. Dezember 2004 sowie den Bescheid des Beklagten vom 14. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. August 2001 aufzuheben, den Bescheid vom 11. Juli 2000 abzuändern und bei ihr mit Wirkung vom 29. September 2000 einen Grad der Behinderung von 70 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an seiner bisherigen Auffassung fest.

Auf Nachfrage des Gerichts hat die Klägerin am 22. Juni 2006 mitgeteilt, sie befinde sich nicht in psychiatrisch/neurologischer oder orthopädischer Behandlung. Die im Jahr 2005 verordnete Physiotherapie habe sie aufgrund der dabei eingesetzten Salben nicht vertragen.

Nachdem das Landessozialgericht bei Prof. Dr. M. angefragt hat, ob dieser bereit sei, ein Gutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) über die Klägerin zu erstatten, hat er mit Schreiben vom 30. Juli 2008 mitgeteilt: Bei der Klägerin sei mit Hilfe eines spezifischen Diagnosefragebogens das systemische Mastzellmediatorsyndrom als Folge eines systemischen Mastzellüberaktivitätssyndroms klinisch diagnostiziert worden. Auf Antrag der Klägerin hat Prof. Dr. M. das Gutachten nach § 109 SGG vom 15. Dezember 2008 nach ambulanter Untersuchung am 8. Dezember 2008 erstattet. Danach liege bei ihr ein ausgeprägtes systemisches Mastzellenmediatorsyndrom als Folge einer aggressiven systemischen Mastozystose vom Typ des systemischen Mastzellüberaktivitätssyndroms vor. Zunächst hat der Sachverständige auf die Schwierigkeit der Diagnosestellung unter Berücksichtigung der WHO-Kriterien hingewiesen. Danach könne eine Knochenmarksbiopsie die Erkrankung zwar beweisen, aber nicht durch negativen Befund ausschließen. Eine zuverlässige Aussage sei nur bei einer bilateralen Entnahme mehrerer Proben zu erzielen. Dies werfe bei der Erkrankung der Klägerin aber klinisch praktische und berufsethische Probleme auf. Hinsichtlich der bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen hat der Sachverständige erläutert, dass die nachstehend aufgelisteten Beschwerden bzw. krankhaften Befunde Ausdruck einer Störung der jeweiligen Organe/Gewebe durch die Erkrankung seien. Dabei sei die Intensität der Beschwerden mit Hilfe einer visuellen Analogskala von 0 (keine Beeinträchtigung) bis 10 (unerträgliche Beeinträchtigung) für verschiedene Organbereiche ermittelt worden:

Gastrointestinaltrakt: - Abdominalschmerzen im Oberbauch rechts und Unterbauch rechts und links: mehrfach täglich kolikartige Schmerzen, ständiger Dauerschmerz sowie ständiges Druckgefühl (Intensität acht bis zehn), ein- bis zweimal pro Woche Durchfall (Intensität acht bis zehn), Übelkeit parallel zu Bauchschmerzen und Bauchkrämpfen (Intensität von fünf), Blähungen mit Koliken (Intensität acht bis zehn), Vibrationen und Erschütterungen bei Fahrten im Auto oder Straßenbahn oder beim Gehen führten zu Auslösung von Schmerzen im Bauchraum bis zum Rücken sowie einem dumpfen Druckgefühl; beschwerdefreie Gehzeit bis fünf Minuten angegeben; Gewichtsabnahme und Phasen mit ausgeprägter Krankheitsaktivität von zwei bis drei Kilo je Woche; Unverträglichkeit gegenüber einer Vielzahl von Nahrungsmitteln; die als Basismedikation eingesetzten Medikamente könne die Klägerin wegen Unverträglichkeit nicht einnehmen.

Diese Behinderungen seien mit einem Grad der Behinderung von 70 zu bewerten, weil eine organische Störung mit deutlicher Behinderung der Nahrungsaufnahme (Einschränkung der Kostform) und mit erheblicher Beeinträchtigung des Allgemein- und Ernährungszustandes vorliege.

Leber: - erhöhter Laborwert GOT, dieser zeige einen entzündlichen Vorgang in der Leber, episodisch Hypercholesterolämie.

Pankreas: - erhöhter Alpha-Laborwert zeige einen entzündlichen Vorgang in der Bauchspeicheldrüse; episodisch gürtelförmige Schmerzen und hypoglykämische Krisen

Wegen der chronischen Erkrankung der Bauchspeicheldrüse sei ein Grad der Behinderung von 10 festzustellen.

Herz, Kreislauf: - episodisch Herzrasen und Herzschmerzen (Intensität fünf), hypertone Krisen, medikamentös schlecht einstellbarer Blutdruck, Hitzewallungen (Intensität sechs)

Die anfallsweise auftretende hämodynamisch relevante Rhythmusstörung rechtfertige einen Grad der Behinderung von 10. Die Hypertonie liege in mittelschwerer Form vor und sei mit einem Grad der Behinderung von 30 zu bewerten.

Blutgerinnung: - Hämatombildung nach Minimaltraumen

Es liege ein sonstiges Blutungsneigen mit mäßigen Auswirkungen vor, das einen Grad der Behinderung von 20 bedinge.

Atemwege: - Räusperzwang, akute Heiserkeit im getriggerten Mastzelldegranulationsanfall

Augen: - konjunktivale Reizerscheinungen, Sicca-Syndrom (Intensität fünf)

Mit einem Grad der Behinderung von 10 seien die Reizerscheinung zu bewerten.

Nase: - chronische geschwollene Nasenschleimhaut mit verstopfter Nase

Ein Grad der Behinderung von 10 sei für die Verengung der Nasenabgänge mit leichter bis mittelgradiger Behinderung festzustellen.

Zentrales Nervensystem: - migräneartiger Kopfschmerzen zwei bis dreimal die Woche (Intensität sieben bis acht), dauerhaft Tinnitus (Intensität fünf), Wortfindungsstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten

Im Bereich des zentralen Nervensystems sei analog zur echten Migräne die mittelgradige Verlaufsform mit einem Grad der Behinderung von 20 zu bewerten, die Ohrgeräusche ohne nennenswerte Psychobegleiterscheinung mit einem Grad der Behinderung von 10 und die kognitive Leistungsstörung mit einem Grad der Behinderung von 20.

Haut: - braune makulopapulöse Veränderungen mit starkem Juckreiz (Hals, Unterarme, Dekolleté), Angioödem (Schwellungen im Bereich des Gesichts)

Die chronisch rezidivierende Urtikaria/Quincke-Ödem (Angiödem) mit häufig auftretenden Schüben sowie schwer vermeidbaren Noxen und Allergenen sei mit einem Grad der Behinderung von 20 zu bewerten.

Skelettsystem: - Schmerzen in den Fingergelenken mit Schwellungen und Deformierung der Fingergelenke (Intensität der Schmerzen sieben), Schmerzen und Schwellung des oberen Sprunggelenks, Schmerzen im Bereich der HWS

Die entzündlich-rheumatische Krankheit der Gelenke und/oder der Wirbelsäule mit geringen Auswirkungen bedinge einen Grad der Behinderung von 20.

Allgemeinsymptome: - Fatigue (ausgeprägte zwanghafte Müdigkeit) mindestens einmal täglich (Intensität fünf), körperliche Erschöpfung mindestens einmal am Tag bei leichten Tätigkeiten des Alltags (Intensität acht bis neun), erhöhte Infektanfälligkeit, Schlaflosigkeitsepisoden.

Zusammenfassend hat Prof. Dr. M. ausgeführt: Da aufgrund der systemischen Mastozystose starke Auswirkungen auf eine Vielzahl von Organen und Gewebsfunktionen vorlägen und da außergewöhnliche seelische Belastungen zu berücksichtigen seien, halte er einen Einzelgrad der Behinderung von 90 angemessen. Dabei habe er berücksichtigt, dass es sich bei dieser Erkrankung um eine nicht heilbare und nur schlecht therapierbare Erkrankung handele. Als weitere Erkrankungen seien die Psoriasis vulgaris an Kopf und Ohren mit einem Grad der Behinderung von 10, das Krampfaderleiden mit Stauungserscheinungen mit einem Grad der Behinderung von 20 sowie das Wirbelsäulenleiden mit Nervenreizerscheinungen mit einem Grad der Behinderung von 10 zu bewerten. Der Gesamtgrad betrage 90. Zwar habe er die Klägerin erstmals im April 2008 untersucht. Aufgrund der Aktenlage und des Verlaufs der Beschwerden zwischen April 2008 und der aktuellen Untersuchung sei es wahrscheinlich, dass die Beschwerden in ähnlicher Intensität bereits seit 29. September 2000 bestehen.

Der Beklagte hat auf eine gutachtliche Stellungnahme der Versorgungsärztin Dr. W. vom 15. Januar 2009 verwiesen. Danach könne der Bewertungsempfehlung von Prof. Dr. M. nicht gefolgt werden. Die erhobenen Befunde stützten sich ausschließlich auf die subjektiven Angaben der Klägerin. Objektive und aussagefähige klinische Befunde seien nicht erhoben worden. Die Bewertungen seien mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen nicht vereinbar. Um Funktionsstörungen des Gastrointestinaltrakts mit 70 bewerten zu können, müssten neben einer entsprechenden Diagnose schwerste Auswirkungen bestehen. Diese seien bei ein- bis zweimal wöchentlich auftretenden Durchfällen und Normalgewicht nicht zu erkennen. Auch sei keine Anämie belegt. Die meisten der aufgezählten Befindlichkeitsstörungen bedingten überhaupt keinen Behinderungsgrad und seien fachärztlich nicht bestätigt (Organbeteiligung bei Hypertonie, relevante Herzrhythmusstörung, Reizerscheinung der Augen, Verengung der Nasenhöhle, Kopfschmerzen in Analogie zur Migräne, kognitive Störung, rheumatische Erkrankung). Der letzte aussagefähige Befund stamme vom 15. Mai 2008. Danach bestünden keine Behandlungsbedürftigkeit des Mastzellüberaktivitätssyndroms, keine Anämie und noch keine Thrombozythopenie. Selbst in Analogie zu den Bewertungen der chronisch myeloproliverativen Erkrankungen sei der anerkannte Behinderungsgrad von 50 schon großzügig.

Das Landessozialgericht hat das im Rentenverfahren L 1 RA 53/02 erstellte Gutachten des Prof. Dr. M. (O.-Universität M.) vom 29. Dezember 2008 beigezogen. Die Untersuchung habe die Klägerin in einem guten Allgemein- und normalen Ernährungszustand gezeigt (53,2 kg bei einer Größe von 1,62 m). Als Diagnosen hatte er festgestellt: eine medikamentös behandelte arterielle Hypertonie mit rezidivierenden hypertensiven Entgleisungen, eine Nahrungs- und Arzneimittelunverträglichkeit unklarer Ursache mit rezidivierenden Schmerz- und Kollapszuständen ohne Auswirkung auf den Ernährungszustand unter diätetischer Therapie, intraabdominelle Adhäsionen nach mehrfachen Bauchoperationen, einen dringenden Verdacht auf eine Somatisierungsstörung mit Hauptsymptombereich Magen-Darm-System, ein Sicca-Syndrom des linken Auges, ein heterozygotes Faktor V-Leiden, eine Hyperhomocysteinämie, eine oberflächliche Varikosis beider Beine und eine leichtgradige Funktionsstörung im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule (LWS) sowie der Hand- und Fingergelenke. Die geschilderten krampf- und anfallsartigen abdominellen Schmerzen könnten nach Ansicht des Sachverständigen auf ein Reizdarmsyndrom und auch auf mögliche intraabdominelle Adhäsionen zurückgeführt werden. Die durchgeführte Diagnostik in Form von EKG, Echokardiographie, Röntgen-Thorax, Spirometrie, Bodyplethysmografie, Sonographie und Ergometrie (zwar Belastungsabbruch bei 50, aber keine relevante ST-Streckenveränderung oder Rhythmusstörungen) sowie Laboruntersuchungen hätten hinsichtlich der Organfunktionen kein Korrelat zur geschilderten klinischen Symptomatik ergeben. Bei fehlenden Hinweisen für eine systemische Mastozytose könne der geschilderte Symptomkomplex der Klägerin damit nicht in Zusammenhang gebracht werden. Nach WHO-Konsens werde der morphologische Nachweis dieser Erkrankung durch eine Genmutation geführt. Eine solche habe bei der Klägerin aufgrund der von ihm veranlassten Mutationsanalyse nicht nachgewiesen werden können. Eine morphologische und immunhistochemische Untersuchung des Knochenmarks oder eines anderen Gewebes insbesondere aus dem Gastrointestinaltrakt sei bisher nicht durchgeführt worden. Somit könne die Diagnose weder bestätigt noch ausgeschlossen werden. Letztlich bestünden aber die geschilderten massiven Beschwerden, die nach Angaben der Klägerin zu einer deutlichen Einschränkung in allen Lebensbereichen bis hin zur Arbeitsunfähigkeit führten. Ungeachtet der Ursache der Beschwerden stehe die Klägerin unter einem hohen Leidensdruck. Offenbar bestehe eine deutliche Somatisierungsstörung. Bei einer Diskrepanz zwischen dem Beschwerdebild und mangelnden objektiven Befunden sei von einer Aggravation auszugehen, wobei die seelische empfundene Symptomatik nicht in Frage gestellt werden solle. Nach seiner Einschätzung könne die Klägerin körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten für drei bis zu sechs Stunden ausüben. Die Gehfähigkeit der Klägerin sei nicht eingeschränkt. Die festgestellte Minderung der Leistungsfähigkeit bestehe schon seit August 2006. Aus internistisch-gastroenterologischer Sicht sei eine symptomatische medikamentöse Therapie der geschilderten abdominellen Beschwerden sowie eine Optimierung der antihypertensiven Therapie anzustreben. Aufgrund der Medikamentenunverträglichkeit sei dies jedoch scheinbar nicht möglich.

Der Beklagte hat in seiner Stellungnahme daraufhin ausgeführt, die durchgeführte Diagnostik habe hinsichtlich der Organfunktion kein Korrelat zu den geschilderten Beschwerden ergeben. Offenbar bestehe eine deutliche Somatisierungsstörung. Da Prof. Dr. M. keine Ödeme und nur eine oberflächliche Varikosis festgestellt hat, sei auch der für Krampfadern festgestellte Grad der Behinderung von 20 in Frage zu stellen. Eine Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung sei nicht gerechtfertigt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und nach § 143 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Klage gegen den Bescheid vom 14. Dezember 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. August 2001 ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft. Bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der hier erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BSG v. 12. April 2000 – B 9 SB 3/99 R = SozR 3-3870 § 3 Nr. 9, Seite 22). Danach liegen bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Feststellung eines höheren Grads der Behinderung als 50 nicht vor.

Da der Beklagte bereits mit Bescheid vom 11. Juli 2000 einen Grad der Behinderung von 50 festgestellt und damit über den Grad der Behinderung der Klägerin entschieden hat, richten sich die Voraussetzungen für die Neufeststellung nach § 48 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustands eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrads um wenigstens 10 ergibt. Die Änderung der Behinderungsbezeichnung oder das Hinzutreten weiterer Teil-Behinderungen ohne Auswirkung auf den Gesamtbehinderungsgrad allein stellen aber noch keine wesentliche Änderung dar (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 – B 9 SB 18/97 R, zitiert nach juris). Für die wesentliche Änderung kommt es weder auf den Inhalt des Vergleichsbescheids noch auf die von der Behörde bei der Bewilligung oder später angenommenen Verhältnisse, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse und deren objektive Änderung an (KassKomm-Steinwedel, SGB X, § 48 Rdnr. 14 m.w.N.).

Im Vergleich zu den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheids vom 11. Juli 2000 vorgelegen haben, ist keine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten, die eine Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrads auf 70 begründen könnte. Die Funktionsstörungen der Klägerin rechtfertigen seit der Antragstellung am 29. September 2000 bis zum heutigen Tag der Entscheidung durch den Senat keinen höheren Grad der Behinderung als 50.

Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046), da der Widerspruchsbescheid am 7. August 2001 erlassen worden ist. Der hier anzuwendende § 69 SGB IX ist durch die Gesetze vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) und vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden. Rechtsgrundlage für den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Feststellung eines Grads der Behinderung von 70 ist § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Infolge der verfahrensrechtlichen Änderungen des § 69 SGB IX durch das Gesetz vom 23. April 2004 (a.a.O.) hat sich im Übrigen nur die Satzzählung geändert. Im Folgenden werden die Vorschriften des § 69 SGB IX nach der neuen Satzzählung zitiert.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der Neufassung gelten für den Grad der Behinderung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden.

Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 RSozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2004 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind im Wesentlichen unverändert übernommen worden. Im Folgenden werden daher nur die Vorschriften der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zitiert.

Der hier streitigen Bemessung des Grads der Behinderung ist die GdS (Grad der Schädigung)-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (B 2, S. 34 ff.) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (B 1, S. 33) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle die Teilhabe beeinträchtigenden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (B 1, S. 33).

Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen der Klägerin kein höherer Grad der Behinderung als 50 festgestellt werden. Dabei stützt sich der Senat auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen (insbesondere Dr. W. vom 15. Januar 2009), die eingeholten Befundberichte, auf zahlreiche Arztbriefe und Epikrisen sowie das Gutachten von Prof. Dr. M ...

a) Zwar sind im Allgemeinen innerhalb der in Nr. 2 e (A 2, S. 20) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) alle die Teilhabe beeinträchtigenden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zusammenfassend zu beurteilen. Im vorliegenden Fall besteht aber die Besonderheit, dass keine eindeutige diagnostische Einordnung der im Vordergrund bestehenden Symptomatik möglich ist.

Die Klägerin leidet unter Bauchschmerzen, Bauchkrämpfen, Durchfall, Übelkeit, Blähungen mit Koliken sowie unter einer Nahrungsmittel- und Medikamentenunverträglichkeit. Als Gesundheitsstörung aus dem Funktionssystem Verdauung hat Prof. Dr. M. aber lediglich einen Reizmagen und intraabdominelle Adhäsionen feststellen können. Eine andere Erkrankung im Magen-Darmbereich sowie Nahrungsmittelallergien sind durch umfangreiche Untersuchungen ausgeschlossen worden. Vielmehr hat Prof. Dr. M. in seinem Gutachten vom 29. Dezember 2008 in Übereinstimmung mit weiteren Ärzten aus verschiedenen Fachgebieten (Befundberichte Dr. S. vom 6. April 1998 und 2. März 2004, MDK-Gutachten vom 13. März 2000, Epikrise N. vom 10. September 2001, Arztbrief Prof. Dr. M. vom 7. Januar 2003, Arztbrief Drs. U. vom 23. Februar 2004, Epikrise H. vom 29. Juli 2004) eine somatoforme Schmerzstörung mit dem Hauptsymptombereich Magen-Darm-System diagnostiziert. Dagegen geht Prof. Dr. M. davon aus, dass die Klägerin an einer systemischen Mastozytose leidet. Diese sei eine chronische myeloproliferative Erkrankung im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (B 16.5., S. 94). Allerdings ist diese Erkrankung der Klägerin nach WHO-Konsens nicht nachgewiesen. Auch Prof. Dr. M. hat allein anhand eines Diagnosefragebogens eine Mastozytose festgestellt. Die von Prof. Dr. M. veranlasste Genanalyse hat die Erkrankung auch nicht bestätigen können. Daher kann die Erkrankung nur durch eine morphologische und immunhistochemische Untersuchung des Knochenmarks oder eines anderen Gewebes, insbesondere aus dem Gastrointestinaltrakt nachgewiesen werden. Eine solche Untersuchung ist bislang aber nicht erfolgt. Auch Prof. Dr. M. hat ausgeführt, dass eine zuverlässige Aussage über das Vorliegen der Erkrankung nur durch eine Knochenmarksbiopsie (bei bilateraler Entnahme mehrerer Proben) getroffen werden könne.

Die fehlende diagnostische Einordnung der bestehenden Funktionsstörungen hindert aber nicht daran, die daraus resultierende Teilhabebeeinträchtigung mit einem Grad der Behinderung zu bewerten. In den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit (Ausgabe 2008, Nr. 9. S. 14) war in diesem Zusammenhang ausgeführt worden, dass diagnostische Maßnahmen zur Feststellung der Gesundheitsstörungen ohne Weiteres zumutbar sind, sofern sie nicht mit erheblichen Schmerzen verbunden sind und das Risiko einer Komplikation außerordentlich gering ist. Dagegen setzten Biopsien eine ausdrückliche Zustimmung nach vorheriger Aufklärung voraus. Weiter ist in den Anhaltspunkten ausgeführt worden, sofern ein solcher Eingriff verweigert werde, müsse trotzdem versucht werden, nach Aktenlage und nach den erhobenen Befunden eine Beurteilung abzugeben. Zwar ist diese Textpassage in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen nicht übernommen worden. Doch gelten diese erläuternden Ausführungen zur Befunderhebung als antizipierte Sachverständigengutachten weiter. Demnach sind die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen unter Berücksichtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu bewerten. Denn es ist zu berücksichtigen, dass bei identischen Teilhabebeeinträchtigungen unabhängig von der Ursache der Erkrankung auch der Grad der Behinderung identisch ist (BSG, Urteil vom 30. September 2009, B 9 SB 4/08, zitiert nach juris).

Unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen einer Mastozytose können die von der Klägerin darauf zurückgeführten Gesundheitsstörungen aufgrund der damit einhergehenden Teilhabebeeinträchtigungen nur mit einem Grad der Behinderung von 40 bewertet werden.

aa) Sofern die Funktionsstörungen analog dem Funktionssystem Verdauung bewertet werden, ist ein Grad der Behinderung von 40 festzustellen. Die das Verdauungssystem betreffenden Erkrankungen sind in ihrer Bewertung von einer Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustands abhängig. Erst eine andauernde erhebliche Minderung des Kräfte- und Ernährungszustands rechtfertigt Bewertungen mit einem Grad der Behinderung von 50 (vgl. Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwürsleiden, B 10.2.1., S. 70; Colitis ulcerosa, Crohn-Krankheit, B 10.2.2., S. 71 mit dem zusätzlichen Erfordernis von häufigen, täglichen auch nächtlichen Durchfällen). Bei chronischen Darmstörungen mit stärkeren und häufig rezidivierenden oder anhaltenden Symptomen (z. B. Durchfälle, Spasmen) ist ein Grad der Behinderung von 20 bis 30 und bei einer erheblichen Minderung des Kräfte- und Ernährungszustands von 40 bis 50 festzustellen (Versorgungsmedizinische Grundsätze, B 10.2.2., S. 71).

Da die Klägerin zwar schlank ist, Prof. Dr. M. aber unter diätetischer Therapie einen guten Allgemein- und normalen Ernährungszustand festgestellt hat, kann allenfalls aufgrund der anhaltenden Symptomatik (auch unter Berücksichtigung des Reizmagens) ein Einzelgrad der Behinderung von 40 angenommen werden. Bis auf die Hausärztin Dr. K. und Prof. Dr. M. haben die weiteren behandelnden Ärzte der Klägerin keine Einschränkungen des Ernährungszustands feststellen können. Prof. Dr. M. hat am 7. Januar 2003 von einem guten Allgemein- und einem schlanken Ernährungszustand, Drs. U.am 23. Februar 2004 von einem guten Allgemein- und Ernährungszustand und Prof. Dr. M. am 12. Juni 2005 von einem normalen Allgemein- und schlanken Ernährungszustand berichtet. In der Epikrise vom stationären Aufenthalt im Universitätsklinikum B. vom 15. Mai 2008 ist ein magerer Ernährungs- und unauffälliger Kräftezustand angegeben worden. Auch das relativ konstante Körpergewicht um 54 kg bei einer Größe von 1,62 m spiegelt einen schlanken, nicht aber beeinträchtigten Ernährungszustand wider (Dr. S. am 6. April 1998: 55 kg, Dr. K. am 1.Juli 1999: 54 kg; MDK-Gutachten am 13. März 2000: bekleidet 58, 2 kg; Prof. Dr. M. am 7. Januar 2003: konstantes Gewicht um 55 kg.; Prof. Dr. M. am 12. Juni 2005: 54 kg; Prof. Dr. Z. am 22. August 2004: 54 kg; Dr. K. am 24. August 2006: 52 kg; Prof. Dr. M. am 29. Dezember 2008: 53,2 kg).

Auch wenn die intraabdominellen Adhäsionen zusätzlich berücksichtigt werden, kommt keine höhere Bewertung in Betracht, da selbst erhebliche Passagestörungen (Versorgungsmedizinische Grundsätze, B 10.2.3., S. 72) nur mit einem Grad der Behinderung von 20 bis 30 bewertet werden können. Ein höherer Behinderungsgrad ist erst bei häufig rezidivierenden Ileuserscheinungen gerechtfertigt. Solche bzw. vergleichbare Teilhabebeschränkungen liegen bei der Klägerin aber nicht vor. Schließlich kann auch nicht aufgrund der angegebenen diversen Nahrungsmittel- und Medikamentenunverträglichkeiten ein höherer Behinderungsgrad festgestellt werden. Denn bei einer Erkrankung an Sprue - also einer Erkrankung mit vergleichbaren Teilhabeeinschränkungen - sind erst bei Beeinträchtigungen des Kräfte- und Ernährungszustands höhere Werte als 20 angemessen (Versorgungsmedizinische Grundsätze, B 10.2.2., S. 72). Eine solche liegt aber gerade nicht vor.

Der Bewertung mit einem Grad der Behinderung von 70 durch Prof. Dr. M. kann der Senat nicht folgen. Dieser hat offensichtlich nur die Beschwerdeangaben der Klägerin einschließlich der von ihr mitgeteilten deutlichen Behinderungen der Nahrungsaufnahme bewertet. Die von ihm angenommene erhebliche Beeinträchtigung des Allgemein- und Ernährungszustands ist nicht nachvollziehbar. Sofern Prof. Dr. M. darüber hinaus aufgrund des entzündlichen Vorgangs in der Bauchspeicheldrüse einen Einzelbehinderungsgrad von 10 vorgeschlagen hat, führt dieser zu keiner Erhöhung des Behinderungsgrads. Denn nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (B 10.3., S. 73) sind bei dieser Erkrankung für die Bewertung die Art und Schwere der Organveränderungen sowie der Funktionseinbußen, das Ausmaß der Beschwerden, die Beeinträchtigung des Allgemeinzustands und die Notwendigkeit einer besonderen Kostform maßgeblich. Da diese Auswirkungen bereits in den Behinderungsgrad von 40 eingeflossen sind, kann keine erneute Bewertung erfolgen.

bb) Sofern die soeben dargestellten Gesundheitsstörungen, so wie von Prof. Dr. M. vorschlagen, als Somatisierungsstörung mit dem Hauptsymptombereich Magen-Darm-System bewertet werden, kann auch für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche maximal ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt werden. Nach B 3.7. der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 42) ist für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen ein Bewertungsrahmen von 0 bis 20 vorgesehen. Stärkere behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) sind mit einem Einzelgrad von 30 bis 40 zu bewerten. Erst schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten rechtfertigen einen Einzelgrad von 50.

Nach diesem Maßstab ist von einer somatoformen Störung mit einem Einzelbehinderungsgrad von 40 auszugehen, die aufgrund der zahlreichen Beschwerden der Klägerin und dem von Prof. Dr. M. geschilderten Leidensdruck auch die Erlebnisfähigkeit der Klägerin wesentlich einschränkt. Da die Klägerin strenge Diät hält, wird auch ihre Gestaltungsfähigkeit wesentlich eingeschränkt, sodass der Bewertungsrahmen für somatoforme Störungen mit 40 ausgeschöpft werden kann. Diese Einschränkungen kommen auch durch die festgestellte Erwerbsminderung zum Ausdruck. Eine höhere Bewertung ist allerdings nicht möglich, da keiner der behandelnden Ärzte Hinweise auf eine schwere Zwangskrankheit mitgeteilt hat und auch die Klägerin selbst eine psychische Ursache ihrer Erkrankung nachdrücklich bestreitet. Im Übrigen zeigt auch die fehlende fachärztliche Behandlung einer (möglichen) psychischen Erkrankung, dass insoweit kein großer Leidensdruck der Klägerin besteht. Insoweit ist für den Senat auch nicht nachzuvollziehen, dass Prof. Dr. M. eine außergewöhnliche seelische Belastung bei der Bewertung der Mastozytose angenommen hat.

Sofern Prof. Dr. M. für migräneartige Kopfschmerzen - also auch dem Funktionssystem Psyche/Hirn zugehörig - einen Behinderungsgrad von 20 vorgeschlagen hat, kann dem nicht gefolgt werden. An einer Migräne ist die Klägerin nicht erkrankt. Sie leidet vielmehr an migräneartigen Schmerzen, die auch den Gesichtsbereich betreffen. Diese Schmerzen sind bereits in dem Einzelbehinderungsgrad von 40 für die somatoforme Störung erfasst. Das gleiche gilt für die weiteren von Prof. Dr. M. angegebenen Befindlichkeitsstörungen (Fatique, körperliche Erschöpfung, erhöhte Infektanfälligkeit, Schlaflosigkeitsepisoden). Für diese Gesundheitsstörungen hat auch Prof. Dr. M. keinen Behinderungsgrad vorgeschlagen. Soweit dieser allerdings für eine kognitive Leistungsstörung einen Grad der Behinderung von 20 vorgeschlagen hat, kann der Senat auch dem nicht folgen. Eine solche Leistungsstörung ist niemals durch eine fachspezifische Diagnostik nachgewiesen worden. Da schließlich auch die allein von Prof. Dr. M. diagnostizierten Ohrgeräusche selbst nach seiner Einschätzung nicht mit nennenswerten psychischen Begleiterscheinungen verbunden sind, kann auch der Behinderungsgrad für das Funktionssystem Psyche und Gehirn nicht aufgrund dieser weiteren Gesundheitsstörung erhöht werden.

cc) Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen kann selbst bei einer tatsächlichen Erkrankung der Klägerin an einer Mastozytose für das Funktionssystem Blut und Immunsystem auch nur ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt werden. Die myeloproliferativen Erkrankungen sind in Abhängigkeit von ihren Auswirkungen zu bewerten (Versorgungsmedizinische Grundsätze, B 16.5., S. 94). Bei geringen Auswirkungen und ohne Behandlungsbedürftigkeit ist ein Grad der Behinderung von 10 bis 20 festzustellen. Bei mäßigen Auswirkungen und Behandlungsbedürftigkeit beträgt der Behinderungsgrad 30 bis 40. Ist die Erkrankung mit stärkeren Auswirkungen verbunden (z. B. mäßige Anämie, geringe Thrombozytopenie), ist ein Bewertungsrahmen von 50 bis 70 und bei starken Auswirkungen (z. B. schwere Anämie, ausgeprägte Thrombozytopenie, starke Milzvergrößerung, Blutungs- und/oder Thromboseneigung) von 80 bis 100 eröffnet.

Danach kann allenfalls ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt werden, denn nach dem Arztbrief der Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und Internistische Onkologie Drs. U. vom 23. Februar 2004 liegen aus hämatologischer Sicht keine pathologischen Befunde vor. Auch in der Folgezeit waren alle Blutuntersuchungen unauffällig, sodass keinesfalls eine schwere Anämie oder eine ausgeprägte Thrombozytopenie vorliegt. Aufgrund der zahlreichen Organauswirkungen kann daher der Bewertungsrahmen mit 40 maximal ausgeschöpft werden. Eine höhere Bewertung kommt auch nicht unter Beachtung der Ausführungen von Prof. Dr. M. in Betracht. Dieser hat bei seinem Bewertungsvorschlag nicht die Versorgungsmedizinischen Grundsätze herangezogen, die auf den Nachweis einer Anämie oder einer Thrombozytopenie abstellen. Auch das von ihm festgestellte "sonstige Blutungsneigen" aufgrund einer Hämatombildung nach Minimaltraumen und die Bewertung mit einem Grad der Behinderung von 20 nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (B 16.10., S. 96) ist für den Senat unter Berücksichtung des Arztbriefs von Drs. U. nicht nachzuvollziehen.

b) Das diagnostisch gesicherte Bluthochdruckleiden der Klägerin ist dem Funktionssystem Herz-Kreislauf zuzuordnen und rechtfertigt unter Berücksichtigung der rezidivierenden Entgleisungen einen Grad der Behinderung von 20. Das außerdem vorliegende Krampfaderleiden erhöht den Behinderungsgrad für das Funktionssystem nicht weiter.

Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B, Nr. 9, S. 63) kommt es bei Herz-Kreislauferkrankungen weniger auf die Art der Erkrankung, sondern auf die jeweilige konkrete Leistungseinbuße an. Bei der Beurteilung des Behinderungsgrads ist zunächst von dem klinischen Bild und von den Funktionseinschränkungen im Alltag auszugehen. Ergometerdaten und andere Parameter stellen dabei lediglich Richtwerte dar, die das klinische Bild ergänzen. Auch gestatten allein elektrokardiografische Abweichungen in der Regel keinen Rückschluss auf die Leistungseinbuße. Nach Teil B, Nr. 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 67) ist die leichte Form der Hypertonie, bei der keine oder eine geringe Leistungsbeeinträchtigung und höchstens leichte Augenhintergrundsveränderungen vorliegen, mit einem Grad der Behinderung von 0 bis zu 10 zu bewerten. Die mittelschwere Form eröffnet je nach Leistungsbeeinträchtigung einen Bewertungsrahmen von 20 bis 40. Kriterien dafür sind Organbeteiligungen leichten bis mittleren Grads (Augenhintergrundsveränderungen – Fundus hypertonicus I bis II- und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie) sowie diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung.

Danach ist bei der Klägerin von einer mittelschweren Form des Bluthochdrucks auszugehen, die einen Behinderungsgrad von 20 rechtfertigt. Zwar sind noch keine Organbeteiligungen aufgrund der Bluthochdruckerkrankung feststellbar, doch sind trotz medikamentöser Behandlung mehrfach hypertensive Entgleisungen aufgetreten. Diese rechtfertigen es, auch in Übereinstimmung mit der Einschätzung von Prof. Dr. M., von einer mittelgradigen Form des Bluthochdrucks auszugehen. Allerdings kann lediglich ein Grad der Behinderung von 20 angenommen werden, denn die kardiale Leistungsfähigkeit ist nach der umfangreichen Diagnostik durch Prof. Dr. M. nicht eingeschränkt.

Soweit Prof. Dr. M. für eine anfallsweise auftretende hämodynamisch relevante Rhythmusstörung einen Grad der Behinderung von 10 vorgeschlagen hat, führt diese jedenfalls nicht zur Erhöhung des Behinderungsgrads für das Funktionssystem. Es ist schon fraglich, ob die Klägerin tatsächlich an einer solchen Erkrankung leidet, denn die kardiale Diagnostik von Prof. Dr. M. hat eine solche nicht bestätigt. Auch in der Epikrise vom 15. Mai 2008 ist eine rhythmische Herzaktion festgestellt worden. Jedenfalls ist auch bei Bildung des Behinderungsgrads für das Funktionssystem ist zu beachten, dass nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (A, Nr. 3 ee, S. 23) leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Behinderungsgrad von 10 bedingen, regelmäßig nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen. Im vorliegenden Fall sind keine Hinweise für eine andere Bewertung selbst bei einer unterstellten Rhythmusstörung gegeben.

Auch die von Prof. Dr. M. festgestellte oberflächliche Varikosis kann nur mit einem Einzelbehinderungsgrad von 10 bewertet werden, der den Gesamtgrad für das Funktionssystem nach den soeben dargelegten Grundsätzen nicht weiter erhöht. Zwar hat Prof. Dr. M. für das Krampfaderleiden mit Stauungsbeschwerden einen Grad der Behinderung von 20 vorgeschlagen. Doch erst bei einer chronisch-venösen Insuffizienz mit erheblicher Ödembildung (mehrmals im Jahr) und rezidivierenden Entzündungen ist ein Bewertungsrahmen von 20 bis 30 eröffnet (Versorgungsmedizinische Grundsätze, B 9.3., S. 67). Diese Voraussetzungen sind nicht feststellbar. Eine mehrfach im Jahr auftretende erhebliche Ödembildung ist auch den übrigen medizinischen Unterlagen nicht zu entnehmen. In der Epikrise der Medizinischen Hochschule H. vom 12. Juni 2005 wurden Ödeme ausdrücklich ausgeschlossen, sodass es insgesamt für das Funktionssystem Herz/Kreislauf bei dem Grad der Behinderung von 20 verbleibt.

c) Die Klägerin leidet außerdem unter Gesundheitsstörungen aus dem Funktionssystem Rumpf. Dafür ist ein Grad der Behinderung von 10 festzustellen.

Für Wirbelsäulenfunktionseinschränkungen sind die maßgeblichen Bewertungskriterien in Teil B 18.9 (S. 106) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vorgegeben. Danach folgt der Grad der Behinderung bei Wirbelsäulenschäden primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung der Wirbelsäulenverformung, der Wirbelsäuleninstabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Abschnitte der Wirbelsäule. Erst mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, z.B. eine anhaltende Bewegungseinschränkung oder eine Instabilität mittleren Grads, rechtfertigen einen Einzelgrad der Behinderung von 20. Funktionsstörungen geringeren Grads bedingen allenfalls einen Einzelgrad von 10. Schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) rechtfertigen einen Einzelgrad der Behinderung von 30, mittelgradige bis schwere in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen Grad der Behinderung von 30 bis 40. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen - oder auch intermittierenden Störungen bei einer Spinalkanalstenose - sind zusätzlich zu berücksichtigen.

Nach diesem Maßstab rechtfertigen die Wirbelsäulenfunktionseinschränkungen allenfalls einen Grad der Behinderung von 10. Auch Prof. Dr. M. hat einen solchen Behinderungsgrad für das Wirbelsäulenleiden vorgeschlagen. Nach der verbalen Einschätzung von Prof. Dr. M. liegen leichtgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, nämlich der HWS und der LWS, vor. Ob schon eine Bewertung mit einem Grad der Behinderung von 10 dafür erfolgen kann, ist allerdings zweifelhaft. Keinesfalls kann aber eine höhere Bewertung erfolgen, da nach den Untersuchungsergebnissen von Prof. Dr. M. die Beweglichkeit nicht eingeschränkt war. Auch Dr. S. hat in seinen Befundscheinen aus den Jahren 1998 und 2004 eine Einschränkung der Beweglichkeit und Belastbarkeit aufgrund einer orthopädisch-rheumatischen Erkrankung ausgeschlossen. Schließlich war auch nach der Epikrise der Medizinischen Hochschule H. vom 22. August 2006 (Abteilung Rheumatologie) die HWS nur endgradig eingeschränkt gewesen. Auch der übrige Wirbelsäulenbefund war dort unauffällig gewesen. Das zeigen auch die dort erhobenen Bewegungsmaße (Ott 30/34 cm, Schober 10/13 cm, Finger-Boden-Abstand 10 cm). Da die Klägerin sich auch aktuell nicht in orthopädischer Behandlung befindet, hat der Senat auch keine Hinweise für weitergehende Einschränkungen. Dem Vorschlag von Prof. Dr. M., für die Wirbelsäulenerkrankung als entzündlich-rheumatische Erkrankung einen Grad der Behinderung von 20 anzunehmen, kann auch nicht gefolgt werden. Sofern eine entzündlich-rheumatische Erkrankung vorliegt, ist bei leichten Beschwerden ohne wesentliche Funktionseinschränkung ein Grad der Behinderung von 10 festzustellen. Liegen geringe Auswirkungen vor (leichtgradige Funktionseinbußen und Beschwerden, je nach Art und Umfang des Gelenkbefalls, geringe Krankheitsaktivität) ist ein Bewertungsrahmen von 20 bis 40 eröffnet (B 18.23, S. 103). Die am 22. August 2006 (Epikrise der Medizinischen Hochschule H., Abteilung Rheumatologie) mitgeteilten Bewegungsmaße rechtfertigen nicht die Annahme einer entzündlich-rheumatischen Krankheit mit geringen Auswirkungen. So liegen danach nicht einmal leichtgradige Funktionseinbußen und Beschwerden im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vor.

d) Für das Funktionssystem Haut lässt sich allenfalls ein Grad der Behinderung von 10 feststellen. Zwar hat Prof. Dr. M. aufgrund der von ihm festgestellten Funktionseinschränkungen (braune makulopapulöse Veränderungen mit starkem Juckreiz im Bereich des Halses, der Unterarme und Dekolleté sowie Angioödem) einen Grad der Behinderung von 20 vorgeschlagen, weil das Angiödem chronisch rezidivierend sei und häufig Schübe aufträten. Da aber keiner der anderen behandelnden Ärzte jemals eine solche Diagnose gestellt hatte, kann keinesfalls von rezidivierenden Schüben und einem Einzelbehinderungsgrad von 20 ausgegangen werden. Der Hautstatus ist in den anderen Unterlagen entweder nicht erwähnt oder als unauffällig beschrieben worden (Epikrise vom 15. Mai 2008, "Haut rosig"). Ein Behinderungsgrad von 10 lässt sich allenfalls aufgrund der von Prof. Dr. M. mitgeteilten Schuppenflechte, die auch im Arztbrief vom 22. August 2006 erwähnt worden ist (damals in Remission), rechtfertigen.

e) Für das Funktionssystem Augen ist aufgrund der mit dem Sicca-Syndrom einhergehenden Reizerscheinungen ein Grad der Behinderung von 10 festzustellen. Nach den Anhaltspunkten (Ausgabe 2008, Nr. 26.4., S. 50) waren neben den Funktionen des Sehvermögens auch nachweisbare Reizerscheinungen zu beachten. Diese Passage wurde zwar in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (B 4, S. 44) nicht übernommen. Doch da sich auch Reizerscheinungen auf das Sehvermögen auswirken können, diente diese Passage nur der Klarstellung. Damit verbleibt es auch unter dem Maßstab der Versorgungsmedizinischen Grundsätze dabei, dass die Reizerscheinungen in den Behinderungsgrad einfließen.

f) Auch allenfalls mit einem Grad der Behinderung von 10 ist die von Prof. Dr. M. festgestellte chronisch geschwollene Nasenschleimhaut mit verstopfter Nase zu bewerten, da diese nach seinen Ausführungen zu einer Verengung der Nasenabgänge mit leichter bis mittelgradiger Behinderung führt. Denn nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (B 7, S. 55) rechtfertigt eine chronische Nebenhöhlenentzündung leichteren Grads ohne wesentliche Neben- und Folgeerscheinungen einen Grad der Behinderung von 0 bis 10.

g) Weitere Gesundheitsstörungen, die einem anderen Funktionssystem zuzuordnen und zumindest mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 zu bewerten wären, sind nicht erkennbar. Zwar sind in den eingeholten medizinischen Unterlagen auch Ausführungen zu weiteren Gesundheitsstörungen zu finden. Doch sind keine Funktionseinschränkungen mitgeteilt worden, die zumindest eine Bewertung mit einem Grad der Behinderung von 10 zulassen. Das gilt insbesondere für das heterozygote Faktor V-Leiden, die Hyperhomocyteinämie, die erhöhten Leberwerte und den Räusperzwang. Darüber hinaus rechtfertigen auch die von Prof. Dr. M. festgestellten Schmerzen in den Fingergelenken beidseits mit Schwellungen und Deformierung der Fingergelenke sowie Schmerzen und Schwellungen des oberen Sprunggelenks keinen Behinderungsgrad. Zwar hat auch Prof. Dr. M. leichtgradige Funktionsstörungen der Handgelenke diagnostiziert, diese aber nicht mit Untersuchungsergebnissen objektivieren können. Dagegen wurden in der fachärztlichen Epikrise der Medizinischen Hochschule H. (Abteilung Rheumatologie) vom 22. August 2006 Funktionseinbußen der Finger- oder Sprungsgelenke ebenso wie durch den Orthopäden Dr. S. am 2. März 2004 ausgeschlossen. Auch nach der Epikrise vom 15. Mai 2008 vom stationären Aufenthalt im Universitätsklinikum B. waren die Gliedmaßen frei beweglich und der Neurostatus unauffällig gewesen.

h) Da bei der Klägerin Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren Grad der Behinderung vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Gesamtbehinderung zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 22) anzuwenden. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt, und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.

Danach ist von dem Behinderungsgrad von 40 für die Gesundheitsstörungen aus dem Magen-Darm-Bereich auszugehen. Das gilt unabhängig davon, ob diese als Folgen der Mastozytose, einer Somatisierungsstörung oder analog einer Magen-Darm-Erkrankung unter Berücksichtigung der Nahrungs- und Arzneimittelallergie angesehen werden. Dieser Behinderungsgrad ist aufgrund der mit einem Grad der Behinderung von 20 bewerteten Bluthochdruckerkrankung aus dem Funktionssystem Herz-Kreislauf auf 50 zu erhöhen. Diese Erhöhung ist vorzunehmen, da durch die Bluthochdruckerkrankung das Gesamtausmaß der Behinderung größer wird. Die Medikamentenunverträglichkeit führt dazu, dass die Klägerin die Bluthochdruckerkrankung nicht medikamentös optimieren kann, sodass eine sich verstärkende Wechselwirkung mit dem Herz-Kreislaufleiden besteht. Eine weitere Erhöhung kann nicht aufgrund der jeweils mit einem Behinderungsgrad von 10 bewerteten Gesundheitsstörungen aus anderen Funktionssystemen erfolgen (Rumpf, Haut, Auge, Nase). Denn nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A, Nr. 3 ee, S. 20) führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Behinderungsgrad von 10 bedingen, von hier fern liegenden Ausnahmen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nach § 160 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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