L 3 R 98/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 3 RJ 149/02
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 98/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Invalidenrente, um 2/3 gemindertes Einkommen, Rücknahme, Erstattung
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. Januar 2006 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2002 wird insgesamt aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen erstattungsfähigen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rücknahme der Bewilligung von Invaliden- und Zusatzinvalidenrente für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis zum 31. Mai 2001 sowie die Erstattung von 84.711,86 DM (43.312,49 EUR) streitig.

Der am ... 1949 geborene Kläger war nach dem erfolgreichen Abschluss einer Schlosserlehre zunächst im erlernten Beruf und dann ab dem 1. Januar 1979 als Kraftfahrer tätig. Vom 21. Mai 1992 bis zum 16. Mai 1993 war er bei der Harzland Schulze GmbH als Kraftfahrer versicherungspflichtig beschäftigt; er verdiente dort im April 1993 – dem letzten vollen Monat der Beschäftigung – 2.403,50 DM brutto und vom 1. bis zum 16. Mai 1992 1.793,00 DM brutto. Vom 18. Mai 1993 bis zum 1. September 1995 war er selbstständiger Wildhändler; während dieser Zeit entrichtete er keine (freiwilligen) Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Vom 1. September 1995 bis zum 31. Mai 1996 erhielt er mit seiner Ehefrau, der Zeugin D. R., und den gemeinsamen Kindern Sozialhilfe.

Der Kläger beantragte am 16. Oktober 1995 bei der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, die Bewilligung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Wegen einer Gichterkrankung könne er nur noch leichte körperliche Tätigkeiten verrichten; er sei seit dem 1. September 1995 bei dem Arbeitsamt H. für eine Ganztagsbeschäftigung als Kraftfahrer arbeitsuchend gemeldet. Die Beklagte veranlasste eine medizinische Begutachtung durch den Internisten und Chefarzt der medizinischen Klinik im Harzklinikum W. GmbH Dr. S. vom 9. Januar 1996. Im Rahmen der Anamneseerhebung am 29. November 1995 gab der Kläger an, zurzeit erwerbslos und nicht arbeitsunfähig geschrieben zu sein. Er sei jetzt wegen präterminaler Niereninsuffizienz in Behandlung; insoweit sei zur Vorbereitung der Hämodialyse eine Shuntoperation durchgeführt worden. In ein- bis zweiwöchigem Intervall träten typische Gichtarthritiden im Bereich beider Großzehengrund-, Sprung- und Kniegelenke sowie im Bereich beider Hände und des linken Schultergelenkes auf. Beim Kläger liege eine langjährige schwergradige Hyperurikämie vor, in deren Folge es zur Entwicklung einer Gichtnephropathie mit progredienter Einschränkung der Nierenfunktion und mittlerweile präterminaler Niereninsuffizienz gekommen sei. Zusätzlich liege eine Arthritis urica beider Großzehengrund-, Knie- und Handgelenke sowie des linken Schultergelenkes vor. Hierdurch sei der Kläger bei ca. ein- bis zweiwöchentlich auftretenden akuten Gichtanfällen und im Intervall persistierender Schmerzsymptomatik deutlich bewegungsbeschränkt und somit nicht erwerbsfähig. Die medikamentösen und diätetischen Maßnahmen erschienen ausgeschöpft. Die Beweisfrage "wird zurzeit gegen Entgelt gearbeitet" ist mit "nein" angekreuzt.

Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22. April 1996 ab dem 1. November 1995 Invaliden- und Zusatzinvalidenrente gemäß Art. 2 § 7 des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) in Höhe von zunächst 1.224,85 DM und nahm die laufende Zahlung zum 1. Juni 1996 auf. Die Anspruchsvoraussetzungen seien seit dem 16. Oktober 1995 erfüllt. Ein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit bestehe nicht, da insoweit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Auf Seite 3 des Bescheides heißt es unter Mitteilungspflichten: "Für den Anspruch auf Invalidenrente ist auch die Höhe eines erzielten Arbeitseinkommens ausschlaggebend. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns jede Aufnahme oder Ausübung einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit mit einem Einkommen von über 400,00 DM monatlich unverzüglich mitzuteilen."

Unter dem 27. Januar 1998 wurden die gesundheitlichen und persönlichen Verhältnisse des Klägers überprüft. Eine der gestellten Fragen lautete: "Haben Sie in letzter Zeit gearbeitet, wenn ja, in welcher Zeit, bei welchem Arbeitgeber, Art und Umfang der Beschäftigung sowie Höhe des Entgeltes?". Diese Frage beantwortete der Kläger mit "nein". Er unterschrieb unter dem 4. Februar 1998 die Versicherung, sämtliche Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht zu haben. Unter dem 10. März 1998 ist in einem Telefonvermerk eines Mitarbeiters der Beklagten festgehalten, dass der Kläger sich über die Hinzuverdienstgrenze informiert habe, da er eine leichte sitzende Tätigkeit ausführen könne. Dem Kläger sei gesagt worden, dass die Hinzuverdienstgrenze zurzeit 520,00 DM betrage und er sofort die Aufnahme der Beschäftigung melden müsse. Am 13. März 1998 teilte der Kläger telefonisch mit, ab dem darauffolgenden Montag eine Arbeit für ein paar Stunden in einem Büro aufzunehmen, wo er nicht mehr als 520,00 DM dazuverdiene. Unter dem 18. März 1998 – eingegangen am 20. März 1998 – teilte der Kläger schriftlich mit, eine leichte sitzende Tätigkeit auf 520,00 DM-Basis angenommen zu haben und diese Tätigkeit ein paar Tage im Monat auszuüben. Am 23. März 1998 wurde der Kläger telefonisch darüber informiert, dass der Hinzuverdienst zur Invalidenrente 400,00 DM nicht übersteigen dürfe. Er wurde aufgefordert, seine erste Lohnabrechnung zu übersenden. Mit Schreiben vom 12. August 1998 – eingegangen am 15. September 1998 – teilte er der Beklagten mit, dass er aufgrund seiner Dialysebehandlung keine Nebentätigkeit habe aufnehmen können.

Unter dem 26. April 1999 überprüfte die Beklagte erneut, ob gesundheitliche oder wirtschaftliche Veränderungen eingetreten seien. Die Frage, ob der Kläger in letzter Zeit gearbeitet habe, beantwortete er wiederum mit "nein" (Erklärung vom 28. April 1999).

Am 1. Dezember 2000 wurden der Beklagten die Akten der Staatsanwaltschaft Braunschweig Az. 412 Js 16596/00 b und 412 Js 16596/00 c (Ermittlungsverfahren gegen D. R. und W. D. wegen der Beihilfe zum Betrug) übersandt. Es solle geprüft werden, ob die dort genannten Arbeitnehmer eventuell Sozialleistungen zu Unrecht bezogen hätten. Aus den beigezogenen Akten sind u.a. folgende Kopien gefertigt worden: Die Auflistung der Personalnummern, u.a. die Nummer 20037 R., W. Eintrittsdatum 1. Oktober 1995, die weitere Auflistung unter Nummer 47 R., W. – R., D. und D., W. 5971,02, sowie eine Auflistung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) für die Monate Januar bis Dezember 1996 mit Nettobezügen in Höhe von monatlich 1.000,00 bis 1.500,00 DM. Ferner sind Kopien der Ladung des Klägers zur Vernehmung als Beschuldigter wegen Betruges für den 27. September 2000 sowie des Einzahlungsbeleges über 1.500,00 DM für das gegen den Kläger eingeleitete Verfahren Az. 832 Js 78072/00 zu den Akten genommen worden.

Unter dem 4. Januar 2001 forderte die Beklagte den Kläger auf, Angaben zur Beschäftigung bei der C. Kurier GmbH und der Metallbau W. GmbH zu machen. Die Prüfung beziehe sich auf den Anspruch auf Altersrente/Invalidität und enthielt den Hinweis, dass die Höhe der Rente wegen Invalidität u.a. von der Einhaltung bestimmter Hinzuverdienstgrenzen abhänge. Er werde gebeten, die in der beigefügten Anlage gestellten Fragen zu beantworten/dem Arbeitgeber für die Zeit vom 1. Oktober 1995 zur Beantwortung vorzulegen und die Erklärung unter Beifügung der entsprechenden Nachweise umgehend zurückzusenden. Am 13. Februar 2001 ging bei der Beklagten die Auskunft der C. Kurier GmbH vom 7. Februar 2001 ein. Danach sei der Kläger ab dem 1. Mai 1997 bis zum 31. Dezember 2000 als Fahrer beschäftigt gewesen. Ausweislich der vorgelegten Lohnkontoauszüge habe der Kläger von Juni bis September 1997 und im November 1997 monatlich 520,00 DM, im Oktober 1997 1.012,20 DM und im Dezember 970,00 DM, vom 1. Januar bis zum 30. November 1998 monatlich jeweils 520,00 DM und im Dezember 1998 1.020,00 DM und im Jahr 1999 monatliche Beträge von 545,00 bis 1.180,00 DM und damit insgesamt 7.161,52 DM brutto gleich netto verdient. Der Jahresverdienst im Jahr 2000 habe 7.000,00 DM betragen. Der Steuerberater G. gab unter dem 2. April 2001 an, der Kläger habe im April und im Juli 1998 jeweils 520,00 DM als Aushilfe bei der Metallbau W. GmbH erhalten.

Mit Schreiben vom 23. Mai 2001 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie beabsichtige, den Bescheid vom 22. April 1996, mit dem ihm ab dem 1. November 1995 Invalidenrente gemäß Art. 2 § 7 RÜG gewährt werde, teilweise aufzuheben und die Invalidenrente mit Wirkung vom 1. Januar 1996 an einzustellen. Nach § 45 Abs. 1 1. Halbsatz Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X) dürfe ein von Anfang an rechtswidriger Bescheid, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, zurückgenommen werden. Der genannte begünstigende Bescheid sei bereits seit seiner Erteilung rechtswidrig. Aufgrund der Übergabe der Ermittlungsakte über die C. Kurier GmbH durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig sei festgestellt worden, dass der Kläger seit dem 1. Oktober 1995 bei der genannten Kurierfirma gleichzeitig unter verschiedenen Namen tätig gewesen sei. Allein für das Jahr 1996 habe er einen Nettolohn in Höhe von jeweils 1.500,00 DM in den Monaten Januar, März bis August und Oktober, in Höhe von 1.490,00 DM im Monat Februar, in Höhe von 1.480,00 DM im Monat September, in Höhe von 1.075,00 DM im Monat Dezember und in Höhe von 1.000,00 DM im Monat November erhalten. Die Tätigkeit habe er erst zum 1. Januar 2001 aufgegeben. Daneben sei er im Jahr 1997 (es hätte 1998 heißen müssen) auch bei der Metallbau W. GmbH in W. tätig gewesen. Der Anspruch auf die bezogene Invalidenrente bestehe jedoch nur dann, wenn das Leistungsvermögen und das Einkommen um mindestens zwei Drittel gemindert seien. Nach den jetzt vorliegenden Lohnunterlagen liege bereits seit dem 1. Januar 1996 keine Lohnminderung um zwei Drittel mehr vor, sodass seit dem 1. Januar 1996 kein Anspruch auf eine Invalidenrente bestehe. Dieser Anspruch könne nach Aufgabe der Beschäftigung zum 1. Januar 2001 nicht wieder aufleben, da die Rente nach dem Übergangsrecht für das Beitrittsgebiet bezogen worden sei und die Übergangsvorschriften nur für Renten gälten, die in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 begonnen hätten. Nach § 45 Abs. 1 2. Halbsatz SGB X dürfe der rechtswidrig begünstigende Bescheid nur unter den in Absatz 2 bis 4 der Vorschrift genannten Einschränkungen ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Hier werde der Bescheid nach § 45 Abs. 4 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Nach Lage der Akten seien die Voraussetzungen insoweit erfüllt, als der Kläger aufgrund der gegebenen Informationen die Fehlerhaftigkeit des Bescheides bzw. den Wegfall oder das Ruhen des Rentenanspruchs gekannt habe bzw. habe erkennen müssen und in seinem Antrag vom 16. Oktober 1995 unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X). Um eine weitere Überzahlung zu vermeiden, sei die Einstellung der Invalidenrente vorläufig veranlasst worden. Der Kläger habe die durch die vorgesehene Aufhebung des Bescheides vom 1. Januar 1996 bis zum 31. Mai 2001 zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 84.711,86 DM nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Hierzu werde ein gesonderter Bescheid ergehen.

Mit Bescheid vom 24. Juli 2001 nahm die Beklagte den Bescheid vom 22. April 1996 mit Wirkung vom 1. Januar 1996 an zurück. Für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis zum 31. Mai 2001 seien die zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 84.711,86 DM zu erstatten. Der Bewilligungsbescheid werde gemäß § 45 SGB X zurückgenommen. Ergänzend zur Begründung in der Anhörung ist ausgeführt, dass bei der Feststellung der Minderung des Einkommens gemäß Art. 2 § 7 Abs. 4 RÜG das Arbeitsentgelt zu berücksichtigen sei, dass der Versicherte vor Eintritt der Invalidität oder ein Beschäftigter mit vollem Leistungsvermögen in dem vom Versicherten vor Eintritt der Invalidität oder während der Invalidität ausgeübten Beruf erzielt habe. Bei selbstständig Tätigen sei zum Vergleich das Arbeitsentgelt eines gleichartig Beschäftigten zugrunde zu legen. Der Kläger habe vor Eintritt der Invalidität eine selbstständige Tätigkeit im Wildhandel ausgeübt. Nach der Berufsschadensausgleichsverordnung (BschAV) seien als Vergleichseinkommen der Bruttoverdienst nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes für männliche kaufmännische und technische Angestellte im Wirtschaftsbereich Handel, Kreditinstitute und Versicherungsgewerbe maßgebend. Das Vergleichseinkommen habe monatlich von Januar bis Juni 1995 2.884,00 DM und von Juli bis Dezember 1995 2.985,00 DM betragen. Ab dem 1. Oktober 1995 sei der Kläger dann als Kurierfahrer beschäftigt gewesen. Nach Angaben des Arbeitgebers hätten Beschäftigte mit vollem Leistungsvermögen einen Stundenlohn in Höhe von 8,00 bis 9,00 DM erhalten. Bei angenommenen 20 Arbeitstagen und einer Arbeitszeit von acht Stunden täglich ergebe sich ein monatlicher Verdienst in Höhe von 1.440,00 DM. Unter Berücksichtigung aller Alternativen des Art. 2 § 7 Abs. 4 RÜG ergebe sich ein Unterschreiten der Zwei-Drittel-Minderung des Einkommens. Der Kläger sei im Rentenbescheid vom 22. April 1996 auf Seite 3 unter Mitteilungspflichten darauf hingewiesen worden, dass der Anspruch auf Invalidenrente von der Höhe eines erzielten Arbeitseinkommens abhänge. Er sei verpflichtet gewesen, jede Aufnahme oder Ausübung einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit mit einem Einkommen von über 400,00 DM monatlich unverzüglich anzuzeigen. Bei Rentenantragstellung am 16. Oktober 1996 habe er keine Angaben zu dem bereits bestehenden Arbeitsverhältnis gemacht. Auf Nachfrage habe er vielmehr unter dem 12. August 1998 und dem 28. April 1999 mitgeteilt, keiner Arbeit nachzugehen. Ein Vertrauen auf den Bestand des Bescheides sei folglich nicht schutzwürdig. Bei der nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmenden Prüfung, ob der Bescheid vom 22. April 1996 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden könne, seien die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Klägers berücksichtigt worden. Die Prüfung habe ergeben, dass im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse der Versichertengemeinschaft an einer Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides gegenüber dem Interesse des Klägers, die zu Unrecht im Empfang genommenen Leistungen nicht zurückzahlen zu müssen, überwiege. Dabei sei durchaus gesehen worden, dass der Entzug der Rente für den Kläger einen erheblichen finanziellen Einschnitt bedeute. Angesichts des gravierenden Fehlverhaltens des Klägers sei sie aber unter Berücksichtigung der Gleichbehandlung und der zweckgerichteten Verwendung der Versichertengelder zu einer rückwirkenden Bescheidaufhebung und Rückforderung gekommen. Auch die für die Rücknahme des Bescheides maßgebenden Fristen gemäß § 45 Abs. 3 und 4 SGB X seien hier gewahrt. Nach § 50 Abs. 1 SGG X habe der Kläger die zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 84.711,86 DM zu erstatten.

Hiergegen legte der Kläger am 15. August 2001 Widerspruch ein. Es sei im Hinblick auf das "Lohnsplitting" der C. Kurier GmbH nicht ausreichend recherchiert worden. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens seien zahlreiche Listen gefertigt worden, wobei am Ende nicht mehr ganz klar sei, mit welcher Autorisierung derartige Listen erstellt worden seien. In seinem Falle sei es tatsächlich so, dass er maximal einmal die Woche als Kurierfahrer gefahren sei. Die anderen Fahrten seien durch seine Frau und seinen Schwiegervater vorgenommen worden. Er sei sich darüber im Klaren, dass er einige Antworten nicht so richtig abgegeben habe, wie er sie habe abgeben müssen. Jedoch habe er auch physisch aus gesundheitlichen Gründen nicht den ganzen Tag arbeiten können, da er seit 1995 dreimal wöchentlich zur Dialyse habe fahren müssen. Der Abschluss des Ermittlungsverfahrens unter Zahlung von 1.500,00 DM als Auflage zur Einstellung sei aufgrund falscher bzw. keiner anwaltlichen Beratung erfolgt; dieses sei ein Problem, dass in einem anderen Verfahren noch verfolgt werde. Im Hinblick auf das Verhalten der Beklagten sei darauf hingewiesen, dass unter dem 19. März 1998 eine unrichtige Auskunft erteilt worden sei, nämlich dass er 520,00 DM habe dazuverdienen können. Es werde insoweit für nicht ausreichend erachtet, dass einige Tage später lediglich telefonisch mitgeteilt worden sei, er könne nur 400,00 DM dazu verdienen; eine so wichtige Auskunft hätte schriftlich erfolgen müssen. Er selbst verfüge zurzeit über keinerlei Einkommen. Die Krankenversicherung werde über seine Ehefrau im Rahmen der Familienversicherung sichergestellt. Aus diesem Grunde könnten die Leistungen auch nicht zurückgezahlt werden. Zur Stützung seines Vorbringens legte er Kopien der Dienstausweise der C. Kurier GmbH und eidesstattliche Versicherungen der Zeugin D. R. vom 6. Dezember 2001 und seines Schwiegervaters W. D. vom 13. Dezember 2001, der J. B. vom 6. Dezember 2001 und des W. N. vom 6. Dezember 2001 vor. Schließlich wurde eine eidesstattliche Versicherung der H. P. vom 26. Februar 2002 vorgelegt; insoweit wird auf Blatt 239 bis 244 und 252 der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Die Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 7. Februar 2002 auf, ein ärztliches Attest, aus dem sich die Dialysepflicht mit Angaben zur Häufigkeit seit 1995 ergebe, vorzulegen. Der Kläger übersandte daraufhin eine Bescheinigung des Dr. K., Facharzt für Innere Medizin, Nephrologie, Dialyse, Sportmedizin vom 18. Februar 2002, wonach der Kläger seit dem 5. März 1997 einer chronischen Dialysebehandlung unterzogen werde. Die Dialysen würden dreimal pro Woche fünf Stunden (Montag-Mittwoch-Freitag früh) durchgeführt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2002 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Juli 2001 als unbegründet zurück. Sie wiederholte im Wesentlichen ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid. Auch in der Widerspruchsbegründung seien keine Gesichtspunkte vorgetragen worden, die im Rahmen der Ermessensentscheidung gegen eine Rücknahme für die Vergangenheit sprächen.

Hiergegen hat der Kläger am 18. April 2002 beim Sozialgericht Magdeburg Klage erhoben. Er hat er im Wesentlichen sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt und darüber hinaus beantragt, zu dem ihm vorgeworfenen Lohnsplitting die Zeugin R. zu vernehmen. Problematisch sei, dass die Beklagte sich auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gestützt und keine eigenen Ermittlungen angestellt habe. Bezüglich des Lohnsplittings lägen keine rechtlich bindenden Entscheidungen vor. Im Bezug auf ihn müsse der Sachverhalt umfassend aufgeklärt werden. Seine Angaben könnten seine Ehefrau, die Zeugin D. R., sein Schwiegervater, Frau P. und Frau R. bestätigen. Schließlich habe er nicht grob fahrlässig gehandelt. Denn nachdem im Bescheid vom 22. April 1996 angegeben war, er könne 400,00 DM monatlich hinzuverdienen, habe er die mündliche Auskunft erhalten, 520,00 DM dazu verdienen zu können; insoweit habe die Beklagte auch nicht immer korrekte Auskünfte erteilt. Bei der Beantwortung des Fragebogens vom 26. April 1999 habe er die Frage nicht richtig verstanden und seine geringfügige Tätigkeit nicht als Arbeitsverhältnis angesehen, weil es ja nicht sozialversicherungspflichtig gewesen sei. Ferner hat er die Bescheinigung der C. Kurier GmbH vom 19. Juni 2001 beigefügt, in der bestätigt wird, dass sein Verdienst und die wöchentliche Arbeitszeit in den Jahren 1995 und 1996 unter der Grenze für geringfügig Beschäftigte gelegen hätten. In einer weiteren Bescheinigung vom 19. Juni 2001 ist ausgeführt, dass Kopien der Lohnkonten nicht zur Verfügung gestellt werden könnten, da auf die Unterlagen für diese Zeit zurzeit nicht zurückgegriffen werden könne.

Auf Aufforderung des Sozialgerichts hat der Kläger unter dem 18. März 2004 eine Auflistung seiner Verdienste, die er ab November 1995 bei der C. Kurier GmbH erhalten hat, erstellt: Im November und Dezember 1995 habe er jeweils 420,00 DM, von Januar bis November 1996 jeweils 500,00 DM und im Dezember 1996 450,00 DM erhalten.

Am 24. Januar 2006 hat das Sozialgericht Magdeburg einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und die Zeuginnen R. und D. R. geladen. Ferner hat es den Kläger zu seinen Tätigkeiten bei der C. Kurier GmbH und der Firma W. GmbH befragt. Hierzu hat der Kläger erklärt, bei der C. Kurier GmbH von Oktober 1995 bis Ende 2000 im Wesentlichen durchgehend beschäftigt gewesen zu sein; bei der Metallbau Wiedenbein GmbH sei er nur zwei Tage gefahren und habe dafür pro Tag 100,00 bzw. 60,00 DM bekommen. Das Sozialgericht hat daraufhin auf die Vernehmung der erschienen Zeuginnen verzichtet.

Mit Urteil vom 24. Januar 2006 hat das Sozialgericht unter Abweisung der Klage im Übrigen den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2002 aufgehoben, soweit die Beklagte für den Zeitraum Januar 1996 bis März 1998 die Bewilligung der Rente wegen Invalidität zurückgenommen und die Erstattung gefordert hat. In den

Entscheidungsgründe:

n ist ausgeführt, dass der Kläger ab April 1998 mehr als ein Drittel des Vergleichseinkommens, also mehr als 995,00 DM erzielt habe, da er seit diesem Monat monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von wenigstens 520,00 DM nicht nur von der C. Kurier GmbH, sondern auch von der Metallbau Wiedenbein GmbH bezogen habe. Hiervon gehe die Kammer aufgrund der Lohnabrechnungen der C. Kurier GmbH und der Bescheinigung des Steuerberaters der Metallbau W. GmbH aus. Die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu den Einkünften, die er bei der Metallbau Wiedenbein GmbH erzielt habe, hätten die Kammer hingegen nicht überzeugt. Das Erzielen von monatlichen Arbeitsentgelten in Höhe von mehr als einem Drittel des Vergleichseinkommens seit April 1998 habe die Invalidität des Klägers entfallen lassen. Die Beklagte habe das maßgebende Vergleichseinkommen zutreffend in Höhe von 2.985,00 DM nach der Tätigkeit eines selbstständigen Wildhändlers bestimmt, die der Kläger bis August 1995 ausgeübt habe. Zwar erlaube Art. 2 § 7 Abs. 4 Nr. 2 b RÜG, das Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das ein Versicherter mit vollem Leistungsvermögen in dem von ihm während der Invalidität ausgeübten Beruf erzielt habe. Danach ergebe sich für eine Tätigkeit bei der C. Kurier GmbH bei einer Arbeitszeit von 20 Arbeitstagen mit acht Stunden bei einem Stundenlohn von 9,00 DM ein Vergleichseinkommen in Höhe von 1.440,00 DM monatlich. Es sei aber, wie in der Durchführungsanweisung zur entsprechenden Vorschrift der Rentenverordnung angeordnet, von der für den Kläger günstigeren Bestimmung des Vergleichseinkommens und damit von dem Betrag von 2.985,00 DM monatlich auszugehen. Durch diese wesentliche Änderung sei die Rentenbewilligung ab April 1998 rechtswidrig geworden. Da mit dem Erzielen von anspruchsausschließendem Einkommen zugleich die weitere Aufhebungsvoraussetzung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X erfüllt sei, entfalle damit der Anspruch des Klägers auf Invalidenrente ab April 1998. Der Anspruch habe auch nicht wieder aufleben können, da für ihn nicht die Hinzuverdienst- sowie Ruhensregelungen sonstiger Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gegolten hätten und eine Rente wegen Invalidität ab dem 1. Januar 1997 nicht mehr habe erstmals beginnen können. Die Kammer habe daher dahinstehen lassen können, ob auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und/oder Nr. 4 SGB X erfüllt gewesen seien.

Darüber hinaus habe die Kammer nicht feststellen können, dass der Kläger bereits seit Rentenbeginn bzw. vor April 1998 Arbeitsentgelt von mehr als 995,00 DM monatlich erzielt habe. Ein Nachweis in diesem Sinne habe insbesondere nicht aus dem Hinweis der insoweit beweisbelasteten Beklagten hergeleitet werden können, der Kläger habe nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig Lohn unter verschiedenen Namen erhalten, zumal aus der Verwaltungsakte nicht ersichtlich sei, aus welchen Gründen im Einzelnen die Staatsanwaltschaft Braunschweig von Scheinarbeitnehmern und einem höheren Gesamteinkommen des Klägers ausgegangen sei. Zudem sprächen gegen ein solches Gesamteinkommen des Klägers die glaubhaften Erklärungen der Zeugin D. R. – gestützt durch den vorgelegten Betriebsausweis sowie gemeldete Beschäftigungszeiten – und des Schwiegervaters des Klägers, nach denen auch diese beiden Personen tatsächlich eine Tätigkeit bei der C. Kurier GmbH neben dem Kläger ausgeübt hätten.

Gegen das ihr am 2. Februar 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1. März 2006 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Der Kläger hat gegen das ihm am 6. Februar 2006 zugestellte Urteil am 6. März 2006 Berufung eingelegt.

Die Beklagte ist der Auffassung, dem Kläger stehe auch im Zeitraum vom 1. Januar 1996 bis zum 31. März 1998 kein Anspruch auf Invalidenrente zu. Sie bezieht sich insoweit auf die durchgeführten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig in den Verfahren 412 Js 16596/00 b und 412 Js 16596/00 c. Danach sei bei der Betriebsprüfung bei der C. Kurier GmbH auch bezüglich des Klägers ein so genanntes "Lohnsplitting" festgestellt worden, d.h. das gezahlte Entgelt sei auf den Kläger und weitere, tatsächlich überhaupt nicht bei der Firma beschäftigte Personen (Scheinarbeitnehmer) aufgesplittet worden. Diese Scheinarbeitnehmer seien hier die Ehefrau des Klägers und sein Schwiegervater gewesen, die nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig 1996 nicht bei der C. Kurier GmbH tätig gewesen seien. Angesichts der eindeutigen Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft Braunschweig seien deren schriftliche Erklärungen nicht glaubhaft. Zu beanstanden sei, dass das Sozialgericht weder die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Braunschweig zur Entscheidungsfindung beigezogen noch in der mündlichen Verhandlung die geladenen Zeugen vernommen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. Januar 2006 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger hat darauf hingewiesen, dass nicht nachvollziehbar sei, warum das Sozialgericht seinen Erklärungen zum Umfang seiner bei der Metallbau W. GmbH erzielten Verdienste nicht geglaubt habe. Er hat eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen W. vom 15. Februar 2006 vorgelegt, wonach er – der Kläger – 1998 als Aushilfskraft tätig gewesen sei und dort im Monat April 1998 eine Aushilfsvergütung in Höhe von 100,00 DM und im Monat Juni 1998 in Höhe von 60,00 DM erhalten habe; weitere Zahlungen seien nicht geflossen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und darüber hinaus das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. Januar 2006 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2002 insgesamt aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Senat hat von der Staatsanwaltschaft Braunschweig die Ermittlungsakten in dem Verfahren gegen L. W. zum Tatvorwurf des Betruges in 14 Fällen und gemeinschaftlichen Betruges in 21 Fällen u.a. im Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1997 zu dem Aktenzeichen 412 Js 12208/97 beigezogen. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat darüber hinaus mitgeteilt, dass die Unterlagen zu dem abgetrennten Verfahren gegen den Kläger nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen bereits vernichtet worden seien. Es existierten lediglich noch die Hauptakten zum Ursprungsverfahren 412 Js 12208/97.

Auf Nachfrage des Senats bei dem Steuerberater G., wie die Diskrepanz zwischen der Bescheinigung vom 2. April 2001 (Verdienst von jeweils 520,00 DM in den Monaten April und Juli 1998) und der eidesstattlichen Erklärung des Zeugen Wiedenbein (Aushilfslohn in Höhe von jeweils 60,00 und 100,00 DM im April und Juni 1998 und darüber hinaus keine weiteren Zahlungen) zu erklären sei, hat dieser unter dem 18. März 2010 vom Kläger unterzeichnete Kassenquittungen vom 7. März 1998 über 13 Wochen- bzw. 52 Monatsstunden im Februar 1998 und vom 30. April 1998 über 13 Wochen- bzw. 52 Monatsstunden im April 1998 und den Erhalt von jeweils 520,00 DM sowie die Abrechnungen für April und Juni 1998 vorgelegt. Der Zeuge W. habe bei telefonischer Nachfrage bestätigt, an den Kläger die von ihm genannten Beträge ausgezahlt zu haben. Hierüber lägen keine Quittungen vor; die Beträge seien in den bescheinigten 520,00 DM enthalten.

Der Senat hat im Verhandlungstermin am 25. März 2010 die Zeuginnen D. R. und R. sowie die Zeugen W. und Wiedenbein vernommen; auf das Sitzungsprotokoll wird insoweit Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten der Staatsanwaltschaft Braunschweig zu den Verfahren 412 Js 12208/97 und 412 Js 16596/00, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe: Die Berufungen des Klägers und der Beklagten sind jeweils zulässig. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet und die des Klägers begründet, da sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig erwiesen hat. Er beschwert den Kläger und verletzt ihn in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Deshalb war das Urteil des Sozialgerichts zu ändern und der Bescheid vom 24. Juli 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2002 insgesamt aufzuheben.

Hier hat die Beklagte den Bescheid vom 22. April 1996, in dem sie dem Kläger – ausgehend vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen am 16. Oktober 1995 – ab dem 1. November 1995 Invaliden- und Zusatzinvalidenrente bewilligt hat, mit dem Bescheid vom 24. Juli 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2002 teilweise vom 1. Januar 1997 an gemäß § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X zurückgenommen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Rücknahme sind nicht erfüllt.

Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 dieser Vorschrift ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Der Bescheid vom 22. April 1996 ist nicht von Anfang an rechtswidrig gewesen. Insbesondere hat der Kläger nicht bereits ab dem 1. November 1995 Einkommen erzielt, das zum Wegfall der Voraussetzungen für die Bewilligung einer Invaliden- und Zusatzinvalidenrente gemäß Artikel 2 § 7 RÜG geführt hat.

Invalidität gemäß Art. 2 § 7 RÜG liegt u.a. vor, wenn das Leistungsvermögen und das Einkommen um mindestens zwei Drittel desjenigen von geistig und körperlich gesunden Versicherten im Beitrittsgebiet gemindert sind (Art. 2 § 7 Abs. 3 Ziff.a). Bei der Feststellung der Minderung des Einkommens ist gemäß Art. 2 § 7 Abs. 4 Satz 1 RÜG das Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das

der Versicherte vor Eintritt der Invalidität erzielt hat oder ein Beschäftigter mit vollem Leistungsvermögen in dem vom Versicherten vor Eintritt der Invalidität oder während der Invalidität ausgeübten Beruf erzielt hat.

Bei selbstständig Tätigen ist zum Vergleich das Arbeitsentgelt eines gleichartig Beschäftigten zugrunde zu legen. Eine Minderung des Einkommens um mindestens zwei Drittel liegt vor, wenn das erzielte Einkommen 400,00 DM nicht übersteigt (Art. 2 § 7 Abs. 4 Satz 2 und 3 RÜG).

Das maßgebende Referenzeinkommen ergibt sich hier aus der vom Kläger vor Eintritt der Invalidität ausgeübten Tätigkeit als Kraftfahrer auf der Grundlage von Art. 2 § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RÜG, die er vom 21. Mai 1992 bis zum 16. Mai 1993 bei der Harzland Schulze GmbH ausgeübt hat.

Die Tätigkeit als Fahrer bei der C. Kurier GmbH, die der Kläger Anfang Oktober 1995 aufgenommen hat, ist keine Tätigkeit im Sinne des Art. 2 § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 a) RÜG. Denn diese Tätigkeit hat er nach Eintritt seiner Invalidität aufgenommen, da zur Überzeugung des Senats beim Kläger bereits bei Aufnahme der Beschäftigung bei der C. Kurier GmbH ein um zwei Drittel gemindertes Leistungsvermögen vorlag. Dies ergibt sich aus dem Gutachten von Dr. S. vom 9. Januar 1996, der den Kläger am 29. November 1995 ambulant untersucht, dabei eine Erwerbsunfähigkeit attestiert und seiner Beurteilung den Gesamtzustand des Klägers aufgrund der bestehenden Gichtnephropathie mit progredienter Einschränkung der Nierenfunktion sowie mittlerweile präterminaler Niereninsuffizienz mit bereits durchgeführter Shuntoperation zur Vorbereitung der anstehenden Hämodialyse zugrunde gelegt hatte.

Damit lag bereits bei Aufnahme der Tätigkeit als Fahrer bei C. Kurier GmbH Invalidität gemäß Artikel 2 § 7 Abs. 3 Ziff.a) vor. Der Senat ist insoweit für die Feststellung des Eintritts der Invalidität nicht an die Feststellung der Beklagten im Bescheid vom 22. April 1996 gebunden, wonach die Anspruchsvoraussetzungen für die Invaliden- und Zusatzinvalidenrente (erst) am 16. Oktober 1995 und damit während der Beschäftigung bei C. Kurier GmbH erfüllt gewesen seien. Denn die Beklagte hat das Rentenantragstellungsdatum genannt, da für das Vorliegen aller Anspruchsvoraussetzungen ein entsprechender Rentenantrag vorliegen musste. Einer Erläuterung, ob und gegebenenfalls zu welchem früheren Zeitpunkt der Eintritt der Minderung des gesundheitlichen Leistungsvermögens in Betracht gekommen wäre, bedurfte es deshalb nicht.

Die Tätigkeit des Klägers bei der C. Kurier GmbH ist auch nicht nach Art. 2 § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) RÜG zu berücksichtigen. Denn nach Auskunft der C. Kurier GmbH hätte ein Beschäftigter mit vollem Leistungsvermögen einen Stundenlohn von 9,00 DM und damit bei einer Arbeitszeit von 20 Arbeitstagen mit acht Stunden ein monatliches Einkommen in Höhe von 1.440,00 DM erhalten können.

Bei der Feststellung der Minderung des Einkommens ist nach dem Günstigkeitsprinzip entweder das Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das der Versicherte vor Eintritt der Invalidität erhalten hat oder ein Beschäftigter mit vollem Leistungsvermögen in dem vom Versicherten entweder vor Eintritt der Invalidität oder während der Invalidität ausgeübten Beruf erzielt hätte. Dies ergibt sich aus § 17 Abs. 1 Satz 1 der Ersten Durchführungsbestimmung zur Rentenverordnung (1. DB-Renten-VO), der nach dem Willen des Gesetzgebers Art. 2 § 7 Abs. 4 RÜG entsprechen soll (vgl. Bundestagsdrucksache 12/405 vom 23. April 1991, S.141). Danach wird bei der Prüfung, ob der Verdienst um zwei Drittel gemindert ist, der Verdienst des Rentners zum Zeitpunkt der Feststellung

dem vor Eintritt der Invalidität vom Rentner erzielten Verdienst oder, wenn das für den Rentner günstiger ist, dem derzeitigen Verdienst eines Werktätigen mit vollem Leistungsvermögen in dem vom Rentner vor Eintritt der Invalidität ausgeübten Beruf bzw. gegenwärtig ausgeübten Beruf gegenübergestellt.

Hier ist das für den Kläger günstigste Vergleichseinkommen der bei der Harzland Sch. GmbH im April 1993 erzielte Verdienst. Denn dort hatte er in diesem Monat 2.403,50 DM verdient, bevor er vor Ablauf des Monats Mai 1993 seine Tätigkeit dort am 16. Mai 1993 beendete.

Nicht abgestellt werden kann auf die vom Kläger vom 18. Mai 1993 bis zum 31. August 1995 ausgeübte selbstständige Tätigkeit im Wildhandel, so dass nicht auf die von der Beklagten herangezogene Berufsschadensausgleichsverordnung (BschAV) zurückgegriffen werden kann. Denn Anknüpfungspunkt kann lediglich eine versicherungspflichtige (selbstständige) Tätigkeit sein (vgl. Verbandskommentar, Stand Juli 1994, § 7 Art. 2 RÜG Rn. 6). Der Kläger hat aber während der selbstständigen Tätigkeit im Wildhandel keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Insoweit ist eine Minderung des der Beitragspflicht unterliegenden Einkommens nicht feststellbar. Nach § 17 Abs. 2 der 1. DB-Renten-VO, dem – wie oben bereits dargelegt – Art. 2 § 7 Abs. 4 RÜG entsprechen soll, liegt bei selbstständig Tätigen eine Minderung des Verdienstes um mindestens zwei Drittel vor, wenn "das der Beitragspflicht unterliegende Einkommen" ein Drittel des Verdienstes eines gleichartig beschäftigten Werktätigen nicht übersteigt.

Eine Minderung des Erwerbseinkommens um mehr als zwei Drittel hätte in Bezug auf das Einkommen bei der Harzland Sch. GmbH erst bei einem Verdienst von mehr als 801,17 DM monatlich vorgelegen, bei der C. Kurier GmbH bereits bei einem Verdienst von mehr als 480,00 DM. Bei der Feststellung der Minderung des Einkommens ist deshalb das Einkommen bei der Harzland Sch. GmbH in Bezug zu nehmen.

Der Beklagten ist der ihr obliegende Nachweis, dass der Kläger bei Erlass des Bescheides vom 22. April 1996 ein Einkommen von mindestens 801,17 DM monatlich verdient hat und deshalb die Anspruchsvoraussetzung eines um mehr als zwei Drittel geminderten Einkommens nicht mehr vorliegt, nicht gelungen. Denn auch in sozialgerichtlichen Verfahren gilt der Grundsatz, dass jeder die objektive Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen oder vernichten (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage, § 118 Rn. 6 m.w.N.).

Das Einkommen des Klägers war – bezogen auf den Vergleichsmaßstab der Tätigkeit bei der Harzland Sch. GmbH – zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 22. April 1996 um zwei Drittel desjenigen von geistig und körperlich gesunden Versicherten im Beitrittsgebiet gemindert. Denn nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen, d.h. aufgrund des Inhalts der vorliegenden Akten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Verhandlungstermin, ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger 1995 lediglich einmal pro Woche als Fahrer gearbeitet und von Oktober bis Dezember 1995 jeweils nicht mehr als 420,00 DM im Monat und von Januar bis April 1996 zwischen 420,00 und 500,00 DM monatlich verdient hat. Die Angaben des Klägers sind von der Zeugin D. R., der Zeugin R. und dem Zeugen W. im Wesentlichen bestätigt worden. Danach hat der Kläger jeweils aus Vienenburg ein von der C. Kurier GmbH bereit gestelltes Auto abgeholt und zunächst selbst eine Beurteilungsfahrt absolviert, dann dieses Fahrzeug an die Zeugin D. R. übergeben, die dann ihrerseits eine Beurteilungsfahrt durchgeführt und das Fahrzeug weitergegeben hat. Die Zeugin R. hat bestätigt, dass die Zeugin D. R. ebenso wie der Kläger als Fahrer registriert und als solche eingesetzt worden ist. Der Zeuge W. hat bekundet, es sei üblich gewesen, dass immer zwei Personen für ein Fahrzeug angemeldet gewesen seien und sich die Fahrten geteilt hätten, da diese insgesamt von einer Person überhaupt nicht hätten bewältigt werden können.

Weder aus dem Inhalt der vorliegenden Akten noch aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme ergibt sich, dass der Kläger in der Zeit vom 1. November 1995 bis zum 22. April 1996 monatlich mehr als die von ihm unter dem 18. März 2004 angegebenen monatlichen Verdienste in Höhe von 420,00 bis 500,00 DM erzielt hat. Die im Verwaltungsverfahren vorgelegte Auflistung der BfA lässt nicht erkennen, aufgrund welcher Einzelnachweise sie erstellt worden ist. Lohnlisten, Stundenzettel oder Quittungen über Lohnauszahlungen liegen nicht vor. Grundlage für die Feststellung der monatlichen Verdienste sind lediglich die Angaben des Klägers und die Bescheinigungen der C. Kurier GmbH, die diese im Verwaltungsverfahren unter dem 7. Februar 2001 erstellt hat; darüber hinaus hat sie dem Kläger unter dem 19. Juni 2001 bescheinigt, dessen Verdienst habe u.a. 1995 die Grenze für geringfügig Beschäftigte nicht überschritten. Der Nachweis, dass in Bezug auf den Kläger ein so genanntes Lohnsplitting praktiziert worden ist und er monatliche Verdienste auch für weitere Personen, namentlich die Zeugin D. R. und seinen Schwiegervater erwirtschaftet hat, ist der Beklagten nicht gelungen. Dabei hat die Beklagte bereits nicht im Einzelnen die Summen benennen können, die der Kläger an Stelle der so genannten Scheinarbeitnehmer ab November 1995 monatlich hinzuverdient haben soll. Darüber hinaus haben die Zeugin R. und der Zeuge W. bestätigt, dass auch die Zeugin D. R. von Beginn der Beschäftigung des Klägers an als Fahrerin registriert und eingesetzt war. Ob und in welchem Umfang der Schwiegervater des Klägers W. D. als Fahrer Einkünfte erzielt hat, kann damit dahin stehen.

Der Beklagten ist schließlich auch nicht der Nachweis gelungen, dass die Zwei-Drittel-Minderung des Einkommens zu einem späteren Zeitpunkt weggefallen ist und dann die Voraussetzungen für den Wegfall der Invaliden- und Zusatzinvalidenrente nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 SGB X erfüllt gewesen sind. Die Umdeutung eines auf der Grundlage von § 45 SGB X erteilten Bescheides in einen Bescheid gemäß § 48 SGB X ist möglich (BSG, Urteil vom 26. Februar 2003 – 8 KN 11/02NZS 2004, 103-105).

Dabei konnte der Senat offen lassen, ob – wie vom Sozialgericht angenommen – bereits ein einmalig über dem Vergleichseinkommen erzielter Monatsverdienst zum Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen hätte führen können. Dagegen spricht, dass Art. 2 § 7 Abs. 4 RÜG keine monatlichen Hinzuverdienstgrenzen nennt, sondern auf ein um zwei Drittel gemindertes Einkommen abstellt. Insoweit wäre eine nicht mehr vorhandene Einkommensminderung wohl erst bei einem regelmäßigen Überschreiten des Vergleichseinkommens in Höhe von 801,17 DM anzunehmen. Hier hat der Kläger nach den vorhandenen Unterlagen regelmäßig weit weniger als 810,17 DM verdient, sodass ein ein- oder zweimaliger monatlicher Verdienst von 1.040,00 DM jedenfalls im Verlaufe eines Jahres nicht zum Wegfall eines um zwei Drittel geminderten Einkommens hätte führen können.

Der Nachweis eines monatlichen Gesamtverdienstes für die Monate März und April 1998 in Höhe von 1.040,00 DM ist jedoch bereits nicht erbracht. Denn der Zeuge W. hat im Rahmen seiner Vernehmung durch den Senat (entsprechend seiner eidesstattlichen Versicherung vom 15. Februar 2006) bekundet, dem Kläger tatsächlich lediglich im Monat April 1998 eine Aushilfsvergütung in Höhe von 100,00 DM und im Monat Juni 1998 in Höhe von 60,00 DM und keine weiteren Beträge gezahlt zu haben. Zur Erläuterung der vom Steuerberater G. erteilten Bescheinigung vom 2. April 2001 hat er angegeben, der Kläger habe den Erhalt von 520,00 DM quittiert, aber nur die genannten Teilbeträge erhalten; die fehlenden Beträge seien zur Vermeidung eines höheren bürokratischen Aufwandes in kleinen Teilbeträgen an andere Familienmitglieder und Freunde für Aushilfsleistungen in jeweils geringem Umfang ausgezahlt worden. Da es sich bei dem Zeugen um den Ehemann der Schwester der Ehefrau des Klägers handelt, waren die Bekundungen des Zeugen zur Hilfeleistung beim Aufbau seines neu gegründeten Unternehmens nachvollziehbar. Anhaltspunkte, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln, hatte der Senat nicht und konnten von der Beklagten auch nicht aufgezeigt werden.

Damit hat der Kläger die Invaliden- und Zusatzinvalidenrente von Januar 1996 bis zum 31. Mai 2001 zu Recht erhalten und der Beklagten keinen Betrag in Höhe von insgesamt 84.711,86 DM (43.312,49 EUR) gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erstatten.

Insgesamt hat sich die Berufung des Klägers als begründet erwiesen mit der Folge der Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückweisung der Berufung der Beklagten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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