L 6 U 9/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 6 U 46/02
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 9/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. November 2005 wird aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 16. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2002 wird abgeändert. Es wird mit Wirkung vom 1. Mai 2000 festgestellt, dass die obstruktive Atemwegserkrankung des Klägers eine Berufskrankheit nach der Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 1. Mai 2000 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge und des Vorverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Lungenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. zu gewähren ist.

Der am ... 1940 geborene Kläger erlernte von September 1955 bis August 1959 den Beruf eines Fernsehmechanikers und studierte anschließend bis August 1962 an der Ingenieurschule für Elektrotechnik in M. Von September 1962 bis Februar 1964 war er als Ingenieur zunächst im VEB Fernsehgerätewerk St. und anschließend im PGH-B Abteilung Fernsehservice in S tätig. Von März bis September 1964 reparierte er Fernseher für die Firma D. in W und von Oktober 1964 bis Oktober 1966 war er als Service-Ingenieur beim VEB Industrievertrieb Rundfunk und Fernsehen in M. tätig. Anschließend machte er sich als Fernsehtechniker selbständig. Am 30. April 2000 gab er die selbständige Tätigkeit auf, war zunächst bis zum 1. Juli 2000 arbeitslos und führte anschließend in seiner eigenen Werkstatt Entwicklungsarbeiten für die Firma S. durch. Vom 1. November 2000 bis 22. April 2001 war er wegen Atemwegsbeschwerden arbeitsunfähig erkrankt. Seit Januar 2001 bezieht er Altersrente.

Den Rechtsvorgänger der Beklagten (einheitlich Beklagte genannt) erreichte die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit der Fachärztin für Innere Medizin des Evangelischen Krankenhauses für Atemwegserkrankungen Dipl.-Med. P. vom 14. Juli 1999, wonach der Kläger unter einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung leide, die auf Lötdämpfe und Staub zurückzuführen sei.

Der Kläger selbst gab an, seit 1972 unter Atemnot, insbesondere bei Belastung, gelitten zu haben. Er führte dies auf eingeatmete Löt- und Eisen-II-chlorid-Dämpfe, Kolophonium und Flussmittel zurück. Er sei immer Nichtraucher gewesen. Er trage während der Arbeit eine Mundschutzkappe.

Die Beklagte zog medizinische Unterlagen bei: Unter dem 25. Juni 1979 berichtete der Chefarzt der Asthmaabteilung der Zentralklinik für Herz- und Lungenkrankheiten B B MR Dr. M. über den Aufenthalt des Klägers vom 6. bis 23. Juni 1979, dieser habe auf Schimmel positiv reagiert. Im Übrigen habe eine Sensibilisierung gegenüber den üblichen Allergenen nicht bestanden. Er diagnostizierte eine chronisch-obstruktive Bronchitis. Unter dem 6. Oktober 1995 berichtete der Arzt für Innere Medizin/Lungen- und Bronchialheilkunde/Allergologie Dr. F. über den stationären Aufenthalt des Klägers in der Lungenklinik B vom 13. September bis 2. Oktober 1995. Der Kläger habe angegeben, Lötdämpfe oder Stäube in Fernseh- und Radioapparaten bereiteten ihm keine Schwierigkeiten. Die allergologischen Untersuchungen hätten keine Hinweise auf eine allergische Sensibilisierung ergeben. Er diagnostizierte eine chronische obstruktive Bronchitis sowie eine unspezifische bronchiale Hyperreaktivität. Der Chefarzt der Radiologie des Krankenhauses am R in S. Prof. Dr. B. und der Oberarzt der Radiologie Dr. C. diagnostizierten anhand eines am 18. Juli 1997 von den Nasennebenhöhlen des Klägers gefertigten Computertomogramms (CT) eine chronisch polypoide Sinusitis. In dem ärztlichen Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik G über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 3. bis 31. März 1999 berichteten die Pulmologen Dres. A., B v d H und D, die Bodyplethysmografie vom 4. März 1999 habe eine mittelgradige chronische obstruktive Ventilationsstörung ergeben. Eine Sensibilisierung gegenüber den getesteten Allergenen habe nicht bestanden. Bei striktem Vermeiden inhalativer Belastungen könne der Kläger seine bisherige Tätigkeit als Rundfunkmechaniker halb- bis untervollschichtig ausüben. Der Chefarzt des Evangelischen Fachkrankenhauses für Atemwegserkrankungen in N Dr. K. berichtete über den Aufenthalt vom 30. Juni bis 9. Juli 1999, der Kläger habe sich seit März des Jahres nicht mehr von einer Erkältung erholt und vermute einen Zusammenhang mit den beruflich eingeatmeten Lötdämpfen. Er diagnostizierte eine chronisch-obstruktive Bronchitis mit Lungenemphysem bei arterieller Hypertonie.

Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD) berichtete unter dem 30. Dezember 1999, der Kläger habe während seiner Tätigkeiten zwischen September 1955 bis 1999 - mit Ausnahme seiner Studienzeit von September 1959 bis November 1962 - ständig Lötarbeiten mit einem elektrisch beheizten Handlötkolben ausgeführt. Als Flussmittel habe er Kolophonium verwandt. Dies gelte auch für Reparaturarbeiten und für Kleinserienfertigungen. Dabei sei er regelmäßig, in der Zeit von September 1955 bis August 1959 und November 1962 bis 1. September 1964 zum Teil in beengten Räumen mit mehreren Beschäftigten, Lötrauch ausgesetzt gewesen. Während seiner selbständigen Tätigkeit seit Oktober 1966 habe er in einem Raum von ca. 20 qm mit ca. 4 Stunden Innendienst und ca. 2 Stunden Außendienst pro Tag gearbeitet. Von 1966 bis 1969 habe er Metallarbeiten, z.B. mechanische Oberflächenreinigung mit Glasfaserpinsel von Messingblech und von 1969 bis 1978 Siebdruckarbeiten mit ca. 1 Stunde pro Tag ausgeführt. Dabei sei er mit Siebdrucklacken, Lösemitteln für Lack und dem Ätzmittel Eisen-III-chlorid in Kontakt gekommen. Seit 1990 habe er Rundfunk- und Fernsehgeräte mit ca. 9 Stunden pro Tag repariert und sei im Antennenbau mit ca. 3 Stunden pro Tag beschäftigt gewesen. Ab 1997 habe die Exposition zu Lötrauchen wegen fehlender Aufträge abgenommen.

Die Beklagte beauftragte die Fachärzte für Pulmologie und Allergologie der Lungenklinik L Prof. Dr. L. und Dr. S. mit der Erstattung des Gutachtens vom 4. Mai 2000 nach Untersuchung des Klägers in der Zeit vom 1. bis 3. März 2000. Diese führten aus, die Hauttestung habe keinen Anhalt für eine allergische Sensibilisierung gegenüber Allergenen der Standardreihe, der Epikutantest keinen Anhalt für eine allergische Sensibilisierung gegenüber Kolophonium und Zinn-II-Chlorid ergeben. Der Kläger leide an einer chronischen Sinusitis maxillaris beidseits mit Ausbildung eines sinubronchialen Syndroms, in dessen Folge es zu einer bronchialen Hyperreagibilität gekommen sei. Diese Erkrankung sei als schicksalhaft anzusehen. Über Probleme mit Atemwegsirritanzien wie Lötdämpfe und -stäube habe der Kläger während der jahrelangen ärztlichen Behandlung nicht berichtet. Die ärztlichen Berichte hätten auch nie den Kontakt zu Lötrauchen als Ursache der obstruktiven Atemwegserkrankung angesehen.

Unter dem 23. Mai 2000 führte der TAD ergänzend aus, von 1955 bis 1976 sei der Grenzwert gegenüber Pyrolyseprodukten des Kolophoniums fast täglich überschritten worden. Mit dem Einbau eines Lüfters im Jahr 1976 sei von einer Reduzierung der Gefahrstoffe auszugehen, wobei eine Überschreitung der Grenzwerte auch weiterhin möglich gewesen sei. Eine tägliche Überschreitung der Grenzwerte gegenüber Lösemittelprodukten könne für die Jahre 1969 bis 1978, vor allem gegenüber Cyclohexanon bei der Ausführung von Siebdruckarbeiten, nicht ausgeschlossen werden.

Der Gewerbearzt MR Dr. M. führte in seiner Stellungnahme vom 13. Juli 2000 aus, eine allergische Reaktion des Klägers gegenüber Kolophonium sei nicht nachgewiesen. Dieser leide an einem rezidivierenden sinubronchialen Syndrom mit rezidivierenden Entzündungen der Nasennebenhöhle. Eine Berufskrankheit der Nr. 4301 und 4302 sei nicht anzuerkennen.

Mit Bescheid vom 16. August 2000 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4301 und 4302 sowie die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Die berufliche Exposition habe die obstruktive Atemwegserkrankung des Klägers nicht verursacht. Gehäufte Entzündungen der Bronchien seien bei ihm im Zusammenhang mit der Sinusitis maxillaris aufgetreten, die nicht in der Berufskrankheitenliste aufgeführt sei. Es seien auch keine Stoffe aus der Berufskrankheitenliste bekannt, die eine Sinusitis hervorrufen könnten.

Hiergegen erhob der Kläger am 18. September 2000 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, die berufliche Lötrauchentwicklung habe die Berufskrankheit verursacht. Es sei anzunehmen, dass er auf Kolophonium allergisch reagiere. Er fügte den Entlassungsbericht aus dem Evangelischen Fachkrankenhaus für Atemwegserkrankungen N von Dr. K., Dr. R. und Dipl.-Med. P. vom 14. November 2000 bei. Danach lag der FEV1 vor der Provokationstestung mit Kolophonium am 7. November 2000 bei 52 % und nach der Provokationstestung bei 40,2 % des Sollwertes. Dieser Wert sank innerhalb der ersten Stunde auf 30 % des Sollwertes. Nach Gabe von Berodual stieg dieser Wert auf 63 %. Der R5Hz-Wert lag vor der Provokationstestung bei 0,89 und gut 1 1/2 Stunden nach der Testung bei 1,12.

Die Beklagte veranlasste die Fachärztin für Innere Medizin, Arbeitsmedizin und Allergologie der Berufsgenossenschaftlichen Klinik für Berufskrankheiten F Dr. K. mit der Erstattung des Gutachtens vom 12. November 2001 nach stationärem Aufenthalt des Klägers vom 30. Juli bis 1. August 2001. Diese berichtete, der Kläger habe erklärt, nach Aufgabe seiner beruflichen Tätigkeit im April 2000 sei es zu einer deutlichen Besserung der Atembeschwerden gekommen. Während seiner Tätigkeit für die Firma S. habe er keine wesentlichen Lötarbeiten ausgeführt. Es bestehe eine mittel- bis hochgradige chronisch-obstruktive Bronchitis mit einer unspezifischen bronchialen Hyperreaktivität, die mit Wahrscheinlichkeit nicht berufsbedingt sei. Die Epikutantestungen gegenüber Kolophonium hätten keine Typ-IV-Sensibilisierung ergeben. Der Provokationstest vom 7. November 2000 habe zu keiner eindeutigen positiven Reaktion gegenüber Kolophonium geführt. Bei dem mitarbeitsunabhängigen Atemwegswiderstand sei keine signifikante Erhöhung (Verdoppelung) zu erkennen. Die obstruktive Atemwegserkrankung sei auf Infekte zurückzuführen. Die Exposition gegenüber Kolophonium habe die Erkrankung nicht wesentlich verschlimmert.

Dem Gutachten beigefügt war ein Arztbericht des Facharztes für Innere Medizin und Oberarzt des Kliniksanatoriums S Dr. S. vom 15. Februar 1980, der eine chronisch-obstruktive Bronchitis und ein Lungenemphysem 1. Grades diagnostiziert hatte.

Mit dem Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2002 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück, weil ein Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition und Erkrankung aufgrund der Gutachten von Prof. Dr. L. und Dr. K. nicht wahrscheinlich sei. Der Widerspruchsbescheid ist dem Kläger auf dem Postweg zugegangen.

Mit der am 25. Februar 2002 vor dem Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat der Kläger die Anerkennung seiner Atemwegserkrankung als Berufskrankheit und die Gewährung einer Verletztenrente weiter verfolgt und seinen bisherigen Vortrag vertieft. Er sei seit 1972 an chronischen Atemwegsbeschwerden erkrankt. Eine Exposition habe gegenüber Kolophonium und zwischen 1969 und 1978 auch gegenüber Lösungsmitteln wie Cyclohexan bestanden. Die Gutachter Prof. Dr. L. und Dr. K. hätten die für eine Begutachtung erforderlichen Provokationstests nicht durchgeführt. Der Provokationstest des Evangelischen Krankenhauses vom 7. November 2000 habe nicht dem Standard entsprochen. Die anlagebedingte Erkrankung eines sinubronchialen Syndroms sei 1993 durch eine Operation der Nasenknochen behoben worden. Er legte einen Befundbericht des Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. G. vom 22. Juli 1997 vor, der eine schwere Obstruktion der Atemwege bei mittelgradiger Obstruktion der kleinen Bronchien festgestellt hatte.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Chefarzt der Inneren Medizin des Evangelischen Fachkrankenhauses für Atemwegserkrankungen N Dr. K. das Gutachten vom 4. Juli 2003 nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 27. bis 30. Januar 2003 erstattet. Dr. K. hat ausgeführt, der Kläger leide an einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Der Provokationstest gegenüber Kolophonium habe eindeutig eine Verschlechterung des Atemwegswiderstandes um das Doppelte von 0,47 kPa/l/s bis 1,2 kPa/l/s ergeben. Dabei sei eine subjektive Atemnot mit deutlichem klinischen Giemen als Beleg für die Verstärkung der Atemwegsverengung aufgetreten. Es sei daher hinreichend wahrscheinlich, dass die Atemwegserkrankung ursächlich auf die berufliche Exposition des Klägers zurückzuführen sei.

Dem Gutachten beigefügt war ein Befundbericht von Dr. R. (Poliklinische Fachabteilung für Lungenkrankheiten A.) vom 7. März 1975, wonach der Kläger unter einer seit sechs Jahren bestehenden chronischen Rhinitis mit Pansinusitis gelitten habe. Eine zeitweilige Atemstörung sei als chronische Sinubronchitis anzusehen gewesen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit habe ab 1. Mai 2000 30 v. H. betragen.

Dr. K. hat in der ärztlichen Stellungnahme vom 20. November 2003 die Auffassung von Dr. K. nicht geteilt. Der zeitliche Verlauf der Erkrankung seit 1966 könne auch ohne berufliche Allergenbelastung zu den einer Berufskrankheit fremden gehäuften rezidivierenden Infekten und den chronischen rezidivierenden Nebenhöhlenentzündungen geführt haben. Zudem sei in allen Haut- und serologischen Testungen nie ein Sensibilisierungsnachweis gegenüber Kolophonium erbracht worden. Der drei Jahre nach Aufgabe der belastenden Tätigkeit und sechs Jahre nach Expositionsende durchgeführte Provokationstest lasse keinen Rückschluss darauf zu, ob die obstruktive Atemwegserkrankung ursächlich auf Kolophonium zurückzuführen sei. Denn eine arbeitsplatzbezogene Symptomatik während der Lötarbeiten sei nie aufgetreten. Der Provokationstest sei zu einer Zeit durchgeführt worden, als bereits eine erhebliche hochgradige bronchiale Hyperreagibilität als Folge des COPD bestanden habe. Bei einer derartigen hochgradigen Reizempfindlichkeit würden naturgemäß bei allen Atemwegs-Irritanzien Reaktionen wie bei dem Provokationstest ausgelöst.

Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen die Gutachterin Dr. K. hat das Sozialgericht Halle mit Beschluss vom 21. Januar 2005 zurückgewiesen.

Das Sozialgericht hat den Pneumologen Prof. Dr. S. unter Mitwirkung des Sozialmediziners und Allergologen Dr. B. vom Institut für Arbeits- und Sozialmedizinische Allergiediagnostik B S mit der Erstattung des Gutachtens vom 15. April 2005 und der Ergänzung vom 29. August 2005 nach stationärer Untersuchung des Klägers vom 4. April bis 9. April 2005 beauftragt. Diese haben ausgeführt, der Kläger leide unter einer mäßig schweren obstruktiven Atemwegserkrankung mit daraus resultierender mäßiggradiger Einschränkung der pulmonalen Leistungsbreite in Kombination mit einer starken unspezifischen bronchialen Reizbarkeitssteigerung. Der Kläger habe die Exposition gegenüber Lötrauch als beschwerdeauslösend wahrgenommen. Da Hinweise auf eine typisch allergische Genese dieser Atemwegserkrankung fehlten, sei davon auszugehen, dass eine langjährige Exposition gegenüber kolophoniumhaltigem Lötzinnrauch in Kombination mit einer erhöhten Infektanfälligkeit zu der Atemwegserkrankung geführt habe. Arbeitsplatzbezogene Expositionsuntersuchungen seien eindeutig positiv ausgefallen. Vorberuflich sei keine Einschränkung der Lungenfunktion zu ermitteln, so dass die berufliche Exposition wesentliche Ursache der Erkrankung sei. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei bei mäßig schweren Einschränkungen wichtiger Lungenfunktionsdaten in Kombination mit einer starken unspezifischen bronchialen Reizbarkeitssteigerung und einem Anstrengungsasthma mit 30 v. H. einzuschätzen.

In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 5. September 2005 hat Dr. K. ihre bisherigen Ausführungen vertieft.

Mit Urteil vom 24. November 2005 hat das Sozialgericht Halle die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine arbeitsplatzbezogene Symptomatik des Beschwerdebildes sei nicht dokumentiert. In keinem der ärztlichen Berichte aus den siebziger Jahren sei ein Zusammenhang zwischen Beschwerden und Lötdämpfen vermutet worden. Auch der Kläger habe keinen Zusammenhang vermutet. Die Erkrankung sei seinerzeit offensichtlich infektbedingt gewesen. Es sei nicht erweislich, dass es bei dem Kläger durch Einatmen von Lötrauch jemals zu Atemwegsbeschwerden gekommen sei. Das Ergebnis der von Dr. K. durchgeführten Provokationstestung gegenüber Kolophonium könne aufgrund der unspezifischen bronchialen Hyperreaktivität des Klägers nicht für einen Ursachenzusammenhang angeführt werden. Prof. Dr. S. unterstelle die Angaben des Klägers zur arbeitsplatzbezogenen Symptomatik, die aber nirgendwo dokumentiert seien. Die Provokationstests seien nicht geeignet, die arbeitsplatzspezifische Belastung als rechtlich wesentliche Teilursache des Krankheitsbildes gegenüber anderen Ursachen wie der Hyperreagibilität abzugrenzen.

Gegen das am 23. Dezember 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. Januar 2006 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und seinen bisherigen Vortrag vertieft. Der TAD habe festgestellt, dass an seinen Arbeitsplätzen von 1955 bis 1999 täglich Grenzwertüberschreitungen gegenüber Pyrolyseprodukten vorgelegen hätten. Von 1969 bis 1978 habe zugleich eine tägliche Grenzwertüberschreitung gegenüber dem Lösungsmittel Cyclohexanon bestanden. Der Gewerbearzt beim Landesamt für Arbeitsschutz habe im Jahr 1999 eine allergische Reaktion gegenüber Kolophonium festgestellt. Bei Kontamination mit Kolophonium bzw. Lötrauchen trete eine starke Atemnot auf mit lötrauchinduziertem Asthma, einer unspezifischen bronchialen Reizbarkeitssteigerung, einer erhöhten Infektneigung und Bluthochdruck. Er sei bereits seit 1960 mit Atemwegserkrankungen in ärztlicher Behandlung gewesen. Bereits am 31. August 1973 habe die Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten H. einen Reizzustand an den Schleimhäuten der oberen und absteigenden Luftwege festgestellt und allergische Faktoren als Krankheitsursache angenommen. Eine ähnliche Diagnose habe Dr. F. vom Krankenhaus G am 24. August 1973 abgegeben. Die Behandlungsergebnisse von Dr. F. stünden der Anerkennung einer Berufskrankheit nicht entgegen. Zu Dr. F. habe ein gespanntes Verhältnis bestanden. Er habe keine umfassende Begutachtung und Sachverhaltsaufklärung der Ursachen der Atemwegserkrankung vorgenommen.

Der Kläger hat weiter vorgetragen, er habe wiederholt darauf hingewiesen, während der Tätigkeiten regelmäßig unter Atembeschwerden gelitten zu haben, die sodann zur Berufsaufgabe geführt hätten. Die drei Provokationstests von Dr. K. belegten dies. Dr. K., Prof. Dr. S. und B hätten einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Atemwegserkrankung und dem Auftreten arbeitsplatzbezogener Symptome festgestellt. Sein Krankheitsbild entspreche den drei Phasen der Berufskrankheit: Annahme eines allergischen Faktors 1970 bis 1973, Beginn der Atemnot 1978 mit Besserung der Beschwerden und ab 1984 die jetzigen Beschwerden. Das Vorliegen der haftungsausfüllenden Kausalität werde durch Prof. Dr. S., Prof. Dr. B., Prof. Dr. L. bzw. Dr. K. bestätigt. Der beruflichen Einwirkung komme die Bedeutung einer rechtlich wesentlichen Ursache, zumindest einer Teilursache für die Entstehung der obstruktiven Atemwegserkrankung zu.

Der Kläger hat einen Bericht des Krankenhauses G vom 24. August 1973 und der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten H. vom 31. August 1973 beigefügt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. November 2005 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 16. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2002 abzuändern, festzustellen, dass die obstruktive Atemwegserkrankung mit Wirkung vom 1. Mai 2000 eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung ist und ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. ab dem 1. Mai 2000 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen.

Auf Veranlassung des Landessozialgerichts hat Prof. Dr. S. unter dem 15. Dezember 2009 ausgeführt, nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen seien die Inhaltsstoffe der beim Weichlöten entstehenden Lötrauche als chemisch-irritativ wirkende Stoffe bzw. als Stoffgemisch im Sinne der Nr. 4302 der BKV zu bewerten. Beim Weichlöten, wie es der Kläger durchgeführt habe, entstünden durch die Erhitzung der Weichlote und der Flussmittel, wie z. B. Kolophonium, Rauche, die unterschiedliche Gefahrenstoffe enthielten, wie Blei und seine Verbindungen, anorganische Zinnverbindungen, Formaldehyd, Acetaldehyd, Acrylaldehyd, Blutylaldehyd, letzteres als Pyrolyseprodukt des Kolophoniums. Darüber hinaus seien im Lötrauch Amine, Phenole, Chlorwasserstoff und Kohlenmonoxid nachweisbar. Lötrauche seien bei der Begutachtung des Klägers in der arbeitsplatzbezogenen inhalativen Expositionstestung erzeugt worden, bei dem der Kläger einen typischen Lötvorgang nachvollzogen habe. Bei der Erhitzung der anderen inhalativ getesteten Stoffe (Talkum, Leiterplattenreiniger und einem Schimmelpilzextrakt) entstünden keine Gefahrstoffe wie beim Lötrauchen. Es sei unwahrscheinlich, dass der Kläger außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit auf einen chemisch-irritativen Stoff in gleicher Weise wie auf das Lötzinn reagieren würde. Es sei zwar denkbar, dass das Einatmen von Formaldehyd oder Schwefeldioxid auch bei bronchial gesunden Personen zu spontanen bronchokonstriktorischen Reaktionen führe, dies insbesondere bei bestehender bronchialer Hyperreagibilität. Es sei aber nicht wahrscheinlich, dass die im täglichen außerberuflichen Leben verwendeten (Haushalts-)Chemikalien vergleichbare Wirkungen auf die Atemwege wie das Lötrauchen auslösten. Das negative Ergebnis des inhalativen Tests mit den geruchsaktiven, lösemittelhaltigen Emissionen eines Leiterplattenreinigers belege vorliegend, dass die unspezifische bronchiale Hyperreagibilität des Kläger nicht durch jeden beliebigen Stoff mit chemisch reizenden Wirkungen ausgelöst werde. Die Atemwegerkrankung sei durch das chemische Komponentengemisch von Lötrauchen verursacht worden. Das Landessozialgericht hat die Akte des Amtes für Versorgung und Soziales Az. beigezogen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten mit dem Az. hat bei der Verhandlung und Beratung des Senats vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2002 beschwert den Kläger im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, soweit es die Beklagte abgelehnt hat, die obstruktive Atemwegserkrankung als Berufskrankheit der Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und dem Kläger hieraus eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. zu gewähren.

Der Anspruch richtet sich nunmehr gegen die Rechtsnachfolgerin der Berufsgenossenschaft Feinmechanik und Elektrotechnik.

Streitgegenstand ist im Berufungsverfahren lediglich noch die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV und die Gewährung einer Verletztenrente hieraus. Der Kläger hat die Anerkennung einer Berufskrankheit der Nr. 4301 im erstinstanzlichen Verfahren nicht mehr weiter verfolgt und die Klage auf die Anerkennung einer Berufskrankheit der Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV und die Gewährung einer Verletztenrente hieraus beschränkt.

Da Anspruchsvoraussetzung der Berufskrankheit Nr. 4302 der BKV u.a. die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit ist, richtet sich der Anspruch des Klägers nach den ab dem 1. Januar 1997 geltenden Vorschriften des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Der Kläger hat die schädigende Tätigkeit erst am 30. April 2000 endgültig aufgegeben, als er Tätigkeiten, bei denen er Lötrauch ausgesetzt war, nicht mehr ausgeführt hat.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Die näheren Einzelheiten zum Erlass der BKV regelt § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 3 sowie Abs. 6 SGB VII. In der Anlage 1 zur BKV sind in Nr. 4302 die durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachten obstruktiven Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, geregelt.

Für die Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit Nr 4302 müssen demnach folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Der Versicherte muss aufgrund seiner versicherten Tätigkeit chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen ausgesetzt gewesen sein und er muss an einer obstruktiven Atemwegserkrankung leiden, die durch die versicherten Einwirkungen verursacht worden ist und den Versicherten zum Unterlassen aller gefährdenden Tätigkeiten gezwungen haben muss. Die versicherte Tätigkeit, die Einwirkung einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes und die Erkrankung müssen mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit (im Sinne eines Vollbeweises) nachgewiesen sein. Für den Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Exposition und der Exposition und dem Gesundheitsschaden bedarf es hingegen lediglich der hinreichenden Wahrscheinlichkeit.

Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger vor. Hiervon ist der Senat nach den Feststellungen des TAD und den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. S. und Dr. K. überzeugt.

Der Kläger hat bis zum 30. April 2000 eine bei der Beklagten versicherte Tätigkeit ausgeübt. Er war während der Ausübung dieser Tätigkeit auch einer die Atemwege schädigenden Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit 4302 ausgesetzt. Das vom Kläger beim Löten verwendete Kolophonium ist ein chemisch-irritativer Stoff im Sinne der Nr. 4302 der BKV. Der beim Löten unter Verwendung von Kolophonium entstehende Lötrauch kann nach dem Inhalieren zu einer obstruktiven Atemwegserkrankung führen. Hierauf hat Prof. Dr. S. hingewiesen. Eine Mindestdosis einer Einwirkung wird zur Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 4302 nicht vorausgesetzt (vgl. Merkblatt zur Berufskrankheit 4302, Bek. des BMA vom 10. Juli 1979 im Bundesarbeitsblatt; abgedruckt bei Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheiten-Verordnung, M 4302, S. 1 ff.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Abschnitt 17.13, S. 1051 ff.). Der Kläger war diesem Lötrauch über Jahrzehnte während seiner Berufsausübung ausgesetzt. Nach den ausführlichen und überzeugenden Feststellungen des TAD der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik hat der Kläger von September 1955 bis August 1959 und von November 1962 bis Dezember 1999 Lötaufgaben mit einem elektrisch beheizten Handlötkolben unter Verwendung des Flussmittels Kolophonium ausgeführt. Von September 1955 bis August 1959 war er mit Lötaufgaben an 6 Tagen pro Woche 8 Stunden täglich beschäftigt. Von November 1962 bis September 1964 hat er entsprechende Aufgaben zu 2/3 seiner Arbeitszeit ausgeübt. Von Oktober 1964 bis September 1966 war er mit 4 Stunden arbeitstäglich mit Lötaufgaben betraut. Seit 1966 hat er als selbständiger Unternehmer Reparaturarbeiten unter Verwendung eines Lötkolbens im Innendienst mit 4 Stunden und im Außendienst mit 2 Stunden täglich durchgeführt. Bis 1990 hat er täglich 10 bis 11 Stunden und von 1990 bis 1997 täglich 9 Stunden Lötarbeiten ausgeführt. Auch von 1997 bis April 2000 hat der Kläger im gleichen Umfang wie zuvor Lötarbeiten ausgeübt, allerdings hat die Exposition gegenüber Kolophonium - ohne nähere Angaben über den zeitlichen Umfang der Arbeiten - wegen sinkender Auftragzahlen abgenommen. Eine Exposition gegenüber Kolophonium ist mit dem Rückgang der Aufträge jedoch nicht entfallen.

Der Kläger war demnach über 41 Jahre der Exposition gegenüber Lötrauch mindestens vier Stunden täglich ausgesetzt. Von 1978 bis 1997 war er sogar zwischen 9 und 11 Stunden täglich mit Lötarbeiten beschäftigt. Während der Ausführung der Lötarbeiten ist nach der bis 1990 geltenden TGL 32610 unter den beengten Arbeitsplatzbedingungen des Klägers (mit bis zu 20 qm Arbeitsraum) von einer deutlichen Überschreitung der MAK-Werte von Kolophonium-Pyrolyseprodukten (Lötrauch) bis 1976 auszugehen. Auch mit dem Einbau eines Fensterlüfters 1976 war eine Grenzwertüberschreitung nach 1976 nicht ausgeschlossen. Hierauf hat der TAD unter Berücksichtigung der Analyse von Lötarbeitsplätzen von 1978 bis 1989 durch die Arbeitshygieneinspektion des Rates des Bezirkes E. und den Aussagen von Dr. O. aus dem Sozialministerium Thüringen hingewiesen.

Der Kläger leidet auch an einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Für die obstruktive Ventilationsstörung ist die Sekundenkapazität FEV1 die wichtigste Kenngröße, als absoluter Wert in Liter und als relativer Wert in Prozent der Vitalkapazität (VC). Der Schweregrad bei der obstruktiven Ventilationsstörung richtet sich nach dem FEV1 Wert zum Soll (vgl. Nowak/Kroidl, Bewertung und Begutachtung in der Pneumologie, 3. Auflage 2009, S. 85 f.).Eine chronische obstruktive Bronchitis hatte bereits MR Dr. M. von der Zentralklinik für Herz- und Lungenkrankheiten unter dem 25. Juni 1979 diagnostiziert. Die chronische obstruktive Bronchitis gehört zu den obstruktiven Atemwegserkrankungen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschnitt 17.13.4, S. 1060). Dr. F. von der Lungenklinik B hat anhand einer Bodyplethysmografie vom 14. September 1995 ebenfalls eine obstruktive Atemwegserkrankung festgestellt. Der FEV1 Wert hat bei 67,6 % des Sollwertes und der FEV1/VC Wert bei 61,7 % gelegen. Die Bodyplethysmografie vom 4. März 1999 in der Reha-Klink G hat einen FEV1/VC Wert von 61 % und einen FEV1 Wert von 39 % des Sollwertes, die Bodyplethysmografie vom 15. März 1999 einen FEV1/VC Wert von 49 % und einen FEV1-Wert von 55 % ergeben. Ebenso haben Dr. K., Dr. K. und Prof. Dr. S. bei dem Kläger eine obstruktive Atemwegserkrankung diagnostiziert. Differentialdiagnostisch hat Prof. Dr. S. eine allergische Rhinopathie ausgeschlossen. Die am 7. April 2005 durchgeführten nasalen Expositionstests gegenüber Talkumstaub, Leiterplattenreiniger und DDR-Lötzinn (mit Kolophonium) waren negativ.

Diese obstruktive Atemwegserkrankung ist auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Exposition gegenüber Kolophonium zurückzuführen.

Maßgeblich für den Zusammenhang zwischen den beruflichen Belastungen und dem Gesundheitsschaden ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, bei der mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Dabei ist nur die Bedingung rechtlich erheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Eintritt des geltend gemachten Schadens "wesentlich" beigetragen hat (Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII Rn. 4, 15 m.w.N.). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - a.a.O.).

In diesem Sinne spricht mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang. Der Kläger spricht auf Lötrauch, in dem Kolophonium enthalten ist, durch eine obstruktive Reaktion der Atemwege an. Dies hat der von Prof. Dr. S. am 7. April 2005 durchgeführte bronchiale Expositionstest gegenüber DDR-Lötzinn ergeben. Der Kläger war 15 Minuten in einer kleinen geschlossenen Expositionskammer mit dem Verlöten mittels eines Lötkolbens unter Verwendung von kolophoniumhaltigem DDR-Lötdraht beschäftigt. Bei einer leicht erhöhten Ausgangsresistance und mäßig vermehrtem thorakalen Gasvolumen haben die Lötrauche zu einer sofortigen anhaltenden Steigerung der zentralen Atemwegswiderstände und der thorakalen Gasvolumina geführt. Prof. Dr. S. hat einen hochsignifikanten Anstieg der Atemwegswiderstände beschrieben, der im Sinne einer Crescendo-Reaktion angehalten hat, und erst durch Gabe von Berodual unterbrochen werden konnte. Parallel ist es zudem zu einem Abfall des Sauerstoffpartialdrucks sowie zu weitergehenden starken Einschränkungen der statischen und dynamischen Lungenfunktion gekommen. Prof. Dr. S. hat dies als eindeutig positives Ergebnis des Tests beschrieben.

Der von Dr. K. durchgeführte Epitkutantest gegenüber Kolophonium, der negativ ausgefallen ist, spricht nicht gegen einen Ursachenzusammenhang. Denn auch der von Prof. Dr. S. durchgeführte Epikutantest gegenüber Kolophonium war negativ, während der Provokationstest eine eindeutige positive Reaktion der Atemwege des Klägers hervorgerufen hat. Soweit Dr. K. und Prof. Dr. L. den negativen Epikutantest gegen einen Ursachenzusammenhang angeführt haben, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Gegen einen Ursachenzusammenhang kann auch nicht angeführt werden, der Kläger habe noch 1995 gegenüber Dr. F. erklärt, berufliche Atemwegsirritanzien wie Lötdämpfe würden ihm keine Schwierigkeiten bereiten. Ein direkter Arbeitsbezug der Beschwerden bei obstruktiven Atemwegserkrankungen ist nicht zwingend. Entsprechend der obstruktiven Atemwegserkrankungen eines Rauchers ist auch bei einer beruflichen Exposition gegenüber chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen von einem Summationsschaden auszugehen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschnitt 17.13.4, S. 1061). Damit überzeugt das Gutachten von Prof. Dr. L. insoweit nicht, als dieser Atemwegsirritation während der beruflichen Tätigkeit für wesentlich gehalten hat.

Die Exposition war auch wesentliche Bedingung für das Auftreten einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Zwar leidet der Kläger an einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität in Verbindung mit chronischen Infekten der oberen Atemwege im Sinne eines sinubronchialen Syndroms. Hierin stimmen Prof. Dr. L. und Prof. Dr. S. überein. Prof. Dr. S. hat aber überzeugend darauf hingewiesen, dass die im Expositionstest gegenüber Kolophonium signifikant aufgetretene obstruktive Ventilationsstörung während der beruflichen Tätigkeit zu einer wesentlichen Ausbildung der obstruktiven Atemwegserkrankung beitragen hat. Hierfür spricht zum einen die über Jahrzehnte währende erhebliche Exposition mit Werten, die über den MAK-Werten gelegen haben und zum anderen die heftige Reaktion des Klägers auf Kolophonium. Demgegenüber hat der Kläger - obgleich er an einer unspezifischen Hyperreagibilität leidet - weder auf Talkum noch auf Leiterplattenreiniger noch auf Schimmelpilz übermäßig reagiert. Wie diese Provokationstests gezeigt haben, hat der Kläger gerade nicht auf jeden beliebigen chemisch-irritativen Stoff oder jedes beliebige Stoffgemisch mit einer Atemwegsobstruktion reagiert. Eine Verursachung der obstruktiven Atemwegserkrankung durch eine Hyperreagibilität des Klägers gegenüber außerberuflich verwendeten Chemikalien wie Haushaltschemikalien ist daher auszuschließen.

Schließlich hat der Kläger am 30. April 2000 die atemwegsbelastende Tätigkeit aufgegeben. Nach dem 30. April 2000 hat er nach den Feststellungen des TAD keine Lötarbeiten mehr ausgeführt. Die Aufgabe dieser Tätigkeit entsprach auch der Empfehlung von Dres. A., B v d H und D, inhalative Belastungen strikt zu vermeiden.

Die Berufskrankheit der Nr. 4302 kann demgegenüber nicht auf eine Exposition gegenüber Cyclohexanon gestützt werden. Es steht nicht mit der erforderlichen an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger während der Ausführung von Siebdruckarbeiten einer Exposition gegenüber Cyclohexanon ausgesetzt war. Der TAD schließt dies nicht aus, kann aber aufgrund der fehlenden Angaben zu den verwendeten Lösungsmitteln keine positive Feststellung treffen.

Der Kläger hat einen Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. Der Senat folgt hier der Einschätzung von Prof. Dr. S ... Gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte einen Anspruch auf eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 v. H. gemindert ist. Dabei wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch eine abstrakte Bemessung des Unfallschadens gebildet und beruht auf freier richterlicher Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung etablierten allgemeinen Erfahrungssätze aus der Rechtsprechung und dem einschlägigen Schrifttum (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 RSozR 4-2700 § 56 Nr. 1).

Nach den allgemeinen Erfahrungssätzen wird für eine leichte Bronchitis eine Minderung der Erwerbsfähigkeit zwischen 10 und 20 v. H. und bei einer stärkeren Bronchitis mit Auswurf und Atembeschwerden zwischen 30 und 60 v. H. angenommen (Bereiter-Hahn, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2010; J 014). Allein durch die bei dem Kläger bestehenden und durch die Exposition wesentlich hervorgerufenen Atembeschwerden ist die Einschätzung von Prof. Dr. S. mit 30 v. H. gerechtfertigt. Mit einer leichten Bronchitis sind die Beschwerden des Klägers nicht vergleichbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Voraussetzungen des § 160 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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