L 6 U 160/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 118/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 160/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger über den 31. Januar 2004 hinaus Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vom Hundert (vH) zu gewähren ist.

Der 1941 geborene Kläger rutschte am 21. Mai 2003 bei versicherter Tätigkeit von einem Maschinenrahmen ab und zog sich hierbei eine vordere Luxation der linken Schulter mit einem Abbruch des Tuberculum majus (großer Oberarmhöcker am Oberarmknochenkopf) und einer inkompletten Armplexusparese zu.

Nach unter Narkose erfolgter Reposition der Schulter und bis zum 5. Oktober 2003 bestehender Arbeitsunfähigkeit des Klägers veranlasste die Beklagte zur Feststellung und Bewertung der Unfallfolgen eine Begutachtung durch den Facharzt f. Chirurgie und Handchirurgie Dr. B. nach ambulanter Untersuchung am 5. Januar 2004. Dieser diagnostizierte als Unfallfolgen eine Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenkes, eine Einschränkung der Kraft des linken Armes, eine in Rückbildung befindliche inkomplette untere Armplexusparese links sowie eine knöchern in guter Stellung verheilte Tuberculummajus-Fraktur. Die MdE sei für die Zeit vom 6. Oktober 2003 bis zum 5. Januar 2005 mit einem Grad um 20 vH und danach um 10 vH zu bewerten. Klinisch hielt Dr. B. eine gering verschmächtigte Muskelkappe des vorderen Deltamuskels links, eine geringe Muskelmassenminderung im Bereich des linken Oberarmes (Umfangmaße seitengleich), ein unauffälliges Hautkolorit und eine ebenfalls regelrechte Venenzeichnung beiderseits fest. Bei der Palpation sei in Höhe des Tuberculum majus ein Druckschmerz auslösbar. Im Bereich des V. Fingers der linken Hand bestehe ein Sensibilitätsdefizit, ansonsten sei die Neurologie nicht eingeschränkt. Die periphere Durchblutung sei intakt; der Faustschluss beider Hände sei im Seitenvergleich fest möglich. Den Spitz-, Fein- und Hakengriff führe der Kläger bis auf eine sehr zögerliche Opposition des V. Fingers der linken Hand mit dem Daumen zügig vor. Die aktive Bewegung im linken Schultergelenk sei seitwärts bis maximal 80° möglich; passiv sei die Schulter bis 120° aufdehnbar (Armbewegung rückwärts/vorwärts 30-0-140°, Armdrehung auswärts/einwärts bei anliegendem Oberarm 40-0-90° – Vergleichswerte rechts 40-0-180° bzw. 70-0-90°). Der Nackengriff sei im Gegensatz zum Schürzengriff zögerlich durchführbar. Sonographisch zeige sich ein regelrechter Verlauf der linken Bizepssehne ohne Erguss sowie eine im Seitenvergleich ausgedünnte linke Rotatorenmanschette, die jedoch keine Defekt- und Retraktionszeichen aufweise. Bei seiner Nachuntersuchung am 10. März 2004 gab der Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie des Kreiskrankenhauses G. O. Dr. H. eine auffällige Muskelminderung im Bereich des Musculus supraspinatus und infraspinatus links an. An der lateralen Handkante links habe der Kläger Gefühlsstörungen angegeben; motorische Ausfälle lägen nicht vor. Der Nackengriff sei nahezu vollständig möglich; bei der Ausführung des Schürzengriffs sei eine endgradige Einschränkung links erkennbar. Die Außenrotation des linken Schultergelenkes sei hälftig gestört. Bei der seitwärtigen Bewegung setzten ab 30 bis 40° Ausweichbewegungen ein, ansonsten würden 80° erreicht.

Mit Bescheid vom 9. Juni 2004 erkannte die Beklagte den Unfall mit einer endgradigen Einschränkung der Beweglichkeit im linken Schultergelenk, einer verminderten Kraft des linken Armes sowie geringen Sensibilitätsstörungen und Missempfindungen im Bereich des V. Fingers links nach konservativ behandelter, knöchern in guter Stellung verheilter Fraktur des Tuberculum majus links mit in Rückbildung befindlicher inkompletter Armplexusparese als Arbeitsunfall an und gewährte dem Kläger für die Zeit vom 6. Oktober 2003 bis zum 31. Januar 2004 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH. Über diesen Zeitraum hinaus sei die Erwerbsfähigkeit nicht mehr auf einen rentenberechtigenden Grad herabgesetzt.

Hiergegen erhob der Kläger unter Berufung auf die abweichende ärztliche MdE-Bewertung am 1. Juli 2004 Widerspruch.

Die Beklagte beauftragte den Chefarzt der Klinik f. Unfall- und Handchirurgie des Städtischen Klinikums. D. Dr. Z. mit der Erstattung des Gutachtens vom 19. August 2004. Dieser beschrieb im Rahmen seiner Untersuchung am 18. August 2004 einen Schultergeradstand mit geraden Armachsen und eine rosige Hautfarbe. Blutabflussstörungen bei hängenden Armen seien nicht zu finden. Die Hohlhandbeschwielung sei schwach, jedoch an Intensität und Verteilung seitengleich ausgeprägt. Eine Muskelminderung des rechten und linken Schultergürtels sowie beider Ober- und Unterarme sei auch sonographisch nicht zu erkennen. Die Handbinnenmuskulatur zeichne sich beiderseits seitengleich ab. Der Nacken- und Schürzengriff sei links gering eingeschränkt. Sämtliche primäre Greifformen (Grob-, Spitz- und Zangengriff) könne der Kläger uneingeschränkt ausführen. Bei der aktiven Bewegung der linken Schulter demonstriere er in nahezu alle Richtungen eine Funktionseinschränkung (seitwärts/körperwärts 75-0-20°, rückwärts/vorwärts 30-0-120°; Armdrehung auswärts/einwärts bei anliegendem Oberarm 30-0-90° – rechts 170-0-35° bzw. 65-0-165° bzw. 60-0-90°). Passiv finde sich dagegen nur eine endgradige Bewegungsstörung bei der Seit- und Vorwärtshebung. Klinische Hinweise auf eine Schädigung der Rotatorenmanschette oder eine Instabilität des linken Schultergelenkes lägen nicht vor. Die Neurologie sei intakt. Röntgenologisch zeigten sich eine regelrechte Artikulation des linken Oberarmkopfes mit der Schultergelenkpfanne und eine in anatomischer Stellung knochenfest verheilte Tuberculummajus-Fraktur. Im Ergebnis schätzte Dr. Z. die MdE um 10 vH ein und empfahl die Einholung eines neurologischen Zusatzgutachtens. Außerhalb der Beweglichkeitsprüfung habe der Kläger seinen linken Arm bei der Seitwärtshebung durchaus über der Horizontalen halten können. Mangels erkennbarer Minderung der Schultergürtelmuskulatur sei auch keine Inaktivitätsatrophie objektivierbar, die bei wesentlicher Funktionseinschränkung zu erwarten sei.

In seinem daraufhin erstellten Zusatzgutachten vom 28. September 2004 führte der Direktor der Klinik f. Neurologie der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B. H. Prof. D ... M. nach neurophysiologischer Zusatzuntersuchung am 27. September 2004 aus, dass beim Kläger lediglich ein leichtgradiges Defektresiduum nach der Läsion des unteren Armplexus links ohne motorische Störungen bestehe. Dieses sensible Defizit im Bereich des V. Fingers der linken Hand sei ohne wesentliche funktionelle Relevanz und bedinge eine MdE um unter 10 vH.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Befunde zeigten, dass die Unfallfolgen ab dem 1. Februar 2004 keine MdE um mindestens 20 vH mehr bedingten. Ein solcher Grad bestehe nach den Erfahrungswerten erst, wenn der betroffene Arm im Schultergelenk nicht mehr über 90° angehoben werden könne. Sowohl bei der Untersuchung am 5. Januar 2004 als auch bei derjenigen am 18. August 2004 habe der Kläger den linken Arm bis 140 bzw. 120° vorheben können. Da auch keine wesentlichen neurologischen Einschränkungen bestünden, sei dem Vorschlag von Dr. B. nicht zu folgen.

Am 16. Dezember 2004 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) D. Klage erhoben und geltend gemacht, dass er den linken Arm laut der Gutachten der Dres. B. und Z. aktiv nur bis 80 bzw. 75° seitwärts heben könne. Damit sei die Unterschreitung des von der Beklagten angeführten Wertes von 90° belegt und ein Rentenanspruch gerechtfertigt. Auf seinen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG von dem Direktor der Klinik f. Unfallchirurgie der Universität M. Prof. Dr W. das Gutachten vom 7. Juli 2006 nach ambulanter Untersuchung am 6. Juli 2006 eingeholt. Dieser hat einen größeren Einsatz des rechten gegenüber dem linken Arm beim Ausziehen des Hemdes ohne Schmerzäußerungen dokumentiert. Die Muskulatur beider Arme sei seitengleich entwickelt. Die Handflächen und Handrücken wiesen Gebrauchsspuren und eine seitengleiche Beschwielung auf. Der Scheitel- und Nackengriff sei links möglich; der Schürzen- und Steißbeingriff sei links sicher durchführbar. Bei der Palpation der linken Schulterregion lasse sich ein mäßiger Druckschmerz auslösen. Die Seitwärtshebung des linken Armes könne bei 90° kraftvoll nur wenige Sekunden gehalten werden; passiv sei eine Bewegung bis 110° möglich, dann trete ein schmerzhaftes Gegenspannen auf (Beweglichkeit seitwärts/körperwärts 90-0-60°, rückwärts/vorwärts 40-0-120°; Armdrehung auswärts/einwärts bei anliegendem Oberarm 20-0-90° – rechts 180-0-60° bzw. 50-0-180° bzw. 50-0-90°). Die Daumenspitze könne die Kuppe des linken Kleinfingers nur mühsam erreichen. Die MdE betrage 20 vH, wobei die aktiven und nicht die passiv erreichbaren Bewegungsmaße entscheidend seien.

Die Beklagte hat hierzu eingewandt, Prof. D ... W. MdE-Vorschlag überzeuge nicht, da auch er eine Vorwärtshebung des Armes bis 120° bestätigt habe. Demnach liege die MdE nach den Erfahrungswerten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Abschn. 8.4.4, S. 604) unter 20 vH.

Mit Urteil vom 29. November 2006 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 9. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2004 abgeändert und diese verurteilt, dem Kläger über den 31. Januar 2004 hinaus Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH zu zahlen. Zur Begründung hat es sich auf die Beurteilung von Prof. D ... W. gestützt.

Gegen das ihr am 18. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22. Dezember 2006 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt und vertiefend vorgetragen, alle drei Sachverständigen. hätten eine aktive Vorwärtshebung des linken Armes bis mindestens 120° dokumentiert. Da auch die Vor- und Rückhebung, die Seit- und Körperwärtshebung sowie die Ein- und Auswärtsdrehung nicht konzentrisch um die Hälfte eingeschränkt seien, sei nach den Erfahrungswerten keine MdE um mindestens 20 vH zu begründen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 29. November 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des SG.

In seiner auf Anforderung des Senats gefertigten ergänzenden Stellungnahme vom 5. Februar 2008 hat Prof. D ... W. zu seinem MdE-Vorschlag dargelegt, bei der Untersuchung am 6. Juli 2006 hätten sich Einschränkungen dahingehend ergeben, dass der Kläger zur Ausführung des Scheitel- und Nackengriffs den Kopf habe nach links neigen müssen. Den seitwärts um 90° gehobenen linken Oberarm habe er nur wenige Sekunden halten können, was z.B. der Durchführung von Überkopfarbeiten entgegen stehe. Die Seitwärtsführung und die Auswärtsdrehung des linken Armes seien gegenüber rechts um die Hälfte, die Vorwärtshebung um ein Drittel eingeschränkt gewesen. Schließlich sei aufgefallen, dass der Kläger seine Oberbekleidung unter vermehrter Verwendung des rechten Armes ausgezogen habe.

Die Beklagte hat hierzu im Wesentlichen angemerkt, Prof. D ... W. habe die Unfähigkeit, den linken Arm über längere Zeit seitwärts in der Horizontalen zu halten, auf die für die Bemessung der MdE vorrangig maßgebliche Vorhebung übertragen, was unzulässig sei. Überdies sei beim Hinweis auf Überkopfarbeiten zu beachten, dass insoweit regelmäßig beide Arme genutzt würden und der Kläger Rechtshänder sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 SGG statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Denn der Bescheid der Beklagten vom 9. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2004 beschwert den Kläger deshalb im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil er Anspruch auf Fortzahlung der Verletztenrente über den 31. Januar 2004 hinaus hat.

Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge des Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 vH gemindert ist. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die Höhe der MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft, die in Form von Tabellenwerten oder Empfehlungen zusammengefasst sind (siehe etwa bei Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand März 2010, K § 56, Anhang V). Diese sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige d. Gericht zur Höhe der MdE unterbreitet (vgl. nur Bundessozialgericht, Urteil vom 18. März 2003 – B 2 U 31/02 R – Breithaupt 2003, 565 ff.; Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 RSozR 4-2700 § 56 Nr. 1).

Ausgehend hiervon lassen die Unfallfolgen eine Bemessung mit einer MdE um 20 vH zu. Dabei folgt der Senat im Ergebnis Prof. D ... W., dessen Empfehlung sich in der Bandbreite der einschlägigen Erfahrungswerte bewegt. Demgegenüber entspricht der Vorschlag von Dr. Z. nicht mehr den Tabellenwerten in ihrer aktuellen Fassung. Wurde eine konzentrische Bewegungseinschränkung der Schulter um die Hälfte (Vor- und Rückhebung, Ein- und Auswärtsdrehung sowie An- und Abspreizung) früher mit einer MdE um 30 bewertet, für eine Einschränkung der Vorwärtshebung im Schultergelenk bis 90° eine MdE um 20 vH angesetzt und für eine bis 120° mögliche Vorhebung eine MdE um 10 vH veranschlagt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., 7. Aufl., Abschn. 8.4.4, S. 604; ähnlich Kranig, a.a.O., S. 56, dessen Tabelle den Stand September 1997 abbildet), wird nunmehr für eine Bewegungseinschränkung vorwärts/ seitwärts bis 90° bei freier Rotation eine MdE um 20 vH für gerechtfertigt gehalten. Bei einer Beweglichkeit nach vorn/seitwärts bis 120° und uneingeschränkter Drehfähigkeit wird von einer MdE um 10 vH ausgegangen. Eine konzentrische Bewegungseinschränkung vorwärts/seitwärts sowie ein/auswärts um die Hälfte wird jetzt mit einer MdE um 25 vH bemessen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O, 8. Aufl. 2010, Abschn. 8.4.7, S. 523; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, Stand Juli 2010, Anhang 12, J 028; Ludolph/Schürmann/Gaidzik, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, Stand Juli 2010, III-1.11, S. 11).

Dies zugrunde gelegt besteht beim Kläger zwar keine konzentrische Bewegungseinschränkung um die Hälfte. Denn nach den von Dr. B. am 5. Januar 2004 erhobenen Untersuchungsbefunden konnte der Kläger seinen linken Arm im Schultergelenk seitwärts/vorwärts bis 80 bzw. 140° anheben und ist ihm die Rotation bis 40° möglich gewesen, wohingegen mit dem rechten Arm Bewegungswerte bis jeweils 180 bzw. 70° zu erreichen waren. Dies entspricht einer etwa hälftigen Einschränkung der Seitwärtsführung sowie der Auswärtsdrehung des linken Armes im Verhältnis zur rechten Seite und einer knapp um ein Drittel geminderten Vorwärtshebung. Eine vergleichbare Situation liegt angesichts der von Dr. Z. am 18. August 2004 gemessenen Bewegungswerte von seitwärts/vorwärts 75 bzw. 120° sowie auswärts 30° vor, da mit dem rechten Arm Werte von 170 bzw. 165° für die Hebung seitwärts und vorwärts sowie 60° für die Rotation dokumentiert sind. Schließlich hat auch Prof. D ... W. im Rahmen seiner am 6. Juli 2006 durchgeführten ambulanten Untersuchung eine Beweglichkeit des linken Armes nach vorn und zur Seite von 90 bzw. 120° sowie 20° für die Auswärtsdrehung festgehalten, am rechten Arm Entsprechungswerte von jeweils 180° für die Seit- und Vorwärtshebung bzw. 50° für die Rotation gefunden und ist folgerichtig von keiner konzentrischen Bewegungseinschränkung um die Hälfte ausgegangen. Demnach ist eine MdE um 25 vH nicht zu begründen.

Auf Grundlage der genannten Bewegungsprüfungen ist auch keine alleinige Funktionseinschränkung der Vorwärtshebung des linken Armes bis 90° zu sichern. Denn insoweit erreichte der Kläger bei allen gutachtlichen Prüfungen einen (aktiven) Funktionswert bis mindestens 120°. Andererseits ist jedoch ebenso durchgehend eine Einschränkung der (aktiven) Bewegung des linken Armes zur Seite von 80, 75 bzw. maximal 90° und überdies gerade keine freie, sondern eine hälftig eingeschränkte Rotation nachgewiesen (s.o.). Dass gerade auch ihr keine lediglich unwesentliche Bedeutung zukommt, wird daran deutlich, dass eine Teilversteifung des Schultergelenks bei behinderter Drehbeweglichkeit mit einer MdE um 30 vH bewertet wird, wohingegen bei freier Rotation eine MdE um 20 vH angesetzt wird (Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Aufl. 2010, S. 159). Kann der Kläger die linke Schulter nur noch vorwärts, aber nicht mehr zur Seite über 90° heben, liegt – neben der Rotationshemmung – eine erhebliche Beeinträchtigung der dreidimensionalen Schulterfunktion vor, die etwa die Durchführung von Überkopfarbeiten wesentlich erschwert bzw. insgesamt ausschließt. Solche Verrichtungen werden nämlich regelmäßig mit beiden Armen ausgeführt, wie die Beklagte zutreffend hervorgehoben hat. Folglich sind die Voraussetzungen erfüllt, die bei einer Funktionseinschränkung der Schulter nach dem derzeitigen Stand der Erfahrungswerte eine Bemessung mit einer MdE um 20 vH rechtfertigen.

Dem im linken Schultergelenk des Klägers belegten Funktionsdefizit widerspricht auch nicht die fehlende Muskelatrophie. Denn wenn der Fähigkeit, den Arm im Schultergelenk bis maximal zur Horizontalen anzuheben, nach den Erfahrungswerten eine höhergradige MdE eingeräumt wird als über den Grenzwert von 90° hinaus, werden hiervon zwar auch Betroffene mit einer (weit) unter diesem Maß liegenden Beweglichkeit erfasst. Insoweit können wegen einer deutlich eingeschränkten Funktion auch inaktivitätsbedingte Muskelatrophien auftreten. Bleibt – wie beim Kläger – die Fähigkeit zu Verrichtungen bis zur Brusthöhe und im darunter liegenden Bereich (z.B. das Anheben von Lasten) im Wesentlichen bestehen, ist eine entsprechende Reaktion aber nicht zwingend zu erwarten, worauf Prof. D ... W. nachvollziehbar hingewiesen hat.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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