L 1 R 427/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stendal (SAN)
Aktenzeichen
S 6 RA 79/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 427/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 31. August 2006 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Feststellungen der Beklagten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem.

Der 1950 geborene Kläger ist ausweislich der Urkunde der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik M vom Juli 1974 berechtigt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Er war danach wie folgt beschäftigt:

- 1. September 1974 bis zum 31. Dezember 1980: Bauleiter und ab 1. Januar 1980 Ingenieur für E-Technik beim VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau. - 1. Januar 1980 bis zum 31. Dezember 1981: Leiter Investrealisierung E-Technik, Abteilungsleiter Anlagenerhaltung sowie Abteilungsleiter Hauptmechanik beim VEB Rohrleitungsbau F., Betriebsteil S. (delegiert vom VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau). - 1. Januar 1982 bis zum 30. Juni 1990: zunächst Gruppenleiter E-Technik, dann Bauleiter, Abteilungsleiter Lagerwirtschaft und zuletzt – ab 1. Januar 1986 – Hauptabteilungsleiter Zentrale Lagerwirtschaft und Transport beim VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau.

Vom 1. April 1984 bis zum 30. Juni 1990 zahlte er Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR). Eine schriftliche Versorgungszusage erhielt er während des Bestehens der DDR nicht.

Den Antrag des Klägers vom 24. Oktober 2003 auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Dezember 2003 mit der Begründung ab, er habe am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung ausgeübt, die aus bundesrechtlicher Sicht dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Als Hauptabteilungsleiter Zentrale Lagerwirtschaft sei er nicht als Ingenieur beschäftigt gewesen. Dagegen legte der Kläger am 19. Januar 2004 Widerspruch ein und begründete diesen damit, dass er als Hauptabteilungsleiter Zentrale Lagerwirtschaft und Transport für die technologischen Ausrüstungen auf der Baustelle des Kernkraftwerks Stendal verantwortlich gewesen sei. Das habe den Wareneingang, die Lagerung und Werterhaltung sowie den fachgerechten Transport zum Montageort auf der Baustelle beinhaltet. Ausweislich des Funktionsplanes sei für diese Tätigkeit ein Hoch- bzw. Fachschulabschluss einer technischen Fachrichtung mit langjähriger Berufserfahrung erforderlich gewesen. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2004 mit derselben Begründung wie im Ausgangsbescheid zurück.

Dagegen hat der Kläger am 26. Juli 2004 Klage beim Sozialgericht (SG) Stendal erhoben. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Hauptabteilungsleiter Zentrale Lagerwirtschaft und Transport sei er mit der Zwischenlagerung und Qualitätskontrolle bis hin zur Auslieferung betraut gewesen. Dabei habe er technische Fragen zum Lagervorgang beurteilen müssen. Er sei auch mit der Planung einer Lagerhalle betraut worden. Ferner sei er für den Einsatz der Krananlagen verantwortlich gewesen. Die Aufgaben des VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau hätten sowohl in der Projektierung als auch in der Bauausführung bestanden, wobei letztere häufig an andere Betriebe übertragen worden seien. Es seien Gaskraftwerke, Wasserkraftwerke, Pumpenspeicherwerke sowie Atomkraftwerke gebaut worden.

Das SG hat Registerunterlagen zum VEB Bergmann-Borsig (Stammbetrieb des Kombinates Kraftwerksanlagenbau) beigezogen und die Klage schließlich mit Gerichtsbescheid vom 31. August 2006 abgewiesen. Der Kläger habe am 30. Juni 1990 nicht als Ingenieur in der (eigentlichen) Produktion gearbeitet, sondern als Hauptabteilungsleiter Zentrale Lagerwirtschaft und Transport lagerwirtschaftliche und damit verwaltende Aufgaben erfüllt. Insoweit sei es unerheblich, dass die Stelle für einen Ingenieur ausgeschrieben gewesen sei.

Gegen den ihm am 6. September 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20. September 2006 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit habe eindeutig im produktionsbezogenen ingenieurtechnischen Bereich gelegen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 31. August 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. September 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 31. August 2006 zurückzuweisen.

Sie hält den Gerichtsbescheid des SG für zutreffend. Es seien weder die sachlichen noch die betrieblichen Voraussetzungen für eine fiktive Einbeziehung erfüllt.

Der Senat hat von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben Umwandlungsunterlagen zum VEB Bergmann-Borsig (Stammbetrieb des VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau) sowie vom Amtsgericht Charlottenburg Registerunterlagen zum VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau – Stammbetrieb – (mit Wirkung vom 1. Januar 1985 dem VEB Bergmann-Borsig – Stammbetrieb des VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau – angegliedert) und zum VEB Bergmann-Borsig sowie schließlich das Statut des VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau vom 20. Dezember 1978 beigezogen und an die Beteiligten übersandt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist unbegründet, weil der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2004 rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 und § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem festgestellt werden. Er unterfällt nicht dem Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, weil er weder tatsächlich noch im Wege der Unterstellung der AVItech (Zusatzvorsorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) angehörte.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Art. 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 11).

Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Falle nicht stattgefunden.

Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, dass der Senat nicht der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG folgt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann (siehe unter I.), da auch die dafür vom BSG aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen (II.).

I.

Der Senat ist zum Einen nicht der Auffassung, dass das AAÜG den Kreis der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen erweitert und das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 12). Erst diese Annahme führt jedoch zu einer vom BSG behaupteten Ungleichbehandlung ("Wertungswiderspruch"), die durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu korrigieren sei. Zum Anderen ist der Senat der Ansicht, dass, wenn die Annahme des BSG tatsächlich zutreffen sollte und mit dem AAÜG der einbezogene Personenkreis erweitert worden ist, zumindest keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich ist, da die behauptete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen hätte das BSG wegen des von ihm unterstellten "Wertungswiderspruchs" keine erweiternde Auslegung vornehmen dürfen, sondern eine konkrete Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) veranlassen müssen. Denn die vom BSG vorgenommene Rechtsfortbildung überschreitet nach Auffassung des erkennenden Senats die sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergebenden Grenzen der richterlichen Entscheidungsbefugnis, weil der eindeutige Wortlaut des § 1 Abs. 1 AAÜG die vom BSG vorgenommene Interpretation nicht hergibt. Es ist deshalb schon nicht möglich, die bei einem unklaren oder nicht eindeutigen Wortlaut heranzuziehenden einschlägigen Auslegungskriterien anzuwenden (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 10 EG 1/08 R – juris, Rdnr. 19). Auch für eine richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie fehlt es – wie noch auszuführen sein wird – an der erforderlichen Regelungslücke.

In den Gesetzesmaterialien findet sich kein Hinweis dafür, dass durch das AAÜG außer den Personen, die durch einen nach Art. 19 EVertr bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – a.a.O., S. 11), weitere Personen einbezogen werden sollten (siehe BTDrs. 12/405, S. 113, 146; BTDrs. 12/786, S. 139; II A, IV A; BTDrs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird in den Gesetzesmaterialien immer auf den EVertr Bezug genommen. Zwar wird dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des EVertr zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe (BTDrs. 12/405, S. 113). Aus der weiteren Gesetzesbegründung ist jedoch ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechnung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelüberprüfung und der Kostenerstattung durch den Bund beziehen (a.a.O., S. 113, 114). Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Auch bei der Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem EVertr vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (BTDrs. 12/405, S. 146).

Auch überzeugt den Senat nicht, dass aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auf eine Modifizierung des Verbots der Neueinbeziehung zu schließen sei (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – a.a.O., S. 12). In den Gesetzesmaterialien findet sich nämlich kein Anhaltspunkt für die vom BSG vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Der Gesetzgeber benutzt im Gegenteil auch zur Beschreibung des Personenkreises des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, der auch nach Ansicht des BSG konkret einbezogen war (BSG, a.a.O., S. 12), den Terminus "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" (BTDrs. 12/826, S. 21) und nicht etwa "Einbeziehung in ein Versorgungssystem".

Der Gesetzgeber ging auch, soweit erkennbar, nicht davon aus, dass die in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochene Personengruppe eine Erweiterung der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen darstellt. Ursprünglich war Satz 2 in der Gesetzesvorlage nicht enthalten (BTDrs. 12/405, S. 77). Erst in den Ausschussberatungen wurde dann die Anfügung des Satzes 2 empfohlen (BTDrs. 12/786, S. 139). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Anfügung nur eine Klarstellung bedeute (BTDrs. 12/826, S. 21). Der Gesetzgeber nahm also an, dass diese Personengruppe ohnehin von Satz 1 und vom Überführungsauftrag des EVertr umfasst ist.

Auch mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG (über den Wortlaut hinaus) lässt sich ein Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung nicht begründen (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R – a.a.O., S. 12).

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist jedoch nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Das Grundrecht wird indes verletzt, wenn eine Gruppe von Rechtsanwendungsbetroffenen anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z.B. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. – juris, Rdnr. 36).

Für den Senat ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb das BSG der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, also der Personen, die irgendwann vor dem 30. Juni 1990 (aber nicht am 30. Juni 1990) konkret einbezogen waren (BSG, a.a.O.), die Personengruppe gegenüberstellt, die nie konkret einbezogen war, aber zumindest am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatte. Verfassungsrechtlich relevant ist nämlich nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (z. B. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 – 1 BvF 1/05 – juris, Rdnr. 89). Hier unterscheiden sich jedoch die Tatbestände in wesentlichen Gesichtspunkten. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG knüpft nämlich an ein in der Vergangenheit verliehenes Versorgungsprivileg an, welches ein Bedürfnis nach der im AAÜG vorgesehenen Sonderprüfung der Rentenwirksamkeit erzielter Arbeitsentgelte anzeigt. Bei Personen, die nie in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, besteht ein solches Bedürfnis hingegen nicht.

Richtiger wäre es nach Ansicht des Senats ohnehin, der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als Vergleichsgruppe die Personen gegenüberzustellen, die nicht konkret einbezogen waren, irgendwann vor dem – aber nicht am – 30. Juni 1990 jedoch alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatten.

Das Bundesverfassungsgericht führt zum Vergleich dieser Personengruppen aus (Beschluss vom 26. Oktober 2005, a.a.O., Rdnr. 45):

"Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrs. 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis (gemeint ist der Personenkreis, der irgendwann vor dem 30. Juni 1990, aber nicht am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatte) hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der Deutschen Demokratischen Republik zu keinem Zeitpunkt inne. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Personenkreis den durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtlichen Renteneinheit zu untersagen."

Die gleichen Überlegungen gelten für einen Vergleich zwischen den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG betroffenen Personen und denjenigen, die nach der Rechtsprechung des BSG vom fiktiven Anspruch profitieren sollen. Auch die fiktiv in den Anwendungsbereich des AAÜG Einbezogenen hatten zu Zeiten der DDR keine Rechtsposition inne, die ihnen einen Zugang zu einer zusätzlichen Altersversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem ermöglicht hätte. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Diese Punkte lässt das BVerfG genügen, um eine Ungleichbehandlung mit den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen zu rechtfertigen. Dasselbe muss dann auch bei einem Vergleich der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen und den Personen gelten, die am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem erfüllt hatten.

Aus diesen Gründen liegt auch keine Gesetzeslücke vor, die möglicherweise im Wege einer Analogie zu schließen gewesen wäre.

Im Übrigen hat auch die Bundesregierung mehrfach betont, dass das AAÜG nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers nur anwendbar sein sollte, wenn eine ausdrückliche Versorgungszusage vorliegt (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BTDrs. 16/11127 vom 28. November 2008; Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Franz-Josef Lersch-Mense auf eine Frage der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, BTDrs. 16/13916 vom 21. August 2009). Sie hat darauf hingewiesen, dass Verdienste oberhalb von 600 Mark für Beschäftigungszeiten ab März 1971 ohne Versorgungszusage wie bei allen übrigen Versicherten, die keinem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem angehört haben, nur bei entsprechenden Beitragszahlungen zur FZR rentenrechtlich hätten berücksichtigt werden können. Dieser Hinweis der Bundesregierung auf die FZR ähnelt der soeben dargestellten Argumentation des Bundesverfassungsgerichts.

II.

Nach der Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. I S. 844, VO-AVItech) i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech vom 24. Mai 1951 (GBl. I S. 487, 2. DB) von drei Voraussetzungen ab, die alle zugleich vorliegen müssen. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für (1.) Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und (2.) die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar (3.) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Nach der Rechtsprechung des BSG müssen diese drei Voraussetzungen, damit das AAÜG überhaupt anwendbar ist, am 30. Juni 1990 vorgelegen haben. Bei Beachtung dieser Voraussetzungen hatte der Kläger am 1. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech, da die betriebliche Voraussetzung nicht erfüllt ist. Eine Versorgungsanwartschaft konnte nur bei einer Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb in der Industrie oder im Bauwesen oder in einem gleichgestellten Betrieb erworben werden (BSG, Urteil vom 10. April 2002 – B 4 RA 10/02 R – SozR 3–8570 § 1 Nr. 5, S. 30). Der Begriff des Produktionsbetriebes erfasst nach der Rechtsprechung des BSG nur solche Betriebe, die Sachgüter im Hauptzweck industriell gefertigt haben. Der Betrieb muss auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 41/01 R – SozR 3–8570 § 1 Nr. 6 S. 47; Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – juris). Das BSG setzt industriell und serienmäßig wiederkehrend ausdrücklich gleich (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 14/03 R –, juris, dort Rdnr. 28). Schließlich muss die industrielle Serienproduktion dem Betrieb das Gepräge gegeben haben. Im Bereich des Bauwesens erfasst der Begriff des Produktionsbetriebes nur solche Betriebe, deren Hauptzweck in der Massenproduktion von Bauwerken liegt, die dabei standardisierte Produkte massenhaft ausstoßen und eine komplette Serienfertigung von gleichartigen Bauwerken zum Gegenstand haben (BSG, Urteil vom 8. Juni 2004 – B 4 RA 57/03 RSozR 4-8570 § 1 Nr. 3 S. 20 f.).

Ausgehend hiervon gab dem VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau, dem Beschäftigungsbetrieb des Klägers am 30. Juni 1990, nicht die Massenproduktion von Bauwerken oder sonstigen Sachgütern das Gepräge. Die Aufgaben des Kombinates sind in § 3 des Statuts vom 20. Dezember 1978 bezeichnet. Dort wird keine Serienproduktion erwähnt. Stattdessen war das VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau für folgende Aufgaben zuständig:

– Wahrnehmung der Generalauftragnehmerschaft für die planmäßige Vorbereitung, Projektierung, Errichtung und Inbetriebsetzung kompletter Kraftwerke. – Wahrnehmung der Hauptauftragnehmerschaft durch die Kombinatsbetriebe für die zu erbringenden Leistungen. – Entwicklung und Produktion von Erzeugnissen und Zuliefererzeugnissen sowie die Durchführung von Rohrleitungsmontagen und Industrieisolierungen im Rahmen der Liefer- und Leistungsordnungen der Betriebe des Kombinats. – Mitwirkung in den Organen des Rates gegenseitiger Wirtschaftshilfe (RGW), den internationalen ökonomischen Organisationen der Mitgliedsländer des RGW sowie in den Wirtschaftsausschüssen und ihren Arbeitsorganen zu Fragen des Industriezweiges. – Erfüllung der Aufgaben auf dem Gebiet des Exports.

Im Kern ging es also um die Errichtung kompletter Kraftwerke, wobei hinsichtlich der eigentlichen Bauausführung auf kombinatsangehörige Zulieferbetriebe (vgl. die Aufzählung in § 2 des Statuts) zurückgegriffen wurde. Dass es sich insoweit nicht um Massenproduktion im Sinne des fordistischen Produktionsmodells gehandelt haben kann, liegt auf der Hand. Der Bau eines Kraftwerkes dauert regelmäßig mehrere Jahre; hinzu kommt ein mehrjähriger Planungsvorlauf. So begann z.B. der Bau des Kernkraftwerkes Stendal, an dem der Kläger beteiligt war, im Dezember 1982; Ende 1991 sollte der Block 1 ans Netz gehen (sh. www.wikipedia.de). Hinzu kommt, dass die Kraftwerke nicht alle gleich sind, sondern nach den Vorstellungen der Auftraggeber zur Art (z.B. Gas-, Wasser- oder Atomkraftwerk) und zur Größe bzw. Leistungsstärke sowie abhängig von den jeweiligen Standortbedingungen konzipiert sind. Einzelne Komponenten mögen gleich sein (wobei auch insoweit eine massenhafte Serienproduktion kaum vorstellbar ist), aber kein Kraftwerk gleicht dem anderen vollständig.

Der VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau war auch kein gemäß § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellter Betrieb im Sinne eines Versorgungsbetriebes. Denn seine Aufgabe war nach § 3 des Statuts in erster Linie die Vorbereitung, Projektierung, Errichtung und Inbetriebsetzung kompletter Kraftwerke. Der Betrieb war also für den Bau verantwortlich. Damit war er aber kein Versorgungsbetrieb Energie. Nach der Energieverordnung vom 9. September 1976 (GBl. I S. 441) war ein Energieversorgungsbetrieb ein Betrieb im Bereich der VVB Energieversorgung, dessen unmittelbare planmäßige Aufgabe hauptsächlich darin bestand, die Energieabnehmer in einem Gebiet mit Elektroenergie, Gas und Wärmeenergie aus Versorgungsnetzen zu beliefern (§ 1 Nr. 6 Erste Durchführungsbestimmung zur Energieverordnung vom 10. September 1976, GBl. I S. 449). Diese Begriffsbestimmung über die Hauptaufgabe wurde auch nachfolgend für die Energiekombinate nach der Energieverordnung vom 30. Oktober 1980 (GBl. I S. 321) beibehalten (§ 1 Nr. 7 Erste Durchführungsbestimmung zur Energieverordnung vom 10. November 1980, GBl. I S. 330). Auch nach der letzten Energieverordnung der DDR (vom 1. Juni 1988, GBl. I S. 89) waren Energieversorgungsanlagen nur die Versorgungsnetze und Energieumwandlungsanlagen, aus denen leitungsgebundene Energieträger an Energieabnehmer geliefert wurden (Abschnitt I Nr. 8 der Anlage zur Energieverordnung 1988). Der Zweck des VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau bestand aber in der Bauausführung. Nach Fertigstellung der Kraftwerke sind die Energieversorgungsbetriebe zuständig geworden.

Der VEB Kombinat Kraftwerksanlagenbau war auch kein Forschungsinstitut oder Konstruktionsbüro im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB. Denn Forschung und Konstruktion hatten allenfalls eine sehr untergeordnete Bedeutung. Im Mittelpunkt stand der Bau von Kraftwerken von der Planung bis zur Übergabe.

Da schon die betriebliche Voraussetzung für eine fiktive Einbeziehung nicht erfüllt ist, kommt es nicht mehr darauf an, dass nach Auffassung des Senats die sachliche Voraussetzung zu bejahen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von der Rechtsprechung des BSG ab.
Rechtskraft
Aus
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