L 6 U 60/10 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 15 U 120/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 60/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 5. August 2010 wird aufgehoben.

Die Kosten des von Dr. P. erstatteten Gutachtens vom 22. April 2009 werden auf die Staatskasse übernommen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten eines auf ihren Antrag erstellten Gutachtens auf die Staatskasse.

Die Beteiligten hatten über die Anerkennung zusätzlicher Folgen eines Arbeitsunfalls vom 29. März 2001 sowie die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (vH) gestritten, nachdem dies von der Beklagten mit Bescheid vom 25. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2005 abgelehnt worden war. Vorausgegangen waren dem insbesondere die chirurgischen Gutachten der Dres. S., Ullrich und Socha vom 28. März 2003, 17. November 2003 bzw. 18. April 2005 sowie die neurologischpsychiatrischen Gutachten der Dres. M. und Prof. B. vom 27. November 2003 bzw. 13. April 2005. Die Dres. S. und Socha hatten im Ergebnis eingeschätzt, dass (vom 15. März 2002 an – so Dr. S.) eine MdE um 10 vH vorliege, wohingegen Dr. U. den Grad der unfallbedingten MdE auf insgesamt 20 vH veranschlagt hatte. Dr. M. hatte eine MdE um 20 vH empfohlen. Dagegen war von Prof. Dr. B. keine auf nervenfachärztlichem Gebiet bestehende MdE angenommen worden.

Im nachfolgenden Gerichtsverfahren hatte das Sozialgericht (SG) H. von dem Facharzt f. Neurologie und Psychiatrie Dr. B. das Gutachten vom 28. März 2008 eingeholt, wonach die bei der Klägerin bestehenden Beschwerden unfallunabhängiger Natur seien und keine messbare MdE bestehe. Hierdurch hatte sich die Beklagte vollumfänglich in ihrer Entscheidung bestätigt gesehen (Schriftsatz vom 18. April 2008).

Auf Antrag der Klägerin hatte das SG schließlich nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von der Fachärztin f. Neurologie und Psychiatrie Dr. P. das Gutachten vom 22. April 2009 eingeholt. Diese hatte im Ergebnis eine nach der erlittenen Beckenschaufelfraktur bestehende Somatisierungsstörung mit Gangstörung, Schmerzen und pseudoneurologischen Ausfällen diagnostiziert und für die Zeit vom 29. März bis 29. September 2001 eine MdE um 40 vH eingeschätzt. Seither belaufe sich diese auf einen Grad um 30 vH.

In ihrer hierzu gefertigten Stellungnahme vom ... 2009 war von der Beklagten angeboten worden, als zusätzliche Unfallfolgen endgradige Bewegungseinschränkungen im Bereich des rechten Hüftgelenks, eine geringe Muskelminderung im Bereich des rechten Beines sowie die Ausbildung eines Schmerzsyndroms mit chronifizierter Gangbildstörung nach knöchern verheiltem Beckenschaufelbruch rechts anzuerkennen, vom 15. Dezember 2001 an eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren und die Kosten des Verfahrens zu übernehmen. Zur Begründung hatte sie ausgeführt, dass die sieben im Verfahren eingeschalteten Gutachter s. über die Frage der Unfallfolgen und der sich daraus ergebenden Höhe der MdE uneineins seien. Hierbei seien vor allem die neurologischpsychiatrischen Gutachten von Bedeutung, von denen zwei Gutachter f. und zwei gegen die Anerkennung von zusätzlichen Unfallfolgen plädiert hätten. Die von Dr. P. vorgeschlagene Höhe der MdE sei anhand der einschlägigen Erfahrungswerte nicht in vollem Umfang begründbar.

Im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 6. November 2009 hatte dieses u.a. darauf hingewiesen, dass es entscheidend auf die Unfallabhängigkeit der somatoformen Schmerzstörung ankomme. Das Angebot der Beklagten war daraufhin von der Klägerin (vergleichsweise) angenommen worden; die Beteiligten hatten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Am 30. April 2010 hat die Klägerin die Übernahme der Kosten für die Einholung des Gutachtens von Dr. P. auf die Staatskasse begehrt.

Mit Beschluss vom 5. August 2010 hat das SG den Antrag abgelehnt und hierzu in den Gründen ausgeführt: Dem Gutachten sei keine eigenständige Bedeutung zugekommen. Allein der Umstand, dass eine gerichtliche Entscheidung überflüssig geworden sei, rechtfertige keine Kostenübernahme. Das Gutachten sei auch nicht Grundlage des Vergleichs gewesen, sondern vielmehr alle anderen medizinischen Unterlagen und Gutachten. Die Beteiligten hätten sich auf die von allen Sachverständigen. vertretene MdE um 20 vH verständigt; die von Dr. P. angenommene Somatisierungsstörung sei nicht als Unfallfolge berücksichtigt worden. Auch eine Erhöhung der Vergleichsbereitschaft der Beklagten durch das Gutachten liege nicht vor.

Gegen den ihr am 9. August 2010 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 1. September 2010 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschwerde eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen darauf verwiesen, dass sie ohne das auf ihren Antrag eingeholte Gutachten mit einer Klageabweisung habe rechnen müssen. Das Gutachten habe überhaupt erst die Grundlage für eine Vergleichsbereitschaft der Beklagten gebildet.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 5. August 2010 aufzuheben und die Kosten für das Gutachten von Dr. P. vom 22. April 2009 auf die Staatskasse zu übernehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

II.

Die nach § 172 Abs. 1 SGG zulässige Beschwerde ist begründet. Die Kosten des durch Dr. P. erstatteten Gutachtens vom 22. April 2009 sind auf die Staatskasse zu übernehmen.

Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG kann die von einem Versicherten beantragte gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts selbst trägt. Bei der Entscheidung des Gerichts, ob der Antragsteller die Kosten des Gutachtens (endgültig) zu tragen hat oder diese der Staatskasse aufzuerlegen sind, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (siehe Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 109 Rn. 16). Wesentliches Kriterium ist insoweit die Frage, welche Bedeutung das Gutachten für das Gerichtsverfahren gewonnen hat. Maßgeblich abzustellen ist hierbei darauf, ob durch das Aufzeigen neuer, bisher noch nicht berücksichtiger Gesichtspunkte die Aufklärung des Sachverhalts objektiv gefördert worden ist. Berücksichtigungsfähig ist weiterhin, ob das Gutachten zur Erledigung des Rechtsstreits beigetragen hat oder nach dem Gutachten eine weitere von Amts wegen durchzuführende Beweisaufnahme erforderlich geworden ist. Dies bedeutet auch, dass eine Kostenübernahme auf die Staatskasse dann ausscheidet, wenn das Gutachten für das anhängige Verfahren nichts Neues gebracht hat (Keller, a.a.O., Rn. 16a, m.w.N.).

Unter Beachtung dieser Grundsätze sind die Gutachtenkosten durch die Staatskasse zu übernehmen, wobei der Senat nicht lediglich auf eine Ermessenskontrolle beschränkt ist (vgl. Keller, a.a.O., Rn. 22). Zwar ist wegen des Gutachtens keine weitere Beweisaufnahme von Amts wegen durchgeführt worden. Das Gutachten hat für den Verlauf des Gerichtsverfahrens jedoch durchaus Bedeutung gewonnen. Dr. P. hat nicht lediglich nochmals das Vorliegen bereits zuvor festgestellter Erkrankungen bestätigt. Vielmehr hat sie anhand der von ihr erhobenen Befunde und durchgeführten Exploration im Gegensatz zu Dr. B. keine unfallunabhängigen Stressoren signifikanter Stärke ausmachen können, die die somatoforme Gangstörung ab Ende September 2001 maßgeblich beeinflusst hätten und die auch derzeit bestehende Therapieresistenz erklären könnten. In diesem Zusammenhang hat sie zutreffend darauf abgestellt, dass vom Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung die Persönlichkeit mit ihren vorhandenen Besonderheiten erfasst und nicht auf den "Normalen" abgestellt wird. Dass gerade auch ihr Gutachten Einfluss auf die Vergleichsbereitschaft der Beklagten genommen hat, ist nicht nur anhand deren prompter Reaktion vom 11. Mai 2009 ablesbar, zumal sich die Beklagte unter dem 18. April 2008 durch Dr. B. noch in jeder Hinsicht unterstützt gesehen hatte. Die von Dr. P. als zusätzliche Unfallfolge diagnostizierte Somatisierungsstörung mit Gangstörung und Schmerzen ist im Sinne eines Schmerzsyndroms mit chronifizierter Gangbildstörung auch inhaltlich in den Vergleich eingeflossen, wenngleich die von ihr ab Ende September 2001 empfohlene MdE um 30 vH nicht übernommen worden ist. Immerhin hatte zuvor Dr. B. auf seinem Fachgebiet eine messbare MdE gänzlich bestritten.

Insgesamt hat das Gutachten für die Sachaufklärung damit eigenständige Bedeutung gehabt und so die Erledigung des Rechtsstreits auch objektiv gefördert.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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