L 5 AS 311/10 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 7 AS 2663/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 311/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Juli 2010 wird aufgehoben.

Die Staatskasse hat der Klägerin die ihr entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes.

In einem sozialgerichtlichen Klageverfahren begehrt sie die Aufhebung eines seitens der Beklagten erlassenen Sanktionsbescheides. Die Vorsitzende der 7. Kammer des Sozialgerichts Dessau-Roßlau, Richterin B., hat zum 1. Juli 2010 einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt. Sie hat das persönliche Erscheinen der Klägerin nach § 111 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angeordnet, da sie zur weiteren Sachverhaltsklärung beitragen sollte.

Die Klägerin ist trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Eine Entschuldigung hat nicht vorgelegen. Die Kammer ist nach einer geheimen Beratung zu dem Ergebnis gekommen, die Klägerin zur Entscheidungsfindung befragen zu müssen und hat die Verhandlung vertagt. Die Vorsitzende hat sich die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen die Klägerin vorbehalten, falls diese sich nicht bis zum 15. Juli 2010 genügend entschuldigen sollte.

Die Klägerin hat unter dem 1. Juli 2010 erklärt, sie habe den Termin nicht wahrnehmen können, da sie die ganze Nacht vor dem 1. Juli 2010 mit ihrer kranken Tochter im Krankenhaus gewesen sei. Wieder zu Hause angekommen habe sie sich nur kurz hinlegen wollen, dann allerdings verschlafen.

Mit Beschluss vom 21. Juli 2010 hat die Vorsitzende der 7. Kammer gegen die Klägerin ein Ordnungsgeld i.H.v. 100,00 EUR verhängt. Sie habe ihr Nichterscheinen im Termin vom 1. Juli 2010 nicht genügend entschuldigt.

Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin am 4. August 2010 Beschwerde eingelegt.

Sie beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen, den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Juli 2010 aufzuheben.

Die Beklagte hat Gelegenheit erhalten, zur Beschwerde Stellung zu nehmen, davon jedoch keinen Gebrauch gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der dem Senat vorliegenden Beschwerdeakte Bezug genommen.

II.

Die nach §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat das ihm obliegende Ermessen, ob ein Ordnungsgeld zu verhängen war, in fehlerhafter Weise ausgeübt.

Nach § 111 Abs. 1 Satz 1 SGG kann der Vorsitzende das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung anordnen. Nach § 111 Abs. 1 Satz 2 SGG ist auf die Folgen des Ausbleibens hinzuweisen. Diese bestimmen sich nach § 202 SGG in Verbindung mit § 141 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO). Danach kann gegen einen Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet ist, der aber im Termin ausbleibt, ein Ordnungsgeld wie gegen einen nicht erschienenen Zeugen, § 380 Abs. 1 Satz 1 ZPO, festgesetzt werden. Nach § 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterbleibt die Festsetzung eines Ordnungsgeldes, wenn sein Ausbleiben rechtzeitig genügend entschuldigt wird. Erfolgt die Entschuldigung nicht rechtzeitig, so unterbleibt nach Maßgabe des Satzes 2 die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Beteiligten an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft. Erfolgt die genügende Entschuldigung nachträglich, so werden die gegen den Beteiligten getroffenen Anordnungen nach § 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO wieder aufgehoben.

Es ist streitig, ob der Ordnungsgeldbeschluss, wenn das Ordnungsgeld wie hier außerhalb der mündlichen Verhandlung verhängt wird, vom Vorsitzenden allein oder nur von der vollbesetzten Kammer erlassen werden kann (vgl. u.a. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 22. September 2008, L 1 B 33/08 U, Rn. 19,20, Juris, Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 15. Februar 2008, 4 Ta 39/08, Rn. 13, Juris). Diese Frage konnte offen bleiben, da der Beschluss des Sozialgerichts jedenfalls ermessensfehlerhaft ist.

Die Verhängung des Ordnungsgeldes steht nach §§ 202 SGG, 141 Abs. 3 ZPO sowohl hinsichtlich des "Ob" als auch der Höhe im Ermessen des Gerichts. Das Sozialgericht hat sich nicht genügend mit der Notwendigkeit der Festsetzung auseinandergesetzt. Wenn es ausführt: "Bei der Ermessensentscheidung, ob gegen die Klägerin ein Ordnungsgeld festgesetzt wird, hat das Gericht berücksichtigt, dass ohne die weitere Mitwirkung der Klägerin die Sachverhaltsaufklärung nicht erfolgen kann.", so hat es nur berücksichtigt, dass die Anwesenheit der Klägerin zur Sachverhaltsaufklärung notwendig war. Dies ist jedoch (auch) eine Voraussetzung der Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 111 Abs. 1 Satz 1 SGG. Gänzlich unberücksichtigt blieben die Begleitumstände des Ausbleibens der Klägerin, wie z.B. der Verschuldensgrad oder die Wiederholungsgefahr.

Der Beschluss war folglich aufzuheben. Es steht nicht im Ermessen des erkennenden Senats, die Sache zurückzuverweisen oder selbst eine Sachentscheidung zu treffen (a.A. Thüringer Landessozialgericht, a.a.O., Rn. 24). Bei diesem festgestellten Mangel kommt eine Zurückverweisung an das Sozialgericht nicht infrage (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 30 zu ungebührlichem Verhalten). Eine Sachentscheidung des Senats scheidet aus, da das Beschwerdegericht sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle der Erwägungen des Ausgangsgerichts setzen darf. Ausnahmen kommen nur dann in Betracht, wenn die zugrunde liegenden Ermessenserwägungen des Ausgangsgerichts sich für das Beschwerdegericht zweifelsfrei aus der Akte erschließen lassen oder aus der Sache selbst ergeben (vgl. Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf, Beschluss vom 24. Oktober 1997, 22 W 59/97, Rn. 7, Juris). Das ist hier jedoch nicht der Fall.

Die Kosten waren der Staatskasse aufzuerlegen in entsprechender Anwendung des § 46 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) i.V.m. § 467 Strafprozessordnung (StPO).

Da die Klägerin zu dem in § 183 SGG privilegierten Personenkreis gehört, fallen Gerichtskosten nicht an. Einer Kostenentscheidung bedurfte es dennoch, da das Verfahren über die Rechtmäßigkeit eines Ordnungsgeldbeschlusses ein selbstständiges, aber nicht kontradiktorisches Zwischenverfahren ist. Es ist vom Hauptsacheverfahren sachlich unabhängig.

Eine Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren unter Einbeziehung der Kosten dieses Verfahrens kommt nicht in Betracht (so aber u.a. Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 12. Juni 2007, VI ZB 4/07, Rn. 23, Juris). Im Gegensatz zur zivilrechtlichen Verfahrensordnung gehören die Kostenentschädigungen beispielsweise für Zeugen nicht zu den seitens einer Partei zu erstattenden Kosten. Erstattungsfähig sind bei dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis allein dessen außergerichtliche Kosten. Das Gerichtsverfahren, wozu auch die Kosten der Beweiserhebung gehören, ist grundsätzlich kostenfrei. Mithin gehören auch die Kosten für ein Ordnungsgeldverfahren (sei es wegen des Ausbleibens eines Zeugen oder einer Partei) nicht zu den seitens der Parteien zu erstattenden Kosten.

Die Staatskasse ist zwar an dem Ordnungsgeldverfahren nicht beteiligt, dennoch ist sie kostentragungspflichtig. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 46 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO (vgl. dazu im Ergebnis auch Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 7. März 2007, X B 76/06, Rn. 19, Juris). Danach fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last, soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Das Verfahren muss mithin durch eine Entscheidung des Gerichts beendet worden sein, die keine Verurteilung enthält (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Auflage 2008, § 467, Rn. 2). So liegt der Fall hier. Der Beschluss des Sozialgerichts musste wegen eines nicht heilbaren Verfahrensmangels aufgehoben werden.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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