Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 5 VH 1/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VU 22/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Schädigungsbedingte Verschlimmerung einer psychischen Erkrankung
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 22. August 2007 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten sind die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen und eine Beschädigtenversorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG).
Der am ... 1957 geborene Kläger leistete nach dem Abitur den Wehrdienst und begann im Jahre 1978 ein Studium der Meliorationstechnik. Dieses gab er nach wenigen Monaten auf und arbeitete als Kraftfahrer bei der Deutschen Post. Von August 1980 bis Dezember 1985 war er beim Kreisbetrieb für Landtechnik Z. zunächst als Leiter eines Lagerbereichs und dann als Lagerarbeiter beschäftigt. Im Jahre 1983 nahm er mit Erfolg an einer Erwachsenenqualifikation zum Industriekaufmann (Facharbeiterabschluss) teil. Von Januar 1986 bis Juni 1991 war er beim Hydrierwerk R. zunächst als Einkäufer und anschließend als Sachbearbeiter tätig. Danach war er arbeitslos; seit 1992 bezieht er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Im Oktober 1979 erlitt der Kläger einen Motorradunfall. Nach der Behandlung in der Lungenklinik L. wegen einer respiratorischen Globalinsuffizienz mit einer Sauerstoffmangelversorgung des Gehirns wurde er am 12. Februar 1980 wegen einer psychotischen Symptomatik in der Nervenklinik der Medizinischen Akademie M. (MAM) weiterbehandelt. In der dortigen Epikrise vom 8. April 1980 waren ein hirndiffuses Psychosyndrom bei Zustand nach hypotoxischer Hirnschädigung sowie eine hochgradige Antriebsminderung und anklingende paranoide Gedanken diagnostiziert worden. Im Elektroenzephalogramm (EEG) hatte sich eine diskrete Funktionsstörung gezeigt. Nach Medikation waren die psychopathologischen Veränderungen rückläufig gewesen. In der Folgezeit fanden zahlreiche ambulante psychiatrische Behandlungen (Poliklinische Abteilung der Nervenklinik der MAM, Neuropsychiatrische Abteilung der Kreispoliklinik Z.), eine Fahrtauglichkeitsuntersuchung des Klägers durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. sowie vom 2. Mai bis 22. Juni 1981 eine stationäre Behandlung in der Bezirksnervenklinik H. statt. Eine weitere ambulante Vorstellung erfolgte dort im September 1981 aufgrund eines hirndiffusen Psychosyndroms. Im November 1981 erfolgte wiederum eine Behandlung in der Kreispoliklinik Z ... Im Mai 1982 fand eine weitere Fahrtauglichkeitsuntersuchung durch Dr. A. statt. Im Februar 1983 war der Kläger bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. K. in Behandlung. Im März 1984 erfolgte eine ambulante Vorstellung des Klägers bei dem Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (HNO) Dr. S. und am gleichen Tag eine weitere Behandlung in der Neuropsychiatrischen Abteilung der Kreispoliklinik Z ... Im April 1984 war der Kläger erneut bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. K. in Behandlung. Vom 3. bis 9. Juli 1984 wurde er in der Bezirksnervenklinik H. aufgrund der Verdachtsdiagnose "coenasthetische Schizophrenie" stationär behandelt. Im Befund wurde über Befürchtungen und Ängste mit hypochondrischen Einstellungen, Grübeleien und gedanklicher Einengung, subjektive Klagen über eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und Dyspnoe unter Belastung, im Gespräch wenig sichtbare Emotionen und Affekte, geringe Mimik und Gestik, Minderung der Konzentrationsfähigkeit, schnelle Ermüdbarkeit, einen etwas verlangsamten und umstellungserschwerten Gedankengang und ein herabgesetztes Reaktionsvermögen berichtet. In der Epikrise waren ein leichtes hirndiffuses Psychosyndrom sowie eine neurotische Entwicklung mit psychosomatischem Beschwerdekomplex festgestellt worden. Die stationäre Behandlung wurde auf Wunsch des Klägers beendet. Weitere Behandlungen in der Neuropsychiatrischen Abteilung der Kreispoliklinik Z. erfolgten im Oktober 1984 und im Januar 1985. Am 29. November 1984, 29. April 1985 und 12. Juni 1986 wurden durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. weitere Fahrtauglichkeitsuntersuchungen durchgeführt. Im Sozialversicherungsausweis sind Arbeitsausfalltage wie folgt aufgeführt: 1980: 104 Tage, 1981: 95 Tage, 1982: 60 Tage, 1983: 12 Tage, 1984: 99 Tage, 1985: 44 Tage und im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. August 1986: 11 Tage.
Am 30. August 1986 wurde der Kläger in der CSSR festgenommen, nachdem er im Grenzgebiet Möglichkeiten zur Überwindung der Staatsgrenze zur BRD erkundet hatte. Nach Überstellung in die DDR befand er sich in der Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in M.-N ... Am 3. November 1986 schloss Prof. Dr. K. nach einer psychiatrischen Kurzbegutachtung des Klägers eine Geisteskrankheit oder Folgeerscheinungen aufgrund der erlittenen Lungenkrankheit aus. In der Folgezeit gab der Kläger gegenüber dem Haftpersonal diffuse Beschwerden und Ohrensausen an, sprach von einem "Nervenbruch" und äußerte die Bitte, einem Facharzt vorgestellt zu werden. Ab 4. Dezember 1986 war er im Haftkrankenhaus B. untergebracht.
Am 21. Januar 1987 erstattete OMR Prof. Dr. O. auf der Grundlage mehrerer Explorationen im Haftkrankenhaus ein Gutachten über den Kläger. Während des Gesprächs hatte ihm der Kläger mitgeteilt, er könne den unangenehmen Fragen nicht mehr folgen. Dann hatte er erklärt: "Übrigens das rechte Ohr pfeift jetzt stärker". Nachdem Prof. Dr. O. ihn auf die quietschenden Fensterflügel hingewiesen hatte, hatte er gesagt: "Ja, stimmt, es ist jetzt weg – endgültig. Übrigens, Ohrpfeifen habe ich manchmal, aber erst seit der Haft – früher hatte ich das nicht." Zum Fluchtversuch hatte er berichtet, bereits 1981 durch Rundfunk und Fernsehen beeinflusst worden zu sein. Auch kurz vor der Grenze zur CSSR habe er eine Meldung des Bayerischen Rundfunks gehört und gedacht, er sei dort live. Das habe ihn endgültig motiviert, in die CSSR zu fahren. Er sei nervlich am Boden gewesen. Schon Wochen vor dem Fluchtversuch habe er kaum noch mit der Ehefrau gesprochen, auch habe es Probleme mit den Eltern und wegen des ihm nicht gewährten Studienplatzes gegeben. Er habe nicht mehr gekonnt und nicht mehr gewollt. Die Grenze habe er als endgültige Lösung seiner Probleme gesehen. OMR Prof. Dr. O. hatte ausgeführt, das genaue psychische Bild sei durch zusätzliche haftreaktive bzw. haftpsychotische symptomatische Einflüsse nicht mehr sauber zu diagnostizieren. Aufgrund des psychotischen Geschehens der vorangegangen Jahre, der glaubhaften Schilderungen des Klägers (Gefühl der Beobachtung und Verfolgung zum Zeitpunkt des Fluchtversuchs, akustische Halluzinationen) hatte er dessen Zurechnungsunfähigkeit zum Zeitpunkt des Fluchtversuchs angenommen und eine stationäre Einweisung empfohlen. Prognostisch schloss er ein erneutes Auftreten der psychotischen und haftpsychotischen Erscheinungen auch nach der Haftzeit nicht aus. Im Entlassungsbericht des Haftkrankenhauses wurde die Diagnose einer endogenen Psychose genannt und auf die Übereinstimmung des psychischen Bildes mit den Vorerkrankungen in den Jahren 1981 und 1984 hingewiesen.
Mit Beschluss vom 28. Januar 1987 hat das Kreisgericht M. die Strafsache gegen den Kläger wegen Zurechnungsunfähigkeit eingestellt. Am selben Tag wurde er in das Bezirkskrankenhaus H. eingewiesen; mit Beschluss vom 13. März 1987 erfolgte die unbefristete stationäre Einweisung. Am 1. März 1988 wurde er entlassen. Im Entlassungsbericht vom 3. März 1988 wurde die Diagnose einer Defektschizophrenie benannt und auf die Notwendigkeit einer Langzeitneuroepileptikatherapie mit ständiger ambulanter nervenfachärztlicher Behandlung hingewiesen.
Nach der Entlassung nahm der Kläger seine Tätigkeit als Sachbearbeiter beim Hydrierwerk R. wieder auf. Weitere fachärztliche Behandlungen erfolgten im September 1988 und August 1989 in der Neuropsychiatrischen Abteilung der Kreispoliklinik Z., im Januar 1990 durch den Facharzt für HNO Dr. H. sowie am 5. April 1990 in der HNO-Abteilung der Kreispoliklinik Z ... Vom 8. bis 10. Februar 1989 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Im August 1990 bat er das Bezirkskrankenhaus H. um Unterstützung bei einem gerichtlichen Vorgehen als Opfer des Stasi-Terrors. Er gab an, seit der Entlassung im Jahre 1988 keine Medikamente einzunehmen und wegen der anhaltenden Ohrgeräusche in fachärztlicher Behandlung zu sein.
Mit Beschluss des Bezirksgerichts M. vom 30. Juli 1992 (Reh. 894/90, StA 103 Reha 1068/91) wurde der Kläger für den Zeitraum vom 30. August 1986 bis 1. März 1988 rehabilitiert.
Am 27. September 1993 stellte er beim Amt für Versorgung und Soziales M. wegen Ohrensausen infolge eines Hörsturzes und einer psychischen Krankheit einen Antrag auf Leistungen nach dem StrRehaG. Die Behörde zog über die Nervenfachärztin Dipl.-Med. K. Epikrisen der Bezirksnervenklinik H. bei. Danach waren am 23. November 1990 eine akute Exazerbation einer bekannten Residualschizophrenie mit im Vordergrund stehender paranoider Symptomatik und am 2. Januar 1992 eine akute Exazerbation bei bekannter Residualschizophrenie diagnostiziert worden. Nach dem vom Versorgungsamt eingeholten Befundschein der Fachärztin für HNO Dipl.-Med. H. habe der Kläger im April 1990 über einen seit dreieinhalb Jahren bestehenden Tinnitus geklagt. Im Mai 1990 sei bei ihm bei 8000 Hz beidseitig ein Tinnitus mit wechselhaften Geräuschen festgestellt worden. In dem auf Veranlassung des Beklagten erstatteten Gutachten vom 12. Mai 1995 führte Prof. Dr. H. (Otto-von-Guericke-Universität M., Klinik für Neurophysiologie) aus, beim Kläger habe eine durch den beidseits nachgewiesenen Halbseitenbefund sowie die Hirnatrophie belegte Vorschädigung bestanden. Daraus habe sich im Zusammenhang mit den Haftbedingungen eine in Schüben exazerbierende psychotische Symptomatik entwickelt.
Mit Bescheid vom 29. August 1995 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, da der geltend gemachte Hörsturz nicht als Haftfolge belegt sei. Die psychische Erkrankung sei schädigungsunabhängig aus körperinnerer Ursache entstanden. Im anschließenden Widerspruchsverfahren führte der Prüfarzt Dipl.-Med. T. aus: Bereits nach den stationären Behandlungen 1980 und 1981 seien psychische Auffälligkeiten zurückgeblieben. Da der Kläger nach dem durch die Haft verursachten Krankheitsschub wieder arbeitsfähig gewesen sei, könne der schädigungsbedingte Anteil im Sinne der Verschlimmerung lediglich zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 vom Hundert (vH) geführt haben. Bei der Entlassung aus der Nervenklinik H. seien die akuten psychotischen Symptome wieder abgeklungen gewesen. Das verbliebene Defektsyndrom und die notwendige Weiterführung der Therapie seien Folge des gesamten Krankheitsverlaufs und nicht eines einzelnen Schubs. Mit (Abhilfe-)Bescheid vom 29. Februar 1996 erkannte der Beklagte beim Kläger eine "Psychische Störung" als Schädigungsfolge an, lehnte die Gewährung einer Rente aber ab, da die Schädigungsfolge keine rentenberechtigte MdE um mindestens 25 vH bedinge.
Am 25. Mai 1999 stellte der Kläger unter Hinweis auf weitere stationäre und medikamentöse Behandlungen wegen Wahnvorstellungen, Schlafstörungen und Albträumen einen Neufeststellungsantrag. Dipl.-Med. K. teilte mit Befundschein vom 24. August 1999 mit, der Kläger leide an einer schizophrenen Psychose mit einem Residualsyndrom. Aufgrund der vielen Krankheitsschübe liege ein Defektsyndrom mit verminderter psychischer Belastbarkeit und verminderter Umstellungs- und Stressfähigkeit vor. Daraufhin lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 17. Mai 2000 ab, weil alle mit der psychischen Erkrankung verbundenen Beeinträchtigungen und Behandlungen auf den eigenständigen Verlauf der chronisch verlaufenden Schizophrenie zurückzuführen seien.
Am 3. Juni 2005 stellte der Kläger beim Beklagten einen Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X). Nach telefonischer Rückfrage teilte er mit, seine psychische Erkrankung habe sich verschlimmert. Daraufhin führte der Beklagte ein Verfahren nach § 48 SGB X durch und holte weitere medizinische Unterlagen ein. Nach der Epikrise des Fachkrankenhauses H. vom 10. März 2004 war der Kläger dort wegen einer Exazerbation einer bekannten paranoiden Schizophrenie behandelt worden. Daneben habe der Verdacht auf eine akustische Halluzination bestanden. Der Kläger habe auf die seelische Belastung durch die frühere Inhaftierung und Zwangseinweisung sowie auf vermehrte Ohrengeräusche beidseits hingewiesen. Die Weiterbehandlung erfolgte im St. Joseph-Krankenhaus D. (Fachkrankenhaus für Psychiatrie). Im Entlassungsbericht vom 26. Juli 2004 war eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie diagnostiziert worden. Weitere Behandlungen erfolgten dort im August und September 2005 aufgrund einer schizoaffektiven Störung. Der Kläger habe verstärkt über den seit der Inhaftierung bestehenden Tinnitus geklagt und über Angstträume in letzter Zeit, die sich um die Erlebnisse der Häftlingszeit drehten. Bei ihm bestehe eine chronifizierte und durch psychosoziale Belastungsfaktoren (z.B. Krankenhausaufenthalt der Ehefrau) sich deutlich verstärkende Problematik. Außerdem lag die Epikrise des Instituts für Tinnitus-Forschung und Therapie GmbH vom 12. Dezember 2006 vor, wo im Rahmen einer Tinnitusrehabilitation ein dekompensierter Tinnitus festgestellt worden war. Im Arztbrief der HNO-Fachärztin Dipl.-Med. H. vom 12. März 2007 berichtete diese über die erfolglose Behandlung eines dekompensierten Tinnitus seit Mai 1991.
Mit Bescheid vom 23. Januar 2006 lehnte der Beklagte nach Beteiligung des ärztlichen Dienstes (Stellungnahme Dr. H.) den Neufeststellungsantrag ab, da keine dauerhafte Verschlimmerung der schädigungsbedingten psychischen Störungen eingetreten sei. Den am 28. Februar 2006 erhobenen Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2006 zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 29. Mai 2006 Klage beim Sozialgericht (SG) D.-R. erhoben und vorgetragen, der Beklagte habe weder die bestehenden Angstträume noch den Tinnitus berücksichtigt. Das SG hat zunächst das für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) durch die Nervenfachärztin Dr. D. am 11. März 1992 erstellte Gutachten beigezogen. Dieser Ärztin hatte der Kläger über stationäre Einweisungen wegen paranoider Gedanken bzw. aggressiver Gereiztheit berichtet. Seit 1986 leide er unter Ohrensausen und sei deshalb in fachärztlicher Behandlung. Dr. D. hatte festgestellt, aufgrund der chronisch-schizophrenen Psychose sei der Kläger in seiner Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Mit einer Verschlechterung des Leidens sei zu rechnen.
Auf Veranlassung des SG hat Dr. L. (Chefarzt des Psychiatrischen Krankenhauses H.) das Gutachten vom 25. April 2007 erstattet. Das Gutachten des OMR Prof. Dr. O. war ihm zu diesem Zeitpunkt unbekannt. Dr. L. gegenüber hatte der Kläger geschildert, im Juni 2005 hätten sich seine in geringer Intensität schon vorher bestehenden Angstträume verschlimmert. Er erlebe zwei bis dreimal pro Woche eine Szene aus der Stasi-Haft wieder, in der er mit einer Maschinenpistole bedroht worden war und Todesangst gehabt habe. Außerdem hatte der Kläger über einen seit der Haftzeit bestehenden Tinnitus berichtet. Er sei nicht mehr belastbar, fühle sich schnell überfordert und habe ausgeprägte Konzentrationsstörungen. Er stehe um 6:00 Uhr auf, versorge seine Mutter, gehe spazieren. Seine Frau arbeite halbtags. Er trinke mit seiner Frau Kaffee, dann gingen sie gemeinsam spazieren. Eine großen Freundeskreis und ein richtiges Hobby habe er nicht mehr, auch kein richtiges Hobby, vielleicht Musikhören. Nach Ansicht des Sachverständigen besteht beim Kläger eine bipolare schizoaffektive Störung mit persitierenden Alterationen (Residualzustand). Im Verlauf dieser endogenen Psychose seien vorwiegend schizophrene, daneben auch schizoaffektive und affektive Episoden aufgetreten. Die Psychose habe sich bereits vor der Haft, wahrscheinlich 1981 manifestiert. Gleichwohl habe die Erkrankung kaum bleibende Folgen im Hinblick auf das Funktionsniveau hinterlassen. Der Kläger sei seiner beruflichen Tätigkeit weiter nachgegangen, habe sich 1983 zum Industriekaufmann qualifiziert. Er habe 1984 geheiratet und das erste Kind sei geboren worden. Auch beim kurzen stationären Aufenthalt im Jahre 1984 seien Beeinträchtigungen des psychosozialen Funktionsniveaus nicht deutlich geworden. Dr. L. hat ausgeführt, auch die geschilderten Umstände des Fluchtversuchs, die Festnahme in der CSSR und die ersten Wochen der Inhaftierung ließen keine psychotischen Symptome erkennen. Während der Inhaftierung entwickelten sich eindeutige Zeichen einer Exazerbation der endogenen Psychose. Der Kläger habe über Wahnphänome (Beziehungswahn, Vergiftungswahn), über Ich-Erlebnisstörungen, Größenideen und über lebensbedrohend empfundene Situationen berichtet. Dabei sei zu berücksichtigen, Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus (etwa durch nächtliche Verhöre) und anhaltende Unruhe (Lärm und interpersonelle Auseinandersetzungen im Haftraum) könnten bei entsprechender Vulnerabilität die Exazerbation einer Psychose zweifelsfrei begünstigen. Die Haft und die psychiatrische Zwangsbehandlung hätten insoweit eine wesentliche verlaufsmodifizierende Bedeutung. Die Haftbedingungen seien der Auslöser der Exazerbation gewesen. Der Inhalt des psychotischen Erlebens habe sich forthin auf die Verfolgung durch die Staatssicherheit bezogen. Die während der Haft aufgetretene psychotische Exazerbation sei in ihrer Schwere und in ihren Folgen ausgeprägter als die vorangegangene psychotische Episode. Es sei eine über einjährige Behandlung erforderlich gewesen, an deren Ende ausgeprägte Symptome eines Residualsyndroms bestanden hätten, die die Diagnose "Defektschizophrenie" rechtfertigten. Nach dieser Episode sei der Kläger nicht mehr in der Lage gewesen, seine Arbeitsleistung vollumfänglich zu erbringen, sei im interpersonellen Kontakt verunsichert gewesen und habe einen sozialen Rückzug gezeigt. Eine deutliche Minderung des psychischen energetischen Potentials sei zu verzeichnen gewesen und habe schließlich zur Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente geführt. Insoweit sei durch die Haft eine dauerhafte Verschlimmerung eingetreten. Die ab 2005 vermehrt auftretenden Albträume seien nicht als posttraumatische Belastungsstörung einzuordnen, obwohl einzelne Symptome einer solchen Störung vorlägen. Eine Zunahme der Frequenz der Albträume könne auch im Zusammenhang mit akuten Krankheitsepisoden der Psychose, einer Zunahme persistierender Alterationen im Verlauf oder mit Veränderungen der psychopharmakologischen Therapie stehen. Auch eine Wechselwirkung einzelner Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung mit der endogenen Psychose sei zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Tinnitus könnten keine anderen Ursachen wahrscheinlich gemacht werden, sodass er als allein durch die Haft bedingt anzusehen sei. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt, der schizophrene Residualzustand bedinge seit 1988 dauerhaft wenigstens leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten und sei mit einer MdE um 30 zu bewerten. Ab August 2005 sei es zu einer Zunahme von Albträumen gekommen, deren Inhalt in Zusammenhang mit einem traumatisierenden Erlebnis in der Haft stehe. Dafür sei eine MdE um 40 anzunehmen. Der Tinnitus ohne erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen sei mit 10 zu bewerten, führe aber zu keiner Erhöhung der Gesamt-MdE.
Der Beklagte hat unter Hinweis auf die Stellungnahme der Prüfärztin Frau S. eingewandt: Der Verschlimmerungsanteil betrage höchstens 10 vH. Eine verlaufsmodifizierende Bedeutung der Haft liege nicht vor. So sei der Kläger an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt, bis der Betrieb im Rahmen der "Wende" aufgelöst worden sei. Die familiären Beziehungen hätten Bestand gehabt und er sei Vater eines zweiten Kindes geworden. Dennoch sei eine beginnende Entwicklung eines Residualsyndroms anzunehmen, da im Entlassungsbrief H. erstmals eine "Defektschizophrenie", aufgrund der stationären Behandlungen 1990 und 1991 jeweils "Exazerbationen einer bekannten Residualschizophrenie" und im Rentenverfahren 1992 ein "Defizienzsyndrom bei Schizophrenie" diagnostiziert worden seien. Mit einer MdE um 30 vH erfasse der Sachverständige exakt die damalige gesamte Symptomatik, berücksichtige aber nicht, dass nur der Verschlimmerungsanteil zu bewerten sei. Der Symptomwandel ab 2004 (schizo-affektive Symptomatik mit schizophrenen und affektiven Störungen) sei als eigenständiger Leidensverlauf anzusehen und stehe nicht im Zusammenhang mit der Haft. Hinsichtlich des Tinnitus sei auf die mulitfaktorielle Genese zu verweisen.
Mit Urteil vom 22. August 2007 hat das SG den Bescheid vom 23. Januar 2006 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 8. Mai 2006 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, die Bescheide vom 29. August 1995 und 17. Mai 2000 aufzuheben, den Bescheid vom 29. Februar 1996 abzuändern und dem Kläger wegen der Folgen der Haft eine Beschädigtenrente nach dem StrRehaG nach einer MdE um 30 vH ab 27. September 1993 und nach einer MdE um 40 vH ab 1. August 2005 zu zahlen. Zur Begründung hat es auf die Ausführungen des Sachverständigen verwiesen. Gegen das ihm am 12. September 2007 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 9. Oktober 2007 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Er ist der Auffassung, der vom Sachverständigen angenommene "Leistungsknick" nach der Haftzeit sei nicht ersichtlich. Die empfohlene nervenärztliche Behandlung und die Medikamenteneinnahme seien nur kurzzeitig erfolgt. Auch ein eingeschränktes Sozialverhalten sei nicht erkennbar gewesen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 22. August 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger hat vorgetragen, die 1988 empfohlene engmaschige ambulante Weiterbehandlung habe sich nicht mit der Vollzeittätigkeit vereinbaren lassen. Doch schon 1990 seien in der Klinik H. wieder Krankheitssymptome festgestellt worden.
Der vormalige Berichterstatter hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe nur über einen Verschlimmerungsantrag entschieden und hat die Durchführung eines Verfahrens nach § 44 SGB X angeregt. Daraufhin hat der Beklage eine versorgungsärztliche Überprüfung veranlasst. Nach der Auffassung von Dr. W. vom 14. März 2008 sei ein Hörsturz während der Haft nicht nachgewiesen. Damit könne auch der Tinnitus nicht als Folge eines Hörsturzes und damit als Schädigungsfolge anerkannt werden. Zudem träte ein Hörsturz in der Regel einseitig auf, beim Kläger läge der Tinnitus aber beidseitig vor. Die mit den seelischen Störungen wechselnde Ausprägung des Tinnitus spreche für einen Zusammenhang mit der schädigungsunabhängigen Schizophrenie bzw. der Hirnschädigung. Zudem lägen keine psychovegetativen Begleiterscheinungen vor.
Mit Bescheid vom 28. März 2008 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 31. Mai 2005 auf Rücknahme des Bescheides vom 29. Februar 1996 ab. Zwar liege eine psychische Störung als schädigungsbedingter Verschlimmerungsanteil der bereits vor der Haft entstandenen schizophrenen Psychose mit episodenhaftem Verlauf vor. Ein rentenberechtigter Grad der Schädigung (GdS) werde aber nicht erreicht, denn soziale Anpassungsschwierigkeiten nach der Haft bzw. nach der stationären Behandlung seien nicht festzustellen. Der Kläger habe an seine bisherige Lebensführung anknüpfen können und sei vollschichtig arbeitsfähig sowie beruflich wie familiär integriert gewesen. Obwohl er sich später der ärztlichen Behandlung entzogen und die Medikamente abgesetzt habe, sei der nächste Krankheitsschub erst im Herbst 1990 eingetreten. Der Tinnitus sei nicht mit der geforderten Wahrscheinlichkeit auf die Umstände der Haft zurückzuführen.
Demgegenüber hat der Kläger seine nach der Entlassung im Jahre 1988 erheblich eingeschränkte Leistungsfähigkeit hervorgehoben. Hinzu gekommen sei ein massives Mobbing der Arbeitskollegen, was zusammengenommen zur Arbeitslosigkeit geführt habe. Ferner seien der Rückzug aus der weiteren ambulanten Behandlung und das Absetzen der Medikamente gerade ein Zeichen der Erkrankung. Die Ärzte gehörten zur gleichen Obrigkeit, die ihn verhaftet und misshandelt habe. Mit zunehmendem Abstand zum Klinikaufenthalt sei das Misstrauen größer geworden, was auf Anzeichen einer erneuten Episode schließen lasse, die im Herbst 1990 ihren Höhepunkt erreicht habe. Hinsichtlich des Tinnitus hat der Kläger auf die bereits im Entlassungsbericht vom 3. März 1988 beschriebenen "Phoneme" hingewiesen. Außerdem sei im Bericht vom 23. November 1990 die Formulierung "wegen eines immer wieder geklagten Tinnitus" enthalten. Diese Problematik sei schon 1988 ignoriert worden, da die Ärzte auf die Defektschizophrenie fixiert gewesen seien.
Der Senat hat die Akte des Landgerichts M. (Reha. 894/90), den Sozialversicherungsausweis des Klägers, Kopien über die stationäre Behandlung vom 28. Januar 1987 bis 1. März 1988, die Handakte der Staatsanwaltschaft des Bezirkes M. sowie Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR beigezogen, in denen u. a. der Entlassungsbericht vom 26. Januar 1987 und das Gutachten des OMR Prof. Dr. O. enthalten sind.
Im Vernehmungsprotokoll vom 2. Oktober 1986 hatte der Kläger als Freizeitbeschäftigung das Musikhören angegeben und ausgeführt, dies werde bei Streitigkeiten mit der Ehefrau gefördert, weil er sich dann unter seine Kopfhörer zurückziehe. Ansonsten verfolge er Sportsendungen im Fernsehen und interessiere sich sehr für sein Auto. Andere Hobbys oder Interessen habe er nicht. Im Auskunftsbericht vom 3. Dezember 1986 ist ausgeführt worden, der Kläger habe zeitweilig, offensichtlich nervlich bedingt, Gehörstörungen. Weiterhin hat sich in den Unterlagen der Bericht der Aufnahmeuntersuchung vom 4. Dezember 1986 befunden, in dem festgehalten worden war: "Ohren äußerlich: o.B. und Gehör: o.B.". In den Behandlungsunterlagen vom 4. Dezember 1986 ist unter der Angabe der Uhrzeit 14:00 Uhr "Ohrensausen" dokumentiert worden. In der Verlaufsdokumentation der Psychiatrie vom 11. Dezember 1986 sind Probleme des Kläger mit seiner Ehefrau, den Eltern und im Beruf festgehalten worden. Es habe Reibereien mit den Kollegen gegeben und er habe nicht verstanden, Leiter zu sein. Dann sei er degradiert worden. Der Widerspruch zum Abitur habe genervt. Nach dem Abschluss als Industriekaufmann im Rahmen der Erwachsenenqualifikation im Jahre 1983 sei er in R. als Einkäufer tätig gewesen. Dorthin sei er versetzt worden, weil es Probleme mit dem Frauenkollektiv gegeben habe. Danach habe er als Sachbearbeiter für Lagertechnik gearbeitet. Er habe sich zum Fachschulstudium berufen gefühlt, sei aber abgelehnt worden. Die Beurteilung sei entsprechend ausgefallen. Den Fluchversuch habe er unternommen, weil er Probleme mit seiner Ehefrau gehabt habe und die beruflichen Probleme dazugekommen seien.
Außerdem hat der Senat die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen. In dieser befindet sich der Befundschein der Dipl.-Med. H. mit der Hörprüfung vom 5. Oktober 1993. Diese hatte ein beidseitig normales Gehör mit einem Hochtonabfall in den tiefen Frequenzen ergeben.
Unter Berücksichtigung der beigezogenen Unterlagen sowie aufgrund einer Nachuntersuchung des Klägers am 13. August 2009 hat Dr. L. auf Veranlassung des Senats am 2. September 2009 ein ergänzendes Gutachten erstellt. Dort hatte der Kläger angegeben, er kümmere sich um die Familie, das sei sein Rückhalt. Vor einem Jahr sei seine Mutter verstorben, die er intensiv betreut und häufig im Altenpflegeheim besucht habe. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt: Zunächst habe der Kläger unter schizophrenen Psychosen gelitten. Unter Hinweis auf das Gutachten von OMR Prof. Dr. O. hat er auf erste psychotische Symptome schon auf dem Weg von Z. zur tschechischen Grenze hingewiesen. Da die psychotischen Symptome aber zunächst nicht erfasst worden seien, müsse von einer Zunahme der Symptomatik unter den Haftbedingungen ausgegangen werden. Weil am 28. Januar 1987 sowohl schizophrene Symptome als auch Symptome einer Manie vorgelegen hätten, sei diese Episode als schizoaffektive Psychose (F.25.0 nach ICD-10-Code) zu bezeichnen. Die weiteren Erkrankungsepisoden seien als schizoaffektive Störung zu bezeichnen. Auch wenn mehr für als gegen eine kausale Beziehung zwischen der psychotischen Episode und der Haft spreche, könne die kausale Beziehung nicht voll bewiesen werden. Insgesamt seinen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende psychosoziale Belastungen zu bejahen (Inhaftierung in der fremdsprachigen Umgebung, Untersuchungshaft mit Verhören zu unterschiedlichen Zeiten, Zwangsmedikation, herabwürdigende Beschimpfungen, Todesangst, als subjektives Unrecht erlebte unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, neuroepileptische Dauermedikation, schwere und quälende Nebenwirkungen). Der Kläger habe nicht gewusst, wann und unter welchen Bedingungen er (jemals) wieder entlassen werden würde. Vor der Haft habe der GdS 0 vH betragen, da kein Residualzustand bestanden habe. Soziale Anpassungsschwierigkeiten hätten nicht vorgelegen. Die nach der Haft bzw. der unbefristeten Unterbringung vorhandenen Konzentrationsstörungen, die Verlangsamung, die affektive Verflachung, Ausdauerstörungen, Einschränkungen des Antriebs und die insgesamt festzustellende Minderung des psychischen energetischen Potentials hätten sich als dauerhaft im Sinne persistierender Alterationen (Residualsyndrom) gezeigt. Sie hätten zu leichten Anpassungsschwierigkeiten geführt und bedingten zunächst einen GdS von 30. Aus der Differenz ergebe sich der GdS für den Verschlimmerungsanteil von 30. Das ab 1988 vorliegende Residualsyndrom sei wesentlich verlaufsmodifizierend. Die persitierenden Alterationen mit der Zunahme von Überforderungsgefühlen bei jeglichen Anstrengungen schränke nicht nur die soziale Anpassungsfähigkeit ein, sondern führe auch zur Zunahme der Vulnerabilität. Die ab Juni 2005 angegebenen Albträume und Schlafstörungen bedingten für sich einen GdS von 10. Zusammen mit dem Residualsyndrom betrage der Gesamt-GdS 40. Das ergebe sich nicht aus einer Addition, sondern aufgrund eines inneren Zusammenhangs. Das Erleben eines erhöhten Anspannungsniveaus und die Erinnerungen an das Trauma verminderten das psychische energetische Potential im Rahmen des Residualsyndroms. Damit gehe eine Abnahme der sozialen Interaktionsfähigkeit einher. Gleichzeitig sei die Wahrscheinlichkeit eines Wiederausbruchs der Psychose erhöht worden. Hinsichtlich des Hörsturzes hat der Sachverständige ausgeführt, ein konkretes schädigendes Ereignis sei nicht zu erkennen. Allerdings könnten Zustände von Anspannung und Stress, ebenso wie depressive Verstimmungszustände zu einer Zunahme der Ohrgeräusche führen. Tatsächlich sei der Tinnitus auch im Gutachten vom 21. Januar 1987 erstmals erwähnt worden. Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs und der vorhandenen Stressbelastungen könnten die Voraussetzungen einer Kann-Versorgung gegeben seien. Der GdS für den Tinnitus betrage 10, weil erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen damit nicht verbunden seien und erhöhe nicht den Gesamt-GdS. Der Beklagte hat unter Hinweis auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Frau S. an seiner bisherigen Auffassung festgehalten. Diese hat in ihrer Stellungnahme vom 21. Oktober 2009 dem Sachverständigen hinsichtlich der diagnostischen Einordnung der Erkrankung zugestimmt. Zwar sei der Zeitpunkt des Diagnosewechsels retrospektiv nicht mit Sicherheit abzugrenzen, was aber versorgungsmedizinisch ohne Bedeutung sei, da die Vorgaben für schizophrene und affektive Psychosen identisch seien. Die Versorgungsärztin hat auf das Urteil des Kreisgerichts M. hingewiesen, wonach der Kläger zum Zeitpunkt der Tat und nicht erst während der Haft unzurechnungsfähig gewesen sei. Daher sei die Inhaftierung keinesfalls die Ursache der strittig schizophrenen Episode und es scheide eine Kann-Versorgung aus, da die zur Diskussion stehende Episode bereits vor der geltend gemachten Haft begonnen habe. Bei Festlegung des Verschlimmerungsanteils sei zu beachten, dass schon 1984 ein schizophrener Residualzustand mit Konzentrationsstörungen, Vitalitätseinbuße und affektiver Nivellierung vorgelegen habe ("gedankliche Einengung, Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, wenig sichtbare Emotion, schnelle Ermüdbarkeit, Gedankengang verlangsamt und umstellungserschwert). Ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten habe der GdS vor der Haft 20 und nach der Haft und Zwangsunterbringung 30 betragen. Des Weiteren hat die Versorgungsärztin ausgeführt, die weiterhin geltend gemachten Beeinträchtigungen (Schlafstörungen) seien nicht zu objektivieren. Dies schließe eine Anerkennung als Schädigungsfolge aus. Im Übrigen könne der GdS um 10 den Gesamt-GdS nicht erhöhen. Schließlich sei ein kausaler Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Tinnitus und der Schädigung nicht mit der notwendigen kausalen Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann in der Sache entscheiden. Im vorliegenden Fall ist das Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahme im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG) vom 29. Oktober 1992 (BGBl. I S. 1814) anzuwenden, das als Artikel 1 des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes an 4. November 1992 in Kraft getreten und in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2664) zuletzt durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904, 2915) geändert worden ist.
Für die Durchführung der vom Kläger begehrten Beschädigtenversorgung nach § 21 StrRehaG sind nach § 25 Abs. 4 Satz 1 StrRehaG die Behörden zuständig, denen die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) obliegt. Soweit das StrRehaG von den für die Kriegsopferversorgung zuständigen Verwaltungsbehörden durchzuführen ist, entscheiden nach § 25 Absatz 4 StrRehaG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Insoweit sind die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung maßgebend.
Das beklagte Land hat im vorliegenden Verfahren seine Prozessfähigkeit im Sinne von § 71 Absatz 1 SGG durch die Neuordnung seiner Versorgungsverwaltung nicht verloren, weil die Anforderungen des § 71 Absatz 5 SGG an seine Vertretung noch erfüllt sind. Der Leiter des dem Landesverwaltungsamt eingegliederten "Landesversorgungsamtes" ist die natürliche Person, durch die das beklagte Land im vorliegenden Verfahren nach § 71 Absatz 5 SGG gesetzlich vertreten ist. Zur Begründung im Einzelnen wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom 19. Februar 2004 - L 7 (5) SB 8/02 - JMBl. LSA 2004, S. 111 Bezug genommen.
Die nach den §§ 143, 144 Absatz 1 Satz 2 SGG statthafte und auch in der von § 151 Absatz 1 SGG vorgeschriebenen Form und Frist eingelegte Berufung des Beklagten ist begründet. Das beklagte Land hat den Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung auf der Grundlage des StrRehaG zu Recht abgelehnt. Auch besteht kein Anspruch des Klägers auf die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist sowohl ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X als auch ein Neufeststellungsantrag nach § 48 SGB X.
Mit Bescheid vom 28. März 2008, der in entsprechender Anwendung des § 96 SGG in der noch bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden ist, hat der Beklagte den Antrag des Klägers nach § 44 Absatz 1 SGB X abgelehnt. Nach dieser Norm ist der eine Sozialleistung ablehnende Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Die Voraussetzungen sind nicht gegeben. Der Beklagte hat bei Erlass des Bescheids vom 29. Februar 1996 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Insbesondere hat er zu Recht es abgelehnt, den Tinnitus des Klägers als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen. Auch die Bewertung der anerkannten Schädigungsfolge "psychische Störung" mit keiner rentenberechtigenden MdE war rechtmäßig.
Außerdem hat der Beklagte mit dem Bescheid vom 23. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 8. Mai 2006 den Antrag nach § 48 SGB Abs. 1 Satz 1 SGB X wegen einer Verschlimmerung der bereits anerkannten Schädigungsfolge (Psychische Störung) abgelehnt. Nach dieser Norm ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Wesentlich sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung richtet sich damit nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht (st. Rspr. des BSG, vgl. nur Urteil vom 21. März 1996 – 1 RAr 101/94 – SozR 3-1300 § 48, S. 111 m.w.N.). Für die vorliegende Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage die mündliche Verhandlung des Senats. Nach diesem Maßstab hat der Beklagte zu Recht den Versorgungsanspruch des Klägers abgelehnt, weil kein rentenberechtigender Grad der Schädigung (GdS) vorliegt.
Nach § 21 Absatz 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Freiheitsentziehung, für die er rehabilitiert worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Die Schädigungsfolge muss also auf einer Gesundheitsstörung beruhen, die durch einen vom StrRehaG erfassten Tatbestand (schädigender Vorgang) verursacht worden ist. Die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen (schädigender Vorgang, Gesundheitsstörung, Schädigungsfolge) gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, die nachgewiesen, d.h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein müssen. Zwischen den drei Gliedern dieser Kette muss jeweils ein Kausalzusammenhang bestehen. Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Dieser Beweismaßstab gilt im Sozialen Entschädigungsrecht auch für den Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der durch dieses Ereignis hervorgerufenen gesundheitlichen Schädigung. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteil vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14, m.w.N.). Die Tatsachen, auf die sich der Kausalzusammenhang gründet, müssen hingegen wieder im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein.
Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG richtet sich der Anspruch auf Versorgung nach dem BVG in entsprechender Anwendung. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Beschädigtenrente ist § 31 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 BVG. Diese Vorschriften sind durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Da das Gesetz keine Übergangsvorschriften enthält, sind diese Vorschriften vom 21. Dezember 2007 an in der neuen Fassung (n.F.) und für den vorangegangenen streitgegenständlichen Zeitraum in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. I S. 21) und der nachfolgenden Änderungen (a.F.) anzuwenden.
Nach § 31 Abs. 1 BVG a.F. erhielten Beschädigte bei einer MdE um mindestens 30 v.H. eine monatliche Grundrente. Nach Abs. 2 der Vorschrift stellten die nach Abs. 1 für die Höhe der Rente maßgeblichen Vomhundertsätze Durchschnittssätze dar, von denen eine um fünf v.H. geringere MdE mit umfasst wurde. Nach § 31 Abs. 1 BVG n.F. setzt die Gewährung einer Grundrente einen GdS von mindestens 30 voraus. In der bis zum 21. Dezember 2007 geltenden Fassung des § 30 Abs. 1 BVG waren und in der seitdem geltenden Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 sind die Grundsätze geregelt, nach denen die MdE zu beurteilen war und nach der Neufassung der GdS zu beurteilen ist. Nach der alten Fassung des § 30 Abs. 1 BVG war die MdE nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren (Satz 1). Für die Beurteilung war maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt waren (Satz 2). Nach der Neufassung ist der GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2). Demnach reicht – wie zuvor nach § 31 Abs. 2 BVG a.F. – ein GdS von 25 zur Rentenberechtigung aus.
Als Grundlage für die Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte dienten der Praxis die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG v. 18. 9. 2003 – B 9 SB 3/02 R – SozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Um verfassungsrechtliche Einwände gegen die Legitimation der "Anhaltspunkte" auszuräumen, ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in § 30 Abs. 17 BVG, der durch das Änderungsgesetz vom 13. 12. 2007 (a.a.O.) angefügt worden ist, zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt worden. Auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassen. Nach ihrem § 1 regelt diese Verordnung unter anderem die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung ihres Schweregrades im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG. Nach § 2 VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" als deren Bestandteil festgelegt. Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 1996, 2004 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden.
Nach diesem rechtlichen Maßstab sind die angegriffenen Bescheide nicht zu beanstanden.
Der Anwendungsbereich des StrRehaG ist eröffnet, denn das Bezirksgericht M. hat mit Beschluss vom 30. Juli 1992 (Reh. 894/90, StA 103 Reha 1068/91) den Kläger für den Zeitraum vom 30. August 1986 bis 1. März 1988 rehabilitiert. Den erforderlichen Antrag auf Versorgung hat der Kläger gestellt. Doch besteht kein Anspruch auf eine Beschädigtenrente. Die anerkannte Schädigungsfolge "psychische Störung" rechtfertigt keine rentenberechtigenden MdE bzw. keinen rentenberechtigenden GdS.
Der GdS der anerkannten Schädigungsfolge "psychische Störung" ist nach Nr. 3.6. der Versorgungsmedizinischen Grundsätze", Teil B, S. 41 f., zu bewerten. Übereinstimmend haben sowohl der gerichtliche Sachverständige Dr. L. als auch die beteiligten Versorgungsärzte des Beklagten aufgrund der umfangreichen medizinischen Unterlagen einen schizophrenen Residualzustand spätestens seit der Entlassung am 1. März 1988 mit der Diagnose "Defektschizophrenie" angenommen. Für diese Erkrankung sieht die Tabelle die folgenden Einstufungen des Schweregrades vor: Mit geringen und einzelnen Restsymptomen Ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten 10 bis 20 Mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten 30 bis 40 Mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten 50 bis 70
Es kann dahingestellt bleiben, ob die unstreitig bestehenden leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten derzeit einen GdS von 30 (so der Beklagte) oder von 40 (so die Einschätzung von Dr. L.) bedingen. Jedenfalls ist die Einordnung als schizophrener Residualzustand mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten nachvollziehbar. So hat Dr. L. darauf hingewiesen, nach der Haft hätten Konzentrationsstörungen, eine Verlangsamung, eine affektive Verflachung, Ausdauerstörungen, Einschränkungen des Antriebs und eine Minderung des psychischen energetischen Potentials vorgelegen. Die behandelnde Nervenärztin K. hat eine verminderte psychische Belastbarkeit, eine verminderte Umstellungs- und Stressfähigkeit und eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit festgestellt. Dr. D. hat die Leistungsfähigkeit des Klägers ebenso eingeschätzt, sodass diesem eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer zuerkannt wurde. Für einen höheren GdS als 40 bestehen keine Anhaltspunkte. Keiner der beteiligten Sachverständigen oder Versorgungsärzte hat einen GdS von 50 oder mehr vorgeschlagen. Auch kann der Senat keine mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten des Klägers erkennen. Diese würde neben Auswirkungen im Berufsleben erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraussetzen (vgl. Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats BMA am 18./19.03.1998 – zitiert nach Rohr/Sträßer, A 180, Nr. 26.3, 65. Lfg. – Stand Juni 2001). Seine Erwerbsunfähigkeit hindert den Kläger nicht an einem geregelten Tagesablauf, wie er gegenüber Dr. L. berichtet hat. Die familiären Bindungen bestehen trotz seiner Erkrankung fort, denn er hat dem Sachverständigen mitgeteilt, sich um die Familie zu kümmern, da dies sein Rückhalt sei. Auch seine Ehe hat Bestand und sein Verhältnis zu beiden Kindern ist offenbar intakt. Bis zum Tod seiner Mutter hat er auch diese eng betreut. Damit liegen noch ausreichende soziale Bindungen vor, die vom Kläger auch als solche wahrgenommen und erlebt werden.
Auch wenn mit Dr. L. von einem derzeit bestehenden GdS von 40 (unter Einbeziehung der seit dem Jahre 2005 vorliegenden Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolge aufgrund der Angstträume) ausgegangen wird, erreicht der schädigungsbedingte Anteil nicht mindestens 25.
Der Einschätzung des Sachverständigen Dr. L., wonach der GdS vor der Haft 0 betragen habe, ist nicht zu folgen. Zwar hat er zu Recht hervorgehoben, dass vor der Haft noch kein Residualzustand diagnostiziert worden war. Doch rechtfertigt dies nicht die Schlussfolgerung eines GdS von 0 vor der Haft. Denn nach der Einschätzung von Dr. L. - und aller anderen im Verfahren beteiligter Ärzte - hat der Kläger schon vor der Haft an einer psychischen Störung gelitten. Soweit der Sachverständige seine Annahme auf fehlende soziale Anpassungsschwierigkeiten und die tatsächlich ausgeübte berufliche Tätigkeit des Klägers als Sachbearbeiter stützt, reicht dies für einen einen GdS von 0 keinesfalls aus. Denn selbst bei einem schizophrenen Residualzustand mit leichten Anpassungsschwierigkeiten, der die Annahme eines GdS von 30 bis 40 rechtfertigt, ist eine Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und / oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich (vgl. Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates BMA am 18./19.03.1998 - zitiert nach Rohr/Sträßer, A 180, Nr. 26.3, 65. Lfg. – Stand Juni 2001).
Zutreffend ist es stattdessen, in Übereinstimmung mit der Versorgungsärztin S. von einem GdS von (mindestens) 20 unmittelbar vor der Haft auszugehen. Für diese Bewertung spricht zunächst der zum Zeitpunkt des Fluchtversuchs schon mindestens über fünf Jahre bestehende Krankheitsverlauf. Auch wenn zunächst noch keine genaue diagnostische Einordnung der Erkrankung erfolgt ist, lässt sich nach den Ausführungen von Dr. L. rückwirkend eine schizophrene Psychose seit dem Jahre 1981 feststellen. Die Erkrankung ist seit diesem Zeitpunkt in Schüben und episodenhaft verlaufen. Auch während des Fluchtversuchs hat der Kläger, wie er selbst anschaulich geschildert hat, an einer Episode mit akustischen Halluzinationen gelitten, die schließlich die Annahme seiner Zurechnungsunfähigkeit zum Zeitpunkt des Fluchtversuchs gerechtfertigt hat. Da OMR Prof. Dr. O. für den Senat nachvollziehbar diese Episode in den Zusammenhang mit den bereits vorher aufgetreten Episoden von 1981 bis 1984 gebracht hat, ist aufgrund der kurzen Intervalle zwischen den Erkrankungen von einer manifestierten, also dauerhaften psychischen Störung auszugehen.
Diese Erkrankung ist bis zur Haft zumindest aIs leichte psychische Störung zu bewerten, für die ein GdS von wenigstens 20 nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B Nr. 3.7, S. 42) festzustellen ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Krankheitsepisode zum Zeitpunkt des Fluchtversuchs eine höhere Bewertung rechtfertigt. Für eine psychische Störung, die die Ausschöpfung des Bewertungsrahmens von 20 für leichte Störungen rechtfertigt, sprechen die im Jahre 1984 während der stationären Behandlung festgestellten psychischen Auffälligkeiten bzw. Einschränkungen. Es wurden festgestellt: Befürchtungen und Ängste mit hypochondrischen Einstellungen, Grübeleien und gedankliche Einengung, subjektive Klagen über eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und Dyspnoe unter Belastung, im Gespräch wenig sichtbare Emotionen und Affekte, geringe Mimik und Gestik, Minderung der Konzentrationsfähigkeit, schnelle Ermüdbarkeit, ein etwas verlangsamter und umstellungserschwerter Gedankengang und ein herabgesetztes Reaktionsvermögen. Diese Fülle an Störungen und Einschränkungen wurde auch nicht mit vollem Erfolg therapiert, da der Kläger auf eigenen Wunsch mit der Diagnose eines leichten hirndiffusen Psychosyndroms sowie einer neurotischen Entwicklung mit psychosomatischem Beschwerdekomplex aus der Behandlung entlassen worden ist. Für die auch in der Folgezeit noch bestehenden psychischen Beeinträchtigungen sprechen die Behandlungen in der Neuropsychiatrischen Abteilung der Kreispoliklinik Z. im Oktober 1984 und im Januar 1985 sowie die engmaschigen Fahrtauglichkeitsuntersuchungen durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. am 29. November 1984, 29. April 1985 und 12. Juni 1986. Ferner war der Kläger in den Jahren 1984 (99 Tage), 1985 (44 Tage) und 1986 (bis 31. August: 11 Tage) häufig arbeitsunfähig erkrankt, was ebenfalls für das Andauern seiner bereits 1984 geschilderten Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit spricht. Schließlich liegen für ernsthafte Gesundheitsstörungen auf anderem Fachgebiet, die die zahlreichen Krankheitstage erklären könnten, in den umfangreichen Akten keine Anhaltspunkte vor.
Auch wenn unmittelbar vor dem Fluchtversuch keine nervenärztliche Behandlung stattgefunden hat und deshalb nicht mehr aufgeklärt werden kann, in welchem Maße die 1984 festgestellten psychischen Einschränkungen konkret vorhanden waren, bestanden zu diesem Zeitpunkt (unabhängig von der erneuten Episode) in jedem Fall erhebliche Einschränkungen. So hat der Kläger nach dem Gutachten von OMR Prof. Dr. O. "nicht mehr gekonnt und nicht mehr gewollt". Er hatte angegeben, nervlich am Boden zu sein. Er hatte soziale Schwierigkeiten sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich (Probleme im Betrieb wegen der nicht erfolgten Delegierung zum Studium, mit seinen Eltern, seiner Ehefrau), die ihn letztlich auch zur Flucht veranlasst hatten. Er hatte schon vor dem Fluchtversuch kaum soziale Kontakte und hat nur das Musikhören, sein Auto und das Verfolgen von Sportsendungen als Hobby angegeben. Auch gegenüber seiner Ehefrau hat er sich nach seinen damaligen Ausführungen durch Musikhören über Kopfhörer zurückgezogen, sodass von psychischen Funktionseinschränkungen aufgrund der bestehenden psychischen Grunderkrankung ausgegangen werden muss, die eine Bewertung des GdS mit mindestens 20 rechtfertigen. Ferner war zu beachten, dass nach dem letzen stationären Aufenthalt des Klägers vor der erneuten Krankheitsepisode im August 1986 nur zwei Jahre und ein Monat vergangen waren. Ein Zeitraum von zwei Jahren wird nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B 3.7, S. 42) bei lang andauernden psychotischen Episoden als Zeit der Heilungsbewährung angesehen, die bei mehreren vorangegangenen manischen oder depressiven Episoden einen GdS von 50 und sonst von 30 rechtfertigt. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen ist mithin nach einer schizophrenen Episode eine Bewertung mit einem GdS auch dann vorzunehmen, wenn ein Residualzustand noch nicht eingetreten ist. Sie berücksichtigen damit die nach einer abgelaufenen Episode noch bestehenden Einschränkungen. Dieser Wertung entsprechend waren die beim Kläger vorliegenden Einschränkungen – wie ausgeführt – zumindest mit einem GdS von 20 zu bewerten.
Aus diesen Gründen bedingt der schädigungsbedingte Anteil auch unter Zugrundelegung der Einschätzung von Dr. L., die im Jahr 2005 aufgetretenen weiteren psychischen Einschränkungen seien auf die Schädigung zurückzuführen, allenfalls einen GdS von 20. Der Kläger erreicht deshalb nicht den für einen Anspruch auf eine Beschädigtenrente erforderlichen GdS von 25.
Weitere Schädigungsfolgen liegen nicht vor. Der Tinnitus steht nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit in einem Ursachenzusammenhang zur Haft bzw. der anschließenden Unterbringung. Insoweit folgt der Senat den prüfärztlichen Stellungnahmen des Beklagten.
Zwar hat der Kläger im Antrag auf Leistungen nach dem StrRehaG ein Ohrensausen infolge eines Hörsturzes angegeben. Ein konkretes schädigendes Ereignis, das einen Hörsturz bzw. nachfolgend einen Tinnitus ausgelöst haben kann, ist aber nicht erkennbar. In der gesamten umfangreichen medizinischen Dokumentation fehlt der Hinweis auf ein solches Ereignis. Auch der Kläger hat keine Angaben darüber gemacht, wann genau und in welchem Zusammenhang ein Hörsturz aufgetreten ist. Gegen einen Hörsturz spricht im Übrigen der Befund bei der Aufnahmeuntersuchung im Haftkrankenhaus B. am 4. Dezember 1986. Dort waren keine Einschränkungen des Hörvermögens festgestellt worden. Auch andere Hinweise auf einen zuvor erlittenen Hörsturz finden sich dort nicht. Schließlich spricht gegen einen Hörsturz, dass dieser in der Regel einseitig auftritt, der Kläger aber unter einem beidseitigen Tinnitus leidet. Der fehlende Nachweis eines Hörsturzes während der Haftzeit steht schließlich auch einer Kann-Versorgung entgegen. Denn rechtserhebliche Zweifel über die diagnostische Sicherung des Leidens rechtfertigen nicht die Anwendung der Kann-Vorschrift (Versorgungsmedizinische Grundsätze, C 4, S. 127).
Soweit der Tinnitus unabhängig von einem Hörsturz mit den psychischen Belastungen aufgrund der Haft in Zusammenhang gebracht werden soll, bestehen insoweit Bedenken, ob der Tinnitus seit der Haft objektiv auch vorgelegen hat. Zwar hat der Kläger "manchmal" über ein Ohrensausen während der Haftzeit geklagt. Doch genaue Angaben über den Klangcharakter, die Lokalisation und den Zeitverlauf des Ohrensausens wurden nicht dokumentiert. Gegen das objektive Vorliegen eines Tinnitus spricht auch die Untersuchungsdokumentation durch OMR Prof. Dr. O ... Dort hatte der Kläger über Ohrenpfeifen geklagt und beim Hinweis auf quietschende Fensterflügel geantwortet, dass dieses jetzt endgültig weg sei. Schließlich hat der Senat auch Zweifel, weil der Kläger während der Haft (wie auch schon zuvor) auch über weitere nicht objektivierbare diffuse und in ihrer Intensität wechselhafte Beschwerden (Magendarm und Lungenbeschwerden, Blutspucken) geklagt hat. Doch selbst wenn unter Zurückstellung dieser Bedenken davon ausgegangen wird, dass der Tinnitus während der Haftzeit vorgelegen hat, kann ein ursächlicher Zusammenhang nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit hergestellt werden. Es spricht mehr dafür, den Tinnitus mit den Versorgungsärzten des Beklagten im ursächlichen Zusammenhang mit der unabhängig von der Schädigung bestehenden Schizophrenie zu sehen. Nach dem Gutachten des OMR Prof. Dr. O. hat der Kläger bereits vor der Haft an einer Schizophrenie mit akustischen Halluzinationen gelitten. Auch die im Entlassungsbericht vom 3. März 1988 festgestellten "Phoneme" können mit den vielfach dokumentierten akustischen Halluzinationen in Zusammenhang gebracht werden. So hat Dr. W. für den Senat überzeugend darauf hingewiesen, die mit den seelischen Störungen wechselnde Ausprägung des Tinnitus spreche für einen Zusammenhang mit der schädigungsunabhängigen Schizophrenie bzw. der Hirnschädigung. Dafür spricht letztlich auch, dass die fachärztlichen Behandlungen durch HNO-Ärzte im Jahre 1984 und im Jahre 1990 jeweils im zeitlichen Zusammenhang mit einer erneuten Episode der Schizophrenie gestanden haben. Unmittelbar nach der Entlassung aus der psychiatrischen Unterbringung hat aber keine fachärztliche Behandlung stattgefunden. Daher reicht nach alledem der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Tinnitus und der Haftzeit nicht aus, um eine Schädigungsfolge begründen zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten sind die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen und eine Beschädigtenversorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG).
Der am ... 1957 geborene Kläger leistete nach dem Abitur den Wehrdienst und begann im Jahre 1978 ein Studium der Meliorationstechnik. Dieses gab er nach wenigen Monaten auf und arbeitete als Kraftfahrer bei der Deutschen Post. Von August 1980 bis Dezember 1985 war er beim Kreisbetrieb für Landtechnik Z. zunächst als Leiter eines Lagerbereichs und dann als Lagerarbeiter beschäftigt. Im Jahre 1983 nahm er mit Erfolg an einer Erwachsenenqualifikation zum Industriekaufmann (Facharbeiterabschluss) teil. Von Januar 1986 bis Juni 1991 war er beim Hydrierwerk R. zunächst als Einkäufer und anschließend als Sachbearbeiter tätig. Danach war er arbeitslos; seit 1992 bezieht er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Im Oktober 1979 erlitt der Kläger einen Motorradunfall. Nach der Behandlung in der Lungenklinik L. wegen einer respiratorischen Globalinsuffizienz mit einer Sauerstoffmangelversorgung des Gehirns wurde er am 12. Februar 1980 wegen einer psychotischen Symptomatik in der Nervenklinik der Medizinischen Akademie M. (MAM) weiterbehandelt. In der dortigen Epikrise vom 8. April 1980 waren ein hirndiffuses Psychosyndrom bei Zustand nach hypotoxischer Hirnschädigung sowie eine hochgradige Antriebsminderung und anklingende paranoide Gedanken diagnostiziert worden. Im Elektroenzephalogramm (EEG) hatte sich eine diskrete Funktionsstörung gezeigt. Nach Medikation waren die psychopathologischen Veränderungen rückläufig gewesen. In der Folgezeit fanden zahlreiche ambulante psychiatrische Behandlungen (Poliklinische Abteilung der Nervenklinik der MAM, Neuropsychiatrische Abteilung der Kreispoliklinik Z.), eine Fahrtauglichkeitsuntersuchung des Klägers durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. sowie vom 2. Mai bis 22. Juni 1981 eine stationäre Behandlung in der Bezirksnervenklinik H. statt. Eine weitere ambulante Vorstellung erfolgte dort im September 1981 aufgrund eines hirndiffusen Psychosyndroms. Im November 1981 erfolgte wiederum eine Behandlung in der Kreispoliklinik Z ... Im Mai 1982 fand eine weitere Fahrtauglichkeitsuntersuchung durch Dr. A. statt. Im Februar 1983 war der Kläger bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. K. in Behandlung. Im März 1984 erfolgte eine ambulante Vorstellung des Klägers bei dem Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (HNO) Dr. S. und am gleichen Tag eine weitere Behandlung in der Neuropsychiatrischen Abteilung der Kreispoliklinik Z ... Im April 1984 war der Kläger erneut bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. K. in Behandlung. Vom 3. bis 9. Juli 1984 wurde er in der Bezirksnervenklinik H. aufgrund der Verdachtsdiagnose "coenasthetische Schizophrenie" stationär behandelt. Im Befund wurde über Befürchtungen und Ängste mit hypochondrischen Einstellungen, Grübeleien und gedanklicher Einengung, subjektive Klagen über eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und Dyspnoe unter Belastung, im Gespräch wenig sichtbare Emotionen und Affekte, geringe Mimik und Gestik, Minderung der Konzentrationsfähigkeit, schnelle Ermüdbarkeit, einen etwas verlangsamten und umstellungserschwerten Gedankengang und ein herabgesetztes Reaktionsvermögen berichtet. In der Epikrise waren ein leichtes hirndiffuses Psychosyndrom sowie eine neurotische Entwicklung mit psychosomatischem Beschwerdekomplex festgestellt worden. Die stationäre Behandlung wurde auf Wunsch des Klägers beendet. Weitere Behandlungen in der Neuropsychiatrischen Abteilung der Kreispoliklinik Z. erfolgten im Oktober 1984 und im Januar 1985. Am 29. November 1984, 29. April 1985 und 12. Juni 1986 wurden durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. weitere Fahrtauglichkeitsuntersuchungen durchgeführt. Im Sozialversicherungsausweis sind Arbeitsausfalltage wie folgt aufgeführt: 1980: 104 Tage, 1981: 95 Tage, 1982: 60 Tage, 1983: 12 Tage, 1984: 99 Tage, 1985: 44 Tage und im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. August 1986: 11 Tage.
Am 30. August 1986 wurde der Kläger in der CSSR festgenommen, nachdem er im Grenzgebiet Möglichkeiten zur Überwindung der Staatsgrenze zur BRD erkundet hatte. Nach Überstellung in die DDR befand er sich in der Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in M.-N ... Am 3. November 1986 schloss Prof. Dr. K. nach einer psychiatrischen Kurzbegutachtung des Klägers eine Geisteskrankheit oder Folgeerscheinungen aufgrund der erlittenen Lungenkrankheit aus. In der Folgezeit gab der Kläger gegenüber dem Haftpersonal diffuse Beschwerden und Ohrensausen an, sprach von einem "Nervenbruch" und äußerte die Bitte, einem Facharzt vorgestellt zu werden. Ab 4. Dezember 1986 war er im Haftkrankenhaus B. untergebracht.
Am 21. Januar 1987 erstattete OMR Prof. Dr. O. auf der Grundlage mehrerer Explorationen im Haftkrankenhaus ein Gutachten über den Kläger. Während des Gesprächs hatte ihm der Kläger mitgeteilt, er könne den unangenehmen Fragen nicht mehr folgen. Dann hatte er erklärt: "Übrigens das rechte Ohr pfeift jetzt stärker". Nachdem Prof. Dr. O. ihn auf die quietschenden Fensterflügel hingewiesen hatte, hatte er gesagt: "Ja, stimmt, es ist jetzt weg – endgültig. Übrigens, Ohrpfeifen habe ich manchmal, aber erst seit der Haft – früher hatte ich das nicht." Zum Fluchtversuch hatte er berichtet, bereits 1981 durch Rundfunk und Fernsehen beeinflusst worden zu sein. Auch kurz vor der Grenze zur CSSR habe er eine Meldung des Bayerischen Rundfunks gehört und gedacht, er sei dort live. Das habe ihn endgültig motiviert, in die CSSR zu fahren. Er sei nervlich am Boden gewesen. Schon Wochen vor dem Fluchtversuch habe er kaum noch mit der Ehefrau gesprochen, auch habe es Probleme mit den Eltern und wegen des ihm nicht gewährten Studienplatzes gegeben. Er habe nicht mehr gekonnt und nicht mehr gewollt. Die Grenze habe er als endgültige Lösung seiner Probleme gesehen. OMR Prof. Dr. O. hatte ausgeführt, das genaue psychische Bild sei durch zusätzliche haftreaktive bzw. haftpsychotische symptomatische Einflüsse nicht mehr sauber zu diagnostizieren. Aufgrund des psychotischen Geschehens der vorangegangen Jahre, der glaubhaften Schilderungen des Klägers (Gefühl der Beobachtung und Verfolgung zum Zeitpunkt des Fluchtversuchs, akustische Halluzinationen) hatte er dessen Zurechnungsunfähigkeit zum Zeitpunkt des Fluchtversuchs angenommen und eine stationäre Einweisung empfohlen. Prognostisch schloss er ein erneutes Auftreten der psychotischen und haftpsychotischen Erscheinungen auch nach der Haftzeit nicht aus. Im Entlassungsbericht des Haftkrankenhauses wurde die Diagnose einer endogenen Psychose genannt und auf die Übereinstimmung des psychischen Bildes mit den Vorerkrankungen in den Jahren 1981 und 1984 hingewiesen.
Mit Beschluss vom 28. Januar 1987 hat das Kreisgericht M. die Strafsache gegen den Kläger wegen Zurechnungsunfähigkeit eingestellt. Am selben Tag wurde er in das Bezirkskrankenhaus H. eingewiesen; mit Beschluss vom 13. März 1987 erfolgte die unbefristete stationäre Einweisung. Am 1. März 1988 wurde er entlassen. Im Entlassungsbericht vom 3. März 1988 wurde die Diagnose einer Defektschizophrenie benannt und auf die Notwendigkeit einer Langzeitneuroepileptikatherapie mit ständiger ambulanter nervenfachärztlicher Behandlung hingewiesen.
Nach der Entlassung nahm der Kläger seine Tätigkeit als Sachbearbeiter beim Hydrierwerk R. wieder auf. Weitere fachärztliche Behandlungen erfolgten im September 1988 und August 1989 in der Neuropsychiatrischen Abteilung der Kreispoliklinik Z., im Januar 1990 durch den Facharzt für HNO Dr. H. sowie am 5. April 1990 in der HNO-Abteilung der Kreispoliklinik Z ... Vom 8. bis 10. Februar 1989 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Im August 1990 bat er das Bezirkskrankenhaus H. um Unterstützung bei einem gerichtlichen Vorgehen als Opfer des Stasi-Terrors. Er gab an, seit der Entlassung im Jahre 1988 keine Medikamente einzunehmen und wegen der anhaltenden Ohrgeräusche in fachärztlicher Behandlung zu sein.
Mit Beschluss des Bezirksgerichts M. vom 30. Juli 1992 (Reh. 894/90, StA 103 Reha 1068/91) wurde der Kläger für den Zeitraum vom 30. August 1986 bis 1. März 1988 rehabilitiert.
Am 27. September 1993 stellte er beim Amt für Versorgung und Soziales M. wegen Ohrensausen infolge eines Hörsturzes und einer psychischen Krankheit einen Antrag auf Leistungen nach dem StrRehaG. Die Behörde zog über die Nervenfachärztin Dipl.-Med. K. Epikrisen der Bezirksnervenklinik H. bei. Danach waren am 23. November 1990 eine akute Exazerbation einer bekannten Residualschizophrenie mit im Vordergrund stehender paranoider Symptomatik und am 2. Januar 1992 eine akute Exazerbation bei bekannter Residualschizophrenie diagnostiziert worden. Nach dem vom Versorgungsamt eingeholten Befundschein der Fachärztin für HNO Dipl.-Med. H. habe der Kläger im April 1990 über einen seit dreieinhalb Jahren bestehenden Tinnitus geklagt. Im Mai 1990 sei bei ihm bei 8000 Hz beidseitig ein Tinnitus mit wechselhaften Geräuschen festgestellt worden. In dem auf Veranlassung des Beklagten erstatteten Gutachten vom 12. Mai 1995 führte Prof. Dr. H. (Otto-von-Guericke-Universität M., Klinik für Neurophysiologie) aus, beim Kläger habe eine durch den beidseits nachgewiesenen Halbseitenbefund sowie die Hirnatrophie belegte Vorschädigung bestanden. Daraus habe sich im Zusammenhang mit den Haftbedingungen eine in Schüben exazerbierende psychotische Symptomatik entwickelt.
Mit Bescheid vom 29. August 1995 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, da der geltend gemachte Hörsturz nicht als Haftfolge belegt sei. Die psychische Erkrankung sei schädigungsunabhängig aus körperinnerer Ursache entstanden. Im anschließenden Widerspruchsverfahren führte der Prüfarzt Dipl.-Med. T. aus: Bereits nach den stationären Behandlungen 1980 und 1981 seien psychische Auffälligkeiten zurückgeblieben. Da der Kläger nach dem durch die Haft verursachten Krankheitsschub wieder arbeitsfähig gewesen sei, könne der schädigungsbedingte Anteil im Sinne der Verschlimmerung lediglich zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 vom Hundert (vH) geführt haben. Bei der Entlassung aus der Nervenklinik H. seien die akuten psychotischen Symptome wieder abgeklungen gewesen. Das verbliebene Defektsyndrom und die notwendige Weiterführung der Therapie seien Folge des gesamten Krankheitsverlaufs und nicht eines einzelnen Schubs. Mit (Abhilfe-)Bescheid vom 29. Februar 1996 erkannte der Beklagte beim Kläger eine "Psychische Störung" als Schädigungsfolge an, lehnte die Gewährung einer Rente aber ab, da die Schädigungsfolge keine rentenberechtigte MdE um mindestens 25 vH bedinge.
Am 25. Mai 1999 stellte der Kläger unter Hinweis auf weitere stationäre und medikamentöse Behandlungen wegen Wahnvorstellungen, Schlafstörungen und Albträumen einen Neufeststellungsantrag. Dipl.-Med. K. teilte mit Befundschein vom 24. August 1999 mit, der Kläger leide an einer schizophrenen Psychose mit einem Residualsyndrom. Aufgrund der vielen Krankheitsschübe liege ein Defektsyndrom mit verminderter psychischer Belastbarkeit und verminderter Umstellungs- und Stressfähigkeit vor. Daraufhin lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 17. Mai 2000 ab, weil alle mit der psychischen Erkrankung verbundenen Beeinträchtigungen und Behandlungen auf den eigenständigen Verlauf der chronisch verlaufenden Schizophrenie zurückzuführen seien.
Am 3. Juni 2005 stellte der Kläger beim Beklagten einen Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X). Nach telefonischer Rückfrage teilte er mit, seine psychische Erkrankung habe sich verschlimmert. Daraufhin führte der Beklagte ein Verfahren nach § 48 SGB X durch und holte weitere medizinische Unterlagen ein. Nach der Epikrise des Fachkrankenhauses H. vom 10. März 2004 war der Kläger dort wegen einer Exazerbation einer bekannten paranoiden Schizophrenie behandelt worden. Daneben habe der Verdacht auf eine akustische Halluzination bestanden. Der Kläger habe auf die seelische Belastung durch die frühere Inhaftierung und Zwangseinweisung sowie auf vermehrte Ohrengeräusche beidseits hingewiesen. Die Weiterbehandlung erfolgte im St. Joseph-Krankenhaus D. (Fachkrankenhaus für Psychiatrie). Im Entlassungsbericht vom 26. Juli 2004 war eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie diagnostiziert worden. Weitere Behandlungen erfolgten dort im August und September 2005 aufgrund einer schizoaffektiven Störung. Der Kläger habe verstärkt über den seit der Inhaftierung bestehenden Tinnitus geklagt und über Angstträume in letzter Zeit, die sich um die Erlebnisse der Häftlingszeit drehten. Bei ihm bestehe eine chronifizierte und durch psychosoziale Belastungsfaktoren (z.B. Krankenhausaufenthalt der Ehefrau) sich deutlich verstärkende Problematik. Außerdem lag die Epikrise des Instituts für Tinnitus-Forschung und Therapie GmbH vom 12. Dezember 2006 vor, wo im Rahmen einer Tinnitusrehabilitation ein dekompensierter Tinnitus festgestellt worden war. Im Arztbrief der HNO-Fachärztin Dipl.-Med. H. vom 12. März 2007 berichtete diese über die erfolglose Behandlung eines dekompensierten Tinnitus seit Mai 1991.
Mit Bescheid vom 23. Januar 2006 lehnte der Beklagte nach Beteiligung des ärztlichen Dienstes (Stellungnahme Dr. H.) den Neufeststellungsantrag ab, da keine dauerhafte Verschlimmerung der schädigungsbedingten psychischen Störungen eingetreten sei. Den am 28. Februar 2006 erhobenen Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2006 zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 29. Mai 2006 Klage beim Sozialgericht (SG) D.-R. erhoben und vorgetragen, der Beklagte habe weder die bestehenden Angstträume noch den Tinnitus berücksichtigt. Das SG hat zunächst das für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) durch die Nervenfachärztin Dr. D. am 11. März 1992 erstellte Gutachten beigezogen. Dieser Ärztin hatte der Kläger über stationäre Einweisungen wegen paranoider Gedanken bzw. aggressiver Gereiztheit berichtet. Seit 1986 leide er unter Ohrensausen und sei deshalb in fachärztlicher Behandlung. Dr. D. hatte festgestellt, aufgrund der chronisch-schizophrenen Psychose sei der Kläger in seiner Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Mit einer Verschlechterung des Leidens sei zu rechnen.
Auf Veranlassung des SG hat Dr. L. (Chefarzt des Psychiatrischen Krankenhauses H.) das Gutachten vom 25. April 2007 erstattet. Das Gutachten des OMR Prof. Dr. O. war ihm zu diesem Zeitpunkt unbekannt. Dr. L. gegenüber hatte der Kläger geschildert, im Juni 2005 hätten sich seine in geringer Intensität schon vorher bestehenden Angstträume verschlimmert. Er erlebe zwei bis dreimal pro Woche eine Szene aus der Stasi-Haft wieder, in der er mit einer Maschinenpistole bedroht worden war und Todesangst gehabt habe. Außerdem hatte der Kläger über einen seit der Haftzeit bestehenden Tinnitus berichtet. Er sei nicht mehr belastbar, fühle sich schnell überfordert und habe ausgeprägte Konzentrationsstörungen. Er stehe um 6:00 Uhr auf, versorge seine Mutter, gehe spazieren. Seine Frau arbeite halbtags. Er trinke mit seiner Frau Kaffee, dann gingen sie gemeinsam spazieren. Eine großen Freundeskreis und ein richtiges Hobby habe er nicht mehr, auch kein richtiges Hobby, vielleicht Musikhören. Nach Ansicht des Sachverständigen besteht beim Kläger eine bipolare schizoaffektive Störung mit persitierenden Alterationen (Residualzustand). Im Verlauf dieser endogenen Psychose seien vorwiegend schizophrene, daneben auch schizoaffektive und affektive Episoden aufgetreten. Die Psychose habe sich bereits vor der Haft, wahrscheinlich 1981 manifestiert. Gleichwohl habe die Erkrankung kaum bleibende Folgen im Hinblick auf das Funktionsniveau hinterlassen. Der Kläger sei seiner beruflichen Tätigkeit weiter nachgegangen, habe sich 1983 zum Industriekaufmann qualifiziert. Er habe 1984 geheiratet und das erste Kind sei geboren worden. Auch beim kurzen stationären Aufenthalt im Jahre 1984 seien Beeinträchtigungen des psychosozialen Funktionsniveaus nicht deutlich geworden. Dr. L. hat ausgeführt, auch die geschilderten Umstände des Fluchtversuchs, die Festnahme in der CSSR und die ersten Wochen der Inhaftierung ließen keine psychotischen Symptome erkennen. Während der Inhaftierung entwickelten sich eindeutige Zeichen einer Exazerbation der endogenen Psychose. Der Kläger habe über Wahnphänome (Beziehungswahn, Vergiftungswahn), über Ich-Erlebnisstörungen, Größenideen und über lebensbedrohend empfundene Situationen berichtet. Dabei sei zu berücksichtigen, Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus (etwa durch nächtliche Verhöre) und anhaltende Unruhe (Lärm und interpersonelle Auseinandersetzungen im Haftraum) könnten bei entsprechender Vulnerabilität die Exazerbation einer Psychose zweifelsfrei begünstigen. Die Haft und die psychiatrische Zwangsbehandlung hätten insoweit eine wesentliche verlaufsmodifizierende Bedeutung. Die Haftbedingungen seien der Auslöser der Exazerbation gewesen. Der Inhalt des psychotischen Erlebens habe sich forthin auf die Verfolgung durch die Staatssicherheit bezogen. Die während der Haft aufgetretene psychotische Exazerbation sei in ihrer Schwere und in ihren Folgen ausgeprägter als die vorangegangene psychotische Episode. Es sei eine über einjährige Behandlung erforderlich gewesen, an deren Ende ausgeprägte Symptome eines Residualsyndroms bestanden hätten, die die Diagnose "Defektschizophrenie" rechtfertigten. Nach dieser Episode sei der Kläger nicht mehr in der Lage gewesen, seine Arbeitsleistung vollumfänglich zu erbringen, sei im interpersonellen Kontakt verunsichert gewesen und habe einen sozialen Rückzug gezeigt. Eine deutliche Minderung des psychischen energetischen Potentials sei zu verzeichnen gewesen und habe schließlich zur Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente geführt. Insoweit sei durch die Haft eine dauerhafte Verschlimmerung eingetreten. Die ab 2005 vermehrt auftretenden Albträume seien nicht als posttraumatische Belastungsstörung einzuordnen, obwohl einzelne Symptome einer solchen Störung vorlägen. Eine Zunahme der Frequenz der Albträume könne auch im Zusammenhang mit akuten Krankheitsepisoden der Psychose, einer Zunahme persistierender Alterationen im Verlauf oder mit Veränderungen der psychopharmakologischen Therapie stehen. Auch eine Wechselwirkung einzelner Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung mit der endogenen Psychose sei zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Tinnitus könnten keine anderen Ursachen wahrscheinlich gemacht werden, sodass er als allein durch die Haft bedingt anzusehen sei. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt, der schizophrene Residualzustand bedinge seit 1988 dauerhaft wenigstens leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten und sei mit einer MdE um 30 zu bewerten. Ab August 2005 sei es zu einer Zunahme von Albträumen gekommen, deren Inhalt in Zusammenhang mit einem traumatisierenden Erlebnis in der Haft stehe. Dafür sei eine MdE um 40 anzunehmen. Der Tinnitus ohne erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen sei mit 10 zu bewerten, führe aber zu keiner Erhöhung der Gesamt-MdE.
Der Beklagte hat unter Hinweis auf die Stellungnahme der Prüfärztin Frau S. eingewandt: Der Verschlimmerungsanteil betrage höchstens 10 vH. Eine verlaufsmodifizierende Bedeutung der Haft liege nicht vor. So sei der Kläger an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt, bis der Betrieb im Rahmen der "Wende" aufgelöst worden sei. Die familiären Beziehungen hätten Bestand gehabt und er sei Vater eines zweiten Kindes geworden. Dennoch sei eine beginnende Entwicklung eines Residualsyndroms anzunehmen, da im Entlassungsbrief H. erstmals eine "Defektschizophrenie", aufgrund der stationären Behandlungen 1990 und 1991 jeweils "Exazerbationen einer bekannten Residualschizophrenie" und im Rentenverfahren 1992 ein "Defizienzsyndrom bei Schizophrenie" diagnostiziert worden seien. Mit einer MdE um 30 vH erfasse der Sachverständige exakt die damalige gesamte Symptomatik, berücksichtige aber nicht, dass nur der Verschlimmerungsanteil zu bewerten sei. Der Symptomwandel ab 2004 (schizo-affektive Symptomatik mit schizophrenen und affektiven Störungen) sei als eigenständiger Leidensverlauf anzusehen und stehe nicht im Zusammenhang mit der Haft. Hinsichtlich des Tinnitus sei auf die mulitfaktorielle Genese zu verweisen.
Mit Urteil vom 22. August 2007 hat das SG den Bescheid vom 23. Januar 2006 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 8. Mai 2006 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, die Bescheide vom 29. August 1995 und 17. Mai 2000 aufzuheben, den Bescheid vom 29. Februar 1996 abzuändern und dem Kläger wegen der Folgen der Haft eine Beschädigtenrente nach dem StrRehaG nach einer MdE um 30 vH ab 27. September 1993 und nach einer MdE um 40 vH ab 1. August 2005 zu zahlen. Zur Begründung hat es auf die Ausführungen des Sachverständigen verwiesen. Gegen das ihm am 12. September 2007 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 9. Oktober 2007 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Er ist der Auffassung, der vom Sachverständigen angenommene "Leistungsknick" nach der Haftzeit sei nicht ersichtlich. Die empfohlene nervenärztliche Behandlung und die Medikamenteneinnahme seien nur kurzzeitig erfolgt. Auch ein eingeschränktes Sozialverhalten sei nicht erkennbar gewesen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 22. August 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger hat vorgetragen, die 1988 empfohlene engmaschige ambulante Weiterbehandlung habe sich nicht mit der Vollzeittätigkeit vereinbaren lassen. Doch schon 1990 seien in der Klinik H. wieder Krankheitssymptome festgestellt worden.
Der vormalige Berichterstatter hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe nur über einen Verschlimmerungsantrag entschieden und hat die Durchführung eines Verfahrens nach § 44 SGB X angeregt. Daraufhin hat der Beklage eine versorgungsärztliche Überprüfung veranlasst. Nach der Auffassung von Dr. W. vom 14. März 2008 sei ein Hörsturz während der Haft nicht nachgewiesen. Damit könne auch der Tinnitus nicht als Folge eines Hörsturzes und damit als Schädigungsfolge anerkannt werden. Zudem träte ein Hörsturz in der Regel einseitig auf, beim Kläger läge der Tinnitus aber beidseitig vor. Die mit den seelischen Störungen wechselnde Ausprägung des Tinnitus spreche für einen Zusammenhang mit der schädigungsunabhängigen Schizophrenie bzw. der Hirnschädigung. Zudem lägen keine psychovegetativen Begleiterscheinungen vor.
Mit Bescheid vom 28. März 2008 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 31. Mai 2005 auf Rücknahme des Bescheides vom 29. Februar 1996 ab. Zwar liege eine psychische Störung als schädigungsbedingter Verschlimmerungsanteil der bereits vor der Haft entstandenen schizophrenen Psychose mit episodenhaftem Verlauf vor. Ein rentenberechtigter Grad der Schädigung (GdS) werde aber nicht erreicht, denn soziale Anpassungsschwierigkeiten nach der Haft bzw. nach der stationären Behandlung seien nicht festzustellen. Der Kläger habe an seine bisherige Lebensführung anknüpfen können und sei vollschichtig arbeitsfähig sowie beruflich wie familiär integriert gewesen. Obwohl er sich später der ärztlichen Behandlung entzogen und die Medikamente abgesetzt habe, sei der nächste Krankheitsschub erst im Herbst 1990 eingetreten. Der Tinnitus sei nicht mit der geforderten Wahrscheinlichkeit auf die Umstände der Haft zurückzuführen.
Demgegenüber hat der Kläger seine nach der Entlassung im Jahre 1988 erheblich eingeschränkte Leistungsfähigkeit hervorgehoben. Hinzu gekommen sei ein massives Mobbing der Arbeitskollegen, was zusammengenommen zur Arbeitslosigkeit geführt habe. Ferner seien der Rückzug aus der weiteren ambulanten Behandlung und das Absetzen der Medikamente gerade ein Zeichen der Erkrankung. Die Ärzte gehörten zur gleichen Obrigkeit, die ihn verhaftet und misshandelt habe. Mit zunehmendem Abstand zum Klinikaufenthalt sei das Misstrauen größer geworden, was auf Anzeichen einer erneuten Episode schließen lasse, die im Herbst 1990 ihren Höhepunkt erreicht habe. Hinsichtlich des Tinnitus hat der Kläger auf die bereits im Entlassungsbericht vom 3. März 1988 beschriebenen "Phoneme" hingewiesen. Außerdem sei im Bericht vom 23. November 1990 die Formulierung "wegen eines immer wieder geklagten Tinnitus" enthalten. Diese Problematik sei schon 1988 ignoriert worden, da die Ärzte auf die Defektschizophrenie fixiert gewesen seien.
Der Senat hat die Akte des Landgerichts M. (Reha. 894/90), den Sozialversicherungsausweis des Klägers, Kopien über die stationäre Behandlung vom 28. Januar 1987 bis 1. März 1988, die Handakte der Staatsanwaltschaft des Bezirkes M. sowie Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR beigezogen, in denen u. a. der Entlassungsbericht vom 26. Januar 1987 und das Gutachten des OMR Prof. Dr. O. enthalten sind.
Im Vernehmungsprotokoll vom 2. Oktober 1986 hatte der Kläger als Freizeitbeschäftigung das Musikhören angegeben und ausgeführt, dies werde bei Streitigkeiten mit der Ehefrau gefördert, weil er sich dann unter seine Kopfhörer zurückziehe. Ansonsten verfolge er Sportsendungen im Fernsehen und interessiere sich sehr für sein Auto. Andere Hobbys oder Interessen habe er nicht. Im Auskunftsbericht vom 3. Dezember 1986 ist ausgeführt worden, der Kläger habe zeitweilig, offensichtlich nervlich bedingt, Gehörstörungen. Weiterhin hat sich in den Unterlagen der Bericht der Aufnahmeuntersuchung vom 4. Dezember 1986 befunden, in dem festgehalten worden war: "Ohren äußerlich: o.B. und Gehör: o.B.". In den Behandlungsunterlagen vom 4. Dezember 1986 ist unter der Angabe der Uhrzeit 14:00 Uhr "Ohrensausen" dokumentiert worden. In der Verlaufsdokumentation der Psychiatrie vom 11. Dezember 1986 sind Probleme des Kläger mit seiner Ehefrau, den Eltern und im Beruf festgehalten worden. Es habe Reibereien mit den Kollegen gegeben und er habe nicht verstanden, Leiter zu sein. Dann sei er degradiert worden. Der Widerspruch zum Abitur habe genervt. Nach dem Abschluss als Industriekaufmann im Rahmen der Erwachsenenqualifikation im Jahre 1983 sei er in R. als Einkäufer tätig gewesen. Dorthin sei er versetzt worden, weil es Probleme mit dem Frauenkollektiv gegeben habe. Danach habe er als Sachbearbeiter für Lagertechnik gearbeitet. Er habe sich zum Fachschulstudium berufen gefühlt, sei aber abgelehnt worden. Die Beurteilung sei entsprechend ausgefallen. Den Fluchversuch habe er unternommen, weil er Probleme mit seiner Ehefrau gehabt habe und die beruflichen Probleme dazugekommen seien.
Außerdem hat der Senat die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen. In dieser befindet sich der Befundschein der Dipl.-Med. H. mit der Hörprüfung vom 5. Oktober 1993. Diese hatte ein beidseitig normales Gehör mit einem Hochtonabfall in den tiefen Frequenzen ergeben.
Unter Berücksichtigung der beigezogenen Unterlagen sowie aufgrund einer Nachuntersuchung des Klägers am 13. August 2009 hat Dr. L. auf Veranlassung des Senats am 2. September 2009 ein ergänzendes Gutachten erstellt. Dort hatte der Kläger angegeben, er kümmere sich um die Familie, das sei sein Rückhalt. Vor einem Jahr sei seine Mutter verstorben, die er intensiv betreut und häufig im Altenpflegeheim besucht habe. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt: Zunächst habe der Kläger unter schizophrenen Psychosen gelitten. Unter Hinweis auf das Gutachten von OMR Prof. Dr. O. hat er auf erste psychotische Symptome schon auf dem Weg von Z. zur tschechischen Grenze hingewiesen. Da die psychotischen Symptome aber zunächst nicht erfasst worden seien, müsse von einer Zunahme der Symptomatik unter den Haftbedingungen ausgegangen werden. Weil am 28. Januar 1987 sowohl schizophrene Symptome als auch Symptome einer Manie vorgelegen hätten, sei diese Episode als schizoaffektive Psychose (F.25.0 nach ICD-10-Code) zu bezeichnen. Die weiteren Erkrankungsepisoden seien als schizoaffektive Störung zu bezeichnen. Auch wenn mehr für als gegen eine kausale Beziehung zwischen der psychotischen Episode und der Haft spreche, könne die kausale Beziehung nicht voll bewiesen werden. Insgesamt seinen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende psychosoziale Belastungen zu bejahen (Inhaftierung in der fremdsprachigen Umgebung, Untersuchungshaft mit Verhören zu unterschiedlichen Zeiten, Zwangsmedikation, herabwürdigende Beschimpfungen, Todesangst, als subjektives Unrecht erlebte unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, neuroepileptische Dauermedikation, schwere und quälende Nebenwirkungen). Der Kläger habe nicht gewusst, wann und unter welchen Bedingungen er (jemals) wieder entlassen werden würde. Vor der Haft habe der GdS 0 vH betragen, da kein Residualzustand bestanden habe. Soziale Anpassungsschwierigkeiten hätten nicht vorgelegen. Die nach der Haft bzw. der unbefristeten Unterbringung vorhandenen Konzentrationsstörungen, die Verlangsamung, die affektive Verflachung, Ausdauerstörungen, Einschränkungen des Antriebs und die insgesamt festzustellende Minderung des psychischen energetischen Potentials hätten sich als dauerhaft im Sinne persistierender Alterationen (Residualsyndrom) gezeigt. Sie hätten zu leichten Anpassungsschwierigkeiten geführt und bedingten zunächst einen GdS von 30. Aus der Differenz ergebe sich der GdS für den Verschlimmerungsanteil von 30. Das ab 1988 vorliegende Residualsyndrom sei wesentlich verlaufsmodifizierend. Die persitierenden Alterationen mit der Zunahme von Überforderungsgefühlen bei jeglichen Anstrengungen schränke nicht nur die soziale Anpassungsfähigkeit ein, sondern führe auch zur Zunahme der Vulnerabilität. Die ab Juni 2005 angegebenen Albträume und Schlafstörungen bedingten für sich einen GdS von 10. Zusammen mit dem Residualsyndrom betrage der Gesamt-GdS 40. Das ergebe sich nicht aus einer Addition, sondern aufgrund eines inneren Zusammenhangs. Das Erleben eines erhöhten Anspannungsniveaus und die Erinnerungen an das Trauma verminderten das psychische energetische Potential im Rahmen des Residualsyndroms. Damit gehe eine Abnahme der sozialen Interaktionsfähigkeit einher. Gleichzeitig sei die Wahrscheinlichkeit eines Wiederausbruchs der Psychose erhöht worden. Hinsichtlich des Hörsturzes hat der Sachverständige ausgeführt, ein konkretes schädigendes Ereignis sei nicht zu erkennen. Allerdings könnten Zustände von Anspannung und Stress, ebenso wie depressive Verstimmungszustände zu einer Zunahme der Ohrgeräusche führen. Tatsächlich sei der Tinnitus auch im Gutachten vom 21. Januar 1987 erstmals erwähnt worden. Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs und der vorhandenen Stressbelastungen könnten die Voraussetzungen einer Kann-Versorgung gegeben seien. Der GdS für den Tinnitus betrage 10, weil erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen damit nicht verbunden seien und erhöhe nicht den Gesamt-GdS. Der Beklagte hat unter Hinweis auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Frau S. an seiner bisherigen Auffassung festgehalten. Diese hat in ihrer Stellungnahme vom 21. Oktober 2009 dem Sachverständigen hinsichtlich der diagnostischen Einordnung der Erkrankung zugestimmt. Zwar sei der Zeitpunkt des Diagnosewechsels retrospektiv nicht mit Sicherheit abzugrenzen, was aber versorgungsmedizinisch ohne Bedeutung sei, da die Vorgaben für schizophrene und affektive Psychosen identisch seien. Die Versorgungsärztin hat auf das Urteil des Kreisgerichts M. hingewiesen, wonach der Kläger zum Zeitpunkt der Tat und nicht erst während der Haft unzurechnungsfähig gewesen sei. Daher sei die Inhaftierung keinesfalls die Ursache der strittig schizophrenen Episode und es scheide eine Kann-Versorgung aus, da die zur Diskussion stehende Episode bereits vor der geltend gemachten Haft begonnen habe. Bei Festlegung des Verschlimmerungsanteils sei zu beachten, dass schon 1984 ein schizophrener Residualzustand mit Konzentrationsstörungen, Vitalitätseinbuße und affektiver Nivellierung vorgelegen habe ("gedankliche Einengung, Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, wenig sichtbare Emotion, schnelle Ermüdbarkeit, Gedankengang verlangsamt und umstellungserschwert). Ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten habe der GdS vor der Haft 20 und nach der Haft und Zwangsunterbringung 30 betragen. Des Weiteren hat die Versorgungsärztin ausgeführt, die weiterhin geltend gemachten Beeinträchtigungen (Schlafstörungen) seien nicht zu objektivieren. Dies schließe eine Anerkennung als Schädigungsfolge aus. Im Übrigen könne der GdS um 10 den Gesamt-GdS nicht erhöhen. Schließlich sei ein kausaler Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Tinnitus und der Schädigung nicht mit der notwendigen kausalen Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann in der Sache entscheiden. Im vorliegenden Fall ist das Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahme im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG) vom 29. Oktober 1992 (BGBl. I S. 1814) anzuwenden, das als Artikel 1 des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes an 4. November 1992 in Kraft getreten und in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2664) zuletzt durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904, 2915) geändert worden ist.
Für die Durchführung der vom Kläger begehrten Beschädigtenversorgung nach § 21 StrRehaG sind nach § 25 Abs. 4 Satz 1 StrRehaG die Behörden zuständig, denen die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) obliegt. Soweit das StrRehaG von den für die Kriegsopferversorgung zuständigen Verwaltungsbehörden durchzuführen ist, entscheiden nach § 25 Absatz 4 StrRehaG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Insoweit sind die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung maßgebend.
Das beklagte Land hat im vorliegenden Verfahren seine Prozessfähigkeit im Sinne von § 71 Absatz 1 SGG durch die Neuordnung seiner Versorgungsverwaltung nicht verloren, weil die Anforderungen des § 71 Absatz 5 SGG an seine Vertretung noch erfüllt sind. Der Leiter des dem Landesverwaltungsamt eingegliederten "Landesversorgungsamtes" ist die natürliche Person, durch die das beklagte Land im vorliegenden Verfahren nach § 71 Absatz 5 SGG gesetzlich vertreten ist. Zur Begründung im Einzelnen wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom 19. Februar 2004 - L 7 (5) SB 8/02 - JMBl. LSA 2004, S. 111 Bezug genommen.
Die nach den §§ 143, 144 Absatz 1 Satz 2 SGG statthafte und auch in der von § 151 Absatz 1 SGG vorgeschriebenen Form und Frist eingelegte Berufung des Beklagten ist begründet. Das beklagte Land hat den Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung auf der Grundlage des StrRehaG zu Recht abgelehnt. Auch besteht kein Anspruch des Klägers auf die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist sowohl ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X als auch ein Neufeststellungsantrag nach § 48 SGB X.
Mit Bescheid vom 28. März 2008, der in entsprechender Anwendung des § 96 SGG in der noch bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden ist, hat der Beklagte den Antrag des Klägers nach § 44 Absatz 1 SGB X abgelehnt. Nach dieser Norm ist der eine Sozialleistung ablehnende Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Die Voraussetzungen sind nicht gegeben. Der Beklagte hat bei Erlass des Bescheids vom 29. Februar 1996 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Insbesondere hat er zu Recht es abgelehnt, den Tinnitus des Klägers als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen. Auch die Bewertung der anerkannten Schädigungsfolge "psychische Störung" mit keiner rentenberechtigenden MdE war rechtmäßig.
Außerdem hat der Beklagte mit dem Bescheid vom 23. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 8. Mai 2006 den Antrag nach § 48 SGB Abs. 1 Satz 1 SGB X wegen einer Verschlimmerung der bereits anerkannten Schädigungsfolge (Psychische Störung) abgelehnt. Nach dieser Norm ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Wesentlich sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung richtet sich damit nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht (st. Rspr. des BSG, vgl. nur Urteil vom 21. März 1996 – 1 RAr 101/94 – SozR 3-1300 § 48, S. 111 m.w.N.). Für die vorliegende Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage die mündliche Verhandlung des Senats. Nach diesem Maßstab hat der Beklagte zu Recht den Versorgungsanspruch des Klägers abgelehnt, weil kein rentenberechtigender Grad der Schädigung (GdS) vorliegt.
Nach § 21 Absatz 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Freiheitsentziehung, für die er rehabilitiert worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Die Schädigungsfolge muss also auf einer Gesundheitsstörung beruhen, die durch einen vom StrRehaG erfassten Tatbestand (schädigender Vorgang) verursacht worden ist. Die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen (schädigender Vorgang, Gesundheitsstörung, Schädigungsfolge) gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, die nachgewiesen, d.h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein müssen. Zwischen den drei Gliedern dieser Kette muss jeweils ein Kausalzusammenhang bestehen. Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Dieser Beweismaßstab gilt im Sozialen Entschädigungsrecht auch für den Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der durch dieses Ereignis hervorgerufenen gesundheitlichen Schädigung. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteil vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14, m.w.N.). Die Tatsachen, auf die sich der Kausalzusammenhang gründet, müssen hingegen wieder im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein.
Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG richtet sich der Anspruch auf Versorgung nach dem BVG in entsprechender Anwendung. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Beschädigtenrente ist § 31 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 BVG. Diese Vorschriften sind durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Da das Gesetz keine Übergangsvorschriften enthält, sind diese Vorschriften vom 21. Dezember 2007 an in der neuen Fassung (n.F.) und für den vorangegangenen streitgegenständlichen Zeitraum in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. I S. 21) und der nachfolgenden Änderungen (a.F.) anzuwenden.
Nach § 31 Abs. 1 BVG a.F. erhielten Beschädigte bei einer MdE um mindestens 30 v.H. eine monatliche Grundrente. Nach Abs. 2 der Vorschrift stellten die nach Abs. 1 für die Höhe der Rente maßgeblichen Vomhundertsätze Durchschnittssätze dar, von denen eine um fünf v.H. geringere MdE mit umfasst wurde. Nach § 31 Abs. 1 BVG n.F. setzt die Gewährung einer Grundrente einen GdS von mindestens 30 voraus. In der bis zum 21. Dezember 2007 geltenden Fassung des § 30 Abs. 1 BVG waren und in der seitdem geltenden Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 sind die Grundsätze geregelt, nach denen die MdE zu beurteilen war und nach der Neufassung der GdS zu beurteilen ist. Nach der alten Fassung des § 30 Abs. 1 BVG war die MdE nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren (Satz 1). Für die Beurteilung war maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt waren (Satz 2). Nach der Neufassung ist der GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2). Demnach reicht – wie zuvor nach § 31 Abs. 2 BVG a.F. – ein GdS von 25 zur Rentenberechtigung aus.
Als Grundlage für die Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte dienten der Praxis die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG v. 18. 9. 2003 – B 9 SB 3/02 R – SozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Um verfassungsrechtliche Einwände gegen die Legitimation der "Anhaltspunkte" auszuräumen, ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in § 30 Abs. 17 BVG, der durch das Änderungsgesetz vom 13. 12. 2007 (a.a.O.) angefügt worden ist, zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt worden. Auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassen. Nach ihrem § 1 regelt diese Verordnung unter anderem die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung ihres Schweregrades im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG. Nach § 2 VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" als deren Bestandteil festgelegt. Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 1996, 2004 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden.
Nach diesem rechtlichen Maßstab sind die angegriffenen Bescheide nicht zu beanstanden.
Der Anwendungsbereich des StrRehaG ist eröffnet, denn das Bezirksgericht M. hat mit Beschluss vom 30. Juli 1992 (Reh. 894/90, StA 103 Reha 1068/91) den Kläger für den Zeitraum vom 30. August 1986 bis 1. März 1988 rehabilitiert. Den erforderlichen Antrag auf Versorgung hat der Kläger gestellt. Doch besteht kein Anspruch auf eine Beschädigtenrente. Die anerkannte Schädigungsfolge "psychische Störung" rechtfertigt keine rentenberechtigenden MdE bzw. keinen rentenberechtigenden GdS.
Der GdS der anerkannten Schädigungsfolge "psychische Störung" ist nach Nr. 3.6. der Versorgungsmedizinischen Grundsätze", Teil B, S. 41 f., zu bewerten. Übereinstimmend haben sowohl der gerichtliche Sachverständige Dr. L. als auch die beteiligten Versorgungsärzte des Beklagten aufgrund der umfangreichen medizinischen Unterlagen einen schizophrenen Residualzustand spätestens seit der Entlassung am 1. März 1988 mit der Diagnose "Defektschizophrenie" angenommen. Für diese Erkrankung sieht die Tabelle die folgenden Einstufungen des Schweregrades vor: Mit geringen und einzelnen Restsymptomen Ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten 10 bis 20 Mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten 30 bis 40 Mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten 50 bis 70
Es kann dahingestellt bleiben, ob die unstreitig bestehenden leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten derzeit einen GdS von 30 (so der Beklagte) oder von 40 (so die Einschätzung von Dr. L.) bedingen. Jedenfalls ist die Einordnung als schizophrener Residualzustand mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten nachvollziehbar. So hat Dr. L. darauf hingewiesen, nach der Haft hätten Konzentrationsstörungen, eine Verlangsamung, eine affektive Verflachung, Ausdauerstörungen, Einschränkungen des Antriebs und eine Minderung des psychischen energetischen Potentials vorgelegen. Die behandelnde Nervenärztin K. hat eine verminderte psychische Belastbarkeit, eine verminderte Umstellungs- und Stressfähigkeit und eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit festgestellt. Dr. D. hat die Leistungsfähigkeit des Klägers ebenso eingeschätzt, sodass diesem eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer zuerkannt wurde. Für einen höheren GdS als 40 bestehen keine Anhaltspunkte. Keiner der beteiligten Sachverständigen oder Versorgungsärzte hat einen GdS von 50 oder mehr vorgeschlagen. Auch kann der Senat keine mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten des Klägers erkennen. Diese würde neben Auswirkungen im Berufsleben erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraussetzen (vgl. Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats BMA am 18./19.03.1998 – zitiert nach Rohr/Sträßer, A 180, Nr. 26.3, 65. Lfg. – Stand Juni 2001). Seine Erwerbsunfähigkeit hindert den Kläger nicht an einem geregelten Tagesablauf, wie er gegenüber Dr. L. berichtet hat. Die familiären Bindungen bestehen trotz seiner Erkrankung fort, denn er hat dem Sachverständigen mitgeteilt, sich um die Familie zu kümmern, da dies sein Rückhalt sei. Auch seine Ehe hat Bestand und sein Verhältnis zu beiden Kindern ist offenbar intakt. Bis zum Tod seiner Mutter hat er auch diese eng betreut. Damit liegen noch ausreichende soziale Bindungen vor, die vom Kläger auch als solche wahrgenommen und erlebt werden.
Auch wenn mit Dr. L. von einem derzeit bestehenden GdS von 40 (unter Einbeziehung der seit dem Jahre 2005 vorliegenden Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolge aufgrund der Angstträume) ausgegangen wird, erreicht der schädigungsbedingte Anteil nicht mindestens 25.
Der Einschätzung des Sachverständigen Dr. L., wonach der GdS vor der Haft 0 betragen habe, ist nicht zu folgen. Zwar hat er zu Recht hervorgehoben, dass vor der Haft noch kein Residualzustand diagnostiziert worden war. Doch rechtfertigt dies nicht die Schlussfolgerung eines GdS von 0 vor der Haft. Denn nach der Einschätzung von Dr. L. - und aller anderen im Verfahren beteiligter Ärzte - hat der Kläger schon vor der Haft an einer psychischen Störung gelitten. Soweit der Sachverständige seine Annahme auf fehlende soziale Anpassungsschwierigkeiten und die tatsächlich ausgeübte berufliche Tätigkeit des Klägers als Sachbearbeiter stützt, reicht dies für einen einen GdS von 0 keinesfalls aus. Denn selbst bei einem schizophrenen Residualzustand mit leichten Anpassungsschwierigkeiten, der die Annahme eines GdS von 30 bis 40 rechtfertigt, ist eine Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und / oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich (vgl. Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates BMA am 18./19.03.1998 - zitiert nach Rohr/Sträßer, A 180, Nr. 26.3, 65. Lfg. – Stand Juni 2001).
Zutreffend ist es stattdessen, in Übereinstimmung mit der Versorgungsärztin S. von einem GdS von (mindestens) 20 unmittelbar vor der Haft auszugehen. Für diese Bewertung spricht zunächst der zum Zeitpunkt des Fluchtversuchs schon mindestens über fünf Jahre bestehende Krankheitsverlauf. Auch wenn zunächst noch keine genaue diagnostische Einordnung der Erkrankung erfolgt ist, lässt sich nach den Ausführungen von Dr. L. rückwirkend eine schizophrene Psychose seit dem Jahre 1981 feststellen. Die Erkrankung ist seit diesem Zeitpunkt in Schüben und episodenhaft verlaufen. Auch während des Fluchtversuchs hat der Kläger, wie er selbst anschaulich geschildert hat, an einer Episode mit akustischen Halluzinationen gelitten, die schließlich die Annahme seiner Zurechnungsunfähigkeit zum Zeitpunkt des Fluchtversuchs gerechtfertigt hat. Da OMR Prof. Dr. O. für den Senat nachvollziehbar diese Episode in den Zusammenhang mit den bereits vorher aufgetreten Episoden von 1981 bis 1984 gebracht hat, ist aufgrund der kurzen Intervalle zwischen den Erkrankungen von einer manifestierten, also dauerhaften psychischen Störung auszugehen.
Diese Erkrankung ist bis zur Haft zumindest aIs leichte psychische Störung zu bewerten, für die ein GdS von wenigstens 20 nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B Nr. 3.7, S. 42) festzustellen ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Krankheitsepisode zum Zeitpunkt des Fluchtversuchs eine höhere Bewertung rechtfertigt. Für eine psychische Störung, die die Ausschöpfung des Bewertungsrahmens von 20 für leichte Störungen rechtfertigt, sprechen die im Jahre 1984 während der stationären Behandlung festgestellten psychischen Auffälligkeiten bzw. Einschränkungen. Es wurden festgestellt: Befürchtungen und Ängste mit hypochondrischen Einstellungen, Grübeleien und gedankliche Einengung, subjektive Klagen über eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und Dyspnoe unter Belastung, im Gespräch wenig sichtbare Emotionen und Affekte, geringe Mimik und Gestik, Minderung der Konzentrationsfähigkeit, schnelle Ermüdbarkeit, ein etwas verlangsamter und umstellungserschwerter Gedankengang und ein herabgesetztes Reaktionsvermögen. Diese Fülle an Störungen und Einschränkungen wurde auch nicht mit vollem Erfolg therapiert, da der Kläger auf eigenen Wunsch mit der Diagnose eines leichten hirndiffusen Psychosyndroms sowie einer neurotischen Entwicklung mit psychosomatischem Beschwerdekomplex aus der Behandlung entlassen worden ist. Für die auch in der Folgezeit noch bestehenden psychischen Beeinträchtigungen sprechen die Behandlungen in der Neuropsychiatrischen Abteilung der Kreispoliklinik Z. im Oktober 1984 und im Januar 1985 sowie die engmaschigen Fahrtauglichkeitsuntersuchungen durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. am 29. November 1984, 29. April 1985 und 12. Juni 1986. Ferner war der Kläger in den Jahren 1984 (99 Tage), 1985 (44 Tage) und 1986 (bis 31. August: 11 Tage) häufig arbeitsunfähig erkrankt, was ebenfalls für das Andauern seiner bereits 1984 geschilderten Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit spricht. Schließlich liegen für ernsthafte Gesundheitsstörungen auf anderem Fachgebiet, die die zahlreichen Krankheitstage erklären könnten, in den umfangreichen Akten keine Anhaltspunkte vor.
Auch wenn unmittelbar vor dem Fluchtversuch keine nervenärztliche Behandlung stattgefunden hat und deshalb nicht mehr aufgeklärt werden kann, in welchem Maße die 1984 festgestellten psychischen Einschränkungen konkret vorhanden waren, bestanden zu diesem Zeitpunkt (unabhängig von der erneuten Episode) in jedem Fall erhebliche Einschränkungen. So hat der Kläger nach dem Gutachten von OMR Prof. Dr. O. "nicht mehr gekonnt und nicht mehr gewollt". Er hatte angegeben, nervlich am Boden zu sein. Er hatte soziale Schwierigkeiten sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich (Probleme im Betrieb wegen der nicht erfolgten Delegierung zum Studium, mit seinen Eltern, seiner Ehefrau), die ihn letztlich auch zur Flucht veranlasst hatten. Er hatte schon vor dem Fluchtversuch kaum soziale Kontakte und hat nur das Musikhören, sein Auto und das Verfolgen von Sportsendungen als Hobby angegeben. Auch gegenüber seiner Ehefrau hat er sich nach seinen damaligen Ausführungen durch Musikhören über Kopfhörer zurückgezogen, sodass von psychischen Funktionseinschränkungen aufgrund der bestehenden psychischen Grunderkrankung ausgegangen werden muss, die eine Bewertung des GdS mit mindestens 20 rechtfertigen. Ferner war zu beachten, dass nach dem letzen stationären Aufenthalt des Klägers vor der erneuten Krankheitsepisode im August 1986 nur zwei Jahre und ein Monat vergangen waren. Ein Zeitraum von zwei Jahren wird nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil B 3.7, S. 42) bei lang andauernden psychotischen Episoden als Zeit der Heilungsbewährung angesehen, die bei mehreren vorangegangenen manischen oder depressiven Episoden einen GdS von 50 und sonst von 30 rechtfertigt. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen ist mithin nach einer schizophrenen Episode eine Bewertung mit einem GdS auch dann vorzunehmen, wenn ein Residualzustand noch nicht eingetreten ist. Sie berücksichtigen damit die nach einer abgelaufenen Episode noch bestehenden Einschränkungen. Dieser Wertung entsprechend waren die beim Kläger vorliegenden Einschränkungen – wie ausgeführt – zumindest mit einem GdS von 20 zu bewerten.
Aus diesen Gründen bedingt der schädigungsbedingte Anteil auch unter Zugrundelegung der Einschätzung von Dr. L., die im Jahr 2005 aufgetretenen weiteren psychischen Einschränkungen seien auf die Schädigung zurückzuführen, allenfalls einen GdS von 20. Der Kläger erreicht deshalb nicht den für einen Anspruch auf eine Beschädigtenrente erforderlichen GdS von 25.
Weitere Schädigungsfolgen liegen nicht vor. Der Tinnitus steht nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit in einem Ursachenzusammenhang zur Haft bzw. der anschließenden Unterbringung. Insoweit folgt der Senat den prüfärztlichen Stellungnahmen des Beklagten.
Zwar hat der Kläger im Antrag auf Leistungen nach dem StrRehaG ein Ohrensausen infolge eines Hörsturzes angegeben. Ein konkretes schädigendes Ereignis, das einen Hörsturz bzw. nachfolgend einen Tinnitus ausgelöst haben kann, ist aber nicht erkennbar. In der gesamten umfangreichen medizinischen Dokumentation fehlt der Hinweis auf ein solches Ereignis. Auch der Kläger hat keine Angaben darüber gemacht, wann genau und in welchem Zusammenhang ein Hörsturz aufgetreten ist. Gegen einen Hörsturz spricht im Übrigen der Befund bei der Aufnahmeuntersuchung im Haftkrankenhaus B. am 4. Dezember 1986. Dort waren keine Einschränkungen des Hörvermögens festgestellt worden. Auch andere Hinweise auf einen zuvor erlittenen Hörsturz finden sich dort nicht. Schließlich spricht gegen einen Hörsturz, dass dieser in der Regel einseitig auftritt, der Kläger aber unter einem beidseitigen Tinnitus leidet. Der fehlende Nachweis eines Hörsturzes während der Haftzeit steht schließlich auch einer Kann-Versorgung entgegen. Denn rechtserhebliche Zweifel über die diagnostische Sicherung des Leidens rechtfertigen nicht die Anwendung der Kann-Vorschrift (Versorgungsmedizinische Grundsätze, C 4, S. 127).
Soweit der Tinnitus unabhängig von einem Hörsturz mit den psychischen Belastungen aufgrund der Haft in Zusammenhang gebracht werden soll, bestehen insoweit Bedenken, ob der Tinnitus seit der Haft objektiv auch vorgelegen hat. Zwar hat der Kläger "manchmal" über ein Ohrensausen während der Haftzeit geklagt. Doch genaue Angaben über den Klangcharakter, die Lokalisation und den Zeitverlauf des Ohrensausens wurden nicht dokumentiert. Gegen das objektive Vorliegen eines Tinnitus spricht auch die Untersuchungsdokumentation durch OMR Prof. Dr. O ... Dort hatte der Kläger über Ohrenpfeifen geklagt und beim Hinweis auf quietschende Fensterflügel geantwortet, dass dieses jetzt endgültig weg sei. Schließlich hat der Senat auch Zweifel, weil der Kläger während der Haft (wie auch schon zuvor) auch über weitere nicht objektivierbare diffuse und in ihrer Intensität wechselhafte Beschwerden (Magendarm und Lungenbeschwerden, Blutspucken) geklagt hat. Doch selbst wenn unter Zurückstellung dieser Bedenken davon ausgegangen wird, dass der Tinnitus während der Haftzeit vorgelegen hat, kann ein ursächlicher Zusammenhang nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit hergestellt werden. Es spricht mehr dafür, den Tinnitus mit den Versorgungsärzten des Beklagten im ursächlichen Zusammenhang mit der unabhängig von der Schädigung bestehenden Schizophrenie zu sehen. Nach dem Gutachten des OMR Prof. Dr. O. hat der Kläger bereits vor der Haft an einer Schizophrenie mit akustischen Halluzinationen gelitten. Auch die im Entlassungsbericht vom 3. März 1988 festgestellten "Phoneme" können mit den vielfach dokumentierten akustischen Halluzinationen in Zusammenhang gebracht werden. So hat Dr. W. für den Senat überzeugend darauf hingewiesen, die mit den seelischen Störungen wechselnde Ausprägung des Tinnitus spreche für einen Zusammenhang mit der schädigungsunabhängigen Schizophrenie bzw. der Hirnschädigung. Dafür spricht letztlich auch, dass die fachärztlichen Behandlungen durch HNO-Ärzte im Jahre 1984 und im Jahre 1990 jeweils im zeitlichen Zusammenhang mit einer erneuten Episode der Schizophrenie gestanden haben. Unmittelbar nach der Entlassung aus der psychiatrischen Unterbringung hat aber keine fachärztliche Behandlung stattgefunden. Daher reicht nach alledem der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Tinnitus und der Haftzeit nicht aus, um eine Schädigungsfolge begründen zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).
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