L 7 SB 13/10 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stendal (SAN)
Aktenzeichen
S 6 SB 90142/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 13/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stendal vom 8. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die am ... 1954 geborene Antragstellerin begehrt die Feststellung eines Behinderungsgrades von mindestens 50 sowie das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.

Die Antragstellerin beantragte am 14. Juli 2008 beim Beklagten die Feststellung von Behinderungen wegen eines Lendenwirbelsäulenschadens sowie das Merkzeichen G. Der Beklagte führte eine medizinische Sachaufklärung durch (Beiziehung des im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Bund am 14. März 2008 erstellte Gutachten der Fachärztin für Orthopädie Dr. K., Befundschein der Fachärztin für Innere Medizin Dipl.-Med. B. vom 19. September 2008). Danach lägen bei der Antragstellerin ein Lendenwirbelsäulensyndrom, eine Somatisierungsstörung sowie depressive Episoden vor. Der vom Beklagten beteiligte ärztliche Dienst schlug daraufhin einen Grad der Behinderung von 20 für eine Funktionsminderung der Lendenwirbelsäule mit Nervenreizerscheinungen vor. Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 29. Januar 2009 eine Behinderung mit einem Grad von 20 fest.

Dagegen erhob die Antragstellerin am 17. Februar 2009 Widerspruch und wies auf Fehldiagnosen durch die behandelnden Ärzte hin. Das durch Dr. K. erstellte Gutachten habe sie bereits wegen fehlerhafter und oberflächlicher Darstellung abgelehnt. Aufgrund der unerträglichen Schmerzen, ihrer begrenzten Beweglichkeit und der Einschränkung beim Heben von Gegenständen benötige sie in angemessener Zeit einen Schwerbehindertenausweis. Im Widerspruchsverfahren zog der Beklagte den Entlassungsbericht über den stationären Aufenthalt der Antragstellerin vom 26. Juni bis 10. Juli 2007 im Fachkrankenhaus J. (Fachabteilung für Psychiatrie und Psychotherapie) sowie Arztbriefe der Universitätsklinik M. (Orthopädische Universitätsklinik, Prof. Dr. N., über Behandlungen im Juni und November 2008 sowie Klinik für Neurologie, Befund vom September 2008) bei. Nach erneuter Beteiligung des ärztlichen Dienstes wies er mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2009 den Widerspruch der Antragstellerin zurück.

Am 22. September 2009 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Stendal einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sie hat vorgetragen, der richtige Sachverhalt könne nur durch einen Gutachter ohne Vorbehalt ermittelt werden. Die bisherigen Diagnosen seien von Ärzten unter Vorenthaltung der Tatsachen zu ihrem Nachteil bewusst in Umlauf gebracht worden.

Mit Beschluss vom 8. Februar 2010 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Dazu hat es ausgeführt: Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Da die Antragstellerin ein unabhängiges Gutachten beantragt habe, sei der Ausgang des Verfahrens schon nach ihrem eigenen Vortrag offen. Es seien medizinische Unterlagen anzufordern und auszuwerten. Gegebenenfalls müsse ein Gutachten eingeholt werden. Auch ein Anordnungsgrund bestehe nicht. Eine einstweilige Anordnung dürfe grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Die Antragstellerin habe nichts vorgetragen, was ihr das Abwarten des Hauptsacheverfahrens unzumutbar machen könnte.

Gegen den ihr am 10. März 2010 zugestellten Beschluss (Berichtigungsbeschluss vom 24. Februar 2010) hat die Antragstellerin am 23. Februar 2010 Beschwerde eingelegt und vorgetragen, die Sache sei eilig. Ihr Gesundheitszustand müsse dringend geklärt werden und ein Gutachten sei einzuholen, das die Dringlichkeit bestätigen werde. Angesichts ihrer gesundheitlichen Verfassung dürfe sie nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden.

Auf Hinweis des vormaligen Berichterstatters, sie habe nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass ihr durch das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache wesentliche Nachteile drohen, hat die Antragstellerin ergänzend ausgeführt: Die Unterlagen des SG seien nicht relevant. Diese seien zu ihrem Nachteil bewusst fehlerhaft erstellt worden. Doch sei in einem weiteren gerichtlichen Verfahren (L 6 U 113/07) eine ambulante Untersuchung angeordnet worden. Sobald das Gutachten eingegangen sei und sie die Verwertbarkeit bestätige, könnten die Unterlagen auch in diesem Verfahren verwendet werden.

Die Antragstellerin beantragt nach ihren schriftlichen Ausführungen,

den Beschluss des Sozialgerichts Stendal vom 8. Februar 2010 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens einen Grad der Behinderung von mindestens 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G festzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den angegriffenen Beschluss für zutreffend.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG), form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG) und auch sonst zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.

Das SG hat zu Recht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Feststellung eines Grades der Behinderung von mindestens 50 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens G abgelehnt.

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Die einstweilige Anordnung ist auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Sie setzt nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG einen Anordnungsanspruch, also einen materiellen Anspruch, den der Antragsteller als Kläger im Hauptsacheverfahren geltend zu machen hätte, und einen Anordnungsgrund voraus, d.h. es muss eine besondere Eilbedürftigkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegen. Sowohl der Anordnungsgrund als auch der Anordnungsanspruch sind nach § 920 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen, d.h. die tatbestandlichen Voraussetzungen müssen überwiegend wahrscheinlich sein.

Das Rechtsmittel des einstweiligen Rechtsschutzes hat vor dem Hintergrund des Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) die Aufgabe, in den Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung in dem grundsätzlich vorrangigen Verfahren der Hauptsache zu schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteilen führen würde, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S. 1236; vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, S. 803 und vom 25. Februar 2009 – 1 BvR 120/09, zitiert nach juris). Ist dem Gericht keine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. nur Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. Februar 2009, a.a.O.). Abzuwägen sind die Folgen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich im Hauptsacheverfahren aber herausstellte, dass der Anspruch besteht, und auf der anderen Seite die Nachteile, die entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber herausstellte, dass der Anspruch nicht besteht.

Nach diesem Maßstab ist hier eine Folgenabwägung vorzunehmen, denn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist keine vollständige Sachaufklärung des medizinisch relevanten Sachverhalts möglich. Auch die Antragstellerin selbst hat mehrfach auf die aus ihrer Sicht unzureichende Sachaufklärung, die Notwendigkeit einer erneuten Begutachtung sowie auf das Gutachten aus dem Unfallversicherungsverfahren hingewiesen. Die Folgenabwägung führt dazu, dass kein Anspruch der Antragstellerin auf Feststellung eines Grades der Behinderung von mindestens 50 sowie auf Feststellung des Merkzeichens G im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes besteht. Die Antragstellerin hat auch auf Nachfrage nicht dargelegt, welche schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteile ihr durch das Abwarten der Hauptsache drohen. Allein ihr Hinweis auf ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand genügt insoweit nicht. Typischerweise haben die Kläger in einem Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bzw. auf Merkzeichen erhebliche Funktionseinschränkungen und auch Schmerzen, sodass jedes dieser Verfahren nach der Argumentation der Antragstellerin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geführt werden müsste. Wodurch sich dieser Rechtsstreit von vergleichbaren anderen Verfahren unterscheidet, ist weder ersichtlich noch von der Antragstellerin vorgetragen worden. Auch die anderen Kläger beanspruchen eine gerichtliche Entscheidung in angemessener Zeit, sodass sich auch aus diesem Gesichtspunkt keine Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes rechtfertigen lässt. Daher ist die Antragstellerin auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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