L 2 AL 44/10 NZB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 1 AL 242/09
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AL 44/10 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Halle vom 9. März 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle (SG) vom 9. März 2010.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Beklagten zur erstattenden Aufwendungen für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im sog. "isolierten Vorverfahren".

Die am 1965 geborene Klägerin meldete sich am 13. November 2008 zum 1. Januar 2009 bei der Beklagten arbeitslos. Sie legte eine arbeitgeberseitige Kündigung vom 31. Juli 2008 zum 31. Dezember 2008 ihres seit dem 21. März 1994 bestehenden Arbeitsvertrages mit der Firma D. Landschaftsarchitekten aus H. vor. In dem Kündigungsschreiben lautete es, dass es sich um eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist handele. Nach dem vorgelegten Arbeitsvertrag vom 15. März 1994 in der Fassung des Änderungsvertrages vom 6. Juni 2005 betrug die Kündigungsfrist vier Wochen, wobei die längeren Kündigungsfristen nach dem Gesetz über die Fristen für die Kündigung von älteren Angestellten vom 9. Juli 1926 davon unberührt blieben. Die Klägerin fügte ebenfalls einen schriftlichen Vergleich vor dem Arbeitsgericht Halle vom 1. September 2008 bei, wonach sich die Arbeitsvertragsparteien einig darüber sind, dass das Arbeitsverhältnis zum genannten Kündigungstermin gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 3.600 EUR beendet werde. Nach der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers beträgt die Betriebszugehörigkeit 14 Jahre und die maßgebliche Kündigungsfrist sechs Monate.

Mit Bescheid vom 20. Januar 2009 stellte die Beklagte ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bis zum 31. Januar 2009 wegen Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist fest.

Hiergegen legte die Klägerin vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten am 27. Januar 2009 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie auf 2,5 Seiten aus: Die ordentliche Kündigungsfrist von fünf Monaten zum Monatsende sei bei der Kündigung am 31. Juli 2008 eingehalten. Die von der Beklagten angenommene sechsmonatige Kündigungsfrist wäre erst einzuhalten gewesen, wenn das Arbeitsverhältnis 15 Jahre bestanden hätte, dies sei bei einem Eintritt am 21. März 1994 erst im März 2009 der Fall gewesen. Es fehle daher die Voraussetzung für ein Ruhen des Anspruchs.

Nach Rückfrage von der Beklagten teilte der Arbeitgeber der Klägerin am 29. Januar 2009 mit, dass die Angabe der sechsmonatigen Kündigungsfrist auf einem Schreibfehler beruhe. Mit Bescheid vom 29. Januar 2009 entsprach die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin und hob ihren Bescheid über das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs auf. Hierbei bestimmte sie, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten einschließlich der Gebühren und Auslagen des Prozessbevollmächtigten erstattet würden, soweit sie notwendig waren und nachgewiesen sind. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin rechnete folgende Gebühren ab.

Geschäftsgebühr gem. Nr. 2400 VV 280,00 EUR Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gem. Nr. 7002 VV 20,00 EUR 19,00 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV 57,00 EUR Endsumme: 357,00 EUR

Die Beklagte teilt mit Schreiben vom 4. März 2009 mit, dass 166,60 EUR erstattet würden. Zur Begründung führte sie an, der Prozessbevollmächtigte sei bereits im Arbeitsgerichtsverfahren umfassend mit der Prüfung der Arbeitgeberkündigung befasst gewesen. Hierfür sei er bereits vergütet worden, weshalb er hier billigerweise nur die ergänzenden Leistungen in Rechnung stellen dürfe. So sei bei einer anderweitigen Vortätigkeit höchstens ein Betrag von 120,00 EUR zzgl. Auslagen und Umsatzsteuer in Ansatz zu bringen.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 13. Juli 2009 hat die Klägerin beim SG Klage erhoben. Sie hat darauf verwiesen: Die Beklagte übersehe, dass das RVG nicht danach unterscheide, ob ein Bevollmächtigter schon einmal anderweitig vorgerichtlich tätig war. Nur eine sozialgerichtliche Vorbefassung wäre relevant. Es sei für die Klägerin elementar, ob sie ab 1. Januar 2009 oder am 1. Februar 2009 Arbeitslosengeld beziehe.

Mit Urteil vom 9. März 2010 hat das SG die Klage abgewiesen und dies wie folgt begründet: Die anwaltliche Festsetzung sei unbillig gewesen. Die Gebühr in Höhe der Mitte der Rahmenwerte, hier gesetzlich nochmals abgesenkt auf 240,00 EUR, sei nur anzusetzen, wenn der Auftrag des Rechtsanwaltes nach den von § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien insgesamt durchschnittlich gewesen sei, es also sowohl durchschnittlich umfangreich und schwierig war, eine mittlere Bedeutung für den Auftraggeber hatte und auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht vom Durchschnitt abwichen. Es seien im Streitfall alle Umstände, vor allem der Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheiten sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Auftraggeber und evtl. ein besonders Haftungsrisiko für den Rechtsanwalt einzeln zu gewichten und dann im Wege einer Gesamtabwägung die Gebühr im Einzelfall festzusetzen. Die Bedeutung der Angelegenheit werte die Kammer als weit unterdurchschnittlich, die Schwierigkeit sei ebenfalls unterdurchschnittlich und die Einkommensverhältnisse der Klägerin seien ebenfalls unterdurchschnittlich. Zudem bestehe kein Haftungsrisiko. Die Gebühr mit 120 EUR anzusetzen erscheine als angemessen, da alle maßgeblichen Kriterien als unterdurchschnittlich zu bewerten seien.

Gegen das der Klägerin am 12. April 2010 zugestellte Urteil hat diese am 12. Mai 2010 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt und diese wie folgt begründet: Es liege der Zulassungsgrund der Divergenz vor. Das SG sei mit seiner Begründung, dass die Mittelgebühr nur in Fällen billig sei, die von durchschnittlicher Bedeutung seien von der Rechtsprechung des BSG (u. a. Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 R – zitiert nach juris) abgewichen. Damit setze das SG, abstrakt betrachtet, die Durchschnittlichkeit der anwaltlichen Tätigkeit einer Gebühr in Höhe der Mittelgebühr gleich. Das BSG habe in seinen Entscheidungen hingegen die Mittelgebühr als Ausgangspunkt der Betrachtung festgelegt und stelle nicht starr auf die Grenze der Durchschnittlichkeit ab, sondern nehme eine wertende Betrachtung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände de Einzelfalles vor. Das SG habe auch nicht berücksichtigt, dass die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im juristischen als auch im tatsächlichen Bereich liegen könne.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 9. März 2010 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Beschwerde für unbegründet. Das SG sei nicht von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Berufung gegen das Urteil vom 9. März 2010 nicht zugelassen.

Die Berufung bedurfte der Zulassung, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht erreicht, § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es geht um 190,04 EUR höhere Anwaltsgebühren.

Die Berufung war nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Die grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn die Sache bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfragen aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 144 Rn. 28). Klärungsbedürftigkeit ist dagegen nicht gegeben, wenn sich die entschiedene Rechtsfrage unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nur eine Anwendung schon entwickelter höchstrichterlicher Rechtssätze auf den Einzelfall darstellt.

Solche ungeklärte Rechtsfrage wirft der Rechtsstreit nicht auf. Über die Kriterien bei der Prüfung der angemessenen Gebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG hat das Bundessozialgericht bereits zahlreiche Entscheidungen getroffen (u. a. die vom Kläger zitierte Entscheidung vom 1. Juli 2009). Auch die Klägerin als Beschwerdeführerin sieht in der vorliegenden Fallkonstellation keinen Fall mit grundsätzlicher Bedeutung, sondern meint, dass das SG die bereits aufgestellten Grundsätze falsch angewendet hat.

Es besteht auch keine Divergenz zu anderen Entscheidungen der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte. Divergenz liegt vor, wenn die tragfähigen abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde liegen, nicht übereinstimmen (vgl. BSG, Beschluss v. 25. September 2002 – B 7 AL 142/02 BSozR 3-1500 § 160a Nr. 34). Ein abstrakter Rechtssatz liegt nur vor bei fallübergreifender, nicht lediglich auf Würdigung des Einzelfalles bezogener rechtlicher Aussage. Dabei muss es im Ansatz um dieselbe Rechtsfrage gehen, zu der das abweichende Gericht eine die Entscheidung tragende andere Rechtsansicht entwickelt hat. Das angefochtene Urteil muss auf dieser Abweichung beruhen, d. h. es ist erforderlich, dass die angefochtene Entscheidung bei Zugrundelegung des Rechtssatzes, von dem abgewichen ist, anders hätte ausfallen müssen (BSG; Beschluss vom 26. Januar 2005 – B 12 KR 62/04 BSozR 4-1500 § 160a Nr. 6). Ein Beruhen auf einer Abweichung ist zum Beispiel dann zu verneinen, wenn das angefochtene Urteil auf mehrere Begründungen gestützt ist, die Abweichung sich aber nur auf eine Begründung bezieht (BSG, Beschluss vom 25. Juni 2007 – B 3 KR 28/06 B – zitiert nach juris; BSG, Beschluss vom 24. September 1980 – 11 BLw 4/80SozR 1500 § 160a Nr. 38) oder auch.

Es liegt selbst dann keine Divergenz vor, wenn das abweichende Gericht einen vom BSG aufgestellten Rechtssatz folgen will, diesen aber missversteht oder sonst Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einzelfall nicht übernimmt (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr. 34; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 160 Rn. 14). Es kommt daher nicht darauf an, dass einzelne Sätze im Urteil des SG z. B. eine Gebühr in Höhe der Mitte der Rahmenwerte ist "nur anzusetzen, wenn der Auftrag des Rechtsanwaltes insgesamt durchschnittlich ist, es als sowohl durchschnittlich umfangreich und schwierig war, eine mittlere Bedeutung für den Arbeitgeber hatte und auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht vom Durchschnitt abweichen" missverständlich sind bzw. die BSG-Rechtsprechung verkürzt wiedergeben. Schon aus den folgenden Sätzen ist erkennbar, dass das SG wie nach den abstrakten Rechtssätzen des BSG gefordert, ebenfalls eine Gewichtung der einzelnen Kriterien vornimmt, um in einer Gesamtabwägung die Gebühr im Einzelfall festzulegen. Eine vom SG entwickelte, die Entscheidung tragende, gegenteilige Rechtsansicht ist nicht zu erkennen. Zudem wäre auch nach dem konkreten Prüfungsschema des BSG, wonach von der Mittelgebühr ausgegangen wird, bei unterdurchschnittlicher Bedeutung, unterdurchschnittlicher Schwierigkeit, unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen eine im Betrag jedenfalls nicht oberhalb der gewählten hälftige Mittelgebühr angemessen, so dass die Entscheidung nicht hätte anders ausfallen müssen. Inwieweit die Subsumtion der Tatsachen bei der Prüfung, ob bezogen auf die einzelnen Kriterien wie Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin usw. der Fall jeweils als durchschnittlich anzusehen ist, zutreffend ist, ist keine im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde zu prüfende Frage.

Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt nicht vor, weil kein Verfahrensmangel geltend gemacht worden ist.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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