L 5 AS 477/09 NZB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 18 AS 289/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 477/09 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 31. August 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer und Kläger (im Folgenden: Kläger) begehrt der Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 31. August 2009. In der Sache begehrt er die Übernahme von Bewerbungskosten durch den Beklagten.

Der Kläger bezieht vom Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Er beantragte unter dem 20. Juli 2006 die Übernahme von Bewerbungskosten i.H.v. insgesamt 60,00 EUR für die Erstellung von 13 Bewerbungen. Mit Bescheid vom 27. Juli 2006 bewilligte der Beklagte eine Kostenerstattung i.H.v. 39,00 EUR. Je nachgewiesener Bewerbung könnten nur 3,00 EUR bewilligt werden. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger im Wesentlichen mit der Begründung Widerspruch ein, entsprechend der Anordnung der Bundesanstalt für Arbeit (Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit zur Unterstützung der Beratung und Vermittlung (Anordnung UBV)) seien 5,00 EUR pro Bewerbung zu erstatten. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach § 46 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches – Arbeitsförderung (SGB III) sei die Fördersumme für die Übernahme von Bewerbungskosten auf 260,00 EUR/Jahr begrenzt. Eine Absenkung dieses Betrages auf 130,00 EUR/Jahr sei unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens grundsätzlich möglich. Davon habe er durch das Erstellen einer ermessenslenkenden Weisung Gebrauch gemacht. Erfahrungsgemäß sei eine Pauschale von 3,00 EUR/Bewerbung ausreichend.

Die seitens des Klägers hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 31. August 2009 zurückgewiesen. Die Gewährung von Bewerbungskosten i.H.v. 39,00 EUR sei nicht ermessensfehlerhaft. Die Pauschalierung begegne keinen rechtlichen Bedenken. Auch die Höhe des Betrages sei nicht zu beanstanden. Die Anordnung UBV sei dahingehend modifiziert worden, dass statt 5,00 EUR nur 3,00 EUR pro Bewerbung erstattet würden. Dieser Betrag sei zwar im Falle einer schriftlichen Bewerbung mit Foto und ausführlicher Bewerbungsmappe nicht kostendeckend. Auch sei es wünschenswert, dass der Beklagte eine höhere Summe übernehme, ein Anspruch darauf bestehe jedoch nicht. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 30. November 2009 zugestellte Urteil am 29. Dezember 2009 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. So sei zu entscheiden, ob bei einer pauschalen Erstattung von Bewerbungskosten auf der Grundlage der Anordnung UBV dem Leistungsträger ein Ermessen hinsichtlich der Höhe der zu gewährenden Erstattung je nachgewiesener Bewerbung zustehe, oder ob er nicht vielmehr an diese gebunden sei.

Dem Sozialgericht sei auch ein Verfahrensfehler unterlaufen. Es sei dem Untersuchungsgrundsatz nach § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht in ausreichendem Maße gefolgt. Er habe sich im Rahmen einer Eingliederungsmaßnahme verpflichtet, sich mindestens viermal im Monat zu bewerben. Diese wesentliche Tatsache habe das Sozialgericht weder in das Protokoll der mündlichen Verhandlung aufgenommen noch in seinem Urteil gewürdigt oder sonst in seine Entscheidung einfließen lassen. Durch die ihm auferlegte Bewerbungspflicht könne sich ein Ermessen zur Übernahme von Kosten lediglich auf eine nicht abverlangte Anzahl von Bewerbungen beziehen, was hier jedoch nicht zutreffe. Soweit er der Pflicht zur Bewerbung unterliege, müsse der Beklagte die Kosten in voller Höhe übernehmen. Die Anwendung der ermessenslenkenden Weisung scheide außerdem bereits deswegen aus, da sie nach der Antragstellung erfolgt sei.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 31. August 2009 zuzulassen und das Verfahren als Berufungsverfahren fortzuführen.

Der Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zulassungsgründe seien nicht erkennbar.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

II.

1.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 145 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Sie ist auch statthaft, da die Berufung nicht kraft Gesetzes zulässig ist. Gemäß § 144 Abs. 1 SGG in der ab 1. April 2008 gültigen Fassung bedarf die Berufung der Zulassung in einem Urteil des Sozialgerichts, wenn der Wert des

Beschwerdegegenstandes

bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR oder

bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,00 EUR

nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Der Kläger fordert vorliegend eine Kostenerstattung von insgesamt 65,00 EUR anstelle der ihm bewilligten 39,00 EUR. Streitgegenstand ist folglich eine Mehrforderung von 26,00 EUR. Dieser Wert liegt unter dem Berufungsstreitwert des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG von 750,00 EUR.

2.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Berufung gegen das Urteil vom 31. August 2009 zu Recht nicht zugelassen.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

a.

Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage ist gegeben, wenn sie ungeklärt ist und eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat.

aa.

Die Rechtsfrage, ob der Beklagte hinsichtlich der Höhe der zu erstattenden Kosten für Bewerbungen an die Anordnung UBV gebunden ist, hat der Gesetzgeber in § 16 Abs. 1a SGB II für die Zeit ab 1. August 2006 gesetzlich (klarstellend) geregelt. Danach gelten für die Leistungen nach Absatz 1 des § 16 SGB II die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des SGB III mit Ausnahme der Anordnungsermächtigungen für die Bundesagentur und mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Arbeitslosengeldes das Arbeitslosengeld II tritt, soweit das SGB II nichts Abweichendes regelt. Die Neuregelung diente nach dem Willen des Gesetzgebers allein der Klarstellung der bereits geltenden Rechtslage. Danach sollen die von der Bundesagentur für Arbeit aufgrund der im SGB III bestehenden Anordnungsermächtigungen erlassenen Anordnungen nicht für die Leistungserbringung nach dem SGB II gelten. (vgl. BT-Drs. 16/1696 S. 26).

Für die Zeit vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung ergab sich dieses Ergebnis aufgrund allgemeiner, bereits geklärter Rechtssätze. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der vom 1. Januar 2005 bis 31. Juli 2006 gültigen Fassung kann die Agentur für Arbeit als Leistungen zur Eingliederung in Arbeit alle im Dritten Kapitel, im Ersten bis Dritten und Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels, im Fünften Kapitel, im Ersten, Fünften und Siebten Abschnitt des Sechsten Kapitels und die in den §§ 417, 421g, 421i, 421k und 421m des Dritten Buches geregelten Leistungen erbringen. Soweit das SGB II für die einzelnen Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 keine abweichenden Voraussetzungen regelt, gelten diejenigen des SGB III. Anwendung findet demnach auch § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III, wonach als unterstützende Leistungen Kosten für die Erstellung und Versendung von Bewerbungsunterlagen (Bewerbungskosten) übernommen werden können, jährlich bis zu einem Betrag von 260,00 EUR (§ 46 SGB III). Insoweit bedeutet die Regelung des § 16 Abs. 1 SGB II, dass für die Eingliederungsleistungen sowohl die Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen des SGB III gelten, soweit das SGB II nichts Abweichendes regelt. Auf § 47 SGB III (Ermächtigung zum Erlass bestimmter Anordnungen durch die Bundesagentur für Arbeit) verwies § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F. gerade nicht. Die einzelnen Leistungsträger konnten somit eigene ermessenslenkende verwaltungsinterne Richtlinien ausarbeiten.

Wenn der Kläger darauf verweist, dass die Richtlinie zur Pauschalierung von Bewerbungskosten erst nach Stellung seines Antrags auf Kostenersatz in Kraft trat, so betrifft dies keine allgemeine Rechtsfrage, sondern die Anwendung des Rechts. Sein Vorbringen erschöpft sich in einer Kritik an der Richtigkeit der Entscheidung des Sozialgerichts, die jedoch nicht zur Zulassung der Berufung führen kann. Denn Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob die erstinstanzliche Entscheidung richtig ist (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 26. Juni 1975, 12 BJ 12/75, Rn. 2, Juris), soweit die Entscheidung, wie hier, nicht von der Rechtsprechung des Landessozialgerichts oder des Bundessozialgerichts abweicht (§ 145 Abs. 2 Nr. 2 SGG).

bb.

Soweit der Kläger die allgemeine Rechtsfrage aufwirft, ob dann, wenn eine Behörde eine bestimmte Anzahl von Bewerbungen verlangt, die Kosten entsprechend in vollem Umfang zu übernehmen hat, ist diese Rechtsfrage in ausreichendem Maß geklärt.

Wie oben bereits ausgeführt, können nach § 16 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 46 SGB III diese Kosten übernommen werden. Der in § 16 Abs. 2 SGB II enthaltene Anspruch auf Ausübung pflichtgemäßen Ermessens wird durch die Eingliederungsvereinbarung gebunden. Daher ergibt sich aus dieser Vorschrift i.V.m. der Eingliederungsvereinbarung ohne weiteres, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht. Die Beantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage steht damit von vornherein praktisch außer Zweifel (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. 2008, § 160, Rn. 8a) und ergibt sich aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung aus dem Gesetz. Auch die Höhe der Leistungen ergibt sich aus dem Gesetz. Dieses sieht einen Anspruch auf eine vollumfängliche Übernahme aller angefallenen Kosten gerade nicht vor (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 2. September 2004, B 7 AL 62/03 R, Rn. 17, Juris).

b.

Es liegt auch entgegen der Ansicht des Klägers kein Verfahrensfehler vor. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Er bezieht sich begrifflich auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil ("error in procedendo"), nicht aber auf dessen sachlichen Inhalt, das heißt seine Richtigkeit (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 144 Rdnr. 32, m.w.N.).

aa.

Das Sozialgericht hat entgegen der klägerischen Ansicht die Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG nicht verletzt. Die Amtsermittlungspflicht ist verletzt, wenn Tatsachen, die nach der rechtlichen Sicht des Sozialgericht entscheidungserheblich waren, offengeblieben sind, weil die notwendigen Feststellungen überhaupt fehlen oder weil sie nicht prozessordnungsgemäß zustande gekommen sind (BSG, Beschluss vom 2. Dezember 2010, B 9 VH 3/09 B, Rn. 10, Juris). Vorliegend jedoch waren alle Tatsachen ausermittelt. Entgegenstehendes behauptet auch der Kläger nicht.

bb.

Er rügt vielmehr die Nichtberücksichtigung der Eingliederungsvereinbarung bei der Entscheidungsfindung des Sozialgerichts. Auch hierin liegt kein Verfahrensfehler. Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör wurde nicht verletzt. Dieser Anspruch verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hingegen gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Im Übrigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und erwogen hat. Das Gericht muss ausdrücklich in den Entscheidungsgründen keine Fragen erörtern, die nach seiner materiellen Rechtsauffassung unerheblich sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997, 1 BvR 1621/94, Rn. 43, 44). Der Kläger hat in Anwendung dieser Grundsätze nicht substantiiert dargelegt, dass der Abschluss der Eingliederungsvereinbarung entscheidungserheblich gewesen ist und das Urteil möglicherweise anders ausgefallen wäre, wenn das Sozialgericht den Inhalt der Eingliederungsvereinbarung ausdrücklich in den Entscheidungsgründen berücksichtigt hätte (BSG, Beschluss vom 5. Mai 2010, B 5 R 26/10 B, Rn. 9, Juris). Er stellt allein auf seine Rechtsauffassung ab, die allerdings nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Wie oben bereits ausgeführt, ist der Abschluss der Eingliederungsvereinbarung für die Höhe der für die Bewerbungen zu erstattenden Kosten hier unerheblich. Eine mögliche Auswirkung auf die Entscheidungsfindung des Sozialgerichts liegt bereits objektiv nicht vor.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gegen diese Entscheidung ist das Rechtsmittel der Beschwerde nicht zulässig, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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