L 5 AS 364/10 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 43 AS 90907/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 364/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 13. August 2010 wird aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 11. Juni 2010 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die dem Antragsteller im Verfahren L 5 AS 364/10 B ER entstandenen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu 1/2 zu tragen.

Dem Antragsteller wird zur Wahrnehmung seiner Interessen in beiden Rechtszügen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt A. , St. , bewilligt. Es wird eine monatliche Ratenzahlung von 30,00 EUR ab Mai 2011 angeordnet.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen einen seitens des Antragsgegners erlassenen Sanktionsbescheid für den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 2010.

Seit 1. Januar 2005 gewährt der Antragsgegner dem am 18. September 1963 geborenen, ledigen Antragsteller Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).

Mit Bescheid vom 3. Februar 2010 ersetzte der Antragsgegner eine zwischen ihm und dem Antragsteller nicht zustande gekommene Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 1 SGB II durch einen Verwaltungsakt. Hinsichtlich dessen konkreten Inhalts wird auf Bl. 7 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 15. April 2010 bot der Antragsgegner dem Antragsteller eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung gemäß § 16 SGB II als Helfer im Gartenbau für die Zeit vom 1. Mai 2010 bis 31. Januar 2011 an. Bei einer Arbeitszeit von 20 Stunden/Woche sollte eine Mehraufwandsentschädigung in Höhe von 1,25 EUR/Stunde bezahlt werden. Der Antragsteller hat sich beim Arbeitgeber zwar am 21. April 2010 vorgestellt, die Annahme der Arbeit jedoch verweigert. Nach einer Anhörung senkte der Antragsteller mit Bescheid vom 11. Juni 2010 das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2010 unter Bezugnahme auf § 31 Abs. 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c und Abs. 6 SGB II um 100% der Regelleistung. Mit Bescheid vom selben Tag bewilligte er ihm für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2010 Leistungen in Höhe von 277,24 EUR/Monat. Zudem er stellte in diesem Bescheid fest, dass dem Antragsteller monatlich zur Sicherung des Lebensunterhalts 359 EUR und für die Kosten der Unterkunft und Heizung 277,24 Euro zu bewilligen seien. Der Minderungsbetrag aufgrund von Sanktionen betrage 359 EUR. Für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2010 bewilligte er ihm ohne den Ausspruch eines Minderungsbetrages 636,24 EUR pro Monat. Gegen den Sanktionsbescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 25. Juni 2010 Widerspruch ein, über den, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden worden ist.

Bereits zuvor hatte der Antragsgegner gegen den Antragsteller zwei Sanktionen verhängt. So hatte er mit Bescheid vom 9. Januar 2009 die Regelleistung des Antragstellers für den Zeitraum vom Februar bis April 2009 um 105 EUR monatlich abgesenkt. Mit Bescheid vom 8. Dezember 2009 hatte der Antragsgegner das Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom Januar bis Mai 2010 monatlich um 215,40 EUR abgesenkt. Die Überprüfung dieser Bescheide auf ihre Rechtmäßigkeit ist Gegenstand zweier Klageverfahren des vormaligen Sozialgerichts Stendal (nunmehr Sozialgericht Magdeburg).

Am 27. Juni 2010 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Stendal einen Antrag "Herstellung" der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid vom 11. Juni 2010 und einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt. Eine wiederholte Pflichtverletzung liege nicht vor. Die ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen seien nicht rechtskräftig festgestellt. Zudem seien die ihm angebotene Arbeitsgelegenheit sowie eine Belehrung nicht Bestandteil der Eingliederungsvereinbarung gewesen. Sie hätte nicht durch einen Verwaltungsakt ersetzt werden dürfen.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss am 13. August 2010 den Antrag in der Sache und den auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Im Wesentlichen hat es zur Begründung ausgeführt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs sei vorliegend nicht anzuordnen gewesen, da der Bescheid des Antragsgegners vom 11. Juni 2010 nach summarischer Prüfung der Einwendungen des Antragstellers rechtmäßig sei. So sei für die Annahme einer wiederholten Pflichtverletzung nicht erforderlich, dass die vorausgegangenen Sanktionen bereits bestandskräftig sind. Da der Antragsgegner die Sanktion vorliegend auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1d SGB II gestützt habe, komme es nicht darauf an, ob die Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt habe ersetzt werden können. Es sei darüber hinaus aus den vorliegenden Unterlagen auch nichts ersichtlich, wonach der Sanktionsbescheid offensichtlich rechtswidrig sei. Gegen die Feststellung des Antragsgegners, der Antragsteller habe eine zumutbare Arbeit trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht ausgeführt, wende sich der Antragsteller nicht. Ihm sei zudem ein Abwarten in der Sache zumutbar, da das Guthaben auf seinem Girokonto in Höhe von 1.282,49 EUR ausreiche, um für den restlichen Sanktionszeitraum seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Wegen dieses vorhandenen Vermögens komme auch eine einstweilige Regelungsanordnung vorliegend nicht in Betracht.

Gegen den ihm am 17. August 2010 zugestellten Beschluss der Antragsteller am 15. September 2010 Beschwerde in der Sache und im Prozesskostenhilfeverfahren eingelegt. Das Gericht habe übersehen, dass der Antragsgegner die Sanktion nicht auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1d SGB II, sondern auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II gestützt habe. Ergänzend trägt er vor, die Maßnahme, die er nicht angetreten habe, sei nicht hinreichend nach § 33 SGB II (gemeint war wohl § 33 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialdatenschutz und Sozialverwaltungsverfahren – SGB X) vor deren Durchführung konkretisiert worden. Es werde auch bestritten, dass sie dem Antragsteller entsprechend den gesetzlichen Vorschriften angediehen worden sei.

Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts vom 13. August 2010 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid vom 11. Juni 2010 anzuordnen, ihm rückwirkend Prozesskostenhilfe zur Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens sowie zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt in der Sache,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verweist darauf, der Antragsteller habe bereits auf einen entsprechenden Vermittlungsvorschlag vom 4. November 2009 mit Ablehnung reagiert, was zu einer Leistungskürzung geführt habe. Zu den Einzelheiten werde auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2010 (den Sanktionszeitraum vom 1. Januar bis 31. März 2010 betreffend) verwiesen. Auf ein erneutes Angebot habe der Antragsteller wiederum ablehnend reagiert. Dies habe zur Sanktionsentscheidung vom 11. Juni 2010 geführt. An deren Voraussetzungen gebe es keine Zweifel. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren verwiesen.

Zur Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren hat sich der Antragsgegner nicht geäußert.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorliegenden Verwaltungsakte.

II.

Die nach § 173 Sozialgerichtgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden sind statthaft nach § 172 Abs. 3 Nr. 1; 73a i.V.m. § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG. Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbescheides, der die Grundlage für eine dreimonatige Leistungskürzung in Höhe von insgesamt 1.077 EUR bildet. Der Beschwerdewert liegt folglich über dem nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG maßgeblichen Berufungswert von 750 EUR.

A.

Die Beschwerde in der Sache ist teilweise begründet. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 11. Juni 2010 war anzuordnen, da nach summarischer Prüfung nicht festgestellt werden kann, dass er voraussichtlich rechtmäßig ist.

Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Mai 2009 ist statthaft. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (Satz 1). Ist im Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltungsakt schon vollzogen, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (Satz 2).

Nach § 39 Nr. 1 SGB II in der ab 1. Januar 2009 gültigen Fassung hat der Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid keine aufschiebende Wirkung, da dieser Leistungen der Grundsicherung herabsetzt.

Das Rechtsschutzbegehren ist auch begründet. Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage sieht § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nicht vor. Das Gericht entscheidet aufgrund einer Interessenabwägung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b, Rn. 12). Nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs u.a. in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Das vom Gesetzgeber in § 39 SGB II (in der bis 31. Dezember 2010 gültigen Fassung) angeordnete vordringliche Vollzugsinteresse hat für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Bedeutung, dass der Antragsgegner von der ihm nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG obliegenden Pflicht entbunden wird, das öffentliche Interesse der sofortigen Vollziehbarkeit gesondert zu begründen. Das Gesetz unterstellt aber den Sofortvollzug keineswegs als stets, sondern als nur im Regelfall geboten und verlagert somit die konkrete Interessenbewertung auf Antrag des Antragstellers hin in das gerichtliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 17. September 2001, 4 VR 19/01, NZV 2002, 51, 52 unter Bezug auf BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1994, 4 VR 1/94, BVerwGE 96, 239 ff, jeweils zu § 80 Abs. 2 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der bis 31. Dezember 1996 gültigen Fassung, der wortgleich zu § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG ist). Unter Berücksichtigung des § 39 Nr. 1 SGB II (in der bis 31. Dezember 2010 gültigen Fassung) ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Sofortvollzugs auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten festzustellen ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 9. Aufl, § 86b Rn. 12a). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird die aufschiebende Wirkung angeordnet. Ein überwiegendes öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung ist dann nicht erkennbar. Ist die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und die Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr. 1 SGB II mit berücksichtigt werden (vgl. zum Ganzen: Keller a.a.O. Rn. 12c). Im vorliegenden Fall überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid, denn seine Rechtsmäßigkeit kann der Senat nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen.

Der Antragsteller hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner die streitgegenständliche Sanktion auf § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II gestützt hat. Der Senat kann vorliegend offen lassen, ob diese Begründung die Sanktion trägt und welche Anforderungen im Rahmen dieser Regelung an die Eingliederungsvereinbarung und das Angebot einer Arbeitsgelegenheit zu stellen sind. § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II setzt einen Verstoß gegen eine in einer Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflicht voraus (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010, B 14 AS 53/08 R, Rn. 18, Juris). Der Antragsteller hat sich in der Eingliederungsvereinbarung jedoch nicht zur regelmäßigen Wahrnehmung einer Arbeitsgelegenheit nach § 16 Abs. 3 SGB II ausdrücklich verpflichtet. Die Eingliederungsvereinbarung beinhaltet vielmehr folgende Pflichten des Antragstellers: Im Zeitraum vom 3. Februar bis 2. August 2010 mindestens drei Eigenbemühungen um sozialversicherungspflichtige befristete oder unbefristete Beschäftigungsverhältnisse nachzuweisen sowie an der Praktikumsmaßnahme "Eine neue Chance" bei der Schweißausbildungsstätte "Altmark" teilzunehmen. Die vom Antragsgegner für die Sanktionsentscheidung herangezogene Pflichtverletzung der Weigerung eine Arbeitsgelegenheit anzunehmen, gehört nicht dazu.

Ob der Antragsgegner die Sanktion auf die Regelung des § 31 Abs. 1 Nr. 1d SGB II in rechtmäßiger Weise hätte stützen können, kann nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht festgestellt werden. Nach § 31 Abs. 1 Nr. 1d SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Fassung wird das Arbeitslosengeld II wird unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II auszuführen. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ergibt sich weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vortrag der Parteien.

Es kann nicht festgestellt werden, ob dem Arbeitsangebot vom 15. April 2010 eine den Anforderungen des Bundessozialgerichts gerecht werdende Rechtsfolgenbelehrung beigefügt war (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 4 AS 30/09 R, Rn. 22). Das an den Antragsteller gerichtete Arbeitsangebot befindet sich nicht bei den Akten.

Unabhängig davon, dass der Antragsgegner in der Beschwerdeinstanz bestritten hat, dass ihm das Arbeitsangebot in rechtmäßiger Weise angedient worden sei, konnte das Sozialgericht die Rechtmäßigkeit des Arbeitsangebotes nicht unterstellen. Der Antragsteller hatte zwar dessen Rechtswidrigkeit nicht ausdrücklich geltend gemacht. Dessen bedurfte es aber auch nicht. Auch im Rahmen der summarischen Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheides im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind alle Voraussetzungen für seinen Erlass von Amts wegen zu prüfen.

Soweit sich das Sozialgericht zur Begründung seiner eingeschränkten Prüfung auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 20. April 2009, L 5 B 465/08 AS ER bezogen hat, verkennt es die Reichweite dieser eingeschränkten Amtsermittlungspflicht. Der Senat hat in diesem Beschluss ausgeführt: "Zwar wäre in einem Hauptsacheverfahren im Rahmen des sogenannten Höhenstreits der geltend gemachte Leistungsanspruch vollständig, also unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 6. Dezember 2007, B 14/7b AS 22/06 R). Dies gilt jedoch nicht in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 2 SGG, in denen eine akute Notlage sowie ein gesetzlich bestehender Anspruch auf höhere Leistungen geltend und glaubhaft zu machen sind. Insoweit obliegt es dem Antragsteller, dem Gericht darzulegen, durch welche Regelung er sich in seinen Rechten beeinträchtigt fühlt und weshalb ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung unzumutbar ist. Es ist nicht Aufgabe der für die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zuständigen Gerichte, die Beteiligten auf Punkte hinzuweisen, für die sie selbst nicht die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung sehen. Insoweit ist der Prüfungsmaßstab vorgegeben durch das Begehren und Vorbringen der Beteiligten. Hier wird der Amtsermittlungsgrundsatz der Sozialgerichte beschränkt durch die Pflicht zur Darlegung und Glaubhaftmachung eines gesetzlichen Anspruchs auf höhere Leistungen."

Davon zu unterscheiden ist die Prüfung der geltend gemachten Rechtswidrigkeit eines Bescheides in einem Verfahren nach § 86b Abs. 1 SGG (Anordnung der aufschiebenden Wirkung). Beruft sich ein Antragsteller auf die Rechtswidrigkeit des ihn belastenden Verwaltungsakts, so bilden zwar auch hier der Antrag und das Vorbringen des Antragstellers den Rahmen der Sachverhaltserforschung und der Rechtmäßigkeitskontrolle. Die sich in diesem Rahmen ergebenden rechtlichen Aspekte sind jedoch umfassend der gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Dem Antragsteller obliegt es nicht, das Vorliegen jeder einzelnen Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines Bescheides zu "bestreiten". Er hat lediglich alle aus seiner Sicht relevanten Tatsachen vorzutragen. Die Rechtsfolge daraus hat das Gericht selbstständig zu finden (da mihi factum, dabo tibi ius). Das Gericht ist mithin nicht an die von den Parteien behauptete Rechtslage gebunden und kann und muss eine eigene Subsumtion vornehmen. Eine Rechtslage kann nicht "unstreitig" gestellt werden.

Vorliegend wendet sich der Antragsteller gegen den Sanktionsbescheid vom 11. Juni 2010. Der Antragsgegner hat zu seiner Begründung die Vorschrift des § 31 Abs. 1 Nr.1c SGB II herangezogen. Vom Ansatz her zutreffend hat das Sozialgericht geprüft, ob sich der Bescheid auf eine andere Ermächtigungsgrundlage (§ 31 Abs. 1 Nr. 1d SGB II) stützen lässt, da ersichtlich die vom Antragsgegner gewählte Rechtsgrundlage die Sanktionsentscheidung nicht trägt. Indes hätte es deren tatbestandliche Voraussetzungen aber ebenfalls überprüfen müssen.

Der Umstand, dass der Antragsteller sich gegen die Rechtmäßigkeit des Arbeitsangebotes einschließlich der dazugehörenden Rechtsfolgenbelehrung nicht ausdrücklich gewandt hat, führt unter Anwendung der o.g. Grundsätze nicht zu einer Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieses Angebots, insbesondere nicht dazu, dass es als rechtmäßig unterstellt werden kann. Zumindest die dem Gericht durch den Vortrag der Beteiligten oder den Inhalt der Verwaltungsakte bekannten Tatsachen müssen zur Prüfung der Rechtslage herangezogen werden. Stellt sich in diesem Zusammenhang – wie hier (das an den Antragsteller gesandte Stellenangebot einschließlich der wohl diesem anliegenden Rechtsfolgenbelehrung befindet sich nicht bei den Akten) – heraus, dass diesem nicht alle relevanten Tatsachen vorliegen, so ist das Gericht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheides in der Regel nicht gehalten, diese weiter von Amts wegen zu ermitteln. Auch eines entsprechenden Hinweises des Senats an den Antragsgegner bedurfte es hier nicht. Nachdem der Antragsteller ausdrücklich bestritten hat, dass ihm das Arbeitsangebot entsprechend der gesetzlichen Vorschriften unterbreitet worden sei, hätte es dem Antragsgegner oblegen, konkret die Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, die die Rechtmäßigkeit der Sanktion nach § 31 Abs. 1 Nr. 1d SGB II begründen können. Hierzu gehört die Vorlage des Arbeitsangebots. Der Antragsgegner hätte ohne Mühe feststellen können, dass es dem Gericht als Bestandteil der Verwaltungsakte nicht vorliegt. Er musste auch die Erheblichkeit des Arbeitsangebots erkennen. Bereits das Sozialgericht hat ihn darauf hingewiesen, dass die festgestellte Sanktion nicht auf § 31 Abs. 1 Nr. 1c SGB II gestützt werden konnte. Es verbleib als einziger tragender Grund eine Verletzung der Pflicht aus § 31 Abs. 1 Nr. 1d SGB II. In Anwendung allgemeiner Darlegungs- und Beweislastregeln geht die Unvollständigkeit der Verwaltungsakte hier daher zulasten des Antragsgegners, der sich auf die Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides als Grundlage der Herabsetzung der SGB II-Leistungen beruft.

Da die Erfolgsaussichten des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid mithin als offen zu bezeichnen sind, war unter Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gesetzgebers in § 39 Nr. 1 SGB II (in der bis 31. Dezember 2010 gültigen Fassung) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid anzuordnen. Die gegen den Sofortvollzug sprechenden Umstände waren in diesem Fall höher zu bewerten als die für ihn sprechenden. Es handelt sich um eine Sanktion, durch die der Anspruch des Antragstellers auf die ihm zu gewährende Regelleistung ganz entfallen ist. Im Zuge der Überprüfung des Bescheides auf seine Rechtmäßigkeit im Verfahren nach § 86b Abs. 1 SGG kann eine solch weitreichende Sanktion im Einzelfall nur dann weiterhin sofort vollzogen werden, wenn der Sanktionsbescheid voraussichtlich rechtmäßig ist. Die Regelleistung benötigt ein Hilfebedürftiger für die Sicherung seiner Existenz. Entfällt diese ganz, wird er in seiner Existenz gefährdet sein.

Diese Abwägung führt unmittelbar zu einem erhöhten Leistungsanspruch des Antragstellers für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September 2010. Der Antragsgegner hat zwar in seinem Bewilligungsbescheid vom 11. Juni 2010 die Leistungen für diese Monate nicht nach § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) aufgehoben. Er hat sie vielmehr im Zuge der Bewilligung auf die Leistungen für die KdU herabgesetzt. Der Bewilligungsbescheid besteht aus drei Verfügungssätzen: die ersten beiden betreffen die Bewilligung der Regelleistung und der KdU. Der dritte Verfügungssatz bezieht sich auf die Minderung der Leistungen in Höhe von 359 EUR/Monat. Entfällt durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs die Wirkung des dritten Verfügungssatzes, entfaltet der erste Verfügungssatz (Bewilligung einer Regelleistung in Höhe von 359 EUR) seine volle Rechtswirkung. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts bedurfte es hier also keiner zusätzlichen einstweiligen Regelungsanordnung.

Die Beseitigung der Vollzugsfolgen war jedoch hier nicht anzuordnen. Einen ausdrücklichen Antrag hat der Antragsteller zwar nicht gestellt. Der Senat geht jedoch davon aus, dass sein Begehren auch auf die Beseitigung der für ihn negativen Vollzugsfolgen gerichtet war.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden ist. Die Entscheidung über die Aufhebung der Vollziehung folgt grundsätzlich denselben Regeln wie die über die Aussetzung. Abzuwägen ist das öffentliche Interesse am Fortbestehen des Vollzugs gegen das Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Vollziehung. Dies bedeutet, dass ein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch dann nicht in Betracht kommt, wenn es dem Betroffenen zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (vgl. VG Bayreuth von 17. Februar 2005, B 2 S 04.1387, Rn. 26, Juris)

Der Senat hält es unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers nicht für geboten, die unmittelbaren Folgen der Sanktionsentscheidung durch eine Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Nachzahlung der bewilligten Regelleistungen für die Monate Juli bis September 2010 zu beseitigen. Der Antragsteller benötigte diese Zahlungen nicht dringend zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes. So verfügte er am 21. Juli 2010 noch über ein Guthaben auf seinem Girokonto i.H.v. 1.282,49 EUR. Am 20. September 2010 (zehn Tage vor Ablauf des Sanktionszeitraumes) waren auf diesem Konto noch 663,97 EUR vorhanden. Zwar unterfallen die Beträge dem Schonvermögen des § 12 SGB II. Unter Berücksichtigung des nur begrenzten Zeitraumes der Sanktionswirkungen war es dem Antragsteller jedoch zuzumuten, diesen Betrag zum Bestreiten seines Lebensunterhaltes einzusetzen. Auch in der Beschwerde hat er trotz eines entsprechenden Hinweises des Sozialgerichts im Beschluss vom 13. August 2010 nicht darauf abgestellt, das Vermögen aus zwingenden Gründen nicht für den Lebensunterhalt verwenden zu können.

B.

Die Beschwerde gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts vom 13. August 2010 ist begründet. Dessen Beschluss in der Sache vom selben Tag war aus den o.g. Gründen aufzuheben. Hinsichtlich des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid hatte das Begehren des Antragstellers Erfolg. Mithin war auch die Entscheidung über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe aufzuheben.

C.

Dem Antragsteller ist rückwirkend für das erstinstanzliche Verfahren und für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Eine monatliche Ratenzahlung in Höhe von 30,00 EUR war anzuordnen.

Der Antragsteller bezieht Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 636,24 EUR/Monat sowie weitere 115,00 EUR/Monat als Mehraufwandsentschädigung für die Tätigkeit in einem "Ein-Euro-Job". Von diesem Einkommen ist der Freibetrag für die Partei nach § 115 Abs. 1 Nr. 2a Zivilprozessordnung (ZPO), nicht jedoch der nach § 115 Abs. 1 Nr. 1b ZPO (Erwerbstätigenfreibetrag) in Abzug zu bringen.

Die Arbeitsgelegenheit ist keine Erwerbstätigkeit i.S. § 115 ZPO. Die ZPO definiert selbst zwar nicht den Begriff der Erwerbstätigkeit. Da jedoch die Regelungen in der Prozesskostenhilfe Bezug auf das Zwölfte Buch des Sozialgesetzbuches – Sozialhilfe (SGB XII) nehmen, kann auf die Definition des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum ehemaligen Bundessozialhilfegesetz (BSHG), das weitgehend mit den Regelungen des SGB XII übereinstimmt, zurückgegriffen werden. Danach ist die Erwerbstätigkeit eine Tätigkeit, die zu Erträgen zur Bestreitung des Lebensunterhalts führt. Unter einem Erwerbstätigen verstand es demzufolge jemanden, der eine wirtschaftlich verwertbare Leistung gegen Entgelt erbringt, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das Entgelt musste für eine Arbeitsleistung erbracht werden (BVerwG, Urteil vom 21. Juli 1994, 5 C 32/91, Rn. 12, 13, Juris).

Die Mehraufwandsentschädigung, die der Antragsteller im Rahmen des "Ein-Euro-Jobs" erhält, ist danach kein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit; vielmehr ist sie eine Sozialleistung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften (§ 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II). Korrespondierend hierzu ist die Arbeitsgelegenheit auch kein privatrechtliches Arbeitsverhältnis, aus dem der Arbeitgeber eine Vergütung schuldet (vgl. Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 26. September 2007, 5 AZR 858/06, Rn. 9 ff., Juris).

Die Regelung des Erwerbstätigenfreibetrags ist auch nicht in analoger Anwendung des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1b ZPO auf Personen, die im Rahmen eines "Ein-Euro-Jobs" eine Mehraufwandsentschädigung erhalten, entsprechend anzuwenden. Es fehlt bereits an einer Regelungslücke.

Der Erwerbstätigenfreibetrag soll pauschaliert die erhöhten Aufwendungen ausgleichen, die einem aktiv im Arbeitsleben stehenden Arbeitnehmer entstehen. Dabei geht es nicht um konkrete Kosten, da diese ohnehin gemäß § 115 Abs. 1a Nr. 1 ZPO i.V.m. § 82 Abs. 2 SGB XII als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben geltend gemacht werden können, solange sie tatsächlich anfallen. Vielmehr geht es um nicht näher spezifizierbare und damit um zu pauschalierende Aufwendungen. Das Gesetz geht davon aus, dass derartige Aufwendungen solange anfallen, wie der Prozesskostenhilfeantragsteller im Erwerbsleben steht (vgl. BAG, Beschluss vom 22. April 2009, 3 AZB 90/08, Rn. 9, Juris zur Frage, unter welchen Voraussetzungen der Erwerbstätigenfreibetrag bei Krankengeldzahlungen zu berücksichtigen ist). Diesen Zweck des Ersatzes zu pauschalierender Mehraufwendungen erfüllt jedoch bereits die Mehraufwandsentschädigung selbst. Eine analoge Anwendung der Regelung über den Erwerbstätigenfreibetrag auf Ein-Euro-Job-Fälle würde daher zu einer doppelten Begünstigung führen, weil für dieselben Aufwendungen nicht nur finanzielle Leistungen in Form der Mehraufwandsentschädigung erbracht würden, sondern die Aufwendungen auch nochmals vom Einkommen abgesetzt werden könnten (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 23. Februar 2009, L 3 B 138/07 AS-PKH, Rn. 14, Juris).

Vom Gesamteinkommen in Höhe von 751,24 EUR sind folglich der Freibetrag nach § 115 Abs. 1 Nr. 2a ZPO (400 EUR) und die Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 283,71 EUR in Abzug zu bringen, sodass dem Antragsteller ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 67,53 EUR verbleibt, das er zur Führung des Prozesses einsetzen kann. Es ergibt sich nach § 115 ZPO eine monatliche Ratenzahlung in Höhe von 30,00 EUR.

D.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und § 127 Abs. 4 ZPO. Im Rahmen des § 193 SGG war die Kostentragungslast auf die Beteiligten entsprechend ihres Anteils am Obsiegen bzw. Unterliegen aufzuteilen.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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