L 3 R 42/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 9 RJ 367/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 42/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind zwischen den Beteiligten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI) streitig.

Die am ... 1950 geborene Klägerin hat keinen Ausbildungsberuf erlernt. Nach ihren Angaben hat sie als Beiköchin, Forstarbeiterin, Reinigungskraft, Pförtnerin und Telefonistin gearbeitet. Eine 1993 durchgeführte Umschulungsmaßnahme zur Lagerverwalterin beendete sie krankheitsbedingt. Zuletzt war die Klägerin von November 1995 bis Januar 1997 als Produktionsarbeiterin (Verpacken von Käse) bei der Firma L. beschäftigt. Seitdem ist sie arbeitslos.

Bereits am 25. Februar 1994 hatte die Klägerin erstmals erfolglos einen Rentenantrag gestellt. Der weitere Rentenantrag vom 13. Januar 1997 wurde von der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt (LVA), deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, abgelehnt (Bescheid vom 17. November 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 1998). Die hiergegen erhobene Klage (Az.: S 9 RJ 452/98) hatte das Sozialgericht Magdeburg mit Urteil vom 28. Januar 2002 abgewiesen und das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt die hiergegen eingelegte Berufung (L 3 RJ 43/02) mit Urteil vom 15. Mai 2003 zurückgewiesen.

Am 10. Juli 2003 stellte die Klägerin den dem Streitverfahren zugrundeliegenden Rentenantrag. Wegen Beschwerden an der Halswirbelsäule (HWS), Lendenwirbelsäule (LWS), Arthrose in beiden Schultern und linksseitigen Kniebeschwerden könne sie keinerlei Arbeiten mehr verrichten. Die LVA holte daraufhin einen Behandlungs- und Befundbericht von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. S. vom 20. August 2003 ein, der zahlreiche Arztbriefe zur Behandlung der von der Klägerin beklagten Schulterbeschwerden rechts, LWS- und HWS-Beschwerden sowie der Schmerzen des linken Kniegelenkes übersandte. Die LVA holte sodann noch einen Befund- und Behandlungsbericht von dem Facharzt u.a. für Orthopädie Dr. T. vom 30. September 2003 und von dem Facharzt für Neurochirurgie/Chirotherapie Dr. H. vom 16. Oktober 2003 ein. Dr. T. teilte als Diagnosen eine Tendinitis calcarea (Kalkablagerungen an den Sehnenansätzen) rechts sowie eine Bursitis (Schleimbeutelentzündung) im Schulterbereich rechts mit. Dr. H. nannte als Diagnosen eine Retrospondylose HWK 6/7, Neigung zu Facettengelenksblockierungen, Zustand nach Karpaltunneloperation links, Verdacht auf Involutionsdepression und Verdacht auf Rhizarthrose links. Eine Indikation für eine Operation der HWS sowie für eine Revisionsoperation bezüglich des Karpalkanals bestehe nicht. Daraufhin veranlasste die LVA eine Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie Dr. B ... Dr. B. gab in seinem Gutachten vom 29. Januar 2004 an, die Klägerin habe über ständige Schmerzen in der HWS mit Ausstrahlung im Hinterkopf und in den Nacken, über Schmerzen der rechten Schulter – besonders bei Arbeiten in Schulterhöhe und darüber – über Parästhesien beider Hände, Kreuzschmerzen und ständige Schmerzen im Kniegelenk, besonders bei längerem Gehen, Stehen und Treppensteigen sowie Schmerzen an der Ulnarseite beider Ellenbogen geklagt. Zur Psyche hat er ausgeführt, die Klägerin habe einen ausgesprochen fröhlichen und aufgeschlossenen Eindruck gemacht, ununterbrochen über ihre vielen Leiden, Behandlungen, Komplikationen und Ärzte erzählt. Sie sei teilweise nur mit Mühe zum Beantworten gezielter Fragen zu veranlassen gewesen. Als Diagnosen seien eine leichte Varusarthrose des linken Kniegelenkes ohne Bewegungseinschränkung bei Zustand nach valgisierender Osteotomie (Umstellungsoperation), ein Zervikal- und Lumbalsyndrom bei Flachrücken und deutlicher Adipositas sowie eine Epicondylitis humeri ulnaris beiderseits zu stellen. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte körperliche Arbeiten zeitweise im Gehen und Stehen und/oder ständig im Sitzen sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Insbesondere die zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit als Pförtnerin sei ohne Einschränkungen ganztägig möglich.

Daraufhin lehnte die LVA den Rentenantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 11. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2004). Hiergegen hat die Klägerin beim Sozialgericht Magdeburg am 27. September 2004 Klage erhoben. Sie sei nach wie vor der Ansicht, aufgrund der körperlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage zu sein, regelmäßig sechs Stunden und mehr täglich zu arbeiten.

Das Sozialgericht hat Behandlungs- und Befundberichte von Dr. T. vom 4. April 2005 und von Dipl.-Med. S. vom 19. April 2005 eingeholt. Die Klägerin hat die Epikrise über ihre Vorstellung in der Rheumatologischen Ambulanz am 1. November 2005 bei Dipl.-Med. G. (Facharzt für Innere Medizin/Rheumatologie) und den Arztbrief des Facharztes für Orthopädie/Chirotherapie Dr. G. vom 18. Juli 2006 zu den Akten gereicht. Dipl.-Med. S. hat mitgeteilt, Veränderungen im Gesundheitszustand der Klägerin seien nicht zu verzeichnen, eine Einschätzung zur Leistungsfähigkeit der Klägerin könne er nicht abgeben. In der Epikrise des Dipl.-Med. G. vom 16. November 2005 ist ausgeführt, dass anhand der Anamnese und des klinischen Bildes zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis nicht gesichert werden könne. Es sei von einer generalisierten Enthesiopathie (Erkrankung der gelenknahen Sehnenansatzpunkte) sowie einer Fingerpolyarthrose und auch einer MTP1-Arthrose beidseits auszugehen. In der Epikrise vom 7. März 2006 über die Vorstellung am gleichen Tage sind keine abweichende Beurteilung abgegeben und eine Erhöhung der Medikation sowie die Vorstellung beim Schmerztherapeuten empfohlen worden. Dr. G. hat einen Nukleus pulposus Prolaps L 4/5 und C 6/7, eine Varus-Gonarthrose links, eine Heberdenarthrose, eine Periarthrosis coxae links, ein Vorfußüberlastungssyndrom beidseits, eine Myotendinose der kurzen Fußmuskulatur beidseits bei Senk-Spreizfuß beidseits festgestellt und eine Corticoidtherapie durchgeführt, die die Schmerzen der Klägerin lediglich wenig beeinflusst habe. Er hat ferner darauf hingewiesen, vom Rechtsanwalt der Klägerin gebeten worden zu sein, deren Multimobilität zu dokumentieren. Er habe dies im Hinblick auf eine gewisse Aggravationstendenz, die eine objektive Bewertung schwierig mache, abgelehnt.

Mit Urteil vom 4. Dezember 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert und auch nicht berufsunfähig. Im Rahmen des Mehrstufenschemas sei sie allenfalls der Gruppe der unteren angelernten Arbeiterinnen zuzuordnen und müsse sich daher auch auf ungelernte Tätigkeiten verweisen lassen. Sie sei aufgrund der Ausführungen im Gutachten von Januar 2004 noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Eine gegenteilige Auffassung sei auch von den behandelnden Ärzten nicht vertreten worden.

Gegen das ihr am 12. Januar 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. Februar 2007 beim LSG Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Sie sei weiterhin nicht in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie leide an Gicht und einem Weichteilrheuma nebst Arthrose in Schultern, Armen und Händen. Das Sozialgericht hätte nicht allein auf der Grundlage von eingeholten Befundberichten entscheiden dürfen. Vielmehr wäre ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen gewesen. Trotz eines entsprechenden Antrags vor der mündlichen Verhandlung sei dem Antrag, Dr. N. zur mündlichen Verhandlung zu laden, nicht nachgekommen worden. Damit habe das Sozialgericht gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 4. Dezember 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Juli 2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide für rechtmäßig.

Im Berufungsverfahren sind zunächst ein Behandlungs- und Befundbericht von Dr. G. vom 25. Juni 2007 und von Dipl.-Med. S. vom 2. Juli 2007 eingeholt worden. Dr. G. hat gegenüber seinem Arztbrief vom 18. Juli 2006 als weitere Diagnosen eine chronische Bursitis subacromialis links sowie eine Epicondylitis humeri radialis links und eine Hyperurikämie genannt. Die von ihm erhobenen Befunde hätten sich weder deutlich verschlechtert noch verbessert. Hinsichtlich des linken Kniegelenkes habe er einen Druckschmerz im Bereich des lateralen Kniegelenkspaltes, eine leichte Varus-Fehlstellung und Verplumpung des medialen Gelenkkompartiments bei endgradiger Beuge-Schmerzhaftigkeit festgestellt. Dipl.-Med. S. hat auf eine im September 2006 aufgetretene Refluxösophagitis und eine allgemeine Zunahme der Gelenk- und Wirbelsäulenbeschwerden hingewiesen und zahlreiche Fremdberichte übersandt. Dr. E., Facharzt für Neurologie/Psychiatrie, hat ihm unter dem 16. September 2005 mitgeteilt, bei einer durchgeführten neurophysiologischen Untersuchung keinerlei Hinweise für ein Engpasssyndrom im Bereich des Sulcus Nervi ulnaris oder des Nervus median festgestellt zu haben. Auf die richterliche Nachfrage vom 4. Juli 2007, welche Befunde sich dauerhaft, d.h. länger als sechs Monate, verschlechtert hätten, bzw. welche Krankheiten hinzugetreten seien, hat Dipl.-Med. S. unter dem 9. Juli 2007 mitgeteilt, dass diese Frage sich bei der extremen multimorbiden Klägerin nicht konkret beantworten lasse, da subjektive Schilderungen ihm gegenüber im Vordergrund stünden und fachärztliche Konsultationen parallel liefen. Ferner ist ein Befundbericht des Hautarztes Dr. W. vom 13. September 2007 eingeholt worden, der die Klägerin im Juli und August 2007 wegen Ekzemen im Gesicht, an den Armen und am Hals behandelt und eine Neurodermitis, eine Rhinitis allergica sowie eine Dorsalzyste festgestellt und die Klägerin mit Salben und Umschlägen behandelt und eine Verbesserung der Beschwerden unter Cortisonbehandlung beschrieben hat.

Die Beklagte hat den Rehabilitationsentlassungsbericht der Prof. Dr. K. vom 13. Dezember 2007 über die stationäre Rehabilitation der Klägerin in der T. Fachklinik vom 20. November bis zum 11. Dezember 2007 zu den Akten gereicht. Dort sind als Diagnosen ein Bandscheibenvorfall in Höhe LWK 4/LWK 5, der Zustand nach Sequestrektomie L 4/5 am 22. Oktober 2007, eine Gon- und Omarthrose beidseits genannt. In der psychologischen Diagnostik ist ein Rentenbegehren aufgeführt. In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung werden Tätigkeiten als Arbeiterin in der Käseproduktion für drei bis unter sechs Stunden täglich und leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zeitweise im Gehen, Stehen und/oder überwiegend im Sitzen in allen Schichtformen sechs Stunden und mehr täglich für zumutbar erachtet. Zu vermeiden seien schweres Heben und Tragen, Zwangshaltungen für die Wirbelsäule, Schulter-, Hüft- und Kniegelenke, dauernde Körpervorbeuge, extreme Verdrehungen des Körpers, ständige Überkopfarbeiten, Knien, Hocken, Klettern und Ersteigen von Leitern und Gerüsten.

Die Klägerin hat sodann die Epikrise vom 15. September 2008 über ihre stationäre Behandlung vom 18. bis zum 31. Juli 2008 im Klinikum Q. übersandt. Danach sei aufgrund eines Instabilitätssyndroms LWK 4/5 bei Zustand nach Bandscheibenoperation und bekanntem Fibromyalgiesyndrom eine Spondylodese in PLIF-Technik unter Verwendung von Standalone-Cages am 21. Juli 2008 erfolgt. Der postoperative Verlauf sei komplikationslos gewesen. Anlässlich der Wiedervorstellung am 26. August 2008 sei im Hinblick auf die von der Klägerin geklagten Schmerzen der Eindruck entstanden, dass eine Art Rheumatismus vorliege. Insoweit ist nochmals ein Behandlungs- und Befundbericht von Dr. G. vom 22. Dezember 2008 eingeholt worden. Dieser hat als Diagnose u.a. den Zustand nach dorsaler Wirbelfusion L 4/5 mit fortgesetzter Lumboischialgie rechts mitgeteilt. Durch die Operation am 21. Juli 2008 sei weder eine Verbesserung noch eine weitere Verschlechterung eingetreten. Die Klägerin sei bei der Fortbewegung auf die Benutzung eines Rollators angewiesen und benötige beim Strümpfe anziehen, Duschen und bei den sonstigen täglichen Verrichtungen fremde Hilfe. Auch der Facharzt für Neurochirurgie Dr. H. hat in seinem Bericht vom 5. Januar 2009 mitgeteilt, die Klägerin benötige wegen der nichtversorgten Hüftgelenksarthrose zur Fortbewegung einen Rollator. Aufgrund der Einschränkung der Hüftgelenksbeweglichkeit bedürfe sie auch im Rahmen ihrer täglichen Verrichtungen fremder Hilfe. Durch die Operation am 21. Juli 2008 sei eine Stabilisierung eingetreten; der Rheumatismus habe eher zugenommen.

Ferner ist das Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt vom 15. Dezember 2008, das im Widerspruchsverfahren nach der Ablehnung der Anerkennung von Pflegebedürftigkeit von der Pflegefachkraft H. erstattet worden ist, beigezogen worden. Danach sei bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt. Die Alltagskompetenz der Klägerin sei nicht eingeschränkt. Sie benötige pro Tag zehn Minuten Zeitbedarf für die Körperpflege, vier Minuten für die Ernährung, zehn Minuten für die Mobilität und bei den hauswirtschaftlichen Versorgungen vier Stunden pro Woche Hilfebedarf. Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI liege nicht vor. Bei der Begutachtung am 11. März 2009 sind dann für die Körperpflege 18 Minuten pro Tag, für die Mobilität 30 Minuten am Tag und für die Ernährung keinerlei Aufwand sowie für die Hauswirtschaft 5,4 Stunden pro Woche und damit ein Gesamtzeitaufwand von 11 Stunden pro Woche und die Pflegestufe I anerkannt worden.

Schließlich ist der Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin-Chirotherapie, Physikalische Therapie-Akupunktur, Dr. S. mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt worden. Dr. S. hat die Klägerin am 6. Mai 2010 ambulant untersucht und sein Gutachten unter dem 9. Mai 2010 erstattet. Es seien folgende Diagnosen zu stellen:

Lumboischialgie, links mehr als rechts, d.h. ständige Schmerzen in der LWS mit gürtelförmiger Ausstrahlung in das linke Bein mit deutlicher Bewegungseinschränkung, Muskelhartspann, Druckschmerzhaftigkeit, Taubheitsgefühl des linken lateralen Unterschenkels und Fußes sowie deutlicher Fußheberschwäche links bei Zustand nach Spondylodese, d.h. Versteifungsoperation zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbelkörper sowie radiologisch nachweisbaren deutlichen degenerativen Veränderungen der unteren LWS.

Cervikobrachialgie links, d.h. ständige Schmerzen in der HWS mit Ausstrahlung in den linken Arm und beide Schultern bei Muskelhartspann mit Druckschmerzhaftigkeit und schmerzhaft eingeschränkter Beweglichkeit in allen Richtungen bei radiologisch nachweisbarer ausgeprägter Bandscheibendegeneration C6/7 sowie kernspintomographisch gesichertem Bandscheibenvorfalls C 6/7 und C 4/5.

Rezidivierende Schmerzen in beiden Schultergelenken, links mehr als rechts mit Druckschmerzhaftigkeit und schmerzhaft eingeschränkter Beweglichkeit bei chronischer Schleimbeutelentzündung zwischen Oberarmkopf und Schulterdach mit Einklemmungserscheinungen.

Belastungs- und Ruheschmerzen im linken Kniegelenk, Druckschmerzhaftigkeit, schmerzhaft eingeschränkter Beweglichkeit bei radiologisch nachweisbaren ausgeprägten degenerativen Veränderungen des linken Kniegelenkes und Zustand nach Umstellungsosteotomie, d.h. Veränderung der Beinachse von O-Bein auf X-Bein.

Beginnende Arthrose im linken Handgelenk mit endgradiger Bewegungseinschränkung bei radiologisch nachweisbaren leichten degenerativen Veränderungen.

Golferarm (Epikondylitis medialis humeri linksseitig) mit Druckschmerzhaftigkeit, Bewegungs- und Belastungsschmerz des linken Ellenbogens.

Anamnestisch bestehender Weichteilrheumatismus mit Ganzkörperschmerz, durch regelmäßige Einnahme von Kortison leichte Besserung.

Adipositas per magna (154 cm/79 kg).

Anamnetisch bestehender Diabetes mellitus.

Die jetzt erhobenen klinischen und radiologischen Befunde deckten sich mit der von der Klägerin im Rahmen der heutigen Begutachtung geklagten Beschwerdesymptomatik. Da die klinischen und radiologischen Befunde deutlich über die altersentsprechende Norm hinausgingen und zusätzlich eine radikuläre Ausfallsymptomatik von Seiten der LWS bestehe, sei die ausgeprägte Beschwerdesymptomatik von Seiten des Bewegungsapparates glaubhaft. Eine Erwerbstätigkeit sei der Klägerin in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr zuzumuten. Aufgrund der glaubhaft chronischen deutlichen Schmerzsymptomatik sei auch die geistige Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Die Klägerin könne noch Gehstrecken von maximal 500 Metern am Gehwagen mit Pausen zurücklegen. Mit einer Besserung sei nicht zu rechnen.

Die Beklagte hat sich mit dem Gutachten von Dr. S. nicht einverstanden erklärt. Bei der Einschätzung seien das Schmerzgeschehen und die über die altersentsprechende Norm hinausgehenden degenerativen Veränderungen in den Vordergrund gestellt worden. Detaillierte Angaben zur Tagesgestaltung enthalte das Gutachten nicht, um sich mit dem tatsächlichen Beeinträchtigungsgrad auseinandersetzen zu können. Gravierende Funktionseinbußen seien nicht dokumentiert. Eine Fußheberschiene zur Kompensation der als Residualzustand zu wertenden linksseitigen Fußheberschwäche werde nicht getragen. Wesentliche schonungsbedingte Umfangsdifferenzen der Beine seien nicht beschrieben. Die Funktionseinschränkung der Hüftgelenke, die aus neurochirurgischer Sicht als Ursache für die Rollatornutzung angesehen worden sei, habe sich nicht bestätigen lassen; vielmehr seien die Hüftgelenke aktuell altersentsprechend frei beweglich gewesen.

Dr. S. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. Oktober 2010 an seiner Einschätzung festgehalten. Im linken Kniegelenk hätten ein Erguss als Zeichen einer entzündlichen Aktivität mit Druckschmerzhaftigkeit und Instabilität sowie ein positives Meniskuszeichen und eine schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit vorgelegen. Dies sei in der Zusammenschau mit der Schmerzsymptomatik der LWS Ursache für die Notwendigkeit der Benutzung eines Gehwagens. Eine leichte körperliche Tätigkeit sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits seit Mai 2008 nur noch unter sechs Stunden täglich zumutbar gewesen, weil die Bandscheibenoperation L 4/5 nach Lähmung des rechten Beines nach Angaben der Klägerin nur für sechs Monate zu einer ausreichenden Schmerzlinderung geführt habe. Insoweit sei eine leichte körperliche Tätigkeit mit diversen qualitativen Einschränkungen seit Mai 2008 nur noch fünf bis sechs Stunden täglich möglich gewesen. Durch die zunehmende Narbenbildung bzw. Instabilität sei es zu einer deutlichen Schmerzzunahme mit der Notwendigkeit einer Versteifungsoperation gekommen; diese habe zu einer Schmerzlinderung für etwa ein Jahr geführt. Seit November 2009 sei eine leichte körperliche Tätigkeit mit diversen qualitativen Einschränkungen nicht mehr möglich gewesen.

Die Beklagte hat daran festgehalten, sich der Beurteilung des Gutachters nicht anschließen zu können. Aus der objektiven Befundlage sei dessen Beurteilung nicht nachzuvollziehen.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin aufgrund des Bescheides vom 22. April 2010 ab dem 1. Mai 2010 Altersrente für Frauen erhält.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten der Beklagten und der Streitakten des erledigten Gerichtsverfahrens L 3 RJ 43/02, die sämtlich Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht zu beanstanden und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Ihr steht ein Anspruch auf die beantragte Rente nicht zu.

Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter diesen Bedingungen mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist seit Rentenantragstellung am 10. Juli 2003 bis zum Beginn der Bewilligung der Altersrente am 1. Mai 2010 zur Überzeugung des Senats in der Lage gewesen, sechs Stunden und mehr täglich Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Streitverfahren konnte die Klägerin in diesem Zeitraum noch zumindest leichte körperliche und einfache geistige Arbeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten konnte. Ausgeschlossen waren durchweg mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten, insbesondere das häufige Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Arbeiten mit häufigen einseitigen körperlichen Belastungen, wie Zwangshaltungen, Bücken, Hocken, Knien oder Überkopfarbeiten, Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und Treppen. Zudem waren Arbeiten unter Einwirkung von Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen, Nässe, Zugluft, Staub, Dampf oder Rauch und Arbeiten mit hautbelastenden Stoffen ausgeschlossen. Zumutbar waren Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderten, Arbeiten, die normale Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen stellten sowie Tätigkeiten mit zumindest einfachen Anforderungen an geistige und mnestische Fähigkeiten.

Dies ergibt sich für den Senat aus dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Streitverfahren, insbesondere aus dem Gutachten von Dr. B. vom 29. Januar 2004, dem Rehabilitationsentlassungsbericht vom 13. Dezember 2007 und dem Gutachten von Dr. S. vom 9. Mai 2010. Danach litt die Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet an Abnutzungserscheinungen an der Wirbelsäule, den Schultern, dem linken Knie-, Hand- und Ellenbogengelenk, die leicht- bis mittelgradig waren und zu den oben genannten qualitativen Leistungseinschränkungen führten. Dr. B. und die behandelnden Ärzte in der Rehabilitationsklinik haben übereinstimmend ausgeführt, dass die Gesundheitsstörungen am Haltungs- und Bewegungsapparat qualitative Einschränkungen zur Folge hatten, nicht aber der Verrichtung leidensgerechter Arbeiten entgegenstanden. Wegen der rezidivierend auftretenden Ekzeme bei Neurodermitis waren Arbeiten mit hautbelastenden Stoffen, unter Einwirkung von Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen, Nässe, Zugluft, Staub, Dampf oder Rauch ausgeschlossen. Ein quantitativ auf unter sechs Stunden täglich gemindertes Leistungsvermögen lag nicht vor.

Auch aus dem Gutachten von Dr. S. ergibt sich für den oben genannten Zeitraum nichts anderes. Er hat auf der Grundlage der ambulanten Untersuchung bei ihm am 6. Mai 2010 – und damit nach dem Beginn der Altersrente – aufgrund der glaubhaften chronischen deutlichen Schmerzsymptomatik eine regelmäßige Erwerbstätigkeit für ausgeschlossen erachtet. Diese Einschätzung begegnet bereits insoweit Bedenken, als er in der Auflistung der Diagnosen einen "anamnestisch bestehenden Weichteilrheumatismus mit Ganzkörperschmerz, durch regelmäßige Einnahme von Kortison leichte Besserung" berücksichtigt hat, obwohl die fachärztlichen Untersuchungen zu keiner Zeit den Nachweis einer rheumatischen Erkrankung erbracht haben. Die behandelnden Ärzte haben lediglich den Verdacht auf "eine Art Rheumatismus" geäußert, da ein organisches Korrelat für die von der Klägerin geklagten Schmerzen nicht feststellbar war, zuletzt nach der Versteifungsoperation in der Epikrise vom 15. September 2008. An objektiven klinischen Befunden konnte Dr. S. einen Erguss im linken Kniegelenk als Zeichen einer entzündlichen Aktivität mit Druckschmerzhaftigkeit und Instabilität sowie ein positives Meniskuszeichen und eine schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit feststellen. Weitere erhebliche Bewegungseinschränkungen, insbesondere der Hüft- und Schultergelenke, waren nicht feststellbar. Auch eine radikuläre Ausfallsymptomatik bestand nicht, lediglich eine Fußheberschwäche links Kraftgrad II-III sowie ein Taubheitsgefühl am linken Unterschenkel und Fußaußenrand. Für die Beurteilung des Leistungsvermögens für die Vergangenheit konnte der gerichtliche Sachverständige keine aktenkundigen Befunderhebungen, sondern lediglich die Angaben der Klägerin zum Ausmaß ihrer Beschwerden heranziehen. Diese Angaben können jedoch zur Überzeugung des Senats nicht maßgebend sein, da sie von dem Rentenbegehren der Klägerin, das bereits seit 1994 besteht, getragen waren. Insoweit ist von Bedeutung, dass schon im Juli 2006 Dr. G. eine Aggravationstendenz der Klägerin mitgeteilt hatte. Noch im Dezember 2007 sind zudem im Rehabilitationsentlassungsbericht noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten sechs Stunden und mehr für zumutbar erachtet worden und auch dort ist auf ein Rentenbegehren und eine Diskrepanz zwischen den subjektiv geklagten Beschwerden und den objektiven Untersuchungsbefunden hingewiesen worden. Die Angaben im Pflegegutachten können ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis führen, da sie ebenso ausschließlich auf den Mitteilungen der Klägerin basieren und nicht durch einen Arzt erhoben und beurteilt worden sind, sondern von einer Pflegefachkraft. Insoweit ist der Nachweis einer quantitativen Erwerbsminderung erst allenfalls durch die Untersuchung bei Dr. S. erbracht worden, sofern man die Einwände der Beklagten gegen dieses Gutachten nicht für durchgreifend erachtet und sich der Beurteilung von Dr. S. anschließt. Im Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. S. am 6. Mai 2010 war der Klägerin aber bereits bindend eine Altersrente zuerkannt, so dass die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 34 Abs. 4 SGB VI ausgeschlossen war.

Es lagen bei der Klägerin auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die trotz der sechsstündigen Einsetzbarkeit zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes geführt hätten. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Denn das Restleistungsvermögen der Klägerin reichte noch für leichte körperliche Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33f.).

Auch war für die Klägerin der Arbeitsmarkt nicht verschlossen, weil es ihr an der so genannten Wegefähigkeit gefehlt hätte. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 Metern mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Mobilitätshilfen benutzen kann. Dann gilt die Erwerbsfähigkeit als nicht in beachtlichem Maße eingeschränkt und die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit ist nicht erforderlich. Ist ein Arbeitsplatz auf andere Art als zu Fuß erreichbar, z.B. mit einem eigenen Kraftfahrzeug bzw. mit einem Fahrrad, ist der Arbeitsmarkt ebenfalls nicht verschlossen (BSG, Urt. v. 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, SozR-2200 § 1247 RVO Nr. 10).

Die Gehfähigkeit der Klägerin war im Laufe des Verfahrens zunehmend beeinträchtigt. Während Dr. B. das Zurücklegen von Wegstrecken von täglich viermal knapp mehr als 500 Metern mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß für möglich erachtet und keine Beschwerden beim Gehen beschrieben hatte, war bei der Rehabilitation im Dezember 2007 die Gehstrecke eingeschränkt und die Dauer das Gehens ohne Pause nach Angaben der Klägerin auf 30 Minuten begrenzt. Eine aufgehobene Wegefähigkeit ist dort aber ebenfalls nicht angenommen worden. Die Verordnung eines Gehwagens durch den Hausarzt ist dann mit der nach der Versteifungsoperation verbliebenen Fußheberlähmung und einer Einschränkung der Hüftgelenksbeweglichkeit begründet worden. Letztere hat sich aber durch die Untersuchung bei Dr. S. nicht objektivieren lassen. Ebenso wie bei den Voruntersuchungen waren beide Hüftgelenke altersentsprechend beweglich. Die Fußheberlähmung war mit einer Fußheberschiene kompensierbar. Im Entlassungsbericht vom 13. Dezember 2007 sind noch der Einbeinstand als beidseits sicher, der Zehen- und Fersenstand als beidseits ausreichend möglich beschrieben. Bei Dr. S. ist das Gangbild dann ohne Gehwagen als kleinschrittig, der Einbeinstand links als unmöglich, rechts als unsicher, der Zehenspitzen- und Fersengang als kaum möglich beurteilt worden. Gehstrecken von maximal 500 Meter seien nur noch mit Gehwagen und Pausen möglich. Wann diese von Dr. S. angenommene Reduzierung des Gehvermögens tatsächlich eingetreten ist, lässt sich für den Zeitraum vor dessen Begutachtung nicht feststellen. Jedenfalls bei Durchführung der Rehabilitation lag noch ein ausreichendes Gehvermögen vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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