L 7 SB 24/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 17 SB 219/09
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 24/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. März 2010 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Magdeburg zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung von mindestens 50.

Der Beklagte stellte auf Antrag des am ... 1953 geborenen Klägers mit Bescheid vom 28. Mai 2002 einen Grad der Behinderung von 40 fest. Am 15. Juli 2008 beantragte der Kläger die Überprüfung dieser Feststellung sowie vorsorglich die Neufeststellung des Behinderungsgrades. Nach medizinischer Sachaufklärung lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 20. Januar 2009 den Antrag auf Neufeststellung ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies er nach weiterer medizinischer Sachaufklärung mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2009 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde gemäß Vermerk vom 9. Juli 2009 abgesendet und ging am 10. Juli 2009 beim Prozessbevollmächtigten des Klägers ein.

Am 11. August 2009 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben. Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 30. März 2010 die Klage als unzulässig abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Da der Widerspruchsbescheid am 10. Juli 2009 bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen sei, habe die Frist zur Klageerhebung am 10. August 2009 geendet. Die Dreitagesfiktion nach § 37 Abs. 2 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB X) sei hier nicht anzuwenden, da die Bekanntgabe nachweislich am 10. Juli 2009 erfolgt sei.

Gegen den ihm am 14. April 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10. Mai 2010 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und vorgetragen, nach der Rechtsprechung gelte die Zugangsfiktion des § 37 SGB X auch dann, wenn das behördliche Schreiben vor dem zu errechnenden Fiktionszeitpunkt eingegangen sei. In materieller Hinsicht seien die zugrunde gelegten Einzelbehinderungsgrade (insbesondere für den insulinpflichtigen Diabetes mellitus) unzureichend. Außerdem seien weitere Erkrankungen nicht berücksichtigt worden. Schließlich sei die Bildung des Gesamtbehinderungsgrades nicht korrekt erfolgt.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. März 2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juli 2009 aufzuheben, den Bescheid vom 28. Mai 2002 abzuändern und bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach dem Hinweis des Senats, die Zugangsfiktion greife bei der vorliegenden Fallgestaltung ein und es sei beabsichtigt, die Sache zur Entscheidung an das SG Magdeburg zurückzuverweisen, haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schreiben vom 12. und 13. August 2010).

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte und die Gerichtsakte verwiesen. Diese haben dem Senat zur Entscheidungsfindung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Mit Einverständnis der Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheiden.

Die Berufung ist nach § 143 SGG statthaft und gemäß § 141 Abs. 2 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist im Sinne der Aufhebung des Gerichtsbescheides und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht begründet, da das SG zu Unrecht von einer verfristeten Klage ausgegangen ist.

Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, beginnt nach Absatz 2 dieser Vorschrift die Frist mit Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. Nach § 37 Abs. 2 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post bekanntgegeben. Diese Fiktion gilt auch dann, wenn der Zugang tatsächlich früher erfolgt (so schon BSG, Urteil vom 19. März 1957, 10 RV 609/56 und zuletzt Urteil vom 6. Mai 2010, B 14 AS 12/09 R, zitiert nach juris; zur damit übereinstimmenden Literaturansicht vgl. nur Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 37 Rn. 12 mit weiteren Nachweisen). Dabei ist der Tag, an dem der Brief zur Post gegeben wird, nach der gemäß § 26 SGB X für Fristen und Terminsbestimmungen geltenden Vorschrift des § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht mitzuzählen (BSG, Urteil vom 6. Mai 2010, B 14 AS 12/09 R, zitiert nach juris).

Da der Widerspruchsbescheid ausweislich des Absendevermerks am 9. Juli 2009 zur Post aufgegeben wurde, ist dritter Tag im Sinne der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X der 12. Juli 2009. Die Frist begann am 12. Juli 2009 und endete nach § 87 Abs. 2 SGG i.V.m. § 64 Abs. 2 SGG am 12. August 2009. Die Klage ist am 11. August 2009 beim SG eingegangen und damit rechtzeitig erhoben worden.

Die Sache war nach pflichtgemäßem Ermessen in Anwendung von § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG an das SG Magdeburg zurückzuverweisen. Nach dieser Vorschrift kann die Sache an das SG zurückverwiesen werden, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Im Rahmen seines Ermessens hat der Senat das Interesse des Klägers an einer möglichst zeitnahen Erledigung seines Rechtsstreits einerseits mit den Nachteilen durch den Verlust der Tatsacheninstanz andererseits miteinander abgewogen. Da das Berufungsverfahren erst seit vier Monaten beim Landessozialgericht anhängig ist und der Kläger offenbar großes Interesse an einer weiteren Sachaufklärung hat, ist die Zurückverweisung das richtige Mittel, das dem Kläger die gesetzlich vorgesehenen zwei Tatsacheninstanzen ermöglicht.

Da das Verfahren vor dem SG noch nicht beendet ist, hat dieses auch eine Entscheidung über die Kosten zu treffen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Auflage 2008, § 159 Rn. 5e).

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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