Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 1 SB 374/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 42/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. Mai 2009 wird aufgehoben und der Rechtsstreit an das Sozialgericht Halle zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) umstritten sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Zuerkennung des Merkzeichens G ("Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr") im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – SGB IX).
Die am ... 1967 geborene Klägerin beantragte erstmals am 26. November 2007 die Feststellung von Behinderungen nach dem SGB IX sowie die Zuerkennung der Merkzeichen G und RF ("Gesundheitliche Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht"). Sie bezog sich auf eine Gehbehinderung nach Fersenbruch und auf einen Schaden im Kniegelenk. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte der behandelnden Ärzte ein (Fachärztin für Allgemeinmedizin B., eingegangen am 14. Januar 2008, und Facharzt für Innere Medizin Dr. J., eingegangen am 7. März 2008). Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. B. behandelte den Sohn der Klägerin; er nahm mit Bericht vom 6. Dezember 2007 Stellung. Der Ärztliche Dienst des Beklagten (Dr. S.) kam nach Auswertung der Berichte zu der Einschätzung, bei der Klägerin bestünden eine psychische Störung und venöse Durchblutungsstörungen des rechten Beins, was einen Gesamt-GdB von 20 begründe. Es seien noch Angaben zur Belastbarkeit und zu den Bewegungsmaßen des rechten Beines und der Kniegelenke erforderlich. Die Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Chirurgie Dipl.-Med. H. vom 2. Mai 2008 ein, wonach die Klägerin bei ihrer letzten Vorstellung in der Praxis am 4. Mai 2004 noch über belastungsabhängige Schmerzen im rechten Sprunggelenk bei sonst guter Beweglichkeit ohne Schwellung nach Weber-B-Fraktur des rechten oberen Sprunggelenkes geklagt habe. Nach erneuter Beteiligung seines Ärztlichen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Juni 2008 einen GdB von 20 fest.
Hiergegen legte die Klägerin am 11. Juli 2008 Widerspruch ein und machte folgende Funktionsstörungen geltend, die unzutreffend bewertet seien: Gehbehinderung durch Fersenbruch und Binnenschäden der Kniegelenke, Luftbeschwerden wegen chronischer Bronchitis und Asthma, respiratorische Funktionsstörungen, posttraumatische Belastungsstörung, die die Lebensgestaltung und –qualität im Sinne einer schweren Störung beeinträchtige, Adipositas per magna und Diabetes mellitus. Der Ärztliche Dienst des Beklagten (Dr. S.) kam am 27. August 2008 zu dem Ergebnis, dass neben den schon festgestellten Behinderungen (psychische Störung: GdB von 20, venöse Durchblutungsstörung: GdB von 10) zusätzlich eine Lungenfunktionsstörung in Folge einer Adipositas mit einem GdB von 10 zu bewerten sei, es aber bei einem Gesamt-GdB von 20 bleibe. Die Beklagte holte einen Befundbericht vom 18. September 2008 der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin Dr. A. ein. Die Psychologin diagnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, und berichtete von 14-täglichen Sitzungen. Die Belastungsstörung beruhe auf sexueller und körperlicher Misshandlung in der Kindheit sowie emotionaler Vernachlässigung. Die Klägerin sei sozial schlecht eingebunden. Ihre Mutter sei Alkoholikerin. Einzige Bezugsperson sei der in einer Wohngruppe untergebrachte verhaltensauffällige Sohn. Da sie im Alltag stark funktionseingeschränkt sei und hohen Leidensdruck habe, bestehe dringender Rehabilitationsbedarf. Sie sei extrem fettleibig, habe keine Therapieerfahrung, sei ängstlich und gehemmt und in ihrer Stimmung hoffnungslos und deutlich gedrückt. In Auswertung dieses Berichts kam der Ärztliche Dienst (Dr. W.) zu der Einschätzung, die psychische Störung bei Adipositas könne maximal mit einem GdB von 30 beurteilt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2008 erhöhte der Beklagte den festgestellten Gesamtgrad der Behinderung ab dem 29. April 2008 auf 30 und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Die Einschränkung durch eine psychische Störung werde mit einem Einzel-GdB von 30 und die venösen Durchblutungsstörungen sowie Lungenfunktionseinschränkungen infolge der Adipositas jeweils mit einem GdB von 10 bewertet. Das Merkzeichen G könne nicht festgestellt werden, da kein Gesamt-GdB von 50 vorliege.
Hiergegen hat die Klägerin am 22. Dezember 2008 Klage beim Sozialgericht (SG) Halle erhoben und vorgetragen, es sei ein Gesamt-GdB von mindestens 50 festzustellen, da sie Gehstrecken von 2000 Metern nicht mehr in 30 Minuten zurücklegen könne. Es müsse auch das Merkzeichen G festgestellt werden. Das SG hat mit Urteil vom 7. Mai 2009 den Bescheid vom 9. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2008 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Bis zum rechtskräftigen Abschluss der Neubescheidung bleibe es bei der Anerkennung eines GdB von 30. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Im Verfahren sei eine medizinische Begutachtung geboten, um die geistigen und seelischen Störungen der Klägerin zu ermitteln und insbesondere die Auswirkungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft bestimmen und bewerten zu können. Auf die Schwere der Beeinträchtigung durch die seelische/psychische Behinderung komme es für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft und des Merkzeichens G in besonderer Weise an, da die übrigen Gesundheitsstörungen diese Feststellung und die Zuerkennung des Merkzeichens nicht rechtfertigten. Die Aufhebung der Verwaltungsentscheidung und Verurteilung zur Neubescheidung liege auch im Interesse der Klägerin, da Frau Dr. A. auf eine sexuelle und körperliche Misshandlung in der Kindheit hingewiesen habe und dieser Umstand Leistungsansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) begründen könne. Dies habe der Beklagte von Amts wegen zu prüfen und eine weitergehende Begutachtung im Sinne einer Kausalitätsprüfung zu veranlassen, derer es nach dem SGB IX nicht bedürfe.
Der Beklagte hat gegen das am 26. Mai 2009 zugestellte Urteil am 29. Mai 2009 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung unter anderem auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. April 2007 (B 4 RJ 30/05 R – juris) verwiesen. Nach der Neufassung des § 131 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch das Gesetz zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444 ff.) sei bei einer Verpflichtungsklage eine Zurückverweisung nur dann rechtmäßig, wenn die Behörde nach ihren personellen und sächlichen Mitteln die für erheblich und erforderlich gehaltenen Ermittlungen besser und rascher durchführen könne. Der Beklagte verfüge aber über keine Aufklärungsmittel, die nicht auch dem SG zur Verfügung stünden. Er habe medizinische Unterlagen beigezogen und ausgewertet und den Sachverhalt damit ausreichend aufgeklärt. Die zwingende Notwendigkeit einer psychiatrischen Begutachtung habe sich nicht ergeben, zumal keine psychiatrische Mitbehandlung erwähnt und der Klägerin auch keine Psychopharmaka verordnet worden seien. Eine Zurückverweisung sei auch nicht geboten, damit der Beklagte auch von Amts wegen eine Prüfung nach dem OEG durchführen könne. Denn bisher liege kein entsprechender Antrag der Klägerin vor.
Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. Mai 2009 zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und verweist auf die ihrer Ansicht nach bestehenden erheblichen Ermittlungsdefizite. Der Beklagte könne den Sachverhalt schneller als das Gericht aufklären, da er über einen eigenen ärztlichen Dienst verfüge.
Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG nicht vorliegen dürften.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Gerichts- und die Verwaltungsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat durfte den Rechtsstreit nach den Zustimmungserklärungen der Beteiligten gemäß den §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil eine Entscheidung des Sozialgerichts aufheben und an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses eine Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache zu entscheiden. Die Regelung ist entsprechend anzuwenden, wenn das Sozialgericht einen Verwaltungsakt zu Unrecht aus formellen Gründen bzw. ohne Sachentscheidung aufgehoben hat, der Klage also – wie hier – teilweise stattgegeben wurde, ohne zu den eigentlichen Fragen Stellung zu nehmen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2009 – L 4 R 1519/08 – juris; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. März 2010 – L 8 R 145/09 – juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG - Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 159 Rdnr. 2b m.w.N.).
Auf die Berufung der Beklagten ist das angefochtene Urteil des SG aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Denn das Sozialgericht hat zu Unrecht die angefochtenen Bescheide aufgehoben, ohne in der Sache zu entscheiden.
Die Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 und 4 SGG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2933) lagen nicht vor. Nach dieser Regelung kann das Sozialgericht binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, die noch erforderlichen Ermittlungen nach Art und Umfang erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Die Anwendung dieser Vorschrift führt zu einer vollständigen Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Behörde zum Zweck erneuter Ermittlungen und neuer Bescheiderteilung. Die Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG bedeutet eine – grundsätzlich eng auszulegende – Ausnahme von dem Grundsatz, dass das Gericht selbst eine Sachentscheidung über eine zulässige Klage treffen muss (BSG, Urteil vom 17. April 2007 – B 5 RJ 30/05 R – juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2009 – L 4 R 1519/08; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. März 2010 – L 8 R 145/09 – juris).
§ 131 Abs. 5 SGG wurde durch Art. 8 Nr. 1 des Ersten Justizmodernisierungsgesetzes vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198, 2205) mit Wirkung vom 1. September 2004 dem bisherigen § 131 SGG angefügt und gilt seit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) mit Wirkung vom 1. April 2008 nunmehr auch für die hier vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Die Vorschrift lehnt sich nach den Motiven des Gesetzgebers unmittelbar an die bereits vorhandenen, fast wortgleichen Vorschriften des § 113 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie des § 100 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung an und soll dem Gericht zeit- und kostenintensive Ermittlungen ersparen, die eigentlich der Behörde obliegen. Nach Beobachtungen der Praxis wird die erforderliche Sachverhaltsaufklärung von den Verwaltungsbehörden zum Teil unterlassen, was zu einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte führt (BT-Drs. 15/1508, S. 29, BR-Drs. 378/03, S. 67). Die nochmalige Änderung der Vorschrift durch Art. 8 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2933) hat nur klarstellende Bedeutung.
Zwar hat das SG innerhalb von sechs Monaten nach Eingang der Akten der Behörde entschieden, denn diese sind am 16. Januar 2009 bei Gericht eingegangen und das Urteil ist dem Beklagten am 26. Mai 2009 zugestellt worden. Es lagen jedoch die weiteren Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG nicht vor. Das Rechtsmittelgericht hat das Vorliegen der drei Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG (noch erforderliche Ermittlungen, Erheblichkeit dieser Ermittlungen und Sachdienlichkeit der Aufhebung der Verwaltungsentscheidung) uneingeschränkt zu überprüfen (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.; LSG NRW a.a.O.; Keller a.a.O., § 131 Rdnr. 20).
Diese Prüfung ergibt hier, dass weder die aus Sicht des SG erforderlichen Ermittlungen erheblich sind noch ist die Aufhebung der Verwaltungsentscheidung unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich.
Bei der Beurteilung der Erheblichkeit noch durchzuführender Ermittlungen und der Sachdienlichkeit der Aufhebung der Verwaltungsentscheidung stellt der Senat unter Beachtung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17. April 2007 – B 5 RJ 30/05 R), der sich der Senat anschließt, strenge Anforderungen. Das BSG hat in dieser Entscheidung, der noch § 131 Abs. 5 SGG in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung zugrunde lag, darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber, wolle er den Sozialgerichten ein effizientes Instrument zur Entlastung und Beschleunigung der Verfahren auch in kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungssituationen zur Verfügung stellen und eine unerwünschte Verlagerung der Ermittlungen in das Gerichtsverfahren verhindern, nicht nur den Anwendungsbereich ausdrücklich auch auf solche Klagen erstrecken, sondern zugleich auch von den strengen Voraussetzungen, wie sie § 131 Abs. 5 SGG aktuell normiere, abrücken müsse. Andernfalls habe die Vorschrift praktisch keinerlei Anwendungsbereich. Denn die Tatbestandsmerkmale der Norm seien nur dann erfüllt, wenn die Behörde nach personeller und sachlicher Ausstattung die für erheblich gehaltenen Ermittlungen besser bzw. schneller durchführen könne als das Gericht. Das sei jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der Beklagte über keine anderen Aufklärungsmittel verfüge als das Gericht (BSG a.a.O., Rdnr. 20). Der Gesetzgeber hat entgegen diesem ausdrücklichen Hinweis des BSG mit der ab dem 1. April 2008 geltenden Fassung des § 131 Abs. 5 SGG an den ursprünglichen und damit strengen Voraussetzungen der Vorschrift festgehalten, indem er lediglich die Worte "in den Fällen des § 54 Abs. 1 und 4" ergänzt, die Vorschrift im Übrigen im Wortlaut aber beibehalten hat. Er hat mit dieser Ergänzung zwar den Anwendungsbereich der Vorschrift grundsätzlich über reine Anfechtungssituationen hinaus auch auf kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 4 SGG) erweitert, in Ansehung des BSG-Urteils vom 17. April 2007 aber augenscheinlich in Kauf genommen, dass sich ein wesentlich breiterer Anwendungsbereich praktisch nicht eröffnet. Dies ist auch aus der Begründung des Gesetzentwurfes zu schließen, in der weder der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Sachdienlichkeit im Urteil des BSG vom 17. April 2007 entgegen getreten noch die aufgeworfene Frage einer Lockerung der Voraussetzungen für die Verweisung angesprochen wurde. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen an (Urteil vom 17. März 2010 a.a.O., m.w.N.). Auch mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 21. Dezember 2008 hat der Gesetzgeber nur klarstellende Änderungen vorgenommen und damit erneut zu erkennen gegeben, dass er an den ursprünglichen und strengen Voraussetzungen festhält.
Allerdings teilt der Senat die Ansicht des SG, soweit es im Hinblick auf das Ausmaß der seelischen und psychischen Gesundheitsstörung bei der Klägerin nach deren Vorbringen und dem Inhalt der Verwaltungsakten noch weitere medizinische Ermittlungen auf psychiatrischem Gebiet für erforderlich erklärt hat. Sofern die Klägerin aktuell psychiatrisch behandelt wird oder solche Behandlungen zeitweise stattgefunden haben, kommt zunächst das Einholen entsprechender fachärztlicher Befundberichte in Frage. Ggf. kommt auch, wie das SG meint, das Einholen eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens in Betracht.
Diese Ermittlungen sind aber nicht erheblich im Sinne des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG. Die Erheblichkeit der noch durchzuführenden Ermittlungen kann sich aus Zeitdauer, Umfang und den personellen Möglichkeiten, aber auch aus besonders hohen Kosten ergeben (Keller a.a.O., Rdnr. 19). Allein das Einholen eines Sachverständigengutachtens ist für das Gericht regelmäßig nicht mit einem erheblichen Aufwand verbunden; das gilt erst recht für das Einholen von Befundberichten (ebenso LSG Berlin-Brandenburg a.a.O., m.w.N.; Keller a.a.O., Rdnr. 19). Solche Ermittlungen sind für die alltägliche Arbeit der Sozialgerichte geradezu typisch, weshalb sie auch in § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG beispielhaft aufgezählt sind (" kann [der Vorsitzende] insbesondere [ ] die Begutachtung durch Sachverständige anordnen "). In Ausnahmefällen, z. B. bei dem Erfordernis spezieller Ermittlungen unter Einsatz besonderer technischer oder anderer Hilfsmittel, auf die das Gericht nicht ohne Weiteres zugreifen kann, mag dies anders zu beurteilen sein. Besondere Umstände sind hier aber nicht ersichtlich. Die aus seiner Sicht erforderlichen Ermittlungen kann das SG ohne großen Mehraufwand durch Einholung eines entsprechenden Befundberichtes oder eines gerichtlichen Gutachtens selbst durchführen.
Entgegen der Ansicht des SG ist eine Zurückverweisung unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten auch nicht sachdienlich. Es kann offen bleiben, ob eine Zurückverweisung regelmäßig nur dann sachdienlich ist, wenn die Behörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung die Ermittlungen besser als das Gericht durchführen kann und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten sachgerechter wäre, die Behörde tätig werden zu lassen (BT-Drs. 11/7030, S. 29; BSG, a.a.O. Rdnr. 17; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18. November 2002 – 9 C 2/02 – Rdnr. 31, juris). Das BSG stellte diese Definition im Hinblick auf die frühere Fassung des § 131 Abs. 5 SGG auf, die sich nur auf die Anfechtungsklage bezog. In kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungssachen ist allerdings unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten zu beachten, dass die durch die Aufhebungs- und Zurückverweisungsentscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG eintretende Verzögerung jedenfalls den Rechtssuchenden insoweit belastet, als er die begehrte Entscheidung, hier die Feststellung eines höheren GdB ohne Sachentscheidung des Gerichts, (vorerst) nicht erlangt. Diese prinzipielle Benachteilung lässt sich nur mit übergeordneten Interessen rechtfertigen. Das könnten Ermittlungsdefizite in einem Ausmaß sein, das im Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Verwaltung nicht mehr hinnehmbar ist. Erhebliche Ermittlungsdefizite könnten anzunehmen sein, wenn die Verwaltung unter Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz (§ 20 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X) die Sachverhaltsermittlung in Gänze unterlassen hat und deshalb keine verwertbare Entscheidungsgrundlage vorhanden ist (LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.).
Ein solcher Sachverhalt liegt hier aber nicht vor. Der Beklagte hat vor Erlass des Widerspruchsbescheides aktuelle Befundberichte des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie B., der den Sohn der Klägerin behandelt, der Fachärztin für Allgemeinmedizin B., des Facharztes für Innere Medizin Dr. J., des Facharztes für Chirurgie Haak und der psychologischen Psychotherapeutin Dr. A. beigezogen und ausgewertet. Auch wenn das SG mit guten Gründen der Auffassung ist, diese Befunde seien durch weitere zu ergänzen, lassen sich grobe Ermittlungsmängel oder gar –ausfälle des Beklagten nicht feststellen. Es kann auch keine Rede davon sein, dass das SG erstmals die an sich dem Beklagten gemäß § 20 Abs. 1 SGB X obliegenden Ermittlungen vorzunehmen hätte. Diese Annahme lässt sich auch nicht mit dem Hinweis der Frau Dr. A. im Bericht vom 7. Oktober 2008 rechtfertigen, wonach die Klägerin infolge sexueller und körperlicher Misshandlung in der Kindheit unter anderem an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Das SG hätte insoweit auch eine etwaige Prüfung nach dem OEG in seine Erwägungen einzubeziehen und ggf. bei der Klägerin sachdienliche Anträge anzuregen. Da ein Verfahren nach dem OEG mangels eines entsprechenden Antrages der Klägerin bisher nicht Gegenstand behördlichen Handelns war, kann es eine Zurückverweisung des Verfahrens nach dem SGB IX an die Behörde keinesfalls rechtfertigen.
Der Senat verweist den Rechtsstreit im Rahmen des ihm in § 159 SGG eingeräumten Ermessen zurück, weil das SG den Beteiligten als erste Tatsacheninstanz erhalten bleiben soll. Der Senat hätte die anstehenden Ermittlungen auch selbst durchführen können, es wäre den Beteiligten dann aber eine Tatsacheninstanz genommen und eine Beschleunigung des Verfahrens nicht zwangsläufig erreicht worden. Denn erfahrungsgemäß dauert ein Verfahren vor dem SG nicht so lange wie vor dem Landessozialgericht.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung des SG vorbehalten (vgl. Keller a.a.O. § 159 Rdnr. 5 f.).
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben. Es handelt sich um die Entscheidung eines Einzelfalles ohne grundsätzliche Bedeutung unter Beachtung aktueller Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 17. April 2007 – B 5 RJ 30/05 R.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) umstritten sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Zuerkennung des Merkzeichens G ("Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr") im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – SGB IX).
Die am ... 1967 geborene Klägerin beantragte erstmals am 26. November 2007 die Feststellung von Behinderungen nach dem SGB IX sowie die Zuerkennung der Merkzeichen G und RF ("Gesundheitliche Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht"). Sie bezog sich auf eine Gehbehinderung nach Fersenbruch und auf einen Schaden im Kniegelenk. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte der behandelnden Ärzte ein (Fachärztin für Allgemeinmedizin B., eingegangen am 14. Januar 2008, und Facharzt für Innere Medizin Dr. J., eingegangen am 7. März 2008). Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. B. behandelte den Sohn der Klägerin; er nahm mit Bericht vom 6. Dezember 2007 Stellung. Der Ärztliche Dienst des Beklagten (Dr. S.) kam nach Auswertung der Berichte zu der Einschätzung, bei der Klägerin bestünden eine psychische Störung und venöse Durchblutungsstörungen des rechten Beins, was einen Gesamt-GdB von 20 begründe. Es seien noch Angaben zur Belastbarkeit und zu den Bewegungsmaßen des rechten Beines und der Kniegelenke erforderlich. Die Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Chirurgie Dipl.-Med. H. vom 2. Mai 2008 ein, wonach die Klägerin bei ihrer letzten Vorstellung in der Praxis am 4. Mai 2004 noch über belastungsabhängige Schmerzen im rechten Sprunggelenk bei sonst guter Beweglichkeit ohne Schwellung nach Weber-B-Fraktur des rechten oberen Sprunggelenkes geklagt habe. Nach erneuter Beteiligung seines Ärztlichen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Juni 2008 einen GdB von 20 fest.
Hiergegen legte die Klägerin am 11. Juli 2008 Widerspruch ein und machte folgende Funktionsstörungen geltend, die unzutreffend bewertet seien: Gehbehinderung durch Fersenbruch und Binnenschäden der Kniegelenke, Luftbeschwerden wegen chronischer Bronchitis und Asthma, respiratorische Funktionsstörungen, posttraumatische Belastungsstörung, die die Lebensgestaltung und –qualität im Sinne einer schweren Störung beeinträchtige, Adipositas per magna und Diabetes mellitus. Der Ärztliche Dienst des Beklagten (Dr. S.) kam am 27. August 2008 zu dem Ergebnis, dass neben den schon festgestellten Behinderungen (psychische Störung: GdB von 20, venöse Durchblutungsstörung: GdB von 10) zusätzlich eine Lungenfunktionsstörung in Folge einer Adipositas mit einem GdB von 10 zu bewerten sei, es aber bei einem Gesamt-GdB von 20 bleibe. Die Beklagte holte einen Befundbericht vom 18. September 2008 der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin Dr. A. ein. Die Psychologin diagnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, und berichtete von 14-täglichen Sitzungen. Die Belastungsstörung beruhe auf sexueller und körperlicher Misshandlung in der Kindheit sowie emotionaler Vernachlässigung. Die Klägerin sei sozial schlecht eingebunden. Ihre Mutter sei Alkoholikerin. Einzige Bezugsperson sei der in einer Wohngruppe untergebrachte verhaltensauffällige Sohn. Da sie im Alltag stark funktionseingeschränkt sei und hohen Leidensdruck habe, bestehe dringender Rehabilitationsbedarf. Sie sei extrem fettleibig, habe keine Therapieerfahrung, sei ängstlich und gehemmt und in ihrer Stimmung hoffnungslos und deutlich gedrückt. In Auswertung dieses Berichts kam der Ärztliche Dienst (Dr. W.) zu der Einschätzung, die psychische Störung bei Adipositas könne maximal mit einem GdB von 30 beurteilt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2008 erhöhte der Beklagte den festgestellten Gesamtgrad der Behinderung ab dem 29. April 2008 auf 30 und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Die Einschränkung durch eine psychische Störung werde mit einem Einzel-GdB von 30 und die venösen Durchblutungsstörungen sowie Lungenfunktionseinschränkungen infolge der Adipositas jeweils mit einem GdB von 10 bewertet. Das Merkzeichen G könne nicht festgestellt werden, da kein Gesamt-GdB von 50 vorliege.
Hiergegen hat die Klägerin am 22. Dezember 2008 Klage beim Sozialgericht (SG) Halle erhoben und vorgetragen, es sei ein Gesamt-GdB von mindestens 50 festzustellen, da sie Gehstrecken von 2000 Metern nicht mehr in 30 Minuten zurücklegen könne. Es müsse auch das Merkzeichen G festgestellt werden. Das SG hat mit Urteil vom 7. Mai 2009 den Bescheid vom 9. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2008 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Bis zum rechtskräftigen Abschluss der Neubescheidung bleibe es bei der Anerkennung eines GdB von 30. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Im Verfahren sei eine medizinische Begutachtung geboten, um die geistigen und seelischen Störungen der Klägerin zu ermitteln und insbesondere die Auswirkungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft bestimmen und bewerten zu können. Auf die Schwere der Beeinträchtigung durch die seelische/psychische Behinderung komme es für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft und des Merkzeichens G in besonderer Weise an, da die übrigen Gesundheitsstörungen diese Feststellung und die Zuerkennung des Merkzeichens nicht rechtfertigten. Die Aufhebung der Verwaltungsentscheidung und Verurteilung zur Neubescheidung liege auch im Interesse der Klägerin, da Frau Dr. A. auf eine sexuelle und körperliche Misshandlung in der Kindheit hingewiesen habe und dieser Umstand Leistungsansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) begründen könne. Dies habe der Beklagte von Amts wegen zu prüfen und eine weitergehende Begutachtung im Sinne einer Kausalitätsprüfung zu veranlassen, derer es nach dem SGB IX nicht bedürfe.
Der Beklagte hat gegen das am 26. Mai 2009 zugestellte Urteil am 29. Mai 2009 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung unter anderem auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. April 2007 (B 4 RJ 30/05 R – juris) verwiesen. Nach der Neufassung des § 131 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch das Gesetz zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444 ff.) sei bei einer Verpflichtungsklage eine Zurückverweisung nur dann rechtmäßig, wenn die Behörde nach ihren personellen und sächlichen Mitteln die für erheblich und erforderlich gehaltenen Ermittlungen besser und rascher durchführen könne. Der Beklagte verfüge aber über keine Aufklärungsmittel, die nicht auch dem SG zur Verfügung stünden. Er habe medizinische Unterlagen beigezogen und ausgewertet und den Sachverhalt damit ausreichend aufgeklärt. Die zwingende Notwendigkeit einer psychiatrischen Begutachtung habe sich nicht ergeben, zumal keine psychiatrische Mitbehandlung erwähnt und der Klägerin auch keine Psychopharmaka verordnet worden seien. Eine Zurückverweisung sei auch nicht geboten, damit der Beklagte auch von Amts wegen eine Prüfung nach dem OEG durchführen könne. Denn bisher liege kein entsprechender Antrag der Klägerin vor.
Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. Mai 2009 zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und verweist auf die ihrer Ansicht nach bestehenden erheblichen Ermittlungsdefizite. Der Beklagte könne den Sachverhalt schneller als das Gericht aufklären, da er über einen eigenen ärztlichen Dienst verfüge.
Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG nicht vorliegen dürften.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Gerichts- und die Verwaltungsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat durfte den Rechtsstreit nach den Zustimmungserklärungen der Beteiligten gemäß den §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil eine Entscheidung des Sozialgerichts aufheben und an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses eine Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache zu entscheiden. Die Regelung ist entsprechend anzuwenden, wenn das Sozialgericht einen Verwaltungsakt zu Unrecht aus formellen Gründen bzw. ohne Sachentscheidung aufgehoben hat, der Klage also – wie hier – teilweise stattgegeben wurde, ohne zu den eigentlichen Fragen Stellung zu nehmen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2009 – L 4 R 1519/08 – juris; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. März 2010 – L 8 R 145/09 – juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG - Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 159 Rdnr. 2b m.w.N.).
Auf die Berufung der Beklagten ist das angefochtene Urteil des SG aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Denn das Sozialgericht hat zu Unrecht die angefochtenen Bescheide aufgehoben, ohne in der Sache zu entscheiden.
Die Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 und 4 SGG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2933) lagen nicht vor. Nach dieser Regelung kann das Sozialgericht binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, die noch erforderlichen Ermittlungen nach Art und Umfang erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Die Anwendung dieser Vorschrift führt zu einer vollständigen Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Behörde zum Zweck erneuter Ermittlungen und neuer Bescheiderteilung. Die Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG bedeutet eine – grundsätzlich eng auszulegende – Ausnahme von dem Grundsatz, dass das Gericht selbst eine Sachentscheidung über eine zulässige Klage treffen muss (BSG, Urteil vom 17. April 2007 – B 5 RJ 30/05 R – juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2009 – L 4 R 1519/08; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. März 2010 – L 8 R 145/09 – juris).
§ 131 Abs. 5 SGG wurde durch Art. 8 Nr. 1 des Ersten Justizmodernisierungsgesetzes vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198, 2205) mit Wirkung vom 1. September 2004 dem bisherigen § 131 SGG angefügt und gilt seit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) mit Wirkung vom 1. April 2008 nunmehr auch für die hier vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Die Vorschrift lehnt sich nach den Motiven des Gesetzgebers unmittelbar an die bereits vorhandenen, fast wortgleichen Vorschriften des § 113 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie des § 100 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung an und soll dem Gericht zeit- und kostenintensive Ermittlungen ersparen, die eigentlich der Behörde obliegen. Nach Beobachtungen der Praxis wird die erforderliche Sachverhaltsaufklärung von den Verwaltungsbehörden zum Teil unterlassen, was zu einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte führt (BT-Drs. 15/1508, S. 29, BR-Drs. 378/03, S. 67). Die nochmalige Änderung der Vorschrift durch Art. 8 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2933) hat nur klarstellende Bedeutung.
Zwar hat das SG innerhalb von sechs Monaten nach Eingang der Akten der Behörde entschieden, denn diese sind am 16. Januar 2009 bei Gericht eingegangen und das Urteil ist dem Beklagten am 26. Mai 2009 zugestellt worden. Es lagen jedoch die weiteren Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG nicht vor. Das Rechtsmittelgericht hat das Vorliegen der drei Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG (noch erforderliche Ermittlungen, Erheblichkeit dieser Ermittlungen und Sachdienlichkeit der Aufhebung der Verwaltungsentscheidung) uneingeschränkt zu überprüfen (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.; LSG NRW a.a.O.; Keller a.a.O., § 131 Rdnr. 20).
Diese Prüfung ergibt hier, dass weder die aus Sicht des SG erforderlichen Ermittlungen erheblich sind noch ist die Aufhebung der Verwaltungsentscheidung unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich.
Bei der Beurteilung der Erheblichkeit noch durchzuführender Ermittlungen und der Sachdienlichkeit der Aufhebung der Verwaltungsentscheidung stellt der Senat unter Beachtung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17. April 2007 – B 5 RJ 30/05 R), der sich der Senat anschließt, strenge Anforderungen. Das BSG hat in dieser Entscheidung, der noch § 131 Abs. 5 SGG in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung zugrunde lag, darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber, wolle er den Sozialgerichten ein effizientes Instrument zur Entlastung und Beschleunigung der Verfahren auch in kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungssituationen zur Verfügung stellen und eine unerwünschte Verlagerung der Ermittlungen in das Gerichtsverfahren verhindern, nicht nur den Anwendungsbereich ausdrücklich auch auf solche Klagen erstrecken, sondern zugleich auch von den strengen Voraussetzungen, wie sie § 131 Abs. 5 SGG aktuell normiere, abrücken müsse. Andernfalls habe die Vorschrift praktisch keinerlei Anwendungsbereich. Denn die Tatbestandsmerkmale der Norm seien nur dann erfüllt, wenn die Behörde nach personeller und sachlicher Ausstattung die für erheblich gehaltenen Ermittlungen besser bzw. schneller durchführen könne als das Gericht. Das sei jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der Beklagte über keine anderen Aufklärungsmittel verfüge als das Gericht (BSG a.a.O., Rdnr. 20). Der Gesetzgeber hat entgegen diesem ausdrücklichen Hinweis des BSG mit der ab dem 1. April 2008 geltenden Fassung des § 131 Abs. 5 SGG an den ursprünglichen und damit strengen Voraussetzungen der Vorschrift festgehalten, indem er lediglich die Worte "in den Fällen des § 54 Abs. 1 und 4" ergänzt, die Vorschrift im Übrigen im Wortlaut aber beibehalten hat. Er hat mit dieser Ergänzung zwar den Anwendungsbereich der Vorschrift grundsätzlich über reine Anfechtungssituationen hinaus auch auf kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 4 SGG) erweitert, in Ansehung des BSG-Urteils vom 17. April 2007 aber augenscheinlich in Kauf genommen, dass sich ein wesentlich breiterer Anwendungsbereich praktisch nicht eröffnet. Dies ist auch aus der Begründung des Gesetzentwurfes zu schließen, in der weder der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Sachdienlichkeit im Urteil des BSG vom 17. April 2007 entgegen getreten noch die aufgeworfene Frage einer Lockerung der Voraussetzungen für die Verweisung angesprochen wurde. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen an (Urteil vom 17. März 2010 a.a.O., m.w.N.). Auch mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 21. Dezember 2008 hat der Gesetzgeber nur klarstellende Änderungen vorgenommen und damit erneut zu erkennen gegeben, dass er an den ursprünglichen und strengen Voraussetzungen festhält.
Allerdings teilt der Senat die Ansicht des SG, soweit es im Hinblick auf das Ausmaß der seelischen und psychischen Gesundheitsstörung bei der Klägerin nach deren Vorbringen und dem Inhalt der Verwaltungsakten noch weitere medizinische Ermittlungen auf psychiatrischem Gebiet für erforderlich erklärt hat. Sofern die Klägerin aktuell psychiatrisch behandelt wird oder solche Behandlungen zeitweise stattgefunden haben, kommt zunächst das Einholen entsprechender fachärztlicher Befundberichte in Frage. Ggf. kommt auch, wie das SG meint, das Einholen eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens in Betracht.
Diese Ermittlungen sind aber nicht erheblich im Sinne des § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG. Die Erheblichkeit der noch durchzuführenden Ermittlungen kann sich aus Zeitdauer, Umfang und den personellen Möglichkeiten, aber auch aus besonders hohen Kosten ergeben (Keller a.a.O., Rdnr. 19). Allein das Einholen eines Sachverständigengutachtens ist für das Gericht regelmäßig nicht mit einem erheblichen Aufwand verbunden; das gilt erst recht für das Einholen von Befundberichten (ebenso LSG Berlin-Brandenburg a.a.O., m.w.N.; Keller a.a.O., Rdnr. 19). Solche Ermittlungen sind für die alltägliche Arbeit der Sozialgerichte geradezu typisch, weshalb sie auch in § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG beispielhaft aufgezählt sind (" kann [der Vorsitzende] insbesondere [ ] die Begutachtung durch Sachverständige anordnen "). In Ausnahmefällen, z. B. bei dem Erfordernis spezieller Ermittlungen unter Einsatz besonderer technischer oder anderer Hilfsmittel, auf die das Gericht nicht ohne Weiteres zugreifen kann, mag dies anders zu beurteilen sein. Besondere Umstände sind hier aber nicht ersichtlich. Die aus seiner Sicht erforderlichen Ermittlungen kann das SG ohne großen Mehraufwand durch Einholung eines entsprechenden Befundberichtes oder eines gerichtlichen Gutachtens selbst durchführen.
Entgegen der Ansicht des SG ist eine Zurückverweisung unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten auch nicht sachdienlich. Es kann offen bleiben, ob eine Zurückverweisung regelmäßig nur dann sachdienlich ist, wenn die Behörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung die Ermittlungen besser als das Gericht durchführen kann und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten sachgerechter wäre, die Behörde tätig werden zu lassen (BT-Drs. 11/7030, S. 29; BSG, a.a.O. Rdnr. 17; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18. November 2002 – 9 C 2/02 – Rdnr. 31, juris). Das BSG stellte diese Definition im Hinblick auf die frühere Fassung des § 131 Abs. 5 SGG auf, die sich nur auf die Anfechtungsklage bezog. In kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungssachen ist allerdings unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten zu beachten, dass die durch die Aufhebungs- und Zurückverweisungsentscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG eintretende Verzögerung jedenfalls den Rechtssuchenden insoweit belastet, als er die begehrte Entscheidung, hier die Feststellung eines höheren GdB ohne Sachentscheidung des Gerichts, (vorerst) nicht erlangt. Diese prinzipielle Benachteilung lässt sich nur mit übergeordneten Interessen rechtfertigen. Das könnten Ermittlungsdefizite in einem Ausmaß sein, das im Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Verwaltung nicht mehr hinnehmbar ist. Erhebliche Ermittlungsdefizite könnten anzunehmen sein, wenn die Verwaltung unter Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz (§ 20 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X) die Sachverhaltsermittlung in Gänze unterlassen hat und deshalb keine verwertbare Entscheidungsgrundlage vorhanden ist (LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.).
Ein solcher Sachverhalt liegt hier aber nicht vor. Der Beklagte hat vor Erlass des Widerspruchsbescheides aktuelle Befundberichte des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie B., der den Sohn der Klägerin behandelt, der Fachärztin für Allgemeinmedizin B., des Facharztes für Innere Medizin Dr. J., des Facharztes für Chirurgie Haak und der psychologischen Psychotherapeutin Dr. A. beigezogen und ausgewertet. Auch wenn das SG mit guten Gründen der Auffassung ist, diese Befunde seien durch weitere zu ergänzen, lassen sich grobe Ermittlungsmängel oder gar –ausfälle des Beklagten nicht feststellen. Es kann auch keine Rede davon sein, dass das SG erstmals die an sich dem Beklagten gemäß § 20 Abs. 1 SGB X obliegenden Ermittlungen vorzunehmen hätte. Diese Annahme lässt sich auch nicht mit dem Hinweis der Frau Dr. A. im Bericht vom 7. Oktober 2008 rechtfertigen, wonach die Klägerin infolge sexueller und körperlicher Misshandlung in der Kindheit unter anderem an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Das SG hätte insoweit auch eine etwaige Prüfung nach dem OEG in seine Erwägungen einzubeziehen und ggf. bei der Klägerin sachdienliche Anträge anzuregen. Da ein Verfahren nach dem OEG mangels eines entsprechenden Antrages der Klägerin bisher nicht Gegenstand behördlichen Handelns war, kann es eine Zurückverweisung des Verfahrens nach dem SGB IX an die Behörde keinesfalls rechtfertigen.
Der Senat verweist den Rechtsstreit im Rahmen des ihm in § 159 SGG eingeräumten Ermessen zurück, weil das SG den Beteiligten als erste Tatsacheninstanz erhalten bleiben soll. Der Senat hätte die anstehenden Ermittlungen auch selbst durchführen können, es wäre den Beteiligten dann aber eine Tatsacheninstanz genommen und eine Beschleunigung des Verfahrens nicht zwangsläufig erreicht worden. Denn erfahrungsgemäß dauert ein Verfahren vor dem SG nicht so lange wie vor dem Landessozialgericht.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung des SG vorbehalten (vgl. Keller a.a.O. § 159 Rdnr. 5 f.).
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben. Es handelt sich um die Entscheidung eines Einzelfalles ohne grundsätzliche Bedeutung unter Beachtung aktueller Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 17. April 2007 – B 5 RJ 30/05 R.
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