L 3 R 227/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 9 R 381/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 227/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI) streitig.

Die am ... 1961 geborene Klägerin durchlief nach dem Abschluss der 10. Schulklasse vom 1. September 1978 bis zum 31. Dezember 1980 eine Ausbildung zum Elektromechaniker. Sie arbeitete anschließend bis zum 26. Januar 1988 in ihrem erlernten Beruf, vom 11. bis zum 19. April 1988 als Sachbearbeiterin, vom 2. Mai 1988 bis zum 17. Februar 1989 als Vulkaniseurin und vom 6. März 1989 bis zum 30. August 1990 als Arbeiterin im Bereich der industriellen Fertigung. Die Klägerin war dann nach ihrem Umzug in die alten Bundesländer vom 17. September 1990 bis zum 30. November 1990 als Küchenhilfe, dann ab 1991 bis September 2005 als Codiererin/Auflegerin bei der D. B. AG im Frachtpostzentrum A. versicherungspflichtig tätig. Sie bezog bereits ab dem 23. Januar 2004 bis zum 19. Juni 2004 und dann – wegen erneuter Arbeitsunfähigkeit ab dem 18. November 2004 – vom 30. Dezember 2004 bis zum 18. Mai 2006 Krankengeld, vom 19. Mai 2006 bis zum 16. Mai 2007 Arbeitslosengeld und vom 17. Mai bis zum 28. Juni 2007 wieder Krankengeld. Ferner erhält die Klägerin seit 1. Oktober 2005 eine Rente der Versorgungsanstalt der D. B ...

Bei der Klägerin ist seit dem 23. Dezember 2007 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt.

Die Klägerin beantragte am 23. August 2005 bei der Landesversicherungsanstalt Oberbayern (LVA), deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, die Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sie machte geltend, seit dem 1. November 2004 wegen eines Zustands nach Hüftoperation rechts, einer Endometriose, Neurodermitis, Polyarthrose beider Hände, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und wegen seelischer Störungen keine Tätigkeiten mehr verrichten zu können. Sie habe sich seit 1985 folgenden Operationen unterziehen müssen: drei Laparotomien, drei Laparoskopien, einer Ovarektomie links, zwei Lymphknotenentfernungen am Kehlkopf, einer Brust-Operation, einer Zystenentfernung am linken Stimmband sowie am 7. Juli 2005 einer Zystenresektion an der ventralen Hüftgelenkskapsel rechts. Die LVA ließ die Fachärztin für Orthopädie, Sportmedizin, Chirotherapie, Physikalische Therapie, Naturheilverfahren Dr. B. das Gutachten vom 19. September 2005 erstatten. Anlässlich eines Verkehrsunfalls 2003 habe die Klägerin eine Halswirbelsäulen (HWS)-Verletzung mit Prellungen und einer Fraktur in den Längsbandverkalkungen bei C 5/6 und C 6/7 erlitten. Dr. B. führte als Diagnosen den Verdacht auf ein intramuskuläres Hämatom rechte Hüfte/Oberschenkel nach Operation einer ventro-medialen Synovialzyste des rechten Hüftgelenks, einen Beckenschiefstand, eine Skoliose mit rezidivierender Lumbago, eine muskuläre Dysbalance bei Zustand nach drei Laparoskopien und drei Laparotomien und eine somatoforme Schmerzstörung, Neigungen zu depressiver Verstimmung sowie eine Insomnie an. Eine Wirbelsäulenskoliose ohne Radikulopathien sei zu objektivieren gewesen. Eine Polyarthrose beider Hände und eine Epicondylitis humeri beidseits hätten nicht festgestellt werden können. Funktionseinschränkungen an den oberen und unteren Extremitäten, mit Ausnahme des rechten Hüftgelenkes aufgrund der erst vor kurzem durchgeführten Operation, seien nicht festzustellen gewesen. Die Klägerin sei in der Lage, leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen und im Wechsel von Stehen und Gehen ohne Überkopfarbeiten, ständiges Bücken und ohne schweres Heben und Tragen von Lasten über zehn kg sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten.

Ferner erstattete der Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie – Sozialmedizin Dr. E. auf Veranlassung der LVA das sozialmedizinische Gutachten vom 27. Oktober 2005. Die psychiatrische Anamnese sei in erster Linie von einer langjährigen seelischen Belastung während der zweiten Ehe aufgrund eines unerfüllten Kinderwunsches und den damit einhergehenden Konflikten mit dem Ex-Ehemann, der türkischer Abstammung sei, geprägt. Die Klägerin habe sich mindestens 30 Mal einer In-Vitro-Fertilisation in der Universitätsklinik M. unterzogen, letztmalig im Jahr 2002. Dr. E. gab als Diagnosen eine Neigung zu Anpassungsstörungen mit Ängsten und depressiver Verstimmung, partiell kompensiert, und eine Insomnie an. Eine somatoforme Schmerzstörung sei als eigenständiges Krankheitsbild insofern nicht anzunehmen, als die von der Klägerin jetzt in den Vordergrund gestellten Schmerzen im Bereich der rechten Hüfte durchaus auch mit den objektiven Befunden korrelierten. Seit 2003 werde die Klägerin mit einem trizyklischen Antidepressivum behandelt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liege keine tiefgreifende depressive Verstimmung vor; insbesondere bestehe keine Antriebsschwäche. Aus psychiatrischer Sicht bestehe keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit oder Minderung des beruflichen Leistungsvermögens. Die Klägerin sei in der Lage, in einem Umfang von sechs Stunden und mehr täglich leichte Arbeiten unter Berücksichtigung der orthopädischerseits genannten Einschränkungen zu verrichten.

Mit Bescheid vom 9. November 2005 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Hiergegen erhob die Klägerin am 8. Dezember 2005 Widerspruch. Die Beklagte holte einen Befundbericht von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Z. vom 6. Februar 2006 ein, der von einer postoperativen rechtsseitigen Meralgia parästhetica berichtete und eine medikamentöse Behandlung empfahl. Die Allgemeinmedizinerin Dr. R. führte in dem sodann auf Veranlassung der Beklagten erstellten Gutachten vom 14. Februar 2006 als Diagnosen an:

Meralgia parästhetica rechter Oberschenkel (Versorgungsgebiet des Nervus cutaneus femuris lateralis) bei Zustand nach Resektion einer ventro-medialen Synovialcyste am 7. Juli 2005.

Chronische Unterbauchbeschwerden bei Verwachsungen zwischen rechter Adnexe, Uterus und rechter Beckenwand, Zustand nach dreimaliger Laparoskopie und Laparotomie.

Wechseljahrsbeschwerden, keine Hormoneinnahme.

Rezidivierende Lumbago bei Protrusion L 4/5, L 2/3 und L 5/S 1, kein sensomotorisches Defizit.

Chronisches HWS-Syndrom mit rezidivierenden Cervicocephalgien.

Fingerpolyarthrose.

Neurodermitis.

Neigung zu Anpassungsstörung mit Ängsten und depressiver Verstimmung, partiell kompensiert (vordiagnostiziert).

Hypercholesterinämie.

Geringgradige Aorteninsuffizienz.

Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe Arbeitsfähigkeit für körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen im Wechsel von Stehen und Gehen ohne schweres Heben und Tragen von Lasten über zehn kg und ohne Zwangshaltungen für die Wirbelsäule in Tagschicht von sechs Stunden und mehr täglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Diese könne noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten mehr im Sitzen, ohne dauerndes Gehen und Stehen, zu ebener Erde, ohne Nachtschicht, viel Bücken, Zwangshaltung, Zeitdruck, Überkopfarbeit und ohne Heben und Tragen von Lasten mehr als zehn kg sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

Dagegen hat die Klägerin am 10. April 2006 Klage beim Sozialgericht M. erhoben, welches mit Beschluss vom 10. Mai 2006 den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Magdeburg verwiesen hat. Dieses hat Befund- und Behandlungsberichte eingeholt. Die Fachärztin für Frauenheilkunde Dr. D. hat unter dem 2. Januar 2008 als Diagnosen chronische rezidivierende Unterbauchbeschwerden bei einem Zustand nach mehrfachen Adnexitiden, einer Endometriose, einem Uterus myomatosus und massiven nicht operablen Adhäsionen, einen Zustand nach dreimaliger Laparoskopie und dreimaliger Laparotomie sowie eine psychosomatische Stigmatisierung benannt. Die Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin sei schwierig. Diese habe eine schnelle Ermüdbarkeit sowie ständige Unterbauchbeschwerden mit sicher psychischer Prägung aufgrund der langjährigen Dauer der Erkrankung und des unerfüllten Kinderwunsches angegeben. Seit dem Tod der Mutter sei ihre körperliche und psychische Belastungsfähigkeit weiter reduziert. Die am Down-Syndrom leidende Schwester der Klägerin sei bislang von der Mutter versorgt worden.

Die Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie Dr. A. hat unter dem 9. Januar 2007 das Vorliegen einer psychorelevanten Symptomatik verneint. Die Klägerin sei antidepressiv medikamentös eingestellt worden. Wiedervorstellungstermine am 12. Dezember 2006, 30. August, 20. September und 11. November 2007 habe sie nicht wahrgenommen und sei lediglich zu den Terminen am 27. Juni, 3. August, 15. September und 27. Oktober 2006, 1. März und 11. Oktober 2007 erschienen. Die Klägerin habe die Schmerzmedikamente inzwischen wieder abgesetzt. Als Gesundheitsstörungen hat Dr. A. eine gering ausgeprägte Radikulopathie sowie einen reaktiv depressiven Verstimmungszustand angeführt. Aus ihrer Sicht bestehe keine Arbeitsunfähigkeit. Nach dem Tod der Mutter sei eine leichte Verschlechterung der depressiven Reaktion im Herbst 2007 zu verzeichnen gewesen. Die Klägerin sei in der Lage, zumindest noch sechs Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten mit zusätzlichen qualitativen Leistungseinschränkungen zu verrichten.

Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. L. hat in ihrem Befundbericht vom 17. Januar 2008 von unveränderten Beschwerden berichtet. Die Klägerin könne täglich sechs Stunden leichte Arbeiten unter Berücksichtigung von zusätzlichen Leistungseinschränkungen verrichten. Nach sechs Stunden sei eine Erholungsphase (Entspannung der Rückenmuskulatur durch Liegen) zur Minderung der Schmerzen notwendig.

Die Fachärztin für Orthopädie Dipl.-Med. H. hat unter dem 7. März 2008 eine Beschwerdepersistenz ohne Änderung aufgezeigt. Die Klägerin könne noch vollschichtig leichte körperliche Arbeiten verrichten. Durch eine intensive krankengymnastische Behandlung sei eine weitere Stabilisierung des Gesamtzustandes zu erreichen und somit auch eine Besserung der Erwerbsfähigkeit möglich.

Die Klägerin hat dem Sozialgericht Magdeburg ein an dieses gerichtetes Schreiben der Diplom-Psychologin L. vom 13. Mai 2008 vorgelegt. Danach befinde sich die Klägerin bei ihr seit dem 31. März 2008 in probatorischen Sitzungen. Im Hinblick auf die rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig in einer mittelgradigen Episode, sei ein Antrag auf Psychotherapie gestellt worden. Aufgrund des Todes der Mutter bestehe zusätzlich eine Anpassungsstörung.

Das Sozialgericht Magdeburg hat mit Urteil vom 16. Mai 2008 die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei noch in der Lage, sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Überzeugung der Kammer basiere auf den Ausführungen bzw. Einschätzungen in den Gutachten von September 2005, Oktober 2005 und Februar 2006 sowie in den Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte. Eine gegenteilige Einschätzung sei von keinem Mediziner vertreten worden. Der Hinweis der behandelnden Gynäkologin von Januar 2008, die Leistungseinschätzung sei aufgrund psychischer Überlagerung schwierig, könne keinen Hinweis auf ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen der Klägerin begründen, da eine eindeutige Stellungnahme zur psychischen Störung im nervenärztlichen Befundbericht von Januar 2008 (sechs Stunden) vorliege.

Gegen das ihr am 19. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. Juli 2008, einem Montag, Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und weiterhin einen Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung geltend gemacht unter Vorlage eines an das LSG gerichteten Schreibens von Dr. D. vom 6. Oktober 2008. Danach leide die Klägerin bei einem Zustand nach zwölfmaliger Adnexitis, beginnend 1980, und mehrfachen Voroperationen bei einem Zustand nach dreimaliger Laparoskopie und dreimaliger Laparotomie wegen rezidivierend auftretender Adnextumore, Endometriose, Uterus myomatosus und massiver Verwachsungen an chronischen Unterbauchbeschwerden verbunden mit akuten Schmerzereignissen. Daraus resultierend sei die Arbeitsfähigkeit deutlich und auf unter sechs Stunden pro Tag reduziert.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 5. Mai 2010 ergänzend vorgetragen, zu ihren Gunsten sei zu berücksichtigen, dass ihre Gynäkologin, die sie am häufigsten behandelnde Ärztin, insbesondere auch ihren psychischen Zustand beurteilen könne. Im Hinblick auf deren inzwischen eindeutige Aussage vom 6. Oktober 2008 sei ein Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet, hilfsweise ein Befundbericht von Dr. D. einzuholen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 16. Mai 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. November 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. August 2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu bewilligen, hilfsweise den Sachverhalt durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens weiter aufzuklären im Hinblick auf den Befundbericht der Dipl.-Psych. L. vom 16. Januar 2011.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts und ihren Bescheid für zutreffend.

Nach der Vorlage eines weiteren an das LSG gerichteten Schreibens von Dr. D. vom 6. Juni 2010 hat die Klägerin mitgeteilt, dass der in ihrem Schriftsatz vom 28. Juni 2010 angekündigte Befundbericht von Dr. A. nunmehr vorliege, jedoch ihrer Auffassung nach nicht zutreffend sei. Sie sei momentan auf der Suche nach einem neuen Psychiater. Von diesem werde sie dann gegebenenfalls einen Befundbericht vorlegen.

In dem schließlich auf Anforderung des Senats unter dem 20. November 2010 erstellten Befundbericht hat Dr. A. bei einer letztmaligen Konsultation der Klägerin am 6. August 2010 eine deutliche Besserung der depressiven Symptomatik mitgeteilt. Die Antidepressiva hätten abgesetzt werden können. Unverändert klage die Klägerin über Schmerzen im Oberschenkel und in der Leistengegend. Es bestünden spondylogene Symptome, jedoch kein Anhalt für eine frische oder chronische Radikulopathie. Arbeitsunfähigkeit aus neurologisch-psychiatrischer Sicht liege nicht vor. Insgesamt sei eine Symptomverbesserung zu verzeichnen. Bis auf den 10. September 2009 habe die Klägerin die weiteren Behandlungstermine am 2. Oktober 2008, 24. März und 5. Mai 2009, 18. Januar, 19. März und 6. August 2010 wahrgenommen.

Mit Schreiben vom 29. November 2010 hat die Berichterstatterin die Klägerin davon in Kenntnis gesetzt, dass im Hinblick auf den Befundbericht von Dr. A. weitere medizinische Ermittlungen auf psychiatrischem Fachgebiet von Amts wegen nicht beabsichtigt seien.

Die Klägerin hat dem Senat unter dem 9. Februar 2011 ein an ihre Prozessbevollmächtigten gerichtetes Schreiben der Dipl.-Psych. L. vom 16. Januar 2011 vorgelegt. Auf Anraten von Dr. A. befinde sich die Klägerin bei ihr seit dem 27. Mai 2008 in psychotherapeutischer Behandlung, da diese den Tod ihrer am 23. Juli 2007 verstorbenen Mutter nicht verkraftet habe. Es bestehe eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer im Vordergrund stehenden mittelgradigen depressiven Episode. Die Klägerin leide an massiven Ein- und Durchschlafstörungen, woraus eine chronische Müdigkeit, Gereiztheit sowie Aufmerksamkeitsstörungen, vornehmlich in Form von Konzentrationsstörungen, resultierten. Ferner habe die Klägerin über einen mangelnden Antrieb, eine gedrückte Stimmung und eine Zukunft berichtet, die ihr häufig perspektivlos erscheine. Es falle ihr schwer, wieder ihr eigenes Leben wie vor dem Tod der Mutter in die Hand zu nehmen. Sie kümmere sich täglich um Vater und Schwester, was sie neben der psychischen Belastung wegen der Sorge um die Zukunft ihrer behinderten Schwester auch körperlich belaste. Momentan wäre die Klägerin mit einer Arbeitswiederaufnahme überfordert. Eine Prognose sei zum derzeitigen Zeitpunkt schwer einschätzbar.

Darüber hinaus hat die Klägerin ein weiteres an das LSG gerichtetes Schreiben von Dr. D. vom 8. Januar 2011 vorgelegt, wonach die Klägerin die chronischen Beschwerden psychisch immer schlechter toleriere. Hinzu kämen die Beschwerdesymptomatik nach dem Tod der Mutter, die Unsicherheit über die weitere Betreuung der Schwester, die Erkenntnis bezüglich der Unerfüllbarkeit des langgehegten Kinderwunsches und die Hüftbeschwerden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie gemäß § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung zusteht. Der ablehnende Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).

Nach § 43 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die Klägerin ist aber weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Dabei geht der Senat von folgendem Leistungsbild aus: Die Klägerin kann noch körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen im Wechsel von Stehen und Gehen in Tagesschicht sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Arbeiten mit schwerem Heben und Tragen von Lasten über zehn kg, mit Zwangshaltungen für die Wirbelsäule, Bücken und Überkopfarbeiten sind nicht mehr zumutbar. Arbeiten in Nacht- und Wechselschicht sowie mit Zeitdruck kann die Klägerin nicht mehr bewältigen. Ferner ist sie Arbeiten mit mindestens durchschnittlichen geistigen Anforderungen und zumindest durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein gewachsen. Eine Gebrauchsfähigkeit beider Hände ist gegeben.

Dieses Leistungsbild ergibt sich für den Senat aus dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, insbesondere aus den Gutachten von Dr. R. vom 14. Februar 2006, Dr. E. vom 27. Oktober 2005 und Dr. B. vom 19. September 2005 sowie den Befundberichten von Dr. A. vom 9. Januar 2007 und 20. November 2010, Dr. L. vom 17. Januar 2008 und Dipl.-Med. H. vom 7. März 2008.

Die Klägerin leidet auf gynäkologischem Gebiet an Verwachsungsbeschwerden im Bauchbereich aufgrund multipler Entzündungen und operativer Eingriffe. Seit 1980 ist zwölfmal eine Adnexitis (Entzündung der Eierstöcke und Eileiter) aufgetreten, ferner musste sich die Klägerin seit 1980 drei Laparoskopien (Bauchspiegelungen) und drei Laparotomien (Bauchschnittoperationen) unterziehen. Darüber hinaus bestehen eine Endometriose und ein Uterus myomatosus. Die Klägerin befindet sich deswegen in regelmäßiger ärztlicher Behandlung bei Dr. D., die seit der erstmaligen Konsultation am 14. Juni 2006 einen gleichbleibenden Gesundheitszustand aufgezeigt hat. Die Bauchbeschwerden werden medikamentös therapiert und stehen einer mindestens sechsstündigen täglichen Erwerbstätigkeit nicht entgegen, sofern Tätigkeiten mit schwerem Heben und Tragen von Lasten über zehn kg und Zeitdruck vermieden werden.

Bei der Klägerin bestehen darüber hinaus auf orthopädischem Gebiet eine Meralgia parästhetica rechts bei einem Zustand nach Entfernung einer Knochenzyste am 7. Juli 2005, eine rezidivierende Lumbago und ein chronisches HWS-Syndrom mit einem Spannungskopfschmerz. Ein neurologisches Defizit ist nicht feststellbar gewesen, Motorik und Sensibilität sind intakt. Im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) und LWS bestanden lediglich geringe Muskelverspannungen ohne wesentliche Bewegungseinschränkungen. Im Bereich des rechten Oberschenkels lateral waren Hypästhesien und Parästhesien festzustellen. Die nachgewiesenen, insgesamt nur geringen, Funktionsstörungen lassen eine mindestens sechsstündige Erwerbstätigkeit der Klägerin zu. Allerdings ist ihr nur noch die Verrichtung körperlich leichter Tätigkeiten überwiegend im Sitzen im Wechsel von Stehen und Gehen ohne Zwangshaltungen für die Wirbelsäule, Bücken und Überkopfarbeiten möglich.

Darüber hinaus liegt bei der Klägerin eine depressive Verstimmung vor, die sich nach dem Tod der Mutter am 23. Juli 2007 vorübergehend verschlechtert, dann wieder gebessert hat. Zumindest ist am 6. August 2010 bei der Konsultation durch die behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. keine depressive Symptomatik mehr festzustellen gewesen, die Antidepressiva konnten abgesetzt werden. Bereits in ihrem Befundbericht vom 9. Januar 2008 hat Dr. A. einen Hinweis auf eine psychorelevante Symptomatik verneint. Die Tatsache, dass die Klägerin zu vier vereinbarten Vorstellungstermine nicht erschienen ist, lässt gerade nicht auf einen erheblichen Leidensdruck der Klägerin in psychischer Hinsicht schließen. Mangels neuropsychologischer Defizite besteht kein quantitativ auf unter sechs Stunden gemindertes Leistungsvermögen der Klägerin. Diese ist noch mindestens sechs Stunden täglich Arbeiten mit zumindest geistigen mittelschwierigen Anforderungen sowie zumindest durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit gewachsen.

Des Weiteren leidet die Klägerin an einer Fingerpolyarthrose mit gelegentlichen Arthralgien der Fingermittel- und -gelenke. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände ist jedoch nicht beeinträchtigt. Weitere qualitative Leistungseinschränkungen ergeben sich daraus nicht.

Die von Dr. D. unter dem 6. Oktober 2008 bescheinigte deutlich reduzierte und auf unter sechs Stunden pro Tag eingeschränkte Arbeitsfähigkeit steht nicht im Gegensatz zu den Feststellungen und Einschätzungen der behandelnden Ärzte Dipl.-Med. H., Dipl.-Med. L. und Dr. A ... Denn schließlich bezieht sich die Arbeitsfähigkeit im Sinne der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien auf die zuletzt verrichtete Tätigkeit. Die Tätigkeit als Postcodiererin, die mit Heben von schweren Paketen verbunden war, kann die Klägerin jedoch auch nach den übereinstimmenden Aussagen sämtlicher Gutachter nur noch unter dreistündig verrichten. Sofern Dr. D. mit ihren Ausführungen zum Ausdruck bringen wollte, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin auf unter sechs Stunden pro Tag einzuschränken sei, vermag sich der Senat dieser Einschätzung nicht anzuschließen, da eine entsprechende medizinische Begründung fehlt. Nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen führen die Unterbauchbeschwerden der Klägerin lediglich zu qualitativen Einschränkungen und lassen eine noch mindestens sechsstündige Erwerbstätigkeit zu.

Für den Senat ist nachvollziehbar, dass – wie dies Dr. D. in ihrem Schreiben vom 8. Januar 2010 dargestellt hat – der Verlust der Mutter, die Sorge um die Zukunft der behinderten Schwester und der unerfüllte Kinderwunsch die Klägerin seelisch belasten und sich auf ihre gesundheitliche Situation auswirken. Ein quantitativ gemindertes Leistungsvermögen ergibt sich daraus jedoch nicht.

Für den Senat bestand keine Veranlassung für weitere medizinische Ermittlungen von Amts wegen. Insbesondere kam die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens für den Senat nicht in Betracht, da die behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. in dem vom Senat eingeholten Befundbericht vom 20. November 2010 eine deutliche Verbesserung der depressiven Symptomatik für den Zeitraum nach dem Tod der Mutter der Klägerin am 23. Juli 2007 mitgeteilt hat. Dipl.-Psych. L. hat zwar in ihrem Schreiben vom 16. Januar 2011 auf eine mittelgradige depressive Episode verwiesen. Sie hat jedoch keine nachweislichen psychopathologische Auffälligkeiten aufgezeigt, die zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen führen würden. Die von ihr angegebene Symptomatik wie Müdigkeit, Gereiztheit und Aufmerksamkeitsstörungen beruht allein auf den subjektiven Angaben der Klägerin. Zudem hat Dipl.-Psych. L. nicht ausdrücklich das Vorliegen eines mindestens sechsstündigen Leistungsvermögens der Klägerin verneint. Vielmehr hat sie eine Überforderung der Klägerin bei einer Arbeitswiederaufnahme in Anbetracht der täglichen Betreuung von Vaters und Schwester beschrieben. Für die Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens ist jedoch nicht die zeitliche Verfügbarkeit der Klägerin unter Berücksichtigung privater besonderer Belastungen, sondern allein ihr Gesundheitszustand maßgebend.

Bei der Klägerin bestehen auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, die trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen würden. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Das Restleistungsvermögen der Klägerin reicht noch aus für leichte körperliche Verrichtungen im Wechsel der drei Körperhaltungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33f.). Eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände ist gegeben.

Schließlich liegt im Fall der Klägerin auch kein so genannter Seltenheits- oder Katalogfall vor, der die Beklagte verpflichten würde, ihr einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen (vgl. BSG, Großer Senat, a.a.O., Seite 35).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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