L 1 R 122/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 1 R 580/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 122/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 9. März 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die 1960 geborene Klägerin erlernte den Beruf einer Geologiefacharbeiterin (Facharbeiterzeugnis vom 15. Juli 1979) und arbeitete dann bis August 1980 als Sachbearbeiterin in der Erdgaserkundung. Danach begann sie ein Studium, musste dieses aber aus persönlichen Gründen abbrechen. Ab August 1984 arbeitete sie als kaufmännische Angestellte. Im Dezember 1989 erwarb sie einen Facharbeiterabschluss als Wirtschaftskaufmann/Land- und Nahrungsgüterwirtschaft. Ab Juli 1994 war sie arbeitslos. Von März 1998 bis Dezember 1999 arbeitete sie als kaufmännische Angestellte bei der Spedition K., D ... Danach war sie bis Ende Januar 2001 arbeitslos und arbeitete dann als Sachbearbeiterin bei der Tischlerei K., M ... Diese Beschäftigung übte sie bis Februar 2003 aus. Nach Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit war sie von Oktober 2004 bis Ende Januar 2005 bei der R. & Co. KG als Call-Center-Agent angestellt.

Nach einem Sturz im Dezember 2004 musste die Klägerin stationär behandelt werden. In der Zeit vom 18. Januar 2005 bis zum 22. Februar 2005 führte sie eine Anschlussheilbehandlung in der Rehaklinik B. S. durch. Im Rehabilitationsentlassungsbericht vom 24. Februar 2005 wurde unter Zugrundelegung der Diagnosen

Zustand nach instabiler Lendenwirbelkörper 1 - Fraktur mit Hinterkantenbildung und

Rhinitis allergica

eingeschätzt, dass die Klägerin ihre bisherige Tätigkeit als Call-Center-Agent noch sechs Stunden und mehr verrichten könne. Ansonsten könne sie noch leichte Tätigkeiten im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Zu vermeiden seien langes Stehen, ständiges Sitzen, Heben und Tragen schwerer Lasten, häufiges Bücken, das Ersteigen von Leitern und Gerüsten, ständige Überkopfarbeiten und lang andauernde Zwangshaltungen. Die Klägerin wurde arbeitsunfähig entlassen, wobei mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht vor Ablauf von vier bis fünf Monaten nach dem Sturz gerechnet wurde.

Im November 2005 wurde die Klägerin, nachdem sie am 25. Juli 2005 bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation gestellt hatte, von Dr. S., Fachärztin für Orthopädie, begutachtet. In ihrem Gutachten vom 8. November 2005 schätzte die Ärztin unter Zugrundelegung der Diagnosen

statische Rückenschmerzen bei Zustand nach Wirbelkörperfraktur,

anamnestisch rezidivierendes lumbales Pseudoradikulärsyndrom rechts und

rezidivierende Cervikalsyndrom

ein, dass von orthopädischer Seite eine vollschichtige Einsatzfähigkeit für leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen bestehe. Den Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2006 ab.

Am 6. Juni 2006 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte Befundberichte ein (Dr. F., Facharzt für Orthopädie, vom 24. Juli 2006; Dr. R., Praktische Ärztin, vom 27. Juli 2006) und beauftragte Dr. E., Facharzt für Neurologie/Psychiatrie/Psychotherapie, und Dr. L., Facharzt für Orthopädie, mit der Erstellung von Gutachten auf ihren Fachgebieten. Dr. E. kam in seinem Gutachten vom 21. September 2006 unter Zugrundelegung der Diagnosen

somatoforme autonome Funktionsstörung mehrerer Organe und

abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung

zu der Einschätzung, dass die Klägerin als Call-Center-Agent noch sechs Stunden und mehr täglich arbeiten könne. Auch sonst könne sie sechs Stunden und mehr täglich arbeiten. Dr. L. kam in seinem Gutachten vom 29. September 2006 unter Zugrundelegung der Diagnosen

Halswirbelsäulen-Fehlstatik mit beginnender Osteochondrose,

beginnende Osteochondrose L 1 nach LWK-1-Fraktur,

Arthrose der Costovertebralgelenke,

Osteochondrose der Brustwirbelsäule,

beginnende RC-Gelenkarthrose links mehr als rechts,

Verdacht auf rheumatische Erkrankung und

Chondropathia patellae rechts

zu der Einschätzung, dass für die Klägerin leichte Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen in ständigem Wechsel zwischen Steh- und Gehbelastungen sowie ohne Überkopfarbeiten für täglich sechs Stunden zu empfehlen seien. Im Formvordruck der Beklagten kreuzte der Gutachter ein drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen an.

Mit Bescheid vom 13. Oktober 2006 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Sie sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Da sie noch als Sachbearbeiterin arbeiten könne, bestehe auch kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 7. November 2006 Widerspruch. Zur Begründung führte sie u. a. aus, dass nicht alle bei ihr vorliegenden Erkrankungen berücksichtigt worden seien. Es träten Gangunsicherheiten auf und ihr Konzentrationsvermögen sei beeinträchtigt. Auch sei sie ständig auf schmerzlindernde Medikamente angewiesen. Die Beklagte holte einen Befundbericht von Dipl.-Med. K., Facharzt für Neurochirurgie, vom 7. Juni 2007 ein und wies mit Widerspruchsbescheid vom 1. November 2007 den Widerspruch zurück.

Am 23. November 2007 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben. Das SG hat Befundberichte eingeholt (Dr. F., vom 17. März 2008; Dr. R., vom 24. Mai 2008) und Dr. B., Ärztlicher Direktor des St. J.-Krankenhauses D., mit der Erstellung eines Gutachtens auf nervenärztlichem Gebiet beauftragt. In seinem Gutachten vom 27. August 2008 kommt der Gutachter unter Zugrundelegung der nervenärztlichen Diagnosen

Somatisierungsstörung und

Schweißsekretionsstörung der linken Kopfhälfte unklarer Ursache

zu der Einschätzung, dass die Klägerin noch sechs Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten im ständigen Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen in geschlossenen Räumen oder im Freien unter Witterungsschutz verrichten könne. Zu vermeiden seien ständiges schweres Heben und Tragen, langes Sitzen und Stehen, Überkopfarbeiten, Arbeiten in Körperzwangshaltungen, Arbeiten auf Gerüsten oder Leitern, Arbeiten mit besonderen Anforderungen an das Verantwortungsgefühl und den Überblick, Arbeiten unter Zeitdruck sowie häufiges Bücken und Knien. Die Klägerin ist dem Gutachten entgegengetreten und hat u. a. darauf hingewiesen, dass ihre behandelnden Ärzte von anderen Diagnosen ausgegangen seien. Ein Schmerzbefund sei bei der Begutachtung nicht erhoben worden. Außerdem würden aktuell Schwindelerscheinungen bei ihr auftreten und ihre Wahrnehmung aussetzen. Insgesamt sei der medizinische Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Mit Gerichtsbescheid vom 9. März 2009 hat das SG die Klage abgewiesen, da die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert sei. Auch ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestehe nicht.

Gegen den ihr am 11. März 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 9. April 2009 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie könne wegen ihrer Krankheiten nicht schlafen. Deshalb habe sie Konzentrationsstörungen und sei sehr leicht erschöpft, was bei der Leistungseinschätzung zu berücksichtigen sei. Auch leide sie an einer schweren Depression. Sie nehme Morphin ein, was ebenfalls Auswirkungen auf ihr Leistungsvermögen habe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 9. März 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. November 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr ab 1. Juni 2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, weiter hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 9. März 2009 zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil für zutreffend. Die vorgetragenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien bereits gewürdigt worden.

Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt (Dipl.-Med. K., vom 2. Oktober 2009, Dr. R., vom 10. November 2009, Psychiatrische Institutsambulanz M., vom 14. April 2010), den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten in einem Termin erörtert und Priv.-Doz. Dr. G., Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie/Neurologie mit der Erstellung eines Gutachtens auf psychiatrisch-neurologischem Gebiet beauftragt. In seinem Gutachten vom 14. Januar 2011 kommt der Gutachter unter Zugrundelegung der Diagnosen

Zustand nach Fraktur des 1. Lendenwirbelkörpers,

rezidivierendes lumbales Pseudoradikulärsyndrom und

Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen

zu der Einschätzung, dass die Klägerin vollschichtig noch leichte körperliche Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, ohne einseitig belastende Tätigkeiten und ohne Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken und Knien und ohne häufiges Heben, Bewegen oder Tragen von Lasten verrichten könne. Am operierten Mittelfinger der rechten Hand bestehe eine gering reduzierte Belastbarkeit. Das Seh- und Hörvermögen sei nicht beeinträchtigt. Wegen der wahrscheinlichen Medikamentennebenwirkungen könne die Klägerin gegenwärtig nicht an laufenden Maschinen, auf Gerüsten oder auf Leitern arbeiten. Nach einer Adjustierung der Medikamentengabe wäre dies möglich. Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord und am Fließband seien ausgeschlossen. Für die von der Klägerin angegebenen Schmerzen hätte sich kein hinreichendes organisches Schmerzsubstrat finden lassen. Eine Depression liege nicht mehr vor. Es bestehe der Verdacht, dass aufgrund der jetzigen medikamentösen Behandlungsmaßnahmen zusätzliche Beeinträchtigungen bestünden. Es habe sich eine ausgeprägte Reflexübererregbarkeit der unteren Extremitäten, ein verstärktes Schwitzen und ein erheblicher Bluthochdruck mit starker Pulsbeschleunigung feststellen lassen. Erklärlich seien durch die Einnahme der Medikamente auch von der Klägerin angegebene Aufmerksamkeitsbeeinträchtigungen. Eine Adjustierung der Medikamentengabe sei unbedingt erforderlich. Das Gutachten ist den Klägervertretern mit Schreiben vom 20. Januar 2011 übersandt worden.

Die Klägerin hat nach Vorlage des Gutachtens u. a. darauf hingewiesen, dass sie wegen der Nebenwirkungen der Medikamente nicht in der Lage sei, einer sechsstündigen Tätigkeit nachzugehen. Erst nach einer Neueinstellung sei dies möglich. Ihr müsse daher bis zu deren Erfolg die Rente gewährt werden. Dr. G. hat unter dem 16. März 2011 unter Berücksichtigung der Einwände der Klägerin eine ergänzende Stellungnahme abgegeben.

Das Gericht hat bei der R. & Co. KG und der Spedition K., D., Erkundigungen zu den dort verrichteten Tätigkeiten der Klägerin eingeholt (Schreiben der R. AG vom 3. März 2011, Spedition K. vom 14. März 2011).

In der mündlichen Verhandlung am 24. März 2011 hat die Klägerin den Gutachter Priv.-Doz. Dr. G. als befangen abgelehnt. Der Senat hat den Befangenheitsantrag abgelehnt.

Wegen des weiteren Inhalts der Gutachten und Befundberichte und der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten ergänzend verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Der Senat ist durch den Befangenheitsantrag gegen Priv.-Doz. Dr. G. nicht gehindert, in der Sache zu entscheiden und dessen Gutachten seiner Entscheidung zugrunde zulegen. Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 406 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) und § 60 Abs. 1 SGG kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Die Ablehnung ist berechtigt, wenn die Umstände auch bei einem nüchtern denkenden Beteiligten die Befürchtung rechtfertigen können, dass der Sachverständige sein Gutachten nicht unvoreingenommen erstatten wird bzw. erstattet hat (Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Aufl., § 118, Rdnr. 12 k). Unabhängig von der Frage, ob der erst in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag wegen § 406 Abs. 2 ZPO verspätet ist, hat die Klägerin solche Umstände nicht vorgetragen. Die zur Begründung angeführten Stellungnahmen von Dipl.-Med. K. setzen sich inhaltlich mit dem Gutachten auseinander, lassen aber nicht erkennen, dass der Gutachter nicht unvoreingenommen an die Erstellung des Gutachtens herangegangen wäre. Sofern Priv.-Doz. Dr. G. zu einer anderen Einschätzung als Dipl.-Med. K. gelangt, ist dies kein Grund, eine Befangenheit anzunehmen. In ihrer eigenen Stellungnahme hat die Klägerin ausdrücklich mitgeteilt, dass der Gutachter auf sie "einen absolut Vertrauen erweckenden und fairen Eindruck" gemacht habe. Ihren weiteren Schilderungen lassen sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine Befangenheit des Gutachters entnehmen. Wie das Gutachten bzw. Einzelheiten in dem Gutachten darüber hinaus zu bewerten sind, obliegt dem entscheidenden Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG). Der Befangenheitsantrag war daher abzulehnen.

Die Berufung ist unbegründet, weil der Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. November 2007 die Klägerin nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung hat.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI, in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 19. Februar 2002, BGBl. I S. 754) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (Fassung ab 1. Januar 2008: bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (siehe Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung, RV – Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I S. 554)) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie u. a. teilweise erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist jedoch nach § 43 Abs. 3 1. Halbsatz SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

Bei der Klägerin liegt ungeachtet der anderen Voraussetzungen bereits keine teilweise bzw. volle Erwerbsminderung vor. Für das Gericht steht aufgrund der eingeholten Gutachten fest, dass die Klägerin noch vollschichtig leichte körperliche Arbeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, in geschlossenen Räumen oder im Freien unter Witterungsschutz, ohne einseitig belastende Tätigkeiten, ohne Zwangshaltungen und ohne Überkopfarbeiten, ohne häufiges Bücken und Knien und ohne häufiges Heben, Bewegen oder Tragen von Lasten verrichten kann. Sie kann nicht an laufenden Maschinen, auf Gerüsten oder auf Leitern arbeiten. Ebenso sind Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord und am Fließband ausgeschlossen.

Dieses Ergebnis ist unter Beachtung der erhobenen Befunde und mitgeteilten Funktionseinschränkungen nachvollziehbar und schlüssig. Aus dem orthopädischen Zustand der Klägerin folgen mit Sicherheit qualitative Einschränkungen, die jedoch bei dem oben beschriebenen Tätigkeitsbild berücksichtigt werden. Bereits bei der Untersuchung durch Dr. S. ließen sich keine wesentlichen Funktionseinschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates feststellen. Auffällig war nur ein eingeschränkter Finger-Boden-Abstand. Motorische oder sensible Ausfälle fanden sich nicht. Bei der Untersuchung durch Dr. E. schilderte die Klägerin, dass sie Arbeiten im Haushalt verrichte, Gymnastik und Fitnesstraining betreibe und regelmäßig ihre Ärzte aufsuche. Dies deutet darauf hin, dass sie in der Lage war, einen Tagesablauf zu strukturieren und dabei zumindest auch körperlich leichte Verrichtungen auszuüben. Die Untersuchungsbefunde waren unauffällig. Ermüdungserscheinungen konnte der Gutachter nicht beobachten. Auch Dr. L. stellte keine funktionellen Einschränkungen fest. Dr. B. fand keinen objektiven Grund für den Grad der von der Klägerin geschilderten Schmerzen. Die von ihm erhobenen Befunde waren unauffällig. Der Somatisierungsstörung maß er in Hinsicht auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin nur einen qualitativen Wert zu. Der Leitungseinschätzung durch Dr. G. ist eine umfangreiche Untersuchung, Befragung und Auswertung von Fremdbefundunterlagen vorausgegangen. Dessen Einschätzung, die auch einen von der Klägerin berichteten Tagesablauf berücksichtigt, überzeugt. Sie hatte geschildert, von ihrem Wohnort nach M. zu fahren, dort die Institutsambulanz aufzusuchen und dann noch stundenweise in der Tischlerei ihres Lebensgefährten Schreib- und Sortierarbeiten zu verrichten. Die nicht ausreichend abgestimmte Medikamentengabe führt nur zu qualitativen Einschränkungen, nicht aber zu quantitativen. Aus dem Gutachten lässt sich nicht ablesen, dass die Klägerin vorübergehend bis zur Neueinstellung nicht mehr in der Lage wäre, zumindest leichte Tätigkeiten sechsstündig zu verrichten.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach §§ 240 Abs. 1, 43 Abs. 1 SGB VI. Danach haben Versicherte bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (Fassung ab 1. Januar 2008: bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze ) auch Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie vor dem ... 1961 geboren und berufsunfähig sind.

Die Klägerin ist ungeachtet der anderen Voraussetzungen bereits nicht berufsunfähig (§ 240 Abs. 2 SGB VI). Abzustellen ist dabei auf den bisherigen Beruf. Dies ist in der Regel die letzte nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Im Fall der Klägerin ist dies die Tätigkeit als Callcenter-Mitarbeiterin. Nach der Arbeitgeberauskunft der R. Bitte Eintrag suchen und anpassen. & Co. KG arbeitete die Klägerin in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Auf eine Tätigkeit entsprechend ihres Facharbeiterabschlusses Wirtschaftskaufmann kann hingegen nicht abgestellt werden, da sie sich von dieser Tätigkeit nicht aus gesundheitlichen Gründen gelöst hat (siehe dazu z. B. BSG, Urteil vom 26. April 2005, Az: B 5 RJ 27/04 R, dokumentiert in juris). Die Tätigkeit als Call-Center-Mitarbeiterin kann die Klägerin nach Einschätzung des Senats nicht mehr ausüben, da dabei der nötige Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen nicht gewährleistet ist (siehe berufenet.arbeitsagentur.de zu Call-Center-Agent, Stichwort Arbeitsbedingungen).

Damit ist die Klägerin aber noch nicht berufsunfähig. Auf welche Berufstätigkeiten ein Versicherter nach seinem fachlichen und gesundheitlichen Leistungsvermögen noch zumutbar verwiesen werden kann, beurteilt das Bundessozialgericht nach einem von ihm entwickelten Mehrstufenschema (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juli 2004, Az: B 4 RA 5/04 R, dokumentiert in juris). Die soziale Zumutbarkeit eines Verweisungsberufs richtet sich nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Arbeiter- und Angestelltenberufe in Gruppen eingeteilt, wobei der Stufenbildung im Ansatz die zur Erreichung einer bestimmten Qualifikation normalerweise erforderliche Ausbildung zugrunde gelegt wurde. Sozial zumutbar sind grundsätzlich nur Tätigkeiten der im Verhältnis zum bisherigen Beruf gleichen oder nächst niederen Stufe (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 1991, Az: 5 RJ 34/90, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17, m.w.N.; BSG, Urteil vom 22. Februar 1990, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 2).

Dabei werden folgende Stufen unterschieden: Ungelernte Berufe (Stufe 1); Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Stufe 2); Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren (Stufe 3) und weitere hier nicht in Betracht kommende Stufen mit höheren Qualifikationsanforderungen (zu diesen Stufen: BSG, Urteil vom 29. Juli 2004, Az: B 4 RA 5/04 R, dokumentiert in juris). Die Stufe 2, auch als Gruppe der Angelernten bezeichnet, unterteilt die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wegen der Vielschichtigkeit und Inhomogenität dieser Berufsgruppe in einen oberen und einen unteren Bereich. Dem unteren Bereich sind alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen (auch betrieblichen) Ausbildungs- oder Anlernzeit von 3 bis 12 Monaten und dem oberen Bereich dementsprechend die Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über 12 bis zu 24 Monaten zuzuordnen (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1994, 13 RJ 35/93, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Bei Angelernten des oberen Bereichs sind im Gegensatz zu Angelernten des unteren Bereichs sowie Ungelernten Verweisungstätigkeiten konkret zu benennen (Niesel in Kasseler Kommentar, SGB VI, § 240 Rdnr. 101, 102).

Nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erfolgte für ihre letzte Tätigkeit als Call-Center-Mitarbeiterin eine 14tägige bzw. einwöchige Einarbeitung. Dafür, dass die Einarbeitungszeit nur deshalb so kurz war, weil die Klägerin Vorkenntnisse aufzuweisen gehabt hätte, ist nichts ersichtlich. Daher ist sie als Ungelernte einzustufen. Als Ungelernte ist sie auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, auf dem sie noch mindestens sechs Stunden leichte Tätigkeiten verrichten kann. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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