L 6 U 42/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 66/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 42/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens, ob ein Bandscheibenvorfall zwischen den Halswirbelkörpern (HWK) C6 und C7 als weitere Unfallfolge festzustellen ist.

Der 1970 geborene Kläger stolperte am 5. Juli 2002 gegen 12.00 Uhr beim Wohnungsumzug, als er ein Sofa trug. Beim Abfangen des Stolperns mit dem rechten Arm verspürte er nach seinen Angaben ein Knacken im Hals mit Beschwerdezunahmen in der folgenden Zeit. Der Kläger war vom 12. August bis zum 31. Oktober 2002 arbeitsunfähig.

Die Gemeinschaftspraxis der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie Dres. D. meldete am 22. August 2002 den Unfall der Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend: die Beklagte). Nach der dortigen Untersuchungen des Klägers am 14. und 15. August 2002 wurde die vorläufige Diagnose eines traumatischen Bandscheibenvorfalls C 6/C 7 rechts mit deutlichem C 7-Syndrom gestellt.

Der Kläger teilte auf Anfrage der Beklagten dieser auf deren Vordruck am 3. September 2002 mit, er sei rückwärtsgehend beim Transport eines Sofas über eine Kuhle gestolpert. Als er sich beim Hinfallen mit dem rechten Arm nach hinten auf dem Boden abgestützt habe, habe es in diesem Moment einen Knacks im Halswirbel gegeben und er habe sich nicht mehr bewegen können. Die Arbeit habe er hierauf eingestellt und sich nach Hause fahren lassen. Vor diesem Ereignis habe er noch keine Beschwerden an der Wirbelsäule gehabt. Die Erstversorgung sei am 16. Juli 2002 durch den Facharzt für Orthopädie Dr. K. erfolgt. Derzeit werde er von Prof. Dr. F. (Klinik für Neurochirurgie der Universitätsklinik M.) behandelt. Auf weitere Nachfrage teilte der Kläger mit, er sei zunächst nur von einer Verrenkung ausgegangen, die nach einigen Tage Ruhe wieder verschwinden würde; erst als die Schmerzen unerträglich geworden seien, habe er sich zu Dr. K. begeben. Nach Angabe des Klägers sei eine ärztliche Attestierung seiner Arbeitsunfähigkeit nicht erfolgt, da er als Selbstständiger nicht von einer solchen Notwendigkeit ausgegangen sei. Eine Krankschreibung sei erstmals ab dem 12. August 2002 durch Dr. K. und danach ab 16. August 2002 durch Prof. Dr. F. erfolgt.

Der Kläger befand sich vom 15. bis zum 20. August 2002 in stationärer Behandlung im Universitätsklinikum (Klinik für Neurochirurgie) in M ... Nach der Epikrise von Prof. Dr. F. vom 20. August 2002 lag ein cervikaler Bandscheibenvorfall HWK 6/7 rechts mediolateral vor, der durch Operation am 16. August 2002 therapiert wurde. Die Diagnose erfolgte radiologisch durch Magnetresonanztomographie (MRT) vom 14. August 2002. Bei der Operation erfolgte eine mikrochirurgische ventrale Diskektomie und Implantation eines künstlichen Bandscheibenersatzes in Höhe HWK 6/7.

Prof. Dr. F. ging im Arztbrief vom 26. August 2002 von einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 17. September 2002 und im Arztbrief vom 17. und 30. September 2002 von einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 15. Oktober 2002 aus. Nach seinem Arztbrief vom 18. Oktober 2002 sollte der Kläger bis zum 31. Oktober 2002 nicht mehr als Möbelpacker arbeiten. Schließlich sollte der Kläger nach dessen Arztbrief vom 30. Oktober 2002 das Tragen von Gewichten von mehr als einem kg auf dem Kopf oder im Nacken auf unbefristete Zeit vermeiden. Der Kläger habe nach dem vorgenannten Arztbrief von Prof. Dr. F. berichtet, dass die einstrahlenden Schmerzen in den rechten Arm nicht mehr vorhanden seien und es nur noch unter körperlicher Belastung zu einem lokalen Druckgefühl im Bereich zwischen den Schulterblättern käme.

Dr. K. teilte der Beklagten zunächst telefonisch mit, er führe keine berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren durch und behandle nur unfallfremde Erkrankungen. Im Arztbrief vom 11. November 2002 meinte Dr. K., da der Kläger ein eindeutiges Unfallereignis nicht habe schildern können, sei dieser nicht zum Durchgangsarzt überwiesen, sondern behandelt worden. Die Röntgenaufnahmen der Brustwirbelsäule (BWS) und der rechten Schulter hätten keine knöchernen Verletzungen gezeigt. Der Kläger habe sich am 12. August 2002 erneut wegen akuter Beschwerden im Halswirbelsäulen (HWS)-Bereich nach einer Drehbewegung im Bett vorgestellt. Nach Auswertung der neurologischen Befundberichte sei der Kläger am 15. August 2002 zur Weiterbehandlung in die Neurochirurgie der Universitätsklinik M. überwiesen worden. Da der Kläger mit Nachdruck auf eine Unfallfolge vom 5. Juli 2002 hingewiesen habe, sei ihm eine Überweisung zum Durchgangsarzt ausgehändigt worden. Dr. K. wies darauf hin, dass er keinerlei Behandlung zu Lasten der Berufsgenossenschaft durchgeführt habe. Im Arztbrief vom 11. Februar 2003 teilte Dr. K. mit, dass der Kläger wegen der Folgen des fraglichen Arbeitsunfalls vom 5. Juli 2002 nicht mehr von ihm behandelt werde.

Prof. Dr. W. (Direktor der Universitätsklinik für Unfallchirurgie M.) führte in seinem für die Beklagte erstellten fachchirurgischen Zusammenhangsgutachten vom 14. Juli 2003 zunächst aus, ein Nachweis von degenerativen Veränderungen liege nicht vor. Der Bandscheibenvorfall im Bereich der HWS C 6/C 7 sei allerdings nicht als Folge des Arbeitsunfalls vom 5. Juli 2002 zu bewerten. Das Unfallereignis sei lediglich als Gelegenheitsursache zu betrachten, denn es sei wegen seiner Geringfügigkeit austauschbar mit alltäglichen Ereignissen und Verrichtungen des normalen privaten Lebens, so dass der Gesundheitsschaden mit großer Wahrscheinlichkeit auch ohne Sturz in ungefähr gleichem Ausmaß eingetreten wäre. Die angegebenen Symptome und Beschwerden stünden nicht in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis. Es lasse sich weder klinisch noch radiologisch ein Unfallfolgezustand feststellen, der auf das Ereignis vom 5. Juli 2002 zurückgeführt werden könnte. Angesichts des vorliegenden Unfallmechanismus müsse man von einer Distorsion bzw. Kontusion der rechten Schulter ausgehen mit einer Arbeitsunfähigkeit von ca. 14 Tagen. Ein Grad der Erwerbsminderung werde hierdurch nicht erreicht.

Mit Bescheid vom 22. September 2003, dem Kläger am 20. Oktober 2003 mit Postzustellungsurkunde förmlich zugestellt, erkannte die Beklagte den Unfall vom 5. Juli 2002 als Arbeitsunfall an und lehnte den Antrag auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da angesichts des beschriebenen Geschehensablaufs lediglich von einer Distorsion bzw. Kontusion der rechten Schulter auszugehen sei mit einer Arbeitsunfähigkeit von ca. 14 Tagen nach dem Unfallereignis.

Mit am 21. November 2003 bei der Beklagten eingegangenen Telefax legte der Kläger gegen den Bescheid vom 22. September 2003 schriftlich unter dem Datum 20. November 2003 Widerspruch ein, da er angesichts der erneuerten Bandscheibe seinen Beruf nicht mehr ausüben könne. Nachfolgend trug er zur Begründung weiter vor, dass es durch das Hinfallen einen Knacks im HWS-Bereich gegeben habe und der Bandscheibenvorfall damit nur auf dieses Ereignis zurückzuführen sei, zumal davor im Schulterbereich keine Beschwerden bestanden hätten. Die Sachverständigen seien auch von keinem Vorschaden ausgegangen.

Die Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 19. April 2004 darauf hin, dass für die Schlussfolgerung des austauschbaren Ereignisses durch den Sachverständigen von einer so genannten "stummen" Schadensanlage auszugehen gewesen sei. Unter dem 18. Juni 2004 teilte die Beklagte schließlich mit, die Widerspruchsfrist von einem Monat sei nicht gewahrt, nachdem der Bescheid vom 22. September 2003 am 20. Oktober 2003 bekannt gegeben worden war, das Widerspruchstelefax aber erst am 21. November 2003 bei ihr eingegangen sei. Für den Fall der Rücknahme des Widerspruchs werde der Sachverhalt nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) überprüft.

Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2004 nahm der Kläger seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. September 2003 zurück.

Die Beklagte zog den Arztbrief der Radiologischen Praxis Dres. E. und A. vom 15. August 2002 bei. Nach deren Beurteilung lägen ein deutlicher, rechts mediolateraler Bandscheibenprolaps HWK 6/HWK 7 mit flacher Kompression des Spinalnerves C 7 rechts, sowie eine geringgradige diffuse Bandscheibenprotusion C 5/C 6 vor. Die Beklagte holte von der beratenden OÄ Dr. S. vom Unfallkrankenhaus B. unter dem 11. Oktober 2004 eine weitere Stellungnahme ein.

Dr. S. teilte der Beklagten zur Zusammenhangsbeurteilung mit, dass unfallmäßige Bandscheibenverletzungen meist mit Wirbelkörperfrakturen einhergingen. Isolierte traumatische Bandscheibenverletzungen seien entgegen älterer Lehrmeinungen aufgrund moderner bildgebender Verfahren nicht anzunehmen. Als Unfallfolge erschienen Bandscheibenvorfälle stets mit begleitenden knöchernen oder Bandverletzungen. Für eine Rissbildung in der Bandscheibe bedürfe es auch eines hinreichend schweren Unfallereignisses mit einem bestimmten mechanischen Ablauf. Soweit die typischen begleitenden zum Teil minimalen knöchernen oder Bandverletzungen in den betroffenen Segmenten nicht nachgewiesen werden könnten, sei die Schadensanlage als wesentlich anzunehmen. Deutliche degenerative Veränderungen der HWS im Sinne einer Osteochondrosis C 5/6, C 6/7, einer Retrospondylose C 6/7 mit mediolateralem Bandscheibenprolaps nebst Kompression des Spinalnervs C 7 und einer diffusen Bandscheibenprotusion C 5/6 seien MRT-morphologisch nachgewiesen. Die mehrsegmentalen Bandscheibenvorfälle wie beim Kläger seien typisch bei einer degenerativen Ursache, die bis zum Unfalltag als stumme Schadensanlage vorliege. Nach der MRT hätten auch keine Begleitverletzungen nachgewiesen werden können. Der Kläger habe auch erst am 12. August 2002 Dysästhesien im Bereich der Finger der rechten Hand angegeben, die nach einer Drehbewegung im Bett aufgetreten seien. In Zusammenschau der Befunde und der MRT-Aufnahmen erscheine der Unfallmechanismus des Sturzes nicht geeignet, den Bandscheibenvorfall auszulösen. Da Bandscheibenvorfälle nur zur Hälfte zu Beschwerden führten, könne auch angenommen werden, dass entsprechende Veränderungen auch schon vor dem Unfall vorgelegen hätten. Der Unfall sei daher lediglich Gelegenheitsursache, nicht aber eine wesentliche Ursache oder wesentliche Teilursache für die Entstehung der Bandscheibenvorfälle der HWS.

Mit Bescheid vom 23. November 2004 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 22. September 2003 ab. Entscheidungsgrundlage des zu überprüfenden Bescheids sei das Gutachten von Prof. Dr. W. gewesen. Es sei weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden, daher sei der Bescheid nicht zurückzunehmen. Auch nach erneuter fachmedizinischer Überprüfung der Befunde sei das Unfallgeschehen nicht geeignet, einen Bandscheibenvorfall auszulösen. Es sei auch davon auszugehen, dass degenerative Veränderungen der unteren HWS in Form von Bandscheibenvorfällen C 5/6 und C 6/7 bereits vor dem Unfall vorgelegen hätten, die aber stumm geblieben seien. Der Unfall sei lediglich als Gelegenheitsursache, nicht aber als eine wesentliche Ursache oder Teilursache bei der Entstehung der Bandscheibenvorfälle zu werten.

Am 7. Dezember 2004 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch und trug nachfolgend vor, das Unfallereignis vom 5. Juli 2002 sei für den Bandscheibenvorfall im Bereich der HWS Segment C 6/7 ursächlich, was sich aus dem Gutachten vom 14. April 2003 von Dr. D., erstellt für seine private Versicherung (Volksfürsorge Versicherungsgruppe H.), ergebe. Danach sei er für schwere körperliche Arbeiten vollständig berufsunfähig und für leichte körperliche Tätigkeit zu 30 %. Im Übrigen seien weder durch Dr. K. noch durch Prof. Dr. W. degenerative Veränderungen der HWS festgestellt worden. Der Kläger vertrat die Ansicht, im Nachhinein könne nicht ermittelt werden, ob degenerative Veränderungen im Zeitpunkt des Unfalls vorgelegen hätten. Es sei erwiesen, dass der Bandscheibenvorfall einzig und allein auf der traumatischen Ursache beruhe. Nach dem für die private Versicherung erstellten Gutachten von Dr. D. sei er nicht mehr in der Lage, als Möbelträger zu arbeiten. Es seien ihm nur noch leichte körperliche Arbeiten vier bis sechs Stunden täglich möglich.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2005 unter Hinweis auf das unfallchirurgische Zusammenhangsgutachten der Dres. Prof. W. und M. vom 14. Juli 2003 zurück, da der Unfallhergang nicht geeignet gewesen sei, einen traumatischen Bandscheibenvorfall im Bereich der HWS zu verursachen. Nach den am 14. August 2002 erstellten MRT-Aufnahmen hätten zum Unfallzeitpunkt deutliche degenerative Veränderungen der HWS vorgelegen, die bereits so ausgeprägt gewesen seien, dass es keiner ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung bedurft hätte, um den Körperschaden hervortreten zu lassen. Andere Bewegungsabläufe des täglichen Lebens würden zeitnah zu demselben Ergebnis geführt haben. Das Gutachten vom 14. April 2003 enthalte keine wesentlichen Ausführungen zur Zusammenhangsfrage, insbesondere entsprechend den kausalen und rechtlichen Bewertungskriterien der gesetzlichen Unfallversicherung. Für die Begutachtungen sei auch zu berücksichtigen, dass diese erst nach der Operation zur Bandscheibenentfernung und Einbringung einer Bandscheibenprothese vom 16. August 2002 erfolgt seien.

Der Kläger hat mit der am 17. Mai 2005 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage sein Begehren weiterverfolgt. Er hat unter anderem vorgetragen, dass der bei seinem Zivilklageverfahren gegen die private Versicherung gehörte Gutachter Prof. Dr. H. festgestellt habe, bei Vorliegen von Überraschungsmomenten, wie bei einem Ausrutschen oder Beinahesturz, könne das Schadensbild einer traumatischen Bandscheibenschädigung ausgelöst werden. Dieser Gutachter habe auch erklärt, eine kategorische Leugnung des Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Bandscheibenzerreißung sei nicht gerechtfertigt. Der Kläger meint unter Bezugnahme auf das Sachverständigengutachten für das Zivilverfahren, hier seien die besonderen Umstände geeignet, kausal den Schaden an seiner HWS herbeizuführen.

Nach dem klägerseits vorgelegten Gutachten von Prof. Dr. H. vom 9. August 2005, welches anlässlich des Zivilverfahrens gegen die Volksfürsorge Deutsche Lebensversicherung AG vor dem Landgericht Magdeburg eingeholt worden war, könnten nach der heutigen Lehrmeinung normale gesunde Bandscheiben allein niemals bei einem Unfall geschädigt werden. In der Regel sei bei einer Bandscheibenschädigung entweder eine Bandzerreißung oder ein knöcherner Ausriss gegeben. Es sei aber möglich, dass es bei einer plötzlich auftretenden Kraft aufgrund der großen Irritation zu einer Überspannung kommen könne, was schließlich zu kleineren oder größeren Einrissen führen würde. Dies werde etwa für Fälle schwerer Stauchungen der LWS bei Stürzen, beim Überschlagen oder beim Hinausschleudern aus einem offenen Wagen bejaht.

Im Beweistermin am 16. Januar 2006 vor dem Landgericht Magdeburg hat der dortige Sachverständige Prof. Dr. H. unter Bezugnahme auf Schönberger/Mehrtens/Valentin erläutert, es gebe wenige Ausnahmefälle für eine alleinige Schädigung der Bandscheibe bei extremen Belastungen, da es bei traumatischen Ereignissen grundsätzlich zu knöchernen Verletzungen komme. Voraussetzung für eine derartige Ausnahme sei, dass es sich um ein geeignetes Unfallereignis handeln müsse, bei dem es sofort zur Ausbildung eines klinischen Befundes mit neurologischen Ausfällen komme. Aus generellen Überlegungen heraus könne er den Bandscheibenvorfall als Folge des Unfalls nicht ausschließen.

Auf Hinweis des Sozialgerichts hat der Kläger am 16. August 2006 nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt, Prof. Dr. H. gutachtlich zu hören, worauf mit gerichtlichem Schreiben vom 2. Oktober 2006 vom Kläger ein Kostenvorschuss i.H.v. 1100,- EUR gefordert worden ist. Trotz Zahlungserinnerungen hat der Kläger den Vorschuss zunächst nicht geleistet. Nach Ladung zur mündlichen Verhandlung am 8. April 2008 mit Schreiben vom 4. März 2008 hat der Kläger schließlich am 27. März 2008 den angeforderten Kostenvorschuss eingezahlt.

Die Beklagte hat sich zur Sache auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides bezogen und darauf hingewiesen, dass das Gutachten von Prof. Dr. H. nicht den Beweisanforderungen bzw. der Kausalitätslehre der Gesetzlichen Unfallversicherung entspreche. Ausweislich des MRT-Befundes vom 14. August 2002 seien deutliche degenerative Veränderungen der unteren HWS in Gestalt einer bisegmentalen Bandscheibenprotusion bei C 5/6 und C 6/7 sowie weitere degenerativer Veränderungen der HWS bewiesen.

Mit Urteil vom 8. April 2008 hat das Sozialgericht Magdeburg die Klage abgewiesen und den Antrag nach § 109 SGG auf Anhörung von Prof. Dr. H. abgelehnt. Es stehe zur Überzeugung der Kammer nicht mit Wahrscheinlichkeit fest, dass ein Abstützen mit dem rechten Arm auf dem Boden die rechtlich wesentliche Bedingung für den Vorfall der Bandscheibe C 6/7 gewesen sei. Nach dem MRT-Befund lägen degenerative Veränderungen vor, die nach unfallmedizinischer Erfahrung nicht durch ein wenige Wochen zurückliegendes Ereignis hervorgerufen werden könnten. Die im Rechtsstreit mit der privaten Versicherung eingeholten Gutachten von Dr. D. und Prof. Dr. H. enthielten zur Frage des wesentlichen ursächlichen Zusammenhangs keine nachvollziehbare Auseinandersetzung, ob das Ereignis vom 5. Juli 2002 mit Wahrscheinlichkeit die wesentliche Bedingung für den Bandscheibenvorfall C 6/7 gewesen sei, sondern behandelten die Frage der Berufsunfähigkeit des Klägers, inwiefern dieser noch in der Lage gewesen sei, Tätigkeiten auszuüben. Der Antrag nach § 109 SGG habe sich erledigt, da der Kostenvorschuss auch auf die Erinnerungen durch das Gericht nicht geleistet worden sei. Soweit erst nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung der Vorschuss eingezahlt worden sei und darin im Wege der Auslegung ein weiterer Antrag gesehen werden könne, sei dieser nach freier Überzeugung des Gerichts aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden. Die Zulassung des Antrages hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, da die mündliche Verhandlung bereits terminiert gewesen sei.

Gegen das ihm am 15. April 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. Mai 2008 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Zur Berufungsbegründung nimmt der Kläger unter umfangreicher Zitierung Bezug auf das vom Landgericht Magdeburg eingeholte Gutachten von Prof. Dr. H. und meint, es müsse ein Obergutachten eingeholt werden, da das Sozialgericht sich nicht ohne Hinzuziehung von Prof. Dr. H. oder eines anderen Sachverständigen mit den Argumenten des Gutachtens habe auseinandersetzen dürfen. Es sei die Würdigung des Landgerichts im dortigen Zivilverfahren zu übernehmen. So habe das Landgericht darauf hingewiesen, dass er nicht mehr als Möbelpacker tätig werden könne und dass dies unfallbedingt sein dürfe. Im Übrigen seien die Beweisanforderung bzw. Beweisregeln im Zivilverfahren und im vorliegenden Verfahren identisch. Da Prof. Dr. H. degenerative Veränderungen als wesentliche Ursache für den Bandscheibenvorfall habe ausschließen können, könne im Umkehrschluss die Feststellung getroffen werden, dass er - der Kläger - am 5. Juli 2002 unfallbedingt einen Bandscheibenvorfall erlitten habe. Ohne den Unfall wäre es ohne jeden Zweifel nicht zum Bandscheibenvorfall gekommen.

Der Kläger beantragt seinem Vorbringen nach,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 8. April 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 23. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Abänderung ihres Bescheides vom 22. September 2003 den Vorfall der Bandscheibe zwischen Halswirbelkörper 6 und 7 als Folge des anerkannten Unfalls vom 5. Juli 2002 festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und verteidigt es. Es könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Bandscheibenschaden an der HWS rechtlich wesentlich kausal auf das geltend gemachte Ereignis vom 5. Juli 2002 zurückzuführen sei. Unter Berücksichtigung unfallmedizinischer Erfahrungswerte sprächen gegen das Vorliegen einer traumatisch bedingten Bandscheibenschädigung der ungeeignete Geschehensablauf, das Fehlen begleitender knöcherner bzw. ligamentärer Verletzungen und die nachgewiesenen vorbestehenden degenerativen Veränderungen im Bereich der betroffenen HWS. Weder Prof. Dr. H. noch Dr. D. hätten in ihren Gutachten für den Zivilrechtsstreit den rechtlich wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen Unfallgeschehen und Gesundheitsschaden explizit diskutiert.

Auf Anfrage des Berichterstatters hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2009 klargestellt, dass das Geschehen vom 5. Juli 2002 als Arbeitsunfall anerkannt worden ist, dieser jedoch lediglich zu einer Schulterdistorsion bzw. -kontusion rechts mit einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit von ca. 14 Tagen ab dem Unfalltag geführt habe.

Der Senat hat den Operationsbericht vom 16. August 2002 von Prof. Dr. F. sowie den Arztbericht von Prof. Dr. D. vom 18. August 2002 der Neuropathologie der O.-v.-G.-Universität beigezogen. Letztgenannter hat das entnommene Bandscheibengewebe untersucht und eine mäßiggradig degenerativ veränderte Bandscheibe mit diffuser Pseudozystenbildung mikroskopisch festgestellt.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 25. Januar 2011 sein Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt und seinen Antrag nach § 109 SGG ausdrücklich zurückgenommen. Die Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 9. Februar 2011 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Beklagten (hier: Unfallakte mit Az. ), die sämtlich Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die gemäß § 143 SGG statthafte und nach § 151 SGG im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet, da der Bescheid der Beklagten vom 23. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2004 nicht rechtswidrig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger kann die Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides (§§ 77, 85, 87 SGG) vom 22. September 2003 nicht verlangen, da die Beklagte darin den Bandscheibenvorfall C 6/7 zu Recht nicht als Folge des Arbeitsunfalls vom 5. Juli 2002 festgestellt hat.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, sofern sich ergibt, dass bei Erlass eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, dieser Verwaltungsakt zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Auch nach Durchführung der Beweisaufnahme lassen sich keine Tatsachen erkennen, nach denen der Bescheid vom 22. September 2003 rechtswidrig wäre. Die Beklagte hat zu Recht den Anspruch auf Feststellung des Bandscheibenvorfalls C 6/7 als zusätzliche Folge des Arbeitsunfalls vom 5. Juli 2002 abgelehnt, weil der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem nachgewiesenen Bandscheibenprolaps als Unfallfolge nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bewiesen ist.

Es bestehen bereits ernste Zweifel gegen den Zusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, da das Unfallereignis hinweggedacht werden kann, ohne dass der Bandscheibenvorfall konkret entfällt. Zunächst gibt der Kläger kein einheitliches Unfallgeschehen an, da er, wie bereits im sozialgerichtlichen Urteil festgestellt, einmal davon ausgeht, sich mit dem rechten Arm auf dem Boden abgestützt zu haben, an anderer Stelle gegenüber den Ärzten erklärt, mit der rechten Hand das Sofa oder den Sessel aufgefangen zu haben, wodurch es einen Ruck gegeben habe. Die beiden Sachverhaltsversionen wirken unterschiedlich auf den rechten Arm bzw. die rechte Schulter; bei der ersten Variante erfährt der Arm eine Stoßbelastung durch das Eigengewicht und das getragene Gewicht, während beim Auffangen bzw. Nachgreifen eine Zugbelastung im Arm entsteht. Selbst wenn die erste Sachverhaltsvariante als gegeben unterstellt wird, erscheint die einwirkende Kraft und damit das Trauma nicht so extrem wie bei den für die Annahme eines isolierten Bandscheibentraumas angeführten Ausnahmefällen. Es bestehen somit auch erhebliche Zweifel, ob die Intensität des Unfallereignisses überhaupt geeignet war, den Ausnahmetatbestand einer isolierten traumatischen Bandscheibenverletzung herbeizuführen.

Zudem fehlt jeglicher zeitnahe Erstbefund. Der Kläger hat sich erst am 16. Juli 2002 zu Dr. K. begeben, der von keinem Arbeitsunfall ausging und den Kläger deswegen auch nicht zu einem D-Arzt überwies. Dr. K. hat zu dieser Zeit auch noch keinen Bandscheibenvorfall diagnostiziert, sondern ein HWS-Arm-Syndrom rechts, eine Blockierung im HWS-BWS-Übergang und eine unausgewogene Muskulatur. Keine dieser Diagnosen ist später widerlegt worden; keines dieser Krankheitsbilder ist an einen Bandscheibenvorfall gebunden. Die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls ist erstmals am 14. August 2002 durch Dr. D. und aufgrund des MRT-Befundes erhoben worden, nicht aber in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis. Im Übrigen spricht auch der Umstand, dass neurologische Ausfälle in Form von Dysästhesien nach einem Umdrehen im Bett erst am 12. August 2002 auftraten, gegen den geltend gemachten Ursachenzusammenhang. Da Bandscheibenvorfälle nicht durch markante Ereignisse ausgelöst werden müssen und neurologische Ausfälle erst vom 12. August 2002 an beschrieben sind, kann der Bandscheibenvorfall auch erst zu dieser Zeit - hervorgerufen durch das Umdrehen im Bett - aufgetreten sein. Die bloße Möglichkeit reicht aber nicht aus, um nach dem Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einen Beweis zu führen. Insoweit liegen dem Sachverhalt auch keine widersprüchlichen ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen zugrunde. Nach keinem der vorliegenden Gutachten oder Stellungnahmen wäre eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zu bejahen. Selbst Prof. Dr. H. geht lediglich von einer Möglichkeit der Verursachung durch den Sturz am 5. Juli 2002 aus, indem er ausführt, dass er einen Bandscheibenvorfall als Unfallfolge nicht ausschließen könne.

Weitere medizinische Ermittlungen waren hier von Amts wegen nicht veranlasst, zumal sich die zugrunde liegenden Gutachten in den streitentscheidenden Punkten nicht widersprechen. Das Sozialgerichtsverfahren kennt auch kein "Obergutachten". Den Antrag nach § 109 SGG hat der Kläger ausweislich seines Schriftsatzes vom 25. Januar 2011 zurückgenommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
Saved