L 6 U 85/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 79/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 85/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid vom 1. Dezember 2003 abgeändert wird.

Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob Unfallfolgen aus einem Arbeitsunfall verblieben sind und deshalb eine Verletztenrente zu zahlen ist.

Der 1961 geborene und seinerzeit bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend: die Beklagte) als selbstständiger Monteur für Klimaanlagen versicherte Kläger wurde am 16. Juni 2000 gegen 8.20 Uhr auf dem K. in B. auf versichertem Weg am rechten Ellenbogen vom rechten Außenspiegel eines Kleintransporters erfasst, als er sich zu einem Verkaufsstand gedreht, so mit dem Rücken zur Fahrspur befunden und eine Zigarette angezündet hatte (Unfallschilderungen des Klägers vom 8. Januar, 16. April und 30. Mai 2002 sowie schriftliche Aussage der Unfallzeugin G. R. vom 3. September 2000). Unmittelbar danach begab er sich zu seiner Hausärztin, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. S., die in der Patientenakte "Epicond. ulnaris" bzw. "Schmerzen am Epicond. ulnaris re." (so in der handschriftlichen Notiz vom 3. Januar 2002 und im Attest vom 4. Februar 2003) vermerkte. Der auf ihre Veranlassung vom Kläger aufgesuchte Facharzt für Chirurgie und D-Arzt S. fand röntgenologisch keinen Frakturanhalt, legte einen elastischen Verband an und stellte die Diagnose einer Distorsion des rechten Ellenbogengelenks (Kurzbrief vom 16. Juni 2000).

Unter dem 21. bzw. 26 Juni 2000 notierte Dipl.-Med. S. eine "springende" bzw. schmerzhafte Sehne (so Attest vom 4. Februar 2003) sowie eine muskuläre Dysfunktion und überwies den Kläger an den Orthopäden Dr. F., bei dem sich der Kläger erstmals am 27. Juni 2000 vorstellte. Dieser diagnostizierte eine Ellenbogenkontusion rechts und eine Ulnarisparese. Der Kläger habe Schmerzen am rechten Ellenbogen sowie eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung angegeben. Er habe keine Kraft beim Faustschluss in der rechten Hand und könne mit ihr nicht mehr richtig zufassen; das Gefühl in den Fingern sei wie taub. Klinisch hielt Dr. F. für die Kontrolluntersuchung am 19. Juli 2000 eine normgerechte Ellenbogengelenkbewegung für die Streckung und Beugung sowie die Unterarmdrehung mit Überstreckungs-, aber ohne Beugeschmerz sowie einem Druckschmerz im Bereich des sulcus Nervus ulnaris fest. An der rechten Handaußenseite und am rechten Ring- und Kleinfinger bestehe eine Überempfindlichkeit (Bericht vom 30. Juli 2002).

Nachfolgend befand sich der Kläger am 31. Juli, 6. September und 8. Dezember 2000 sowie am 12. Februar 2001 auch in Behandlung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. R., gegenüber der er eine Schwellung sowie ein Hämatom im Bereich der Innenseite des Epicondylus und seither bestehende Schmerzen angab. Auf Grundlage der von ihr erhobenen klinischen und elektrophysiologischen Befunde stellte Dr. R. die Diagnose eines deutlichen Ellenrinnensyndroms rechts mit Funktionsstörung des Ellennervs und empfahl eine operative Intervention. Diese erfolgte unter der Diagnose eines Sulcus nervi ulnaris-Syndroms rechts erstmals am 6. Oktober 2000 im S. Klinikum D ... Laut Operationsbericht wurden intraoperativ ausreichende Platzverhältnisse im Sulcusbereich und eine starke Einengung des Nervs in Richtung der proximalen (zum Ellenbogen hin gelegenen) Unterarmfaszienlogen vorgefunden, so dass auf eine Verlagerung nach volar (hohlhandwärts) verzichtet und eine Befreiung des im Sulcus und am proximalen Unterarm deutlich eingeklemmten Nervs erfolgt sei. Eine weitere Operation wurde dort am 23. Februar 2001 mit Denervierung des Epicondylus bei intaoperativ angetroffener Narbenverdickung im Bereich des Sulcusdachs, der dritte operative Eingriff mit Volarverlagerung des Nervs am 14. September 2001 im Bundeswehrkrankenhaus U. vorgenommen. Zuvor hatte Prof. Dr. H. (Neurologische Klinik der W.-Z. Kliniken W.) aufgrund seiner ambulanten Untersuchungen am 15. Mai und 3. Juli 2001 ein Sudeck-Syndrom (complexes regionales Schmerzsyndrom – CRPS – Typ I) diagnostiziert.

Am 18. Januar 2002 erfolgte im Bundeswehrkrankenhaus U. zudem eine Narkosemobilisation des rechten Arms. Im entsprechenden Heilverfahrensbericht vom 29. August 2002 wurde u.a. ausgeführt, dass postoperativ zum 14. September 2001 wieder die Sudeck´sche Symptomatik aufgetreten sei. Am 15. November 2001 habe sich erneut eine deutliche Schwellung der rechten Hand mit erheblichem Streck- und Beugedefizit der Finger gezeigt. Am 17. Dezember 2001 sei eine Gesamtverschlechterung mit u.a. passiv schmerzhafter Bewegungsfähigkeit des rechten Ellenbogens eingetreten. Am 16. Januar 2002 hätten eine maximale Beugekontraktur der Finger II bis V, eine minimale Beweglichkeit des rechten Ellenbogengelenks, eine Hebung des rechten Arms in der Schulter nach vorn/hinten von 80-0-30° und seit-/körperwärts von 45-0-10° sowie eine strumpfförmige Sensibilitätsstörung vom Oberarm bis in die Fingergelenke bestanden (Bericht vom 13. Februar 2002).

Vom 4. April bis 16. Mai 2002 befand sich der Kläger unter den Diagnosen Morbus Sudeck III.° des rechten Arms sowie Zustand nach Dekompressionsoperation stationär in den Rehabilitationskliniken H. F. B ... Als Abschlussbefund sind im Entlassungsbericht vom 21. Juni 2002 u.a. ein Gang des Klägers mit angewinkeltem rechten Unterarm von 60° Beugung im rechten Ellenbogengelenk, ein inkompletter Faustschluss, eine nicht mögliche aktive Fingerstreckung, eine aktive Streckung/Beugung des Ellenbogengelenks von 0-65-130°, eine Innen-/Außendrehung von 80-0-70°, eine Hyperalgesie im Narbenbereich des rechten Ellenbogengelenks sowie eine leicht schweißige Haut des Arms dokumentiert.

Zur Feststellung und Bewertung der Unfallfolgen ließ die Beklagte den Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. S. nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 21. November 2002 das Gutachten vom 28. Dezember 2002 nach neurologisch-psychiatrischer Zusatzbegutachtung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. K. nebst ergänzender Stellungnahmen vom 12. März und 8. April 2003 fertigen. Prof. Dr. K. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 30. November 2002 nach ambulanter Untersuchung des Klägers und elektromyo-/elektroneurographischer Zusatzuntersuchung durch Prof. Dr. F. (Universitätsklinik für Neurologie II M.) im Ergebnis ein traumatisches Sulcus ulnaris-Syndrom rechts nach Bagatelltrauma bei Zustand nach dreimaliger Operation sowie eine sympathische Reflexdystrophie (CRPS) des rechten Arms. Das sensible Restsyndrom des Sulcus nervi ulnaris-Syndroms stehe in ursächlichem Zusammenhang mit dem am 16. Juni 2000 geschehenen Unfall. Unfallunabhängige Schäden seien aus nervenärztlicher Sicht nicht zu erkennen. Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in vom Hundert (vH) sei aus neurologischer Sicht nicht messbar. Zum Unfallhergang habe der Kläger u.a. mitgeteilt, er sei nach dem Anprall des Spiegels am Ellenbogen in die Hocke gegangen und habe sofort einen pochenden Schmerz verspürt. Der rechte Arm sei bis zur Hand angeschwollen und "blitzeblau" geworden.

Dr. S. beschrieb ein Gangbild des Klägers mit einem im Ellenbogengelenk in 70° Beugestellung am Körper geführten rechten Arm. Die Haut des rechten Armes vom Ellenbogen bis zur Hand sei marmoriert mit deutlich vermehrter Befeuchtung an der Beugeseite. Die Haut der Zwischenfingerfalten sei leicht mazeriert (mehlig-gelblich); die Fingernägel seien rechts deutlich länger als links. Die aktive Beweglichkeit des Arms im rechten Schultergelenk sei auf ein Minimum eingeschränkt; passiv seien Bewegungen bis zu einem Drittel der Normalmaße erreichbar. Die Beugefähigkeit im rechten Ellenbogengelenk sei frei; für die Streckung bestehe ein Defizit von 40°. Der Umfang des rechten Ellenbogens sei gegenüber links um 4 cm vermehrt. Der aktive Faustschluss werde rechts unvollständig ausgeführt; die speziellen Griffarten der rechten Hand seien aktiv nicht möglich. Röntgenologisch zeige sich eine deutliche mittelfleckige Kalksalzminderung der rechten Hand. Auf den Aufnahmen vom Unfalltag sowie vom 27. Juni 2000 (Dr. F.) sei ein unauffälliges Ellenbogengelenk ohne Hinweise auf vorauseilende degenerative Veränderungen oder Frakturen zu erkennen. Im Ergebnis liege beim Kläger im Bereich des rechten Arms das typische Vollbild eines CRPS Stadium II vor. Die Symptomatik lasse sich bis zur erstmaligen Diagnose zurückverfolgen. Der Zeitpunkt der Manifestation des CRP S spreche eher gegen einen (direkten) Ursachenzusammenhang. Allerdings könnten auch Bagatellverletzungen Anlass für die Entwicklung einer Sudeck´schen Dystrophie sein. Somit sei eine Verursachung des CRPS durch das Engpasssyndrom des rechten Ellennervs bzw. durch seine operative Behandlung zu erwägen. Ein am 10. November 1999 erlittener Unfall des Klägers mit Beteiligung des rechten Arms könne außer Betracht bleiben. Sichere Hinweise dafür, dass das Engpasssyndrom Folge einer Verletzung sei, lägen jedoch nicht vor. Ein unfallbedingter Primärschaden sei insoweit nämlich nicht gesichert. Die Angaben der Hausärztin seien unergiebig. Zudem sei ein Ellenrinnensyndrom erst fünf Wochen nach dem Unfall von Dr. F. diagnostiziert worden, der bei der Erstvorstellung am 19. Juli 2000 keine verletzungsspezifischen Befunde erhoben habe. Auch der Operationsbericht vom 6. Oktober 2000 enthalte keine Hinweise auf eine verletzungsbedingte Einengung des Ellennervenkanals durch eine Prellung, Einblutung oder eine Schädigung des umgebenden Hüll- und Bindegewebes. Zudem sei er widersprüchlich, da einerseits eine Einengung nicht beschrieben, andererseits von einem eingeklemmten Nerv die Rede sei. Insgesamt sei es naheliegend, dass es im Anschluss an das Unfallereignis vom 16. Juni 2000 – möglicherweise durch eine zusätzliche äußere Einwirkung – zur Manifestation eines vorbestehenden Engpasses im Sinne einer Gelegenheitsursache gekommen sei, wobei eine stumme Einengung nicht belegt sei. Werde der Ursachenzusammenhang bejaht, sei die MdE um 50 vH zu bewerten.

Vom 6. bis 17. Januar 2003 wurde der Kläger stationär in der Klinik für Plastische und Handchirurgie der B. Kliniken B. H. (Bergmannstrost) behandelt. Am 10. sowie 17. Juli 2003 wurde bei ihm in der Klinik für Neurochirurgie des S. Klinikums M. ein Perineuralkatheter mit einem Portsystem gelegt, das wegen Vereiterung später wieder entfernt werden musste.

Auf Veranlassung der Beklagten erstellten die Orthopäden Dres. B. und S. nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 1. Oktober 2003 das Gutachten vom 13. Oktober 2003. Diese sind im Ergebnis zu der Einschätzung gelangt, der Unfall am 16. Juni 2000 habe zu einer (harmlosen) Prellung des rechten Ellenbogens geführt. Bezüglich der Primärverletzung seien die Aufzeichnungen der Hausärztin hinsichtlich einer "Epikond. ulnaris" relevant. Folglich müsse davon ausgegangen werden, dass eine Beschwerdesymptomatik an der Innenseite des rechten Ellenbogens bestanden habe. Eine solche Schädigung sei beim Unfallereignis aber nicht möglich gewesen. Denn der Kläger habe zum Unfallhergang u.a. angegeben, er sei vom Außenspiegel vorn/seitlich am Ellenbogen "erwischt" worden. Gegen eine (direkte) unfallbedingte Hervorrufung der Sudeck´schen Heilentgleisung spreche der Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung der Symptomatik im Frühjahr 2001, so dass sie letztlich den operativen Behandlungsmaßnahmen zur Beeinflussung des unfallunabhängigen Sulcus ulnaris-Syndroms zuzuordnen sei. Die weiterbestehende Arbeitsunfähigkeit sei somit durch eine schicksalhafte Erkrankung bedingt. Im Anerkennungsfall liege eine MdE um 50 vH vor. Als klinischen Untersuchungsbefund beschrieben die Sachverständigen einen vom Kläger rechtwinklig gebeugt am Körper gehalten rechten Arm. Der Arm sei insbesondere im Bereich des Ellenbogengelenks, des Unterarms und der Hand mit zum Teil livide verfärbter Hand erheblich geschwollen. Die Beweglichkeit der rechten Schulter sei auch bei geführter Funktionsprüfung hochgradig, die Drehfähigkeit des rechten Unterarms bei passiver Funktionsprüfung endgradig eingeschränkt. Im Bereich der Langfinger der rechten Hand bestehe passiv eine endgradige Bewegungsstörung.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 2003 erkannte die Beklagte den Unfall vom 16. Juni 2000 mit einer folgenlos ausgeheilten Prellung des rechten Ellenbogens in der Sache als Arbeitsunfall an und lehnte die Gewährung einer Verletztenrente ab. Keine Folgen des Arbeitsunfalls seien die hochgradige Bewegungseinschränkung des rechten Schulter- und Ellenbogengelenks sowie die Gebrauchsunfähigkeit der rechten Hand, die zwar durch ein Einklemmen des rechten Ellennervs und der nachfolgenden Behandlung verursacht worden seien. Eine unfallbedingte Verletzung des Ellennervs seinerseits sei jedoch nicht belegt.

Hiergegen erhob der Kläger am 30. Dezember 2003 Widerspruch. Zur Begründung bezog er sich vor allem auf das im Rahmen eines vor dem Landgericht D. (6 O 1366/01) wegen des Unfalls durchgeführten Zivilverfahrens erstellte Gutachten des Direktors des Zentrums für Rückenmarkverletzte und Klink für Orthopädie des B. Dr. R. vom 22. Januar 2004, welches er der Beklagten überließ. Hierin war von Dr. R. auf Grundlage seiner ambulanten Untersuchung des Klägers am 11. Dezember 2003 eingeschätzt worden, dass der Morbus Sudeck Folge des Arbeitsunfalls vom 16. Juni 2000 sei. Nach der Ellenbogenkontusion habe sich ein Nervus-ulnaris-Syndrom mit nachfolgender Entstehung des Morbus Sudeck entwickelt.

Mit dem Kläger am 2. August 2004 zugegangenem Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2004 wies die Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung ihrer Darlegungen im angefochtenen Bescheid als unbegründet zurück. Ergänzend führte sie aus, das Gutachten Dr. R.s überzeuge vor dem Hintergrund der im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsanforderungen nicht. Ohne sich mit der Frage eines erwiesenen Erstkörperschadens auseinanderzusetzen, unterstelle er lediglich eine primäre Ellennervenschädigung.

Am 2. September 2004 hat der Kläger zur Weiterverfolgung seines Anliegens beim Sozialgericht (SG) D. Klage erhoben und geltend gemacht, Dr. R. habe eine Nervenkompression aufgrund innerer Umstände ausgeschlossen.

Das SG hat vom Oberlandesgericht N. das von diesem im Berufungsverfahren gegen das landgerichtliche Urteil (6 U 152/04) eingeholte Gutachten des (früheren) Direktors der Universitätsklinik und Poliklinik für Neurochirurgie H. Prof. Dr. B. vom 10. August 2005 beigezogen. Darin hatte dieser dargelegt, die am 16. Juni 2000 erlittene Prellung habe zu einer Irritation des in seinem knöchernen Kanal außerordentlich exponierten, nur durch zarte bindegewebige Strukturen sowie der Haut gedeckten und dadurch auch vulnerablen (leicht verletzbaren) Ellennervs geführt. Nachfolgend habe sich beim Kläger bei entsprechender Disposition das CRPS entwickelt, dessen Entstehen ohne das Trauma mit Sicherheit auszuschließen sei.

Die Beklagte hat den Aktenvermerk über das Gespräch mit dem Fahrer des Transporters vom Unfalltag (M. S.) vom 26. Juli 2006 vorgelegt, wonach dieser in Schrittgeschwindigkeit gefahren sei und das vorstellbare Unfallereignis nicht bemerkt habe, zumal der Außenspiegel nicht weggeklappt gewesen sei. Als er verkehrsbedingt gehalten habe, sei der Kläger hinter ihm her- und auf ihn zugekommen (ebenso Schilderung der Unfallzeugin Richter vom 3. September 2000 sowie Angaben des Klägers vom 16. April und 30. Mai 2002) und habe angegeben, von ihm angefahren worden zu sein (ähnlich Angaben des Beschuldigten vom 31. Juli 2000 gegenüber dem Polizeirevier B.).

Weiterhin hat die Beklagte dem SG die beratende (gutachtliche) Stellungnahme des Unfallchirurgen Prof. Dr. T. vom 14. August 2007 übersandt und sich dessen Ausführungen zu Eigen gemacht. Prof. Dr. T. hat die Ansicht vertreten, das nach dem Unfallhergang eine Anprallverletzung im innenseitigen Ellenbogengelenkbereich auszuschließen sei. Diskussionswürdig sei lediglich, ob die Ellenbogenprellung zu einer Einblutung bzw. Schwellung im Bereich des Ellennervs geführt habe, so dass es zu dessen Kompression gekommen sei. Ein Primärschaden des Ellennervs sei jedoch nicht nachgewiesen. Die Hausärztin habe eine Epicondylitis bzw. Gefühlsstörungen im Handbereich nämlich erst für den 27. Juni 2000 verzeichnet. Dergleichen habe nach ihr aber auch schon im Dezember 1999 vorgelegen. Insofern sei von einem leicht ansprechbaren Ellennervenkompressionssyndrom bei anlagebedingter Neigung auszugehen.

Nachfolgend hat das SG von Dr. R. nach ambulanter Untersuchung am 9. Januar 2007 das Gutachten vom 18. Januar 2007 eingeholt. Dieser hat beim Kläger eine Sudeck-Dystrophie bestätigt, welche mit einer MdE um 40 vH zu bewerten sei. Als Erstschaden sei von einer Oberarmprellung an der Rückseite des rechten Ellenbogengelenks mit Betroffenheit des Nervus ulnaris auszugehen, was auch mit der nochmaligen Unfallschilderung des Klägers ihm gegenüber konform gehe. Dieser habe angegeben, vom Spiegel des zurücksetzenden Transporters am Ellenbogen getroffen worden zu sein. Demgegenüber könne eine Prellung der Außenseite des Oberarms zu keiner Irritation des Nervus ulnaris führen. Dr. F. habe auch Funktionsstörungen dieses Nervs im Sinne von Sensibilitätsstörungen beschrieben. Damit sei auch die Kausalkette zwischen der anerkannten Oberarmprellung an der Rückseite des Ellenbogens und der Nervschädigung wahrscheinlich. Infolge der Operationen habe sich dann die Sudeck-Dystrophie des gesamten Arms entwickelt. Eine Autoimmunschwäche, rheumatische Erkrankungen oder Formfehlbildungen im Bereich des rechten Ellenbogens lägen beim Kläger ebenso wenig vor wie Durchblutungsstörungen oder Hinweise auf systemische Nervenerkrankungen. Den klinischen Befund hat Dr. R. nahezu identisch zu seiner Untersuchung am 11. Dezember 2003 erhoben. Die Finger II bis IV rechts seien aktiv nicht streckbar. Der rechte Unterarm weise eine marmorierte Hautfarbe mit deutlichen trophischen Störungen, vermehrter Schweißneigung sowie gesteigertem Haarwachstum auf. Die Umfangvermehrung des rechten Armes gegenüber links betrage im Oberarmbereich 2 cm, im Ellenbogengelenk 5 cm und im Unterarmbereich 4 cm. Die 15 cm lang mediolateral verlaufende Narbe sei druckschmerzhaft, gerötet und schmerzbedingt nicht verschieblich. Das rechte Schultergelenk sei schmerzhaft wackelbeweglich. Abduktionsbewegungen seien bis maximal 10° möglich; der Kläger halte die Schulter in maximaler Innenrotation. Die Beweglichkeit des rechten Ellenbogengelenks betrage für die Streckung/Beugung 90-0-90° und für die Einwärts-/Auswärtsdrehung 10-0-5°. Die Bewegung handrück-/hohlhandwärts sei passiv mit 30-0-10°, speichen-/ellenwärts unter Schmerzangabe mit 10-0-10° möglich. Die Fingerstreckung sei passiv bis maximal 40°, die Beugung in den Mittel-, End- und Grundgelenken der Finger II bis IV möglich.

Die Beklagte hat hierzu eingewandt, das von Dr. R. nunmehr angenommene Rückwärtsfahren des Transporters widerspreche nicht nur sämtlichen bisherigen Unfallschilderungen, sondern auch seiner eigenen Argumentation im Gutachten vom 22. Januar 2004.

Mit Urteil vom 30. Mai 2007 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 1. Dezember 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2004 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab Januar 2002 Verletztenrente nach einer MdE von 40 vH zu zahlen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf die Ausführungen von Dr. R. in dessen Gutachten vom 18. Januar 2007 gestützt.

Gegen das ihr am 22. Juni 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. Juli 2007 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Ansicht Berufung eingelegt. Sie rügt, Dr. R. habe in seinem für das SG erstatteten Gutachten die von den Dres. S., B. und S. sowie Prof. T. aufgezeigten Bewertungsaspekte ignoriert.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 30. Mai 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die Entscheidung des SG. In seiner auf Anforderung des Senats abgegebenen Unfallschilderung vom 24. April 2008 hat der Kläger nochmals angegeben, im Moment des Aufpralls einen durchdringenden Schmerz im gesamten rechten Arm verspürt und ein lautes Klicken gehört zu haben (ebenso Angaben der Unfallzeugin Richter vom 3. September 2000). Bei der hervorgerufenen Vierteldrehung habe er gesehen, wie der Außenspiegel des Transporters wieder in seine Ursprungsstellung zurückgeschnellt sei. Er sei vor Schmerz in die Hocke gegangen. Bei dem von Dr. R. angegebenen Zurücksetzen des Transporters handle es sich offenbar um einen Schreibfehler. Entsprechendes habe er gegenüber dem Sachverständigen nicht geäußert.

Der Senat hat von Dipl.-Med. S. sowie dem Chirurgen Dr. B. weitere Behandlungsaufzeichnungen über den Kläger beigezogen: Nach dem D-Arztbericht vom 17. November 1999 hatte sich dieser am 10. November 1999 beim Versuch, ein ca. 250 kg schweres Klimagerät abzufangen, eine Zerrung des rechten Bizeps zugezogen. Die am Unfalltag aufgesuchte Hausärztin hatte Schmerzen im rechten Bizepsbereich, einen Nervenschmerz bis in die rechte Hand mit Kraftminderung, eine Zerrung der Armnervenstränge sowie eine Kontusion der rechten Hand dokumentiert und keinen Anhalt für eine Sehnenruptur gesehen. In seinem Nachschaubericht vom 24. November 1999 hatte der D-Arzt Schmidt einen Druckschmerz im vorderen Bereich des Oberarmkopfes rechts, einen im Vergleich zur Gegenseite deutlich tiefer stehenden Muskelbauch bei der Kontraktion sowie ein frei bewegliches Ellenbogengelenk festgehalten. Das zur Abklärung einer Bizepssehnenruptur veranlasste Magnetresonanztomogramm vom 2. Dezember 1999 hatte einen unauffälligen Befund ergeben. Arbeitsunfähigkeit war hausärztlicherseits bis zum 23. Januar 2000 bescheinigt worden.

In seiner im Auftrag des Senats erstellten ergänzenden Stellungnahme vom 14. Juli 2008 hat Dr. S. im Wesentlichen dargelegt, ein Sulcus ulnaris-Syndrom sei entgegen anderslautenden ärztlichen Berichten unter Berücksichtigung der Angaben im Operationsbericht vom 6. Oktober 2000 nicht zu sichern. Dort sei eine Einengung im Bereich der körperfernen Muskelhülle erwähnt. Werde hierfür eine äußere Einwirkung vorausgesetzt, habe diese die Ellenseite des ellenbogennahen rechten Unterarms treffen müssen, was – bei lebensnaher Betrachtung – zwar grundsätzlich mit dem vom Kläger geschilderten Unfallablauf vereinbar sei. Zu erwarten gewesen sei dann aber ein sichtbarer Primärschäden, der bei der ersten ärztlichen Untersuchung aufgefallen und wohl auch dokumentiert worden wäre. Über die reine Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfallereignis vom 10. November 1999 bzw. die reine Möglichkeit eines bereits vor diesem Ereignis bestehenden einschlägigen Schadens und der bei der Operation am 6. Oktober 2000 festgestellten Nerveinengung innerhalb der Muskelhüllen hinaus lasse sich keine Kausalität mit hinreichender Wahrscheinlichkeit herstellen.

Schließlich hat Dipl.-Med. S. unter dem 8. Mai 2009 auf Anfrage des Senats mitgeteilt, sie könne zu ihren schriftlichen Aufzeichnungen keine zusätzlichen Aussagen treffen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Ihr Bescheid vom 1. Dezember 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2004 beschwert den Kläger im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in seinen Rechten. Die Beklagte hat darin nämlich zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Verletztenrente abgelehnt. Dabei war vom Senat nur über die vom SG ausgeurteilte Rentenzahlung von Januar 2002 an zu befinden. Denn hiergegen hat sich mit ihrer Berufung nur die Beklagte, nicht aber der Kläger gewandt, der auch (insoweit) keine – unselbstständige – Anschlussberufung eingelegt hat. Folglich war vom Senat nicht zu beurteilen, ob auch ein Rentenanspruch nach einer MdE über 40 vH hinaus gerechtfertigt wäre. Ebenso war nicht zu bewerten, ob der vom SG angenommene Zeitpunkt des Rentenbeginns unter Beachtung der §§ 72 Abs. 1 Nr. 1, 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VII zutreffend ist oder hierbei nicht vielmehr auf den 15. Dezember 2001 abzustellen gewesen wäre.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) setzt die Gewährung einer Verletztenrente voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge des Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 vH gemindert ist. Dies ist hier der Fall. Denn es steht zur Überzeugung des Senats mit Wahrscheinlichkeit fest, dass das beim Kläger seit Mai 2001 belegte CRPS des rechten Arms wesentlich durch den Arbeitsunfall vom 16. Juni 2000 verursacht ist (hierzu sogleich unter 1.) und die damit einher gehenden Funktionsstörungen eine MdE um (mindestens) 40 vH bedingen (nachfolgend unter 2.).

1. Nachgewiesene Gesundheitsstörungen sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn zwischen dem Unfallereignis und ihnen ein Ursachenzusammenhang im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB VII besteht. Für die Beurteilung dieser Kausalität gilt der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Sie liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt dagegen nicht. Dabei setzt die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltende "Theorie der wesentlichen Bedingung" in Eingrenzung der naturwissenschaftlich-philosophischen Betrachtungsweise, nach der jede nicht hinwegzudenkende Bedingung (conditio-sine-qua-non) kausal ist, voraus, dass die versicherte Einwirkung bei wertender Betrachtung nicht nur irgendeine Bedingung war, sondern wegen ihrer besonderen Beziehung zur geltend gemachten Krankheit wesentlich mitgewirkt hat (vgl. KassKomm-Ricke, Stand Dezember 2010, § 8 SGB VII Rn. 4 und 15, m.w.N.). "Wesentlich" ist hierbei nicht gleichbedeutend mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keinen überragenden Einfluss hat (haben). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache/n zum Eintritt des Erfolges (Gesundheitsschaden/Erkrankung) wertend abgeleitet werden. Gesichtspunkte hierfür sind insbesondere die Art und das Ausmaß der versicherten Einwirkung sowie der konkurrierenden Ursachen, das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, der zeitliche Verlauf, die Krankheitsgeschichte unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie ergänzend auch der Schutzzweck der Norm (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 15; Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Ausgehend hiervon liegt eine ernste Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass das Unfallgeschehen vom 16. Juni 2000 das CRPS des rechten Arms des Klägers – vermittelt durch das Ellennervensyndrom – wesentlich verursacht hat.

Zunächst war der Unfall im naturwissenschaftlichen Sinne als Bedingung der Nervenkompression wirksam geworden. Denn ohne ihn wäre es im Unfallzeitpunkt wahrscheinlich nicht zum Eintritt der Symptomatik im rechten Ellenbogenbereich des Klägers mit Behandlungsbedürftigkeit und Entstehung dieser Gesundheitsstörung gekommen, wie insbesondere Prof. Dr. B. nachvollziehbar dargelegt hat. Darüber hinaus stellt das Unfallereignis auch eine wesentliche (Mit-)Ursache für die Schädigung des Ellennervs dar. Unterstützt wird diese Kausalbeziehung etwa dadurch, dass eine Ungeeignetheit des Unfallhergangs zur Verursachung der intraoperativ am 6. Oktober 2000 gefundenen Einengung des Ellennervs entgegen den Ansichten der Dres. B./S. und Prof. T. gerade nicht feststeht. Denn ausgehend von den Unfallschilderungen des Klägers vom 8. Januar, 16. April und 30. Mai 2002 sowie 24. April 2008, die sowohl durch die Angaben der Passantin R. vom 3. September 2000 als auch durch diejenigen des Unfallverursachers S. vom 31. Juli 2000 und 26. Juli 2006 gestützt werden, lässt sich eine Irritation und damit Gefährdung des nach Prof. Dr. B. außerordentlich vulnerablen und nur durch zarte bindegewebige Strukturen sowie der Haut gedeckten Ellennervs bei lebensnaher Betrachtung jedenfalls nicht als völlig fernliegend bzw. gar unmöglich ausschließen. Im Augenblick des Auftreffens des rechten Außenspiegels auf den Ellenbogen des Klägers stand dieser nämlich mit dem Rücken quasi zur "Fahrbahn" vor dem Verkaufsstand und zündete sich mit angewinkelten Armen und zum Mund geführten Händen eine Zigarette an, wovon der Senat auf Grundlage der vorgenannten Schilderungen überzeugt ist. Für ein Zurücksetzten des Transporters, von dem sich der Kläger ausdrücklich distanziert hat, liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, zumal eine solche Version sämtlichen sonstigen Hergangsschilderungen widerspricht und weder mit den vom Unfallverursacher und der Passantin R. angegebenen Fahrt- bzw. Laufrichtungen noch mit einem Zurückklappen des Außenspiegels im Gelenkmechanismus zusammenpasst. Der Senat folgt deshalb den insoweit gleichlautenden Bewertungen von Prof. Dr. B. und Dr. S ... Gerade letzterer hat den zuvor zugrunde gelegten Unfallablauf auf konkrete Nachfrage unter dem 14. Juli 2008 ausdrücklich als (geeignete) Ursache einer Schädigung des Ellennervs im Bereich des ellenbogennahen rechten Unterarms bezeichnet, wie er intraoperativ vorgefunden worden war. Ebenso hat Dr. S. schon in seinem Gutachten ausdrücklich betont, dass bereits Bagatellverletzungen für das Hervorrufen einer Ellennervschädigung bzw. eines CRPS ausreichen, weshalb weder das Fahren des Transporters im Schritttempo noch das Zurückklappen des Spiegels gegen die Geeignetheit der versicherten Einwirkung sprechen.

Soweit Prof. Dr. T. auf eine (vermeintlich) anlagenbedingt erhöhte Ansprechbarkeit des Klägers für die Entwicklung eines Nervus ulnaris-Syndroms abstellt, ist dies rechtlich unzutreffend. Denn vom Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung sind nicht lediglich gesunde Versicherte erfasst. Einbezogen ist der Versicherte vielmehr in demjenigen Zustand, in dem er sich aktuell befindet (siehe etwa BSG, Urteil vom 27. Oktober 1987 – 2 RU 35/87 – SozR 2200 § 589 Nr. 10; Urteil vom 22. März 1983 – 2 RU 22/81 – juris; Urteil vom 19. September 1974 – 8 RU 236/73 – SozR 2200 § 548 Nr. 4). Die (unterstellte) Disposition des Klägers zur Entwicklung eines Ellennervensyndroms allein steht dem Ursachenzusammenhang folglich nicht von vornherein entgegen.

Daneben wird die ursächliche Verknüpfung zwischen dem Unfall und dem Ellennervensyndrom durch das Verhalten des Klägers nach dem Unfall und die erhobenen (Erst-)Befunde wahrscheinlich gemacht. Er begab sich nach dem Unfallgeschehen sofort zu seiner Hausärztin. Angesichts der Aufzeichnungen von Dipl.-Med. S. hat der Senat mit den Dres. B./S. auch keinerlei vernünftige Zweifel, dass diese tatsächlich einen Beschwerdezustand im Bereich des rechten Epicondylus ulnaris erhoben hat, womit ein die Nervenschädigung mit Wahrscheinlichkeit vermittelnder einschlägiger Primärbefund vollbeweislich gesichert ist (zu den inhaltlichen Anforderungen dieses Beweismaßstabs BSG, Urteil vom 20. Januar 1987 – 2 RU 27/86 – SozR § 548 Nr. 84; Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 5/05 RSozR 4-5671 § 6 Nr. 2). Dem lässt sich nicht mit Erfolg entgegen halten, eine Verletzung des Nervs selbst als Primärschaden sei nicht voll bewiesen, wie die Beklagte unter Bezugnahme auf die von Dr. S. in offenbarer Verkennung des rechtlichen Bedeutungsgehalts der von ihm angelegten Maßstäbe meint. Dem Vollbeweis des Gesundheitserstschadens kommt vornehmlich Relevanz für die Feststellung eines Arbeitsunfalls als einem tatsächlichen Begriffselement desselben zu. Die Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und einer (voll) nachgewiesenen Gesundheitsstörung als dessen Folge muss dagegen "nur" hinreichend wahrscheinlich sein (s.o.). Es bedarf mitnichten des Nachweises der betreffenden Erkrankung selbst als Primärschaden. Vielmehr genügt es, dass sich die Gesundheitsstörung auf Grundlage des belegten Erstschadensbildes wahrscheinlich machen lässt, wobei ein Nichteinschlägigsein des Erstschadens in Bezug auf die als Unfallfolge geltend gemachte Erkrankung regelmäßig gegen die Wahrscheinlichkeit spricht. Dass auch die Beklagte in der Sache zu Recht keine vernünftigen Zweifel am Nachweis einer Prellung im Ellenbogengelenkbereich hatte, ergibt sich aus der Tatsache der Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall. Allein die Beschreibungen im Operationsbericht vom 6. Oktober 2000 sprechen entgegen Dr. S. ebenfalls nicht gegen den Ursachenzusammenhang, zumal sich bei der intraoperativ angetroffenen Situation mit starker Einklemmung des Nervs (jedenfalls auch) in Richtung der ellenbogenseitigen Unterarmfaszienlogen nicht erschließt, warum diese deutliche Einengung nicht auch durch die Prellung sowie einer damit einher gegangenen Schädigung umgebender Gewebestrukturen hervorgerufen worden und folglich verletzungsspezifisch sein soll.

Ferner wird die Kausalität durch den zeitlichen (Krankheits-)Verlauf untermauert. Entgegen der Darstellung Dr. S.s ist die Ellennervensymptomatik nicht erst fünf Wochen nach dem Unfall vorhanden gewesen. Vielmehr liegen insoweit (nahezu) lückenlos Brückenbefunde vor. Abgesehen davon, dass Dipl.-Med. S. für den Unfalltag Schmerzen am rechten Epicondylus ulnaris verzeichnet und die sofortige Vorstellung des Klägers beim D-Arzt S. veranlasst hatte, hat sie fünf Tage später eine schmerzhafte rechte Sehne und wiederum fünf Tage später am 26. Juni 2000 auch eine muskuläre Dysfunktion festgehalten. Den auf ihre Überweisung hin aufgesuchten Dr. F. hat der Kläger nicht erst am 19. Juli, sondern tatsächlich bereits am 27. Juni 2000 konsultiert, wie sich insbesondere auch dem von Dr. S. selbst ausgewerteten Röntgenbild dieses Datums entnehmen lässt. Die Aufzeichnungen von Dr. F. enthalten jedenfalls keine Hinweise darauf, dass die von ihm diagnostizierte Ulnarisparese lediglich bei der Kontrolluntersuchung am 19. Juli 2000 und nachfolgend, nicht aber ebenso am 27. Juni 2000 bestand. Dass die seit 31. Juli 2000 parallel eingeschaltete Dr. R. die Nervenschädigung dann auch elektrophysiologisch erhärtet hat, wird auch von Dr. S. nicht in Zweifel gezogen.

Für die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs streitet schließlich, dass keine konkurrierenden/alternativen Ursachen ersichtlich – geschweige denn belegt – sind, die unfallunabhängig zur Schädigung des Ellennervs wesentlich hätten beitragen können. Hinsichtlich der von Prof. Dr. T. verdächtigten Anfälligkeit des Klägers bzw. eines vorbestehenden Engpasses im Sinne einer stummen Schadensanlage hatte Dr. S. bereits in seinem Gutachten vom 28. Dezember 2002 eingeräumt, dass entsprechendes nicht belegt ist. Dies gilt insbesondere bezüglich des Unfalls vom 10. November 1999, auf dessen Grundlage über die reine Möglichkeit einer Verursachung hinaus kein einschlägiger Vorschaden zu sichern ist, wie Dr. S. unter dem 14. Juli 2008 plausibel gemacht hat. Überdies hat Dr. R. eine Autoimmunschwäche, rheumatische Erkrankungen oder Formfehlbildungen im Bereich des rechten Ellenbogens ebenso ausgeschlossen wie Durchblutungsstörungen oder Hinweise auf systemische Nervenerkrankungen. Existiert neben der Unfalleinwirkung damit schon keine Schadensanlage, die im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn überhaupt als Bedingung für die Nervenkompression wirksam geworden ist, stellt sich die anschließende Frage der etwaigen Bedeutung des versicherten Geschehens als so genannte Gelegenheitsursache schon nicht mehr (vgl. hierzu nochmals BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R – s.o.; Urteil vom 30. Januar 2007 – B 2 U 8/06 R – juris).

Ist danach das Kompressionssyndrom mit Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen auf das Unfallgeschehen vom 16. Juni 2000 zurückzuführen und hat sich auf dessen Grundlage das CRPS entwickelt, worüber sich alle eingeschalteten Sachverständigen einig sind, ist dieses als (mittelbare) Unfallfolge bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen.

2. Die vom SG für das CRPS veranschlagte Höhe der MdE unterliegt ebenfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die Höhe der MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft, die in Form von Tabellenwerten oder Empfehlungen zusammengefasst sind (siehe etwa bei Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand März 2011, K § 56, Anhang V). Diese sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der MdE unterbreitet (vgl. nur BSG, Urteil vom 18. März 2003 – B 2 U 31/02 R – Breithaupt 2003, 565.; Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 RSozR 4-2700 § 56 Nr. 1).

Ausgehend hiervon ist die Empfehlung Dr. R.s, der den Kläger zuletzt ambulant untersucht hat, die wegen des CRPS bestehende Funktionsstörung des rechten Arms mit einer MdE um 40 vH zu bewerten, nicht zu beanstanden. Sie bewegt sich in der Bandbreite der insoweit einschlägigen Erfahrungswerte, und zwar in deren unteren Bereich. Nach ihnen wird die Versteifung des Schultergelenks in Anführstellung bzw. die Versteifung des Ellenbogengelenks in günstiger Stellung (0-90-90°) und aufgehobener Unterarmdrehung mit einer MdE um jeweils 40 vH bewertet. Für den Verlust einer Hand wird eine MdE um 60 vH angesetzt. Bei einer Armplexusparese ist eine MdE um 30 bis 75 vH gerechtfertigt (siehe etwa Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Abschn. 8.6.4.1, S. 530; Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Aufl. 2010, S. 159 und 161; Kranig, a.a.O., S. 68 f.).

Gemessen daran liegt beim Kläger zwar kein Verlust einer Hand oder eine totale Armplexusparese vor, so dass er insoweit besser gestellt ist. Unter Berücksichtigung seiner verbliebenen Schulter-, Handgelenks- und Fingerfunktionen ist andererseits eine erhebliche Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit der gesamten oberen rechten Extremität gegeben, bei der – auch angesichts des chronisch-progredienten Verlaufs eines CRPS – eine Bewertung entsprechend den von den Dres. B., S. und S. gegebenen Empfehlungen keineswegs als unvertretbar erscheint. Die Funktionseinschränkung hat auch spätestens seit dem 15. November 2001 bestanden, wie sich aus den aktenkundigen Befunden ergibt. So hatte an diesem Tag laut Heilverfahrensbericht vom 29. August 2002 u.a. eine deutliche Schwellung der rechten Hand mit erheblichem Streck- und Beugedefizit der Finger vorgelegen. Am 17. Dezember 2001 war eine Gesamtverschlechterung mit u.a. aktiv nicht möglicher und passiv schmerzhafter Bewegungsfähigkeit des rechten Ellenbogens eingetreten. Für den 16. Januar 2002 ist im Bericht des Bundeswehrkrankenhauses U. eine maximale Beugekontraktur der Finger II bis V, eine minimale Beweglichkeit im rechten Ellenbogengelenk, eine erhebliche Funktionseinschränkung der rechten Schulter (Hebung nach vorn/hinten 80-0-30° und seit-/körperwärts 45-0-10°) sowie eine strumpfförmige Sensibilitätsstörung vom Oberarm bis in die Fingergelenke verzeichnet. Während der im April 2002 durchgeführten stationären Rehabiliation in Belzig ist ein Gang des Klägers mit angewinkeltem rechten Unterarm im rechten Ellenbogengelenk, ein inkompletter Faustschluss, eine nicht mögliche aktive Fingerstreckung, eine aktive Streckung/Beugung des Ellenbogengelenks von 0-65-130°, eine Innen-/Außendrehung von 80-0-70°, eine Hyperalgesie im Narbenbereich des rechten Ellenbogengelenks sowie eine leicht schweißige Haut des Arms dokumentiert. Ähnliche Befunde hat Dr. S. am 21. November 2002 erhoben (Gangbild mit im Ellenbogengelenk in 70° Beugestellung am Körper geführtem rechten Arm; marmorierte Haut des rechten Arms vom Ellenbogen bis zur Hand mit deutlich vermehrter Befeuchtung an der Beugeseite; minimale aktive Beweglichkeit des Arms im rechten Schultergelenk; Streckdefizit im rechten Ellenbogengelenk von 40°; Umfangvermehrung des rechten Ellenbogens gegenüber links um 4 cm; kein aktiver Faustschluss usw.). Auch die Untersuchungsergebnisse der Dres. B. und S. vom 1. Oktober 2003 weichen davon nicht wesentlich ab (rechtwinklig gebeugt am Körper gehaltener rechter Arm, livide Hautverfärbung im Bereich des Ellenbogengelenks, des Unterarms und der Hand mit erheblicher Schwellung sowie hochgradige Bewegungseinschränkung der rechten Schulter auch bei geführter Funktionsprüfung). Nichts anderes gilt schließlich für die Befunderhebungen durch Dr. R. am 11. Dezember 2003 und 9. Januar 2007 (Finger II bis IV rechts aktiv nicht streckbar; marmorierte Hautfarbe des rechten Unterarms mit deutlichen trophischen Störungen, vermehrter Schweißneigung sowie gesteigertem Haarwachstum; Umfangdifferenz rechts gegenüber links im Oberarmbereich 2 cm, im Ellenbogengelenk 5 cm und im Unterarmbereich 4 cm; schmerzhafte Wackelbeweglichkeit des rechten Schultergelenks bei Haltung der Schulter in maximaler Innenrotation; Streckung/Beugung des rechten Ellenbogengelenks 90-0-90°, Einwärts-/Auswärtsdrehung 10-0-5°; Bewegung der rechten Hand handrück-/hohlhandwärts passiv 30-0-10°, speichen-/ellenwärts unter Schmerzangabe 10-0-10°; Fingerstreckung passiv bis 40°). Insgesamt lässt sich damit seit Mitte November 2001 eine MdE um 40 vH rechtfertigen.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben, wobei der angefochtene Bescheid wegen der in ihm erfolgten Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall – anstatt aufzuheben – klarstellend abzuändern war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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