L 3 R 485/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 3 RJ 15/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 485/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 19. Oktober 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 21. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2003 geändert und die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. April 2011 bis zum 31. März 2014 zu bewilligen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).

Die am ... 1959 geborene Klägerin absolvierte nach der Schulausbildung (Zehnte-Klasse-Abschluss) vom 1. September 1975 bis zum 16. Juli 1977 eine Berufsausbildung zum Fahrzeugschlosser (Spezialisierung Berufskraftfahrer). Nach einer Tätigkeit im erlernten Beruf bis August 1978 nahm sie von 1978 bis Februar 1979 (ohne Abschluss) an einer Fachschulausbildung im Bereich Verkehrstechnik teil. Sie war bis Dezember 1995 als Sachbearbeiterin und Kfz-Instandhaltungsmechaniker beschäftigt, dann arbeitslos und ab dem 2. Januar 1996 mit einer Anlernzeit von ca. sechs Monaten als Mitarbeiterin im Recyclinghof/Wägerin versicherungspflichtig beschäftigt. Sie bezog ab dem 14. Mai 2001 Krankengeld.

Auf den Rentenantrag der Klägerin vom 1. März 2002 bewilligte ihr die Landesversicherungsanstalt (LVA) Sachsen-Anhalt, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, mit Bescheid vom 20. August 2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. November 2001 bis zum 31. Juli 2003. Auf den Weitergewährungsantrag vom 24. April 2003 zog die LVA zunächst die Unterlagen aus dem vorausgegangenen Rentenverfahren bei. Aus dem Entlassungsbericht der Reha Klinik G. über die dort vom 30. August bis zum 27. September 2001 durchgeführte stationäre Rehabilitationskur ist zu entnehmen, die Klägerin sei vollschichtig für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten einsetzbar. Ihre Tätigkeit als Waagearbeiterin in einer Recycling-Anlage erscheine durchaus leidensgerecht. Bei künftigen Tätigkeiten sollten Arbeiten mit ständigem Heben und Tragen schwerer Lasten, häufigem Ersteigen von Leitern, Treppen und Gerüsten, Arbeiten mit einseitigen Belastungen und Zwangshaltungen oder kniende Tätigkeiten vermieden werden. Nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt vom 28. Februar 2002 war bei der Untersuchung nicht damit zu rechnen, dass die Klägerin in absehbarer Zeit ihre zuletzt ausgeübte oder eine andere leichte körperliche Tätigkeit für mindestens sechs Stunden täglich wieder würde aufnehmen können. Eine erhebliche Minderung der Erwerbsfähigkeit liege vor.

Aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Z. vom 27. Februar 2002 geht hervor, die Klägerin habe über Schmerzen im Lendenbereich bei längerem Sitzen bzw. Stehen und rezidivierende Nackenschmerzen geklagt. Die ihr mögliche Laufstrecke betrage höchstens 1.000 Meter. Im Ergebnis der Untersuchung lägen als Diagnosen vor:

Chronische Lumboischialgie bei in der Computertomografie (CT) und der Magnetresonanztomografie (MRT) relevanter Bandscheibenkompression L 5/S 1.

Lumbales Wurzelreizsyndrom.

Rezidivierendes Zervikalsyndrom bei degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule (HWS).

Einlaufendes algogenes Psychosyndrom.

Bei der Klägerin seien auf Grund der mit den Diagnosen verbundenen erheblichen Schmerzsyndrome körperliche Belastungen im Sitzen und längere Laufstrecken nicht möglich. Es bestünden "neurologische hinweisende Funktionsdefizite" und entsprechende MRT- und CT-Befunde. Insbesondere werde auf den stark positiven Lasègue mit reflektiver Beckenanhebung beidseits, ein typisches Zeichen für die ganz erhebliche sensible Beeinträchtigung der Nervenwurzel im Bereich L 5/S 1, verwiesen. Es liege kein anhaltendes somatoformes Schmerzsyndrom, sondern ein chronischer vertebragener Schmerzzustand mit einem im September 2002 geplanten Bandscheibenersatz vor. Bei der Klägerin bestehe eine auf unter zwei Stunden täglich herabgesunkene Leistungsfähigkeit; sie könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Arbeit von wirtschaftlichem Wert erbringen.

Nach der am 17. September 2002 durchgeführten Implantation einer Bandscheiben-Endoprothese L 5/S 1 wurde die Klägerin nach dem Entlassungsbericht der A. Klinik B. vom 27. September 2002 aus der stationären Behandlung mit einem lumbalen Restschmerz ohne Ausstrahlung oder sensomotorische Defizite entlassen. Nach dem Rehabilitationsentlassungsbericht der Reha Klinik G. über die dort vom 12. März bis zum 9. April 2003 durchgeführte Anschlussheilbehandlung war die Klägerin zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Maßnahme für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten sechs Stunden und mehr täglich einsetzbar. Vermieden werden sollten Zwangshaltungen der Lendenwirbelsäule (LWS), ein häufiges Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, sehr schweres Heben und Tragen sowie Arbeiten im Knien und in der Hocke.

Die LVA teilte der Klägerin zunächst mit Bescheid vom 13. Juni 2003 mit, seit dem Abschluss des Rehabilitationsverfahrens könne sie mit ihrer Leistungsfähigkeit leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig ausüben, sodass die Bewilligung der Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2003 aufgehoben werde, nahm diesen Bescheid im Ergebnis aber mit einem weiteren Bescheid vom 21. November 2003 auf den Widerspruch der Klägerin wieder zurück. Gleichzeitig lehnte sie mit diesem Bescheid den Weitergewährungsantrag der Klägerin vom 24. April 2003 ab. Über den Wegfallzeitpunkt der Rente hinaus liege eine Erwerbsminderung nicht mehr vor. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne die Klägerin leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

Die LVA holte sodann ein Gutachten von dem Nervenarzt Dr. B. vom 9. Oktober 2003 ein. Die Klägerin habe über Schmerzen in der LWS, die um den Körper "herumzögen", geklagt. Außerdem habe sie Beschwerden im rechten Schulterblatt. An manchen Tage täten ihr sämtliche Gelenke weh und sie "dürfe dann gar nicht an ihre Haut drankommen". Die Füße schmerzten öfters mit einer Anschwellung. Wenn sie Schmerzen habe, greife sie automatisch zur Zigarette (20 Stück am Tag). Sie nehme Katadolon und Valoron ein und habe ein TENS-Gerät zur Verfügung. Allgemein-klinisch seien bei der Klägerin Bewegungseinschränkungen im Rahmen des diagnostizierten chronifizierten Lumbalsyndroms bei Zustand nach Bandscheibenersatz L 5/S 1 und ein Zervikobrachialsyndrom aufgefallen, die aber den sonst zu beobachtenden Bewegungsablauf, beispielsweise beim An- und Ausziehen im Stehen, nicht behinderten. Der neurologische Befund sei regelgerecht; psychisch bestünden keine Veränderungen von Krankheitswert. Aus neuropsychiatrischer Sicht ergebe sich keine Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die Klägerin könne als "Waagepersonal" sowie in leichten bis mittelschweren Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich ohne wesentliche Einschränkungen erwerbstätig sein. Die Klägerin sei auch in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von mehr als 500 Metern zurückzulegen.

Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. Juni 2003, soweit diesem nicht abgeholfen worden war, mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2003 als unbegründet zurück. Die Klägerin sei noch in der Lage, sechs Stunden und mehr täglich leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung - ohne schweres Heben und Tragen, häufiges Bücken, Hocken, Knien, häufige Zwangshaltungen, häufiges Klettern und Steigen - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Sie sei nicht berufsunfähig, da sie auf Grund ihrer zuletzt ausgeübten Tätigkeit als angelernte Wägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei.

Mit ihrer am 14. Januar 2004 bei dem Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat die Klägerin nach ihrem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 21. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2003 und die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. August 2003 verfolgt. Bei ihr liege ein Wirbelsäulenleiden vor, das auch durch die Bandscheibenoperation nicht habe gebessert werden können. Es zeige sich ein umfassendes Schmerzbild im Bereich der Wirbelsäule, des Beckens und der Hüfte. Sie verfüge nicht mehr über ein Leistungsvermögen von mindestens drei Stunden täglich.

Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte eingeholt. Die Fachärztin für Anästhesiologie/Spezielle Schmerztherapie/Homöopathie Dr. P. hat in ihrem Befundbericht vom 3. Mai 2004 von gleich gebliebenen Befunden mit einer kurzzeitigen Besserung nach der Operation berichtet. Der Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie Dipl.-Med. B. hat in seinen Befundberichten vom 6. Mai und 28. Dezember 2004 angegeben, aus orthopädischer Sicht sei die Klägerin nicht arbeitsunfähig. Der orthopädische Kasus habe sich nicht verschlechtert. In der MRT vom 29. Juni 2004 sei eine Bandscheibenprotrusion L 3 bis 5 intraspinal ohne Wurzelirritation gesichert worden. Dipl.-Psych. P. hat in ihrem Befundbericht vom 7. Mai 2004 ausgeführt, die körperliche Belastbarkeit der Klägerin sei sehr gering und sie habe Mühe, trotz der freien Zeiteinteilung ihre häuslichen Arbeiten zu erledigen. Die Praktische Ärztin K. hat in ihrem Befundbericht vom 20. Mai 2004 ein insgesamt unverändertes Beschwerdebild der Klägerin angegeben, obwohl diese sich bemühe, an Rückenschule, Wassergymnastik etc. teilzunehmen. Nach den Befundberichten von Dipl.-Med. S. vom 20. Oktober 2005 und 7. März 2007 sei im Rahmen der Behandlungen die Analgeticadosierung reduziert worden mit einer Einstellung auf schmerzdistanzierende Antidepressiva. Ein grundlegender Durchbruch sei bisher in Bezug auf die angestrebte Besserung der Schmerzsymptomatik nicht gelungen und bei dem schwebenden Sozialgerichtsrechtsstreit auch nicht zu erwarten. Die Klägerin sei schließlich im November 2005 zur Differentialdagnostik in die Klinik für Neurologie und Klinische Neurophysiologie des Klinikums W. eingewiesen worden. Nach dem Entlassungsbericht dieser Einrichtung vom 2. Dezember 2005 wurde der Verdacht auf eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung festgestellt.

Die Beklagte gewährte der Klägerin eine weitere stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 18. April bis zum 23. Mai 2007, aus der sie nach dem Entlassungsbericht der Klinik B. K. vom 23. Mai 2007 mit einem Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte Arbeiten von sechs Stunden und mehr täglich entlassen wurde. Wegen der chronifizierten somatoformen Schmerzen kämen nur zeitweise sitzende Tätigkeiten in Betracht. Im Ergebnis der Maßnahme werde eine verhaltenstherapeutische Psychotherapie empfohlen. Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien derzeit nicht angezeigt, da die Klägerin sich auf Grund ihrer gesundheitlichen Störungen eine Arbeitsaufnahme nicht vorstellen könne.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. Oktober 2007 abgewiesen. Ein Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. November 2003 sei zumindest in der Klageerhebung zu sehen und mit der Klageerwiderung verbeschieden worden. Die Klägerin sei noch imstande, zumindest leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen täglich sechs Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben und damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Sie sei auch nicht berufsunfähig, da sie als Waagepersonal höchstens der Stufe des angelernten Arbeitnehmers im unteren Bereich im Sinne des Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts (BSG) zuzuordnen sei, sodass sie auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne.

Gegen das ihr am 13. November 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. Dezember 2007 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus der ersten Instanz. Sie habe erhebliche Schmerzen im Bewegungsapparat und unterliege einer erheblichen Medikation. Sie verweist ergänzend auf Berichte des Facharztes für Orthopädie und Chirotherapie Dipl.-Med. T. vom 3. Dezember 2007 und 4. Dezember 2008, denen als klinischer Befund der Wirbelsäule ein "weit ausschreitendes pos. Gangbild" mit freiem Zehen- und Fersengang zu entnehmen und die Bewegungsmaße und Reflexe zu entnehmen sind; insoweit wird auf Bl. 155 bis 156 und Bl. 199 bis 201 Bd. II der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 19. Oktober 2007 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 21. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2003 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. Juli 2003 hinaus zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Im Rahmen des Berufungsverfahrens ist zunächst durch Einholung von Befundberichten von Dr. T. vom 9. Juni 2008, von dem Facharzt u.a. für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. M. vom 10. Juni 2008, von dem Facharzt für Radiologie Dr. H. vom 26. Juni 2008 und von der Fachärztin für Anästhesiologie Dr. S. vom 20. November 2009 ermittelt worden. Aus dem Befundbericht der Fachärztin für Augenheilkunde Dr. T. vom 9. Juni 2008 geht hervor, sie habe bei der Klägerin eine Hyperopie mit Astigmatismus und Presbyopie diagnostiziert. Der Klägerin sei am 18. Oktober 2008 wegen Mydriasis (rascher Wechsel der Pupillen bei konstantem Lichteinfall) ein Fahrverbot erteilt worden. Dr. S. hat als Diagnosen ein chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren, einen chronischen Rückenschmerz, eine Angststörung mit Panikattacken und ein Überforderungssyndrom angegeben.

Es ist sodann ein Gutachten von Dr. G., Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie/C.-v.-B. Klinikum S., vom 25. Oktober 2010 - auf der Grundlage einer am 10. September 2010 durchgeführten Befragung und körperlichen Untersuchung - eingeholt worden. Die Klägerin habe angegeben, momentan habe sie vor allem Schmerzen im Bereich von Schulter und LWS mit Ausstrahlung in die Hüften und die Beine bis in die Fußsohlen. Die Knie bereiteten ihr beim Treppensteigen erhebliche Probleme. Sie habe ein extremes Quietschen im rechten Ohr.

Die Klägerin könne unter Berücksichtigung der verschiedenen Leistungseinschätzungen in der Fachliteratur eine leichte Arbeit noch mindestens drei Stunden, nicht aber sechs Stunden täglich verrichten. Das sei mit der für den Symptomkomplex typischen raschen Ermüdbarkeit, der raschen Abnahme der Konzentrationsfähigkeit und den erforderlichen häufigen Wechseln von Tätigkeiten in unterschiedlichen Stellungen zu begründen. Es seien Pausen bei Arbeiten, die eine normale Konzentration erfordern, von 15 Minuten nach jeweils einer Stunde, bei Arbeiten mit hohen Konzentrationsanforderungen von mindestens fünf Minuten nach jeweils 30 Minuten erforderlich. Bei leichten Arbeiten von sechs Stunden täglich sei ein schnelleres Voranschreiten der bestehenden Erkrankung (mittelgradiges Fibromyalgie-Syndrom mit Aktivitätsstörungen) zu erwarten. Die Klägerin sei in der Lage, für den Weg zur Arbeit öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und dabei eine Wegstrecke von jeweils mindestens 500 Metern auch viermal täglich (und eine Wegstrecke von 1 km in einer halben Stunde) zu absolvieren, wenn zwischen den Wegstrecken nicht Tätigkeiten mit einem anhaltenden Gehen lägen. Es liege eine progrediente Erkrankung mit einer Leistungsminderung ab dem Zeitpunkt der Feststellungen im Entlassungsbericht der Klinik B. K. vom 23. Mai 2007 vor. Eine umfangreiche Therapie biete Aussicht auf Besserung des erst im Rahmen der Begutachtung diagnostizierten Erkrankungsbildes. Entscheidend für die Beurteilung seien anamnestische Angaben und deren Plausibilität. Insofern bestünden hier zwischen den Befunden und Gutachten aus den Akten und den aktuellen hier vorgelegten Gutachten grundlegende Unterschiede. Der Sachverhalt sei in medizinischer Hinsicht geklärt.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf eine sozialmedizinische Stellungnahme des Prüfarztes Dr. V. ausgeführt, dem Gutachten von Dr. G. nur teilweise zuzustimmen. Wesentlicher Maßstab zur Beurteilung des Leistungsvermögens bei einem chronifizierten Schmerzgeschehen seien die Auswirkungen der Störungen im Alltag. Hier würden nur Einschränkungen von qualitativer Bedeutung mitgeteilt. Die Angaben zur Medikation und zum psychopathologischen Befund seien unzureichend; es stelle sich die Frage der Plausibilität, da offensichtlich eine wesentliche Beeinträchtigung der Klägerin durch Schmerzen und ein erheblicher Leidensdruck nicht gegeben seien.

Die Klägerin hat zu dem Gutachten von Dr. G. ausgeführt, für die Bewertung der Auswirkungen ihrer Medikamenteneinnahme auf ihr Leistungsvermögen halte sie eine psychiatrische Begutachtung für angezeigt.

Die Beteiligten haben nach der Mitteilung des Berichterstatters, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt sind, ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter anstelle des Senats erklärt. Die Beklagte hat abschließend mitgeteilt, einen Antrag der Klägerin auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation mit Bescheid vom 11. Juli 2011 abgelehnt zu haben. Sie hat der Stellungnahme einen Befundbericht des Medizinischen Versorgungszentrums D.-E. vom 1. Juni 2011 beigefügt, aus dem als Untersuchungsbefunde u.a. eine extreme Schmerzhaftigkeit der HWS/LWS und die Empfehlung spezieller Maßnahmen in Form von Krankengymnastik, Bewegungs-/Sporttherapie, Entspannungs- und Psychotherapie hervorgehen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Mit Einverständnis der Beteiligten hat der Berichterstatter anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als zulässig angesehen.

Das für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Vorverfahren wird hier als abgeschlossen betrachtet werden müssen. Der Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2003 betrifft die Zurückweisung des Widerspruchs (nur) gegen den Bescheid vom 13. Juni 2003. Im Ergebnis wird man die Zulässigkeit der Klage aber vor dem Hintergrund bejahen müssen, dass der Widerspruchsbescheid in Bezug auf den Bescheid vom 13. Juni 2003 keinen Regelungsgehalt hätte, da dem Widerspruch gegen den vorgenannten Bescheid in vollem Umfang mit Bescheid vom 21. November 2003 abgeholfen worden war. Soweit der Bescheid vom 21. November 2003 eine neue Beschwer, nämlich die Ablehnung des Weitergewährungsantrags der Klägerin, enthält, wäre bei ordnungsgemäßer Bearbeitung nur auf einen weiteren Widerspruch der Klägerin ein Widerspruchsverfahren durchzuführen gewesen. Demgegenüber hat die Beklagte den Bescheid vom 21. November 2003 insgesamt zum Gegenstand des laufenden Vorverfahrens erklärt und damit deutlich gemacht, dass sie auch abschließend über die Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente über den 31. Juli 2003 hinaus entscheiden wollte. Damit kann der Klägerin ein nicht abgeschlossenes Vorverfahren nicht mehr entgegengehalten werden.

Die Klage hat nur in Bezug auf einen Rentenanspruch der Klägerin vom 1. April 2011 bis zum 31. März 2014 Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist in Bezug auf die unterbliebene Rentenbewilligung für diesen Zeitraum rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter diesen Bedingungen mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Grundlage der Verurteilung ist hier der während des laufenden Berufungsverfahrens eingetretene Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung. Soweit der Kommentarliteratur zu entnehmen ist, dass die Weitergewährung einer befristeten Rente stets die Antragstellung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI voraussetzt (vgl. z.B. Hase in: Wannagat, SGB Kommentar, § 102 SGB VI RdNr. 10; Niesel in: Kasseler Kommentar, § 102 SGB VI RdNr. 9) ergibt sich daraus nichts anderes. Ein solcher Antrag muss bei einem laufenden Gerichtsverfahren über den Rentenanspruch in dem Fortbetreiben des Verfahrens durch den Versicherten gesehen werden. Andernfalls wäre eine lückenlose Rentengewährung in diesem Rahmen nur dadurch sicherzustellen, dass der Versicherte monatlich bei dem Rentenversicherungsträger einen neuen Renten- bzw. Weitergewährungsantrag stellt. Denn er kann den vom Gericht im Rahmen einer teilweise mehrere Jahre später ergehenden Entscheidung angenommenen Leistungsfall, den daraus abgeleiteten Beginn und eine sich aus dem Umfang der Leistungsminderung ggf. ergebende Befristung der Rente nicht sicher vorausbestimmen. Eine solche regelmäßige Antragstellung wäre unpraktikabel, da die Beklagte parallel zum laufenden gerichtlichen Verfahren wiederholt in neue Ermittlungen eintreten müsste und den jeweiligen Antrag innerhalb der durch § 88 Abs. 1 SGG vorgegebenen Fristen zu verbescheiden hätte. Würde man eine wiederholte Rentenantragstellung während des laufenden gerichtlichen Verfahrens verlangen und stellt der Versicherte solche Rentenanträge nicht, wäre durch die Begrenzung einer rückwirkenden Rentenbewilligung ein mit den Grundsätzen des Rechtsstaatsprinzips nicht zu vereinbarender Nachteil des Versicherten nicht zu vermeiden (vgl. zu den im Sinne des Rechtsstaatsprinzips auszulegenden Verfahrensregelungen z.B. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 14. November 2002 - B 13 RJ 47/01 R - BSGE 90, 136, 141). Anders liegt der Fall nur dann, wenn die Notwendigkeit eines Weitergewährungsantrages für den Versicherten durch eine angefochtene Befristung in einem Bewilligungsbescheid oder einer erstinstanzlichen Entscheidung des Sozialgerichts deutlich erkennbar wird.

Die Klägerin ist seit dem 10. September 2010 mit der für eine Verurteilung der Beklagten erforderlichen Sicherheit in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens drei, nicht aber mindestens sechs Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten zu verrichten.

Dieses Leistungsbild ergibt sich aus den überzeugenden Feststellungen von Dr. G. in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung am 10. September 2010. Die Diagnose der Fibromyalgie ist als Erkrankungsbild umstritten. Nachdem bereits in den der Rentengewährung durch die Beklagte bis zum 31. Juli 2003 zugrundeliegenden Gutachten von Dr. Z. vom 27. Februar 2002 für den Zustand vor der Operation ein Leistungsvermögen von unter zwei Stunden täglich dokumentiert worden war, hat sich zumindest im Ergebnis der progredienten Entwicklung nach der im September 2002 durchgeführten Implantation einer Bandscheiben-Endoprothese bei der Untersuchung durch Dr. G. ein Gesamtzustand gezeigt, der mit einer raschen Erschöpfbarkeit auch einer zu einem Rentenanspruch führenden quantitative Leistungsminderung entspricht. Die Ausführungen von Dr. V. in seiner prüfärztlichen Stellungnahme zu dem Gutachten von Dr. G. sind zumindest insoweit zu hinterfragen, als sich z.B. aus den Befundberichten von Dr. S., die Dr. G. bei seiner Gutachtenerstellung vorlagen und von ihm im Rahmen der "Relevanten Befunde aus den Akten" aufgeführt worden sind, die Medikation der Klägerin und die Umstellungsversuche des behandelnden Arztes zu entnehmen sind. Welche Anforderungen an den erforderlichen Leidensdruck für eine quantitative Leistungsminderung Dr. V. zugrunde gelegt hat, ist ebenfalls nicht erkennbar.

Die Klägerin erfüllt die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Rentengewährung. Für die Zeit seit dem 1. August 2003 ergibt sich dies zumindest unter dem Gesichtspunkt der Hemmung der Fristen für eine wirksame Entrichtung von Beiträgen durch das laufende Verfahren über den Rentenanspruch, § 198 SGB VI. Die Rente ist auf Grund der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes als Rente wegen voller Erwerbsminderung zu bewilligen und nach § 102 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VI auf drei Jahre zu befristen.

Für den zwischen dem 1. August 2003 und dem 10. September 2010 liegenden Zeitraum lässt sich ein auf unter sechs Stunden täglich herabgesunkenes Leistungsvermögen der Klägerin nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen. Nach dem zeitnah nach der Implantation des Bandscheibenersatzes erstellten Gutachten von Dr. B. vom 9. Oktober 2003 konnte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt noch leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne wesentliche Einschränkungen verrichten. In dem Entlassungsbericht der Klinik B. K. vom 23. Mai 2007 werden zwar, worauf auch Dr. G. hingewiesen hat, bereits chronifizierte Schmerzen der Klägerin mit dem Erfordernis einer zeitweise sitzenden Tätigkeit angegeben, nicht aber ein quantitativ gemindertes Leistungsvermögen der Klägerin dokumentiert.

Auch Anhaltspunkte für eine schwere spezifische Leistungsbehinderung, eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, einen Seltenheits- oder Kotalogfall, die trotz des Leistungsvermögens von mehr als sechs Stunden täglich zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen würden (vgl. hierzu grundlegend BSG, Beschluss des Großen Senats (GS) vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 - SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33 f.), liegen für den Zeitraum vor September 2010 hier nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Entscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, die nicht von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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