Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 81/98
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 163/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 335/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob eine Lungenkrebserkrankung als oder wie eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anzuerkennen und deshalb eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (vH) zu gewähren ist.
Die Klägerin ist Witwe des am ... 1960 geborenen und am ... 1998 verstorbenen T. H. (Versicherter), mit dem sie zu diesem Zeitpunkt in häuslicher Gemeinschaft lebte. Der Versicherte erlernte von September 1976 bis Juli 1978 im VEB S. L.-H. den Beruf des Elektromonteurs und war anschließend bis Ende 1980 als solcher bei den Elektrobetrieben K. bzw. F. M. im Wohnungsbau tätig. Von März 1981 bis Ende April 1985 arbeitete er als Elektriker für Kräne beim VEB B. und M. M. und leistete danach bis Ende Oktober 1986 seinen Grundwehrdienst. Von November 1986 bis November 1990 war er wiederum als Elektriker für Kräne beim VEB B. und M. M. (ab Oktober 1990 B. & W. K. und T. GmbH) tätig. In der Folgezeit war der Versicherte bis September 1991 als Verlagsangesteller beschäftigt und betrieb dann selbständig eine eigene Verlags- und Werbeagentur. Seit dem 10. Oktober 1994 war er arbeitsunfähig erkrankt und bezog von seinem Versicherer Krankengeld.
Mit Anzeige vom 20. Oktober 1994 meldete die Ärztin im Praktikum N. vom Fachkrankenhaus für Lungen- und Bronchialheilkunde L. der Bau-Berufsgenossenschaft H. als der Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend einheitlich als Beklagte bezeichnet) den Verdacht auf das Vorliegen einer asbestinduzierten BK. Bei dem Versicherten bestehe ein Bronchialkarzinom, welches durch die Arbeit mit asbesthaltigen Bremsbelägen während seiner Tätigkeit im VEB B. und Montagekombinat M. hervorgerufen worden sein könne.
Der Chefarzt der Klinik Prof. Dr. L. diagnostizierte im Entlassungsbrief vom 26. Oktober 1994 ein peripheres Bronchialkarzinom der Kategorie LOL T2 N2 M0. Der histologische Befund habe ein undifferenziertes, angedeutet adenoides (aus dem Drüsengewebe hervorgegangenes) Geschwür erbracht. Das Thorax-CT (Computertomogramm des Brustraumes) habe eine ausgeprägte Lymphknotenvergrößerung rechts der Mittellinie im vorderen Mediastinum (Mittelfell) sowie ventral (vorn) und lateral (seitlich) der Trachea (Luftröhre) und eine unregelmäßig begrenzte Raumforderung ergeben, die sich im linken Oberlappen ausgebreitet habe und im Lungenfenster diskrete Ausläufer zur Pleura parietalis (Rippenfell) aufweise. Nach Verlegung in die Klinik für Thoraxchirurgie des Krankenhauses V. erfolgte dort am 9. November 1994 eine Pneumonektomie (Entfernung eines Lungenflügels) links. Vom 2. bis zum 6. Januar 1995 befand sich der Versicherte unter der Diagnose eines undifferenzierten Karzinoms mit Anteilen eines Adenokarzinoms vom bronchio-alveolären Typ Kategorie T2 N3 M0 in der Thoraxklinik H.-R., wo die Empfehlung zu einer postoperativen Bestrahlungstherapie gegeben wurde, die in der Zeit vom 24. Januar bis zum 3. März 1995 im Zentrum für Radiologie des Universitätsklinikums M. stattfand. Anamnestisch habe der Versicherte angegeben, bis vor vier Jahren über zehn Jahre lang täglich 40 Zigaretten geraucht zu haben.
Nach der Selbstauskunft des Versicherten vom 20. Januar 1995 habe während der Zeit seiner Berufsausbildung kein Kontakt zu Asbest bestanden. Von September 1978 bis Dezember 1980 (Tätigkeit bei den Unternehmen K. bzw. F.) sei er gegenüber Mauerstaub exponiert gewesen. Eine Asbesteinwirkung habe während der Zeiten seiner Tätigkeiten im VEB B. und Montagekombinat M. bzw. im Nachfolgebetrieb (März 1981 bis April 1985 sowie November 1986 bis November 1990) bestanden, als er mit der Wartung der Bremsbeläge von Kranen befasst gewesen sei.
Im Rahmen des am 10. Februar 1995 zwischen ihm und dem Präventionsdienst der Beklagten persönlich geführten Gesprächs gab der Versicherte an, während seiner Lehrzeit habe er zwar nie direkt mit asbesthaltigen Materialien gearbeitet. Kontakt im weitesten Sinne habe jedoch wahrscheinlich schon wegen der Bauart der Gebäude bestanden. Während des Zeitraums seiner Tätigkeit im Wohnungsbau (September 1978 bis Dezember 1980) habe eine Asbestgefährdung durch Stemm- und Elektroarbeiten vorgelegen, wenn "mal drei Platten in der Woche, dann wieder lange gar nicht” hätten gesägt, gebrochen oder gebohrt werden müssen. Der eigentliche Schwerpunkt der Asbestgefährdung habe während der Zeiträume von März 1981 bis April 1985 sowie November 1986 bis November 1990 gelegen, als er mit dem Werkstattwagen auf Baustellen unterwegs gewesen sei. Dort habe er vor Ort an Kränen Reparatur- oder vorbeugende Instandsetzungsarbeiten an Trommelbremsen durchgeführt. Hierbei sei es durch mehrfaches Einstellen und Einschleifen zu erheblichen Staubentwicklungen gekommen. Derartige Tätigkeiten hätten etwa eine Stunde pro Arbeitstag gedauert. Sei ein Bremsbelagwechsel erforderlich gewesen, habe er die alten Bremsen mit in die Werkstatt genommen. Dort sei der verschlissene Belag entfernt und der neue aufgearbeitet worden. Dieser habe im Regelfall aus Meterware bestanden. Mittels Eisensäge sei der Belag im Grobschnitt zugeschnitten und per Klammern befestigt worden. Nachdem die Nietlöcher gebohrt und der Belag montiert worden sei, seien die Feinarbeiten mit einem Schleifer bzw. einer Feile erfolgt. Entsprechende Arbeiten hätten etwa drei bis vier Tage im Monat in Anspruch genommen. Zu seinen Rauchgewohnheiten äußerte der Versicherte, dass er während der Lehre durchschnittlich zehn Zigaretten am Tag und danach bis 1990 eine Schachtel pro Tag geraucht habe.
In seiner hierzu erstellten Stellungnahme vom 20. März 1995 schätzte der Präventionsdienst ein, der Versicherte sei während seiner Beschäftigung als Kranelektriker mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zeitweise gesundheitsschädigenden Konzentrationen asbesthaltiger Stäube ausgesetzt gewesen. Hierbei legte er für die Belastung durch Bremsbackenabrieb beim Nachstellen und Einschleifen der Bremsen eine Stunde täglich im Monat bei einer Einwirkung von 5 Fasern pro cm3, für die Tätigkeit des Zuschnitts der Beläge und des Belegens der Bremsbacken in der Werkstatt an vier Tagen im Monat eine Belastung von 1 Faser pro cm3 und für die Tätigkeit beim Schleifen der aufgenieteten Beläge in der Werkstatt an vier Tagen im Monat eine halbe Stunde täglich bei einer Einwirkung von 19,8 Fasern pro cm3 sowie insgesamt eine Expositionszeit von acht Jahren und zwei Monaten zugrunde. Demnach errechneten sich aus der Summe von 5,1 Faserjahren (98/12 x 1/8 x 5 Fasern pro cm3), 1,6 Faserjahren (98/12 x 1/5 x 1 Faser pro cm3) und 7,5 Faserjahren (richtig bei 98/12 x 1/5 x 1/16 x 19,8 Fasern pro cm3 stattdessen 2 Faserjahre) insgesamt 14,2 Faserjahre (zutreffend stattdessen zusammen 8,7 Faserjahre).
Die Beklagte ließ den Direktor des Instituts für Pathologie der Berufsgenossenschaftlichen Krankenanstalten B. B. Prof. Dr. M. auf der Grundlage von drei übersandten Paraffingewebeblöcken das Gutachten vom 7. April 1995 erstellen. Der Sachverständige bestätigte ein undifferentes, teils solides Adenokarzinom mit zentralen Nekrosezonen. Die durchgeführte Lungenstaubanalyse habe Werte von – wenn überhaupt – weniger als 12 Asbestkörpern je Gramm Lungengewebe ergeben, so dass nicht von einer vermehrten chronischen Asbestbelastung der Lunge ausgegangen werden könne. Feingeweblich seien in den tumorfreien Gewebeanteilen auch unter dem Bild einer Minimalasbestose keine asbestassoziierten Lungenveränderungen nachweisbar. Insgesamt sei damit der begründete Verdacht einer BK 4104 nicht wahrscheinlich zu machen.
Dieser Einschätzung schloss sich Dr. F. in ihrer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 27. Oktober 1995 an und gab ebenfalls die Empfehlung, keine BK 4104 anzuerkennen. Ohne Nachweis einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis von mindestens 25 Faserjahren und ohne das Vorliegen einer pulmonalen oder pleuralen (die Lunge/das Brustfell betreffenden) Asbestose bzw. Minimalasbestose könne das Bronchialkarzinom des Versicherten nicht als BK 4104 angesehen werden.
Mit gleichlautendem Bescheid vom 4. Januar 1996 lehnte es die Beklagte ab, die Erkrankung des Versicherten als BK 4104 bzw. wie eine BK anzuerkennen und insoweit Leistungen zu gewähren.
Hiergegen erhob der Versicherte am 29. Januar 1996 Widerspruch und trug am 10. Juni 1996 zur Begründung vor, dass weder seine Asbestexposition während der Lehrzeit noch die besonderen Verhältnisse in der DDR hinreichende Beachtung gefunden hätten. Daneben seien auch die Berechnung der Faserjahre und das Gutachten von Prof. Dr. M. nicht nachvollziehbar.
In seinem daraufhin zusammen mit seiner Mitarbeiterin Dr. F. gefertigten Zusatzgutachten vom 1. August 1996 bestätigte Prof. Dr. M. nochmals, dass klinisch-radiologisch keine Hinweise für das Bestehen einer asbestbedingten Lungenerkrankung erkennbar seien.
Am 26. Februar 1996 musste sich der Versicherte wegen eines Tumorrezidivs im Bereich der linken thorakalen Brustwand einer weiteren Operation mit Resektion der siebten Rippe unterziehen; im Oktober 1996 zeigte sich eine erneute Tumorprogression links mit einer solitären (einzelnen) Metastase im rechten Unterlappen.
Auf entsprechende Anregung durch den Versicherten holte die Beklagte von dem Leiter des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Gießen Prof. Dr. W. das zusammen mit dem Arzt für Arbeitsmedizin Dr. R. nach Aktenlage erstellte Gutachten vom 5. August 1997 ein. Demnach habe die Nachauswertung der bildgebenden Lungenbefunde vom 1. November 1994, 5. Februar 1996 und 11. Oktober 1996 keine Hinweise auf eine Lungen- oder Pleuraasbestose ergeben. Die von der Präventionsabteilung vorgenommene Faserjahrberechnung sei entsprechend der allgemein anerkannten Erfahrungen erfolgt und als ausgesprochenes worstcase-Szenario anzusehen. Die von Prof. Dr. M. ermittelten 12 Asbestkörperchen pro cm3 Lungengewebe lägen unterhalb der Asbeststaubbelastung im beruflich nicht exponierten Vergleichskollektiv. Allerdings habe beim Versicherten eine Einwirkung durch Weißasbest (Chrysotil) vorgelegen. Für Chrysotil sei bekannt, dass er infolge der Längsspaltungstendenz seiner Fasern nur eine begrenzte Verweildauer in der Lunge habe. Ungewöhnlich seien das frühe Erkrankungsalter von 34 Jahren und die Latenzzeit von ca. 13 Jahren zwischen dem Beginn der Asbesteinwirkung und der Diagnose des Lungenkrebses, die im unteren Bereich der arbeitsmedizinischen Erfahrung liege. Im Ergebnis sei eine Asbestfaserstauberkrankung beim Versicherten nicht wahrscheinlich zu machen, so dass keine Anerkennung als BK 4104, BK 4103 oder BK 4105 erfolgen könne.
Ergänzend führte der Präventionsdienst mit Schreiben vom 27. November 1997 aus, dass er vor Abgabe seiner Stellungnahme vom 20. März 1995 nochmals den ehemaligen Vorgesetzten des Versicherten Herrn H. (Werkstattleiter im VEB B. und M.) konsultiert habe. Danach sei der für Bremskontrollen und das Einschleifen von Bremsen veranschlagte Zeitaufwand von einer Stunde pro Arbeitstag sehr großzügig bemessen, da anstatt zwischen 50 bis 60 Kränen nur an 23 Kränen monatlich eine Kontrolle mit eventuell notwendigem Nachschleifen der Bremsen erforderlich und demnach durchschnittlich 1,5 Kräne täglich zu prüfen gewesen seien. Auch die insoweit angesetzte Einwirkung von 5 Fasern pro cm3 sei nicht zu beanstanden. Denn in der DDR seien nach dem BIA-Report 3/1995 bei Kontrollarbeiten an Radbelägen Belastungswerte von 1,44 Fasern pro cm3 zugrunde zu legen. Hinsichtlich seiner Werkstatttätigkeit habe Herr H. die Angaben des Versicherten voll bestätigt. Diesbezüglich sei in der DDR nach neuesten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen ein Wert von 2,69 Fasern pro cm3 anzusetzen, so dass auch hier die in der Berechnung vom 20. März 1995 veranschlagten Werte (1 Faser bzw. 19,8 Fasern) zugunsten des Versicherten gewertet worden seien und insgesamt keine 14,2 Faserjahre erreicht würden.
Nachdem Prof. Dr. W. und Dr. R. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 3. Februar 1998 nochmals das Ergebnis ihres Gutachtens bestätigten, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 1998 als unbegründet zurück.
Am 8. Mai 1998 hat der Versicherte beim Sozialgericht (SG) M. Klage erhoben und zur Begründung vor allem geltend gemacht, bei ihm lägen sehr wohl asbestinduzierte Veränderungen an Lunge und Pleura vor. Auch sei bei der Exposition gegenüber Asbest bislang nicht hinreichend beachtet worden, dass eine zusätzliche Belastung durch Nachbararbeitsplätze (Bystander) vorgelegen habe.
Nach dem Ableben des Versicherten haben Prof. Dr. M. und Dr. F. auf der Grundlage von fünf übersandten Paraffingewebeblöcken und den daraus gefertigten Schnittpräparaten das Gutachten vom 20. Mai 1999 erstellt. Danach sei wiederum keine asbestassoziierte Fibrosierung (Vermehrung von Bindegewebe), Minimalasbestose, Pleurafibrose und auch keine Asbestbelastung der Lunge zu finden. Die staubanalytische Untersuchung habe, wenn überhaupt, weniger als 10 bzw. 14 Asbestkörper pro Gramm Lungengewebe ergeben. Histologisch sei ein niedrig differenziertes Adenokarzinom zu erkennen. Das weitgehend tumorfreie Lungengewebe zeige kein Fibrosierungsmuster; eine Minimalasbestose liege definitiv nicht vor. Entsprechendes gelte für die Veränderungen der Pleura; das Bild einer diffusen Pleurafibrose sei nicht auszumachen. Eine BK 4104 sei weiterhin nicht wahrscheinlich.
Am 24. Juni 1999 hat die Beklagte das von dem Direktor des Instituts für Pathologie des Universitätsklinikums M. Prof. Dr. R. zusammen mit Dr. K. gefertigte Gutachten vom 4. Juni 1999 vorgelegt. Darin hatten die Gutachter dargelegt, dass das untersuchte Lungengewebe ohne einen Anhalt für eine Asbestose, eine Minimalasbestose oder eine Lungen- bzw. Pleurafibrose gewesen sei. Eine Asbeststaublungenerkrankung habe beim Versicherten nicht vorgelegen.
Das SG hat den (seinerzeitigen) Oberarzt der Klinik für Pneumologie des Kreiskrankenhauses D. Dr. D. nach Aktenlage das Gutachten vom 29. März 2000 erstellen lassen. Der Sachverständige hat im Ergebnis eingeschätzt, dass eine gewisse Beeinflussung der Tumorentstehung durch die berufliche Asbestexposition zwar nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Andererseits sei ein wesentlicher Einfluss aber nicht wahrscheinlich. Als Ursache des Bronchialkarzinoms sei neben einer gewissen anlagebedingten Disposition insbesondere der Zigarettenkonsum des Versicherten zu nennen. Diesem gegenüber komme der beruflichen Asbestbelastung keine rechtlich wesentliche Bedeutung zu. Das Risiko, an einem Bronchialkarzinom zu erkranken, sei bei einer Tabakdosis von 40 pack years (1 pack year = 20 Zigaretten täglich über ein Jahr) im Vergleich zu Nichtrauchern elffach erhöht. Bei Personen mit einer intensiven Asbestbelastung liege das Erkrankungsrisiko fünfmal höher als bei nicht exponierten Personen. Bestehe bei einem starken Raucher eine intensive Asbestbelastung, werde das Risiko im Verhältnis zu Nichtrauchern ohne Asbestkontakt 50fach überschritten. Der Versicherte habe eine Tabakdosis von etwa 15 bis 20 pack years gehabt. Bei einer Asbestexposition liege die Latenzzeit bei einer Schwankungsbreite von 12 bis 37 Jahren im statistischen Mittel bei etwa 25 Jahren. Sei eine Einwirkung von Chrysotil erfolgt, könne die Verursachung eines Bronchialkarzinoms dann als wahrscheinlich angesehen werden, wenn 25 Asbestfaserjahre überschritten und im Lungengewebe 4.000.000 Asbestfasern aller Längen pro Gramm Trockengewicht zu finden seien. Beim Versicherten hätten jedoch nur 14,2 Faserjahre vorgelegen. Auch unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Bystander-Exposition ergäbe sich keine nennenswerte Änderung. Denn insoweit könne maximal eine 10 %ige Erhöhung veranschlagt werden, so dass insgesamt 14,9 Faserjahre anzusetzen wären. Die beim Versicherten gefundenen 12 Asbestkörperchen pro Gramm Lungengewebe reichten auch nicht für eine Minimalasbestose aus, zumal selbst bei völlig gesunden und niemals asbestexponierten Personen bis zu 22 Asbestkörperchen pro Gramm Lungengewebe aufzufinden seien. Denn weder sei eine Lungenfibrose in Verbindung mit mindestens 1.000 Asbestkörperchen pro Gramm Lungengewebe noch einzelne Asbestkörperchen in unmittelbarer räumlicher Beziehung zu fibrotischen Arealen, die zudem ausdrücklich ausgeschlossen worden seien, nachgewiesen. Existiere schon keine Minimalasbestose, verspreche eine rasterelektronenmikroskopische Untersuchung keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG von dem Facharzt für Pathologie Dr. H. nach Aktenlage das Gutachten vom 5. August 2002 eingeholt. Dr. H. ist zu dem Ergebnis gelangt, ein Zusammenhang zwischen der Asbestexposition und dem Lungentumor des Versicherten sei nicht wahrscheinlich zu machen. Weder röntgenologisch, computertomographisch, bei der Obduktion noch histologisch habe eine Asbeststaubfasererkrankung festgestellt werden können. Darüber hinaus spreche das Ergebnis der Staubanalyse sogar gegen eine berufliche Asbeststaubbelastung. Bei einem Raucher entstehe ein Lungenkarzinom mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung. Dieser Zeitraum betrage beim Versicherten 18 Jahre. Berücksichtige man diese Latenz, sei das Erkrankungsalter von 34 Jahren nicht ungewöhnlich. Die mittlere Latenzzeit liege bei asbestexponierten Personen bei etwa 25 Jahren mit erheblicher Streubreite. Beim Versicherten habe insoweit eine ungewöhnlich kurze Latenz vorgelegen, die eigentlich nur durch eine außergewöhnlich hohe Staubdosis erklärbar sei. Eine solche habe aber nicht eingewirkt. Raucher mit Asbestexposition wiesen im Verhältnis zu Nichtrauchern ohne Asbestexposition ein 50mal höheres Erkrankungsrisiko auf. Eine zusätzliche rasterelektronenmikroskopische Staubanalyse sei nur sinnvoll, wenn in den Gewebeproben histologisch tatsächlich fibrotische Veränderungen belegt seien, was vorliegend nicht der Fall sei.
Die Klägerin hat hierzu u.a. eingewandt, Dr. H. habe das Zusammenwirken zwischen Zigarettenrauch und Asbeststaub sowie die Bystander-Problematik nicht hinreichend gewürdigt. Außerdem seien bei der Berechnung der Asbestfaserjahre Fasern mit einer Länge unter 5 µm, die nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen besonders schädlich seien, außer acht gelassen worden. Schließlich würden bereits 12,5 Faserjahre ausreichen, einen Ursachenzusammenhang zwischen Asbestexposition und anschließender Lungenerkrankung wahrscheinlich zu machen. Im Übrigen könne eine rasterelektronenmikroskopische Untersuchung sehr wohl weiteren Aufschluss erbringen.
Mit Urteil vom 10. Oktober 2002 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Nach den Feststellungen sämtlicher Fachmediziner hätten bei dem Versicherten zu keiner Zeit Hinweise auf eine asbestbedingte Erkrankung der Lunge oder der Pleura gefunden werden können. Vielmehr seien bei ihm nur 10 bis 14 Asbestkörperchen pro Gramm Lungengewebe auffindbar gewesen, was dem Zustand eines gesunden Menschen entspreche und auf das Fehlen einer relevanten Asbestexposition hinweise. Im Hinblick auf eine rasterelektronenmikroskopische Untersuchung hätten sowohl Prof. Dr. M., Dr. D. als auch Dr. H. übereinstimmend eingeschätzt, dass hierdurch kein zusätzlicher Informationsgewinn zu erzielen sei. Die Faserjahrberechnung sei nach der Ansicht aller Sachverständigen zutreffend erfolgt. Auch die zusätzliche Bewertung einer Bystander-Exposition führe in Übereinstimmung mit der Einschätzung von Dr. D. zu keiner entscheidenden Erhöhung der Faserjahre, da insoweit nur eine Anhebung um maximal 10% möglich sei. Entsprechendes gelte unter Einbeziehung der Zeiträume von September 1976 bis Juli 1978 und September 1978 bis Dezember 1980. Im ersten Zeitraum habe der Versicherte eine Asbestbelastung nach seinen primären Angaben selbst nicht behauptet. Zwischen September 1978 bis Dezember 1980 habe er nur sporadisch Asbestplatten bearbeitet. Damit stehe jedenfalls fest, dass die zur Anerkennung einer BK 4104 noch zu fordernden mehr als 10 Faserjahre hierdurch nicht erreicht werden könnten. Beim Zusammenwirken zwischen Asbeststaubexposition und Rauchen sei hinsichtlich der Anhebung des Lungenkrebsrisikos kein Vergleich zwischen einem Nichtraucher ohne und einem Raucher mit Asbesteinwirkung, sondern zwischen einem Raucher mit und ohne Asbesteinwirkung anzustellen. Insoweit betrage das Erkrankungsrisiko für Raucher mit Asbesteinwirkung das fünffache und nicht das 50fache. Abgesehen davon komme es auf ein Rauchen als wesentliche Mitursache für die Entstehung eines Lungenkrebses erst dann an, wenn die Tatbestandsmerkmale Asbestose oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura im Sinne der BK 4104 erfüllt seien. Entsprechendes sei beim Versicherten aber nicht nachweisbar gewesen.
Gegen das ihr am 13. November 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. Dezember 2002 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung insbesondere vorgetragen: Die Erkrankung des Versicherten im 34. Lebensjahr sei so ungewöhnlich, dass eine berufliche Mitverursachung auf der Hand liege. Bei zutreffender Faserjahrberechnung würden ohne weiteres 25 Faserjahre erreicht. Indem die Beklagte ihrer Rechnung nur Asbestfasern mit einer Länge von mindestens 5 µm zugrunde gelegt habe, habe sie nur den hundertsten Teil der tatsächlich anfallenden Fasern beachtet. Dies gelte gerade für Weißasbest, dessen Fasern schon nach kurzer Zeit nicht mehr feststellbar seien, ohne dass damit seine kanzerogene Wirkung entfalle. Außerdem entstünden beim Trennschleifen 500 Fasern pro cm3 und nicht lediglich die vom Präventionsdienst zugrunde gelegten 5 Fasern. Selbst bei 14,2 Asbestfaserjahren verkürze sich das Leben nach neueren Erkenntnissen um mehrere Jahre. Denn beim normalen Bürger läge durchschnittlich eine Belastung von 0,06 Faserjahren vor. Im Verhältnis hierzu habe beim Versicherten ein vielfach erhöhtes Risiko bestanden. Hinzu komme, dass sich das Risiko einer Lungenkrebserkrankung beim Zusammenwirken zwischen Asbestbelastung und Rauchen synergistisch hochschaukele (so genannte Synkanzerogenese), und zwar multiplikativ, wie Prof. Dr. W. im Berufungsverfahren ausgeführt habe. Nach ihm betrage das relative Risiko (RR) des Nierauchers, an Lungenkrebs zu sterben, 1,0. Beim nicht Asbestfaserstaub exponierten Raucher liege es bei 11,0. Der nie rauchende Asbestisolierer weise ein RR von 5,0 auf. Demgegenüber belaufe sich das RR eines zigarettenrauchenden Asbestisolierers auf einen multiplikativen Wert von 53.
Die Klägerin beantragt ihrem Vorbringen nach,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. Oktober 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1998 aufzuheben, spätestens mit Wirkung vom 10. Oktober 1994 an festzustellen, dass der Lungenkrebs des Versicherten eine Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung war, und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Thomas Hägebarth vom 11. Oktober 1994 an bis zum 31. August 1998 eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH zu gewähren;
hilfsweise, den Lungenkrebs wie eine Berufskrankheit anzuerkennen und entsprechend eine Verletztenrente zu zahlen;
hilfsweise, ein (arbeitstechnisches) Sachverständigengutachten zur Faserjahrberechnung einzuholen;
hilfsweise, Prof. Dr. W. entsprechend dem Schriftsatz vom 18. Januar 2011 ergänzend zu hören.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das ihre Entscheidung bestätigende Urteil des SG. Der Tatbestand der BK 4104 sei vorliegend unstreitig nicht erfüllt. Daneben scheide im Hinblick auf die berufliche Asbestexposition bei gleichzeitigem Rauchverhalten auch eine Anerkennung wie eine BK aus. Über diese Möglichkeit könnten die legaldefinierten 25 Faserjahre nicht einfach nach unten korrigiert werden. Dies gelte schon deshalb, weil bei der Bestimmung dieser Mindestdosis bereits berücksichtigt worden sei, dass ein zahlenmäßig bedeutender Anteil von Fasern mit einer Länge von unter 5 µm mit eingeatmet werde, was Prof. Dr. W. im Berufungsverfahren ausdrücklich bestätigt habe. Jedenfalls sei eine wesentliche Mitverursachung des Lungentumors durch die versicherte Tätigkeit nicht begründbar. Denn die errechneten 14,2 Faserjahre korrespondierten in keiner Weise mit den Obduktions- und allen bildgebenden und histologischen Befunden, nach denen die Asbestexposition an den Zielstellen Lunge und Pleura keinerlei Spuren hinterlassen habe.
Am 17. April 2003 hat die Beklagte den von Dr. R. vom Institut für Pathologie der Universitätsklinik M. erstellten Autopsiebericht vom 11. August 1998 vorgelegt. Danach habe die Obduktion u.a. ein mäßiggradiges, teilweise ausgewachsenes intraalveoläres (innerhalb der Lungenbläschen bestehendes) Lungenödem aller Lungenlappen rechts, flächenhafte Perikardverwachsungen und eine fibrinöse Perikarditis (Herzbeutelentzündung unter Bildung von Fibrin – Klebefasern) ergeben. Als unmittelbare Todesursache sei die respiratorische Insuffizienz (Atmungseinschränkung) bei fortgeschrittenem Lungenkarzinom anzusehen.
Der Senat hat von Dr. D. die gutachtliche Stellungnahme vom 29. Februar 2004 mit Ergänzung vom 15. April 2004 eingeholt. Danach sei die Faserjahrberechnung nach wie vor nicht zu beanstanden. Trennschleifende Arbeiten im eigentlichen Sinne seien vom Versicherten nicht ausgeführt worden. Vielmehr habe er Bremsbacken, die durch starke Bremsbedienung abgerieben gewesen seien, eingeschliffen. Bei der Festlegung der Dosisgrenze von 25 Faserjahren seien Asbestfasern mit einer Länge unter 5 µm auch nicht unberücksichtigt geblieben. Lediglich Asbestfasern mit einer Länge von über 5 µm (richtig gestellt mit Schreiben vom 6. Juli 2004) und mit der Konfiguration langspitz-dünn seien aber alveolengängig und können dort ihre krebserzeugende Wirkung entfalten. In den westlichen Industriestaaten entstünden etwa 90% aller Bronchialkarzinome durch inhalatives Tabakrauchen. Dieses führe umso früher zum Auftreten einer solchen Erkrankung, je zeitiger es begonnen werde. Der Versicherte habe im 34. Lebensjahr bereits eine Tabakdosis von immerhin 15 bis 20 pack years aufzuweisen gehabt, was aus medizinischer Sicht ausreiche, die Entstehung eines Bronchialkarzinoms plausibel zu begründen. Einer zusätzlichen Asbesteinwirkung bedürfe es insoweit nicht.
Weiterhin hat der Senat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG Prof. Dr. W. das Gutachten vom 15. August 2005 erstatten lassen. Dieser hat dargelegt, dass die Kanzerogenität von Asbestfasern mit ihrer Länge zunehme. Die Frage der Kurzfaserkanzerogenese stelle eine bis heute wissenschaftlich nicht endgültig geklärte Herausforderung grundsätzlicher Art dar. Infolge der beim Ein- und Ausatmen auftretenden Kräfte komme es mit der Zeit, insbesondere bei Weißasbestfasern, zum Zerbrechen längerer Fasern, u.a. mit Längen unter 5 µm. Rödelsperger habe in seiner Habilitationsschrift von 1996 gezeigt, dass sowohl bei Mesotheliom-Patienten (Patienten mit Rippenfellkrebs) als auch bei Krankenhaus-Kontrollpatienten jeweils ca. 90% aller im Lungengewebe vermessenen Asbestfasern Längen unter 5 µm aufgewiesen hätten. Derartige Faserlängen seien bisher jedoch stets, gewissermaßen "in cognito”, miterfasst worden und hätten insoweit auch bei den Überlegungen zur Festlegung der Verdopplungsdosis von 25 Faserjahren Eingang gefunden. Deshalb seien die vom Präventionsdienst zugrunde gelegten Konzentrationswerte für die einzelnen Arbeitsvorgänge (5 F/cm3, 1,44 F/cm3 bzw. 2,69 F/cm3) und die jeweiligen zeitlichen Anteile aus arbeitsmedizinischer Sicht auch nicht zu beanstanden und entsprächen den eigenen Forschungen, die sich auf einen mehrere Hunderttausend zählenden Personenkreis von Beschäftigten in Bremsdiensten des Kfz-Handwerks erstreckten. Vor diesem Hintergrund sei es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Lungenkrebs durch die berufliche Tätigkeit des Versicherten als Elektromonteur mit einer Asbeststaubgefährdung in Höhe einer Dosis von 14,2 Faserjahren im Sinne der Entstehung verursacht worden sei. Schwieriger zu beantworten sei die Frage einer Verschlimmerung. Dies gelte vor allem unter Berücksichtigung der konkurrierenden Kausalität durch den starken Lungenkrebs erzeugenden Konsum von mindestens 13 (2 Jahre 10 Zigaretten täglich = 1 Packungsjahr + 12 Jahre eine Packung pro Tag) und maximal 20 (10 Jahre und 2 Packungen am Tag) Zigarettenpackungsjahren. Im Rahmen einer großen epidemiologischen Studie aus dem Jahr 1994 seien pro Jahr 14 Neuerkrankungen an Lungenkrebs bei Nichtrauchern pro 100.000 Personen beobachtet worden, jedoch 105 Neuerkrankungen bei Personen mit einer kumulativen Zigarettendosis von 20 pack years. Hieraus leite sich ein um 7,5fach erhöhtes RR (105: 14) ab. Würden beim Versicherten 13 pack years angesetzt (ca. 2/3 von 20), resultiere ein fünffach erhöhtes RR (7,5 x 2/3). Diesem Sterberisiko stünde bei 14,2 Faserjahren ein RR von 1,57 gegenüber, welches sich aus dem Verhältnis zu 25 Faserjahren nach der Formel 1 + [14,2: 25] errechne. Selbst wenn hierbei das so genannte "Krasneysche Drittel” als Faustformel zur Abwägung der Wesentlichkeit der arbeitsbedingten Teilursache in Höhe des durch Asbestfaserstaub verursachten Lungenkrebsrisikos zugrunde gelegt werde, sei das berufsbedingte RR von 1,57 gegenüber den beiden durch Zigarettenkonsum verursachten Lungenkrebsrisiken von 5 bzw. 7,5 in jedem Fall geringer als ein Drittel (1,57: 7,5 = 20,9 % bzw. 1,57: 5,0 = 31,4 %). Folglich bestünden gewisse Bedenken, der Einwirkung von 14,2 Asbestfaserjahren im Verhältnis zum konkurrierenden Zigarettenkonsum die Bedeutung einer wesentlich mitwirkenden Bedingung für das Entstehen des Lungenkrebses im Alter von 34,5 Jahren beizumessen. Dieses Erkrankungsalter und das Sterbealter von 38,5 Jahren seien jedoch ungewöhnlich. Denn nach den Daten der Krebsstatistik für Männer in der DDR aus den 1970er Jahren seien ein Erkrankungsalter von weniger als 35 Jahren und ein Sterbealter unter 40 Jahren in einem Bereich von höchstens 2% zu erwarten. Neben einer genetischen Disposition müssten deshalb der Zigarettenkonsum und die Asbesteinwirkung betrachtet werden. Epidemiologische Studien, welche durch die arbeitsbedingte Asbesteinwirkung von 14,2 Faserjahren eine Vorverlagerung des Erkrankungs- bzw. Todeszeitpunktes um mindestens ein Jahr evidenzbasiert abschätzen ließen, lägen nicht vor.
Auf Anforderung des Senats hat Prof. Dr. W. in seiner Stellungnahme vom 28. Februar 2006 ergänzend dargelegt: Der vom Präventionsdienst errechnete Wert von 14,2 Faserjahren sei nach wie vor aktuell. Die Festlegung der Verdopplungsdosis von 25 Faserjahren beruhe auf evidenzbasierter wissenschaftlicher Grundlage. Weißasbest sei in der DDR zu fast 100% eingesetzt worden und zeichne sich durch die am stärksten verkürzte Biobeständigkeit und eine Halbwertzeit von 11 bis 16 Tagen aus (so genanntes Fahrerfluchtphänomen). Ein Mitglied der Normalbevölkerung atme im Jahr etwa 500 Asbestfasern pro m3 Atemluft ein, was bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren 40.000 Asbestfasern pro m3 ausmache. Das Verhältnis von arbeitsbedingt 1.000.000 Asbestfasern pro m3 pro Vergleichsjahr zu diesen umweltbedingten 40.000 Asbestfasern pro m3 und Vergleichsjahr ergebe damit 0,04, so dass die Verdopplungsdosis von 25 Asbestfaserjahren die geschätzte lebenslange umweltbedingte Asbestfaserstaubdosis von 0,04 Asbestfaserjahren um den Faktor 625 übertreffe. Für den Versicherten entsprächen die geschätzten 14,2 Faserjahre somit einem Faktor von 355 (14,2: 0,04). Bei gebotener lebensnaher Betrachtungsweise liege es auf der Hand, dass auch ein um mehr als 300fach erhöhtes Lungenkrebsrisiko aufgrund arbeitsbedingter Asbestfaserstaubeinwirkung immer noch dem Wortlaut von § 9 Abs. 1 und Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) entspreche. Durch die versicherte Tätigkeit der besonderen Einwirkung in Höhe von 14,2 Faserjahren ausgesetzt gewesen zu sein, bedeute die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe, deren Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, gegenüber der übrigen Bevölkerung einen erheblich höheren Grad erreiche. Werde das RR, an Lungenkrebs zu sterben, für Nieraucher auf 1 standardisiert, ergebe sich für nicht asbestfaserstaubexponierte Raucher ein RR von 11. Für nie rauchende Asbestisolierer betrage das RR 5,0. Für zigarettenrauchende Asbestisolierer multipliziere sich das RR der Zigarettenraucher (11) in etwa mit dem durch Asbestfaserstaub verursachten RR (5,0) auf einen Wert von 53.
Die Beklagte hat das von dem Direktor des Instituts für Arbeits- und Umweltmedizin der Universität M. Prof. Dr. N. zusammen mit der Fachärztin für Arbeitsmedizin Dr. O. in ihrem Auftrag erstellte Gutachten vom 14. Dezember 2006 vorgelegt, dessen Unverwertbarkeit wegen Verstoßes gegen § 200 Abs. 2 SGB VII die Klägerin mit Schreiben vom 19. Januar 2007 geltend gemacht hat.
Der Senat hat Prof. Dr. W. zur Erläuterung seiner gutachtlichen Ausführungen zur mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2009 geladen. Dieser hat hierbei u.a. erklärt, dass keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Vorliegen einer Verdopplungsdosis unterhalb von 25 – insbesondere bei 7,7 – Faserjahren vorhanden seien. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Versicherte ohne Asbesteinwirkung zu einem späteren Zeitpunkt verstorben wäre, lasse sich wissenschaftlich fundiert nicht abschätzen. Insoweit bestehe lediglich eine Denkmöglichkeit. Schließlich handele es sich bei den im Autopsiebericht genannten Perikardveränderungen nicht um Brückenbefunde, sondern Veränderungen im Endstadium der Krebserkrankung. Wegen des weiteren Inhalts seiner Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom Verhandlungstag – Bl. 595 bis 601 der Gerichtsakten – verwiesen.
Nachfolgend hat die Beklagte die Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 14. September 2009 übersandt, wonach der Zeitaufwand für das Belegen der Bremsen abweichend von seiner letzten Bewertung (vom 27. November 2007) mit 0,5 Stunden täglich zu veranschlagen sei. Grundlage hierfür sei die im (beigefügten) Antrag für die Verarbeitung asbesthaltiger Materialien des VEB B. und M. M. an die Arbeitshygieneinspektion M. vom 28. September 1987 enthaltene Angabe, dass diese Reparaturarbeiten maximal fünf Personen an insgesamt 50 Stunden im Monat verrichtet hätten (10 Stunden im Monat pro Person = 2,5 Stunden pro Woche = 0,5 Stunden täglich bei fünftägiger 8stündiger Arbeit). Weitere Informationen seien in der Betriebsakte des VEB M. M. laut Auskunft des Landesamtes für Verbraucherschutz vom 8. September 2009 nicht enthalten.
Auf Anfrage des Senats hat der Geschäftsführer der B. & W. K. T. GmbH P. W. unter dem 28. Oktober 2009 mitgeteilt, dass er von 1971 bis 1989 im VEB M. M. beschäftigt und 15 Jahre Leiter des Bereichs Technik/Krane-Schwertransporte gewesen sei. Die Lebensdauer der Bremsbeläge habe zwischen ein und drei Jahren gelegen; für die Arbeiten an ihnen sei keinesfalls ein langer Stundensatz zu veranschlagen. Überdies habe der Ein- und Ausbau der Beläge generell im Freien stattgefunden. Nur das Vernieten der neuen Bremsbacke auf dem Bremskörper sei in der Werkstatt erfolgt. Modelle der verwendeten Materialien seien nicht mehr vorhanden. Weitere Nachforschungen des Senats bezüglich der seinerzeit zum Einsatz gekommenen Bremsbeläge bei der Firma J. N. in R., der S. H. GmbH, der Kranbau K. GmbH, der K. AG L. sowie der T. F. E. GmbH C. sind ohne weitere Erkenntnisse geblieben.
Anschließend hat der Senat nach Beiziehung bildgebender Lungenbefunde des Versicherten von dem Direktor der Universitäts- und Poliklinik für Diagnostische Radiologie des Universitätsklinikums H. Prof. Dr. S. das Gutachten vom 16. März 2010 eingeholt. Dieser ist zu der Einschätzung gelangt, dass es keinen Anhalt für einen beruflichen Zusammenhang des Bronchialkarzinoms des Versicherten gebe. Die ausgewerteten radiologischen Aufnahmen ergäben allesamt keine Hinweise für eine Lungen- oder Pleurasbestose. Insbesondere fänden sich keine fibrotischen Veränderungen außerhalb der Tumor- bzw. Bestrahlungsregion sowie Pleuraverkalkungen oder umschriebene Pleuraplaques. Die auf den Thorax-CT vom 6. März und 11. Oktober 1996 sowie 8. April 1997 erkennbaren geringen Fibrosezeichen seien regelmäßige Folge der erfolgten Bestrahlungstherapie und daher nicht zu werten. Eine Minimalasbestose sei radiologisch zwar nicht auszuschließen, liege nach den fachpathologischen Beurteilungen jedoch nicht vor.
Der Senat hat vom Institut für Pathologie der R.-Universität B. sowie der Thoraxklinik am Universitätsklinikum H. asservierte Lungengewebsproben des Versicherten beigezogen. Insoweit hatte der Pathologe Prof. Dr. Dr. K. bestimmten Gewebeproben vom Rand und aus dem Zentrum der Pleura unter dem 1. März 1996 feingeweblich Fibrosezeichen entnommen.
Schließlich hat der Senat die Direktorin des Instituts für Pathologie der R.-Universität B. Prof. Dr. T. das Gutachten vom 2. September 2010 erstellen lassen. Diese hat einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition des Versicherten und dem bei ihm diagnostizierten Lungenkarzinom im Ergebnis als nicht wahrscheinlich eingeschätzt. Weder elektronenmikroskopisch noch pathologisch-anatomisch seien Asbestkörper in Fibrosierungsarealen nachweisbar. Damit seien die national und international gültigen Kriterien für die Diagnose einer Minimalasbestose (Asbestose Grad I) nicht erfüllt. Die untersuchte Probe habe elektronenmikroskopisch 11.533 Chrysotilfasern pro Gramm Lungenfeuchtgewebe erbracht. Im Fall von Patienten mit histologisch verifizierter Asbestose oder Minimalasbestose ließen sich stattdessen Konzentrationen in einer Größenordnung ) 106 Fasern nachweisen. Die Konzentration liege also in einem Bereich, der sich auch bei Patienten ohne berufliche Asbestexposition finde. Bei der histologischen Aufarbeitung von drei Präparaten aus dem Jahr 1995 und fünf Präparaten aus dem Jahr 1999 seien bei teils fibrosiertem Lungenparenchym bzw. unter dem Bild einer fibrinösen Pleuritis ebenfalls keine Hinweise auf Asbestkörper zu gewinnen gewesen. Mangels Vorliegens neuer gesicherter Erkenntnisse über einen bestimmten Dosisgrenzwert unterhalb der in Deutschland als sozialmedizinischen Konsens festgelegten 25 Faserjahre scheide auch eine Anerkennung wie eine BK aus.
In seiner hierzu auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG gefertigten gutachtlichen Stellungnahme vom 2. November 2010 ist Prof. Dr. W. bei seiner Einschätzung geblieben. Das Rauchen und die berufliche Asbestbelastung von 14,2 Faserjahren, die zur Verursachung des Karzinoms nicht hinweggedacht werden könnten und keinesfalls eine Gelegenheitsursache darstellten, seien als jeweils wesentlich teilursächlich zu werten. In der Mitte Oktober 2010 in der Klinik F. beschlossenen Empfehlung (Falkensteiner Empfehlung) sei dargelegt, dass Minimalasbestosen pathologisch-anatomisch auch bei Dosen von weniger als 5 Faserjahren nachgewiesen werden könnten. Zudem führe die licht- und elektronenmikroskopische Analyse bei Chrysotil wegen dessen geringer Biobeständigkeit nicht weiter und schließe insbesondere ein negativer Befund eine erhöhte Asbestbelastung in der Vergangenheit als wesentliche Teilursache einer Lungenfibrose nicht aus. Auch die von Prof. Dr. T. aufgestellte Forderung eines wiederholten Nachweises von Asbestkörpern in Fibrosierungsbereichen stehe nicht mit der Falkensteiner Empfehlung in Einklang. Die von ihr elektronenmikroskopisch untersuchte Probe entspreche nur einem 5.200sten Teil der Lunge. Die dabei nach einer Interimszeit von vier Jahren gefundenen 11.533 Chrysotilfasern belegten gerade eine relevante Gefährdung, zumal Prof. Dr. T. eine begleitende Fibrosierung selbst beschrieben habe. Unter Berücksichtigung der Zerfallkinetik des Chrysotils habe dieses während der ca. 200 Wochen seit Belastungsende (52 x 4) 100mal eine Halbierungsmöglichkeit auf den Wert 11.533 gehabt, wohingegen bei 93 Halbierungszeiten 1.476.224 Fasern pro Gramm Lungengewebe resultierten.
Letztlich hat Prof. Dr. T. auf Anforderung des Senats die Falkensteiner Empfehlung (Stand: 30. November 2010) vorgelegt und unter dem 19. November 2010 ergänzend zu ihrem Gutachten dargelegt: Eine Asbestose könne bei weniger als fünf oder auch bei Dosen von 200 Faserjahren vorliegen. Dabei müsse aber auch bedacht werden, dass bei den oft erst nach Jahren und Jahrzehnten stattfindenden arbeitstechnischen Ermittlungen eine fehlerhaft zu niedrig festgestellte Dosis nicht auszuschließen sei. Bei Patienten der Normalbevölkerung ohne berufliche Asbestexposition seien häufig auf Umweltbelastungen oder inhalatives Rauchen zurückgehende Kohlenstoffpartikeleinlagerungen in der Lunge mit begleitender Fibrosierung auszumachen. Ein solcher unspezifischer Befund sei in Form der nur histologisch fassbaren geringen Fibrosierung des Lungenparenchyms auch beim Versicherten zu finden gewesen. Da in den USA und der Mehrheit der europäischen Länder zu über 90% Weißasbest verwendet worden sei, liege in Deutschland keine besondere Situation vor, die ein Abgehen von der international gültigen Asbestosedefinition rechtfertige. Überdies ließen neueste in den Jahren 2005 und 2010 veröffentlichte Studienergebnisse darauf schließen, dass Chrysotil eine äußerst geringe fibrogene Potenz zuzumessen sei. Dies komme auch im Begriff "Fahrerfluchtphänomen” zum Ausdruck, der – ausgenommen so genannter overload-Situationen mit massiver Chrysotilbelastung – besage, dass wegen des rasanten Verschwindens der Fasern von der ermittelten Faserdosis nicht auf die Faserkonzentration in der Lunge und einen dort induzierten Schaden rückgeschlossen werden könne. Denn je länger eine Faser ihre fibrogene und kanzerogene Wirkung in der Lunge entfalte, umso höher sei die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung, was durch Fälle deutlich erhöhter Chrysotilbelastungen der Lunge auch Jahre und Jahrzehnte nach dem Expositionsende im Sinne einer "verhinderten Fahrerflucht” belegt werde. Da keine einheitlichen und gesicherten Erkenntnisse zur Biobeständigkeit von Chrysotil existierten, sei die von Prof. Dr. W. vorgenommene Hochrechnung wissenschaftlich nicht haltbar. Die bisherigen Untersuchungen wiesen Halbwertzeiten zwischen wenigen Wochen bis zu Jahrzehnten aus.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1998 beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil sie als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil) keinen Anspruch auf Anerkennung dessen Erkrankung als oder wie eine BK und eine darauf gestützte Gewährung von Leistungen hat.
Die von der Klägerin verfolgten Ansprüche richten sich noch nach den bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Denn der als entschädigungspflichtig geltend gemachte Versicherungsfall soll vor dem In-Kraft-Treten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten sein (vgl. Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I, 1254 ff.; §§ 212 ff. SGB VII).
Gemäß § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung (BKV) mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (§§ 539, 540, 543 bis 545 RVO) erleidet (Listen-BK). Die näheren Einzelheiten zum Erlass der BKV regelt § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO. Die BK 4104 wird definiert als Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs entweder in Verbindung mit einer Asbeststaublungenerkrankung (erste Variante), in Verbindung mit einer durch Asbeststaub verursachten Erkrankung der Pleura (zweite Variante) oder – als dritte Variante – bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren {25 x 106 [(Fasern/m³) x Jahre]}. Nach § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Kriterien nicht vorliegen, wie eine Listen-BK entschädigen (Wie- oder Quasi-BK), sofern nach neuen (medizinischen) Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO vorliegen.
Gemessen daran scheidet vorliegend sowohl die Anerkennung einer BK 4104 (nachfolgend unter 1.) als auch einer Wie-BK aus (hierzu unter 2.).
1. Zwischen den Beteiligten ist zwar unstrittig, dass der Versicherte während der Zeit seiner Tätigkeit als Kranelektriker, die einer nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Tätigkeit als Beschäftigter entspricht, zeitweise gesundheitsschädigenden Konzentrationen asbesthaltiger Stäube ausgesetzt gewesen war. Ferner ist vollbeweislich gesichert, dass er an einem Lungenkrebs in Form eines Bronchialkarzinoms erkrankt und an dessen Folgen verstorben ist, womit auch eine Erkrankung im Sinne der BK 4104 nachgewiesen ist. Es ist jedoch nicht auf Grund voll bewiesener Gesundheitsstörungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit belegt, dass er an einer Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) bzw. zumindest an einer Minimalasbestose oder einer asbestbedingten Erkrankung der Pleura gelitten hat. Ebenso wenig ist nach dem insoweit einschlägigen Maßstab des Vollbeweises (siehe zu seinen inhaltlichen Anforderungen Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 5/05 R – SozR 4-5671 § 6 Nr. 2) belegt, dass der Versicherte einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis von mindestens 25 Faserjahren ausgesetzt gewesen ist. Damit fehlen die tatbestandlichen Brückenbefunde einer BK 4104.
Die Diagnose einer Asbestose basiert vor allem auf dem röntgenologischen Befund (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Abschn. 17.6.1.2, S. 1030 f. und 18.6.1.1.11, S. 1098; vgl. auch Merkblatt zur BK 4103 des damaligen Bundesministeriums für Arbeit vom 1. Juni 1988, BArbBl. 1988, 122), wobei eine diffuse Vermehrung des Bindegewebes (Fibrose) der Mittel- und Unterfelder kennzeichnend ist. Die Veränderungen weisen wabenähnliche oder grob netzförmige, unregelmäßig streifige, bandartig verflochtene oder auch maschenartige Strukturen auf. Sie nehmen in den Lungen von oben nach unten zu. Derartige (makroskopische) Befunde haben alle Sachverständigen – einschließlich Prof. Dr. W. im Rahmen seiner Nachauswertung der bildgebenden Befunde vom 1. November 1994, 5. Februar 1996 und 11. Oktober 1996 – genauso eindeutig verneint, wie bindegewebsartige oder verkalkte Pleurabeläge (Plaques), wie sie für die Pleuraasbestose charakteristisch sind (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 17.6.2, S. 1033 f.; Merkblatt zur BK 4103, a.a.O.). Der Senat sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser übereinstimmenden Einschätzungen zu zweifeln, zumal Prof. Dr. S. diese in seinem Gutachten vom 16. März 2010 nochmals bestätigt hat.
Weiterhin lässt sich auch keine Minimalasbestose sichern, wobei offen bleiben kann, ob diese nur vorliegen kann, wenn mikroskopisch und feingeweblich neben geeigneten Fibrosierungen Asbestkörperchen in einer bestimmten Anzahl und/oder in bestimmter Lage vorhanden sind (in diesem Sinne Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 17.6.1.2.2., 1032 f.; Falkensteiner Empfehlung, Abschn. 4.4.2 und 8.2.2 – abrufbar unter: http://www.dguv.de/inhalt/presse/2011/Q2/falkensteiner/falkensteiner empfehlung.pdf; Mehrtens/B., Die Berufskrankheitenverordnung, Stand Mai 2010, M 4104, Rn. 5). Diese sind schon nach Aussage von Prof. Dr. M. – dem hier auch Prof. Dr. W. nicht widersprochen hat – jedenfalls nur in einer Anzahl nachweisbar, die bei Personen ohne berufliche Belastung auftritt. Keinen feststellbaren Einfluss hat es auf diese Einschätzung, dass nur Asbestkörperchen einer Länge von mehr als 5 Mikrometern erfasst werden. Auch Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 15. August 2005 im Hinblick auf die maßgeblichen Abmessungen eingeräumt, es gebe derzeit keine Definition, die wissenschaftlich besser zu begründen wäre. Zudem bestehe eine verhältnismäßig enge Beziehung der Anteile an längeren und kürzeren Asbestfasern in der Atemluft. Bei der von Prof. Dr. T. vorgenommenen histologischen Aufarbeitung der acht Vergleichspräparate sind ebenfalls keine Hinweise auf Asbestkörper zu finden gewesen.
Selbst wenn der Nachweis einer Minimalasbestose auch durch geeignete Fibrosierungen und den elektronenmikroskopischen Nachweis einer bestimmten Zahl von Asbestfasern erbracht werden kann, ist der entsprechende Beleg im Falle des Versicherten nicht gelungen. Denn die in der untersuchten Probe durch Prof. Dr. T. elektronenmikroskopisch befundeten 11.533 Chrysotilfasern pro Gramm Lungenfeuchtgewebe lassen sich nach ihren Darlegungen ohne weiteres mit der Befundsituation bei nicht asbestexponierten Personen der Normalbevölkerung vereinbaren; dieser Einschätzung selbst hat Prof. Dr. W. nicht widersprochen. Das Gericht folgt jedoch seiner weiteren, im Hinblick auf das sogenannte Fahrerfluchtphänomen angestellten Überlegung nicht, auf dieser Grundlage eine Rückrechnung vorzunehmen. Denn diese kann nicht – wie Prof. Dr. W. wohl für möglich erachtet – den Nachweis einer hinreichenden Asbeststaubbelastung zum Zeitpunkt der Aufgabe der belastenden Tätigkeit erbringen. Ebenso wenig wie für eine Person aus der Normalbevölkerung der Schluss gezogen werden kann, diese habe zu einem früheren Zeitpunkt eine viel höhere Zahl von Asbestfasern im Lungengewebe aufzuweisen gehabt, lässt sich eine solche Behauptung für eine beruflich exponierte Person aufstellen. Allein an die Exposition selbst knüpft der Verordnungsgeber eine Zusammenhangseinschätzung mit der Krankheit außerhalb der Prüfung der Asbestfaserjahre nicht. Darauf liefe es aber hinaus, wenn bei einem unauffälligen Fasergehalt der Lunge letztlich allein die stattgehabte Exposition – in Verbindung mit einer Hochrechnung – die Grundlage für die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs liefern soll. Zudem hat Prof. Dr. M. schon in seinem Gutachten vom 1. August 1996 – unwidersprochen von Prof. Dr. W. – darauf hingewiesen, nicht jede erhöhte Asbestexposition führe zu einer entsprechenden Asbestbelastung der Lunge.
Die vorgefundenen Fibrosezeichen bzw. Pleuraveränderungen selbst haben die beteiligten Ärzte als unspezifisch bewertet. Davon weicht auch Prof. Dr. W. nicht ab, der dem Umstand der fehlenden Spezifität im Hinblick auf die Asbestexposition – wie dargestellt – lediglich keine Bedeutung beimessen will.
Schließlich liegt ebenso kein Brückenbefund im Sinne der dritten Variante der BK 4104 vor. Denn der Versicherte war während seines Berufslebens unterhalb der Schwellendosis von 25 Faserjahren asbestbelastet, die nach den Vorgaben des Verordnungsgebers erforderlich ist, um die Häufigkeit des Auftretens eines Bronchialkarzinoms zu verdoppeln, wobei Bezugspunkt eine aus Rauchern sowie Nichtrauchern bestehende Population war. Hierauf hatte insbesondere Dr. D. bereits in seinem Gutachten vom 29. März 2000 hingewiesen; Gegenteiliges hat auch Prof. Dr. W. nicht behauptet. Im hypothetisch denkbar schlimmsten Fall ist der Versicherte einer Lebensarbeitszeitdosis von maximal 10 Faserjahren ausgesetzt gewesen.
Ein Faserjahr im Sinne der BK 4104 entspricht einer einjährigen arbeitstäglich achtstündigen Einwirkung von 1 x 106 Fasern pro m3 (= 1 Faser pro cm3) der kritischen Abmessung (Länge ) 5 µm, Durchmesser ( 3 µm, Länge-Durchmesser-Verhältnis mindestens 3: 1) bei 240 Arbeitstagen bzw. Schichten im Jahr (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O, Abschn. 18.6.1.1.1.1., S. 1099; Falkensteiner Empfehlung, a.a.O., Abschn. 4.6.4 in Verbindung mit dem BK-Report 1/2007, S. 73, abrufbar unter: http://www.dguv.de/ifa/de/pub/rep/pdf/rep05/bk0107/bk1 2007.pdf; Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit zur BK 4104, Bekanntmachung vom 1. Dezember 1997, BArbBl. 12/1997, S. 32). Zeiten, in denen ein Versicherter in einem nicht näher einzugrenzenden Abstand zu der Emissionsquelle anwesend oder ebenfalls exponiert ist, jedoch nicht direkt die aufgeführte Tätigkeit ausübt, die zur Freisetzung von Asbestfasern führt, sind als so genannte Bystanderzeiten regelmäßig mit 10 vH der Asbestfaserdosis pro m3 zu berücksichtigen (BK-Report 1/2007, a.a.O., S. 170). Zur Berechnung der Faserjahre sind die Dauer der Exposition und die Anzahl der Asbestfasern pro m3 zu ermitteln. Beide werden miteinander multipliziert und ergeben die Faserjahre.
Unter Ansatz dieser Maßstäbe liegen berücksichtigungsfähige Beschäftigungszeiten des Versicherten zwischen März 1981 und April 1985 sowie zwischen November 1986 und November 1990 vor und betragen acht Jahre und zwei Monate. Eine Erhöhung dieser Anzahl hat der Präventionsdienst der Beklagten, dessen Einschätzung sich der Senat insoweit anschließt, sachkundig verneint. Sie kann weder für die Ausbildungszeit von September 1976 bis Juli 1978, während der nach der Selbstauskunft des Versicherten vom 20. Januar 1995 kein Kontakt zu Asbest bzw. allenfalls im Hinblick auf den Aufenthalt in asbesthaltigen Gebäuden bestanden habe (so seine Angabe vom 10. Februar 1995), noch für den Zeitraum von September 1978 bis Dezember 1980 (Tätigkeit bei den Unternehmen Kraft bzw. Fuchs) angenommen werden, als der Versicherte – entgegen seinen ursprünglichen Angaben vom 20. Januar 1995 – einer Asbesteinwirkung entsprechend seiner Einschätzung vom 10. Februar 1995 nur durch sporadische Stemm- und Elektroarbeiten ausgesetzt gewesen sei ("mal drei Platten in der Woche, dann wieder lange gar nicht”).
Hiervon ausgehend hat der Präventionsdienst für die Tätigkeit beim Nachstellen und Einschleifen der Bremsen eine Stunde täglich im Monat bei einer Belastung mit 5 Fasern pro cm3 angesetzt, hieraus zutreffend eine Asbestfaserdosis von 5,1 Faserjahren errechnet (siehe zur Umrechnung bei Teilzeitexpositionen, BK-Report 1/2007, a.a.O., S. 74 ff.) und ist dabei zugunsten des Versicherten verfahren. Denn bei einer einstündigen Einwirkung von 5 Fasern pro cm³ handelt es sich nach der Tabelle 7.14 des BK-Reports 1/2007 (S. 145) um die quantitative und qualitative Maximalbelastung, die beim Schleifen von Bremsbacken ohne Absaugung heranzuziehen ist. Die Handhabung zugunsten des Versicherten wird umso deutlicher, als ausgehend vom Antrag des VEB M. vom 28. September 1987 entsprechend der Einschätzung des Präventionsdienstes vom 14. September 2009 viel für eine Herabsetzung des Arbeitszeitanteils auf 0,5 Stunden täglich spricht. Da weitere aufschlussreiche Unterlagen in der Betriebsakte des VEB M. M. laut Auskunft des Landesamtes für Verbraucherschutz vom 8. September 2009 nicht enthalten sind, bedurfte es ihrer – im Termin am 18. Juni 2009 begehrten – Beiziehung nicht mehr.
Für die Tätigkeit des Zuschnitts der Beläge und des Belegens der Bremsbacken in der Werkstatt ist der Präventionsdienst von den zeitlichen Angaben des Versicherten ausgegangen (vier Tage im Monat) und hat für eine achtstündige Tätigkeit eine Einwirkung von 1 Faser pro cm3 zugrunde gelegt. Hieraus ergeben sich 1,6 Faserjahre. Würden anstatt 1 Faser 1,44 Fasern pro cm3 bzw. der nach dem BK-Report 1/2007 insoweit denkbare Höchstwert der Tabelle 7.14 von 2 Fasern pro cm2 angenommen, resultierten daraus 2,4 (98/12 x 1/5 x 1,44) bzw. 3,3 Faserjahre. Beim Schleifen der aufgenieteten Beläge in der Werkstatt an vier Tagen im Monat hat der Präventionsdienst plausibel eine halbe Stunde täglich angenommen und dabei unrealistisch die Belastung mit 19,8 Fasern pro cm3 unterstellt, was annähernd dem vierfachen Maximalkonzentrationswert der Tabelle 7.14 entspricht, der beim Schleifen ohne Absaugung überhaupt in Betracht kommt. Zudem ist ihm bei seiner diesbezüglichen Rechnung ein Multiplikationsfehler zugunsten des Versicherten unterlaufen. Denn 98/12 x 1/5 x 1/16 x 19,8 Fasern pro cm3 ergeben nicht 7,5, sondern 2 Faserjahre. Selbst wenn anstatt der auch von Prof. Dr. W. bzw. seinen Ingenieurmitarbeitern als im Einklang mit den eigenen Forschungsergebnissen stehend bestätigten Konzentration von 2,69 Fasern pro cm3 wiederum ein Konzentrationswert von 5 Fasern pro cm3 veranschlagt würde, ergibt sich für diesen Arbeitsschritt eine Teileinwirkungszeit von 0,5 Faserjahren (98/12 x 1/5 x 1/16 x 5). In der Addition der einzelnen belastenden Tätigkeiten liegen bei großzügiger Betrachtung somit maximal 8,9 Faserjahre (5,1 + 3,3 + 0,5) vor. Werden unter Vernachlässigung der oben angegebenen Voraussetzungen noch Bystander-Expositionen hinzugerechnet ([98/12 x 1/5 x 0,2] + [98/12 x 1/5 x 0,5]), ergäben sich 10 Faserjahre (8,9 + 1,1). Würden sogar noch die Ausbildungszeit und die Tätigkeit bei den Unternehmen Kraft und Fuchs (zusammen 51 Monate) bei Annahme einer achtstündigen Bystander-Exposition und einer Faserkonzentration von 0,01 (entspricht Bearbeitung von Asbestplatten mit der Handsäge im Baubereich nach Tabelle 7.10 des BK-Reports 1/2007) eingerechnet und der Wert von 10 Faserjahren nochmals um den so ermittelten Wert von 0,04 Faserjahren (51/12 x 0,01) nach oben korrigiert, steht fest, dass der Versicherte auch bei einer worstcase-Betrachtung allenfalls 10 Faserjahre erreicht hat. Bei Heranziehung der im BIA-Report 3/95 (abrufbar unter: http://www.dguv.de/bgia/de/pub/rep/pdf/rep03/biar0395/rep0395.pdf) auf den Seiten 91 und 95 dokumentierten Konzentrationen ergäben sich einschließlich einer vollen Berücksichtigung der Tätigkeiten bei den Firmen Kraft und Fuchs entsprechend der den Beteiligten im Termin am 18. Juni 2009 übergebenen (handschriftlichen) Berechnung (Bl. 619 Gerichtsakten als Anlage zum Protokoll) insgesamt gar nur 2,43 Faserjahre. Unter Berücksichtigung einer Umrechnung der konimetrischen Fasermessergebnisse in vergleichbare Membranfilterwerte (vgl. hierzu BIA-Report 3/95, S. 62) würden insgesamt 4,84 Faserjahre resultieren (Verdopplung der jeweiligen Konzentrationen von 1,44 F/cm3, 0,36 F/cm3, 2,69 F/cm3 sowie 5,3 F/cm3 multipliziert mit den entsprechenden Einwirkungszeiten je Arbeitsverrichtung).
Gegen die vorstehende Berechnung auf Grundlage des Faserjahrmodells, das nach wie vor den aktuellen Stand widerspiegelt (vgl. ausführlich hierzu BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 – B 2 U 15/05 R – SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2), lässt sich auch keine Vernachlässigung von Fasern unter 5 µm Länge einwenden. Wie sowohl Dr. D. in seinen Stellungnahmen vom 29. Februar, 15. April und 6. Juli 2004 dargelegt und auch Prof. Dr. W. im Gutachten vom 15. August 2005 ausdrücklich eingeräumt hat, hat die Frage der Kurzfaserkanzerogenese sowohl im Rahmen der maßgeblichen epidemiologischen Studien (siehe hierzu Merkblatt zur BK 4104, a.a.O.) als auch bei den Überlegungen zur Festlegung der Verdopplungsdosis von 25 Faserjahren Berücksichtigung gefunden und ist somit nicht geeignet, die Faserjahrberechnung zu beeinflussen.
Da die zuvor dargestellten Rechenschritte auf für jedermann nachvollziehbaren Grundrechenarten beruhen und nach den durchgeführten Ermittlungen überdies keine weiteren Erkenntnisse über die verwendeten Bremsbeläge zu gewinnen sind, sah sich der Senat nicht zur Einholung eines (hilfsweise beantragten) Sachverständigengutachtens zur Faserjahrberechnung veranlasst. Dies drängt sich auch nicht im Hinblick auf den Einwand der Klägerin auf, bei den Feststellungen der Präventionsdienste und der Anwendung der Asbest- bzw. Faserjahrberichte handele es sich um Parteigutachten. Die Klägerin hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür benannt, dass die Ermittlungen insoweit fehlerhaft sein könnten. Ohne entsprechende Beanstandungen hält der Senat weitere Ermittlungen nicht für erforderlich. Die hinter den Präventionsdiensten und dem früheren Hauptverband stehenden Unfallversicherungsträger sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 29 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – SGB IV) an Gesetz und Recht gebunden (§ 29 Abs. 3 SGB IV). Die nur globale Behauptung, sie kämen ihren Aufgaben nicht nach, rechtfertigt es nicht, ihre Ermittlungsergebnisse zu verwerfen. Hier ist es zudem so, dass die Faserjahrberechnung durch Prof. Dr. W. ausdrücklich als worstcase-Berechnung bestätigt wird. Dazu hat er nachvollziehbar dargelegt, dass seine Kenntnisse in dieser Hinsicht sogar über diejenigen eines Arbeitsmediziners hinausgehen, weil er als Institutsdirektor selbst arbeitstechnische Studien zum Asbestanfall geleitet hat, an denen nichtmedizinische Fachkräfte beteiligt waren.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung der Krebserkrankung des Versicherten im Sinne einer Wie-BK.
Zu den von § 551 Abs. 2 RVO in Bezug genommenen übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO gehören sowohl der ursächliche Zusammenhang zwischen der nach den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO versicherten Tätigkeit und der geltend gemachten Erkrankung als auch die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen (§ 551 Abs. 1 Satz 3 RVO). Mit dieser Regelung soll nicht im Wege einer Generalklausel jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich ist, stets wie eine BK entschädigt werden. Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Anerkennung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der BKV noch nicht vorhanden oder dem Verordnungsgeber nicht bekannt waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten. Für die Anerkennung einer Wie-BK ist demnach zunächst erforderlich, dass es bei der geltend gemachten Krankheit um eine Erkrankung geht, die ihrer Art nach noch nicht von einer Listen-BK erfasst wird bzw. die insoweit erforderlichen Voraussetzungen fehlen. Zusätzlich muss die Erkrankung abstrakt nach neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen durch besondere Einwirkungen verursacht werden, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Schließlich muss neben dieser Erkrankung auch eine nach der zweiten Voraussetzung einschlägige berufliche Exposition im konkreten Einzelfall vorliegen und beim Versicherten überdies ein wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen diesen beruflichen Einwirkungen und seiner Krankheit hinreichend wahrscheinlich sein (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 1986 – 2 RU 80/84 – SozR 2200 § 551 Nr. 27; Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 16/01 R – juris; Urteil vom 20. Juli 2010 – B 2 U 19/09 R – juris). Diese Voraussetzungen sind für die verbleibende Prüfung, ob eine Bronchialkrebserkrankung schon bei weniger als 25 Faserjahren typische Folge beruflicher Asbesteinwirkung ist, nicht gegeben.
Das Erfordernis, dass die betreffende Krankheit des Versicherten nicht in der Anlage 1 BKV bezeichnet ist oder die dort genannten Tatbestandsmerkmale nicht vorliegen, ist – wie zuvor dargelegt – erfüllt. Es steht jedoch schon nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Versicherte einer bestimmten Personengruppe angehörte, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach den allgemeinen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell geeignet sind, die vorliegende Krankheit zu verursachen.
Eine (gruppentypische) Risikoerhöhung im Sinne von § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO würde zunächst das Vorhandensein ausreichender medizinischer Erkenntnisse dafür erfordern, dass bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit Einwirkungen ausgesetzt wären, mit denen die übrige Bevölkerung nicht in diesem Maße in Kontakt käme, und die geeignet wären, eine Lungenkrebserkrankung hervorzurufen. Die von Prof. Dr. W. auf der Grundlage eines Dosiswerts von 14,2 Faserjahren im Vergleich zu einer umweltbedingten Asbestdosis der übrigen – nicht belasteten – Bevölkerung angesetzte Einwirkung von 0,04 Faserjahren führt zwar zu einem um den Faktor 355 erhöhten Wert. Ein um ein Vielfaches erhöhter Wert ergibt sich aber auch bei "nur” 10 Faserjahren – Faktor 250 (10: 0,04) – oder bei vielen anderen frei gegriffenen Dosiswerten (bei einem Faserjahr immer noch der Faktor 25). Allein eine im Verhältnis zur Normalbevölkerung gesteigerte Einwirkung als solche reicht für die Bejahung der Einwirkungshäufigkeit im Sinne von § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO folglich nicht aus. Hinzu kommen muss unter den vorliegenden Gegebenheiten vielmehr der Nachweis, dass Lungenkrebserkrankungen ab einer bestimmten beruflichen Mindestdosis (ggf. welcher?) erheblich häufiger aufzutreten pflegen als bei der übrigen Bevölkerung. Zu diesem entscheidenden Punkt der Risikoerhöhung lässt sich auf Grundlage der von Prof. Dr. W. angestellten Betrachtung jedoch schon keine Aussage treffen, geschweige denn irgendein Nachweis führen. Dass keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Vorliegen einer Verdopplungsdosis unterhalb von 25 Faserjahren vorhanden sind, hat Prof. Dr. W. im Rahmen seiner Aussage während der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2009 selbst eingeräumt. In der Konsequenz würde seine Argumentation – wie die Beklagte richtigerweise angemerkt hat – auf eine Korrektur der BK 4104 mittels § 551 Abs. 2 RVO (nunmehr § 9 Abs. 2 SGB VII) ohne belegbare Risikoerhöhung hinauslaufen, was erkennbar dem Sinn und Zweck dieser Norm (s.o.) zuwiderläuft.
Selbst wenn jedoch eine gruppentypische Risikoerhöhung unterstellt würde, kann die Anerkennung einer Wie-BK deshalb nicht erfolgen, weil die maßgeblichen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht "neu” im Sinne von § 551 Abs. 2 RVO sind. In dieser Hinsicht sind medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse nämlich dann neu, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch feststeht, dass sie bei der letzten Änderung der BKV (siehe Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009, BGBl. I, 1273) noch nicht berücksichtigt wurden. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn sie erst nach der letzten BKV-Novelle bekannt geworden sind (näher hierzu BSG, Urteil vom 14. November 1996 – 2 RU 9/96 – SozR 3-2200 § 551 Nr. 9, Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 20/01 R – juris).
Ausgehend hiervon kann der Umstand, dass die legal definierte Mindestdosis von 25 Faserjahren im Verhältnis zu einer auf 0,04 Faserjahre standardisierten umweltbedingten Einwirkung der Normalbevölkerung einen 625fach höheren Wert ausmacht, nicht als neu gelten. Denn nach der Begründung der Bundesregierung zu Art. 1 Nr. 5 des Entwurfs der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 18. Dezember 1993, mit der die Mindestdosis von 25 Faserjahren eingeführt wurde, erfolgte die Festlegung dieses Wertes auf der Basis der in den einschlägigen internationalen arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Studien gewonnenen allgemein gültigen Erkenntnisse über die Dosis-Wirkungs-Beziehungen bei durch Asbestfaserstaub verursachten Tumoren zwischen der Häufigkeit ihres Auftretens und den einwirkenden Dosen. Bei der Analyse der vorliegenden Studien habe sich gezeigt, dass 25 Faserjahre als verallgemeinerungsfähige Verdoppelungs-Dosis für die Lungenkrebssterblichkeit nach Asbestfaserstaubeinwirkung am Arbeitsplatz anzusehen seien (BR-Drucks. 773/92, S. 12 ff.). Demnach hat sich der Verordnungsgeber bewusst deshalb für die festgelegte Mindestdosis entschieden, weil er den herangezogenen Daten bei unter dieser Grenze liegenden Belastungen keine relevante Einwirkungshäufigkeit entnehmen konnte. Dies impliziert bei allen unterschwelligen Einwirkungen im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung denknotwendigerweise die Inkaufnahme eines um ein Vielfaches erhöhten Belastungswertes. Dass keine neuen gesicherten Erkenntnisse über einen unterhalb des in Deutschland als sozialmedizinischer Konsens festgelegten Grenzwertes vorliegen und eine Asbestose sowohl bei weniger als fünf als auch erst bei Dosen von 200 Faserjahren vorliegen kann, hat Prof. Dr. T. in ihrem Gutachten und ihrer ergänzenden Stellungnahme nochmals bestätigt. Gegenteiliges hat auch Prof. Dr. W. nicht behauptet (s.o.).
Nichts anderes ergibt sich unter dem Aspekt einer Synkanzerogenese von Asbestfaserstaub und Aktivrauchen, wobei für den Risikovergleich nicht auf die Gruppe der Nichtraucher ohne im Verhältnis zu Asbest exponierten Rauchern, sondern auf die Vergleichsgruppe der Raucher und der beruflich asbestbelasteten Raucher abzustellen ist (siehe Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 18.5, S. 1096). Sowohl in der Relation der Vergleichsgruppen Nichtraucher und Asbest exponierte Nichtraucher als auch Raucher gegenüber Rauchern mit Asbestbelastung besteht jeweils ein RR von 1: 5, wie Prof. Dr. W. in seiner Stellungnahme vom 28. Februar 2006 bestätigt hat (1: 5 bzw. 11: 53 bei Standardisierung des RR eines Nierauchers auf 1). Hintergrund dieser Erkenntnis sind u.a. Studien aus dem Jahr 1984, anhand derer sich eine verstärkende Wirkung der Inhaltsstoffe des Tabakrauches, zu denen neben tabakspezifischen Nitrosaminen u.a. polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) mit deren Leitsubstanz Benzo(a)Pyren (BaP) gehören, bei begleitender asbestinduzierter Entzündungsreaktion belegen lässt. Dies hat nach der Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Sektion Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales zum Zusammenwirken von beruflicher Asbestfaserstaub- und PAK-Exposition vom 1. Februar 2007 (GMBl. 2007, 474 [485]) zwar zur Einführung der BK 4114 zum 1. Juli 2009 geführt. Beim Versicherten bestand aber keine parallel oder nacheinander erfolgte Mischexposition gegenüber diesen beiden, bezüglich des selben Organs kanzerogen wirkenden beruflichen Noxen, so dass von vornherein "nur" eine Synkanzerogenese von Asbestexposition und eigenwirtschaftlichem Aktivrauchen zur Diskussion steht. Im Hinblick hierauf hat der Sachverständigenbeirat diesen seit Jahrzehnten bekannten Zusammenhang aber gerade nicht genutzt, um für Asbest und Rauchen (etwa in Abhängigkeit von einer bestimmten Anzahl pack years) irgendeine Empfehlung auszusprechen, was angesichts einer rechtlich nicht haltbaren "Sonder-Wie-BK” für Raucher auch schwerlich zu erwarten war. Im Gegenteil hat er den außerberuflichen Risikofaktor Aktivrauchen ausdrücklich nur unter der Voraussetzung als unbeachtlich angesehen, dass aus der Summe der Bruchteile von 25 Faser- und 100 BaP-Jahren bei Unterschreitung der Dosisgrenzwerte von 25 Faserjahren bzw. 100 BaP-Jahren (siehe hierzu Empfehlung vom 5. Februar 1998, BArbBl. 4/1998, 54) mindestens der Wert 1 resultiert (GMBl. 2007, 486). Die Synkanzerogenese von Asbest und Aktivrauchen ist mit anderen Worten weder ein Problem einer gruppentypischen Risikoerhöhung noch neu, sondern gehört zur Prüfebene der individuellen Kausalitätsbewertung im Rahmen der Abgrenzung des ursächlichen Einflusses von versicherten und nicht versicherten Konkurrenzfaktoren (dazu sogleich).
Kann damit schon keine (gruppentypische) Risikoerhöhung bejaht werden, sind die Anerkennungsvoraussetzungen der Krebserkrankung des Versicherten als Wie-BK nach § 551 Abs. 2 und 1 RVO nicht erfüllt. Auf die Frage, ob dieser Versicherungsfall darüber hinaus auch deshalb ausscheidet, weil ein Kausalzusammenhang zwischen den beruflichen Asbesteinwirkungen und der Krebserkrankung des Versicherten nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen ist, kommt es folglich nicht mehr an. Es kann mit anderen Worten dahinstehen, ob eine Verursachung der Krebserkrankung unter Berücksichtigung der vom Versicherten konsumierten Tabakdosis – als belegter einwirkungsunabhängiger Alternativerklärung des Krankheitsbildes – entsprechend den Ausführungen Dr. D.s vom 29. Februar und 15. April 2004 schon im naturwissenschaftlichen Sinn nicht wahrscheinlich ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 31) oder sich ernste Zweifel an einer solchen Ursachenbeziehung etwa wegen des Widerspruchs zwischen der rein rechnerisch ermittelten Asbestbelastung und dem objektiven medizinischen Befund bzw. des Krankheitsverlaufs und der insoweit zur Latenzzeit getroffenen Aussagen der Dres. D. und H. ergeben.
Da der Lungenkrebs des Versicherten mithin weder als BK 4104 noch wie eine BK festgestellt werden kann und sich damit die Frage etwaiger Leistungsansprüche – insbesondere hinsichtlich einer Verletztenrente (siehe hierzu die §§ 214 Abs. 3, 56 Abs. 1 und 2 sowie 72 und 73 SGB VII) – nicht mehr stellt, konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Zu einer nochmaligen Konsultation Prof. Dr. W.´ sah sich der Senat nicht mehr gedrängt, nachdem dessen Ansicht aus seinen insgesamt fünfmaligen gutachtlichen Stellungnahmen sowie seinen Darlegungen im Termin am 18. Juni 2009 deutlich geworden ist und es auf sein von Prof. Dr. T. abweichendes Verständnis des Begriffs "Fahrerfluchtphänomen" nicht entscheidungserheblich ankam.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob eine Lungenkrebserkrankung als oder wie eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anzuerkennen und deshalb eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (vH) zu gewähren ist.
Die Klägerin ist Witwe des am ... 1960 geborenen und am ... 1998 verstorbenen T. H. (Versicherter), mit dem sie zu diesem Zeitpunkt in häuslicher Gemeinschaft lebte. Der Versicherte erlernte von September 1976 bis Juli 1978 im VEB S. L.-H. den Beruf des Elektromonteurs und war anschließend bis Ende 1980 als solcher bei den Elektrobetrieben K. bzw. F. M. im Wohnungsbau tätig. Von März 1981 bis Ende April 1985 arbeitete er als Elektriker für Kräne beim VEB B. und M. M. und leistete danach bis Ende Oktober 1986 seinen Grundwehrdienst. Von November 1986 bis November 1990 war er wiederum als Elektriker für Kräne beim VEB B. und M. M. (ab Oktober 1990 B. & W. K. und T. GmbH) tätig. In der Folgezeit war der Versicherte bis September 1991 als Verlagsangesteller beschäftigt und betrieb dann selbständig eine eigene Verlags- und Werbeagentur. Seit dem 10. Oktober 1994 war er arbeitsunfähig erkrankt und bezog von seinem Versicherer Krankengeld.
Mit Anzeige vom 20. Oktober 1994 meldete die Ärztin im Praktikum N. vom Fachkrankenhaus für Lungen- und Bronchialheilkunde L. der Bau-Berufsgenossenschaft H. als der Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend einheitlich als Beklagte bezeichnet) den Verdacht auf das Vorliegen einer asbestinduzierten BK. Bei dem Versicherten bestehe ein Bronchialkarzinom, welches durch die Arbeit mit asbesthaltigen Bremsbelägen während seiner Tätigkeit im VEB B. und Montagekombinat M. hervorgerufen worden sein könne.
Der Chefarzt der Klinik Prof. Dr. L. diagnostizierte im Entlassungsbrief vom 26. Oktober 1994 ein peripheres Bronchialkarzinom der Kategorie LOL T2 N2 M0. Der histologische Befund habe ein undifferenziertes, angedeutet adenoides (aus dem Drüsengewebe hervorgegangenes) Geschwür erbracht. Das Thorax-CT (Computertomogramm des Brustraumes) habe eine ausgeprägte Lymphknotenvergrößerung rechts der Mittellinie im vorderen Mediastinum (Mittelfell) sowie ventral (vorn) und lateral (seitlich) der Trachea (Luftröhre) und eine unregelmäßig begrenzte Raumforderung ergeben, die sich im linken Oberlappen ausgebreitet habe und im Lungenfenster diskrete Ausläufer zur Pleura parietalis (Rippenfell) aufweise. Nach Verlegung in die Klinik für Thoraxchirurgie des Krankenhauses V. erfolgte dort am 9. November 1994 eine Pneumonektomie (Entfernung eines Lungenflügels) links. Vom 2. bis zum 6. Januar 1995 befand sich der Versicherte unter der Diagnose eines undifferenzierten Karzinoms mit Anteilen eines Adenokarzinoms vom bronchio-alveolären Typ Kategorie T2 N3 M0 in der Thoraxklinik H.-R., wo die Empfehlung zu einer postoperativen Bestrahlungstherapie gegeben wurde, die in der Zeit vom 24. Januar bis zum 3. März 1995 im Zentrum für Radiologie des Universitätsklinikums M. stattfand. Anamnestisch habe der Versicherte angegeben, bis vor vier Jahren über zehn Jahre lang täglich 40 Zigaretten geraucht zu haben.
Nach der Selbstauskunft des Versicherten vom 20. Januar 1995 habe während der Zeit seiner Berufsausbildung kein Kontakt zu Asbest bestanden. Von September 1978 bis Dezember 1980 (Tätigkeit bei den Unternehmen K. bzw. F.) sei er gegenüber Mauerstaub exponiert gewesen. Eine Asbesteinwirkung habe während der Zeiten seiner Tätigkeiten im VEB B. und Montagekombinat M. bzw. im Nachfolgebetrieb (März 1981 bis April 1985 sowie November 1986 bis November 1990) bestanden, als er mit der Wartung der Bremsbeläge von Kranen befasst gewesen sei.
Im Rahmen des am 10. Februar 1995 zwischen ihm und dem Präventionsdienst der Beklagten persönlich geführten Gesprächs gab der Versicherte an, während seiner Lehrzeit habe er zwar nie direkt mit asbesthaltigen Materialien gearbeitet. Kontakt im weitesten Sinne habe jedoch wahrscheinlich schon wegen der Bauart der Gebäude bestanden. Während des Zeitraums seiner Tätigkeit im Wohnungsbau (September 1978 bis Dezember 1980) habe eine Asbestgefährdung durch Stemm- und Elektroarbeiten vorgelegen, wenn "mal drei Platten in der Woche, dann wieder lange gar nicht” hätten gesägt, gebrochen oder gebohrt werden müssen. Der eigentliche Schwerpunkt der Asbestgefährdung habe während der Zeiträume von März 1981 bis April 1985 sowie November 1986 bis November 1990 gelegen, als er mit dem Werkstattwagen auf Baustellen unterwegs gewesen sei. Dort habe er vor Ort an Kränen Reparatur- oder vorbeugende Instandsetzungsarbeiten an Trommelbremsen durchgeführt. Hierbei sei es durch mehrfaches Einstellen und Einschleifen zu erheblichen Staubentwicklungen gekommen. Derartige Tätigkeiten hätten etwa eine Stunde pro Arbeitstag gedauert. Sei ein Bremsbelagwechsel erforderlich gewesen, habe er die alten Bremsen mit in die Werkstatt genommen. Dort sei der verschlissene Belag entfernt und der neue aufgearbeitet worden. Dieser habe im Regelfall aus Meterware bestanden. Mittels Eisensäge sei der Belag im Grobschnitt zugeschnitten und per Klammern befestigt worden. Nachdem die Nietlöcher gebohrt und der Belag montiert worden sei, seien die Feinarbeiten mit einem Schleifer bzw. einer Feile erfolgt. Entsprechende Arbeiten hätten etwa drei bis vier Tage im Monat in Anspruch genommen. Zu seinen Rauchgewohnheiten äußerte der Versicherte, dass er während der Lehre durchschnittlich zehn Zigaretten am Tag und danach bis 1990 eine Schachtel pro Tag geraucht habe.
In seiner hierzu erstellten Stellungnahme vom 20. März 1995 schätzte der Präventionsdienst ein, der Versicherte sei während seiner Beschäftigung als Kranelektriker mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zeitweise gesundheitsschädigenden Konzentrationen asbesthaltiger Stäube ausgesetzt gewesen. Hierbei legte er für die Belastung durch Bremsbackenabrieb beim Nachstellen und Einschleifen der Bremsen eine Stunde täglich im Monat bei einer Einwirkung von 5 Fasern pro cm3, für die Tätigkeit des Zuschnitts der Beläge und des Belegens der Bremsbacken in der Werkstatt an vier Tagen im Monat eine Belastung von 1 Faser pro cm3 und für die Tätigkeit beim Schleifen der aufgenieteten Beläge in der Werkstatt an vier Tagen im Monat eine halbe Stunde täglich bei einer Einwirkung von 19,8 Fasern pro cm3 sowie insgesamt eine Expositionszeit von acht Jahren und zwei Monaten zugrunde. Demnach errechneten sich aus der Summe von 5,1 Faserjahren (98/12 x 1/8 x 5 Fasern pro cm3), 1,6 Faserjahren (98/12 x 1/5 x 1 Faser pro cm3) und 7,5 Faserjahren (richtig bei 98/12 x 1/5 x 1/16 x 19,8 Fasern pro cm3 stattdessen 2 Faserjahre) insgesamt 14,2 Faserjahre (zutreffend stattdessen zusammen 8,7 Faserjahre).
Die Beklagte ließ den Direktor des Instituts für Pathologie der Berufsgenossenschaftlichen Krankenanstalten B. B. Prof. Dr. M. auf der Grundlage von drei übersandten Paraffingewebeblöcken das Gutachten vom 7. April 1995 erstellen. Der Sachverständige bestätigte ein undifferentes, teils solides Adenokarzinom mit zentralen Nekrosezonen. Die durchgeführte Lungenstaubanalyse habe Werte von – wenn überhaupt – weniger als 12 Asbestkörpern je Gramm Lungengewebe ergeben, so dass nicht von einer vermehrten chronischen Asbestbelastung der Lunge ausgegangen werden könne. Feingeweblich seien in den tumorfreien Gewebeanteilen auch unter dem Bild einer Minimalasbestose keine asbestassoziierten Lungenveränderungen nachweisbar. Insgesamt sei damit der begründete Verdacht einer BK 4104 nicht wahrscheinlich zu machen.
Dieser Einschätzung schloss sich Dr. F. in ihrer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 27. Oktober 1995 an und gab ebenfalls die Empfehlung, keine BK 4104 anzuerkennen. Ohne Nachweis einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis von mindestens 25 Faserjahren und ohne das Vorliegen einer pulmonalen oder pleuralen (die Lunge/das Brustfell betreffenden) Asbestose bzw. Minimalasbestose könne das Bronchialkarzinom des Versicherten nicht als BK 4104 angesehen werden.
Mit gleichlautendem Bescheid vom 4. Januar 1996 lehnte es die Beklagte ab, die Erkrankung des Versicherten als BK 4104 bzw. wie eine BK anzuerkennen und insoweit Leistungen zu gewähren.
Hiergegen erhob der Versicherte am 29. Januar 1996 Widerspruch und trug am 10. Juni 1996 zur Begründung vor, dass weder seine Asbestexposition während der Lehrzeit noch die besonderen Verhältnisse in der DDR hinreichende Beachtung gefunden hätten. Daneben seien auch die Berechnung der Faserjahre und das Gutachten von Prof. Dr. M. nicht nachvollziehbar.
In seinem daraufhin zusammen mit seiner Mitarbeiterin Dr. F. gefertigten Zusatzgutachten vom 1. August 1996 bestätigte Prof. Dr. M. nochmals, dass klinisch-radiologisch keine Hinweise für das Bestehen einer asbestbedingten Lungenerkrankung erkennbar seien.
Am 26. Februar 1996 musste sich der Versicherte wegen eines Tumorrezidivs im Bereich der linken thorakalen Brustwand einer weiteren Operation mit Resektion der siebten Rippe unterziehen; im Oktober 1996 zeigte sich eine erneute Tumorprogression links mit einer solitären (einzelnen) Metastase im rechten Unterlappen.
Auf entsprechende Anregung durch den Versicherten holte die Beklagte von dem Leiter des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Gießen Prof. Dr. W. das zusammen mit dem Arzt für Arbeitsmedizin Dr. R. nach Aktenlage erstellte Gutachten vom 5. August 1997 ein. Demnach habe die Nachauswertung der bildgebenden Lungenbefunde vom 1. November 1994, 5. Februar 1996 und 11. Oktober 1996 keine Hinweise auf eine Lungen- oder Pleuraasbestose ergeben. Die von der Präventionsabteilung vorgenommene Faserjahrberechnung sei entsprechend der allgemein anerkannten Erfahrungen erfolgt und als ausgesprochenes worstcase-Szenario anzusehen. Die von Prof. Dr. M. ermittelten 12 Asbestkörperchen pro cm3 Lungengewebe lägen unterhalb der Asbeststaubbelastung im beruflich nicht exponierten Vergleichskollektiv. Allerdings habe beim Versicherten eine Einwirkung durch Weißasbest (Chrysotil) vorgelegen. Für Chrysotil sei bekannt, dass er infolge der Längsspaltungstendenz seiner Fasern nur eine begrenzte Verweildauer in der Lunge habe. Ungewöhnlich seien das frühe Erkrankungsalter von 34 Jahren und die Latenzzeit von ca. 13 Jahren zwischen dem Beginn der Asbesteinwirkung und der Diagnose des Lungenkrebses, die im unteren Bereich der arbeitsmedizinischen Erfahrung liege. Im Ergebnis sei eine Asbestfaserstauberkrankung beim Versicherten nicht wahrscheinlich zu machen, so dass keine Anerkennung als BK 4104, BK 4103 oder BK 4105 erfolgen könne.
Ergänzend führte der Präventionsdienst mit Schreiben vom 27. November 1997 aus, dass er vor Abgabe seiner Stellungnahme vom 20. März 1995 nochmals den ehemaligen Vorgesetzten des Versicherten Herrn H. (Werkstattleiter im VEB B. und M.) konsultiert habe. Danach sei der für Bremskontrollen und das Einschleifen von Bremsen veranschlagte Zeitaufwand von einer Stunde pro Arbeitstag sehr großzügig bemessen, da anstatt zwischen 50 bis 60 Kränen nur an 23 Kränen monatlich eine Kontrolle mit eventuell notwendigem Nachschleifen der Bremsen erforderlich und demnach durchschnittlich 1,5 Kräne täglich zu prüfen gewesen seien. Auch die insoweit angesetzte Einwirkung von 5 Fasern pro cm3 sei nicht zu beanstanden. Denn in der DDR seien nach dem BIA-Report 3/1995 bei Kontrollarbeiten an Radbelägen Belastungswerte von 1,44 Fasern pro cm3 zugrunde zu legen. Hinsichtlich seiner Werkstatttätigkeit habe Herr H. die Angaben des Versicherten voll bestätigt. Diesbezüglich sei in der DDR nach neuesten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen ein Wert von 2,69 Fasern pro cm3 anzusetzen, so dass auch hier die in der Berechnung vom 20. März 1995 veranschlagten Werte (1 Faser bzw. 19,8 Fasern) zugunsten des Versicherten gewertet worden seien und insgesamt keine 14,2 Faserjahre erreicht würden.
Nachdem Prof. Dr. W. und Dr. R. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 3. Februar 1998 nochmals das Ergebnis ihres Gutachtens bestätigten, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 1998 als unbegründet zurück.
Am 8. Mai 1998 hat der Versicherte beim Sozialgericht (SG) M. Klage erhoben und zur Begründung vor allem geltend gemacht, bei ihm lägen sehr wohl asbestinduzierte Veränderungen an Lunge und Pleura vor. Auch sei bei der Exposition gegenüber Asbest bislang nicht hinreichend beachtet worden, dass eine zusätzliche Belastung durch Nachbararbeitsplätze (Bystander) vorgelegen habe.
Nach dem Ableben des Versicherten haben Prof. Dr. M. und Dr. F. auf der Grundlage von fünf übersandten Paraffingewebeblöcken und den daraus gefertigten Schnittpräparaten das Gutachten vom 20. Mai 1999 erstellt. Danach sei wiederum keine asbestassoziierte Fibrosierung (Vermehrung von Bindegewebe), Minimalasbestose, Pleurafibrose und auch keine Asbestbelastung der Lunge zu finden. Die staubanalytische Untersuchung habe, wenn überhaupt, weniger als 10 bzw. 14 Asbestkörper pro Gramm Lungengewebe ergeben. Histologisch sei ein niedrig differenziertes Adenokarzinom zu erkennen. Das weitgehend tumorfreie Lungengewebe zeige kein Fibrosierungsmuster; eine Minimalasbestose liege definitiv nicht vor. Entsprechendes gelte für die Veränderungen der Pleura; das Bild einer diffusen Pleurafibrose sei nicht auszumachen. Eine BK 4104 sei weiterhin nicht wahrscheinlich.
Am 24. Juni 1999 hat die Beklagte das von dem Direktor des Instituts für Pathologie des Universitätsklinikums M. Prof. Dr. R. zusammen mit Dr. K. gefertigte Gutachten vom 4. Juni 1999 vorgelegt. Darin hatten die Gutachter dargelegt, dass das untersuchte Lungengewebe ohne einen Anhalt für eine Asbestose, eine Minimalasbestose oder eine Lungen- bzw. Pleurafibrose gewesen sei. Eine Asbeststaublungenerkrankung habe beim Versicherten nicht vorgelegen.
Das SG hat den (seinerzeitigen) Oberarzt der Klinik für Pneumologie des Kreiskrankenhauses D. Dr. D. nach Aktenlage das Gutachten vom 29. März 2000 erstellen lassen. Der Sachverständige hat im Ergebnis eingeschätzt, dass eine gewisse Beeinflussung der Tumorentstehung durch die berufliche Asbestexposition zwar nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Andererseits sei ein wesentlicher Einfluss aber nicht wahrscheinlich. Als Ursache des Bronchialkarzinoms sei neben einer gewissen anlagebedingten Disposition insbesondere der Zigarettenkonsum des Versicherten zu nennen. Diesem gegenüber komme der beruflichen Asbestbelastung keine rechtlich wesentliche Bedeutung zu. Das Risiko, an einem Bronchialkarzinom zu erkranken, sei bei einer Tabakdosis von 40 pack years (1 pack year = 20 Zigaretten täglich über ein Jahr) im Vergleich zu Nichtrauchern elffach erhöht. Bei Personen mit einer intensiven Asbestbelastung liege das Erkrankungsrisiko fünfmal höher als bei nicht exponierten Personen. Bestehe bei einem starken Raucher eine intensive Asbestbelastung, werde das Risiko im Verhältnis zu Nichtrauchern ohne Asbestkontakt 50fach überschritten. Der Versicherte habe eine Tabakdosis von etwa 15 bis 20 pack years gehabt. Bei einer Asbestexposition liege die Latenzzeit bei einer Schwankungsbreite von 12 bis 37 Jahren im statistischen Mittel bei etwa 25 Jahren. Sei eine Einwirkung von Chrysotil erfolgt, könne die Verursachung eines Bronchialkarzinoms dann als wahrscheinlich angesehen werden, wenn 25 Asbestfaserjahre überschritten und im Lungengewebe 4.000.000 Asbestfasern aller Längen pro Gramm Trockengewicht zu finden seien. Beim Versicherten hätten jedoch nur 14,2 Faserjahre vorgelegen. Auch unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Bystander-Exposition ergäbe sich keine nennenswerte Änderung. Denn insoweit könne maximal eine 10 %ige Erhöhung veranschlagt werden, so dass insgesamt 14,9 Faserjahre anzusetzen wären. Die beim Versicherten gefundenen 12 Asbestkörperchen pro Gramm Lungengewebe reichten auch nicht für eine Minimalasbestose aus, zumal selbst bei völlig gesunden und niemals asbestexponierten Personen bis zu 22 Asbestkörperchen pro Gramm Lungengewebe aufzufinden seien. Denn weder sei eine Lungenfibrose in Verbindung mit mindestens 1.000 Asbestkörperchen pro Gramm Lungengewebe noch einzelne Asbestkörperchen in unmittelbarer räumlicher Beziehung zu fibrotischen Arealen, die zudem ausdrücklich ausgeschlossen worden seien, nachgewiesen. Existiere schon keine Minimalasbestose, verspreche eine rasterelektronenmikroskopische Untersuchung keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG von dem Facharzt für Pathologie Dr. H. nach Aktenlage das Gutachten vom 5. August 2002 eingeholt. Dr. H. ist zu dem Ergebnis gelangt, ein Zusammenhang zwischen der Asbestexposition und dem Lungentumor des Versicherten sei nicht wahrscheinlich zu machen. Weder röntgenologisch, computertomographisch, bei der Obduktion noch histologisch habe eine Asbeststaubfasererkrankung festgestellt werden können. Darüber hinaus spreche das Ergebnis der Staubanalyse sogar gegen eine berufliche Asbeststaubbelastung. Bei einem Raucher entstehe ein Lungenkarzinom mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung. Dieser Zeitraum betrage beim Versicherten 18 Jahre. Berücksichtige man diese Latenz, sei das Erkrankungsalter von 34 Jahren nicht ungewöhnlich. Die mittlere Latenzzeit liege bei asbestexponierten Personen bei etwa 25 Jahren mit erheblicher Streubreite. Beim Versicherten habe insoweit eine ungewöhnlich kurze Latenz vorgelegen, die eigentlich nur durch eine außergewöhnlich hohe Staubdosis erklärbar sei. Eine solche habe aber nicht eingewirkt. Raucher mit Asbestexposition wiesen im Verhältnis zu Nichtrauchern ohne Asbestexposition ein 50mal höheres Erkrankungsrisiko auf. Eine zusätzliche rasterelektronenmikroskopische Staubanalyse sei nur sinnvoll, wenn in den Gewebeproben histologisch tatsächlich fibrotische Veränderungen belegt seien, was vorliegend nicht der Fall sei.
Die Klägerin hat hierzu u.a. eingewandt, Dr. H. habe das Zusammenwirken zwischen Zigarettenrauch und Asbeststaub sowie die Bystander-Problematik nicht hinreichend gewürdigt. Außerdem seien bei der Berechnung der Asbestfaserjahre Fasern mit einer Länge unter 5 µm, die nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen besonders schädlich seien, außer acht gelassen worden. Schließlich würden bereits 12,5 Faserjahre ausreichen, einen Ursachenzusammenhang zwischen Asbestexposition und anschließender Lungenerkrankung wahrscheinlich zu machen. Im Übrigen könne eine rasterelektronenmikroskopische Untersuchung sehr wohl weiteren Aufschluss erbringen.
Mit Urteil vom 10. Oktober 2002 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Nach den Feststellungen sämtlicher Fachmediziner hätten bei dem Versicherten zu keiner Zeit Hinweise auf eine asbestbedingte Erkrankung der Lunge oder der Pleura gefunden werden können. Vielmehr seien bei ihm nur 10 bis 14 Asbestkörperchen pro Gramm Lungengewebe auffindbar gewesen, was dem Zustand eines gesunden Menschen entspreche und auf das Fehlen einer relevanten Asbestexposition hinweise. Im Hinblick auf eine rasterelektronenmikroskopische Untersuchung hätten sowohl Prof. Dr. M., Dr. D. als auch Dr. H. übereinstimmend eingeschätzt, dass hierdurch kein zusätzlicher Informationsgewinn zu erzielen sei. Die Faserjahrberechnung sei nach der Ansicht aller Sachverständigen zutreffend erfolgt. Auch die zusätzliche Bewertung einer Bystander-Exposition führe in Übereinstimmung mit der Einschätzung von Dr. D. zu keiner entscheidenden Erhöhung der Faserjahre, da insoweit nur eine Anhebung um maximal 10% möglich sei. Entsprechendes gelte unter Einbeziehung der Zeiträume von September 1976 bis Juli 1978 und September 1978 bis Dezember 1980. Im ersten Zeitraum habe der Versicherte eine Asbestbelastung nach seinen primären Angaben selbst nicht behauptet. Zwischen September 1978 bis Dezember 1980 habe er nur sporadisch Asbestplatten bearbeitet. Damit stehe jedenfalls fest, dass die zur Anerkennung einer BK 4104 noch zu fordernden mehr als 10 Faserjahre hierdurch nicht erreicht werden könnten. Beim Zusammenwirken zwischen Asbeststaubexposition und Rauchen sei hinsichtlich der Anhebung des Lungenkrebsrisikos kein Vergleich zwischen einem Nichtraucher ohne und einem Raucher mit Asbesteinwirkung, sondern zwischen einem Raucher mit und ohne Asbesteinwirkung anzustellen. Insoweit betrage das Erkrankungsrisiko für Raucher mit Asbesteinwirkung das fünffache und nicht das 50fache. Abgesehen davon komme es auf ein Rauchen als wesentliche Mitursache für die Entstehung eines Lungenkrebses erst dann an, wenn die Tatbestandsmerkmale Asbestose oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura im Sinne der BK 4104 erfüllt seien. Entsprechendes sei beim Versicherten aber nicht nachweisbar gewesen.
Gegen das ihr am 13. November 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. Dezember 2002 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung insbesondere vorgetragen: Die Erkrankung des Versicherten im 34. Lebensjahr sei so ungewöhnlich, dass eine berufliche Mitverursachung auf der Hand liege. Bei zutreffender Faserjahrberechnung würden ohne weiteres 25 Faserjahre erreicht. Indem die Beklagte ihrer Rechnung nur Asbestfasern mit einer Länge von mindestens 5 µm zugrunde gelegt habe, habe sie nur den hundertsten Teil der tatsächlich anfallenden Fasern beachtet. Dies gelte gerade für Weißasbest, dessen Fasern schon nach kurzer Zeit nicht mehr feststellbar seien, ohne dass damit seine kanzerogene Wirkung entfalle. Außerdem entstünden beim Trennschleifen 500 Fasern pro cm3 und nicht lediglich die vom Präventionsdienst zugrunde gelegten 5 Fasern. Selbst bei 14,2 Asbestfaserjahren verkürze sich das Leben nach neueren Erkenntnissen um mehrere Jahre. Denn beim normalen Bürger läge durchschnittlich eine Belastung von 0,06 Faserjahren vor. Im Verhältnis hierzu habe beim Versicherten ein vielfach erhöhtes Risiko bestanden. Hinzu komme, dass sich das Risiko einer Lungenkrebserkrankung beim Zusammenwirken zwischen Asbestbelastung und Rauchen synergistisch hochschaukele (so genannte Synkanzerogenese), und zwar multiplikativ, wie Prof. Dr. W. im Berufungsverfahren ausgeführt habe. Nach ihm betrage das relative Risiko (RR) des Nierauchers, an Lungenkrebs zu sterben, 1,0. Beim nicht Asbestfaserstaub exponierten Raucher liege es bei 11,0. Der nie rauchende Asbestisolierer weise ein RR von 5,0 auf. Demgegenüber belaufe sich das RR eines zigarettenrauchenden Asbestisolierers auf einen multiplikativen Wert von 53.
Die Klägerin beantragt ihrem Vorbringen nach,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. Oktober 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1998 aufzuheben, spätestens mit Wirkung vom 10. Oktober 1994 an festzustellen, dass der Lungenkrebs des Versicherten eine Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung war, und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Thomas Hägebarth vom 11. Oktober 1994 an bis zum 31. August 1998 eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH zu gewähren;
hilfsweise, den Lungenkrebs wie eine Berufskrankheit anzuerkennen und entsprechend eine Verletztenrente zu zahlen;
hilfsweise, ein (arbeitstechnisches) Sachverständigengutachten zur Faserjahrberechnung einzuholen;
hilfsweise, Prof. Dr. W. entsprechend dem Schriftsatz vom 18. Januar 2011 ergänzend zu hören.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das ihre Entscheidung bestätigende Urteil des SG. Der Tatbestand der BK 4104 sei vorliegend unstreitig nicht erfüllt. Daneben scheide im Hinblick auf die berufliche Asbestexposition bei gleichzeitigem Rauchverhalten auch eine Anerkennung wie eine BK aus. Über diese Möglichkeit könnten die legaldefinierten 25 Faserjahre nicht einfach nach unten korrigiert werden. Dies gelte schon deshalb, weil bei der Bestimmung dieser Mindestdosis bereits berücksichtigt worden sei, dass ein zahlenmäßig bedeutender Anteil von Fasern mit einer Länge von unter 5 µm mit eingeatmet werde, was Prof. Dr. W. im Berufungsverfahren ausdrücklich bestätigt habe. Jedenfalls sei eine wesentliche Mitverursachung des Lungentumors durch die versicherte Tätigkeit nicht begründbar. Denn die errechneten 14,2 Faserjahre korrespondierten in keiner Weise mit den Obduktions- und allen bildgebenden und histologischen Befunden, nach denen die Asbestexposition an den Zielstellen Lunge und Pleura keinerlei Spuren hinterlassen habe.
Am 17. April 2003 hat die Beklagte den von Dr. R. vom Institut für Pathologie der Universitätsklinik M. erstellten Autopsiebericht vom 11. August 1998 vorgelegt. Danach habe die Obduktion u.a. ein mäßiggradiges, teilweise ausgewachsenes intraalveoläres (innerhalb der Lungenbläschen bestehendes) Lungenödem aller Lungenlappen rechts, flächenhafte Perikardverwachsungen und eine fibrinöse Perikarditis (Herzbeutelentzündung unter Bildung von Fibrin – Klebefasern) ergeben. Als unmittelbare Todesursache sei die respiratorische Insuffizienz (Atmungseinschränkung) bei fortgeschrittenem Lungenkarzinom anzusehen.
Der Senat hat von Dr. D. die gutachtliche Stellungnahme vom 29. Februar 2004 mit Ergänzung vom 15. April 2004 eingeholt. Danach sei die Faserjahrberechnung nach wie vor nicht zu beanstanden. Trennschleifende Arbeiten im eigentlichen Sinne seien vom Versicherten nicht ausgeführt worden. Vielmehr habe er Bremsbacken, die durch starke Bremsbedienung abgerieben gewesen seien, eingeschliffen. Bei der Festlegung der Dosisgrenze von 25 Faserjahren seien Asbestfasern mit einer Länge unter 5 µm auch nicht unberücksichtigt geblieben. Lediglich Asbestfasern mit einer Länge von über 5 µm (richtig gestellt mit Schreiben vom 6. Juli 2004) und mit der Konfiguration langspitz-dünn seien aber alveolengängig und können dort ihre krebserzeugende Wirkung entfalten. In den westlichen Industriestaaten entstünden etwa 90% aller Bronchialkarzinome durch inhalatives Tabakrauchen. Dieses führe umso früher zum Auftreten einer solchen Erkrankung, je zeitiger es begonnen werde. Der Versicherte habe im 34. Lebensjahr bereits eine Tabakdosis von immerhin 15 bis 20 pack years aufzuweisen gehabt, was aus medizinischer Sicht ausreiche, die Entstehung eines Bronchialkarzinoms plausibel zu begründen. Einer zusätzlichen Asbesteinwirkung bedürfe es insoweit nicht.
Weiterhin hat der Senat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG Prof. Dr. W. das Gutachten vom 15. August 2005 erstatten lassen. Dieser hat dargelegt, dass die Kanzerogenität von Asbestfasern mit ihrer Länge zunehme. Die Frage der Kurzfaserkanzerogenese stelle eine bis heute wissenschaftlich nicht endgültig geklärte Herausforderung grundsätzlicher Art dar. Infolge der beim Ein- und Ausatmen auftretenden Kräfte komme es mit der Zeit, insbesondere bei Weißasbestfasern, zum Zerbrechen längerer Fasern, u.a. mit Längen unter 5 µm. Rödelsperger habe in seiner Habilitationsschrift von 1996 gezeigt, dass sowohl bei Mesotheliom-Patienten (Patienten mit Rippenfellkrebs) als auch bei Krankenhaus-Kontrollpatienten jeweils ca. 90% aller im Lungengewebe vermessenen Asbestfasern Längen unter 5 µm aufgewiesen hätten. Derartige Faserlängen seien bisher jedoch stets, gewissermaßen "in cognito”, miterfasst worden und hätten insoweit auch bei den Überlegungen zur Festlegung der Verdopplungsdosis von 25 Faserjahren Eingang gefunden. Deshalb seien die vom Präventionsdienst zugrunde gelegten Konzentrationswerte für die einzelnen Arbeitsvorgänge (5 F/cm3, 1,44 F/cm3 bzw. 2,69 F/cm3) und die jeweiligen zeitlichen Anteile aus arbeitsmedizinischer Sicht auch nicht zu beanstanden und entsprächen den eigenen Forschungen, die sich auf einen mehrere Hunderttausend zählenden Personenkreis von Beschäftigten in Bremsdiensten des Kfz-Handwerks erstreckten. Vor diesem Hintergrund sei es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Lungenkrebs durch die berufliche Tätigkeit des Versicherten als Elektromonteur mit einer Asbeststaubgefährdung in Höhe einer Dosis von 14,2 Faserjahren im Sinne der Entstehung verursacht worden sei. Schwieriger zu beantworten sei die Frage einer Verschlimmerung. Dies gelte vor allem unter Berücksichtigung der konkurrierenden Kausalität durch den starken Lungenkrebs erzeugenden Konsum von mindestens 13 (2 Jahre 10 Zigaretten täglich = 1 Packungsjahr + 12 Jahre eine Packung pro Tag) und maximal 20 (10 Jahre und 2 Packungen am Tag) Zigarettenpackungsjahren. Im Rahmen einer großen epidemiologischen Studie aus dem Jahr 1994 seien pro Jahr 14 Neuerkrankungen an Lungenkrebs bei Nichtrauchern pro 100.000 Personen beobachtet worden, jedoch 105 Neuerkrankungen bei Personen mit einer kumulativen Zigarettendosis von 20 pack years. Hieraus leite sich ein um 7,5fach erhöhtes RR (105: 14) ab. Würden beim Versicherten 13 pack years angesetzt (ca. 2/3 von 20), resultiere ein fünffach erhöhtes RR (7,5 x 2/3). Diesem Sterberisiko stünde bei 14,2 Faserjahren ein RR von 1,57 gegenüber, welches sich aus dem Verhältnis zu 25 Faserjahren nach der Formel 1 + [14,2: 25] errechne. Selbst wenn hierbei das so genannte "Krasneysche Drittel” als Faustformel zur Abwägung der Wesentlichkeit der arbeitsbedingten Teilursache in Höhe des durch Asbestfaserstaub verursachten Lungenkrebsrisikos zugrunde gelegt werde, sei das berufsbedingte RR von 1,57 gegenüber den beiden durch Zigarettenkonsum verursachten Lungenkrebsrisiken von 5 bzw. 7,5 in jedem Fall geringer als ein Drittel (1,57: 7,5 = 20,9 % bzw. 1,57: 5,0 = 31,4 %). Folglich bestünden gewisse Bedenken, der Einwirkung von 14,2 Asbestfaserjahren im Verhältnis zum konkurrierenden Zigarettenkonsum die Bedeutung einer wesentlich mitwirkenden Bedingung für das Entstehen des Lungenkrebses im Alter von 34,5 Jahren beizumessen. Dieses Erkrankungsalter und das Sterbealter von 38,5 Jahren seien jedoch ungewöhnlich. Denn nach den Daten der Krebsstatistik für Männer in der DDR aus den 1970er Jahren seien ein Erkrankungsalter von weniger als 35 Jahren und ein Sterbealter unter 40 Jahren in einem Bereich von höchstens 2% zu erwarten. Neben einer genetischen Disposition müssten deshalb der Zigarettenkonsum und die Asbesteinwirkung betrachtet werden. Epidemiologische Studien, welche durch die arbeitsbedingte Asbesteinwirkung von 14,2 Faserjahren eine Vorverlagerung des Erkrankungs- bzw. Todeszeitpunktes um mindestens ein Jahr evidenzbasiert abschätzen ließen, lägen nicht vor.
Auf Anforderung des Senats hat Prof. Dr. W. in seiner Stellungnahme vom 28. Februar 2006 ergänzend dargelegt: Der vom Präventionsdienst errechnete Wert von 14,2 Faserjahren sei nach wie vor aktuell. Die Festlegung der Verdopplungsdosis von 25 Faserjahren beruhe auf evidenzbasierter wissenschaftlicher Grundlage. Weißasbest sei in der DDR zu fast 100% eingesetzt worden und zeichne sich durch die am stärksten verkürzte Biobeständigkeit und eine Halbwertzeit von 11 bis 16 Tagen aus (so genanntes Fahrerfluchtphänomen). Ein Mitglied der Normalbevölkerung atme im Jahr etwa 500 Asbestfasern pro m3 Atemluft ein, was bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren 40.000 Asbestfasern pro m3 ausmache. Das Verhältnis von arbeitsbedingt 1.000.000 Asbestfasern pro m3 pro Vergleichsjahr zu diesen umweltbedingten 40.000 Asbestfasern pro m3 und Vergleichsjahr ergebe damit 0,04, so dass die Verdopplungsdosis von 25 Asbestfaserjahren die geschätzte lebenslange umweltbedingte Asbestfaserstaubdosis von 0,04 Asbestfaserjahren um den Faktor 625 übertreffe. Für den Versicherten entsprächen die geschätzten 14,2 Faserjahre somit einem Faktor von 355 (14,2: 0,04). Bei gebotener lebensnaher Betrachtungsweise liege es auf der Hand, dass auch ein um mehr als 300fach erhöhtes Lungenkrebsrisiko aufgrund arbeitsbedingter Asbestfaserstaubeinwirkung immer noch dem Wortlaut von § 9 Abs. 1 und Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) entspreche. Durch die versicherte Tätigkeit der besonderen Einwirkung in Höhe von 14,2 Faserjahren ausgesetzt gewesen zu sein, bedeute die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe, deren Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, gegenüber der übrigen Bevölkerung einen erheblich höheren Grad erreiche. Werde das RR, an Lungenkrebs zu sterben, für Nieraucher auf 1 standardisiert, ergebe sich für nicht asbestfaserstaubexponierte Raucher ein RR von 11. Für nie rauchende Asbestisolierer betrage das RR 5,0. Für zigarettenrauchende Asbestisolierer multipliziere sich das RR der Zigarettenraucher (11) in etwa mit dem durch Asbestfaserstaub verursachten RR (5,0) auf einen Wert von 53.
Die Beklagte hat das von dem Direktor des Instituts für Arbeits- und Umweltmedizin der Universität M. Prof. Dr. N. zusammen mit der Fachärztin für Arbeitsmedizin Dr. O. in ihrem Auftrag erstellte Gutachten vom 14. Dezember 2006 vorgelegt, dessen Unverwertbarkeit wegen Verstoßes gegen § 200 Abs. 2 SGB VII die Klägerin mit Schreiben vom 19. Januar 2007 geltend gemacht hat.
Der Senat hat Prof. Dr. W. zur Erläuterung seiner gutachtlichen Ausführungen zur mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2009 geladen. Dieser hat hierbei u.a. erklärt, dass keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Vorliegen einer Verdopplungsdosis unterhalb von 25 – insbesondere bei 7,7 – Faserjahren vorhanden seien. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Versicherte ohne Asbesteinwirkung zu einem späteren Zeitpunkt verstorben wäre, lasse sich wissenschaftlich fundiert nicht abschätzen. Insoweit bestehe lediglich eine Denkmöglichkeit. Schließlich handele es sich bei den im Autopsiebericht genannten Perikardveränderungen nicht um Brückenbefunde, sondern Veränderungen im Endstadium der Krebserkrankung. Wegen des weiteren Inhalts seiner Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom Verhandlungstag – Bl. 595 bis 601 der Gerichtsakten – verwiesen.
Nachfolgend hat die Beklagte die Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 14. September 2009 übersandt, wonach der Zeitaufwand für das Belegen der Bremsen abweichend von seiner letzten Bewertung (vom 27. November 2007) mit 0,5 Stunden täglich zu veranschlagen sei. Grundlage hierfür sei die im (beigefügten) Antrag für die Verarbeitung asbesthaltiger Materialien des VEB B. und M. M. an die Arbeitshygieneinspektion M. vom 28. September 1987 enthaltene Angabe, dass diese Reparaturarbeiten maximal fünf Personen an insgesamt 50 Stunden im Monat verrichtet hätten (10 Stunden im Monat pro Person = 2,5 Stunden pro Woche = 0,5 Stunden täglich bei fünftägiger 8stündiger Arbeit). Weitere Informationen seien in der Betriebsakte des VEB M. M. laut Auskunft des Landesamtes für Verbraucherschutz vom 8. September 2009 nicht enthalten.
Auf Anfrage des Senats hat der Geschäftsführer der B. & W. K. T. GmbH P. W. unter dem 28. Oktober 2009 mitgeteilt, dass er von 1971 bis 1989 im VEB M. M. beschäftigt und 15 Jahre Leiter des Bereichs Technik/Krane-Schwertransporte gewesen sei. Die Lebensdauer der Bremsbeläge habe zwischen ein und drei Jahren gelegen; für die Arbeiten an ihnen sei keinesfalls ein langer Stundensatz zu veranschlagen. Überdies habe der Ein- und Ausbau der Beläge generell im Freien stattgefunden. Nur das Vernieten der neuen Bremsbacke auf dem Bremskörper sei in der Werkstatt erfolgt. Modelle der verwendeten Materialien seien nicht mehr vorhanden. Weitere Nachforschungen des Senats bezüglich der seinerzeit zum Einsatz gekommenen Bremsbeläge bei der Firma J. N. in R., der S. H. GmbH, der Kranbau K. GmbH, der K. AG L. sowie der T. F. E. GmbH C. sind ohne weitere Erkenntnisse geblieben.
Anschließend hat der Senat nach Beiziehung bildgebender Lungenbefunde des Versicherten von dem Direktor der Universitäts- und Poliklinik für Diagnostische Radiologie des Universitätsklinikums H. Prof. Dr. S. das Gutachten vom 16. März 2010 eingeholt. Dieser ist zu der Einschätzung gelangt, dass es keinen Anhalt für einen beruflichen Zusammenhang des Bronchialkarzinoms des Versicherten gebe. Die ausgewerteten radiologischen Aufnahmen ergäben allesamt keine Hinweise für eine Lungen- oder Pleurasbestose. Insbesondere fänden sich keine fibrotischen Veränderungen außerhalb der Tumor- bzw. Bestrahlungsregion sowie Pleuraverkalkungen oder umschriebene Pleuraplaques. Die auf den Thorax-CT vom 6. März und 11. Oktober 1996 sowie 8. April 1997 erkennbaren geringen Fibrosezeichen seien regelmäßige Folge der erfolgten Bestrahlungstherapie und daher nicht zu werten. Eine Minimalasbestose sei radiologisch zwar nicht auszuschließen, liege nach den fachpathologischen Beurteilungen jedoch nicht vor.
Der Senat hat vom Institut für Pathologie der R.-Universität B. sowie der Thoraxklinik am Universitätsklinikum H. asservierte Lungengewebsproben des Versicherten beigezogen. Insoweit hatte der Pathologe Prof. Dr. Dr. K. bestimmten Gewebeproben vom Rand und aus dem Zentrum der Pleura unter dem 1. März 1996 feingeweblich Fibrosezeichen entnommen.
Schließlich hat der Senat die Direktorin des Instituts für Pathologie der R.-Universität B. Prof. Dr. T. das Gutachten vom 2. September 2010 erstellen lassen. Diese hat einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition des Versicherten und dem bei ihm diagnostizierten Lungenkarzinom im Ergebnis als nicht wahrscheinlich eingeschätzt. Weder elektronenmikroskopisch noch pathologisch-anatomisch seien Asbestkörper in Fibrosierungsarealen nachweisbar. Damit seien die national und international gültigen Kriterien für die Diagnose einer Minimalasbestose (Asbestose Grad I) nicht erfüllt. Die untersuchte Probe habe elektronenmikroskopisch 11.533 Chrysotilfasern pro Gramm Lungenfeuchtgewebe erbracht. Im Fall von Patienten mit histologisch verifizierter Asbestose oder Minimalasbestose ließen sich stattdessen Konzentrationen in einer Größenordnung ) 106 Fasern nachweisen. Die Konzentration liege also in einem Bereich, der sich auch bei Patienten ohne berufliche Asbestexposition finde. Bei der histologischen Aufarbeitung von drei Präparaten aus dem Jahr 1995 und fünf Präparaten aus dem Jahr 1999 seien bei teils fibrosiertem Lungenparenchym bzw. unter dem Bild einer fibrinösen Pleuritis ebenfalls keine Hinweise auf Asbestkörper zu gewinnen gewesen. Mangels Vorliegens neuer gesicherter Erkenntnisse über einen bestimmten Dosisgrenzwert unterhalb der in Deutschland als sozialmedizinischen Konsens festgelegten 25 Faserjahre scheide auch eine Anerkennung wie eine BK aus.
In seiner hierzu auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG gefertigten gutachtlichen Stellungnahme vom 2. November 2010 ist Prof. Dr. W. bei seiner Einschätzung geblieben. Das Rauchen und die berufliche Asbestbelastung von 14,2 Faserjahren, die zur Verursachung des Karzinoms nicht hinweggedacht werden könnten und keinesfalls eine Gelegenheitsursache darstellten, seien als jeweils wesentlich teilursächlich zu werten. In der Mitte Oktober 2010 in der Klinik F. beschlossenen Empfehlung (Falkensteiner Empfehlung) sei dargelegt, dass Minimalasbestosen pathologisch-anatomisch auch bei Dosen von weniger als 5 Faserjahren nachgewiesen werden könnten. Zudem führe die licht- und elektronenmikroskopische Analyse bei Chrysotil wegen dessen geringer Biobeständigkeit nicht weiter und schließe insbesondere ein negativer Befund eine erhöhte Asbestbelastung in der Vergangenheit als wesentliche Teilursache einer Lungenfibrose nicht aus. Auch die von Prof. Dr. T. aufgestellte Forderung eines wiederholten Nachweises von Asbestkörpern in Fibrosierungsbereichen stehe nicht mit der Falkensteiner Empfehlung in Einklang. Die von ihr elektronenmikroskopisch untersuchte Probe entspreche nur einem 5.200sten Teil der Lunge. Die dabei nach einer Interimszeit von vier Jahren gefundenen 11.533 Chrysotilfasern belegten gerade eine relevante Gefährdung, zumal Prof. Dr. T. eine begleitende Fibrosierung selbst beschrieben habe. Unter Berücksichtigung der Zerfallkinetik des Chrysotils habe dieses während der ca. 200 Wochen seit Belastungsende (52 x 4) 100mal eine Halbierungsmöglichkeit auf den Wert 11.533 gehabt, wohingegen bei 93 Halbierungszeiten 1.476.224 Fasern pro Gramm Lungengewebe resultierten.
Letztlich hat Prof. Dr. T. auf Anforderung des Senats die Falkensteiner Empfehlung (Stand: 30. November 2010) vorgelegt und unter dem 19. November 2010 ergänzend zu ihrem Gutachten dargelegt: Eine Asbestose könne bei weniger als fünf oder auch bei Dosen von 200 Faserjahren vorliegen. Dabei müsse aber auch bedacht werden, dass bei den oft erst nach Jahren und Jahrzehnten stattfindenden arbeitstechnischen Ermittlungen eine fehlerhaft zu niedrig festgestellte Dosis nicht auszuschließen sei. Bei Patienten der Normalbevölkerung ohne berufliche Asbestexposition seien häufig auf Umweltbelastungen oder inhalatives Rauchen zurückgehende Kohlenstoffpartikeleinlagerungen in der Lunge mit begleitender Fibrosierung auszumachen. Ein solcher unspezifischer Befund sei in Form der nur histologisch fassbaren geringen Fibrosierung des Lungenparenchyms auch beim Versicherten zu finden gewesen. Da in den USA und der Mehrheit der europäischen Länder zu über 90% Weißasbest verwendet worden sei, liege in Deutschland keine besondere Situation vor, die ein Abgehen von der international gültigen Asbestosedefinition rechtfertige. Überdies ließen neueste in den Jahren 2005 und 2010 veröffentlichte Studienergebnisse darauf schließen, dass Chrysotil eine äußerst geringe fibrogene Potenz zuzumessen sei. Dies komme auch im Begriff "Fahrerfluchtphänomen” zum Ausdruck, der – ausgenommen so genannter overload-Situationen mit massiver Chrysotilbelastung – besage, dass wegen des rasanten Verschwindens der Fasern von der ermittelten Faserdosis nicht auf die Faserkonzentration in der Lunge und einen dort induzierten Schaden rückgeschlossen werden könne. Denn je länger eine Faser ihre fibrogene und kanzerogene Wirkung in der Lunge entfalte, umso höher sei die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung, was durch Fälle deutlich erhöhter Chrysotilbelastungen der Lunge auch Jahre und Jahrzehnte nach dem Expositionsende im Sinne einer "verhinderten Fahrerflucht” belegt werde. Da keine einheitlichen und gesicherten Erkenntnisse zur Biobeständigkeit von Chrysotil existierten, sei die von Prof. Dr. W. vorgenommene Hochrechnung wissenschaftlich nicht haltbar. Die bisherigen Untersuchungen wiesen Halbwertzeiten zwischen wenigen Wochen bis zu Jahrzehnten aus.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1998 beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil sie als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil) keinen Anspruch auf Anerkennung dessen Erkrankung als oder wie eine BK und eine darauf gestützte Gewährung von Leistungen hat.
Die von der Klägerin verfolgten Ansprüche richten sich noch nach den bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Denn der als entschädigungspflichtig geltend gemachte Versicherungsfall soll vor dem In-Kraft-Treten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten sein (vgl. Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I, 1254 ff.; §§ 212 ff. SGB VII).
Gemäß § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung (BKV) mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (§§ 539, 540, 543 bis 545 RVO) erleidet (Listen-BK). Die näheren Einzelheiten zum Erlass der BKV regelt § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO. Die BK 4104 wird definiert als Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs entweder in Verbindung mit einer Asbeststaublungenerkrankung (erste Variante), in Verbindung mit einer durch Asbeststaub verursachten Erkrankung der Pleura (zweite Variante) oder – als dritte Variante – bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren {25 x 106 [(Fasern/m³) x Jahre]}. Nach § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Kriterien nicht vorliegen, wie eine Listen-BK entschädigen (Wie- oder Quasi-BK), sofern nach neuen (medizinischen) Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO vorliegen.
Gemessen daran scheidet vorliegend sowohl die Anerkennung einer BK 4104 (nachfolgend unter 1.) als auch einer Wie-BK aus (hierzu unter 2.).
1. Zwischen den Beteiligten ist zwar unstrittig, dass der Versicherte während der Zeit seiner Tätigkeit als Kranelektriker, die einer nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Tätigkeit als Beschäftigter entspricht, zeitweise gesundheitsschädigenden Konzentrationen asbesthaltiger Stäube ausgesetzt gewesen war. Ferner ist vollbeweislich gesichert, dass er an einem Lungenkrebs in Form eines Bronchialkarzinoms erkrankt und an dessen Folgen verstorben ist, womit auch eine Erkrankung im Sinne der BK 4104 nachgewiesen ist. Es ist jedoch nicht auf Grund voll bewiesener Gesundheitsstörungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit belegt, dass er an einer Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) bzw. zumindest an einer Minimalasbestose oder einer asbestbedingten Erkrankung der Pleura gelitten hat. Ebenso wenig ist nach dem insoweit einschlägigen Maßstab des Vollbeweises (siehe zu seinen inhaltlichen Anforderungen Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 5/05 R – SozR 4-5671 § 6 Nr. 2) belegt, dass der Versicherte einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis von mindestens 25 Faserjahren ausgesetzt gewesen ist. Damit fehlen die tatbestandlichen Brückenbefunde einer BK 4104.
Die Diagnose einer Asbestose basiert vor allem auf dem röntgenologischen Befund (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Abschn. 17.6.1.2, S. 1030 f. und 18.6.1.1.11, S. 1098; vgl. auch Merkblatt zur BK 4103 des damaligen Bundesministeriums für Arbeit vom 1. Juni 1988, BArbBl. 1988, 122), wobei eine diffuse Vermehrung des Bindegewebes (Fibrose) der Mittel- und Unterfelder kennzeichnend ist. Die Veränderungen weisen wabenähnliche oder grob netzförmige, unregelmäßig streifige, bandartig verflochtene oder auch maschenartige Strukturen auf. Sie nehmen in den Lungen von oben nach unten zu. Derartige (makroskopische) Befunde haben alle Sachverständigen – einschließlich Prof. Dr. W. im Rahmen seiner Nachauswertung der bildgebenden Befunde vom 1. November 1994, 5. Februar 1996 und 11. Oktober 1996 – genauso eindeutig verneint, wie bindegewebsartige oder verkalkte Pleurabeläge (Plaques), wie sie für die Pleuraasbestose charakteristisch sind (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 17.6.2, S. 1033 f.; Merkblatt zur BK 4103, a.a.O.). Der Senat sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser übereinstimmenden Einschätzungen zu zweifeln, zumal Prof. Dr. S. diese in seinem Gutachten vom 16. März 2010 nochmals bestätigt hat.
Weiterhin lässt sich auch keine Minimalasbestose sichern, wobei offen bleiben kann, ob diese nur vorliegen kann, wenn mikroskopisch und feingeweblich neben geeigneten Fibrosierungen Asbestkörperchen in einer bestimmten Anzahl und/oder in bestimmter Lage vorhanden sind (in diesem Sinne Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 17.6.1.2.2., 1032 f.; Falkensteiner Empfehlung, Abschn. 4.4.2 und 8.2.2 – abrufbar unter: http://www.dguv.de/inhalt/presse/2011/Q2/falkensteiner/falkensteiner empfehlung.pdf; Mehrtens/B., Die Berufskrankheitenverordnung, Stand Mai 2010, M 4104, Rn. 5). Diese sind schon nach Aussage von Prof. Dr. M. – dem hier auch Prof. Dr. W. nicht widersprochen hat – jedenfalls nur in einer Anzahl nachweisbar, die bei Personen ohne berufliche Belastung auftritt. Keinen feststellbaren Einfluss hat es auf diese Einschätzung, dass nur Asbestkörperchen einer Länge von mehr als 5 Mikrometern erfasst werden. Auch Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 15. August 2005 im Hinblick auf die maßgeblichen Abmessungen eingeräumt, es gebe derzeit keine Definition, die wissenschaftlich besser zu begründen wäre. Zudem bestehe eine verhältnismäßig enge Beziehung der Anteile an längeren und kürzeren Asbestfasern in der Atemluft. Bei der von Prof. Dr. T. vorgenommenen histologischen Aufarbeitung der acht Vergleichspräparate sind ebenfalls keine Hinweise auf Asbestkörper zu finden gewesen.
Selbst wenn der Nachweis einer Minimalasbestose auch durch geeignete Fibrosierungen und den elektronenmikroskopischen Nachweis einer bestimmten Zahl von Asbestfasern erbracht werden kann, ist der entsprechende Beleg im Falle des Versicherten nicht gelungen. Denn die in der untersuchten Probe durch Prof. Dr. T. elektronenmikroskopisch befundeten 11.533 Chrysotilfasern pro Gramm Lungenfeuchtgewebe lassen sich nach ihren Darlegungen ohne weiteres mit der Befundsituation bei nicht asbestexponierten Personen der Normalbevölkerung vereinbaren; dieser Einschätzung selbst hat Prof. Dr. W. nicht widersprochen. Das Gericht folgt jedoch seiner weiteren, im Hinblick auf das sogenannte Fahrerfluchtphänomen angestellten Überlegung nicht, auf dieser Grundlage eine Rückrechnung vorzunehmen. Denn diese kann nicht – wie Prof. Dr. W. wohl für möglich erachtet – den Nachweis einer hinreichenden Asbeststaubbelastung zum Zeitpunkt der Aufgabe der belastenden Tätigkeit erbringen. Ebenso wenig wie für eine Person aus der Normalbevölkerung der Schluss gezogen werden kann, diese habe zu einem früheren Zeitpunkt eine viel höhere Zahl von Asbestfasern im Lungengewebe aufzuweisen gehabt, lässt sich eine solche Behauptung für eine beruflich exponierte Person aufstellen. Allein an die Exposition selbst knüpft der Verordnungsgeber eine Zusammenhangseinschätzung mit der Krankheit außerhalb der Prüfung der Asbestfaserjahre nicht. Darauf liefe es aber hinaus, wenn bei einem unauffälligen Fasergehalt der Lunge letztlich allein die stattgehabte Exposition – in Verbindung mit einer Hochrechnung – die Grundlage für die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs liefern soll. Zudem hat Prof. Dr. M. schon in seinem Gutachten vom 1. August 1996 – unwidersprochen von Prof. Dr. W. – darauf hingewiesen, nicht jede erhöhte Asbestexposition führe zu einer entsprechenden Asbestbelastung der Lunge.
Die vorgefundenen Fibrosezeichen bzw. Pleuraveränderungen selbst haben die beteiligten Ärzte als unspezifisch bewertet. Davon weicht auch Prof. Dr. W. nicht ab, der dem Umstand der fehlenden Spezifität im Hinblick auf die Asbestexposition – wie dargestellt – lediglich keine Bedeutung beimessen will.
Schließlich liegt ebenso kein Brückenbefund im Sinne der dritten Variante der BK 4104 vor. Denn der Versicherte war während seines Berufslebens unterhalb der Schwellendosis von 25 Faserjahren asbestbelastet, die nach den Vorgaben des Verordnungsgebers erforderlich ist, um die Häufigkeit des Auftretens eines Bronchialkarzinoms zu verdoppeln, wobei Bezugspunkt eine aus Rauchern sowie Nichtrauchern bestehende Population war. Hierauf hatte insbesondere Dr. D. bereits in seinem Gutachten vom 29. März 2000 hingewiesen; Gegenteiliges hat auch Prof. Dr. W. nicht behauptet. Im hypothetisch denkbar schlimmsten Fall ist der Versicherte einer Lebensarbeitszeitdosis von maximal 10 Faserjahren ausgesetzt gewesen.
Ein Faserjahr im Sinne der BK 4104 entspricht einer einjährigen arbeitstäglich achtstündigen Einwirkung von 1 x 106 Fasern pro m3 (= 1 Faser pro cm3) der kritischen Abmessung (Länge ) 5 µm, Durchmesser ( 3 µm, Länge-Durchmesser-Verhältnis mindestens 3: 1) bei 240 Arbeitstagen bzw. Schichten im Jahr (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O, Abschn. 18.6.1.1.1.1., S. 1099; Falkensteiner Empfehlung, a.a.O., Abschn. 4.6.4 in Verbindung mit dem BK-Report 1/2007, S. 73, abrufbar unter: http://www.dguv.de/ifa/de/pub/rep/pdf/rep05/bk0107/bk1 2007.pdf; Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit zur BK 4104, Bekanntmachung vom 1. Dezember 1997, BArbBl. 12/1997, S. 32). Zeiten, in denen ein Versicherter in einem nicht näher einzugrenzenden Abstand zu der Emissionsquelle anwesend oder ebenfalls exponiert ist, jedoch nicht direkt die aufgeführte Tätigkeit ausübt, die zur Freisetzung von Asbestfasern führt, sind als so genannte Bystanderzeiten regelmäßig mit 10 vH der Asbestfaserdosis pro m3 zu berücksichtigen (BK-Report 1/2007, a.a.O., S. 170). Zur Berechnung der Faserjahre sind die Dauer der Exposition und die Anzahl der Asbestfasern pro m3 zu ermitteln. Beide werden miteinander multipliziert und ergeben die Faserjahre.
Unter Ansatz dieser Maßstäbe liegen berücksichtigungsfähige Beschäftigungszeiten des Versicherten zwischen März 1981 und April 1985 sowie zwischen November 1986 und November 1990 vor und betragen acht Jahre und zwei Monate. Eine Erhöhung dieser Anzahl hat der Präventionsdienst der Beklagten, dessen Einschätzung sich der Senat insoweit anschließt, sachkundig verneint. Sie kann weder für die Ausbildungszeit von September 1976 bis Juli 1978, während der nach der Selbstauskunft des Versicherten vom 20. Januar 1995 kein Kontakt zu Asbest bzw. allenfalls im Hinblick auf den Aufenthalt in asbesthaltigen Gebäuden bestanden habe (so seine Angabe vom 10. Februar 1995), noch für den Zeitraum von September 1978 bis Dezember 1980 (Tätigkeit bei den Unternehmen Kraft bzw. Fuchs) angenommen werden, als der Versicherte – entgegen seinen ursprünglichen Angaben vom 20. Januar 1995 – einer Asbesteinwirkung entsprechend seiner Einschätzung vom 10. Februar 1995 nur durch sporadische Stemm- und Elektroarbeiten ausgesetzt gewesen sei ("mal drei Platten in der Woche, dann wieder lange gar nicht”).
Hiervon ausgehend hat der Präventionsdienst für die Tätigkeit beim Nachstellen und Einschleifen der Bremsen eine Stunde täglich im Monat bei einer Belastung mit 5 Fasern pro cm3 angesetzt, hieraus zutreffend eine Asbestfaserdosis von 5,1 Faserjahren errechnet (siehe zur Umrechnung bei Teilzeitexpositionen, BK-Report 1/2007, a.a.O., S. 74 ff.) und ist dabei zugunsten des Versicherten verfahren. Denn bei einer einstündigen Einwirkung von 5 Fasern pro cm³ handelt es sich nach der Tabelle 7.14 des BK-Reports 1/2007 (S. 145) um die quantitative und qualitative Maximalbelastung, die beim Schleifen von Bremsbacken ohne Absaugung heranzuziehen ist. Die Handhabung zugunsten des Versicherten wird umso deutlicher, als ausgehend vom Antrag des VEB M. vom 28. September 1987 entsprechend der Einschätzung des Präventionsdienstes vom 14. September 2009 viel für eine Herabsetzung des Arbeitszeitanteils auf 0,5 Stunden täglich spricht. Da weitere aufschlussreiche Unterlagen in der Betriebsakte des VEB M. M. laut Auskunft des Landesamtes für Verbraucherschutz vom 8. September 2009 nicht enthalten sind, bedurfte es ihrer – im Termin am 18. Juni 2009 begehrten – Beiziehung nicht mehr.
Für die Tätigkeit des Zuschnitts der Beläge und des Belegens der Bremsbacken in der Werkstatt ist der Präventionsdienst von den zeitlichen Angaben des Versicherten ausgegangen (vier Tage im Monat) und hat für eine achtstündige Tätigkeit eine Einwirkung von 1 Faser pro cm3 zugrunde gelegt. Hieraus ergeben sich 1,6 Faserjahre. Würden anstatt 1 Faser 1,44 Fasern pro cm3 bzw. der nach dem BK-Report 1/2007 insoweit denkbare Höchstwert der Tabelle 7.14 von 2 Fasern pro cm2 angenommen, resultierten daraus 2,4 (98/12 x 1/5 x 1,44) bzw. 3,3 Faserjahre. Beim Schleifen der aufgenieteten Beläge in der Werkstatt an vier Tagen im Monat hat der Präventionsdienst plausibel eine halbe Stunde täglich angenommen und dabei unrealistisch die Belastung mit 19,8 Fasern pro cm3 unterstellt, was annähernd dem vierfachen Maximalkonzentrationswert der Tabelle 7.14 entspricht, der beim Schleifen ohne Absaugung überhaupt in Betracht kommt. Zudem ist ihm bei seiner diesbezüglichen Rechnung ein Multiplikationsfehler zugunsten des Versicherten unterlaufen. Denn 98/12 x 1/5 x 1/16 x 19,8 Fasern pro cm3 ergeben nicht 7,5, sondern 2 Faserjahre. Selbst wenn anstatt der auch von Prof. Dr. W. bzw. seinen Ingenieurmitarbeitern als im Einklang mit den eigenen Forschungsergebnissen stehend bestätigten Konzentration von 2,69 Fasern pro cm3 wiederum ein Konzentrationswert von 5 Fasern pro cm3 veranschlagt würde, ergibt sich für diesen Arbeitsschritt eine Teileinwirkungszeit von 0,5 Faserjahren (98/12 x 1/5 x 1/16 x 5). In der Addition der einzelnen belastenden Tätigkeiten liegen bei großzügiger Betrachtung somit maximal 8,9 Faserjahre (5,1 + 3,3 + 0,5) vor. Werden unter Vernachlässigung der oben angegebenen Voraussetzungen noch Bystander-Expositionen hinzugerechnet ([98/12 x 1/5 x 0,2] + [98/12 x 1/5 x 0,5]), ergäben sich 10 Faserjahre (8,9 + 1,1). Würden sogar noch die Ausbildungszeit und die Tätigkeit bei den Unternehmen Kraft und Fuchs (zusammen 51 Monate) bei Annahme einer achtstündigen Bystander-Exposition und einer Faserkonzentration von 0,01 (entspricht Bearbeitung von Asbestplatten mit der Handsäge im Baubereich nach Tabelle 7.10 des BK-Reports 1/2007) eingerechnet und der Wert von 10 Faserjahren nochmals um den so ermittelten Wert von 0,04 Faserjahren (51/12 x 0,01) nach oben korrigiert, steht fest, dass der Versicherte auch bei einer worstcase-Betrachtung allenfalls 10 Faserjahre erreicht hat. Bei Heranziehung der im BIA-Report 3/95 (abrufbar unter: http://www.dguv.de/bgia/de/pub/rep/pdf/rep03/biar0395/rep0395.pdf) auf den Seiten 91 und 95 dokumentierten Konzentrationen ergäben sich einschließlich einer vollen Berücksichtigung der Tätigkeiten bei den Firmen Kraft und Fuchs entsprechend der den Beteiligten im Termin am 18. Juni 2009 übergebenen (handschriftlichen) Berechnung (Bl. 619 Gerichtsakten als Anlage zum Protokoll) insgesamt gar nur 2,43 Faserjahre. Unter Berücksichtigung einer Umrechnung der konimetrischen Fasermessergebnisse in vergleichbare Membranfilterwerte (vgl. hierzu BIA-Report 3/95, S. 62) würden insgesamt 4,84 Faserjahre resultieren (Verdopplung der jeweiligen Konzentrationen von 1,44 F/cm3, 0,36 F/cm3, 2,69 F/cm3 sowie 5,3 F/cm3 multipliziert mit den entsprechenden Einwirkungszeiten je Arbeitsverrichtung).
Gegen die vorstehende Berechnung auf Grundlage des Faserjahrmodells, das nach wie vor den aktuellen Stand widerspiegelt (vgl. ausführlich hierzu BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 – B 2 U 15/05 R – SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2), lässt sich auch keine Vernachlässigung von Fasern unter 5 µm Länge einwenden. Wie sowohl Dr. D. in seinen Stellungnahmen vom 29. Februar, 15. April und 6. Juli 2004 dargelegt und auch Prof. Dr. W. im Gutachten vom 15. August 2005 ausdrücklich eingeräumt hat, hat die Frage der Kurzfaserkanzerogenese sowohl im Rahmen der maßgeblichen epidemiologischen Studien (siehe hierzu Merkblatt zur BK 4104, a.a.O.) als auch bei den Überlegungen zur Festlegung der Verdopplungsdosis von 25 Faserjahren Berücksichtigung gefunden und ist somit nicht geeignet, die Faserjahrberechnung zu beeinflussen.
Da die zuvor dargestellten Rechenschritte auf für jedermann nachvollziehbaren Grundrechenarten beruhen und nach den durchgeführten Ermittlungen überdies keine weiteren Erkenntnisse über die verwendeten Bremsbeläge zu gewinnen sind, sah sich der Senat nicht zur Einholung eines (hilfsweise beantragten) Sachverständigengutachtens zur Faserjahrberechnung veranlasst. Dies drängt sich auch nicht im Hinblick auf den Einwand der Klägerin auf, bei den Feststellungen der Präventionsdienste und der Anwendung der Asbest- bzw. Faserjahrberichte handele es sich um Parteigutachten. Die Klägerin hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür benannt, dass die Ermittlungen insoweit fehlerhaft sein könnten. Ohne entsprechende Beanstandungen hält der Senat weitere Ermittlungen nicht für erforderlich. Die hinter den Präventionsdiensten und dem früheren Hauptverband stehenden Unfallversicherungsträger sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 29 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – SGB IV) an Gesetz und Recht gebunden (§ 29 Abs. 3 SGB IV). Die nur globale Behauptung, sie kämen ihren Aufgaben nicht nach, rechtfertigt es nicht, ihre Ermittlungsergebnisse zu verwerfen. Hier ist es zudem so, dass die Faserjahrberechnung durch Prof. Dr. W. ausdrücklich als worstcase-Berechnung bestätigt wird. Dazu hat er nachvollziehbar dargelegt, dass seine Kenntnisse in dieser Hinsicht sogar über diejenigen eines Arbeitsmediziners hinausgehen, weil er als Institutsdirektor selbst arbeitstechnische Studien zum Asbestanfall geleitet hat, an denen nichtmedizinische Fachkräfte beteiligt waren.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung der Krebserkrankung des Versicherten im Sinne einer Wie-BK.
Zu den von § 551 Abs. 2 RVO in Bezug genommenen übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO gehören sowohl der ursächliche Zusammenhang zwischen der nach den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO versicherten Tätigkeit und der geltend gemachten Erkrankung als auch die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen (§ 551 Abs. 1 Satz 3 RVO). Mit dieser Regelung soll nicht im Wege einer Generalklausel jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich ist, stets wie eine BK entschädigt werden. Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Anerkennung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der BKV noch nicht vorhanden oder dem Verordnungsgeber nicht bekannt waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten. Für die Anerkennung einer Wie-BK ist demnach zunächst erforderlich, dass es bei der geltend gemachten Krankheit um eine Erkrankung geht, die ihrer Art nach noch nicht von einer Listen-BK erfasst wird bzw. die insoweit erforderlichen Voraussetzungen fehlen. Zusätzlich muss die Erkrankung abstrakt nach neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen durch besondere Einwirkungen verursacht werden, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Schließlich muss neben dieser Erkrankung auch eine nach der zweiten Voraussetzung einschlägige berufliche Exposition im konkreten Einzelfall vorliegen und beim Versicherten überdies ein wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen diesen beruflichen Einwirkungen und seiner Krankheit hinreichend wahrscheinlich sein (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 1986 – 2 RU 80/84 – SozR 2200 § 551 Nr. 27; Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 16/01 R – juris; Urteil vom 20. Juli 2010 – B 2 U 19/09 R – juris). Diese Voraussetzungen sind für die verbleibende Prüfung, ob eine Bronchialkrebserkrankung schon bei weniger als 25 Faserjahren typische Folge beruflicher Asbesteinwirkung ist, nicht gegeben.
Das Erfordernis, dass die betreffende Krankheit des Versicherten nicht in der Anlage 1 BKV bezeichnet ist oder die dort genannten Tatbestandsmerkmale nicht vorliegen, ist – wie zuvor dargelegt – erfüllt. Es steht jedoch schon nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Versicherte einer bestimmten Personengruppe angehörte, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach den allgemeinen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell geeignet sind, die vorliegende Krankheit zu verursachen.
Eine (gruppentypische) Risikoerhöhung im Sinne von § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO würde zunächst das Vorhandensein ausreichender medizinischer Erkenntnisse dafür erfordern, dass bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit Einwirkungen ausgesetzt wären, mit denen die übrige Bevölkerung nicht in diesem Maße in Kontakt käme, und die geeignet wären, eine Lungenkrebserkrankung hervorzurufen. Die von Prof. Dr. W. auf der Grundlage eines Dosiswerts von 14,2 Faserjahren im Vergleich zu einer umweltbedingten Asbestdosis der übrigen – nicht belasteten – Bevölkerung angesetzte Einwirkung von 0,04 Faserjahren führt zwar zu einem um den Faktor 355 erhöhten Wert. Ein um ein Vielfaches erhöhter Wert ergibt sich aber auch bei "nur” 10 Faserjahren – Faktor 250 (10: 0,04) – oder bei vielen anderen frei gegriffenen Dosiswerten (bei einem Faserjahr immer noch der Faktor 25). Allein eine im Verhältnis zur Normalbevölkerung gesteigerte Einwirkung als solche reicht für die Bejahung der Einwirkungshäufigkeit im Sinne von § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO folglich nicht aus. Hinzu kommen muss unter den vorliegenden Gegebenheiten vielmehr der Nachweis, dass Lungenkrebserkrankungen ab einer bestimmten beruflichen Mindestdosis (ggf. welcher?) erheblich häufiger aufzutreten pflegen als bei der übrigen Bevölkerung. Zu diesem entscheidenden Punkt der Risikoerhöhung lässt sich auf Grundlage der von Prof. Dr. W. angestellten Betrachtung jedoch schon keine Aussage treffen, geschweige denn irgendein Nachweis führen. Dass keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Vorliegen einer Verdopplungsdosis unterhalb von 25 Faserjahren vorhanden sind, hat Prof. Dr. W. im Rahmen seiner Aussage während der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2009 selbst eingeräumt. In der Konsequenz würde seine Argumentation – wie die Beklagte richtigerweise angemerkt hat – auf eine Korrektur der BK 4104 mittels § 551 Abs. 2 RVO (nunmehr § 9 Abs. 2 SGB VII) ohne belegbare Risikoerhöhung hinauslaufen, was erkennbar dem Sinn und Zweck dieser Norm (s.o.) zuwiderläuft.
Selbst wenn jedoch eine gruppentypische Risikoerhöhung unterstellt würde, kann die Anerkennung einer Wie-BK deshalb nicht erfolgen, weil die maßgeblichen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht "neu” im Sinne von § 551 Abs. 2 RVO sind. In dieser Hinsicht sind medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse nämlich dann neu, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch feststeht, dass sie bei der letzten Änderung der BKV (siehe Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009, BGBl. I, 1273) noch nicht berücksichtigt wurden. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn sie erst nach der letzten BKV-Novelle bekannt geworden sind (näher hierzu BSG, Urteil vom 14. November 1996 – 2 RU 9/96 – SozR 3-2200 § 551 Nr. 9, Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 20/01 R – juris).
Ausgehend hiervon kann der Umstand, dass die legal definierte Mindestdosis von 25 Faserjahren im Verhältnis zu einer auf 0,04 Faserjahre standardisierten umweltbedingten Einwirkung der Normalbevölkerung einen 625fach höheren Wert ausmacht, nicht als neu gelten. Denn nach der Begründung der Bundesregierung zu Art. 1 Nr. 5 des Entwurfs der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 18. Dezember 1993, mit der die Mindestdosis von 25 Faserjahren eingeführt wurde, erfolgte die Festlegung dieses Wertes auf der Basis der in den einschlägigen internationalen arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Studien gewonnenen allgemein gültigen Erkenntnisse über die Dosis-Wirkungs-Beziehungen bei durch Asbestfaserstaub verursachten Tumoren zwischen der Häufigkeit ihres Auftretens und den einwirkenden Dosen. Bei der Analyse der vorliegenden Studien habe sich gezeigt, dass 25 Faserjahre als verallgemeinerungsfähige Verdoppelungs-Dosis für die Lungenkrebssterblichkeit nach Asbestfaserstaubeinwirkung am Arbeitsplatz anzusehen seien (BR-Drucks. 773/92, S. 12 ff.). Demnach hat sich der Verordnungsgeber bewusst deshalb für die festgelegte Mindestdosis entschieden, weil er den herangezogenen Daten bei unter dieser Grenze liegenden Belastungen keine relevante Einwirkungshäufigkeit entnehmen konnte. Dies impliziert bei allen unterschwelligen Einwirkungen im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung denknotwendigerweise die Inkaufnahme eines um ein Vielfaches erhöhten Belastungswertes. Dass keine neuen gesicherten Erkenntnisse über einen unterhalb des in Deutschland als sozialmedizinischer Konsens festgelegten Grenzwertes vorliegen und eine Asbestose sowohl bei weniger als fünf als auch erst bei Dosen von 200 Faserjahren vorliegen kann, hat Prof. Dr. T. in ihrem Gutachten und ihrer ergänzenden Stellungnahme nochmals bestätigt. Gegenteiliges hat auch Prof. Dr. W. nicht behauptet (s.o.).
Nichts anderes ergibt sich unter dem Aspekt einer Synkanzerogenese von Asbestfaserstaub und Aktivrauchen, wobei für den Risikovergleich nicht auf die Gruppe der Nichtraucher ohne im Verhältnis zu Asbest exponierten Rauchern, sondern auf die Vergleichsgruppe der Raucher und der beruflich asbestbelasteten Raucher abzustellen ist (siehe Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschn. 18.5, S. 1096). Sowohl in der Relation der Vergleichsgruppen Nichtraucher und Asbest exponierte Nichtraucher als auch Raucher gegenüber Rauchern mit Asbestbelastung besteht jeweils ein RR von 1: 5, wie Prof. Dr. W. in seiner Stellungnahme vom 28. Februar 2006 bestätigt hat (1: 5 bzw. 11: 53 bei Standardisierung des RR eines Nierauchers auf 1). Hintergrund dieser Erkenntnis sind u.a. Studien aus dem Jahr 1984, anhand derer sich eine verstärkende Wirkung der Inhaltsstoffe des Tabakrauches, zu denen neben tabakspezifischen Nitrosaminen u.a. polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) mit deren Leitsubstanz Benzo(a)Pyren (BaP) gehören, bei begleitender asbestinduzierter Entzündungsreaktion belegen lässt. Dies hat nach der Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Sektion Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales zum Zusammenwirken von beruflicher Asbestfaserstaub- und PAK-Exposition vom 1. Februar 2007 (GMBl. 2007, 474 [485]) zwar zur Einführung der BK 4114 zum 1. Juli 2009 geführt. Beim Versicherten bestand aber keine parallel oder nacheinander erfolgte Mischexposition gegenüber diesen beiden, bezüglich des selben Organs kanzerogen wirkenden beruflichen Noxen, so dass von vornherein "nur" eine Synkanzerogenese von Asbestexposition und eigenwirtschaftlichem Aktivrauchen zur Diskussion steht. Im Hinblick hierauf hat der Sachverständigenbeirat diesen seit Jahrzehnten bekannten Zusammenhang aber gerade nicht genutzt, um für Asbest und Rauchen (etwa in Abhängigkeit von einer bestimmten Anzahl pack years) irgendeine Empfehlung auszusprechen, was angesichts einer rechtlich nicht haltbaren "Sonder-Wie-BK” für Raucher auch schwerlich zu erwarten war. Im Gegenteil hat er den außerberuflichen Risikofaktor Aktivrauchen ausdrücklich nur unter der Voraussetzung als unbeachtlich angesehen, dass aus der Summe der Bruchteile von 25 Faser- und 100 BaP-Jahren bei Unterschreitung der Dosisgrenzwerte von 25 Faserjahren bzw. 100 BaP-Jahren (siehe hierzu Empfehlung vom 5. Februar 1998, BArbBl. 4/1998, 54) mindestens der Wert 1 resultiert (GMBl. 2007, 486). Die Synkanzerogenese von Asbest und Aktivrauchen ist mit anderen Worten weder ein Problem einer gruppentypischen Risikoerhöhung noch neu, sondern gehört zur Prüfebene der individuellen Kausalitätsbewertung im Rahmen der Abgrenzung des ursächlichen Einflusses von versicherten und nicht versicherten Konkurrenzfaktoren (dazu sogleich).
Kann damit schon keine (gruppentypische) Risikoerhöhung bejaht werden, sind die Anerkennungsvoraussetzungen der Krebserkrankung des Versicherten als Wie-BK nach § 551 Abs. 2 und 1 RVO nicht erfüllt. Auf die Frage, ob dieser Versicherungsfall darüber hinaus auch deshalb ausscheidet, weil ein Kausalzusammenhang zwischen den beruflichen Asbesteinwirkungen und der Krebserkrankung des Versicherten nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen ist, kommt es folglich nicht mehr an. Es kann mit anderen Worten dahinstehen, ob eine Verursachung der Krebserkrankung unter Berücksichtigung der vom Versicherten konsumierten Tabakdosis – als belegter einwirkungsunabhängiger Alternativerklärung des Krankheitsbildes – entsprechend den Ausführungen Dr. D.s vom 29. Februar und 15. April 2004 schon im naturwissenschaftlichen Sinn nicht wahrscheinlich ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 31) oder sich ernste Zweifel an einer solchen Ursachenbeziehung etwa wegen des Widerspruchs zwischen der rein rechnerisch ermittelten Asbestbelastung und dem objektiven medizinischen Befund bzw. des Krankheitsverlaufs und der insoweit zur Latenzzeit getroffenen Aussagen der Dres. D. und H. ergeben.
Da der Lungenkrebs des Versicherten mithin weder als BK 4104 noch wie eine BK festgestellt werden kann und sich damit die Frage etwaiger Leistungsansprüche – insbesondere hinsichtlich einer Verletztenrente (siehe hierzu die §§ 214 Abs. 3, 56 Abs. 1 und 2 sowie 72 und 73 SGB VII) – nicht mehr stellt, konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Zu einer nochmaligen Konsultation Prof. Dr. W.´ sah sich der Senat nicht mehr gedrängt, nachdem dessen Ansicht aus seinen insgesamt fünfmaligen gutachtlichen Stellungnahmen sowie seinen Darlegungen im Termin am 18. Juni 2009 deutlich geworden ist und es auf sein von Prof. Dr. T. abweichendes Verständnis des Begriffs "Fahrerfluchtphänomen" nicht entscheidungserheblich ankam.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
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