L 6 U 103/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Stendal (SAN)
Aktenzeichen
S 6 U 83/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 103/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob ein Ereignis vom 21. August 2005 (Sonntag) als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.

Am 10. Oktober 2005 meldete R.-M. W. (nachfolgend als Arbeitgeber bezeichnet), bei dem der 1981 geborene Kläger damals in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis stand, auf dessen Drängen der Beklagten ein Ereignis vom 21. August 2005: Auf seinen Wunsch hin habe der Kläger dem Hufschmied beim Ausschneiden von Ponyhufen geholfen, da er selbst verhindert gewesen sei. Nachdem die Arbeit bei sechs Ponys beendet gewesen sei, habe der Schmied den Kläger zu ihm gebracht, weil dieser Lähmungserscheinungen an der linken Körperseite aufgewiesen habe. Sowohl der Schmied als auch der Kläger hätten ihm auf mehrmalige Nachfrage immer wieder versichert, dass es zu keinerlei Vorfällen gekommen sei, die als Unfall bezeichnet werden könnten. Er habe den Kläger dann zum diensthabenden Bereitschaftsarzt gefahren. In dem beigefügten Aufforderungsschreiben des Klägers an den Arbeitgeber vom 23. September 2005 wird ohne Angabe eines konkreten Unfallgeschehens nur "die Erkrankung" benannt, von der noch nicht klar sei, "ob es sich um eine Unfallfolge handelt, beispielsweise ausgelöst durch die Arbeit mit den Ponys".

Die Beklagte zog den Bericht der Notfallambulanz des J.-Krankenhauses S. vom 21. August 2005 bei, in die der vom Kläger gerufene Notarzt ihn gebracht hatte, nachdem er zuvor vom Bereitschaftsarzt wieder nach Hause gefahren worden war. Hierin hatte der Assistenzarzt T. ein Eintreffen des Klägers um 17.10 Uhr, als Beschwerdeschilderung seit 11.00 Uhr bestehende Schmerzen im Bereich der linken Schulter mit dann zunehmender Parese (Lähmung) der linken Körperhälfte sowie als Diagnose ein akutes Querschnittssyndrom vermerkt und – nach einer unauffälligen Computertomographie des Schädels – eine Aufnahme in die Neurologische Universitätsklinik M. veranlasst.

Am 23. Januar 2006 teilte die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft der Beklagten telefonisch mit, sie sei von der Familie des Klägers über einen Unfall informiert worden und übersandte ein bei ihr am 8. Februar 2006 eingegangenes Schreiben, welches von Frau U., einer Freundin des Klägers, verfasst wurde. Hierin ist angegeben, dass der Kläger am 21. August 2005 auf der Koppel seines Arbeitgebers während seiner Arbeit mit den Pferden verunfallt sei. Sein Zustand habe sich in kurzer Zeit so sehr verschlechtert, dass er nicht mehr in der Lage gewesen sei, seine Angelegenheiten selbst zu erledigen. Auf telefonische Nachfrage der Beklagten konnte Frau U. am 9. Februar 2006 keine Angaben zu einem Unfallereignis machen. Am Folgetag teilte sie telefonisch mit, dass ein Pony ausgeschlagen habe, der Kläger sowie eine andere Hilfsperson, der Zeuge J. D., rückwärts auf das Gesäß gefallen seien und der Kläger Schulterschmerzen verspürt habe.

Nach Vorhalt der Beklagten berichtete ihr der Arbeitgeber am 13. Februar 2006 telefonisch, dass ihm eine solche Schilderung völlig neu sei. Ihm habe auf Nachfrage keiner von einem Ausschlagen eines Ponys berichtet. Dass der Zeuge D., der Cousin und beste Kumpel des Klägers, ebenfalls beim Hufeausschneiden geholfen habe, könne er ebenfalls nicht nachvollziehen, da dieser damals nach seinem Wissen mit Dacharbeiten beschäftigt gewesen sei. Hierzu müsse er nochmals den Schmied, den Zeugen C. L., befragen. Zudem sei der Kläger schon am Morgen mit Schmerzen in der Schulter zur Arbeit erschienen, habe auf Befragen aber angegeben, arbeiten zu können. Im Übrigen sei ihm zugetragen worden, dass sich der Kläger am Vorabend des angeschuldigten Unfalltages bei einer Fete zu heftig in ein Sofa fallen lassen und dann die Schulterbeschwerden bekommen habe. Die Schwester des Klägers habe sich mit seinem Versicherungsvertreter noch darüber unterhalten, wie man gegen den Hersteller des Sofas vorgehen könne. Schließlich habe es wegen des wohl fehlenden Krankenversicherungsschutzes des Klägers noch große Schwierigkeiten mit der Krankenkasse gegeben. Am 14. Februar 2006 teilte der Arbeitgeber weiter mit, der Zeuge L. habe angegeben, der Zeuge D. habe auf dem Dach gearbeitet und nicht bei den Ponys geholfen.

Am 16. Februar 2006 übersandte die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft der Beklagten ihre Unterlagen, zu denen u.a. die telefonische Unfallmeldung der Mutter des Klägers vom 18. Januar 2006 gehörte. Danach habe der Kläger am 21. August 2005 gegen 11.30 Uhr zum Beschlagen ein Pony festgehalten. Das Tier habe ausgetreten, wodurch der Kläger nach hinten gefallen sei. In der Folge habe er sich linksseitig nicht mehr bewegen können. In einer Unfallschilderung an die Krankenkasse vom 14. Februar 2006 wird im Namen des Klägers als Geschehensablauf angegeben, dass ein Pony rücklings auf der Seite gelegen habe, wobei der Schmied den Hals und die Vorderbeine des Tieres fixiert habe. Der Kläger habe mit seinem ganzen Gewicht zwischen den Beinen des Ponys gelegen, es dadurch zu Boden gedrückt und mit dem rechten Ellenbogen zusätzlich den Hals fixiert. Der Zeuge D. habe die Hinterbeine festgehalten. Da sich das Pony gewehrt und gedreht habe, habe sich der Kläger zwecks Ausweichens auf den Rücken und dann über den Hals abgerollt. Kurz danach habe er mit der linken Hand nicht mehr greifen können und dort kein Gefühl mehr verspürt.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. N. gab unter dem 28. Februar 2006 an, der Kläger sei am 21. August 2005 gegen 11.00 Uhr während seines Bereitschaftsdienstes zu ihm gebracht worden. Auf Nachfrage sei ihm kein Unfall geschildert worden. Er habe Parästhesien (Empfindungsstörungen) im Bereich der linken Hand des Klägers sowie eine Peronäusläsion (Schädigung des Wadenbeinnervs) links diagnostiziert und eine sofortige Vorstellung im Krankenhaus S. empfohlen.

Die Beklagte zog von der Neurologischen Universitätsklinik M. die Behandlungsunterlagen über den Kläger einschließlich des Einsatzprotokolls des Notarztes K. vom 21. August 2005 bei. Hierin hatte dieser vermerkt, dass der Kläger über seit dem Morgen bestehende Schmerzen im Bereich der linken Schulter und dann zunehmende Parästhesien bzw. Paresen der linken Körperhälfte ohne ein Trauma berichtet habe. Der aufnehmende Arzt der Neurologischen Universitätsklinik M. Dr. T. hatte am 21. August 2005 wiedergegeben, dass der Kläger zwischen 8.00 und 10.00 Uhr Schmerzen im Bereich der linken Schulter und dann im linken Arm sowie im linken Bein verspürt habe. Ab 11.00 Uhr hätten Missempfindungen und Lähmungen im linken Bein begonnen, die sich dann zu einer kompletten Paraplegie (Lähmung der unteren Extremitäten) gesteigert hätten. Im Entlassungsbericht vom 8. September 2005 wurde anamnestisch mitgeteilt, der Kläger habe am Morgen des 21. August 2005 aus vollem Wohlbefinden heraus Schmerzen im Bereich der linken Schulter und nachfolgend progrediente Missempfindungen der linken Körperhälfte verspürt und dann ab 11.00 Uhr den Übergang zu einer kompletten Paraplegie entwickelt. Am Vorabend habe er ein eigentlich inadäquates Trauma erlitten, bei dem er sich auf eine Couch habe setzen wollen, diese jedoch verfehlt habe und gestürzt sei. Die Magnetresonanztomogramme (MRT) der Halswirbelsäule (HWS) vom 21., 22. und 29. August 2005 hätten einen linksbetonten Prolaps bei C5/6 (zwischen dem 5. und 6. Halswirbelkörper) sowie eine Schädigung des Myelons (Rückenmarks) von C5 bis C7 ohne Hinweise auf eine Einblutung gezeigt, die am ehesten durch eine Ischämie (gestörte Gewebedurchblutung) im Versorgungsgebiet der Arteria spinalis anterior (vordere Rückenmarksarterie) bedingt seien. Im Ergebnis schätzten der Direktor der Klinik Prof. Dr. W. sowie der Oberarzt Dr. B. und der Assistenzarzt Dr. O. ein, dass eine Gefäßverletzung in Höhe C5/6 bei dem dort bestehenden Bandscheibensporn und dem vorabendlichen Trauma, welches wohl mit einer deutlichen Reklinationsbewegung (Rückneigung) der HWS einhergegangen sei, in Verbindung mit einem Druck des Sporns auf das Gefäß als wahrscheinlichste Erklärung der Querschnittssymptomatik anzusehen sei.

Ergänzend führte der Arbeitgeber des Klägers am 5. März 2006 schriftlich aus, dass die bereits vor Arbeitsbeginn am 21. August 2005 bestehenden Schulterbeschwerden des Klägers auch wenige Tage danach nochmals Gesprächsgegenstand gewesen seien. D. B., die Schwester des Klägers, habe berichtet, dass dieser am Vorabend des 21. August 2005 auf einer vom Zeugen D. veranstalteten Feier beim Hinsetzen auf ein Sofa unglücklich an die Rückenlehne gestoßen sei. Am 30. August 2005 sei in einer anderen Angelegenheit sein Versicherungsvertreter bei ihm gewesen. Mit der Unfallschilderung – Stoß an die Sofalehne – konfrontiert, habe der Versicherungsfachmann der extra deswegen eingeladenen Schwester des Klägers geraten, die Möglichkeit einer eventuellen Produkthaftung durch den Hersteller des Sofas zu prüfen. Abgesehen davon habe der Kläger schon mindestens ein halbes Jahr vor dem nunmehr angeschuldigten Ereignis über ein Taubheitsgefühl der Hand berichtet. Im Beisein seiner eigenen Lebensgefährtin habe er durch Hineinstechen einer Pin-Nadel in einen Finger des Klägers dessen Schmerzempfinden getestet, das nicht vorhanden gewesen sei. Seinem dringenden Rat, sofort einen Arzt aufzusuchen, sei der Kläger aber nicht gefolgt; offenbar weil er nicht mehr krankenversichert gewesen sei. Im Übrigen habe der Zeuge D. ihm gegenüber telefonisch nunmehr ein Unfallereignis geschildert, bei dem er vorn und der Kläger hinten an einem Fohlen gestanden hätten. Das Pferd sei gestiegen und habe ausgeschlagen. Der Kläger sei gestürzt; ihm selbst (dem Zeugen D.) habe die Schulter deshalb noch zwei Tage später weh getan.

Mit Bescheid vom 16. März 2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und die Gewährung von Leistungen ab, da nicht nachgewiesen sei, dass es am 21. August 2005 zu einer äußeren Gewalteinwirkung gekommen sei. Diese Beweislosigkeit habe der Kläger zu tragen. Seine Erkrankung sei zwar bei einer versicherten Tätigkeit aufgetreten. Ursächlich hierfür sei aber weder diese noch eine äußere Gewalteinwirkung am 21. August 2005 gewesen.

Hiergegen erhob der Kläger am 12. April 2006 Widerspruch und rügte zur Begründung mit Schreiben vom 8. Juni 2006 im Wesentlichen, dass die Zeugen D. und L. bislang nicht gehört worden seien.

Der Zeuge D. gab in seiner schriftlichen Aussage vom 6. August 2006 an, er habe bei einem männlichen Fohlen geholfen. Dies sei sehr unruhig gewesen und von ihm und dem Kläger am Boden gehalten worden. Das Tier habe sich dann doch gedreht, so dass der Kläger auf den Rücken gefallen sei. Er selbst sei auf die rechte Schulter gefallen.

In seiner schriftlichen Aussage vom 8. August 2006 teilte der Zeuge L. mit, der Kläger habe schon vor den Arbeiten am 21. August 2005, welche gegen 10.00 Uhr begonnen hätten, über Schulterschmerzen geklagt, sich der Arbeit aber gewachsen gefühlt. Während der Hufpflegearbeiten beim zweiten Pferd seien beim Kläger wieder Schmerzen aufgetreten. Sodann hätten sie dem Zeugen D. helfen und ihm eine Platte auf das Dach reichen wollen. Hierbei, etwa eine Stunde nach Arbeitsbeginn, habe der Kläger schon nicht mehr zufassen können und nicht mehr bei den Hufpflegearbeiten geholfen. Stattdessen habe der Zeuge D. noch bei einem Pferd die Hufe gehalten. Ein Schlag, Stoß bzw. sonstiges äußeres Ereignis habe nicht stattgefunden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da ein Unfallereignis nicht nachgewiesen sei. Der Kläger und der Zeuge D. hätten zwar einen erheblichen Vorfall geschildert, aber in verschiedenen Versionen. Demgegenüber habe der Zeuge L. von keinem Unfall berichtet. Auch gegenüber den Ärzten habe der Kläger keinen solchen angegeben.

Am 14. Dezember 2006 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Stendal Klage erhoben und zur Begründung die Unfallschilderung gegenüber der Krankenkasse vom 14. Februar 2006 wiederholt.

Zum Unfallgeschehen hat das SG im Verhandlungstermin am 24. September 2008 nochmals den Kläger befragt sowie die Zeugen L. und D. vernommen. Laut den Angaben des Klägers sei das letzte Pony unruhig gewesen, so dass es auf den Boden habe geworfen werden müssen. Dabei habe der Zeuge D. die Hinterbeine gehalten. Er selbst habe mit seinem Körper auf dem Pferd gelegen, ein Vorderbein gehalten und den Hals des Tieres nach unten gedrückt. Das Pony habe sich dann auf den Rücken gedreht. Er habe sich über seinen Rücken nach hinten abgerollt und dabei die Wirbelsäule überdehnt. Zum vorabendlichen Vorfall könne er sagen, dass er sich etwas heftig in eine Couch gesetzt und dabei das Schulterblatt gestoßen habe, wobei nur ein leichtes Ziehen spürbar gewesen sei. Dies habe er am nächsten Tag auch seinem Arbeitgeber gesagt. Den Ärzten habe er vom Unfallgeschehen nichts berichtet, weil ihm nicht bewusst gewesen sei, dass dieses einen solchen Schaden habe hervorrufen können. Der Zeuge L. hat erklärt, dass das letzte Pferd etwas unruhig gewesen sei. Der Kläger habe das Bein des Tieres hochgehalten. Es sei dann wohl gestiegen, umgefallen und wieder aufgestanden. Beim Hochsteigen sei er (der Kläger) dann wohl mit dem Bein weggerutscht und hingefallen, aber gleich wieder aufgestanden. Es könne auch sein, dass sich der Kläger auf das liegende Pony geworfen habe, um es zu fixieren und sie dann versucht hätten, das Pony zu beschneiden. Ob der Kläger vor Beginn der Arbeiten bereits über Beschwerden geklagt habe, könne er heute nicht mehr sagen. Von einem Vorfall mit einem Sofa am Vorabend wisse er nichts. Mit dieser Aussage konfrontiert hat der Kläger ergänzend angegeben, dass bei diesem Vorfall nichts passiert sei. Dies sei nicht das letzte Pferd gewesen. Der Zeuge D. hat bekundet, dass er vorn beim Pony gestanden habe; der Kläger habe hinten beim liegenden Tier gehockt und dessen Schweif sowie Hufe festgehalten. Da das Pony unruhig gewesen sei, habe es ausgeschlagen und dabei den Kläger in Höhe des Schulterblattes erwischt, der dann nach hinten gerollt sei.

Mit Urteil vom 24. September 2008 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Ein Arbeitsunfall liege deshalb nicht vor, weil kein Unfallereignis vollbeweislich zu sichern sei. Keine der Zeugenaussagen stimme mit der Unfallschilderung des Klägers überein. Gegen ein Unfallereignis sprächen auch alle medizinischen Unterlagen. Bei keinem Arzt habe der Kläger angegeben, dass ein Unfall vom 21. August 2005 seine Beschwerden verursacht habe. Vielmehr habe er gegenüber diesen sogar ein Ereignis mit einer Couch am Vorabend als entscheidend angesehen. Sein Erklärungsversuch, er sei zunächst nicht davon ausgegangen, dass das Abrollen den Schaden verursacht haben könne, sei nicht nachvollziehbar. Denn würde seiner Angabe, bei dem vorabendlichen Ereignis habe es sich nur um eine Bagatelle gehandelt, gefolgt, sei nicht erklärbar, dass er in der Universitätsklinik gerade auf dieses Bagatellereignis, nicht jedoch auf den Vorfall mit dem Pferd hingewiesen habe. Dass er nicht jedem Arzt von dem angeschuldigten Geschehen berichtet habe, sei umso unverständlicher, wenn die Lähmungserscheinungen erst unmittelbar danach aufgetreten seien.

Gegen das ihm am 15. Oktober 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. November 2008 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass eine weitere Beweiserhebung erforderlich sei. So sei etwa ein Facharzt darüber persönlich zu befragen, inwieweit das Unfallereignis vom 21. August 2005, nämlich sein Sturz aufgrund eines gestiegenen Pferdes, geeignet gewesen sei, die komplette Querschnittssymptomatik hervorzurufen. Ein solches Unfallgeschehen habe der Zeuge L., der nochmals zu vernehmen sei, bestätigt. Unbeachtlich sei hierbei, ob er stehend das Bein des Pferdes hochgehalten oder gesessen oder das Pferd auf den Boden gedrückt habe, um es ruhig zu halten. Da er nach dem Unfall unter Schock gestanden habe, sei es auch nicht verwunderlich, dass er den behandelnden Ärzten das Unfallereignis nicht angegeben habe. Im Übrigen bestätige auch der Direktor des Zentrums für Rückenmarkverletzte der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B. H. Dr. R. den Unfallzusammenhang. Aus dem insoweit beigefügten Arztbrief vom 15. Januar 2010 geht anamnestisch hervor, dass der Kläger ursprünglich infolge eines Arbeitsunfalls, bei dem er von einem Pony überrollt worden sei, gelähmt sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 24. September 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2006 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 21. August 2005 ein Arbeitsunfall war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer Ansicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2008 beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil die Beklagte darin zutreffend die Anerkennung eines Arbeitsunfalls verneint hat.

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher bzw. innerer Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und dieses Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (siehe nur Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 11/04 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 14; Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 17 oder Urteil vom 4. September 2007 – B 2 U 24/06 RSozR 4-2700 § 8 Nr. 24, m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Senat geht zugunsten des Klägers zwar von seinem grundsätzlichen Versicherungsschutz im Rahmen seiner Tätigkeit als geringfügig Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII aus. Es liegt jedoch schon keine vernünftige Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit im Sinne des so genannten Vollbeweises für ein Unfallgeschehen am 21. August 2005 vor. Ebenso wie die versicherte Tätigkeit und der Gesundheitserstschaden muss das Unfallereignis vollbeweislich belegt sein. Dieser Beweisgrad ist erfüllt, wenn kein vernünftiger die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt, wenn also das Gefühl des Zweifels beseitigt ist (siehe BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 5/05 RSozR 4-5671 § 6 Nr. 2).

Allein auf die Angaben des Klägers kann sich der Senat nicht stützen, weil diese nicht in Übereinstimmung zu bringen sind und damit kein im Wesentlichen einheitliches Bild ergeben. Nach dem vom Kläger sowohl gegenüber der Krankenkasse als auch im erstinstanzlichen Verfahren behaupteten Unfallgeschehen sei das letzte Pony unruhig gewesen, so dass es auf den Boden habe geworfen werden müssen. Dabei habe der Zeuge D. die Hinterbeine gehalten. Er selbst habe mit seinem Körper auf dem Pferd gelegen, ein Vorderbein fixiert und den Hals des Tieres nach unten gedrückt. Das Pony habe sich dann auf den Rücken gedreht. Um auszuweichen, habe er sich über seinen Rücken nach hinten abgerollt und dabei die Wirbelsäule überdehnt. Von einer solchen Hergangsvariante ist der Kläger im Berufungsverfahren jedoch wieder abgerückt, indem er nunmehr einen Sturz aufgrund eines gestiegenen Pferdes behauptet. Erhebliche Zweifel an seinen Angaben werden nicht allein aufgrund dieser völlig unterschiedlichen Geschehensschilderungen geweckt, bei denen einerseits ein auf dem Boden liegendes und vom Kläger sowie dem Zeugen D. fixiertes Pony und andererseits ein steigendes Tier die maßgebliche Rolle spielt. Vielmehr überzeugt der Vortrag des Klägers auch deshalb nicht, weil er noch im Verhandlungstermin vor dem SG ausdrücklich hervorgehoben hat, dass anlässlich des vom Zeugen L. angesprochenen Vorgangs, bei dem dieser sogar die Möglichkeit einer Fixierung des am Boden liegenden Pferdes durch den Kläger eingeräumt hatte, nichts passiert sei. Das hierbei gemeinte Pferd sei nämlich nicht das letzte gewesen. Damit beruft sich der Kläger nunmehr auf einen Unfallhergang, wie ihn keiner der Zeugen widerspruchsfrei bestätigt hat.

So hatte der Zeuge D. anlässlich seiner telefonischen Unfallschilderung gegenüber dem Arbeitgeber, wie sie von diesem im Schreiben vom 5. März 2006 wiedergegeben wird, zwar ein steigendes und ausschlagendes Pferd angegeben. Eine solche Hergangsvariante deckt sich jedoch schon nicht mit derjenigen, wie sie der Zeuge D. unter dem 6. August 2006 schriftlich erklärt hat. Hierin wird zum Unfallgeschehen nämlich mitgeteilt, dass sich ein von ihm und dem Kläger am Boden gehaltenes Fohlen gedreht habe und der Kläger auf den Rücken gefallen sei. Anstatt der zuvor gegebenen Schilderung beinhaltet ein derartiger Ablauf mit einer Drehbewegung und Betroffenheit des Rückens des Klägers einen völlig abweichenden Unfallhergang. Im Rahmen seiner Aussage vor dem SG am 24. September 2008 hat der Zeuge D. schließlich bekundet, vor einem Pony gestanden zu haben, wohingegen der Kläger hinten beim liegenden Tier gehockt und dessen Schweif sowie Hufe festgehalten habe. Als Verletzungsgeschehen hat der Zeuge sodann entgegen des vom Kläger nunmehr behaupteten Steigens das Ausschlagen des liegenden Tieres genannt. Die Angaben des Zeugen D. lassen sich damit an maßgeblichen Stellen weder mit seinen früheren Einlassungen in Einklang bringen noch stimmen sie mit der jetzt vom Kläger gegebenen Darstellung überein.

Auch aus den Aussagen des Zeugen L., die sich in wesentlichen Punkten widersprechen und dadurch erheblich an Überzeugungskraft verlieren, lässt sich keine vernünftige Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit für ein Unfallgeschehen am 21. August 2005 gewinnen. Vielmehr liegt hierfür nur die Möglichkeit vor, wie sie in gleichem Maße aber auch dafür besteht, dass Auslöser der an diesem Tag beim Kläger aufgetretenen Lähmungserscheinungen z.B. das Geschehen vom Vorabend war. Im Verhandlungstermin vor dem SG am 24. September 2008 hat der Zeuge L. zwar bekundet, dass ein Pferd wohl gestiegen, umgefallen und wieder aufgestanden sei, wobei wohl auch der Kläger hingefallen sei und sich gleich wieder erhoben habe. Abgesehen davon, dass in dieser Aussage die in Bezug auf den tatsächlichen Ablauf fehlende Sicherheit des Zeugen deutlich zum Ausdruck kommt, lässt sich diese Schilderung auch nicht mit seinen schriftlichen Angaben vom 8. August 2006 vereinbaren. Hier hatte er nämlich ausdrücklich erklärt, dass während der Hufpflegearbeiten am zweiten Pferd beim Kläger wieder Schmerzen aufgetreten seien, welche bereits bei Beginn der Arbeiten gegen 10.00 Uhr vorgelegen hätten. Anstelle des Klägers habe dann der Zeuge D. bei einem weiteren Pferd die Hufe gehalten. Ein Schlag, Stoß oder sonstiges äußeres Ereignis habe nicht stattgefunden.

Angesichts einer derartigen Vielfalt an Hergangsvarianten, bei denen keine einzige der wiederum in sich selbst widersprüchlichen Zeugenschilderungen mit den wiederum voneinander abweichenden Angaben des Klägers in Übereinstimmung gebracht werden kann, verbleiben beim Senat nicht nur vernünftige Zweifel daran, dass das Unfallgeschehen so abgelaufen ist, wie nunmehr vom Kläger behauptet. Aufgrund der möglichen Unfallabläufe mit jeweils unterschiedlich betroffener Verletzungslokalisation (Schulter, Schulterblatt, HWS, Rücken usw.) hat er vielmehr gravierende Zweifel daran, dass es am 21. August 2005 überhaupt zu einem Unfallereignis gekommen ist. Dies gilt umso mehr, wenn die durchgehend widerspruchsfreien Angaben des Arbeitgebers berücksichtigt werden, wonach ihm gegenüber weder der Kläger noch der Zeuge L. trotz mehrfacher Nachfrage den angeschuldigten Unfall auch nur erwähnt haben. Entsprechendes trifft überdies auf die Mitteilungen des Klägers gegenüber den behandelnden Ärzten zu. Mag er bei seiner Erstversorgung durch Dr. N., im Rahmen der Untersuchung durch den Notarzt K. und sogar noch bei der Konsultation des Assistenzarztes T. in der Notfallambulanz sowie der Aufnahme in der Neurologischen Universitätsklinik durch Dr. T. unter Schock gestanden und deshalb ein Unfallgeschehen auf der Koppel seines Arbeitgebers nicht erwähnt haben, ist eine derartige Erklärung auch bis zum Zeitpunkt des Endes der stationären Behandlung am 31. August 2005 zum einen nicht mehr nachvollziehbar. Zum anderen hat der Kläger gegenüber dem Notarzt Koenen aber auch angegeben, bereits seit dem Morgen Schmerzen im Bereich der linken Schulter mit dann zunehmenden Beschwerden verspürt zu haben. Dies entspricht seiner Schilderung gegenüber Dr. T. sowie der im Entlassungsbericht vom 8. September 2005 wiedergegebenen Anamnese, wonach die Beschwerden am Morgen des 21. August 2005 aus vollem Wohlbefinden heraus zwischen 8.00 und 10.00 Uhr begonnen und ab 11.00 Uhr im Sinne von Lähmungserscheinungen zugenommen hätten. Danach haben die Beschwerden des Klägers, die er nunmehr in Beziehung zum angeschuldigten Geschehen setzt, in nicht unerheblicher Ausprägung bereits geraume Zeit vor dem Zeitpunkt des angeblichen Unfalls zwischen 10.00 und 10.30 Uhr vorgelegen, was sich nicht nur mit den Aussagen des Arbeitgebers vom 13. Februar 2006 deckt, sondern auch im Einklang mit der schriftlichen Aussage des Zeugen L. vom 8. August 2006 steht.

Selbst wenn jedoch trotz der angeführten Zweifel davon ausgegangen würde, dass sich am 21. August 2005 ein Unfallereignis tatsächlich so abgespielt hat, wie dies der Kläger jetzt behauptet, also das Steigen eines Pferdes mit nachfolgendem Hinfallen des Klägers, liegt kein Arbeitsunfall vor. Denn jedenfalls ist die insoweit zusätzlich zu erfüllende Anerkennungsvoraussetzung eines voll gesicherten Gesundheitserstschadens nicht gegeben. Irgendwelche Verletzungszeichen haben nämlich weder Dr. N. bei seiner Erstuntersuchung des Klägers am 21. August 2005 gegen 11.00 Uhr, der später herbeigerufene Notarzt K., der Assistenzarzt T. beim Eintreffen des Klägers in der Notfallambulanz des Johanniter-Krankenhauses S. am 21. August 2005 gegen 17.10 Uhr noch Dr. T. bei der Aufnahme des Klägers in die Neurologische Universitätsklinik M. festgestellt, was sowohl im Hinblick auf den Bereich der Schultern als auch denjenigen der Wirbelsäule des Klägers gilt. Auch aus den während des stationären Aufenthalts des Klägers erhobenen Befunden, insbesondere der MRT-Diagnostik, ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen durch das jetzt geltend gemachte Unfallgeschehen erlittenen Erstschaden im Sinne eines erklärenden Verbindungsgliedes. Denn im Rahmen der Auswertung der MRT vom 21., 22. und 29. August 2005 hat sich nach den Darlegungen von Prof. Dr. W. zwar eine Schädigung des Myelons gezeigt. Hinweise auf eine Einblutung, die als Indizien für eine traumatische Verursachung gedeutet werden könnten, sind aber ausdrücklich ausgeschlossen worden.

Fehlen damit insgesamt die Feststellungsvoraussetzungen eines Arbeitsunfalls, kann offen bleiben, ob die beim Kläger aufgetretene Querschnittssymptomatik mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen durch das angeschuldigte Geschehen oder entsprechend den Einschätzungen von Prof. Dr. W. und den Dres. B. sowie O. durch einen Druck des bei C5/6 bestehenden Prolaps auf die dort liegende Arterie mit oder ohne zusätzlichen äußeren Einfluss – etwa in Verbindung mit dem vom Kläger ausdrücklich eingeräumten vorabendlichen (Bagatell-)Trauma – verursacht worden ist. Auf die vom Kläger begehrte weitere Beweiserhebung kommt es daher nicht mehr an.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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