L 5 AS 361/12 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 46 AS 1091/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 361/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Juni 2012, mit dem dieses den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt hat, wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Juni 2012, mit dem dieses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat, wird zurückgewiesen.

3. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. 4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen eine Eingliederungsvereinbarung, die der Antragsgegner als Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 Zweites Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) erlassen hat.

Der am 1963 geborene Antragsteller bezieht von dem Antragsgegner laufend Leistungen nach dem SGB II. Nach einem Gutachten nach Aktenlage der Medizinaldirektorin Dipl.-Med. S. vom 17. Dezember 2010 könne der Antragsteller noch vollschichtig überwiegend mittelschwere Tätigkeiten in allen Körperhaltungen unter Ausschluss von Steigen und Klettern, Knien und Hocken, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie in Nässe, Kälte und Zugluft verrichten. Überkopfarbeiten und Armvorhalte, Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten sowie Hitze und Nachtarbeit seien ebenfalls auszuschließen. Einfache, überschaubare Tätigkeitsfelder ohne Erfolgszwang und Zeitdruck seien jedoch zumutbar. Sämtliche helferischen Tätigkeiten, die in Übereinstimmung mit dem Leistungsbild stünden, sollten zumutbar sein.

Da mit dem Antragsteller eine Eingliederungsvereinbarung nicht einvernehmlich getroffen werden konnte, ersetzte der Antragsgegner diese unter dem 23. März 2012 durch einen Verwaltungsakt. Darin ist unter anderem festgelegt, dass der Antragsteller (erneut) an einer sechsmonatigen Trainingsmaßnahme "Holz" teilnehmen solle. Hiergegen legte der Antragsteller am 28. März 2012 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2012 zurückgewiesen worden ist. Dagegen hat der Antragsteller am 16. Mai 2012 Klage erhoben.

Am 4. April 2012 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Magdeburg (SG) um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Die von Dipl.-Med. S. festgestellte Minderbelastbarkeit des Skelettsystems sowie der Kniegelenke und des Schultergelenks würden dazu führen, dass ein Arbeiten im Bereich Holz nicht möglich sei. Gerade die Holzbearbeitung führe zu einer Überbelastung seines Skelettsystems. Er sei auch psychisch nicht in der Lage, die Trainingsmaßnahme durchzuführen. Zur Glaubhaftmachung hat er ein Schreiben der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. vom 21. Januar 2010 und 5. Juni 2012 vorgelegt, wonach unverändert ein Hydrozephalus internus und ein Psychosyndrom vorlägen und der Antragsteller einen Rentenantrag stellen solle. Da er schon einmal eine solche Maßnahme absolviert habe und diese seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht erhöht habe, handele es sich um eine "reine Beschäftigungstherapie". Die Kostenregelung im Hinblick auf etwaige Initiativbewerbungen in dem Verwaltungsakt sei zudem unklar.

Das SG hat mit Beschluss vom 18. Juni 2012 den Eilantrag abgelehnt. Nach summarischer Prüfung bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheides. Es stehe fest, dass der Antragsteller den Anforderungen der Arbeitsgelegenheit gewachsen sei, weil er bereits zuvor an einer solchen Maßnahme teilgenommen habe. Bei einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes könne er jederzeit ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen und sich – falls notwendig – arbeitsunfähig schreiben lassen. Eine Gefahr für den Antragsteller bestehe daher nicht. Durch die Beschäftigung solle er ja gerade erst an einen geregelten Arbeitsalltag herangeführt werden, was grundsätzlich seine Arbeitsmarktchancen erhöhe. Die Kostenregelung sei nicht unklar. Mit weiterem Beschluss vom 18. Juni 2012 hat das SG den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Der Antragsteller hat gegen die ihm jeweils am 25. Juni 2012 zugestellten Beschlüsse am 25. Juni 2012 (L 5 AS 361/12 B ER) und am 27. Juni 2012 (L 5 AS 368/12 B) Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, es komme nicht darauf an, dass er bereits in der Vergangenheit an einer solchen Maßnahme teilgenommen habe. Entscheidend sei vielmehr, ob er gesundheitlich dafür geeignet sei. Der Antragsgegner habe zunächst ein "Profiling" durchzuführen. Aufgrund seiner Minderbegabung sei fraglich, in welchem Berufsfeld er überhaupt zumutbar arbeiten könne. Dies sei nicht einmal ansatzweise geprüft worden. Ferner fehle eine Regelung, ob auch Initiativbewerbungen von der Kostenerstattung erfasst seien.

Der Antragsteller beantragt,

1. den Beschluss des SG Magdeburg vom 18. Juni 2012 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16. Mai 2012 gegen den eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheid vom 23. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2012 anzuordnen,

2. den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Juni 2012, mit dem dieses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat, aufzuheben, und ihm Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen, und

3. ihm Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Juni 2012 zurückzuweisen.

Er erwidert, dass insbesondere ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden sei. Eine Sanktionierung wegen der fehlenden Teilnahme an einer Trainingsmaßnahme sei bisher nicht erfolgt. Daher sei die Sache nicht eilbedürftig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen, die Gegen-stand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz – SGG), form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben - wie hier gemäß § 39 Nr. 1, 2. Fall SGB II -, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Einen ausdrücklichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung sieht die genannte Norm nicht vor. Das Gericht entscheidet aufgrund einer Interessenabwägung. Je größer die Erfolgsaussichten, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen. Ist die in der Hauptsache zulässige Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Demgegenüber ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, wenn der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene dadurch in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt wird. Sind die Erfolgsaussichten der Klage nicht derart eindeutig zu beurteilen, sind neben den Erfolgsaussichten weitere Gesichtpunkte in die Abwägungsentscheidung einzustellen, insbesondere auch eine Folgenabwägung sowie die Berücksichtigung des Regel-Ausnahmeverhältnisses des § 86a Abs. 2 SGG (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 86b Rdnr. 12 bis 12i).

Der Senat kommt nach Abwägung aller maßgeblichen Punkte und vor dem Hintergrund der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung nach dem derzeitigen Kenntnisstand zu dem Ergebnis, dass das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse überwiegt. Denn der Bescheid des Antragsgegners vom 23. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2012 ist - nach dem genannten Prüfungsmaßstab - rechtmäßig und verletzt nicht die Rechte des Antragstellers. Der Senat verweist insoweit auf die Ausführungen des SG in dem Beschluss vom 18. Juni 2012, mit dem dieses den Eilantrag abgelehnt hat, und macht sie sich zu eigen, § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG.

Ergänzend ist anzumerken:

Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die gesundheitliche Eignung schon deshalb anzunehmen ist, weil der Antragsteller die Arbeitsgelegenheit bereits einmal absolviert hat. Er hat auch im Beschwerdeverfahren hierzu nicht vorgetragen, dass seine gesundheitliche Situation sich erst im Anschluss an die erstmalige Teilnahme wesentlich verschlechtert hätte. Die Ausführungen der Frau Dr. G. vom 21. Januar 2010 und vom 5. Juni 2012, wonach der Antragsteller einen Rentenantrag stellen solle, führen jedenfalls nicht dazu, dass im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes der Senat davon ausgehen müsste, dass der Antragsteller die geforderten Arbeiten nicht verrichten könnte. Die Ärztin der Agentur für Arbeit M. Dipl.-Med. S. hat bereits in ihrem Gutachten vom 17. Dezember 2010 festgestellt, dass dem Antragsteller einfache, überschaubare Tätigkeitsfelder ohne Erfolgszwang und Zeitdruck zumutbar seien. Soweit der Antragsteller ausführt, es komme nicht darauf an, dass er bereits einmal an einer solchen Maßnahme teilgenommen habe, da zuvor zwingend die gesundheitliche Eignung feststehen müsse, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Die Maßnahme dient gerade dazu, festzustellen, inwieweit der Antragsteller wieder an einen geregelten Arbeitsalltag herangeführt werden kann. Soweit er aus psychischen oder orthopädischen Gründen die Arbeit nunmehr nicht mehr verrichten kann, ist es ihm zuzumuten, seine behandelnden Ärzte aufzusuchen, damit diese gegebenenfalls eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen können. Die vorzunehmende Abwägung führt daher dazu, dass das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse überwiegt.

Selbst wenn der Senat davon ausginge, dass die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage im Hinblick auf den Gesundheitszustands des Antragstellers nicht eindeutig zu beurteilen sind, überwiegt nach einer dann notwendigen Folgenabwägung sowie unter Berücksichtigung des Regel-Ausnahmeverhältnisses des § 86a Abs. 2 SGG das Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Dies ergibt sich daraus, dass – wie der Antragsgegner vorgetragen hat – bisher eine Sanktionierung der Nichtteilnahme an der Trainingsmaßnahme nicht erfolgt ist. Selbst wenn der Antragsteller nicht an der Maßnahme teilnimmt, resultieren zunächst aus dem Versäumnis keine direkten Folgen. Wesentliche Nachteile treten vielmehr erst dann ein, wenn sich der Antragsgegner (in einem weiteren Schritt) dazu entscheidet, die Nichtteilnahme des Antragstellers gemäß § 31 SGB II zu sanktionieren bzw. gemäß § 66 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) Leistungen mangels Mitwirkung abzulehnen. Vor diesem Hintergrund nimmt die Rechtsprechung auch keinen Anordnungsgrund an, wenn der Antragsteller sich gegen Ladungen z.B. zum Zweck der Überprüfung der psychischen Verfassung wehrt (Landessozialgericht NRW, Beschlüsse vom 23. November 2010 – L 6 AS 1500/10 B und L 6 AS 1501/10 B – juris). Der Senat berücksichtigt schließlich auch die Wertung des § 39 Nr. 1, 2. Fall SGB II, wonach dem Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit regelt, von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zukommt. Das Gesetz geht daher grundsätzlich davon aus, dass das Vollzugsinteresse in diesen Fällen überwiegt.

Soweit der Antragsteller einwendet, die Kostenerstattung für Initiativbewerbungen sei in dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt nicht geregelt, führt dies ebenfalls nicht dazu, dass das Interesse an der Aussetzung der Vollziehung das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegen würde. Sollten die Kosten etwaiger Bewerbungen nicht erstattet werden, kann dies in einem weiteren Verfahren geklärt werden. Es ist auch nicht ersichtlich, warum der Antragsgegner die Kosten nicht übernehmen sollte. Vielmehr ist in dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt ausgeführt, dass Bewerbungskosten bis zu einem Betrag von 240,00 EUR jährlich übernommen würden.

2. Die Beschwerde gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des SG vom 18. Juni 2012 ist ebenfalls unbegründet, da die nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) notwendigen hinreichenden Erfolgsaussichten nicht gegeben sind (vgl. Ausführungen unter II. 1.).

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist nicht begründet, da auch insoweit die gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO notwendigen hinreichenden Erfolgsaussichten nicht gegeben sind (vgl. ebenfalls Ausführungen unter II. 1.).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dieser Beschluss ist endgültig, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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