L 3 R 314/11

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 5 R 567/09
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 314/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. August 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 und des Bescheides vom 24. Februar 2011 werden hinsichtlich der aufgrund der Verrechnung bis zum 31. März 2011 einbehaltenen Beträge aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klageverfahren. Im Berufungsverfahren sind keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Beklagte die Altersrente des Klägers mit einer Forderung der Beigeladenen gegen den Kläger wegen ausstehender Gesamtsozialversicherungsbeiträge nebst Umlagen, Säumniszuschlägen und Gebühren verrechnen kann.

Der am ... 1935 geborene Kläger war Inhaber einer Elektroeinzelfirma. Mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 7. Juni 2001 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beigeladene meldete eine Insolvenzforderung in Höhe von 26.358,13 EUR zum Insolvenzverfahren an, die ausweislich des Schlussverzeichnisses vom 29. August 2008 von der Insolvenzverwalterin anerkannt wurde. Am 25. Juli 2001 stellte der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer Restschuldbefreiung gemäß § 287 Insolvenzordnung (InsO).

Der Kläger bezieht von der Beklagten, der Rechtsnachfolgerin der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt, seit dem 1. Februar 2000 Regelaltersrente. Zudem erhält er seit 1. April 1994 Witwerrente vom zuständigen Träger der Rentenversicherung, von der ab 1. August 2009 vom monatlichen Zahlbetrag in Höhe von 404,60 EUR ein Betrag in Höhe von 213,00 EUR monatlich als pfändbarer Betrag an die Insolvenzverwalterin abgeführt wird (Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 16. Juni 2009).

Mit Schreiben vom 21. Juli 2008 ermächtigte die Beigeladene die Beklagte zur Verrechnung der Rente des Klägers mit einer bestandskräftig festgestellten und nicht verjährten Forderung gegen den Kläger in Höhe von 37.495,13 EUR. Dieser Betrag setze sich zusammen aus ausstehenden Gesamtsozialversicherungsbeiträgen gemäß § 28d Viertes Buch Sozialgesetzbuch (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) in Höhe von 23.030,71 EUR sowie Umlagebeträgen (U 1 und U 2) in Höhe von 1.018,63 EUR für die Zeit vom 22. August 2000 bis zum 6. Juni 2001, des Weiteren aus Säumniszuschlägen in Höhe von 13.313,57 EUR, Mahngebühren in Höhe von 57,57 EUR und Kosten sowie Gebühren in Höhe von 74,65 EUR, jeweils für die Zeit vom 22. August 2000 bis zum 21. Juli 2008.

Mit Schreiben vom 28. Juli 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie beabsichtige, die Forderung der Beigeladenen in Höhe von 37.495,13 EUR zuzüglich weiterer Säumniszuschläge und Zinsen mit dem Anspruch auf laufende Rentenzahlungen in Höhe der Hälfte des monatlichen Zahlbetrages in Höhe von 855,00 EUR, d.h. 431,54 EUR, zu verrechnen. Dem Kläger werde Gelegenheit zur Äußerung und Vorlage einer Bedarfsbescheinigung des Sozialhilfeträgers oder der Agentur für Arbeit als Nachweis für die durch die Verrechnung eintretende Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II) oder Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) gegeben. Mit Schreiben vom 13. August und 26. August 2008 teilte der Kläger mit, die beabsichtigte Verrechnung erachte er - unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 29. Mai 2008 (IX ZB 51/07) - als nicht zulässig. Ausweislich der InsO würden nur solche Aufrechnungslagen geschützt, die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bestanden hätten (§ 94 InsO). Eine nach Insolvenzeröffnung erteilte Ermächtigung sei indessen anfechtbar, eine Verrechnung mithin nicht möglich. Im Übrigen ergebe sich eine fehlende Verrechnungsmöglichkeit auch aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 5 RJ 18/03 R -), wonach eine Verrechnung bei laufenden Bezügen nur in einem Zeitraum von zwei Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig sei (§ 114 Abs. 2 InsO); dieser Zeitraum sei jedoch abgelaufen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass alle pfändbaren Beträge bereits von der Insolvenzverwalterin eingezogen worden seien.

Mit Bescheid vom 4. Dezember 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ab 1. März 2009 werde der bestandskräftig festgestellte Anspruch der Beigeladenen in Höhe von 37.495,13 EUR (Stand: 21. Juli 2008) zuzüglich weiterer Säumniszuschläge/Zinsen mit der Altersrente des Klägers in Höhe der Hälfte der monatlichen Leistung bis zur Tilgung der Forderung verrechnet. Die Forderung betreffe die Zeiträume vom 22. August 2000 bis zum 6. Juni 2001 (Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagebeiträge) und vom 22. August 2000 bis zum 21. Juli 2008 (Säumniszuschläge, Mahngebühren und weitere Kosten). Sie sei nach den Angaben der Beigeladenen fällig gewesen und bestands- bzw. rechtskräftig festgestellt worden. Ein Nachweis über eintretende Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des SGB II oder SGB XII sei vom Kläger nicht erbracht worden. Die Verrechnung sei damit bis zur Hälfte seiner Altersrente zulässig. Ausgehend von einer Altersrente in Höhe von 855,00 EUR ergebe sich ein verrechnungsfähiger Betrag in Höhe von 427,50 EUR.

Die Beigeladene übersandte der Beklagten am 8. April 2009 eine wegen der Neuberechnung der Säumniszuschläge und Nebenkosten verringerte Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren vom 20. November 2002 in Höhe von nur noch 26.358,13 EUR.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2009 wies die Beklagte den gegen den Bescheid vom 4. Dezember 2008 erhobenen Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Sie bezifferte die Forderung weiterhin mit 37.495,13 EUR und schlüsselte die Forderungshöhe entsprechend der Ermächtigung zur Verrechnung vom 21. Juli 2008 auf. Ergänzend führte sie aus, der InsO unterlägen nur die Beträge, die nach § 36 InsO zur Masse gehörten. Dies seien jedoch jeweils nur die (Renten-)Beträge, die von der Zwangsvollstreckung nach der Tabelle zu § 850c der Zivilprozessordnung (ZPO) erfasst würden. Die darüber hinaus nach § 51 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allgemeiner Teil - SGB I) aufrechenbare Beträge gehörten nicht zur Insolvenzmasse. Mithin könne mit diesen Beträgen auch neben einem laufenden Insolvenzverfahren bzw. neben der Wohlverhaltensperiode ohne Beachtung der Zwei-Jahresfrist nach § 114 Abs. 2 InsO aufgerechnet werden. In Ausübung des Ermessens werde keine Möglichkeit gesehen, ganz oder teilweise auf die Verrechnung zu verzichten.

Mit Bescheid vom 4. Juni 2009 hat die Beklagte die angekündigte Verrechnung in Höhe von 427,50 EUR ab dem 1. Juli 2009 vorgenommen und an den Kläger eine Versichertenrente in Höhe von 459,40 EUR monatlich ausgezahlt.

Am 30. Juni 2009 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben sowie gleichzeitig einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Begehren gestellt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Verrechnungsbescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 anzuordnen. Er hat insbesondere geltend gemacht, zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätten weder eine Aufrechnungs- noch eine Verrechnungslage zugunsten der Beklagten vorgelegen. Wegen der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sei die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage anzuordnen. Rein vorsorglich werde die zur Verrechnung gestellte Forderung auch der Höhe nach in Abrede gestellt, soweit sie den durch die Insolvenzverwalterin anerkannten Betrag von 26.358,13 EUR übersteige.

Ferner hat der Kläger einen Bescheid der Landeshauptstadt Magdeburg vom 18. September 2008 vorgelegt, wonach sein Antrag vom 15. September 2008 auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den Bestimmungen des SGB XII abgelehnt worden ist. Ausgehend von einem zu berücksichtigenden Einkommen in Höhe von 1.237,10 EUR und einem Grundsicherungsbedarf in Höhe von 403,25 EUR ergebe sich ein diesen Bedarf übersteigendes Einkommen in Höhe von 833,85 EUR.

Mit Schreiben vom 2. September 2009 hat die Beigeladene das Verrechnungsersuchen ausdrücklich auf 26.358,13 EUR korrigiert; die auch für die Laufzeit des Insolvenzverfahrens berechneten Säumniszuschläge seien nicht rechtmäßig und deshalb wieder in Abzug gebracht worden. Der weitere Inhalt des Verrechnungsersuchens vom 21. Juli 2008 sei korrekt und gelte weiterhin. In der beigefügten Berechnung sind Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 23.030,71 EUR sowie Umlagebeiträge in Höhe von 1.018,63 EUR, Säumniszuschläge in Höhe von 2.176,57 EUR sowie Mahngebühren in Höhe von 57,57 EUR und weitere Kosten und Gebühren in Höhe von 76,65 EUR aufgeführt.

Mit Beschluss vom 3. September 2009 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Kammer habe keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009, soweit die Forderung der Beigeladenen auf 26.358,13 EUR begrenzt sei. Soweit die Verrechnung über 26.358,13 EUR hinaus beschieden sei, sei der Bescheid vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 zwar teilweise rechtswidrig, was auf der fehlerhaften Forderungsaufstellung der Beigeladenen beruhe. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage sei dennoch nicht anzuordnen gewesen, da hinsichtlich der verbliebenen, im Insolvenzverfahren anerkannten und vom Kläger nicht angegriffenen Forderung das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Verrechnung das private Interesse am Aufschub nach den obigen Ausführungen überwiege. Bis die Tilgung den Bereich von mehr als 26.358,13 EUR mit einer Dauer der Verrechnung von mehr als fünf Jahren erreicht habe, sei eine Entscheidung in der Hauptsache zu erwarten.

Das LSG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 2. September 2010 als unbegründet zurückgewiesen. Nach summarischer Prüfung sei die Verrechnungserklärung der Beklagten nicht zu beanstanden. Diese habe die Verrechnung gegenüber dem Kläger durch Bescheid im Sinne von § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren im Sozialdatenschutz - SGB X) vornehmen können. Der Senat folge der Auffassung des 13. Senats des BSG im Beschluss vom 5. Februar 2009 - B 13 R 31/08 R -, nach der eine Verrechnung in Form eines Verwaltungsaktes vorgenommen werden könne. Die Aufrechnungslage sei ebenfalls gegeben gewesen. Die Forderung der Beigeladenen hinsichtlich ausstehender Sozialversicherungsbeiträge nebst Säumniszuschlägen sei fällig, bestandskräftig festgestellt und nicht verjährt. Bei der Forderung der Beigeladenen in Form von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen einschließlich Gebühren und Nebenkosten handele es sich um Beitragsansprüche im Sinne von § 51 Abs. 2 SGB I. Ferner habe eine wirksame Ermächtigungserklärung vorgelegen. Das Verrechnungsersuchen der Beigeladenen vom 21. Juli 2008 sei hinreichend bestimmt gewesen. Der Umstand, dass die Beigeladene die bestandskräftig festgestellte Forderung zugunsten des Klägers auf einen Betrag in Höhe von 26.358,13 EUR wegen der Neuberechnung der Säumniszuschläge und Nebenkosten begrenzt habe, sei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu beanstanden. Denn an der Höhe der geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge habe sich nichts geändert. Die Pfändungsfreigrenzen nach § 54 Abs. 3 bis 5 SGB I müssten bei der Verrechnung gem. § 51 Abs. 2 SGB I nicht beachtet werden. Damit sei der Gesetzgeber von der im bürgerlichen Recht bestehenden Anknüpfung von Aufrechenbarkeit und der Pfändbarkeit (§ 394 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) aus sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Gründen abgewichen. Die Aufrechnung der Beklagten sei auch nicht nach §§ 114 Abs. 1, Abs. 2, 95 Abs. 1 Satz 3, 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unwirksam. Diese Vorschriften seien nicht anwendbar, da sie nur den pfändbaren Teil der Dienstbezüge (hier der Altersrente) beträfen. Nur pfändbare Forderungen des Schuldners seien Vermögensbestandteil der Insolvenzmasse. Die von der Beklagten verrechneten Teile der Altersrente seien nicht pfändbar, da sie unter der Pfändungsfreigrenze des § 850c ZPO in Höhe von 930,00 EUR lägen. Die Beklagte rechne also Forderungsgegenstände auf, die von vornherein nicht dem Insolvenzbeschlag unterlägen und somit dem Zugriff der Gläubiger entzogen seien. Damit fänden die Vorschriften über die Einschränkung einer während des Insolvenzverfahrens erfolgten Aufrechung (§§ 95, 96 InsO) keine Anwendung. Insbesondere sei die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO, die eine zeitliche Beschränkung der Aufrechnung mit laufenden Bezügen beinhalte, nicht einschlägig. Insoweit liege auch den vom Kläger angeführten Entscheidungen des BSG vom 10. Dezember 2003 (B 5 RJ 18/03 R) und des BGH vom 29. Mai 2008 (IX ZB 51/07) ein anderer Sachverhalt zugrunde. Hier sei Verfahrensgegenstand die Verrechnung mit dem unpfändbaren Teil der Altersrente. Die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung überschreite ferner nicht die Hälfte der dem Kläger zustehenden Altersrente. Der Kläger habe schließlich eine durch die Verrechnung eintretende Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften nach dem SGB II oder nach dem SGB XII nicht nachgewiesen. Vielmehr ergebe sich aus dem Bescheid der Landeshauptstadt Magdeburg vom 18. September 2008, dass beim Kläger unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse gerade keine Hilfebedürftigkeit eintreten würde, da sein Einkommen um 833,85 EUR die für ihn maßgebliche Bemessungsgrenze übersteige. Etwas anderes ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der ab dem 1. August 2008 von der Deutschen Rentenversicherung Bund an die Insolvenzverwalterin abgeführten 213,40 EUR, da auch dann noch ein den Grundsicherungsbedarf übersteigendes Einkommen verbleibe. Die Beklagte habe auch bezüglich der Durchführung des Verrechnungsersuchens eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Ermessensentscheidung getroffen. Da sich aus dem Vortrag des Klägers keine weiterführenden Erkenntnisse zu seinen persönlichen Lebensverhältnissen hätten gewinnen lassen, sondern lediglich Argumente gegen die rechtliche Zulässigkeit der Verrechnung bei laufendem Insolvenzverfahren vorgetragen worden seien, habe die Beklagte auf vorrangige Interessen der Versichertengemeinschaft an der Abführung geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge abstellen können.

Im Hauptsacheverfahren hat der Kläger an seiner Auffassung festgehalten, wonach die Verrechnung rechtswidrig sei. Das LSG habe das Urteil des BGH vom 29. Mai 2008 (IX ZB 51/07) nicht richtig gelesen. Denn das Urteil enthalte wörtlich die Ausführungen: "Für sich genommen liegen die Bezüge jeweils unterhalb der Pfändungsgrenze für Arbeitseinkommen gemäß § 850c ZPO." Somit sei auch in dem vom BGH entschiedenen Fall mit unpfändbaren Beträgen verrechnet worden.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 24. Februar 2011 den Bescheid vom 4. Dezember 2008 insoweit aufgehoben, als sie die anfängliche Forderungshöhe auf 26.358,13 EUR verringert hat. Es sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen insoweit eingetreten, als die Beigeladene die Höhe der Säumniszuschläge auf 2.176,57 EUR korrigiert habe. Diesen Bescheid hat sie am 1. März 2011 an den Kläger abgesendet.

Nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben, hat das SG Magdeburg mit Urteil vom 19. August 2011 die Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 sowie in der Gestalt des Bescheides vom 24. Februar 2011 sei rechtmäßig. Der Hinweis des Klägers auf die Nichtbeachtung der Vorschriften der InsO gehe fehl. Denn diese finde im vorliegenden Verfahren keine Anwendung. Die verrechneten Beträge gehörten nicht zur Insolvenzmasse, da die Einkünfte unterhalb der Pfändungsfreigrenzen lägen.

Gegen das ihm am 25. August 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, den 26. September 2011, Berufung beim LSG Sachsen-Anhalt eingelegt. Er hat an seiner Rechtsauffassung, wonach die Verrechnung nach §§ 52, 51 Abs. 1 SGB I nicht zulässig sei, festgehalten. Wäre der Beigeladenen der Weg der Verrechnung eröffnet, wäre sie ohne sachlichen Grund besser gestellt als bei der Anwendung der Vorschriften der InsO und der Kläger erheblich schlechter gestellt, so dass ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) anzunehmen wäre. Schließlich würde durch die Verrechnungsmöglichkeit der gesetzgeberische Wille des Restschuldbefreiungsverfahrens nach §§ 286 ff InsO konterkariert.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Magdeburg vom 19. August 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 sowie des Bescheides vom 24. Februar 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und ihren Bescheid für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten und der Beigeladenen sowie der Gerichtsakte des erledigten Streitverfahrens L 3 R 347/09 B ER, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat den Rechtsstreit verhandeln und entscheiden dürfen, obwohl die Beigeladene im Verhandlungstermin nicht erschienen und nicht vertreten gewesen ist. Auf diese Möglichkeit, nach Lage der Akten gemäß § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden, ist die Beigeladene mit der ihr am 14. Mai 2012 zugestellten Ladung hingewiesen worden.

Die Berufung ist teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 und des Bescheides vom 24. Februar 2011 Januar 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), soweit bis zum 31. März 2011 Beträge verrechnet worden sind. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet. Das SG hat die Klage - bezogen auf die für den Zeitraum ab dem 1. April 2011 erfolgte Verrechnung - zu Recht abgewiesen.

Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Voraussetzung einer Aufrechnung ist nach § 51 Abs. 1 SGB I, dass ein Leistungsträger Ansprüche auf Geldleistungen gegen den Betroffenen hat und dieser gegen den Leistungsträger nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbare Ansprüche auf Geldleistungen hat. Unter anderem mit Beitragsansprüchen kann der zuständige Leistungsträger nach § 51 Abs. 2 SGB I gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird.

Die Beklagte konnte die Verrechnung gegenüber dem Kläger durch Bescheid im Sinne des § 31 SGB X vornehmen. Der Senat folgt der Auffassung des 13. Senats, nach der eine Verrechnung in diese Handlungsform gekleidet werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 5. Februar 2009 - B 13 R 13/08 R -, Vorlagebeschluss vom 25. Februar 2010 - B 13 R 76/09 R -, beide juris) und des Großen Senats des BSG (vgl. Beschluss vom 31. August 2011 - GS 2/10 -, juris). Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf die Ausführungen in dem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 2. September 2010 in dem Verfahren L 3 R 347/09 B ER.

Bei den von der Beigeladenen zur Verrechnung gestellten Forderungen von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen, Umlagen, Säumniszuschlägen sowie Kosten und Gebühren der Zwangsvollstreckung handelt es sich um "Beitragsansprüche" im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I (BSG, Urteil vom 30. Juni 1981 - 5b/5 RJ 18/80 - und Urteil vom 7. Februar 2012 - B 13 R 85/09 R -, jeweils juris). Das Gesetz beschränkt die Aufrechnung nicht auf Beitragsansprüche, die aus einer Versicherung des Leistungsberechtigten entstanden sind. "Sozialversicherungsbeiträge" im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I sind alle Geldleistungspflichten, die Privaten zur Finanzierung der öffentlichen Leistungsträger der Sozialversicherung auferlegt werden. Maßgebend kann nur sein, ob der Leistungsberechtigte durch eine Verrechnung von einer Beitragszahlungsverpflichtung entlastet wird. Diese Voraussetzungen liegen für den diese schuldenden Arbeitgeber vor. Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen und weiteren Begründung wird auf die Ausführungen des Senats in dem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 2. September 2010 in dem Verfahren L 3 R 347/09 B ER Bezug genommen (vgl. ferner BSG, Urteil vom 7. Februar 2012 - B 13 R 85/09 R -, juris Rdnr. 48ff.).

Eine Verrechnungslage ist hier seit dem Zugang des Bescheides vom 24. Februar 2011 beim Kläger im März 2011 gegeben mit der Folge, dass die Einbehaltung der monatlichen Verrechnungsbeträge ab dem auf den Monat der Bekanntgabe folgenden Monat, d.h. ab April 2011, rechtmäßig war. Für den Zeitraum ab 1. Juli 2009, ab dem mit der Verrechnung begonnen wurde, bis zum 31. März 2011 fehlte es an der Verrechnungslage. Denn der von der Beklagten zugrunde gelegte Anspruch der Beigeladenen, mit dem die Verrechnung erklärt wurde, bestand nicht in der zuletzt im Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2009 genannten Höhe von 37.495,13 EUR, sondern lediglich in Höhe von 26.358,13 EUR. Es fehlte an einem entstandenen und fälligen Anspruch auf Zahlung der Säumniszuschläge in Höhe von 13.313,57 EUR; ein solcher Anspruch bestand nur in Höhe von 2.176,57 EUR. Im Übrigen war die Forderung der Beigeladenen auf Sozialversicherungsbeiträge bezogen auf den Zeitraum vom 22. August 2000 bis zum 6. Juni 2001 entstanden, fällig und nicht verjährt. Ab dem 2. September 2009 lag ferner ein Verrechnungsersuchen der Beigeladenen vor, dass die Beklagte zur Verrechnung mit der Gesamtforderung nur in Höhe von 26.358,13 EUR ermächtigte.

Die von der Beklagten durchgeführte Verrechnung in Höhe von 427,50 EUR monatlich stellt die Hälfte der dem Kläger von der Beklagten zustehenden Rentenleistungen dar. Der Kläger hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht nachgewiesen, durch die Verrechnung hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften über die Grundsicherung nach dem SGB II oder im Sinne der Vorschriften über die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu werden. Die Voraussetzungen von Leistungen nach dem SGB II erfüllt der Kläger nach §§ 7, 7a SGB II nicht, da er die für eine Leistungsberechtigung maßgebende Altersgrenze von höchstens 65 Jahren bereits vor Bekanntgabe des Bescheides der Beklagten überschritten hatte. Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII steht ihm nach seinen Angaben und dem vorgelegten Bescheid der Landeshauptstadt Magdeburg vom 18. September 2008 nicht zu. Nach § 51 Abs. 2 SGB I in der mit Wirkung zum 1. Januar 2005 geänderten und damit für den hier angefochtenen Bescheid maßgebenden Fassung hat der Leistungsberechtigte selbst den Eintritt der Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder des SGB XII nachzuweisen (vgl. z.B. Pflüger in PraxisKommentar SGB I, § 51 RdNr. 68). Im Hinblick auf die Angaben des Klägers und den o.g. Bescheid der Landeshauptstadt Magdeburg hat der Senat keine Veranlassung gesehen, insoweit weitere Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen.

Die Beklagte hat in Übereinstimmung mit ihrer Handlungsform durch Verwaltungsakt auch eine Ermessensentscheidung über die Durchführung und die Höhe der Verrechnung vorgenommen. Da sich aus dem Vortrag des Klägers keine weiterführenden Erkenntnisse haben gewinnen lassen, konnte die Beklagte in diesem Zusammenhang auf vorrangige Interessen der Versichertengemeinschaft an der zweckgebundenen Verwendung der Beiträge abstellen. Im Hinblick auf die mit Bescheid vom 24. Februar 2011 vorgenommene Reduzierung der Forderungshöhe, mit der aufgerechnet werden sollte, ergab sich nicht das Erfordernis einer erneuten Ermessensausübung, da die Erwägungen, die zur Vornahme der Verrechnung geführt hatten, durch die Verringerung der Forderung nicht berührt wurden.

Eine neuerliche Anhörung vor Erlass des Bescheides vom 24. Februar 2011 war nicht notwendig, da durch den vorgenannten Bescheid der Bescheid vom 4. Dezember 2004 zugunsten des Klägers abgeändert wurde.

Der Einwand des Klägers, der Verrechnung stünden § 54 Abs. 2 SGB I und die Grenzen des § 850 i.V.m. § 850c ZPO entgegen, ist unzutreffend. Die Pfändungsgrenzen des § 54 Abs. 3 bis 5 SGB I müssen bei der Verrechnung gemäß § 52 i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I nicht beachtet werden. Der Senat verweist auf seine Ausführungen in dem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 2. September 2010 in dem Verfahren L 3 R 347/09 B ER (vgl. ferner Urteil BSG vom 7. Februar 2012 - B 13 R 85/09 R -, juris Rdnr. 57 ff; Häußler in Hauck/Noftz, a.a.O., § 51 Rn. 12; Seewald in Kassler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 51 Rn. 18).

Ferner stehen § 114 bzw. § 96 InsO einer Verrechnung nicht entgegen. Der Senat verweist auch insoweit zum einen auf seine Ausführungen in dem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 2. September 2010 in dem Verfahren L 3 R 347/09 B ER. Zum anderen ergibt sich aus der zum 1. Januar 2008 erlassenen Vorschrift des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV, dass die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags als aus dem Vermögen des Beschäftigten als erbracht gilt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Entscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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