L 5 AS 909/12 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 11 AS 2529/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 909/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verpflichtung in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, vorläufig die Kosten für einen Umzug der Antragsteller und Beschwerdegegner gemäß § 22 Abs. 6 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zu übernehmen.

Die Antragsteller, eine fünfköpfige Familie, beziehen derzeit noch vom Antragsgegner als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsteller zu 2. ist seit dem 9. Juli 2012 als Kraftfahrer bei der A.C.-T in S. versicherungspflichtig beschäftigt und erzielt einen Bruttolohn von 1.640 EUR/Monat. Er hatte vom 1. August bis 30. Oktober 2012 eine möblierte Zweiraumwohnung in. N. angemietet.

Während des vom 1. Juni bis 30. November 2012 laufenden Bewilligungsabschnitts hatte der Antragsteller zu 2. mitgeteilt, seit 9. Juli 2012 von seiner Familie getrennt zu leben. Daraufhin hatte der Antragsgegner mit Bescheid vom 23. Juli 2012 ab August 2012 für die Antragstellerin zu 1. einen Mehrbedarf für Alleinerziehung berücksichtigt, da ihr Ehemann nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft gehöre. Nachdem beide bestätigt hatten, sich nicht getrennt zu haben, hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 6. September 2012 Leistungen ab September 2012 wieder unter Einbeziehung des Antragstellers zu 2. bewilligt.

Die Kündigung der bisher noch bewohnten Wohnung im 4. Obergeschoss erfolgte am 23. August 2012 zum 30. November 2012. Eine im zweiten Obergeschoss gelegene 115 m² große Wohnung in N. wurde am 25. August 2012 zum 1. November 2012 angemietet. Die Antragstellerinnen zu 4. und 5. wurden von der Kindertagesstätte zum 31. Oktober 2012 abgemeldet.

Am 27. Juli 2012 beantragte der Antragsteller zu 2. die Übernahme von Umzugskosten für die komplette Familie nach N. Auf Veranlassung des Antragsgegners legten die Antragsteller drei Angebote über einen Umzug vor. Für ein Umzugsgut von 45 cbm wurden Festpreise von 2.582,86 EUR, 2.613,24 EUR und 2.754,58 EUR angeboten.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2012 lehnte der Antragsgegner die Zusicherung zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft gemäß § 22 Abs. 4 SGB II ab. Der Antrag auf Wohnungswechsel sei nach Unterzeichnung des neuen Mietvertrags gestellt worden. Es sei auch nicht vorgetragen worden, dass es aus wichtigem Grund unzumutbar gewesen wäre, die Zusicherung vorher einzuholen.

Gegen die "Ablehnung des Umzugs" haben die Antragsteller Widerspruch eingelegt. Aufgrund der Arbeitsaufnahme des Antragstellers zu 2. und der großen Entfernung diene ein Umzug der Familienzusammenführung. Über diesen Widerspruch hat der Antragsgegner bislang noch nicht entschieden.

Bereits am 17. Oktober 2012 hat die Antragstellerin zu 1. beim Sozialgericht D -R. einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Obwohl ihnen bestätigt worden sei, dass der Umzug finanziert werde, sei eine schriftliche Ablehnung erfolgt. Ohne finanzielle Unterstützung könne die Familienzusammenführung nicht erfolgen. Nach den vorgelegten Kontoauszügen befand sich das Konto der Antragsteller am 1. Oktober 2012 mit 251,12 EUR im Soll. Telefonisch gaben die Antragsteller an, das Verpacken des Umzugsguts werde selbst vorgenommen. Der Antragsteller zu 2. bekomme in der Probezeit keinen Urlaub und könne alleine den Umzug am Wochenende nicht durchführen. Außerdem müsse er die gesetzlichen Ruhezeiten einhalten. Der Antragstellerin zu 1. sei es unzumutbar, mit drei kleinen Kindern eine Zugfahrt zum neuen Wohnort durchzuführen. Ferner haben die Antragsteller ein Angebot der H.-Umzüge vom 14. November 2012 mit einem Brutto-Festpreis von 2.499 EUR für den Umzug vorgelegt.

Das Sozialgericht hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 16. November 2012 verpflichtet, den Antragstellern vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Umzugskosten in Höhe von 2.499 EUR für den Umzug in die J.straße. in N. zu gewähren. Der Antragsgegner sei schon vor Abschluss des neuen Mietvertrags am 27. Juli 2012 von den Umzugsplänen informiert worden. Im Übrigen dürfte insoweit der Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags mit der Umzugsfirma maßgeblich sein. Der Umzug sei zur Familienzusammenführung notwendig. Die neuen Unterkunftskosten dürften wohl angemessen sein. Darüber hinaus sei deren Angemessenheit nicht Voraussetzung für die Übernahme der Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II. Es handele sich nicht um einen atypischen Fall, weshalb kein Ermessen auszuüben sei. Die Kosten von 2.499 EUR seien wohl angemessen und entsprächen dem preiswertesten Angebot. Das Verpacken der Gegenstände erfolge nach Angaben der Antragsteller selbst. Der Umzug könne auch nicht von dem Antragsteller zu 2. selbst durchgeführt werden. Er unterliege wegen seiner beruflichen Tätigkeit Lenkzeitbeschränkungen. Es sei ihm nicht zuzumuten, wegen Verstoßes gegen einschlägige Bestimmungen seinen Arbeitsplatz zu gefährden. Es sei auch nicht erkennbar, wie die Antragsteller zu 1. und zu 2. den Transport der Möbel aus dem 4. Obergeschoss in den anzumietenden Lkw sowie in den 2. Stock der neuen Wohnung bewerkstelligen sollten. Ein Anordnungsgrund sei ebenfalls glaubhaft gemacht.

Dagegen hat der Antragsgegner am 20. November 2012 Beschwerde eingelegt. Für den Antragsteller zu 2. fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil dieser schon zum 1. August 2012 eine eigene Wohnung angemietet habe. Der Antrag auf Wohnungswechsel gemäß § 22 Abs. 4 SGB II sei erst nach Abschluss des neuen Mietvertrags gestellt worden. Darüber hinaus sei nicht mit Nachweisen glaubhaft gemacht worden, dass der Umzug nicht in Selbsthilfe geleistet werden könne. Das Angebot in Höhe von 2.499 EUR sei bislang nicht bekannt. Der Antragsteller zu 2. könne einen LKW anmieten und den Umzug in Selbsthilfe am Wochenende und mit einem Urlaubstag durchführen. Auf einzuhaltende Lenkzeiten dürfte es bei Privattransporten nicht ankommen. Auch sei das Fehlen von Umzugshelfern nicht glaubhaft gemacht worden. Ein Miet-Lkw mit einem Laderaumvolumen von 35,2 cbm der Firma S mit einer Kilometerpauschale für 600 km würde ca. 500 bis 550 EUR kosten.

Der Antragsgegner beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Rosslau vom 16. November 2012 aufzuheben, soweit die Gewährung von Umzugskosten über die für die Anmietung eines Lkw einschließlich der Benzinkosten anfallenden Kosten hinausgehen, und den Antrag abzulehnen.

Die Antragsteller beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie haben eine Auskunft des Arbeitgebers am 22. November 2012 vorgelegt, wonach wegen des Umzugs nur zwei Tage Urlaub möglich seien.

Auf telefonische Nachfrage des Berichterstatters haben sowohl die Firma Umzüge B. als auch die Firma H. am 26. November 2012 bestätigt, dass die Ermittlung des Umzugsguts nach einer Besichtigung vor Ort erfolgt sei.

Der Berichterstatter hat ferner am 26. November 2012 bei der Firma Autovermietung S. sowohl im Internet recherchiert als auch telefonisch nachgefragt. Danach seien für das Wochenende vom 30. November bis 2. Dezember 2012 Lkw über 7,5 t weder in W. noch in D. verfügbar. Ein LKW mit 7,5 t wäre verfügbar, müsste aber in W. bzw. D. zurückgegeben werden. Die Kosten für eine Laufleistung von 2.400 km betrügen 1.772 EUR/brutto zuzüglich Kraftstoff.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist form- und fristgerecht erhoben sowie statthaft gemäß §173 i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Sie ist jedoch unbegründet, da das Sozialgericht den Antragsgegner zu Recht zur vorläufigen Übernahme der Umzugskosten i.H.v. 2.499 EUR verpflichtet hat.

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrunds (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweg genommen werden.

Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht in der Hauptsache nicht bindet. Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 86b Rn. 16b).

Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die sozialgerichtliche Entscheidung nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner wendet sich nach seinem Vorbringen im Beschwerdeverfahren nur noch gegen die Höhe der zu übernehmenden Umzugskosten. Hinsichtlich des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs dem Grunde nach kann der Senat daher auf weitere Ausführungen verzichten und auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses des Sozialgerichts verweisen. Ergänzend wird lediglich darauf hingewiesen, dass der Senat auch für den Antragsteller zu 2. ein Rechtsschutzbedürfnis sieht. Denn der anstehende Umzug betrifft auch sein Hab und Gut, da er bis zum 31. Oktober 2012 in einer möblierten Wohnung gewohnt hat.

Ein Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II ist auch der Höhe nach glaubhaft gemacht worden. Der Senat sieht keine Möglichkeit, den Umzug zum kommenden Wochenende im Wege der Selbsthilfe günstiger durchzuführen.

Wie sich aufgrund der telefonischen Nachfragen ergeben hat, ist das von den Antragsteller angegebene Umzugsgut von 45 cbm von zwei unterschiedlichen Umzugsfirmen ermittelt worden und dürfte daher realistisch eingeschätzt sein.

Ein Miet-Lkw der Firma S. mit einem Fassungsvermögen bis 12 t, der den Transport eines Umzugsguts bis zu 43 cbm zuließe, steht für das kommende Umzugswochenende an den Standorten W. und D. nicht zur Verfügung. Insoweit ist jedoch den Antragstellern ein Fehlverhalten nicht zur Last zu legen, da diese schon frühzeitig am 27. Juli 2012 auf den beabsichtigten Umzug im November 2012 hingewiesen hatten. Der Antragsgegner hingegen hat bis heute einen entsprechenden Bescheid nicht erteilt. Der mit Widerspruch angefochtene Bescheid vom 8. Oktober 2012 betrifft nämlich allein die - hier nicht streitige - Zusicherung zur Übernahme der neuen Unterkunftskosten gemäß § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II.

Ein Verweis auf die Durchführung des Umzugs mit einem 7,5 t Miet-Lkw scheidet aus. Zum einen hat der Antragsgegner übersehen, dass dieser lediglich ein Fassungsvermögen von 35,2 cbm und der Antragsteller zu 2. somit zweimal die Strecke von jeweils über 600 km hin und zurück zurücklegen müsste. Daher ist auch die Annahme einer Wegstrecke von ca. 600 km nicht geeignet für seine Kostenkalkulation. Auf telefonische Nachfrage ist von der Firma S. für eine Wegstrecke von 2.400 km ein Preis von 1.772 EUR brutto genannt worden. Darüber hinaus müsste ein entsprechender Lkw in W. bzw. D. zurückgegeben werden. Es ergäbe sich somit sogar eine Wegstrecke von 5 × 600 km. Dazu kämen noch die Kosten für den Kraftstoff sowie die Entlohnung von notwendigen Helfern. Die Firma H.-Umzüge würde nach telefonischer Auskunft den Umzug mit fünf Arbeitnehmern durchführen. Es erscheint daher dem Senat unzumutbar, die Antragsteller zu 1. und 2. auf die alleinige Durchführung des Umzugs ohne Umzugshelfer (und ohne Möbellift) zu verweisen (so auch BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 4 AS 49/07 R).

Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung würde daher ein Umzug in Selbsthilfe zu keiner oder nur einer geringen Kostenersparnis führen können. Gegenüber den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Angeboten ist das der Firma H. das preisgünstigste. Es beinhaltet auch keine Leistungen für das Einräumen des Umzugsguts in Kisten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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