L 4 P 18/11 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 P 19/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 P 18/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegner tragen die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für beide Instanzen.

Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Nachdem die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist nur noch die Kostenfrage zu entscheiden.

Die Antragstellerin betreibt einen Pflegedienst. Am 27. Oktober 2010 nahm der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) eine Qualitätsprüfung der Einrichtung vor und erstellte einen Prüfbericht vom 30. Juli 2010.

Im Schreiben vom 10. August 2010 forderten die Antragsgegner die Antragstellerin zu einer schriftlichen Stellungnahme bis zum 25. August 2010 auf. Dieses Schreiben enthält die Formulierung: "Wir weisen darauf hin, dass die Verbände der Pflegekassen auf Grund dieser Ergebnisse Maßnahmen gemäß § 115 Abs. 2 und Abs. 3 SGB XI in Erwägung ziehen können."

Hierzu nahm die Antragstellerin mit Schreiben vom 21. August 2010 umfassend Stellung.

Ohne weitere Anhörung und ohne erneute, abschließende Prüfung des MDK erließen die Antragsgegner einen Maßnahmebescheid vom 22. Februar 2011, der sich im Kern auf die Feststellungen des Prüfberichts vom 30. Juli 2010 stützte.

Hiergegen hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellt und u.a. beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 22. Februar 2011 anzuordnen.

Mit Beschluss vom 16. November 2011 hat das SG den Antrag abgelehnt. Gegen den ihr am 20. Juni 2011 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 19. Juli 2011 Beschwerde eingelegt und ihr Begehren weiterverfolgt.

Am 25. Mai 2011 erfolgte eine Wiederholungsprüfung der Einrichtung der Antragstellerin mit einem sehr guten Ergebnis. Der Antragstellerin wurde dieses Ergebnis mit Schreiben vom 26. Juli 2011 mitgeteilt. Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Der Berichterstatter hat die Antragsgegner auf einen möglichen Anhörungsmangel hingewiesen.

Die Antragstellerin hat vorgetragen: Wegen des langen Zeitablaufs zwischen dem Prüfbericht und dem Maßnahmebescheid von sieben Monaten sei von der Rechtswidrigkeit des Bescheides auszugehen. Die im Prüfbericht genannten Fristen seien längst abgelaufen gewesen. Die Antragsgegner hätten die Antragstellerin zudem erneut anhören müssen.

Die Antragstellerin beantragt,

den Antragsgegnern die Kosten des Verfahrens

aufzuerlegen.

Die Antragsgegner beantragen,

der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens

aufzuerlegen.

Sie haben geltend gemacht: Das Anhörungsschreiben vom 10. August 2010 sei ausreichend gewesen. Eine weitere Anhörung sehe das Gesetz nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

Nach § 155 Abs. 2 Nr. 4 und 5, Abs. 4 SGG entscheidet der mit Verfügung vom 27. Juli 2011 ernannte Berichterstatter sowohl über den Streitwert, als auch über die Kosten. Der Kostenbegriff in § 155 Abs. 2 Nr. 5 SGG ist weit zu verstehen und betrifft alle isolierten Kostenentscheidungen (vgl. Keller in Meyer/Ladewig u. a., SGG, 10. Auflage 2012, § 155 Rd-Nr. 9e).

Da es sich um ein Verfahren handelt, in dem weder die Antragstellerin noch die Antragsgegner zu den Personen gehören, für die nach § 183 SGG Kostenfreiheit besteht (Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I)) werden gemäß § 197a SGG Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben; die §§ 184 bis 195 SGG finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind entsprechend anzuwenden.

1. Die Antragsgegner haben die Kosten des Verfahrens für beide Instanzen zu tragen. Nach § 161 VwGO hat das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. Die Kostenentscheidung ist gemäß § 161 Abs. 2 Satz 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffen. Danach sind den Antragsgegnern die Kosten aufzuerlegen, da sie ohne erledigendes Ereignis aller Voraussicht nach im Rechtsstreit unterlegen wären.

Den Antragsgegnern ist ein Verstoß gegen das Anhörungsrecht gemäß § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in Verbindung mit § 115 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) vorzuwerfen, der bis zum erledigenden Ereignis nicht geheilt worden ist und zur Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 22. Februar 2011 führt.

In diesem Zusammenhang ist in Erinnerung zu rufen, dass der verfassungsrechtlich garantierte Schutzzweck des § 24 SGB X gerade darin liegt, den Bürger vor sog. Überraschungsentscheidungen der Exekutive zu schützen. Dies setzt voraus, dass der Bürger, der sich auf einen belastenden Verwaltungsakt einzustellen hat, im Kern weiß, was die Sozialverhaltung genau beabsichtigt. Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist einem Beteiligten daher vor Erlass des Verwaltungsakt Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

Das Schreiben der Antragsgegner vom 10. August 2010 erreicht vor diesem rechtlichen Hintergrund nicht einmal die Qualität eines Anhörungsschreibens für den Maßnahmebescheid vom 22. Februar 2011. Die dort gebrauchte Formulierung "Maßnahmen gemäß § 115 Abs. 2 und Abs. 3 SGB XI in Erwägung ziehen" zu "können" ist gerade keine Ankündigung, einen belastenden Verwaltungsakt gegen den Empfänger, d.h. die Antragstellerin, zu erlassen. Wer etwas nur in Erwägung ziehen will, zeigt nach objektivem Empfängerhorizont nur eine bloße Handlungsmöglichkeit auf, hat sich zu einer konkreten Maßnahme, auf die sich der Empfänger einzustellen hätte, jedoch noch nicht fest entschlossen. Eine unbedingt notwendige Absicht, einen belastenden Verwaltungsakt erlassen zu wollen, lässt sich daher aus dieser Formulierung nicht ableiten. Dies gilt auch insbesondere vor dem Hintergrund des ganz erheblichen Zeitablaufs von über sieben Monaten zwischen der Prüfung (27. Juli 2010) und dem Bescheid (22. Februar 2011). Angesichts dieses langen Zeitablaufs hätte es sich den Antragsgegnern aufdrängen müssen, nochmals bei der Antragstellerin nachzufragen, ob sich zwischenzeitlich weitere Änderungen seit ihrer Stellungnahme von August 2010 ergeben haben. Derartige Änderungen sind in einem Pflegeunternehmen, zumal nach einer sehr kritischen Qualitätsprüfung, keineswegs ungewöhnlich, sondern im Gegenteil allein auch wegen des ständig wechselnden Personals sogar naheliegend. Aus Sicht der Antragstellerin musste sich der Maßnahmebescheid wegen des unzureichenden Anhörungsschreibens und wegen des langen Zeitablaufs zwischen der letzten Stellungnahme vom August 2010 als völlig überraschend darstellen, da sie hiermit nicht zu rechnen brauchte. Der Schutzbereich des § 24 SGB X ist daher sicher betroffen und ein Ausnahmefall des § 24 Abs. 2 SGB X auch nicht gegeben.

Dieser Anhörungsmangel kann zwar grundsätzlich rechtswirksam nachgeholt werden (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X), was sogar noch bis zur letzten Tatsacheninstanz erfolgen könnte (vgl. BSG Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 6/07 R, zitiert nach juris). Dies hätte jedoch einen Antrag nach § 114 Abs.2 Satz 2 SGG vorausgesetzt. Durch das erledigende Ereignis ist eine derartige Heilung jedoch nicht mehr möglich, so dass dieser Verfahrensfehler zur Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 22. Februar 2011 führen muss. Dies zumal die Antragsgegner auch nach dem rechtlichen Hinweis vom 12. April 2012 keinerlei Anlass gesehen haben, diesen klaren Anhörungsmangel überhaupt als solchen anzuerkennen. Dies hätte zumindest die Möglichkeit eröffnet, dass es von Seiten der Antragsgegner zu einer nachträglichen Korrektur dieses Verfahrensmangels gekommen wäre, wenn das erledigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Hiervon kann jedoch nach dem Inhalt des Schreibens der Antragsgegner vom 24. April 2012 nicht ausgegangen werden, da der Anhörungsmangel zu Unrecht mit allem Nachdruck bestritten worden ist.

2. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, §§ 53 Abs. 2 Nr. 4 und 52 Abs. 2 GKG. Unter Berücksichtigung des ausdrücklichen gesetzlichen Verweises für das einstweilige Rechtsschutzverfahren nach § 86b SGG auf den Regelstreitwert nach § 52 Abs. 2 SGG ist keine Reduzierung vorzunehmen.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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