L 3 R 545/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 3 RJ 79/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 545/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob dem Kläger ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI – Gesetzliche Rentenversicherung) über den 31. August 2002 hinaus gegen die Beklagte zusteht.

Der am ... 1972 geborene Kläger begann am 1. September 1989 eine Ausbildung zum Stahlbauer, die er am 30. April 1990 abbrach. Unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit war er von August bis Dezember 1991 und im Januar 1993 als Möbelauslieferer tätig. In der Folgezeit war er als Fahrzeuglackierer versicherungspflichtig beschäftigt, wobei er vom 1. August 1995 bis zum 31. Juli 1997 erfolgreich eine Umschulung zum Fahrzeuglackierer absolvierte. Seit dem 4. April 2000 war er arbeitsunfähig erkrankt.

Am 6. August 2001 stellte er bei der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt (LVA), deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die LVA zog zunächst den Rehabilitationsentlassungsbericht der B.-Klinik in S. vom 16. Mai 2000 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 4. April bis zum 16. Mai 2000 bei. Danach seien als Diagnosen eine chronische Schmerzkrankheit sowie ein Kombinationskopfschmerz aus Migräne ohne Aura und chronischem Spannungskopfschmerz (und Analgetika-abusus), eine Psoriasis vulgaris sowie ein Diabetes mellitus (nicht insulinpflichtig) zu berücksichtigen. Als Autolackierer sei der Kläger nicht mehr einsetzbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er mittelschwere körperliche Arbeiten auch überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen in allen Schichten vollschichtig verrichten. Die Belastbarkeit der Haut sei aufgrund der Psoriasis vulgaris herabgesetzt. Belastungen der Haut mit Allergenen sowie Zwangshaltungen seien zu vermeiden. Zum Rehabilitationsergebnis ist angegeben, dass der Kläger sehr auf den somatischen Aspekt seiner Erkrankung fixiert gewesen sei und sich für psychische Ursachen nur bedingt zugänglich gezeigt habe. Die LVA holte ferner einen Behandlungs- und Befundbericht von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. vom 21. Oktober 2001 sowie ein nervenfachärztliches Gutachten von Dr. med. habil. W. vom 16. Januar 2002 ein. Der Gutachter führte aus, nach seiner Einschätzung bestünden beim Kläger vordergründig eine larvierte Depression mit bisher therapierresistenter Somatisierungsstörung, insbesondere chronifiziertem Schmerzsyndrom, funktionelle Kopfschmerzen, teils Migräne ohne Aura, teils Spannungskopfschmerzen, eine mäßiggradige sensorische und leichte motorische demyelinisierende Polyneuropathie bei Diabetes mellitus, der dringende Verdacht auf einen Morbus Raynaud-Syndrom sowie eine Psoriasis ohne Gelenkbeteiligung. Intensive schmerztherapeutische, nervenärztliche und psychotherapeutische Behandlungen hätten bislang nicht zu einer Linderung der Beschwerden beitragen können. Von körperlicher Seite her sei der Kläger ohne Weiteres in der Lage, eine leichte bis mittelschwere körperliche Arbeit auszuführen. Dem stehe jedoch die gegenwärtige psychische Situation des Klägers mit einem depressiven Syndrom, verbunden mit multiplen psychosomatischen Beschwerden, insbesondere einem therapieresistenten Schmerzsyndrom, entgegen. Eine vorzeitige Berentung würde jegliche Behandlungsmöglichkeiten, die noch nicht als ausgeschöpft zu betrachten seien, vereiteln. Es sei mit dem Kläger besprochen worden, dass eine psychiatrische langfristig angelegte stationäre Behandlung erforderlich sei. Insoweit wolle sich der Kläger mit seinem Nervenarzt, der dies mit ihm auch bereits besprochen habe, in Verbindung setzen.

Daraufhin bewilligte die LVA dem Kläger mit Bescheid vom 12. Februar 2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. August 2001 bis zum 30. Juni 2002. Im Bescheid ist ausgeführt, die Rentengewährung erfolge unter der Bedingung, dass sich der Kläger in eine stationäre psychiatrische Behandlung begebe.

Auf den Weiterzahlungsantrag des Klägers vom 18. Februar 2002 bewilligte die LVA mit Bescheid vom 17. Mai 2002 die Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 31. August 2002 zunächst weiter; sobald eine endgültige medizinische Stellungnahme über die anstehende stationäre Rehabilitationsmaßnahme vorliege, werde über den Weitergewährungsantrag endgültig entschieden. Neben der Einholung eines weiteren Behandlungs- und Befundberichtes von Dr. S. vom 28. April 2002 und eines Befundberichtes von dem Nervenarzt Dr. S. vom 8. April 2002 zog die LVA dann den Entlassungsbericht der B.-Klinik vom 5. Juli 2002 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 7. Mai bis zum 18. Juni 2002 bei. Als Diagnosen sind dort eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, ein Analgetikaabusus, eine Psoriasis vulgaris mit Arthropathie, ein Diabetes mellitus Typ II sowie eine Polyneuropathie berücksichtigt. In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung werden leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen in Tages-, Früh- und Spätschicht sechs Stunden und mehr täglich für zumutbar erachtet. Besonderer Zeitdruck, Nachtschicht sowie besondere Anforderungen an das Umstellungs- und Anpassungsvermögen könnten nicht abverlangt werden. Ausgeschlossen seien schweres Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, Arbeiten im Knien und Arbeiten mit inhalativer Belastung sowie hautreizenden Substanzen. Zum psychischen Befund ist ausgeführt, es sei der Eindruck entstanden, der Hauptlebensinhalt des Klägers bestehe "in Schmerzen und seinen Krankheiten". Es lasse sich eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung vermuten, bei der die vorhandenen Konflikte und Affekte im Sinne einer regressiven Resomatisierung über den Körper ausgedrückt würden. Die Persönlichkeit erscheine schizoid-hypochondrisch geprägt. In der sozialmedizinischen Epikrise ist ausgeführt, dass die organischen Krankheiten aktuell gut einstellbar seien und nicht zu einer nennenswerten Beeinträchtigung führten; dies gelte auch für die neurotische Entwicklung.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2002 lehnte die LVA den Antrag auf Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den Ablauf des Monats August 2002 hinaus ab. Zwar sei das Leistungsvermögen des Klägers durch eine psychische Gesundheitsstörung, Migräne, ein Kniegelenksleiden, Zuckerkrankheit, Schuppenflechte und Polyneuropathie beeinträchtigt. Gleichwohl könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers, in dem er Mängel der durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme geltend machte, wurde nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der Rehabilitationseinrichtung vom 12. November 2002 mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2003 als unbegründet zurückgewiesen. Im Ergebnis der medizinischen Sachaufklärung sei davon auszugehen, dass beim Kläger ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich für leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne starken Zeitdruck (z.B. Akkord), ohne Gefährdung durch Hitze, Lärm, Hautreizstoffe, Stäube, Rauche, reizende Gase, häufiges Hocken, Knien, häufige Zwangshaltungen sowie ohne erhöhte Unfallgefahr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bestehe.

Hiergegen hat der Kläger am 28. Februar 2003 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben und die Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. August 2002 hinaus weiterverfolgt. Er hat darauf hingewiesen, er leide an Fibromyalgie zu leiden und eine Spondarthritis psoriatica habe nicht positiv ausgeschlossen werden können. Die Angaben im Rehabilitationsentlassungsbericht der B.-Klinik seien unvollständig und fehlerhaft gewesen und es entspreche auch nicht den Tatsachen, dass er im gebesserten Allgemeinzustand nach Hause entlassen worden sei. Bereits Dr. med. habil. W. habe ausgeführt, dass sein psychischer Zustand eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich nicht zulasse. Ferner hat der Kläger darauf hingewiesen, dass sein Leistungsvermögen durch bestehende Knieprobleme und Funktionseinschränkungen an der Halswirbelsäule (HWS), Brustwirbelsäule (BWS) und Lendenwirbelsäule (LWS) eingeschränkt sei.

Das Sozialgericht hat Behandlungs- und Befundberichte von dem Facharzt für Orthopädie Dr. N. vom 21. Oktober 2004 und von Dr. S. vom 22. Oktober 2004 eingeholt. Dr. N. hat ein rezidivierendes zervikokraniales Schmerzsyndrom mit Funktionsstörungen der Kopfgelenke und der HWS, ein lumbosakrales Schmerzsyndrom mit pseudoradikulärer Reizausstrahlung, eine Funktionsstörung der unteren LWS sowie eine beginnende Gonarthrose links deutlicher als rechts festgestellt. Nach seiner Einschätzung könne der Kläger leichte körperliche Arbeiten im Freien und in geschlossenen Räumen mit sitzenden Anteilen sowie ohne häufiges Bücken und Zwangshaltungen mit der Möglichkeit, regelmäßig Pausen in stündlichen Abständen einzuhalten, acht Stunden täglich verrichten. Dr. S. hat als Diagnosen depressive Verstimmungszustände, den Verdacht auf eine diabetische Polyneuropathie, eine somatoforme Schmerzstörung sowie Cephalgien mitgeteilt und eingeschätzt, der Kläger könne leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck, im Freien und in geschlossenen Räumen verrichten. Konzentration, Merkfähigkeit, Ausdauer, Wendigkeit und Anpassungsfähigkeit seien aufgrund der depressiven Störungen und der somatoformen Schmerzstörung eingeschränkt. Eine vollschichtige Tätigkeit komme nur mit vermehrten Pausen in Betracht.

Sodann hat das Sozialgericht ein Gutachten von Dr. W., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, vom 7. August 2006 eingeholt. Der gerichtliche Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger leide an einem chronifizierten Schmerzsyndrom, Chronifizierungsgrad III nach Gerbershagen, vorrangig in Form von Spannungskopfschmerzen, aber auch migräneartigen Kopfschmerzen ohne Aura, verbunden mit Übelkeit, selten mit Schwindel, ausgelöst durch Wetterwechsel, körperliche Anstrengungen, "psychischen Stress" sowie LWS- und Knieschmerzen. Eine regelmäßige spezialisierte Schmerztherapie mit Anwendung von zentralen Schmerztherapeutika, Antidepressiva, flankiert durch physikalische Maßnahmen und psychotherapeutische Entspannungsübungen, finde statt. Der chronische Schmerz werde durch eine persönlichkeitsabhängige Beschwerde- und Schmerzfehlverarbeitung mit asthenisch-sensitiven und übernachhaltigen Zügen, eine über Jahre mit willentlicher Steuerung aufgebaute dysfunktionale Abwehr und Kognition, mit Fehlwahrnehmung der eigenen Funktionsreserven und Leistungsmöglichkeiten unterhalten. Auch in der aktuellen Untersuchungssituation sei die Diskrepanz zwischen objektiv fassbaren Leistungseinschränkungen und der Darstellung der Funktions- und Fähigkeitsstörungen sowie der Funktions- und Leistungsreserven durch den Kläger auffällig geworden. Darüber hinaus leide der Kläger seit ca. 2000 an einem Diabetes mellitus Typ II bei familiärer Vorbelastung, welcher diätetisch und mit oralen Antidiabetika eingestellt sei. Hinsichtlich des geäußerten Verdachtes auf eine diabetische Polyneuropathie hätten die bei der aktuellen Untersuchung durchgeführten elektrophysiologischen Messungen der Nervenleitgeschwindigkeiten an den unteren Extremitäten keine wesentlichen Veränderungen erbracht. Die sensiblen Reizphänomene, welche an den Händen eher dem Segment C 6, an den Füßen eher dem Segment S 1 entsprächen, hätten keine funktionellen Auswirkungen und seien durch geeignete symptomatische Maßnahmen gut behandelbar. Die seit dem 15. Lebensjahr bestehende Schuppenflechte, welche insbesondere im Frühjahr und im Herbst zu größeren juckenden, sich rötenden, schuppenden Arealen führe, beeinträchtigten die Lebensqualität nicht wesentlich. Allerdings hätten in der Vergangenheit unter der Exposition von Lösungsmitteln und Dämpfen in der Tätigkeit als Lackierer die Beschwerden im Rahmen des Hautleidens wesentlich zugenommen. Insoweit habe der Verdacht der Mitbeteiligung des Gelenks- und Muskelsystems bestanden. Hinweise für stärkere depressive Verstimmungen von Krankheitswert, insbesondere eine Angsterkrankung, fänden sich nicht. Die Kriterien einer somatoformen Schmerzstörung seien erfüllt, wobei die Symptomatik durch die Persönlichkeitsdisposition und durch die willentlich gesteuerte dysfunktionale Kognition und Abwehr des Klägers unterhalten werde. Aufgrund der Chronifizierung der Schmerzsymptomatik, der persönlichkeitsabhängigen, zum Teil willentlich gesteuerten, zum Teil aber chronisch-fehlkonditionierten Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung des Schmerzes, sei die Leistungsfähigkeit des Klägers herabgesetzt. Er sei jedoch in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten ohne häufiges Heben und Tragen, Bewegen von Lasten, vorzugsweise im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen – wobei die sitzende Tätigkeit bis zu vier Stunden am Stück betragen könne – auszuführen. Arbeiten mit ständigen, längeren oder häufigeren einseitigen körperlichen Belastungen bzw. Zwangshaltungen wie Bücken, Hocken, Knien oder Überkopfarbeiten, Tätigkeiten auf Gerüsten, Leitern und Treppen sollten vermieden werden. Die Arbeiten sollten nur in geschlossenen Räumen, unter Ausschluss der Einwirkung von Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen, Zugluft, Nässe, Lärm, Staub und Dampf oder Rauch durchgeführt werden, da diese Faktoren zur Zunahme des Kopfschmerzes, aber auch der Schmerzen im Bereich der HWS; LWS und den Knien führen könnten. Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderten, sowie Arbeiten, die durchschnittliche Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen stellten, könnten ebenso durchgeführt werden wie Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an geistige Fähigkeiten sowie an Reaktionsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Übersicht, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Arbeiten in Wechsel-, Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck oder mit häufigem Publikumsverkehr sollten aufgrund der Persönlichkeitsstruktur des Klägers vermieden werden. Der Kläger könne zumutbare Arbeiten acht Stunden täglich verrichten. Aufgrund der chronifizierten Schmerzen, der chronisch fehlkonditionierten Schmerzwahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung sollte dem Kläger nach ca. dreistündigem, fortwährendem Sitzen die Möglichkeit gegeben werden, kurze Pausen für Lockerungs- und Entspannungsübungen (2-3 Minuten) einzulegen. Die Beurteilung von Dr. S. vom 22. Oktober 2004 könne aufgrund der aktuellen Untersuchung nicht nachvollzogen werden, da sich weder tiefgreifende depressive Verstimmungen noch stärkere Störungen der Konzentration, Merkfähigkeit, Anpassungsfähigkeit, Ausdauer und Wendigkeit hätten erheben lassen.

Nachdem die Streitsache vom Sozialgericht zum Verhandlungstermin am 24. Oktober 2006 geladen worden ist, hat die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers eine vom Kläger erstellte Kopie des Gutachtens mit handschriftlichen Unterstreichungen und durchnummerierten Hinweisen von 1 bis 93, die auf 17 Seiten zu den entsprechenden Durchnummerierungen mit Einwänden versehen sind, übersandt.

Das Sozialgericht hat auf den Verhandlungstermin am 24. Oktober 2006 die Klage abgewiesen. Beim Kläger liege keine Erwerbsminderung vor, weil sein Leistungsvermögen wenigstens für leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch wenigstens sechs Stunden täglich betrage. Hiervon sei die Kammer vollständig überzeugt aufgrund des (Kur-)Entlassungsberichts vom 5. Juli 2002, des orthopädischen Berichts vom 21. Oktober 2004 und insbesondere des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. W. vom 7. August 2006. Darin seien die Befunde zu Krankheiten sowie Behinderungen des Klägers umfassend erhoben und nachvollziehbar sowie übereinstimmend mit dem Ergebnis bewertet worden, dass der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Die Einschätzung zum Leistungsvermögen von Dr. S. im nervenärztlichen Bericht vom 22. Oktober 2004 habe die Kammer hingegen nicht überzeugt, zumal sie alleine stehe, nicht eine so umfassende Auseinandersetzung mit den ärztlichen Befunden wie das Gutachten sowie der Entlassungsbericht erkennen lasse und insbesondere von Dr. W. unter Nennung beachtlicher Gründe widerlegt worden sei.

Gegen das ihm am 30. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. November 2006 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Die Beurteilung des erstinstanzlichen Gerichts sei unrichtig. Zum einen habe der Rehabilitationsentlassungsbericht vom 5. Juli 2002 nicht verwertet werden dürfen. Dieser habe seine nachgewiesenen orthopädischen Leiden völlig unberücksichtigt gelassen; es habe sich damals um eine psychosomatische Rehabilitation gehandelt. Ferner sei er aus dieser Maßnahme arbeitsunfähig mit der Einschätzung entlassen worden, er sei erst nach Durchführung der berufsfördernden Maßnahmen in der Lage, einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Eine Besserung seines Gesundheitszustandes sei aber tatsächlich nicht eingetreten; vielmehr habe sich ausweislich des Befundberichtes seines behandelnden Orthopäden sein Gesundheitszustand seit Januar 2003 verschlechtert. Der Kläger hat nochmals eine (15-seitige) Gegendarstellung zum Gutachten von Dr. W. eingereicht und beanstandet, dass sich das Sozialgericht mit seinen Einwendungen nicht auseinandergesetzt habe. Wesentliche gesundheitliche Aspekte seien nicht berücksichtigt worden; insoweit seien die ihn behandelnden Ärzte zu hören und eine neuerliche ärztliche Stellungnahme von Dr. med. habil. W. einzuholen, ob und inwieweit sich sein Gesundheitszustand geändert habe. Es sei auch mit drei bis fünf Tagen Arbeitsunfähigkeit pro Monat zu rechnen und deshalb ein quantitativ gemindertes Leistungsvermögen anzunehmen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. Oktober 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. August 2002 hinaus, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. September 2002 zu bewilligen,

sollte das Gericht der Auffassung der Beklagten folgen, wird beantragt, von dem Arzt Dr. H. R. S., Arzt für Nervenheilkunde, A.-Str ... in W. ein Gutachten gemäß § 109 SGG einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts und ihren Bescheid für zutreffend.

Im Berufungsverfahren ist zunächst eine ergänzende Stellungnahme von Dr. W. vom 9. August 2007 zu den Einwendungen des Klägers gegen dessen Gutachten eingeholt worden. Dr. W. hat hierzu dargelegt, er habe sich an der Leitlinie "Sozialmedizinische Begutachtung in Psychosomatik und Psychotherapie" von Schneider, Henningsen und Rüger orientiert. Die Beurteilung des Leistungsvermögens ergebe sich aus der Zusammenführung integrierter Bestandteile und Werkzeuge der psychiatrisch-psychotherapeutischen Begutachtung, insbesondere der Methoden der Kongruenzermittlung, Erforschung der Indizienliste für verschiedene Lebensbereiche des Klägers. Die vom Kläger angeführten Einwände stellten durch Fixierung auf nebensächliche Daten aus der Anamneseerhebung, der Exploration und Untersuchung den Versuch dar, die leitliniengerechte, auf die wissenschaftlich anerkannten Indizien- und Kongruenzverfahren begründete Untersuchungsmethodik und das darauf begründete quantitative und qualitative Leistungsbild in Frage zu stellen, was nicht zu akzeptieren sei. Die vom Kläger angeführten, attackenhaften Zuspitzungen der Kopfschmerzen, der Schuppenflechte könnten durchaus zu tageweisen Leistungsunfähigkeiten führen, deren Frequenz und Dauer aufgrund der adäquaten medikamentösen und physikalischen Behandlung als deutlich geringer angesehen werden müsse, als vom Kläger dargestellt.

Zudem sind Behandlungs- und Befundberichte von Dr. S. vom 31. März 2008, von dem Facharzt für Anästhesie im Harzklinikum W.-B. Dr. R. vom 7. April 2008, von Dr. N. vom 8. April 2008 und von Dr. S. vom 13. Juni 2008 eingeholt worden. Dr. S. hat als Diagnosen chronifzierte somatoforme Schmerzen, eine leichte Polyneuropathie bei Diabetes mellitus ohne neurologische Defizite und einen erhöhten Analgetikaverbrauch mitgeteilt und angegeben, seit Jahren bestünden chronifizierte Störungen bei persistierenden Schmerzen. Auch Dr. R. hat ein chronisches Schmerzsyndrom sowie eine psychosomatische Mitbeteiligung und einen im Behandlungszeitraum von Oktober 2000 bis April 2008 im Wesentlichen gleichbleibenden Zustand angegeben. Er hat ferner mitgeteilt, mit den entsprechenden Therapiemethoden habe sich ein einigermaßen zufriedenstellender Zustand erreichen lassen. Auch Dr. N. hat angegeben, seit seinem Bericht von Oktober 2004 hätten sich keine Änderungen ergeben. Dr. S. hat dem Senat mitgeteilt, die psychische Verstimmung habe sich zur Depression (mit Somatisierungsstörung) entwickelt.

Aus dem Streitverfahren beim 7. Senat des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (Aktenzeichen: L 7 SB 27/03) sind die Befundberichte von dem Facharzt für Anästhesiologie W. vom 11. März 2010, von der Fachärztin für Innere Medizin/Kardiologie Dr. T. vom 23. Januar 2010 und von dem Facharzt für HNO-Stimm- und Sprachstörungen Dr. E. vom 26. Januar 2010 zu den Akten genommen worden.

Schließlich ist das arbeitsmedizinische Gutachten von der Oberärztin und Leiterin der Ambulanz Sektion Arbeitsmedizin im Universitätsklinikum H. Dr. B. vom 24. November 2010 eingeholt worden. Dr. B. hat auf Grund der Untersuchung des Klägers am 7. September 2010 folgende Diagnosen gestellt:

Chronisches Kopfschmerzsyndrom mit Migräneattacken.

Chronisches Schmerzsyndrom des Muskel- und Bewegungsapparates bei

psychisch bedingter Schmerzfehlverarbeitung.

Schuppenflechte, hierdurch

wiederkehrende Mitreaktion der Kniegelenke mit leichtgradigen Funktionsstörungen.

Leichtgradige Abnutzungserscheinungen an der HWS und LWS.

Diabetes mellitus.

Bluthochdruck.

Im Vordergrund der Beschwerden des Klägers stehe ein Schmerzsyndrom. Der Kläger beklage Kopfschmerzen und diffuse Schmerzen an den Muskeln und Gelenken. Zusätzlich leide er nach seinen Angaben sechs- bis zehnmal monatlich unter starker Migräne und müsse sich hinlegen. Bisherige Therapieversuche durch den Schmerztherapeuten seien nicht erfolgreich gewesen. Die Muskel- und Gelenkschmerzen seien völlig diffus und könnten nicht bestimmten Gelenken oder Muskelgruppen zugeordnet werden. Der Kläger weise zwar Abnutzungserscheinungen an der Wirbelsäule und den Kniegelenken auf; diese seien aber leicht- bis allenfalls mittelgradig und erklärten die Symptomatik nicht. Es hätten sich bei der Untersuchung auch keine typischen Schmerzen für ein Wirbelsäulenleiden oder einen Gelenkverschleiß gezeigt und auch Anzeichen einer Nervenwurzelreizerscheinung seien nicht feststellbar gewesen. Beim Kläger bestehe eine psychische Störung. Bereits im neurologischen Gutachten von Dr. W. sei beschrieben, dass es beim Kläger persönlichkeitsabhängig zu einer Fehlverarbeitung von Schmerzen und Beschwerden komme und damit eine Fehlwahrnehmung der Eigenfunktions- und Leistungsreserven verbunden sei. Auch aus ihrer Sicht bestehe eine deutliche Diskrepanz zwischen der Darstellung der Leistungseinschränkung durch den Kläger selbst und den Beobachtungen und Befunden bei den Untersuchungen. Hierbei habe er keine Anzeichen der heftigen Schmerzen, über die er aus seinem täglichen Leben berichtet habe, gezeigt. Aus ihrer Sicht sei der Prozess inzwischen der willentlichen Steuerung des Klägers aber zumindest teilweise entglitten. Wie groß der verbliebene "willentliche" Anteil an der Symptomatik sei, vermöge sie nicht sicher zu beurteilen. Auffällig sei, dass bislang keine der psychischen Auffälligkeit entsprechende psychotherapeutische Behandlung stattgefunden habe. Dies dürfte zum großen Teil daran liegen, dass der Kläger dem psychischen Anteil der Erkrankung ablehnend gegenüber stehe und sein Wunsch nach einer medikamentösen und physiotherapeutischen Schmerzbehandlung im Vordergrund stehe. Der Kläger nehme eine Vielzahl, zum Teil sehr starker und opioidhaltiger Schmerzmittel ein; insoweit dürfte eine Schmerzmittelabhängigkeit vorliegen. Darüber hinaus leide der Kläger an einer Schuppenflechte. Am Untersuchungstag sei der Hautbefund allerdings gering gewesen. Ferner bestünden leichte Abnutzungserscheinungen in den Kniegelenken. Bei der Untersuchung seien die Knie gut beweglich gewesen und hätten wenig Auffälligkeiten gezeigt. Einschränkungen ergäben sich jedoch für kniebelastende Tätigkeiten (Hocken, Knien). In der HWS hätten sich leichtgradige Abnutzungserscheinungen an den Bandscheiben ohne relevante Beeinträchtigung der Nervenwurzeln gezeigt. Hinsichtlich der LWS hätten sich ebenfalls nur leichtgradige Veränderungen aufzeigen lassen. Seit dem Jahr 2000 leide der Kläger unter einem Diabetes mellitus, wobei die Langzeitblutzuckerwerte gut, eher etwas zu niedrig seien. Möglicherweise komme es zu nächtlichen Unterzuckerungen, was das vom Kläger beklagte nächtliche Schwitzen erklären könnte. Die Lungenfunktion habe keine relevanten Funktionsstörungen gezeigt. Die Ultraschalluntersuchung des Herzens habe einen Normalbefund ergeben. Darüber hinaus liege ein Trainingsmangel vor. Es bestehe ein Bluthochdruck, der medikamentös behandelt werde.

Der Kläger könne nur noch leichte körperliche Arbeiten, lediglich ausnahmsweise mittelschwere Tätigkeiten, überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit kurzzeitig aufzustehen, verrichten. Ein gelegentlicher Haltungswechsel sei ausreichend. Ausgeschlossen seien Akkord- oder Fließbandarbeit, Arbeiten mit erhöhten Anforderungen an die psychische Belastbarkeit, in Zwangshaltungen und in der Höhe sowie mit Hautbelastungen. Körperliche Arbeiten wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen, wie sie in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert würden, seien körperlich zumutbar, sofern die genannten Einschränkungen beachtet würden. Aus gutachterlicher Sicht sei der Kläger auch in der Lage, viermal 500 Meter täglich zurückzulegen. Hinsichtlich der Beweisfrage, ob der Kläger im Rahmen der vorgenannten Einschränkungen noch mindestens sechs bzw. mindestens drei Stunden täglich arbeiten könne, hat die Sachverständige ausgeführt, dass die Beantwortung dieser Frage sich schwierig gestalte. Von den organischen Befunden her könne der Kläger sechs Stunden und mehr täglich eine leichte Tätigkeit entsprechend dem zuvor beschriebenen Leistungsbild ausführen. Darüber hinaus sei aber erforderlich, dass die psychische Störung und die Schmerzstörung adäquat behandelt würden, wobei hierfür die Einsicht und die Mitarbeit des Klägers erforderlich seien. Aus eigener Kraft könne er einer weiteren Fixierung der Symptome jedoch nicht mehr entgegenwirken, sodass eine stationäre Rehabilitation in einer auf eine Schmerzbehandlung spezialisierten Einrichtung und im Anschluss daran eine psychotherapeutische/verhaltens-therapeutische Behandlung notwendig seien. Für ein solches Behandlungskonzept seien 12 bis 18 Monate anzusetzen, wobei der Erfolg wesentlich von der Mitwirkung des Klägers abhänge. Die Gutachterin hat nochmals darauf hingewiesen, dass aus ihrer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt ein relevanter Teil der Symptomatik der Steuerung des Klägers entglitten sei und sich dessen "Krankheitsmodell" verselbstständigt habe. Sämtliche Erkrankungen bestünden schon seit August 2002. Die Schmerzsymptomatik sei aber damals und in den Folgejahren noch nicht so stark gewesen, dass eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden bestanden habe. Die nunmehr genannte Leistungseinschätzung gelte ab dem Tag der Untersuchung durch die Gutachterin. Die Leistungseinschränkung sei nicht dauernder Natur, wenn sie adäquat behandelt werde.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 20. Januar 2011 mitgeteilt, aus der Beurteilung durch Dr. B. ergäben sich keine neuen Aspekte. Sie halte daran fest, dass der Kläger körperlich leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten könne. Der Gutachterin werde auch insoweit zugestimmt, als eine Intensivierung der Therapie des Klägers erforderlich und auch die stationäre Behandlung in einer Schmerzklinik indiziert sei. Aus welchen Gründen diese Behandlung bislang nicht durchgeführt worden sei, sei offen geblieben.

Mit am 7. März 2011 bei dem Senat eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag hat der Kläger erstmals seinen bedingten Hilfsantrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte auf die anberaumte mündliche Verhandlung in der Sache entscheiden könne. Ein ausdrücklicher Antrag auf Verlegung bzw. Vertagung des Termins ist vom anwaltlich vertretenen Kläger nicht gestellt worden. Eine Verlegung bzw. Vertagung ist auch durch den von ihm hilfsweise gestellten Antrag nach § 109 SGG nicht erforderlich geworden, da der Senat diesem Antrag nicht hat entsprechen müssen.

Der am 7. März 2011 gestellte Antrag, für den Fall, dass das Gericht der Auffassung der Beklagten folgen sollte, von Dr. S. ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, war abzulehnen. Der Senat lässt offen, ob es möglich ist, die Stellung eines Antrags von der Rechtsauffassung des Gerichts abhängig zu machen, da einerseits Anträge als Prozesshandlungen grundsätzlich bedingungsfeindlich sind, andererseits das Bundessozialgericht (BSG) in Entscheidungen im Recht der Kriegsopferversorgung in den Jahren 1962 und 1969 die hilfsweise Stellung für den Fall, dass dem Klageantrag nicht oder nicht in vollem Umfang entsprochen werde, als zulässig erachtet hat (Urteile vom 17. Juli 1962 – 8 RV 145/61 – und vom 19. Februar 1969 – 10 RV 291/67 – juris).

Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachterlich gehört werden. Das Gericht kann einen solchen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Durch die Zulassung des Antrags, von Dr. S. ein Gutachten einzuholen, wäre die Erledigung des Rechtsstreits verzögert worden, da die Streitsache nicht in dem bereits für den 10. März 2011 anberaumten Verhandlungstermin hätte entschieden werden können. Der Antrag ist zur Überzeugung des Senats zudem aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden. Als angemessene Frist, innerhalb derer ein Antrag nach § 109 SGG zu stellen ist, sind vier bis maximal sechs Wochen zu verstehen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 109 RdNr. 11 m.w.N.). Bereits mit der Übersendung des Gutachtens von Dr. B. durch die Berichterstatterin am 8. Dezember 2010 war für den anwaltlich vertretenen Kläger ersichtlich, dass nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen dem geltend gemachten Anspruch keinesfalls in vollem Umfang hätte stattgegeben werden können. Dieses Beweisergebnis wurde von der Beklagten mit Schriftsatz vom 20. Januar 2011 bekräftigt; dieser Schriftsatz wurde dem Kläger am 27. Januar 2011 zur Kenntnisnahme übersandt und der Rechtsstreit sodann mit der richterlichen Verfügung vom 9. Februar 2011, die der Kläger am 14. Februar 2011 erhalten hat, geladen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste für den rechtskundig vertretenen Kläger offensichtlich sein, dass keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen beabsichtigt waren, und er hätte sodann bei sorgfältiger Prozessführung unverzüglich den Gutachter des Vertrauens benennen müssen. Tatsächlich ist der – bedingt und hilfsweise gestellte – Antrag erst drei Tage vor dem Verhandlungstermin und damit fast drei Monate nach der Übersendung des Gutachtens von Dr. B. angekündigt worden.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage auf Weiterbewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. August 2002 hinaus abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Dem Kläger steht ein Anspruch auf Weiterbewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht zu.

Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter diesen Bedingungen mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger ist über den 31. August 2002 hinaus in der Lage gewesen, sechs Stunden und mehr täglich Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Insoweit ist nicht maßgebend, ob sich der Gesundheitszustand des Klägers nach der Bewilligung der Zeitrente verändert hat. Denn gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 SGB VI enden befristete Renten mit Ablauf der Frist. Für die Weiterbewilligung sind erneut die o.g. Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen. Hier hat diese Prüfung nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Streitverfahren zur Überzeugung des Senats ergeben, dass der Kläger noch zumindest leichte körperliche und einfache geistige Arbeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten konnte. Ausgeschlossen sind durchweg mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten, insbesondere das häufige Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Arbeiten mit häufigen einseitigen körperlichen Belastungen, wie Zwangshaltungen, Bücken, Hocken, Knien oder Überkopfarbeiten, Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und Treppen. Zudem sind Arbeiten unter Einwirkung von Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen, Nässe, Zugluft, Staub, Dampf oder Rauch und Arbeiten mit hautbelastenden Stoffen nicht zumutbar. Arbeiten in Wechsel-/ Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck oder mit häufigem Publikumsverkehr müssen vermieden werden. Zumutbar sind Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erfordern, Arbeiten, die normale Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen stellen, sowie Tätigkeiten mit zumindest einfachen Anforderungen an geistige und mnestische Fähigkeiten.

Dies ergibt sich für den Senat aus dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Streitverfahren, insbesondere aus den Gutachten von Dr. W. vom 7. August 2006 und von Dr. B. vom 24. November 2010, aus dem Rehabilitationsentlassungsbericht der B.-Klinik vom 5. Juli 2002 und den Befundberichten der behandelnden Ärzte. Danach leidet der Kläger auf orthopädischem Fachgebiet an Abnutzungserscheinungen an der Wirbelsäule und den Kniegelenken, die leicht- bis allenfalls mittelgradig ausgeprägt sind und zu den oben genannten qualitativen Leistungseinschränkungen führen. Alle Gutachter und behandelnden Ärzte haben übereinstimmend ausgeführt, dass die Gesundheitsstörungen am Haltungs- und Bewegungsapparat zu qualitativen Einschränkungen führen, nicht aber einer mindestens sechsstündigen täglichen Verrichtung leidensgerechter Arbeiten entgegenstehen.

Der auf internistischem Fachgebiet bestehende Diabetes mellitus sowie der Bluthochdruck sind medikamentös adäquat behandelt und haben bislang noch zu keinen organischen Folgeschäden geführt, die einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen. Die als Folge des Diabetes mellitus geklagten polyneuropathischen Beschwerden haben sich durch die apparativen Untersuchungen lediglich insoweit verifizieren lassen, als Missempfindungen für nachvollziehbar erachtet worden sind, die allerdings keine Auswirkungen auf die motorischen Funktionen haben und eine leidensgerechte Erwerbstätigkeit erlauben.

Die Schuppenflechte tritt saisonal auf und ist einer Salbenbehandlung bzw. einer medikamentösen Behandlung zugänglich. Sie führt allenfalls zu vorübergehenden Arbeitsunfähigkeitszeiten, aber nicht zu einem dauerhaft aufgehobenen Leistungsvermögen. Allerdings sind Arbeiten mit hautreizenden und hautbelastenden Stoffen zu vermeiden.

Die Leistungsfähigkeit des Klägers wird in erster Linie durch eine psychische Störung beeinträchtigt. Diese besteht in einer Schmerzfehlverarbeitung eines chronischen Kopfschmerzsyndroms mit Migräneattacken und eines chronischen Schmerzsyndroms des Muskel- und Bewegungsapparates. Der Senat stützt sich insoweit auch auf die Diagnosestellung durch Dr. med. habil. W. in dessen Gutachten vom 16. Januar 2002, durch Dr. W. in seinem Gutachten vom 7. August 2006 und durch Dr. B. in ihrem Gutachten vom 24. Januar 2010. Danach sind sich alle gehörten Gutachter einig, dass es eine organische Ursache für das Ausmaß der vom Kläger geklagten Schmerzen nicht gibt. Weiterhin stimmen alle gehörten Gutachter darin überein, dass der Kläger auf den – nicht bestehenden – somatischen Aspekt seiner Erkrankung fixiert ist und sein Hauptlebensinhalt in Schmerzen und Krankheiten besteht. Dies verdeutlicht auch die aus 93 Einzelpunkten bestehende Kommentierung des Gutachtens von Dr. W. Die Auswirkungen der chronischen Schmerzkrankheit auf das Leistungsvermögen beurteilt der Senat unter Zugrundelegung der Einschätzung von Dr. W. Dieser hat für den Senat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass die Schmerzstörung durch die Persönlichkeitsdisposition und die willentlich gesteuerte dysfunktionale Kognition und Abwehr des Klägers unterhalten wird und dem Kläger die Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung des Schmerzens keineswegs vollständig entglitten, sondern willentlich gesteuert ist, und es dem Kläger bei zumutbarer Willensanstrengung möglich ist, einer leidensgerechten Arbeit mindestens sechs Stunden täglich nachzugehen. Die vom Kläger vorgebrachten Einwendungen gegen das Gutachten von Dr. W. stehen der Verwertbarkeit des Gutachtens nicht entgegen. Denn zum einen hat der Kläger, worauf der Gutachter zutreffend hingewiesen hat, anamnestische Details beanstandet, die für die von Dr. W. vorgenommene Beurteilung seines aktuellen Leistungsvermögens nicht von wesentlicher Bedeutung gewesen sind. Zum anderen beziehen sich viele Einwendungen auf die Bewertungen von Dr. W., die er im Rahmen der Anamneseerhebung und Befundbeschreibungen darlegen musste, um für den Senat nachvollziehbar seine sich anschließende Leistungsbeurteilung begründen zu können. Dass der Kläger eine Vielzahl dieser Punkte anders beurteilt und bewertet als der Gutachter, gehört zu dem von allen gehörten Gutachtern diagnostizierten Krankheitsbild der Schmerzstörung und ist im Hinblick auf sein Rentenbegehren nachvollziehbar.

Aus dem Gutachten von Dr. B. vom 24. November 2010 ergibt sich nichts anderes. Auch diese Sachverständige hat klargestellt, dass dem Kläger eine leidensgerechte Arbeit aus somatischen Gründen zumutbar ist. Hinsichtlich der psychischen Störung hat sie ausgeführt, dass der willentliche und der unwillentliche Anteil der Beschwerden von ihr nicht sicher eingeschätzt werden könne. Jedenfalls seien eine stationäre Rehabilitation und eine psychotherapeutische/verhaltenstherapeutische Behandlung notwendig, um die psychische Störung und die Schmerzstörung adäquat zu behandeln. Insoweit besteht Übereinstimmung mit allen tätig gewordenen Gutachtern. Dr. B. hat in ihrem Gutachten jedoch keine eindeutige Aussage dazu treffen können, ob der Kläger bei zumutbarer Willensanstrengung die Schmerzsymptomatik willentlich insoweit beeinflussen kann, dass er regelmäßig leidensgerechte Arbeiten erbringen kann. Sie hat lediglich vermutet, dass ab der Begutachtung durch sie davon auszugehen sei, dem Kläger sei der willentliche Anteil der Steuerung zunehmend entglitten. Hierzu hat Dr. W. als Fachgutachter für psychiatrische Leiden jedoch unmissverständlich klargestellt, dass sich das "Krankheitsmodell" des Klägers noch nicht soweit verselbstständigt hat, und der Kläger tatsächlich noch zumutbar auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeiten erbringen kann. Der Senat schließt sich insoweit dieser überzeugend hergeleiteten Auffassung an. Denn Dr. W. hat umfassende psychische, psychologische, neurologische und neurophysiologische Befunde erhoben, sich mit dem Vorbringen des Klägers kritisch auseinandergesetzt und hierbei auf die erheblichen Diskrepanzen zwischen den Angaben des Klägers zu seiner Leistungsfähigkeit und den tatsächlich bestehenden Leistungsreserven hingewiesen. Insoweit ist auch von Bedeutung, dass die Angaben des Klägers nicht uneingeschränkt glaubhaft sind. Denn aus den Gesamtumständen wird deutlich, dass der Kläger sein Vorbringen anspruchsorientiert ausrichtet. So hat er im Prozesskostenhilfeverfahren den Leistungsbescheid des SGB II - Leistungsträgers vorgelegt, wonach er nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und die Ansprüche für ihn als Haushaltsvorstand berechnet worden sind. Tatsächlich ist im Verlaufe des Streitverfahrens jedoch deutlich geworden, dass der Kläger seit vielen Jahren in einer Lebensgemeinschaft lebt, seine Lebensgefährtin bereits von ihm schwanger geworden war, und nach den Angaben des Klägerbevollmächtigten im Termin erneut ein Kind vom Kläger erwartet, sowie eine Einstandsgemeinschaft insoweit besteht, als sie bereit gewesen wäre, die Kosten für das beantragte Gutachten von Dr. S. zu übernehmen.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren nicht durchzuführen. Insbesondere kam die Einholung eines Gutachtens von Dr. S. für den Senat nicht in Betracht, da sich Dr. S. als behandelnder Nervenarzt bereits in den Befundberichten vom 22. Oktober 2004 und vom 31. März 2008 zum Gesundheitszustand des Klägers geäußert hat. Er hat im Wesentlichen die gleichen Gesundheitsstörungen diagnostiziert wie Dr. W. und Dr. B.; insbesondere hat er keine neurologischen Ausfallerscheinungen der leichten Polyneuropathie bei Diabetes mellitus festgestellt und ebenso wie die gerichtlichen Sachverständigen chronifizierte Störungen bei persistierenden Schmerzen mitgeteilt. Mit seiner Beurteilung, wonach die mnestischen Fähigkeiten aufgrund der depressiven Störungen und der somatischen Schmerzstörung eingeschränkt und eine vollschichtige Tätigkeit nur mit vermehrten Pausen in Betracht komme, hat sich der gerichtliche Sachverständige Dr. W. bereits in seinem Gutachten vom 7. August 2006 eingehend auseinandergesetzt und eine Einschränkung der mnestischen Fähigkeiten nicht für gegeben erachtet. Ob eine vollschichtige Tätigkeit nur mit vermehrten Pausen verrichtet werden kann, ist zudem nicht streitentscheidend, da der gesetzliche Maßstab eine sechsstündige tägliche Arbeit ist. Schließlich kommt der Beurteilung des (Rest-)Leistungsvermögens durch den behandelnden Arzt ohnehin nur ein eingeschränkter Beweiswert zu, da das Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis einer objektiven Beurteilung grundsätzlich entgegensteht (vgl. Breitkeuz/Fichte, Kommentar zum SGG § 109 RdNr. 2; Henning, SGG-Kommentar, § 109 RdNr. 23).

Es liegt beim Kläger auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die trotz der sechsstündigen Einsetzbarkeit zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führt. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Denn das Restleistungsvermögen des Klägers reicht noch für leichte körperliche Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33f.).

Hier hat der Kläger insbesondere nicht nachgewiesen, nur noch unter betriebsunüblichen Arbeitsbedingungen tätig sein zu können. Dem Kläger ist der Arbeitsmarkt auch nicht deshalb verschlossen, weil er durch eine große Anzahl von Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht regelmäßig einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Soweit er behauptet, durch häufige Migräneanfälle und Kopfschmerzattacken nicht regelmäßig arbeiten zu können, hat Dr. W. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 9. August 2007 dargelegt, dass die Frequenz und die Dauer der attackenhaften Zuspitzungen der Kopfschmerzen aufgrund einer adäquaten medikamentösen und physikalischen Behandlung als deutlich geringer angesehen werden müsse, als vom Kläger dargestellt. Dieser Einschätzung schließt der Senat sich an, zumal die vom Kläger vorgelegten Terminlisten eindrucksvoll bestätigen, dass der Kläger mehrfach in der Woche in der Lage ist, – auch früh morgens – Termine beim Hausarzt, bei der Schmerztherapie, bei seinem Prozessbevollmächtigten usw. wahrzunehmen, und ihm deshalb im gleichen Umfang das regelmäßige Aufsuchen eines Arbeitsplatzes und das Verrichten einer sechsstündigen Tätigkeit möglich wäre.

Schließlich ist für den Kläger der Arbeitsmarkt nicht verschlossen, weil es ihm an der so genannten Wegefähigkeit gefehlt hätte. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 Meter mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Mobilitätshilfen benutzen kann. Dann gilt die Erwerbsfähigkeit als nicht in beachtlichem Maße eingeschränkt und die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit ist nicht erforderlich. Ist ein Arbeitsplatz auf andere Art als zu Fuß erreichbar, z.B. mit einem eigenen Kraftfahrzeug bzw. mit einem Fahrrad, ist der Arbeitsmarkt ebenfalls nicht verschlossen (BSG, Urt. v. 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, SozR-2200 § 1247 RVO Nr. 10). Das Gehvermögen des Klägers ist nach übereinstimmender Beurteilung aller gehörten Ärzte und Gutachter nicht eingeschränkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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