Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 9 P 120/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 P 4/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 9. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen auf Pflegegeld nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI).
Der am ... 1943 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) pflegeversichert. Während seines Aufenthaltes im M.-C. Reha-Zentrum B. D. beantragte er die Gewährung von Pflegegeld und anderen Leistungen u.a. wegen Multipler Ischämien, Zustand nach Hirninfarkt, Hemiparese rechts, Ataxie, Arterieller Hypertonie sowie Angst- und Panikstörungen. Am 29. November 2012 führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung S. (MDK) durch die Pflegefachkraft P. eine Begutachtung mit folgendem Ergebnis durch: Der Versicherte wohne in einem Einfamilienhaus in Z. (bei Zeitz). Die Wohnräume habe er nur zum Teil gezeigt, da diese bei einem Einbruch während seines Aufenthaltes in der Reha-Einrichtung in B. verwüstet worden seien. Unter anderem seien ihm das Blutdruckmessgerät, der Rollator und das Telefon entwendet worden. Derzeit schlafe er im Wohnzimmer auf einer Schlafcouch oder bei seiner geschiedenen Ehefrau, die, genau wie der Sohn, in L. wohnhaft seien. Seit dem Einbruch wohne er überwiegend bei der geschiedenen Ehefrau, bis das Haus wieder bewohnbar sei. Nach seinen Angaben könne der Antragsteller im Haushalt nichts mehr machen und sei auch im Bereich der Grundpflege auf Hilfe angewiesen. Das Gangbild sei langsam und kleinschrittig, wobei eine leichte Ataxie bestehe und das rechte Bein etwas nachgezogen werde. Der Antragsteller nutze zwei Unterarmstützen. Positionswechsel und verschiedene Handgriffe könne er noch langsam ausführen. Er habe angegeben, sich das Gesäß nicht mehr reinigen zu können. Kurz danach habe er, als er sich unbeobachtet fühlte, mit der rechten Hand an das Gesäß gefasst. Bei der Demonstration seien der Faustschluss und die Greiffunktion nur eingeschränkt möglich gewesen. Demgegenüber habe der Antragsteller, wenn er sich unbeobachtet glaubte, ein höheres Leistungsvermögen in beiden Bereichen gezeigt. Eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung bestehe nicht, so dass die Alltagskompetenz nicht erheblich eingeschränkt sei. Für die Ganzkörperwäsche sowie das Baden sei ein Pflegebedarf von 9 Minuten anzusetzen. Der Antragsteller könne sich Hände, Gesicht, vorderen Oberkörper sowie Beine und Intimbereich selbst waschen, während die Pflegeperson den Rücken, das Gesäß sowie die Füße waschen müsse. Zahnpflege, Kämmen sowie Trockenrasur erfolgten eigenständig. Für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung seien 4 Minuten anzusetzen. Bezüglich der Mobilität bestehe ein Grundpflegebedarf von 7 Minuten. Hierbei sei ein Grundpflegebedarf bei enger Bekleidung, dem Wäschewechsel sowie dem wöchentlichen Wannentransfer anzusetzen. Bezogen auf den Grundpflegebedarf ergebe dies zusammenfassend einen Pflegeaufwand von 20 Minuten, während für die hauswirtschaftliche Versorgung 45 Minuten festzustellen seien. Mit Bescheid vom 3. Dezember 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung unter Hinweis auf das Gutachten ab.
Hiergegen hat der Antragsteller am 10. Dezember 2012 einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Halle (SG) beantragt und ergänzend geltend gemacht: Er könne nicht drei Jahre warten, bis geklärt sei, ob ein Anspruch bestehe oder nicht. Er drohe zu verwahrlosen, zu verhungern und zu sterben wenn er keine Hilfe bekomme. Die vom MDK ermittelten Pflegezeiten seien zu gering. So vergesse er wegen einer Einschränkung des Kurzzeitgedächtnisses die Tabletteneinnahme. Auch könne er sich nicht mehr rasieren, den Rücken waschen oder in die Dusche gelangen. Auch für den Toilettengang benötige er eine Begleitung. Aus der Badewanne komme er alleine nicht mehr hoch. Er benötige präventive Leistungen, damit er nicht verunglücke, sowie Psychotherapie und technische Hilfen in seinem Wohnumfeld. Er bade sich jeden Tag und wechsle die Wäsche täglich. Auch müsse für ihn jeden Tag zwei Mal gekocht werden. Er könne bei seiner geschiedenen Ehefrau so lange wohnen, bis sein Haus wieder bewohnbar sei. Wenn der Kühlschrank sowie der Elektroherd wieder da seien, werde er wieder in Z. wohnen. Sein Sohn solle als Pflegeperson aufgenommen werden, da er Zeit habe und nicht arbeite. Ergänzend hat der Antragsteller weitere medizinische Unterlagen vorgelegt. In einem Arztbrief des Direktors der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums L. Professor Dr. C. vom 2. August 2012 wird über einen stationären Aufenthalt des Antragstellers vom 25. bis 31. Juli 2012 berichtet. Hiernach habe sich die Gangstörung im Verlauf des Aufenthalts deutlich gebessert. Bereits am zweiten Tag nach der Aufnahme habe der Antragsteller auf die Unterarmgehstützen verzichten können und habe sich problemlos auf der Station bewegt. Chefarzt Dr. V. von der Klinik für Neurologie des Fachkrankenhauses A. berichtete über einen stationären Aufenthalt vom 24. September bis 2. Oktober 2012. Die Gangstörung sei am ehesten funktionell zu erklären. Unter psychotherapeutischer Behandlung habe sich das Beschwerdebild gebessert. Aufgrund einer Angst- und Panikstörung im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung (Raubüberfall im Supermarkt) sei eine stationäre Therapie zu empfehlen. Chefarzt Dr. W. (M.-C. Reha Zentrum B. D. ) berichtete am 16. November 2012 über ein stationären Aufenthalt des Antragstellers vom 15. Oktober bis 17. November 2012. Der Antragsteller habe über Angst- und Panikzustände nach einem Fahrradunfall sowie nach einem Raubüberfall im Supermarkt im Jahr 2010 berichtet. Das Gangbild sei schwankend, wobei das rechte Bein nachgezogen werde. In psychischer Hinsicht sei er gut orientiert. Insgesamt wirke der Antragsteller emotional durch Krankheits- und Zukunftsängste sowie Schlafstörungen und Angstattacken belastet. Es bestehe eine wechselseitige Verstärkung zwischen körperlicher Symptomatik und einer Angststörung. Psychisch sei der Antragsteller wenig belastbar und verfüge über unzureichende Kompetenzen zur Regulation von emotionalen Belastungssituationen. Eine ambulante bzw. stationäre psychotherapeutische Behandlung sei daher dringend zu empfehlen. Im Rahmen der Einzelkrankengymnastik sei das Gleichgewicht und das Gangbild trainiert worden. Hierbei sei bereits bei der Aufnahmeuntersuchung ein Muskelabbau an den unteren Extremitäten insbesondere im Bereich der Oberschenkel aufgefallen. Im Haus sowie im Außenbereich laufe der Antragsteller Wegstrecken ohne Gehhilfe. Das Gangbild sei trotz aller Bemühungen unsicher geblieben. Der Antragsteller habe sich große Sorgen gemacht, in die Häuslichkeit zurückzukehren, was teilweise einen wahnhaften Charakter angenommen habe. Für die weitere Alltagsbewältigung wie z.B. Wohnung aufräumen, Einkaufen. Essensvorbereitung, Medikamentengabe benötige er Hilfe. Bei Rückkehr in die häusliche Umgebung müsse geprüft werden, ob Umbaumaßnahmen notwendig seien.
Das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 9. Januar 2013 abgelehnt, da ein Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von mehr als 45 Minuten täglich nicht festzustellen sei. Bereits ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Nach dem vorliegenden MDK-Gutachten verfehle der Antragsteller die notwendige Grenze im Grundpflegebedarf deutlich. Die angegebenen Einschränkungen beim Rasieren, Duschen und den Toilettengängen seien nicht glaubhaft. Aus dem Reha-Bericht sei in erster Linie eine Hilfe bei der Essensbereitung und dem Treppensteigen abzuleiten.
Gegen den ihm am 11. Januar 2013 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 23. Januar 2013 Beschwerde erhoben sowie die Durchführung des Hauptsacheverfahrens beantragt und ergänzend ausgeführt: Zu Unrecht sei das SG vom MDK-Gutachten ausgegangen, ohne es kritisch zu überprüfen. Hierbei sei der Richter verpflichtet, sich Hilfe bei unabhängigen Ärzten zu suchen. Er sei hilfebedürftig und aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, einen Prozess zu führen. Die Rente sei zu gering, um die Pflegekosten zu zahlen. Die Antragsgegnerin mache sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, wenn sie das Pflegegeld nicht zahle. Bereits in dem vorgehenden MDK-Pflegegutachten vom 4. Juli 2006 seien 27 Minuten Grundpflege festgestellt worden. Hiernach solle sich der Pflegebedarf nach dem aktuellen Pflegegutachten verringert haben, was angesichts der Auswirkungen von zwei Schlaganfällen nicht stimmen könne.
Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 9. Januar 2013 aufzuheben und die Antragsgegnerin einstweilen längstens bis zum Eintritt der Rechtskraft des Bescheides vom 3. Dezember 2012 zu verpflichten, an ihn Pflegegeld nach der Pflegestufe II, hilfsweise nach der Pflegestufe I zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält ihre ablehnende Entscheidung sowie den angegriffenen Beschluss für rechtmäßig.
Der Berichterstatter hat gegenüber dem Antragsteller Zweifel geäußert, ob eine geeignete Grundpflegehilfe bestehe, da der potentielle Pflegehelfer in L. wohne. Zudem seien existenzielle Gefährdungen grundsätzlich durch die Sozialhilfe und nicht durch das Pfleggeld abgesichert. Im eigenen Interesse solle sich der Antragsteller umgehend mit seinem zuständigen Sozialhilfeträger in Verbindung setzen.
Hierauf hat der Antragsteller vorgetragen: Seine Grundpflege sei in geeigneter Weise sichergestellt, wobei es unerheblich sei, dass die Pflegeperson in L. wohne. So könne er notfalls besuchsweise nach L. transportiert werden, was schließlich nicht verboten sei. Er sei nicht an das Bett gebunden, könne aufstehen und sich mit Hilfe bewegen. Leistungen der Sozialhilfe wolle er nicht in Anspruch nehmen, da er nicht im Heim leben oder von fremden Personen gepflegt werden wolle. Bei der Berechnung der Pflegezeiten sei seine psychische Erkrankung nicht berücksichtigt worden. Er brauche Begleitung zur Toilette, habe Probleme, sich zu säubern und müsse ein bis zwei Mal täglich in der Wanne abgeduscht werden. Auch benötige er Hilfe, um in die Badewanne zu gelangen, von der Toilette hochzukommen und für das Treppensteigen sowie Rasieren. Er könne nicht mehr kochen, Wäsche waschen und bügeln. Das Essen müsse mundgerecht zubereitet werden. Auch könne er sich die Knöpfe nicht zumachen oder die Schnürsenkel zubinden. Die rechte Schulter sei kaputt und schmerze.
Nachdem der Berichterstatter die Betreuungsbehörde des Burgenlandkreises über den Sachverhalt informiert hat, hat diese am 1. März 2013 mitgeteilt: Am 11. Februar 2013 habe der Sozialpsychiatrische Dienst den Antragsteller unangemeldet besucht. Das Hoftor sei verschlossen und der Antragsteller nicht anwesend gewesen. Trotz Anmeldung sei der Antragsteller auch am 14. Februar 2013 nicht angetroffen worden. Nach einem amtlichen Anschreiben sei ein erneuter Besuch für den 18. Februar 2013 angekündigt worden. An diesem Tag seien der Antragsteller, seine Ehefrau sowie sein Sohn anwesend gewesen. Der Antragsteller habe angegeben, er wohne wegen des Einbruchsschadens derzeit in L. Die Einleitung eines Betreuungsverfahrens habe er abgelehnt. Der Antragsteller habe zwar körperliche Einschränkungen, jedoch keine Anzeichen für eine Verwahrlosung sowie eine Mangelernährung gezeigt.
Auf Vorhalt des Berichterstatter hat der Antragsteller ergänzend ausgeführt: Eine existenzielle Gefährdung trete in dem Moment ein, in dem er nicht mehr in der Lage sei, seine Pflege zu organisieren. Rein vorsorglich werde daher das Pflegegeld im Wege des einstweiligen Verfahrens begehrt. Er fürchte wegen seiner gesundheitlichen Probleme, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht mehr zu erleben. Er lebe zu Hause und dürfe verreisen, wohin er wolle. Die Fachärzte und Therapeuten könnten bestätigen, dass er psychisch krank sei und Pflege benötige. Die Einbruchsschäden im Haus seien mittlerweile beseitigt worden.
Die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin hat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des SG Halle vom 9. Januar 2013 ist nach § 172 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, denn das Sozialgericht hat den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der genannten Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).
Hier kommt, da es um die Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Eine solche Regelungsanordnung kann vom Gericht erlassen werden, wenn der Antragsteller glaubhaft macht (§ 920 Zivilprozessordnung [ZPO] i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG), dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und dass der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche, in § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG näher gekennzeichnete Nachteile erleidet (Anordnungsgrund). Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf das materielle Recht des Antragsstellers. Eine einstweilige Anordnung kann nicht ergehen, wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, weil dann ein im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens schützenswertes Recht des Antragstellers nicht vorhanden ist. Der Anordnungsgrund setzt voraus, dass dem Antragsteller bei Abwägung seiner Interessen gegen die Interessen des Antragsgegners nicht zugemutet werden kann, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Vielmehr verringern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, wenn die Klage offensichtlich zulässig und begründet ist. Bei offenem Ausgang der Hauptsache ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Abzuwägen sind die Folgen, die auf der einen Seite entstehen, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erlässt und sich später im Hauptsacheverfahren der geltend gemachte Anspruch des Antragstellers herausstellt und auf der anderen Seite die Folgen, die entstehen, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erlässt, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht (vgl. zum Ganzen Keller in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., 2012, § 86b Rn. 29 ff. m. w. N.).
Die in tatsächlicher (Glaubhaftmachung) wie in rechtlicher Hinsicht (summarische Prüfung) herabgesetzten Anforderungen für die Annahme eines Anordnungsanspruchs korrespondieren dabei mit dem Gewicht der glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteile. Drohen im Einzelfall ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (st. Rspr. vgl. BVerfG vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – BVerfGE 5, 237).
In Anwendung dieser Grundsätze hat das Begehren des Antragstellers keinen Erfolg. Denn nach dem derzeitigen Erkenntnisstand sind die Erfolgsaussichten für die mit der Hauptsache begehrten Leistungen nach der Pflegestufe II oder I gering. Vom Vorliegen eines Anordnungsanspruchs kann daher nicht ausgegangen werden (dazu 1.) und auch für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes fehlen hinreichende Anhaltspunkte (dazu 2.).
1. Ein Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) voraus, dass der Pflegebedürftige bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XI muss der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.
Ein Anspruch auf Leistungen nach der Pflegestufe II setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI voraus, dass der Pflegebedürftige bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der hierfür erforderliche Zeitaufwand muss nach § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XI mindestens drei Stunden täglich betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen müssen.
Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen erfüllt der Antragsteller bereits nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe I, da nicht ersichtlich ist, dass er im Bereich der Grundpflege einen Pflegebedarf von mehr als 45 Minuten täglich hat. Der vom MDK im Gutachten vom 29. November 2012 festgestellte Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 20 Minuten täglich bleibt deutlich hinter dem gesetzlich für die Zuerkennung der Pflegestufe I erforderlichen Maß von mehr als 45 Minuten täglich zurück. Das nachvollziehbare und schlüssig begründete Gutachten lässt keine erheblichen Mängel erkennen.
Es bestehen beim Pflegebedarf des Antragstellers auch einige Ungereimtheiten, weil er widersprüchliche Angaben gemacht hat. Beispielsweise hat er angegeben, sich das Gesäß nicht mehr säubern zu können, war jedoch nach der Wahrnehmung der MDK-Gutachterin in der Lage, entsprechende Bewegungen auszuführen. Gleiches gilt für den Faustschluss sowie die Greiffunktion. Mit seiner Beschwerde macht er geltend gesundheitlich nicht in der Lage zu sein, einen Prozess zu führen und hat gegenüber dem SG vorgetragen, er drohe zu verwahrlosen, zu verhungern und zu sterben. Eine so dramatische Pflegesituation besteht aber offenbar auch nicht annähernd, wie sich aus den Feststellungen der Betreuungsbehörde ergibt. Auch nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen ist er ausreichend gehfähig (vgl. Reha-Bericht vom 16. November 2012). Nach dem MDK-Gutachten vom 29. November 2012 hat die Pflegefachkraft P. sowohl die physischen und psychischen Beeinträchtigungen des Antragstellers als auch seine noch vorhandenen Ressourcen geprüft und den daraus resultierenden Hilfebedarf für die täglichen Verrichtungen ausführlich und überzeugend begründet. Die Beurteilung des erforderlichen Zeitaufwands für eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson von 20 Minuten täglich für die Grundpflege scheint unter Berücksichtigung der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches (Begutachtungs-Richtlinien) jedenfalls nicht unangemessen. Hierzu wird auch auf die zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Beschlusses Bezug genommen.
Der Antragsteller hat keine offensichtlichen und nach Aktenlage nachprüfbaren Fehler im Gutachten vortragen können. Auch das ältere MDK-Gutachten vom 4. Juli 2006 widerlegt keineswegs das MDK-Gutachten vom 29. November 2012. Derartige Gutachten sind jeweils Momentaufnahmen einer Pflegebewertung und von den persönlichen Einschätzungen eines Pflegegutachters abhängig. Mit dem von der Pflegefachkraft Piesche ermittelten Grundpflegebedarf von 20 Minuten ist der Antragsteller von der maßgeblichen Grenze von 46 Minuten so weit entfernt, dass er die maßgebliche Grenze selbst bei eventuellen Zeitzuschlägen nicht erreichen kann. Die Pflegestufe II kommt deshalb erst recht in Betracht.
Die fachliche Kompetenz der Pflegefachkraft und der Umstand, dass das Gutachten nach einer Untersuchung des Antragstellers in seinem häuslichen Umfeld erstellt worden ist, sprechen für seinen hohen Beweiswert. Gegenteiliges ist aus den weiteren medizinischen Befunden nicht ableitbar. Auch nach den vorliegenden medizinischen Befunden zeigten sich beim Antragsteller erhebliche Leistungsschwankungen, die offenbar funktional bedingt waren (vgl. Sächsisches Krankenhaus A. vom 2. Oktober 2012). Auch hat der Antragsteller kein Pflegetagebuch vorgelegt, was seinen behaupteten Grundpflegebedarf nachvollziehbar erläutern könnte. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand bestehen daher für die Hauptsache nur geringe Erfolgsaussichten.
2. Damit ist auch ein Anordnungsgrund nicht gegeben. Nachdem der Pflegebedarf des Antragstellers so deutlich hinter den gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch zurückbleibt, sind an den Anordnungsgrund erhebliche Anforderungen zu stellen. Ohne den Erlass der begehrten Anordnung müssen dem Antragsteller schwerwiegende Nachteile drohen, um den Anspruch trotz der geringen Erfolgsaussichten der Hauptsache – wenn auch nur vorläufig – gewähren zu können. Dies setzt eine erhebliche Gefährdung von wesentlichen oder grundgesetzlich geschützten Rechtsgütern wie Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Menschenwürde o. ä. voraus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.2.2009 – 1 BvR 120/09, NZS 2009, 674, sowie LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 24.4.2003 – L 3 KN 1/03 P ER, zitiert nach juris). Eine solche Gefahrenlage ist nicht glaubhaft gemacht.
Die Pflegeversicherung ist konzeptionell nicht als Vollversicherung angelegt. Der Gesetzgeber hat vielmehr bewusst Deckungslücken der Pflegeversicherung in Kauf genommen. So werden beispielsweise auch für einen unbedingt notwendigen Pflegebedarf, der unterhalb von 90 Minuten täglich bleibt oder der nur die hauswirtschaftliche Versorgung betrifft, weder Pflegegeld noch Pflegesachleistungen gewährt und zwischen den einzelnen Stufen der Pflegebedürftigkeit erfolgt keine linear ansteigende Leistungsgewährung. Pflegebedürftige, die mit den Leistungen der Pflegeversicherung ihren Pflegebedarf nicht vollständig decken können, haben diesen mit eigenen Mitteln abzudecken oder können hierfür unter weiteren Voraussetzungen Leistungen des Sozialhilfeträgers in Anspruch nehmen. Der Gesetzgeber hat die Versicherten insoweit bewusst auf ihre Eigenverantwortung bzw. auf sozialhilferechtliche Vorschriften verwiesen und es damit auch in Kauf genommen, dass Versicherte ggf. wegen ihrer Pflegebedürftigkeit auf Leistungen des Sozialhilfeträgers angewiesen sind. Dies wird an entsprechenden Regelungen im Sozialhilferecht zur Hilfe zur Pflege deutlich (vgl. hierzu §§ 61 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe [SGB XII]). Daher kann es sich nicht um eine schwere und unzumutbare Beeinträchtigung handeln, wenn Versicherte in diesem Bereich bis zu einer Hauptsachentscheidung darauf verwiesen werden, mit ihrem eigenen Einkommen und Vermögen bzw. im Bedarfsfall mittels Leistungen des Sozialhilfeträgers für das verbleibende Risiko aufzukommen.
Leistungen nach dem SGB XII hat der Antragsteller abgelehnt, was gegen seine existenzielle Gefährdung spricht. Da nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen der von dem Antragsteller geltend gemachte Anspruch gegen die Pflegeversicherung aber nicht in Betracht kommt und eine weitergehende Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, bleibt für eine zusprechende Entscheidung kein Raum. Andernfalls wäre jedes Verfahren auf Erteilung oder Erhöhung einer Pflegestufe im einstweiligen Rechtschutzverfahren vollständig aufzuklären, was aber dem Zweck eines Eilverfahrens nicht gerecht werden kann.
Aus diesem Grund hält der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG´s (Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237) eine Orientierung an den Erfolgsaussichten bei der vorliegenden Sach- und Rechtslage für angemessen. Denn es liegen schon jetzt umfangreiche und nachvollziehbare Ermittlungsergebnisse vor, die jedenfalls für eine vorläufige Einschätzung ausreichen. Bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann der Antragsteller jederzeit einen neuen Antrag bei an der Antragsgegnerin stellen.
Der Senat hat von einer Beiladung und möglichen Verpflichtung des zuständigen Sozialhilfeträgers im Wege der einstweiligen Anordnung abgesehen, da diesbezüglich die Durchführung des Verwaltungsverfahrens der einfachere und schnellere Weg ist (vgl. zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis vor Kontakt mit dem Leistungserbringer: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15.1.2009, L 7 B 398/08 AS, zitiert nach juris). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der zuständige Sozialhilfeträger des Antragstellers zustehende Leistungen nicht bewilligen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Leistungen auf Pflegegeld nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI).
Der am ... 1943 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) pflegeversichert. Während seines Aufenthaltes im M.-C. Reha-Zentrum B. D. beantragte er die Gewährung von Pflegegeld und anderen Leistungen u.a. wegen Multipler Ischämien, Zustand nach Hirninfarkt, Hemiparese rechts, Ataxie, Arterieller Hypertonie sowie Angst- und Panikstörungen. Am 29. November 2012 führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung S. (MDK) durch die Pflegefachkraft P. eine Begutachtung mit folgendem Ergebnis durch: Der Versicherte wohne in einem Einfamilienhaus in Z. (bei Zeitz). Die Wohnräume habe er nur zum Teil gezeigt, da diese bei einem Einbruch während seines Aufenthaltes in der Reha-Einrichtung in B. verwüstet worden seien. Unter anderem seien ihm das Blutdruckmessgerät, der Rollator und das Telefon entwendet worden. Derzeit schlafe er im Wohnzimmer auf einer Schlafcouch oder bei seiner geschiedenen Ehefrau, die, genau wie der Sohn, in L. wohnhaft seien. Seit dem Einbruch wohne er überwiegend bei der geschiedenen Ehefrau, bis das Haus wieder bewohnbar sei. Nach seinen Angaben könne der Antragsteller im Haushalt nichts mehr machen und sei auch im Bereich der Grundpflege auf Hilfe angewiesen. Das Gangbild sei langsam und kleinschrittig, wobei eine leichte Ataxie bestehe und das rechte Bein etwas nachgezogen werde. Der Antragsteller nutze zwei Unterarmstützen. Positionswechsel und verschiedene Handgriffe könne er noch langsam ausführen. Er habe angegeben, sich das Gesäß nicht mehr reinigen zu können. Kurz danach habe er, als er sich unbeobachtet fühlte, mit der rechten Hand an das Gesäß gefasst. Bei der Demonstration seien der Faustschluss und die Greiffunktion nur eingeschränkt möglich gewesen. Demgegenüber habe der Antragsteller, wenn er sich unbeobachtet glaubte, ein höheres Leistungsvermögen in beiden Bereichen gezeigt. Eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung bestehe nicht, so dass die Alltagskompetenz nicht erheblich eingeschränkt sei. Für die Ganzkörperwäsche sowie das Baden sei ein Pflegebedarf von 9 Minuten anzusetzen. Der Antragsteller könne sich Hände, Gesicht, vorderen Oberkörper sowie Beine und Intimbereich selbst waschen, während die Pflegeperson den Rücken, das Gesäß sowie die Füße waschen müsse. Zahnpflege, Kämmen sowie Trockenrasur erfolgten eigenständig. Für die mundgerechte Zubereitung der Nahrung seien 4 Minuten anzusetzen. Bezüglich der Mobilität bestehe ein Grundpflegebedarf von 7 Minuten. Hierbei sei ein Grundpflegebedarf bei enger Bekleidung, dem Wäschewechsel sowie dem wöchentlichen Wannentransfer anzusetzen. Bezogen auf den Grundpflegebedarf ergebe dies zusammenfassend einen Pflegeaufwand von 20 Minuten, während für die hauswirtschaftliche Versorgung 45 Minuten festzustellen seien. Mit Bescheid vom 3. Dezember 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung unter Hinweis auf das Gutachten ab.
Hiergegen hat der Antragsteller am 10. Dezember 2012 einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Halle (SG) beantragt und ergänzend geltend gemacht: Er könne nicht drei Jahre warten, bis geklärt sei, ob ein Anspruch bestehe oder nicht. Er drohe zu verwahrlosen, zu verhungern und zu sterben wenn er keine Hilfe bekomme. Die vom MDK ermittelten Pflegezeiten seien zu gering. So vergesse er wegen einer Einschränkung des Kurzzeitgedächtnisses die Tabletteneinnahme. Auch könne er sich nicht mehr rasieren, den Rücken waschen oder in die Dusche gelangen. Auch für den Toilettengang benötige er eine Begleitung. Aus der Badewanne komme er alleine nicht mehr hoch. Er benötige präventive Leistungen, damit er nicht verunglücke, sowie Psychotherapie und technische Hilfen in seinem Wohnumfeld. Er bade sich jeden Tag und wechsle die Wäsche täglich. Auch müsse für ihn jeden Tag zwei Mal gekocht werden. Er könne bei seiner geschiedenen Ehefrau so lange wohnen, bis sein Haus wieder bewohnbar sei. Wenn der Kühlschrank sowie der Elektroherd wieder da seien, werde er wieder in Z. wohnen. Sein Sohn solle als Pflegeperson aufgenommen werden, da er Zeit habe und nicht arbeite. Ergänzend hat der Antragsteller weitere medizinische Unterlagen vorgelegt. In einem Arztbrief des Direktors der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums L. Professor Dr. C. vom 2. August 2012 wird über einen stationären Aufenthalt des Antragstellers vom 25. bis 31. Juli 2012 berichtet. Hiernach habe sich die Gangstörung im Verlauf des Aufenthalts deutlich gebessert. Bereits am zweiten Tag nach der Aufnahme habe der Antragsteller auf die Unterarmgehstützen verzichten können und habe sich problemlos auf der Station bewegt. Chefarzt Dr. V. von der Klinik für Neurologie des Fachkrankenhauses A. berichtete über einen stationären Aufenthalt vom 24. September bis 2. Oktober 2012. Die Gangstörung sei am ehesten funktionell zu erklären. Unter psychotherapeutischer Behandlung habe sich das Beschwerdebild gebessert. Aufgrund einer Angst- und Panikstörung im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung (Raubüberfall im Supermarkt) sei eine stationäre Therapie zu empfehlen. Chefarzt Dr. W. (M.-C. Reha Zentrum B. D. ) berichtete am 16. November 2012 über ein stationären Aufenthalt des Antragstellers vom 15. Oktober bis 17. November 2012. Der Antragsteller habe über Angst- und Panikzustände nach einem Fahrradunfall sowie nach einem Raubüberfall im Supermarkt im Jahr 2010 berichtet. Das Gangbild sei schwankend, wobei das rechte Bein nachgezogen werde. In psychischer Hinsicht sei er gut orientiert. Insgesamt wirke der Antragsteller emotional durch Krankheits- und Zukunftsängste sowie Schlafstörungen und Angstattacken belastet. Es bestehe eine wechselseitige Verstärkung zwischen körperlicher Symptomatik und einer Angststörung. Psychisch sei der Antragsteller wenig belastbar und verfüge über unzureichende Kompetenzen zur Regulation von emotionalen Belastungssituationen. Eine ambulante bzw. stationäre psychotherapeutische Behandlung sei daher dringend zu empfehlen. Im Rahmen der Einzelkrankengymnastik sei das Gleichgewicht und das Gangbild trainiert worden. Hierbei sei bereits bei der Aufnahmeuntersuchung ein Muskelabbau an den unteren Extremitäten insbesondere im Bereich der Oberschenkel aufgefallen. Im Haus sowie im Außenbereich laufe der Antragsteller Wegstrecken ohne Gehhilfe. Das Gangbild sei trotz aller Bemühungen unsicher geblieben. Der Antragsteller habe sich große Sorgen gemacht, in die Häuslichkeit zurückzukehren, was teilweise einen wahnhaften Charakter angenommen habe. Für die weitere Alltagsbewältigung wie z.B. Wohnung aufräumen, Einkaufen. Essensvorbereitung, Medikamentengabe benötige er Hilfe. Bei Rückkehr in die häusliche Umgebung müsse geprüft werden, ob Umbaumaßnahmen notwendig seien.
Das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 9. Januar 2013 abgelehnt, da ein Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von mehr als 45 Minuten täglich nicht festzustellen sei. Bereits ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Nach dem vorliegenden MDK-Gutachten verfehle der Antragsteller die notwendige Grenze im Grundpflegebedarf deutlich. Die angegebenen Einschränkungen beim Rasieren, Duschen und den Toilettengängen seien nicht glaubhaft. Aus dem Reha-Bericht sei in erster Linie eine Hilfe bei der Essensbereitung und dem Treppensteigen abzuleiten.
Gegen den ihm am 11. Januar 2013 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 23. Januar 2013 Beschwerde erhoben sowie die Durchführung des Hauptsacheverfahrens beantragt und ergänzend ausgeführt: Zu Unrecht sei das SG vom MDK-Gutachten ausgegangen, ohne es kritisch zu überprüfen. Hierbei sei der Richter verpflichtet, sich Hilfe bei unabhängigen Ärzten zu suchen. Er sei hilfebedürftig und aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, einen Prozess zu führen. Die Rente sei zu gering, um die Pflegekosten zu zahlen. Die Antragsgegnerin mache sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, wenn sie das Pflegegeld nicht zahle. Bereits in dem vorgehenden MDK-Pflegegutachten vom 4. Juli 2006 seien 27 Minuten Grundpflege festgestellt worden. Hiernach solle sich der Pflegebedarf nach dem aktuellen Pflegegutachten verringert haben, was angesichts der Auswirkungen von zwei Schlaganfällen nicht stimmen könne.
Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 9. Januar 2013 aufzuheben und die Antragsgegnerin einstweilen längstens bis zum Eintritt der Rechtskraft des Bescheides vom 3. Dezember 2012 zu verpflichten, an ihn Pflegegeld nach der Pflegestufe II, hilfsweise nach der Pflegestufe I zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält ihre ablehnende Entscheidung sowie den angegriffenen Beschluss für rechtmäßig.
Der Berichterstatter hat gegenüber dem Antragsteller Zweifel geäußert, ob eine geeignete Grundpflegehilfe bestehe, da der potentielle Pflegehelfer in L. wohne. Zudem seien existenzielle Gefährdungen grundsätzlich durch die Sozialhilfe und nicht durch das Pfleggeld abgesichert. Im eigenen Interesse solle sich der Antragsteller umgehend mit seinem zuständigen Sozialhilfeträger in Verbindung setzen.
Hierauf hat der Antragsteller vorgetragen: Seine Grundpflege sei in geeigneter Weise sichergestellt, wobei es unerheblich sei, dass die Pflegeperson in L. wohne. So könne er notfalls besuchsweise nach L. transportiert werden, was schließlich nicht verboten sei. Er sei nicht an das Bett gebunden, könne aufstehen und sich mit Hilfe bewegen. Leistungen der Sozialhilfe wolle er nicht in Anspruch nehmen, da er nicht im Heim leben oder von fremden Personen gepflegt werden wolle. Bei der Berechnung der Pflegezeiten sei seine psychische Erkrankung nicht berücksichtigt worden. Er brauche Begleitung zur Toilette, habe Probleme, sich zu säubern und müsse ein bis zwei Mal täglich in der Wanne abgeduscht werden. Auch benötige er Hilfe, um in die Badewanne zu gelangen, von der Toilette hochzukommen und für das Treppensteigen sowie Rasieren. Er könne nicht mehr kochen, Wäsche waschen und bügeln. Das Essen müsse mundgerecht zubereitet werden. Auch könne er sich die Knöpfe nicht zumachen oder die Schnürsenkel zubinden. Die rechte Schulter sei kaputt und schmerze.
Nachdem der Berichterstatter die Betreuungsbehörde des Burgenlandkreises über den Sachverhalt informiert hat, hat diese am 1. März 2013 mitgeteilt: Am 11. Februar 2013 habe der Sozialpsychiatrische Dienst den Antragsteller unangemeldet besucht. Das Hoftor sei verschlossen und der Antragsteller nicht anwesend gewesen. Trotz Anmeldung sei der Antragsteller auch am 14. Februar 2013 nicht angetroffen worden. Nach einem amtlichen Anschreiben sei ein erneuter Besuch für den 18. Februar 2013 angekündigt worden. An diesem Tag seien der Antragsteller, seine Ehefrau sowie sein Sohn anwesend gewesen. Der Antragsteller habe angegeben, er wohne wegen des Einbruchsschadens derzeit in L. Die Einleitung eines Betreuungsverfahrens habe er abgelehnt. Der Antragsteller habe zwar körperliche Einschränkungen, jedoch keine Anzeichen für eine Verwahrlosung sowie eine Mangelernährung gezeigt.
Auf Vorhalt des Berichterstatter hat der Antragsteller ergänzend ausgeführt: Eine existenzielle Gefährdung trete in dem Moment ein, in dem er nicht mehr in der Lage sei, seine Pflege zu organisieren. Rein vorsorglich werde daher das Pflegegeld im Wege des einstweiligen Verfahrens begehrt. Er fürchte wegen seiner gesundheitlichen Probleme, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht mehr zu erleben. Er lebe zu Hause und dürfe verreisen, wohin er wolle. Die Fachärzte und Therapeuten könnten bestätigen, dass er psychisch krank sei und Pflege benötige. Die Einbruchsschäden im Haus seien mittlerweile beseitigt worden.
Die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin hat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des SG Halle vom 9. Januar 2013 ist nach § 172 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, denn das Sozialgericht hat den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der genannten Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG).
Hier kommt, da es um die Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Eine solche Regelungsanordnung kann vom Gericht erlassen werden, wenn der Antragsteller glaubhaft macht (§ 920 Zivilprozessordnung [ZPO] i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG), dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und dass der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche, in § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG näher gekennzeichnete Nachteile erleidet (Anordnungsgrund). Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf das materielle Recht des Antragsstellers. Eine einstweilige Anordnung kann nicht ergehen, wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, weil dann ein im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens schützenswertes Recht des Antragstellers nicht vorhanden ist. Der Anordnungsgrund setzt voraus, dass dem Antragsteller bei Abwägung seiner Interessen gegen die Interessen des Antragsgegners nicht zugemutet werden kann, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Vielmehr verringern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, wenn die Klage offensichtlich zulässig und begründet ist. Bei offenem Ausgang der Hauptsache ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Abzuwägen sind die Folgen, die auf der einen Seite entstehen, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erlässt und sich später im Hauptsacheverfahren der geltend gemachte Anspruch des Antragstellers herausstellt und auf der anderen Seite die Folgen, die entstehen, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erlässt, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht (vgl. zum Ganzen Keller in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., 2012, § 86b Rn. 29 ff. m. w. N.).
Die in tatsächlicher (Glaubhaftmachung) wie in rechtlicher Hinsicht (summarische Prüfung) herabgesetzten Anforderungen für die Annahme eines Anordnungsanspruchs korrespondieren dabei mit dem Gewicht der glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteile. Drohen im Einzelfall ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (st. Rspr. vgl. BVerfG vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – BVerfGE 5, 237).
In Anwendung dieser Grundsätze hat das Begehren des Antragstellers keinen Erfolg. Denn nach dem derzeitigen Erkenntnisstand sind die Erfolgsaussichten für die mit der Hauptsache begehrten Leistungen nach der Pflegestufe II oder I gering. Vom Vorliegen eines Anordnungsanspruchs kann daher nicht ausgegangen werden (dazu 1.) und auch für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes fehlen hinreichende Anhaltspunkte (dazu 2.).
1. Ein Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) voraus, dass der Pflegebedürftige bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XI muss der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.
Ein Anspruch auf Leistungen nach der Pflegestufe II setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XI voraus, dass der Pflegebedürftige bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der hierfür erforderliche Zeitaufwand muss nach § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XI mindestens drei Stunden täglich betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen müssen.
Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen erfüllt der Antragsteller bereits nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe I, da nicht ersichtlich ist, dass er im Bereich der Grundpflege einen Pflegebedarf von mehr als 45 Minuten täglich hat. Der vom MDK im Gutachten vom 29. November 2012 festgestellte Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 20 Minuten täglich bleibt deutlich hinter dem gesetzlich für die Zuerkennung der Pflegestufe I erforderlichen Maß von mehr als 45 Minuten täglich zurück. Das nachvollziehbare und schlüssig begründete Gutachten lässt keine erheblichen Mängel erkennen.
Es bestehen beim Pflegebedarf des Antragstellers auch einige Ungereimtheiten, weil er widersprüchliche Angaben gemacht hat. Beispielsweise hat er angegeben, sich das Gesäß nicht mehr säubern zu können, war jedoch nach der Wahrnehmung der MDK-Gutachterin in der Lage, entsprechende Bewegungen auszuführen. Gleiches gilt für den Faustschluss sowie die Greiffunktion. Mit seiner Beschwerde macht er geltend gesundheitlich nicht in der Lage zu sein, einen Prozess zu führen und hat gegenüber dem SG vorgetragen, er drohe zu verwahrlosen, zu verhungern und zu sterben. Eine so dramatische Pflegesituation besteht aber offenbar auch nicht annähernd, wie sich aus den Feststellungen der Betreuungsbehörde ergibt. Auch nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen ist er ausreichend gehfähig (vgl. Reha-Bericht vom 16. November 2012). Nach dem MDK-Gutachten vom 29. November 2012 hat die Pflegefachkraft P. sowohl die physischen und psychischen Beeinträchtigungen des Antragstellers als auch seine noch vorhandenen Ressourcen geprüft und den daraus resultierenden Hilfebedarf für die täglichen Verrichtungen ausführlich und überzeugend begründet. Die Beurteilung des erforderlichen Zeitaufwands für eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson von 20 Minuten täglich für die Grundpflege scheint unter Berücksichtigung der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches (Begutachtungs-Richtlinien) jedenfalls nicht unangemessen. Hierzu wird auch auf die zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Beschlusses Bezug genommen.
Der Antragsteller hat keine offensichtlichen und nach Aktenlage nachprüfbaren Fehler im Gutachten vortragen können. Auch das ältere MDK-Gutachten vom 4. Juli 2006 widerlegt keineswegs das MDK-Gutachten vom 29. November 2012. Derartige Gutachten sind jeweils Momentaufnahmen einer Pflegebewertung und von den persönlichen Einschätzungen eines Pflegegutachters abhängig. Mit dem von der Pflegefachkraft Piesche ermittelten Grundpflegebedarf von 20 Minuten ist der Antragsteller von der maßgeblichen Grenze von 46 Minuten so weit entfernt, dass er die maßgebliche Grenze selbst bei eventuellen Zeitzuschlägen nicht erreichen kann. Die Pflegestufe II kommt deshalb erst recht in Betracht.
Die fachliche Kompetenz der Pflegefachkraft und der Umstand, dass das Gutachten nach einer Untersuchung des Antragstellers in seinem häuslichen Umfeld erstellt worden ist, sprechen für seinen hohen Beweiswert. Gegenteiliges ist aus den weiteren medizinischen Befunden nicht ableitbar. Auch nach den vorliegenden medizinischen Befunden zeigten sich beim Antragsteller erhebliche Leistungsschwankungen, die offenbar funktional bedingt waren (vgl. Sächsisches Krankenhaus A. vom 2. Oktober 2012). Auch hat der Antragsteller kein Pflegetagebuch vorgelegt, was seinen behaupteten Grundpflegebedarf nachvollziehbar erläutern könnte. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand bestehen daher für die Hauptsache nur geringe Erfolgsaussichten.
2. Damit ist auch ein Anordnungsgrund nicht gegeben. Nachdem der Pflegebedarf des Antragstellers so deutlich hinter den gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch zurückbleibt, sind an den Anordnungsgrund erhebliche Anforderungen zu stellen. Ohne den Erlass der begehrten Anordnung müssen dem Antragsteller schwerwiegende Nachteile drohen, um den Anspruch trotz der geringen Erfolgsaussichten der Hauptsache – wenn auch nur vorläufig – gewähren zu können. Dies setzt eine erhebliche Gefährdung von wesentlichen oder grundgesetzlich geschützten Rechtsgütern wie Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Menschenwürde o. ä. voraus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.2.2009 – 1 BvR 120/09, NZS 2009, 674, sowie LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 24.4.2003 – L 3 KN 1/03 P ER, zitiert nach juris). Eine solche Gefahrenlage ist nicht glaubhaft gemacht.
Die Pflegeversicherung ist konzeptionell nicht als Vollversicherung angelegt. Der Gesetzgeber hat vielmehr bewusst Deckungslücken der Pflegeversicherung in Kauf genommen. So werden beispielsweise auch für einen unbedingt notwendigen Pflegebedarf, der unterhalb von 90 Minuten täglich bleibt oder der nur die hauswirtschaftliche Versorgung betrifft, weder Pflegegeld noch Pflegesachleistungen gewährt und zwischen den einzelnen Stufen der Pflegebedürftigkeit erfolgt keine linear ansteigende Leistungsgewährung. Pflegebedürftige, die mit den Leistungen der Pflegeversicherung ihren Pflegebedarf nicht vollständig decken können, haben diesen mit eigenen Mitteln abzudecken oder können hierfür unter weiteren Voraussetzungen Leistungen des Sozialhilfeträgers in Anspruch nehmen. Der Gesetzgeber hat die Versicherten insoweit bewusst auf ihre Eigenverantwortung bzw. auf sozialhilferechtliche Vorschriften verwiesen und es damit auch in Kauf genommen, dass Versicherte ggf. wegen ihrer Pflegebedürftigkeit auf Leistungen des Sozialhilfeträgers angewiesen sind. Dies wird an entsprechenden Regelungen im Sozialhilferecht zur Hilfe zur Pflege deutlich (vgl. hierzu §§ 61 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe [SGB XII]). Daher kann es sich nicht um eine schwere und unzumutbare Beeinträchtigung handeln, wenn Versicherte in diesem Bereich bis zu einer Hauptsachentscheidung darauf verwiesen werden, mit ihrem eigenen Einkommen und Vermögen bzw. im Bedarfsfall mittels Leistungen des Sozialhilfeträgers für das verbleibende Risiko aufzukommen.
Leistungen nach dem SGB XII hat der Antragsteller abgelehnt, was gegen seine existenzielle Gefährdung spricht. Da nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen der von dem Antragsteller geltend gemachte Anspruch gegen die Pflegeversicherung aber nicht in Betracht kommt und eine weitergehende Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, bleibt für eine zusprechende Entscheidung kein Raum. Andernfalls wäre jedes Verfahren auf Erteilung oder Erhöhung einer Pflegestufe im einstweiligen Rechtschutzverfahren vollständig aufzuklären, was aber dem Zweck eines Eilverfahrens nicht gerecht werden kann.
Aus diesem Grund hält der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG´s (Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237) eine Orientierung an den Erfolgsaussichten bei der vorliegenden Sach- und Rechtslage für angemessen. Denn es liegen schon jetzt umfangreiche und nachvollziehbare Ermittlungsergebnisse vor, die jedenfalls für eine vorläufige Einschätzung ausreichen. Bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann der Antragsteller jederzeit einen neuen Antrag bei an der Antragsgegnerin stellen.
Der Senat hat von einer Beiladung und möglichen Verpflichtung des zuständigen Sozialhilfeträgers im Wege der einstweiligen Anordnung abgesehen, da diesbezüglich die Durchführung des Verwaltungsverfahrens der einfachere und schnellere Weg ist (vgl. zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis vor Kontakt mit dem Leistungserbringer: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15.1.2009, L 7 B 398/08 AS, zitiert nach juris). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der zuständige Sozialhilfeträger des Antragstellers zustehende Leistungen nicht bewilligen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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