L 2 AS 465/12 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AS 6432/09 - OG
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 465/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 3. Juli 2011 abgeändert:

Das gegen den Kläger verhängte Ordnungsgeld wird auf 30,00 EUR herabgesetzt.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 100,00 EUR.

Der Kläger wandte sich nach erfolglosem Widerspruchsverfahren in einem mittlerweile beendeten, vor dem Sozialgericht Halle (SG) geführten Klageverfahren (Aktenzeichen: S 4 AS 6432/09) gegen die durch den Träger der Grundsicherungsleistungen verfügte Erstattung vorläufig erbrachter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für einen Zeitraum vom 1. April 2008 bis zum 30. September 2008 in Höhe von 1.261,80 EUR wegen einer Berücksichtigung von Einkommen. Zur Begründung seiner am 17. Dezember 2009 erhobenen Klage gab der Kläger an: Für den streitigen Zeitraum habe er nur Leistungen für die Unterkunft und die Heizung und keine Regelleistungen bekommen; er habe die Leistungen "im guten Glauben" vereinnahmt.

Am 16. Mai 2012 verfügte der beim SG zuständige Kammervorsitzende die Ladung des Klägers zu einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 26. Juni 2012, 9.00 Uhr, und ordnete das persönliche Erscheinen des Klägers an. In dem daraufhin gefertigten Ladungsschreiben vom 21. Mai 2012 erfolgte der Hinweis darauf, falls der Kläger ohne genügende Entschuldigung nicht erscheine, könnten ihm die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt und zugleich könne ein Ordnungsgeld bis zu 1.000,00 EUR festgesetzt werden. Dies unterbleibe, wenn der Kläger glaubhaft mache, dass ihm die Ladung nicht rechtzeitig zugegangen sei oder wenn sein Ausbleiben vom Gericht als genügend entschuldigt angesehen werde.

Ausweislich der zur Gerichtakte genommenen Postzustellungsurkunde wurde der Kläger bei einem Zustellungsversuch in seiner Wohnung am 8. Juni 2012 nicht angetroffen. Der Zusteller warf daraufhin einen Benachrichtigungszettel über die Niederlegung der zuzustellenden Sendung bei einer Partner-Filiale der Deutschen Post AG in den Briefkasten ein.

Zum Erörterungstermin am 26. Juni 2012 erschien der Kläger nicht. Mit der Übersendung der Sitzungsniederschrift erfolgte daraufhin eine Aufforderung an den Kläger, sein Nichterscheinen zu entschuldigen. Der Kläger erschien am 28. Juni 2012 (noch vor dem Zugang der Sitzungsniederschrift am 29. Juni 2012) auf der Geschäftsstelle des Sozialgerichts und erklärte zur Niederschrift: Er habe am 27. Juni 2012 gegen 16.00 Uhr seinen Briefkasten aufgeschlossen, um ihn zu leeren. Dabei habe er den Benachrichtigungszettel auf dem Bodern des Briefkastens gesehen. Er habe dann sofort das Schriftstück abgeholt und gegen 17.00 Uhr beim Sozialgericht angerufen, dann aber niemanden mehr erreicht. Der mit seinem Namen beschriftete Briefkasten werde auch noch von zwei anderen Personen genutzt, deren Namen ebenfalls auf dem Briefkasten stünden. Er leere den Briefkasten meist so, dass er durch den Schlitz fasse und die entsprechenden Sendungen heraushole. Er bitte, sein Nichterscheinen zu entschuldigen. Wenn er die Ladung früher zur Kenntnis genommen hätte, wäre er selbstverständlich zum Termin erschienen. Aufgrund dieser Angelegenheit habe er nun einen Briefkasten erworben und angebracht, den er alleine nutze, so dass nun die Zustellung durch Einlegung von Sendungen in diesen Briefkasten erfolgen könne.

Mit Beschluss vom 3. Juli 2012 hat der Kammervorsitzende gegen den Kläger ein Ordnungsgeld in Höhe von 100,00 EUR festgesetzt und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger sei trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne vorherige Entschuldigung nicht zum Termin erschienen. Der Kläger habe auch keine hinreichenden Entschuldigungsgründe vorgetragen. Es sei für ihn nicht objektiv unmöglich gewesen, zum Termin zu erscheinen. Bei der Höhe des festzusetzenden Ordnungsgeldes sei zu berücksichtigen gewesen, dass die beabsichtigte Erörterung die persönliche Anwesenheit des Klägers voraussetze.

Gegen den ihm am 6. Juli 2012 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 20. Juli 2012 Beschwerde erhoben. Er hat darauf verwiesen, dass sich der kleine Benachrichtigungszettel so unglücklich auf dem Boden des Briefkastens befunden habe, dass er ihn zunächst nicht gesehen habe.

In einem neuen Erörterungstermin im Klageverfahren am 6. September 2012 erschien der Kläger und nahm nach dem Hinweis des Beklagtenvertreters, dass er die Rückforderungssumme schon ratenweise vollständig gezahlt habe, die Klage zurück.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 3. Juli 2012 aufzuheben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Gerichtsakte nebst Beiheften Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig nach den §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bzw. nach § 202 SGG in Verbindung mit den §§ 141 Abs. 3, 380 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO). Sie ist auch zum Teil begründet.

Rechtsgrundlage für die Verhängung von Ordnungsgeld ist § 202 SGG in Verbindung mit § 141 Abs. 3 ZPO. Hiernach kann das Gericht gegen einen Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, ein Ordnungsgeld wie gegen einen nicht erschienen Zeugen festsetzen, wenn er im Termin ausbleibt. Dies gilt gemäß § 141 Abs. 3 ZPO nicht, wenn der Beteiligte zur Verhandlung einen Vertreter entsendet, der zur Aufklärung des Tatbestandes in der Lage und zur Abgabe der gebotenen Erklärungen, insbesondere zu einem Vergleichsabschluss ermächtigt ist. Der Beteiligte ist gemäß § 141 Abs. 3 Satz 3 ZPO auf die Folgen seines Ausbleibens in der Ladung hinzuweisen.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes lagen hier vor. Der beim SG zuständige Kammervorsitzende hatte mit der Ladung zu dem Termin das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens zur Sachaufklärung und Erörterung steht grundsätzlich im Ermessen des zuständigen Richters. Hier war es geboten, den Sachverhalt im Hinblick auf schriftsätzlichen Vortrag des Klägers dazu, er habe nur Leistungen für Unterkunft und Heizung bekommen, durch Anhörung des Klägers aufzuklären. Ermessensfehler sind hier nicht zu erkennen.

Weiter ist davon auszugehen, dass die Ladung ordnungsgemäß entsprechend § 181 ZPO im Wege der Ersatzzustellung durch Niederlegung bei einer dafür vorgesehenen Postagentur und Einwurf eines Benachrichtigungszettels in den Hausbriefkasten des Klägers erfolgt ist. Eine Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten nach § 180 ZPO kam zum damaligen Zeitpunkt nicht in Betracht, weil der mit drei Namen beschriftete Gemeinschaftsbriefkasten nicht für eine sichere Aufbewahrung geeignet war. Für den Kläger war es auch objektiv möglich, bei sorgfältiger Leerung des Briefkastens den Benachrichtigungszettel rechzeitig vor dem Termin zu bemerken und die niedergelegte Ladung abzuholen.

Der Senat hält jedoch die Höhe des vom SG festgesetzten Ordnungsgeldes hier nicht für angemessen. Die Höhe des Ordnungsgeldes richtet sich nach Art. 6 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB). Danach ist ein Rahmen von 5,00 EUR bis 1.000 EUR vorgegeben, innerhalb dessen sich das Ordnungsgeld bewegen kann. Dabei sind in der Regel das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art des Verstoßes und dessen Auswirkungen sowie die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung bedarf es dann, wenn sich das Ordnungsgeld im unteren Bereich des vorgegebenen Rahmens bewegt, in der Regel keiner eingehenden Begründung für die Ermessensentscheidung (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10. Januar 2012 – L 2 SB 267/11 B – zitiert nach juris). Im konkreten Fall sind aber Besonderheiten zu beachten, aufgrund derer die Festsetzung in Höhe von 100,00 EUR und damit noch im unteren Bereich des vorgegebenen Rahmens ausnahmsweise ermessensfehlerhaft ist. Bei der Ausübung des Ermessens hat das Gericht die Zwecksetzung des § 141 Abs. 3 ZPO zu würdigen. Zweck der Vorschrift ist es nicht, eine vermeintliche Missachtung der gerichtlichen Anordnung zu ahnden, sondern die Aufklärung des Sachverhalts und den Fortgang des Verfahrens sicherzustellen (so unter anderem OLG Düsseldorf – Beschluss vom 14. März 1994 – 5 W 5/94 zitiert nach juris). Grundsätzlich hat das Gericht für seine Ermessensentscheidung die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Verhängung des Ordnungsgeldes bekannten Umstände zu berücksichtigen. Hier ist der Kläger nach der von ihm glaubhaft vorgetragenen verspäteten Kenntnisnahme der Ladung und vor der Androhung oder Verhängung eines Ordnungsgeldes persönlich bei Gericht erschienen. Der Kläger hat sich für sein Nichterscheinen zum Termin entschuldigt, noch bevor ihm die Aufforderung dazu mit der Sitzungsniederschrift vom 26. Juni 2012 am 29. Juni 2012 zuging und hat glaubhaft versichert, dass er bei Kenntnis der Ladung dieser Folge geleistet hätte. Zudem hat er glaubhaft vorgetragen, sich aufgrund des Geschehens einen nur von ihm genutzten Briefkasten zugelegt und angebracht zu haben, in den nun Ladungsschreiben und nicht nur Benachrichtigungszettel eingelegt werden können. Vor diesem Hintergrund war die grundsätzliche Bereitschaft des Klägers, am Verfahren mitzuwirken, nicht in Frage gestellt. Es lag kein Fall vor, in dem die Mitwirkungsbereitschaft durch die Verhängung eines Ordnungsgeldes gefördert werden musste. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass von der Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen eine Partei des Verfahrens nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden soll (vgl. dazu OLG Düsseldorf a.a.O. und Kammerbeschluss des Bundesverfasssungsgerichts – BVerfG - vom 10. November 1997 – 2 BvR 429/97 zitiert nach juris). Weil der Kammervorsitzende die vorgenannten Ermessensgesichtspunkte offensichtlich nicht berücksichtigt hat, liegt ein fehlerhafter, auf unzureichender Grundlage erfolgter Ermessengebrauch vor. Der Senat sieht sich bei dieser Fallkonstellation nicht gehindert, eine den partiellen Ermessensausfall berücksichtigende Neufestsetzung des Ordnungsgelds selbst vorzunehmen. Eine Zurückverweisung an das SG erscheint aus Gründen der Verfahrensökonomie nicht geboten.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Das Beschwerdeverfahren über die Verhängung eines Ordnungsgeldes ist kein gesondertes, kontradiktorisch ausgestaltetes Verfahren (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2007 - VI ZB 4/07; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 10. Dezember 2008, L 19 B 1829/08 AS; BAG, Beschluss vom 20. August 2007, 3 AZB 50/05, jeweils juris; a. A. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 111 Rn. 6c).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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