S 12 KA 1130/04 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 1130/04 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 13/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Es wird die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 14.12.2004 angeordnet. Diese Anordnung gilt bis 1 Monat nach Zustellung einer Widerspruchsentscheidung des Antragsgegners, längstens bis zum 30. Juni 2005.

2. Im Übrigen wird der einstweilige Anordnungsantrag vom 29.12.2004 zurückgewiesen.

3. Die Gerichtskosten haben der Antragsteller und der Antragsgegner jeweils zur Hälfte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten hat jeder Beteiligte für sich zu tragen.

4. Der Streitwert wird auf 24.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens über die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs der Beigeladenen zu 1 und 9 gegen eine Ermächtigung des Antragstellers.

Der Antragsteller ist als Internist im X-Krankenhaus in L. beschäftigt. Er ist seit längerem fortlaufend zur Dialysebehandlung auf Überweisung durch Fachärzte ermächtigt worden, zuletzt bis zum 30.09.2004.

Mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 14.09.2004 wurde der Antragsteller auch weiterhin zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung, jedoch befristet bis 31.12.2004 ermächtigt. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine weitere Ermächtigung sei zumindest für eine kurze Übergangsfrist notwendig, um eine ausreichend ärztliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Erneuerung der Ermächtigung für die Dauer von 3 Monaten sei notwendig, da in der Regel langfristig eingestellte Patienten ansonsten bereits nach Ablauf der letzten Ermächtigung in etwa 2 Wochen den behandelnden Arzt hätten wechseln müssen. Durch die Erneuerung der Ermächtigung erhalte auch die Bezirksstelle der Beigeladenen zu 1 Gelegenheit zu prüfen, ob durch die Zweigpraxis der niedergelassenen Nephrologen in L., den Beigeladenen zu 9, die Versorgung der Dialysepatienten wirklich in ausreichendem Umfang sichergestellt werde. Nach Einlegung eines Widerspruchs der Beigeladenen zu 9 führte das Sozialgericht Frankfurt am Main mit den Beteiligten am 13.10.2004 einen Erörterungstermin durch. Dort schlossen die Beteiligten auf Anraten des Gerichts folgenden Vergleich:

1. Der Antragsteller verpflichtet sich, die im Rahmen der Ermächtigung bisher bei der KVH abgerechneten Patientenfälle zu betreuen. Dies schließt die Annahme neuer Patienten aus. Es handelt sich um 35 namentlich benennbare Patienten.

2. Der Beigeladene zu 9 zieht den Widerspruch gegen den Ermächtigungsbescheid des Zulassungsausschusses zurück.

3. Der Antragsteller zieht seinen Antrag auf Erlass der einstweilen Anordnung zurück.

4. Jeder der Beteiligten trägt seine eigenen Kosten. Die Gerichtskosten werden zur Hälfte vom Antragsteller, zur anderen Hälfte von der Beigeladenen zu 9 getragen.

Am 25.10.2004 beantragte der Antragsteller, die Ermächtigung über den 31.12.2004 hinaus zu verlängern, allerdings begrenzt auf die Patienten, die derzeit im Dialysezentrum behandelt werden.

Die Bezirksstelle G. der Beigeladenen zu 1 teilte dem Zulassungsausschuss unter Datum vom 06.09.2004 mit, der Geschäftsausschuss habe nach Überprüfung der Versorgungssituation festgestellt, dass für eine Verlängerung der Ermächtigung keine Notwendigkeit mehr vorliege, da die Dialysebehandlungen durch die in Gemeinschaftspraxis niedergelassenen Internisten mit Schwerpunktbezeichnung Nephrologie, den Beigeladenen zu 9, gewährleistet seien. Beiden Ärzten sei zur Sicherstellung der wohnortnahen Dialyseversorgung der Versorgungsauftrag für die nephrologische Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten gemäß den Bestimmungen des Bundesmantelvertrages für die festgelegte Versorgungsregion A./L. erteilt worden, die zu ihrer Zulassung eingeschränkt auf diesen Versorgungsauftrag geführt habe. Zudem sei diesen Ärzten eine Zweigpraxis zwecks Durchführung der Dialysebehandlung in L. genehmigt worden.

Mit Beschluss vom 14.12.2004 erteilte der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Beigeladenen zu 1 dem Antragsteller eine weitere Ermächtigung, befristet bis zum 31.12.2006. Die Ermächtigung wurde auf bestimmte Leistungen zur Dialysebehandlung auf Überweisung durch Vertragsärzte beschränkt. In der Begründung führte der Zulassungsausschuss aus, zur Gewährleistung einer ausreichenden Versorgung halte er die Ermächtigung weiterhin für notwendig.

Hiergegen legten die Beigeladenen zu 9 am 28.12.2004 Widerspruch ein. Sie trugen vor, ihr Widerspruch sei zulässig und begründet. Es sei fehlerhaft gewesen, sie nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.08.2004 nicht am Verfahren zu beteiligen. Der Vergleich vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main sei lediglich für einen Zeitraum von 3 Monaten geschlossen worden. Sie seien tatsächlich und auch rechtlich in der Lage, alle diejenigen Patienten des Antragstellers, die zu ihnen wechseln wollten, zu betreuen. Der ihnen übertragene Dialyseauftrag gelte auch in seiner Reichweite für L ... Die Bezirksstelle G. der Beigeladenen zu 1 habe festgestellt, dass ein weiteres Versorgungsbedürfnis nicht bestehe. Durch die Ermächtigung würden sie unmittelbar in eigenen Rechten betroffen werden. Der Zulassungsausschuss sei offensichtlich seiner Pflicht zur Amtsermittlung nicht nachgekommen. Man habe sie überhaupt nicht angehört. Das neuerliche Votum der Bezirksstelle sei überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden. Der Antragsteller dürfe auch keine Sprechstunde für nephrologische Patienten anbieten. Entscheidend sei, dass sie als niedergelassene Vertragsärzte unter Einsatz der persönlichen Qualifikation und unter Einsatz erheblicher Investitionen die Möglichkeit vorhielten, das nephrologische Spektrum im V-kreis insbesondere auch in der Region L. vollständig ohne zusätzlichen Ermächtigungen abzudecken. Der Beschluss des Zulassungsausschusses verstoße gegen ihr Grundrecht aus Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz und das Zulassungsrecht. Ein Vertrauenstatbestand zugunsten des Antragstellers greife nicht. Der Zulassungsausschuss habe bereits mit dem Bescheid vom 24.09.2002 die Ermächtigung auf 2 Jahre bemessen und darauf hingewiesen, dass die Bedarfslage für diesen überschaubaren Zeitraum die Notwendigkeit der Ermächtigung auf jeden Fall begründe. Er habe auch auf die Möglichkeit einer weiteren Niederlassung hingewiesen, was durch ihre Niederlassung geschehen sei. Die weitere Ermächtigung für 3 Monate habe bereits einen nahtlosen Übergang der Patienten gewährleisten sollen.

Mit Widerspruchsschreiben vom 10.01.2005, beim Antragsgegner am 11.01.2005 eingegangen, legt auch die Beigeladene zu 1 unter Hinweis auf die Stellungnahme ihrer Bezirksstelle Widerspruch gegen den Ermächtigungsbescheid des Zulassungsausschusses ein.

Über die Widersprüche hat der Antragsgegner bisher nicht entschieden.

Am 29.12.2004 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er trägt vor, am E-Krankenhaus existiere seit mehr als 12 Jahren eine Dialyseabteilung, die er aufgrund einer Ermächtigung leite. Der Widerspruch der Beigeladenen zu 9 gegen seine weitere Ermächtigung über das Jahr 2004 hinaus sei unzulässig. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom August 2004 finde auf seinen Fall keine Anwendung. Die Beigeladenen zu 9 hätten ihren Praxissitz in A., sie verfügten dort über Dialyseplätze, die vollständig ausgelastet seien. Die Zweigpraxis der Beigeladenen zu 9 sei unter der Voraussetzung einer wohnortnahen Versorgung genehmigt worden. Die Zweigpraxis sei nicht mit der Begründung erfolgt, dass ein darüber hinausgehender Versorgungsbedarf bestehe, der derzeit von dem ermächtigten Arzt abgedeckt werde, künftig aber von der Zweigpraxis abgedeckt werden solle. Die Beigeladenen zu 9 zielten auf eine Ausdehnung ihrer Patientenzahl ab. Diese Zielsetzung sei nicht Inhalt des Grundrechts aus Artikel 12 GG. Wer als Patient eine ermächtigte Einrichtung gewählt habe, um dort die Dialyseleistungen in Anspruch zu nehmen, habe Anspruch darauf, weiterhin von dieser ermächtigten Einrichtung behandelt zu werden, unabhängig davon, ob sich am Ort ein Arzt niedergelassen habe. Eine Entscheidung des Antragsgegners, der die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung anordnen könne, komme in jedem Fall zu spät. Eine Auflösung oder Schließung der Dialysestation am 31.12.2004 sei schon organisatorisch gar nicht durchführbar und auch für die Einrichtung und die Patienten unzumutbar. Hieraus ergebe sich die Eilbedürftigkeit. Im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main habe Einigkeit bestanden, dass er die Dialysepatienten weiterbehandeln könne. Was dort gegolten habe, müsse selbstverständlich auch weiterhin gelten. Ein Anspruch auf Patienten der Beigeladenen zu 9 gebe es nicht. Entscheidend für eine Versorgung sei die wohnortnahe Versorgung. Es werde auch bestritten, dass die Beigeladenen zu 9 noch Behandlungskapazitäten hätten. Nach seinen Berechnungen hätten die Beigeladenen zu 9 Dialysen bei 97 Patienten durchgeführt. Dies entspreche einer Auslastung von mehr als 90 % der maximal zulässigen Patientenzahl. Sie müssten nunmehr einen dritten Nephrologen hinzuziehen. Maßgeblich sei aber allein das Quartal IV/04. Daraus ergebe sich eine Gesamtpatientenzahl von 107. Damit sei die absolute Grenze von 100 Patienten überschritten. Im Hinblick auf die wohnortnahe Versorgung seien die Beigeladenen zu 9 jedenfalls überlastet, müssten sie alle seine Patienten in der Zweigpraxis behandeln. Auch nach Ablehnung seines Vergleichsvorschlags durch die Beigeladenen zu 9 sei er weiterhin vergleichsbereit.

Der Antragsteller beantragt,
festzustellen, dass der Widerspruch der Beigeladenen zu 1 und der Widerspruch der Beigeladenen 9 gegen seine Ermächtigung ab 01.01.2005 keine aufschiebende Wirkung haben,

hilfsweise gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 1 SGG die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 14.12.2004 anzuordnen,

hilfsweise im Wege der einstweiligen Anordnung ihm die Ermächtigung für die Leistungen der Dialysebehandlung im gleichen Umfang wie bis zum 31.12.2004 zu erteilen.

Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt. Er hat sich bisher zum Verfahren, abgesehen von seiner Zustimmung zum Vergleichsvorschlag des Antragstellers, schriftsätzlich nicht geäußert.

Die Beigeladene zu 1 sieht nach einer erneuten Überprüfung der Abrechnungswerte der Beigeladenen zu 9 auch ohne eine Ermächtigung des Antragstellers die bedarfsgerechte Versorgung mit Dialyseleistungen als sichergestellt an. Dies hat sie im Einzelnen dargelegt. Im Ergebnis ist sie der Auffassung, dass sich für die Beigeladenen zu 9 ein "Arzt-Patienten-Schlüssel" von 63 Patienten ergebe. Bei einem Kontingent von 100 Patienten seien noch ausreichend Kapazitäten vorhanden. Selbst wenn man nicht auf der Grundlage des gesamten Jahres 2004, sondern lediglich die Abrechnungswerte ab dem III. Quartal 2004 heranziehe, seitdem die Gemeinschaftspraxis betrieben werde, so würden im Mittel beider Quartale lediglich 70 Dialysepatienten behandelt werden. Auch danach sei noch ein Kontingent von 30 Patienten vorhanden. Die Beigeladenen zu 2 bis 8 haben sich schriftsätzlich zum Verfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Die Beigeladenen zu 9 beantragen,
einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der dem Antragsteller vom Zulassungsausschuss am 14.12.2004 erteilten Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung über den 31.12.2004 hinaus abzulehnen
und
sofern notwendig, eine Aufhebung der tatsächlichen Vollziehung der Ermächtigung anzuordnen.

Zur Begründung führen sie unter Wiederholung ihres Vorbringens im Verwaltungsverfahren im Übrigen ergänzend aus, ihr Aussetzungsinteresse überwiege das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der dem Antragsteller erteilten Ermächtigung. Ein von ihnen unterbreiteter Vergleichsvorschlag habe beim Antragsteller keine Reaktion gefunden. Soweit eine Zweigpraxisgenehmigung erteilt werde, sei diese nicht auf die Behandlung der zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits in der Stammpraxis betreuten Patienten begrenzt. Es sei ihnen möglich, auch neue Patienten in der Zweigpraxis zu betreuen. Nicht der Sitz der Stammpraxis sei maßgeblich. Vielmehr komme es darauf an, wie sich die Versorgungssituation in der Versorgungsregion der Stammpraxis darstelle. Niedergelassene Ärzte nähmen vorrangig im Verhältnis zum Krankenhausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Dies habe das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Eine Versorgungslücke sei nicht gegeben. Auf den derzeit in L. vorhandenen 15 Dialyseplätzen könnten bei fünffacher Auslastung 75 Patienten betreut werden. Als Standard gelte eine vierfache, mindestens aber eine dreifache Auslastung von Dialyseplätzen. Der Beschluss des Zulassungsausschusses sei auch rechtswidrig, weil der Zulassungsausschuss offensichtlich einem Rechtsirrtum über den Inhalt des Vergleichs unterlegen sei. Die Frage, welchen Inhalt der Vergleich habe, sei gerichtlich voll überprüfbar. Sollte das Gericht wider Erwarten doch eine Güter- und Interessenabwägung vornehmen, so dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass sie als freiberuflich tätige Ärzte das volle wirtschaftliche Risiko ihres Tätigwerdens zu tragen hätten. Die Ermächtigung des Antragstellers habe nur eine Platzhalterfunktion. Es solle nur Zeit gewonnen werden, bis ein Dialyseanbieter aus F. mit dem Krankenhaus kooperiere. Die Probleme des Krankenhauses beim Auslaufen der Ermächtigung seien nicht zu berücksichtigen.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 03.01.2005 die Beiladung ausgesprochen. Sie hat ferner am 12.01.2005 einen annähernd dreistündigen Erörterungstermin abgehalten. Im Hinblick auf weitere Vergleichsverhandlungen hat sie den Beteiligten Schriftsatznachlass bis einschließlich 26.01.2005 bewilligt. Zu einem Vergleichsschluss ist es zwischen den Beteiligten bis dahin nicht gekommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist grundsätzlich zulässig. Er ist auch zum Teil begründet.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben. Der Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 und 4, Abs. 3 SGG).

Nach der genannten Bestimmung ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch schon vor Klageerhebung zulässig.

Der Widerspruch der Beigeladenen zu 1 hat auch aufschiebende Wirkung.

Gegen die Entscheidungen der Zulassungsausschüsse können die am Verfahren beteiligten Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen, die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Verbände der Ersatzkassen den Berufungsausschuss anrufen. Die Anrufung hat aufschiebende Wirkung (§ 96 Abs. 4 Sozialgesetzbuch, V. Buch, Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V). Im Hinblick auf den fristgerecht erhobenen Widerspruch der Beigeladenen zu 1 ist der Bescheid des Zulassungsausschusses vom 14.12.2004 ohne Wirksamkeit. Von daher kann dahinstehen, ob aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Bundesverfassungsgericht, 1. Senat, 2. Kammer, Beschluss vom 17.08.2004 – 1 BvR 378/00 –) auch der Widerspruch der Beigeladenen zu 9 zulässig ist und ihm damit aufschiebende Wirkung zukommt. Insoweit weisen die Beigeladenen zu 9 zutreffend darauf hin, dass es nicht allein um die Auslastung einer Zweigpraxis geht, sondern dass es, in einem regulierten Versorgungsbereich gerade auch um die Nutzung der Zulassung am Praxissitz geht, die aufgrund der weiteren vertraglichen Bestimmungen im Rahmen einer wohnortnahen Versorgung zusätzlich die Möglichkeit eröffnet, eine Zweigpraxis zu führen. Die Kammer brauchte dies hier aber nicht zu vertiefen, da ebenfalls dem Widerspruch der Beigeladenen zu 1 eine aufschiebende Wirkung zukommt und von daher der Antrag des Antragstellers zulässig ist.

Nach Aktenlage ist der Kammer nicht ersichtlich, ob der Antragsteller einen Anspruch auf die umstrittene Ermächtigung hat. Der Kammer ist aber auch nicht ersichtlich, ob die vom Zulassungsausschuss ausgesprochene Ermächtigung rechtswidrig ist, der Zulassungsausschuss also die Grenzen des ihm zur Bestimmung des Versorgungsbedarfs zukommenden Beurteilungsspielraums nach § 31 Abs. 2 Ärzte-ZV i. V. m. § 11 Abs. 1 der Anlage 9 zu den Bundesmantelverträgen v. 05. April 2002 (DÄBl. 2002 Heft 14 S. A-972), geändert mit Wirkung v. 09.05.2003 (DÄBl. 2003 Heft 19 S. A-1306) (hier zitiert nach Aichberger Ergänzungsband, Gesetzliche Krankenversicherung. Soziale Pflegeversicherung, hrsg. von Klaus Engelmann, Nr. 565; im Folgenden als Anlage 9.1 bezeichnet) überschritten hat. Im Hinblick auf die aus Sicht der Kammer offene Rechtslage war daher im einstweiligen Anordnungsverfahren eine Interessenabwägung vorzunehmen.

Die Frage der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ermächtigungsentscheidung ist aus Sicht der Kammer als offen zu bezeichnen.

Die Kammer geht nach Erörterung mit den Beteiligten davon aus, dass der Antragsteller die notwendigen fachlichen Voraussetzungen für die Durchführung von Dialysebehandlungen erfüllt, da dies insoweit zwischen den Beteiligten unumstritten ist, auch wenn sich dies aus dem Akteninhalt nicht vollständig nachvollziehen lässt.

Nach der Anlage 9.1 zu den Bundesmantelverträgen konnte zunächst für angestellte Krankenhausärzte eine Ermächtigung für die Dauer von 2 Jahren ohne Bedürfnisprüfung nach der Übergangsbestimmung in § 12 Abs. 2 erteilt werden. Diese Ermächtigung ist für den Antragsteller zum September 2004 ausgelaufen. Für die Zeit danach kommt es daher maßgeblich auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 11 der genannten Anlage an. Dies wird hinreichend deutlich durch § 11 Abs. 1 Satz 4 Anlage 9.1, wonach eine Verlängerungsmöglichkeit nur noch bei einem entsprechenden Versorgungsbedürfnis besteht. Der Verweis auf eine entsprechende Anwendung des § 9 in § 11 Abs. 1 Satz 2 Anlage 9.1 bedeutet nicht, dass eine Ermächtigung entsprechend § 9 Abs. 6 für die Dauer von 10 Jahren, wie sie bei ärztlich geleiteten Einrichtungen möglich ist, erteilt werden könnte. Soweit es aber auf eine Bedarfsprüfung ankommt, sind solche vom Zulassungsausschuss nicht vorgenommen worden. Auch die Stellungnahme der Bezirksstelle lässt nicht erkennen, welcher Bedarf auf welcher Grundlage festgestellt wurde. Soweit die Beigeladene zu 1 nunmehr im gerichtlichen einstweiligen Anordnungsverfahren Zahlen zur Ermittlung des Bedarfs vorgelegt hat, sind diese Zahlen zwischen den Beteiligten streitig und wird es ggf. dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, zu ermitteln, ob diese Zahlen zutreffend sind. Dabei wird auch im Einzelnen zu prüfen sein, anhand welcher Annahmen aus der Abrechnung einzelner Leistungen auf die Anzahl der behandelten Patienten und damit auf die Behandlungskapazitäten geschlossen werden kann.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Vertreters der Beigeladenen zu 2 bis 8 im Erörterungstermin vor der Kammer ist die Frage eines Bedarfs im Vergleich vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main vom 13. Oktober 2004 nicht abschließend entschieden worden. Der Vorsitzende der hier entscheidenden Kammer war seinerzeit selbst Vorsitzender der Frankfurter Kammer gewesen und hat den Vergleich als Kammervorsitzender protokolliert. Wie bereits im Erörterungstermin im Einzelnen dargelegt, war es in jenem Vergleich darum gegangen, dass der Verwaltung weitere Zeit eingeräumt wurde, die Bedarfslage und die rechtlichen Voraussetzungen zu klären. Aus Sicht der Frankfurter Kammer ist bereits damals darauf hingewiesen worden, dass der bis Dezember 2004 befristete Bescheid lediglich eine Übergangsregelung enthielt und dass von daher eine Anfechtung wenig sinnvoll sei, dass vielmehr auch eine Kammerentscheidung nicht wesentlich Anderes enthalten würde. Ferner war bereits damals die Frage angesprochen worden, wie nach dem Dezember 2004 zu verfahren sei, wobei die Beteiligten diese Frage nicht vertiefen wollten, um den Konsens bis zum Ende des Jahres 2004 nicht zu gefährden. Entsprechend war auch der Streitwert auf der Grundlage der streitigen 3 Monate festgesetzt worden.

Der Bedarf für die Ermächtigung kann auch nicht allein daraus gefolgert werden, dass die vom Antragsteller behandelten Patienten den Antragsteller als Behandler gewählt haben. Insofern weisen die Beigeladenen zu 9 zutreffend darauf hin, dass im Rahmen der gegliederten Versorgung vorrangig die niedergelassenen Vertragsärzte für die Versorgung der gesetzlich krankenversicherten Patienten heranzuziehen sind. Die Ermächtigung des Antragstellers setzt auch hier eine Bedarfsprüfung voraus.

Bei dieser offenen Sachlage kann auch dahinstehen, inwieweit die Anlage 9.1 insgesamt mit höherrangigem Recht vereinbar ist.

Soweit die Rechtslage als offen bezeichnet werden muss, war von der Kammer eine Güteabwägung vorzunehmen. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass die Beigeladenen zu 9 offensichtlich aus wirtschaftlicher Sicht eine weitere Tätigkeit des Antragstellers hinnehmen können. Sie haben grundsätzlich ihre Vergleichsbereitschaft dahingehend gezeigt, dass der Antragsteller seine Ermächtigung im bisherigen Umfang für einen begrenzten Zeitraum ausübt, sofern nicht das Krankenhaus, an dem der Antragsteller beschäftigt ist, einem anderen Vertragsbehandler die Eröffnung einer Dialysepraxis im Krankenhaus selbst ermöglicht. Sie haben entsprechend nicht vorgetragen, dass aus wirtschaftlichen Gründen eine umgehende Beendigung der Ermächtigung für sie notwendig wäre. Demgegenüber war zu berücksichtigen, dass es sich bei Dialysebehandlungen um sehr intensive ärztliche Behandlungen handelt, die ein besonderes Vertrauensverhältnis zum behandelnden Arzt und zur Dialyseeinrichtung zur Grundlage haben. Nach Auffassung der Kammer kann den vom Antragsteller behandelten Patienten nicht zugemutet werden, nunmehr den Behandler zu wechseln, ohne dass hinreichend geklärt ist, ob der Antragsteller weiterhin zu ermächtigen ist. Von daher ist nach Auffassung der Kammer das Interesse dieser Patienten so lange zu berücksichtigen, bis hinreichend geklärt ist, ob die Ermächtigung rechtmäßig oder rechtswidrig erteilt worden ist. Die Kammer hält es auch den Patienten nicht für zumutbar, bereits jetzt den Behandler zu wechseln, da gerade eine wohnortnahe Versorgung ermöglicht werden soll und die Bedarfsfrage, ob eine solche wohnortnahe Versorgung ohne die Ermächtigung des Antragstellers erreicht wird, als offen zu bezeichnen ist. Diesem Patienteninteresse misst die Kammer überragende Bedeutung zu.

Andererseits ist aber davon auszugehen, dass der Antragsgegner das Verwaltungsverfahren und die notwendigen Bedarfsermittlungen zügig durchführen und mit einer Entscheidung für Rechtsklarheit sorgen wird. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass im Falle einer negativen Entscheidung des Antragsgegners ein Übergangszeitraum verbleiben muss, in dem die Patienten einen Behandlerwechsel vornehmen können. Von daher hielt es die Kammer grundsätzlich für ausreichend, die Anordnung der sofortigen Vollziehung bis zur Entscheidung des Antragsgegners einschließlich einer Nachfrist zu begrenzen. Um andererseits den Beigeladenen nicht insgesamt das Risiko der Verfahrensdauer des Antragsgegners aufzuerlegen, hat die Kammer in Nr. 1 des Beschlusses eine zeitliche Obergrenze festgelegt, bis zu der längstens die Anordnung der sofortigen Vollziehung gilt. Gegebenenfalls steht es den Beteiligten offen, erneut einen Antrag nach § 86 b SGG bei dem Gericht zu stellen.

Aus den genannten Gründen war der Hauptantrag des Antragstellers zurückzuweisen. Wie bereits ausgeführt, kommt jedenfalls dem Widerspruch der Beigeladenen zu 1 aufschiebende Wirkung zu. Dem weiteren Hilfsantrag musste die Kammer nicht nachgehen, da für den begrenzten Zeitraum die Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgesprochen wurde. Im Rahmen der Güterabwägung konnte dies allerdings nicht für einen unbegrenzten Zeitraum bzw. für den gesamten Zeitraum der strittigen Ermächtigung geschehen. Von daher war insgesamt der Antrag im Übrigen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den gesetzlichen Vorgaben.

Für das Klageverfahren gilt das Gerichtskostengesetz i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – KostRMoG) vom 05.05.2004, BGBl. I S. 718, da der Antrag nach dem 30.06.2004 anhängig wurde (vgl. § 72 Nr. 1 GKG). Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, was hier der Fall ist, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG).

In Prozessverfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit wird die Verfahrensgebühr mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 GKG).

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).

Der Antragsteller begehrte eine einstweilige Verfügung gegen die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Beigeladenen zu 1 und 9. Für die Wirkung des Antrags war von einem Zeitraum von sechs Monaten auszugehen, da in dieser Zeit mit einer Entscheidung des Antragsgegners, durch den die Widersprüche erledigt werden, zu rechnen ist. Auf den gesamten, zweijährigen Ermächtigungszeitraum war daher nicht abzustellen. Im Quartal erzielt der Antragsteller nach Abzug aller Kosten und abzuführenden Gelder nach seinen Angaben etwa einen Gewinn von 12.000 Euro. Für zwei Quartale ergab dies den festgesetzten Wert.
Rechtskraft
Aus
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