Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 14 VG 4/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VE 6/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter.
Am 27. September 2005 beantragte die am ... 1980 geborene Klägerin Beschädigtenversorgung beim Amt für Versorgung und Soziales nach dem OEG. Sie gab an, ihr am 3. September 2002 verstorbener Vater habe sie täglich misshandelt und vergewaltigt. Das Versorgungsamt zog die staatsanwaltliche Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Magdeburg 535 Js 5663/00 bei. Hiernach hatte eine Polizeibeamtin des Polizeireviers W. nach einem Hinweis des Jugendamtes den Vater – H. W. – am 17. Juni 1999 wegen sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung der Klägerin angezeigt.
In der ersten Zeugenvernehmung vom 15. Juni 1999 hatte die Klägerin zu Protokoll gegeben: Die schrecklichen Vorfälle hätten begonnen, als sie fünf Jahre alt gewesen sei. Es sei im Sommer gewesen. Die Mutter habe gearbeitet, während der Vater im Wohnzimmer Fernsehen schaute. Zu dieser Zeit sei der Vater noch der Liebste gewesen und sie habe mit ihm rumgeschmust. Dann habe der Vater die Hand der Klägerin an sein Geschlechtsteil geführt, festgehalten und sich bis zum Samenerguss befriedigt. Dies habe sich fast täglich wiederholt, bis sie sechs Jahre alt gewesen sei. Ca. drei Wochen nach ihrem sechsten Lebensjahr habe er (der Vater) sie zum ersten Mal vergewaltigt. In der zuvor geschilderten Weise habe er sich zunächst erregt, sei dann mit der Klägerin ins Schlafzimmer gegangen, habe sie aufgefordert, sich auszuziehen, habe sie mit Zungenkontakt auf den Mund geküsst, habe ihren Schlüpfer ausgezogen, sei mit seinem Finger in ihre Scheide eingedrungen und habe dann sein Geschlechtsteil etwas in die Scheide eingeführt. Dann habe er den Vorgang abgebrochen und habe in den Folgemonaten keinen Geschlechtsverkehr mehr ausgeführt. Sie habe ihn jedoch fast täglich mit der Hand an seinem Geschlechtsteil befriedigen müssen. Als sie acht Jahre alt gewesen sei, habe es wieder angefangen. Erst habe sie den Vater wieder mit der Hand befriedigen sollen, als dieser sein Geschlechtsteil in ihren Mund geführt habe und den Oralverkehr bis zum Samenerguss habe ausführen lassen. Anschließend habe sie sich auf dem Klo erbrechen müssen. Dies habe sich fast täglich wiederholt. Sie habe sich dann immer erbrechen müssen und nichts mehr essen und trinken können. Der Vater habe gedroht, sie zu erschlagen, wenn sie dies der Mutter erzähle. Später habe er wieder versucht, den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuführen. Sie habe geweint und ihn gebeten, damit aufzuhören, worauf der Vater ihr mit der flachen Hand so hart ins Gesicht geschlagen habe, dass ein Abdruck der Hand auf Wange verblieben sei. Sie habe bei dem Akt, genau wie beim ersten Mal, aus der Scheide geblutet und Unterleibsschmerzen gehabt. Der sexuelle Kontakt habe fast täglich stattgefunden. Entweder habe sie den Oralverkehr bis zum Samenerguss im Wohnzimmer ausführen müssen oder er habe den Geschlechtsverkehr mit ihr im Schlafzimmer versucht. Den Geschlechtsverkehr habe er dann bis zum vierzehnten Lebensjahr fast täglich bis zum Samenerguss ausgeführt und dabei jeweils ein Kondom benutzt. Bei Widerstand habe er mit Schlägen oder einem Teppichklopfer Gewalt ausgeübt, jedoch äußere Verletzungen insbesondere im Gesicht vermieden, um keinen Verdacht zu erregen. Mit der Zeit sei er immer brutaler geworden. Als sie vierzehn Jahre alt gewesen sei, habe der Vater einen Schlaganfall erlitten. Einige Tage vor seiner Krankenhausentlassung habe sie Angst vor seiner Rückkehr bekommen. Zunächst habe sie jedoch zwei bis drei Monate vor ihm Ruhe gehabt. Er sei halbseitig gelähmt gewesen. Anschließend sei der Vater wieder ins Krankenhaus gekommen. Kurz vor seiner erneuten Entlassung im Winter 1995 habe sie einen Nervenzusammenbruch wegen seiner Rückkehr erlitten. Mit hohem Fieber sei sie dann ins Krankenhaus eingeliefert worden. Im Krankenhaus habe sie sich einer Krankenschwester anvertraut, die es Dr. R. erzählt habe, der dann das Jugendamt informiert habe. Sie habe mit Selbstmord gedroht, um nicht nach Hause entlassen zu werden. In einer Nachvernehmung vom 14. Juli 1999 erklärte die Klägerin: Im Alter von 12 bis 13 Jahren sei es zu einer Bedrohung durch ihren Vater mit einem Messer gekommen. Das Messer, ca. 20 cm lang, mit schwarzem Kunststoffgriff und einer ca. 1,5 cm breiten Stahlklinge habe auf dem Küchentisch gelegen. Sie habe mit dem Rücken an der Küchentür gestanden und dem Vater zugeschaut. Was dieser genau gemacht habe, wisse sie nicht mehr. Eine Unterhaltung habe es dabei nicht gegeben. Plötzlich habe ihr Vater das Küchenmesser genommen, sich unmittelbar vor sie hingestellt und das Messer an ihren Bauch gehalten. Dabei habe sie die Messerspitze durch die Kleidung am Bauch gespürt. Dabei habe er gedroht: "Fräulein, wehe Du sagst etwas!".
Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. gab am 8. September 1999 polizeilich zu Protokoll: Die Klägerin sei zu ihr erstmals am 1. Februar 1996 in eine ambulante Behandlung gekommen. Zuvor habe sie mit ihr auf der Kinderstation gesprochen. Die Klägerin sei am 16. Januar 1996 in das Kinderheim L. eingewiesen worden. Hierbei habe sie angegeben, seit ihrem 7. Lebensjahr vom Vater sexuell missbraucht worden zu sein. Sie sei wiederholt gezwungen worden, sexuelle Handlungen am Geschlechtsteil des Vaters vorzunehmen. Zum Geschlechtsverkehr sei es dabei nie gekommen. In der Folgezeit sei die Klägerin im Kinderheim geblieben, habe über eine gebesserte familiäre Situation berichtet und im Februar 1997 eine Lehrstelle aufgenommen. Es bestünden keine Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit.
Der Stationsarzt Dr. R. gab in seiner polizeilichen Zeugenvernehmung vom 10. September 1999 an: In der Zeit vom 9. Dezember 1995 bis 16. Januar 1996 habe sich die Klägerin auf der Kinderstation im ...-Krankenhaus befunden. Sie habe einen sehr erschöpften, reduzierten und deutlich kranken Eindruck hinterlassen. Die vermutete Nierenentzündung habe sich nicht bestätigt. Eine gynäkologische Untersuchung habe nichts Auffälliges ergeben. Sie sei verhaltensauffällig gewesen und habe unter starken Schmerzen gelitten. Am 21. Behandlungstag habe sie dann erstmals angegeben, seit dem 6./7. Lebensjahr vom Vater regelmäßig sexuell belästigt worden zu sein, was auch zu stationären Aufenthalte wegen Nierenentzündungen geführt habe. In der weiteren Folge sei mit Zustimmung der Mutter die Unterbringung im L. veranlasst worden. Die Aussagen der Klägerin habe er als glaubhaft eingeschätzt.
Die Sachbearbeiterin des Jugendamtes G. gab in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 15. Juli 1999 an: Sie kenne die Familie W. seit ca. 1994. Im Jahr 1996 sei sie in das Krankenhaus " ..." in H. gerufen worden. Hierbei habe die Klägerin angegeben, sie werde vom Vater sexuell belästigt. Daraufhin sei die Aufnahme in ein Kinderheim veranlasst worden. Genaue Schilderungen der sexuell motivierten Handlungen des Vaters habe die Klägerin ihr gegenüber nicht gemacht. Dies habe sie veranlasst, weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft über den Sachverhalt zu informieren.
Der Bruder der Klägerin, E. W., bekundete am 10. Dezember 1999 vor der Polizei: Er habe zu der Klägerin ein vertrauensvolles Verhältnis. Sie habe ihm gegenüber vor ca. einem Jahr angegeben, der Vater habe sich an ihr vergangen. Als sie bereits in der Lehre gewesen sei, sei er über sie hergefallen, habe ihr die Kleider vom Leib gerissen und sie vergewaltigt. Bereits zuvor habe sie einmal angedeutet, dass er sich an ihr vergangen habe. Gesehen habe er solche sexuellen Handlungen nie. Er könne sich jedoch daran erinnern, einmal beim Nachhausekommen gesehen zu haben, dass die Klägerin und der Vater aus der Schlafstube herausgekommen seien. Die Klägerin habe eine gerötete linke Gesichtshälfte aufgewiesen. Der Vater habe so ausgesehen, als wenn er sich das Hemd gerade übergezogen habe. Vor dem Vater hätten alle Angst gehabt.
Die Mutter der Klägerin verweigerte anlässlich ihrer polizeilichen Befragung vom 27. Dezember 1999 die Aussage. Am selben Tage bestritt der beschuldigte Vater H. W. die Vorwürfe. Er habe seine Tochter nie angefasst. Das Gegenteil sei der Fall gewesen. So habe die Klägerin ihm einige Male zwischen die Beine gefasst.
Mit Anklageschrift vom 28. Februar 2001 legte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten H. W. insgesamt fünf Straftaten zu Last gelegt und beantragte, das Hauptsacheverfahren vor dem Schöffengericht des Amtsgericht O. zu eröffnen. Am 25. April 2001 erklärte die Klägerin gegenüber dem Amtsgericht O., die Anzeige zurücknehmen zu wollen, zu der sie durch das Jugendamt gedrängt worden sei. Sie verstehe sich inzwischen mit ihrer Familie sehr gut und wolle diese nicht zerstören. Der Vater habe die Taten jeweils unter Alkoholeinfluss begangen. In der mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2001 hat die Klägerin die Aussage unter Hinweis auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert und ihre Erklärung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber Dr. G. und Dr. R. widerrufen. Mit Urteil vom selben Tage wurde der Angeklagte W. freigesprochen.
Der Beklagte zog Arztbriefe des Kreiskrankenhauses B. vom 13. August 1999, des AWO-Fachkrankenhauses ..., Klinik für Psychiatrie und Neurologie vom 26. Juni 2005 und vom 8. September 2005 bei.
Am 31. März 2006 fragte der Prozessbevollmächtigte unter Vorlage einer Vollmacht beim Beklagten nach dem aktuellen Sachstand an. Mit einem an die Klägerin versandten Bescheid vom 22. August 2006 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung ab, da der schädigende Vorgang objektiv nicht nachzuweisen sei. Hiergegen richtete sich der Widerspruch vom 29. September 2006: Der Beklagte habe zu Unrecht nicht an die Rechtsvertretung der Klägerin zugestellt. Von den erstbehandelnden Ärzten Dr. R. und Dr. G. seien keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Klägerin geäußert worden. Vielmehr habe die Klägerin deliktstypische Verhaltensauffälligkeiten einer posttraumatischen Belastungsstörung nach sexuellem Missbrauch aufgewiesen. Aktuell befinde sich die Klägerin bei der Dipl.-Psych. K. in Behandlung. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 25. Februar 2008 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben und geltend gemacht: Der Prozessbevollmächtigte sei trotz frühzeitiger Vorlage einer Vollmacht nicht über den ablehnenden Bescheid informiert worden. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungszustellungsgesetz hätte die Zustellung an den Bevollmächtigten erfolgen müssen. Die Zustellung sei daher unwirksam und der Widerspruch als fristgemäß anzusehen. In der Sache sei die Klägerin bei den behandelnden Ärzten glaubwürdig aufgetreten. Auch habe der Bruder der Klägerin bestätigt, dass derartige Übergriffe durchaus stattgefunden haben könnten. Lediglich die Mutter und das Jugendamt hätten die Handlungen verharmlost. Der Beklagte machte in der Sache geltend: Der Nachweis eines jahrelangen sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch den Vater sei nicht geführt.
Das SG hat u.a. einen Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. eingeholt. Diese hat bei der Klägerin einen Spannungstypkopfschmerz, eine posttraumatische Belastungsstörung, eine rezidivierende depressive Störung sowie eine Essstörung diagnostiziert. In einem beigefügten Arztbrief des AWO Fachkrankenhauses ... vom 26. Juni 2005 hat Chefarzt M. berichtet: Die Klägerin habe angegeben, mit ihrer Vergangenheit nicht klarzukommen. Sie sei seit dem fünften Lebensjahr zehn Jahre lang sexuell missbraucht worden. Die Mutter habe ihr die Schuld gegeben und sie geschlagen. Aufgrund dieser Vorkommnisse habe sie mehrere Selbstmordversuche unternommen und sich dabei Verletzungen zugefügt. Der Vater habe zwei Mal versucht, sie umzubringen und sie mit einem Messer an Hals bzw. Bauch angegriffen.
Das SG hat ein aussageanalytisches Sachverständigengutachten der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. B. vom 17. Januar 2012 eingeholt. Auf die mittels Tonträger aufgenommenen Angaben der Klägerin während der Exploration vom 14. Dezember 2011 (Bl. 155 bis 203 d. GA) wird Bezug genommen. Zur Bewertung und Analyse der Aussagen hat die Sachverständige ausgeführt: Abweichend von der polizeilichen Zeugenvernehmung habe die Klägerin jetzt angegeben, sie habe bereits beim ersten sexuellen Kontakt mit dem Vater den Oralverkehr ausführen müssen. Die geschilderten sexuellen Praktiken seien im Kerngeschehen nicht konstant. In der aktuellen Exploration habe sie berichtet, der Vater sei von hinten in sie eingedrungen oder sei mit Geschlechtsteil in sie eingedrungen, während sie auf ihm gesessen habe. Demgegenüber habe sie in ihrer Zeugenvernehmung angegeben, der Vater sei wegen ihrer schwachen Körperkonstitution regelmäßig in der sog. Mönchsstellung in sie eingedrungen. Auch die geschilderte Messerattacke werde inkonstant dargestellt. In der polizeilichen Vernehmung habe sie angegeben, der Vater habe ihr das Messer an den Bauch gehalten, während aktuell das Messer an den Hals gehalten worden sei. Auch der Vorfall mit dem Bruder werde inkonstant dargestellt. Während sie nach dem Protokoll der polizeilichen Vernehmung beim Erscheinen des Bruders das Geschlechtsteil des Vaters in der Hand gehabt habe, gebe sie jetzt an, der Bruder sei während eines Oralverkehrs aufgetaucht. Auch habe es nach der jetzigen Schilderung zwei Störungen durch den Bruder gegeben. Inkonstant sei auch, dass die Mutter bei einem sexuellen Übergriff aufgetaucht sei, während dies in der Zeugenvernehmung bestritten worden sei.
Da der Betroffene das Kerngeschehen in Bildern abspeichere und damit die Handlung wie einen Film ablaufen lassen könne, sei die Aussagenkonstanz im Kerngeschehen ein Zentralmerkmal für Glaubwürdigkeit. Bemerkenswert an der Aussage der Klägerin sei die Unfähigkeit, Rahmenhandlungen spontan skizzieren zu können. Während sie die behaupteten sexuellen Übergriffe kurz habe benennen können, seien zu den vorbereitenden oder nachbereitenden Handlungen keine eigenständigen Angaben gemacht worden. Gerade bei mit Scham besetzten Ereignissen sei jedoch zu erwarten, dass der betroffene Zeuge eher in der Lage sei, Angaben zum Nebengeschehen zu machen, als den eigentlichen sexuellen Akt konkret zu schildern. Nur auf ausdrückliche Nachfrage habe die Klägerin weitere Angaben zu den verwendeten Kondomen sowie deren Entsorgung gemacht. Die darauf bezogenen Informationen seien bruchstückhaft und unspontan gegeben worden. Auch konnte die Klägerin ihre Angaben nicht gestisch untermalen. Gerade die Rahmenhandlungen eines Geschehens seien ohne konkreten Erlebnishintergrund schwer zu antizipieren, weshalb viele Details, wenn sie ungeordnet und spontan geäußert würden, "das Salz in der Suppe" einer Aussage seien. Einzig eine Aussage habe überzeugend gewirkt, als sie kurz vor der Aufnahme ins Kinderheim vom Vater am Handgelenk gepackt und ins kalte Schlafzimmer verbracht worden sei, wobei sie sich sehr verkrampft habe. Hierbei dränge sich jedoch der Gedanke auf, dass sie zwischenzeitlich begriffen habe, wie eine Aussage besser zur Anschauung kommen könne. Die Angaben zum Großvater seien demgegenüber detailreicher geschildert worden, während der gesamte Vorgang in der polizeilichen Aussage noch überhaupt nicht erwähnt worden sei, was auf eine Teilwahrheit hindeuten könnte, deren Hintergrund aber nicht konkretisierbar sei. Nach der vom Bundesgerichtshof geforderten Null-Hypothese sei nicht zu entkräften, dass die Aussage der Klägerin mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erlebnisbegründet sei.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 31. Mai 2012 abgewiesen und sich dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen der Sachverständigen gestützt.
Mit ihrer am 10. Juli 2012 gegen das am 19. Juni 2012 zugestellte Urteil eingelegten Berufung hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und geltend gemacht: Das aussagepsychologische Gutachten von Dr. B. sei nicht überzeugend. Zu Unrecht habe die Sachverständige mit einer Wahrnehmungsübertragungshypothese gearbeitet, die auf reinen Mutmaßungen beruhe. Auch die Annahme, es liege eine irrtümliche Falschaussage auf der Basis einer Autosuggestion vor, sei nicht nachvollziehbar. Es gäbe keinerlei Hinweise dafür, dass sie bereits vor Beginn der sexuellen Übergriffe psychisch krank gewesen sei. Das Aussageverhalten von ihr sei damit zu erklären, dass sie erst eine innere Hemmschwelle habe überwinden müssen, bevor sie ihre traumatischen Erlebnisse in vollem Ausmaß habe schildern können. Der Vorwurf der Sachverständigen, ihrer Aussage fehle es an Konsistenz verkenne, dass sie die "unangenehme Schilderung schnell hinter sich bringen wollte" und dies lediglich eine individuelle Bewältigungsstrategie gewesen sei. Die erheblichen Gewissenkonflikte hätten dann auch zur Rücknahme der Strafanzeige geführt. Ihre widersprüchlichen Angaben seien als zwangsläufige Konsequenz einer jahrelangen Verdrängung zu verstehen. Zur Aufrechterhaltung der "heilen Welt" habe sie, wie auch die Mutter, mit massiver Verdrängung reagiert. Die Ausführungen der Sachverständigen zur Phantasie- und Konfabulationshypothese wiesen Widersprüchlichkeiten auf. Während auf der einen Seite der Verdacht geäußert werde, sie habe aus unehrenhaften Motiven eine Falschaussage phantasiert, werde auf der anderen Seite ausgeführt, sie habe die von ihr Beschuldigten nicht unbedingt in ein hochgradiges negatives Licht gesetzt. Auch die Schlussfolgerung der Sachverständigen, ihr sei eine irrtümliche Falschaussage vorzuwerfen, könne nicht überzeugen. Dem habe sich das SG ohne tragfähige Begründung angeschlossen. Auch sei zu bezweifeln, ob es überhaupt eines aussagepsychologischen Gutachtens bedurft hätte. Zu bezweifeln sei auch, ob die Aussage der Klägerin als einziges Beweismittel angesehen werden könne. Sowohl die Zeugen G. und R. hätten sie für glaubhaft gehalten. Aus den vorliegenden Arztberichten ergebe sich eine Ablehnung des eigenen Körpers sowie Essstörungen und selbstverletzende Handlungen, die als typische Folge von sexueller Gewalt anzusehen seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 31. Mai 2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Februar 2008 aufzuheben, festzustellen, dass sie Opfer eines tätlichen Angriffs nach dem OEG geworden ist, und den Beklagten zu verurteilen, ihr eine Beschädigtenrente nach einem GdS von mindestens 50 ab 27. September 2005 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil und die erstinstanzlichen Beweiserhebung für zutreffend.
Der Senat hat Auszüge der Verwaltungsakte des Rentenversicherungsträgers eingeholt. Hiernach hatte die Klägerin im April 2006 einen Rentenantrag bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland gestellt. In einem eingeholten Befundbericht der Dipl.-Psych. K. vom 21. April 2006 wurden die Diagnosen Posttraumatische Belastungsstörung, Anpassungsstörung, rezidivierende depressive Störung sowie generalisierte Angststörung gestellt. Die Klägerin sei über 10 Jahre lang täglich in schwerer Weise traumatisiert worden. Infolge schwerer Misshandlungen und Missbräuche sei sie stark eingeschränkt, in sich gefangen und zugleich isoliert. Alles mache ihr Angst, ihr fehle die Orientierung und das eigene Vertrauen.
Dr. B. hatte in einem psychiatrischen Gutachten vom 30. November 2006 angegeben: Die Kindheit der Klägerin sei von schlimmen Erlebnissen und ständiger Angst geprägt worden. Sie habe über 10 Jahre lang körperliche Gewalt und sexuelle Übergriffe erleiden müssen. Sie habe sich auf Empfehlung ihrer Verhaltenstherapeutin einen Hund angeschafft und könne jetzt auch mal allein die Wohnung verlassen. Sie habe starke Kopfschmerzen und führe darüber Buch. Häufig grüble sie und denke über Selbstmord nach. Ein Einsatz im Erwerbsleben sei ausgeschlossen.
In einem Reha-Bericht des ... Klinikum für Rehabilitation ... über eine stationäre Behandlung vom 4. September bis 16. Oktober 2008 wird berichtet: Die Klägerin könne sich an nichts Schönes in der Kindheit erinnern. Es habe viele Schläge und andere Strafen gegeben. Sie habe keinen Kontakt zu anderen Kindern haben dürfen und sei oft im Keller eingesperrt worden. Auch habe es stunden- oder sogar tagelang nichts zu essen gegeben. Ab dem fünften Lebensjahr sei sie regelmäßig vom Vater und vom Großvater sexuell missbraucht worden. Die Mutter habe vom Missbrauch gewusst, habe aber genau wie andere (Oma und Nachbarn) die Sache totgeschwiegen. Von der Mutter habe sie sich massiv abgelehnt und bedroht gefühlt. Sie habe oft Angst gehabt, dass ihre Mutter sie umbringen wolle. Sie habe mehrere "Unfälle mit mir gebaut." Sehr belastend habe sie es erlebt, dass sie vom Jugendamt gezwungen worden sei, den Vater vor Gericht anzuzeigen. Im Jahr 1996/1997 habe sie eine schwere Magersucht entwickelt und sei auf 28 kg abgemagert. Ihr 56-jähriger Partner sei berentet. Der Kontakt zur Herkunftsfamilie sei abgebrochen. Der Bruder habe, nachdem er ihre Handynummer von der Oma erfahren habe, kürzlich drohende SMS an sie gesendet.
In einem weiteren Gutachten vom 28. November 2008 führt Dr. B. aus: Nach einer Reha-Kur sei es zu einer Retraumatisierung gekommen. Die Klägerin führe wiederholt selbstverletzende Handlungen durch. Das Leistungsvermögen sei derzeit aufgehoben.
Der Senat hat die Schwerbehindertenakte L 7 SB 5/09 beigezogen. Gegen einen Feststellungsbescheid mit einem Grad der Behinderung von 40 hatte die Klägerin Klage erhoben. In einem eingeholten Befundbericht vom Dipl.-Psychologin K. vom 10. September 2008 wurde über deutliche Verbesserungen berichtet. Derzeit seien leichtere bis mittelschwere Störungen festzustellen. Nach einem klagabweisenden Urteil vom 1. Dezember 2008 hatte die Klägerin Berufung eingelegt und ihr Begehren weiter verfolgt. Auf gerichtlichen Vorschlag des LSG Sachsen-Anhalt einigten sich die Beteiligten auf einen GdB von 50 seit September 2008.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. B. eingeholt, die ausführte: Die Methodik zur Bestimmung der Glaubhaftigkeit gehe von der Null-Hypothese, d.h. von der Annahme aus, dass die Aussage nicht glaubhaft sei. Davon ableitend würden Alternativhypothesen formuliert, die zur Erklärung einer möglichen Falschaussage dienten. Es gehe zentral um die Qualität einer Aussage. Diese müsse so beschaffen sein, dass sich eine Erlebnishypothese rechtfertigen könne, was bei der Klägerin nicht der Fall sei. Dass die Aussage der Klägerin auf Drittmaterial fuße, sei als Hypothese absolut realistisch und wissenschaftlich auch begründbar. Letztlich bestimme einzig und allein die Aussagequalität, ob eine Aussage als glaubhaft angesehen werden könne. Auch wenn sich ihr der Eindruck aufgedrängt habe, dass die initiale Beschreibung der damals fünfzehnjährigen Klägerin vielleicht Erlebnishintergrund gehabt habe, bleibe auch dies lediglich eine Mutmaßung. Welche Aussage sei die Richtige, die frühere, die aktuelle oder keine von beiden? Es sei wissenschaftlich belegt, dass gerade jüngere Menschen oft nach Gründen für ihre Probleme suchen würden und dann zu Autosuggestionen sowie Illusionsfehlern neigten. Suggerierte Aussagen veränderten sich während der Zeit und neigen zur Ausweitung, während das Kerngeschehen inkonstant bleibe. Dies sei auch bei der Klägerin so gewesen. Die Annahme der Klägerin, sie habe eine innere Hemmschwelle überwinden müssen, mag richtig sein. Genauso gut könne es jedoch auch sein, dass es den besagten sexuellen Missbrauch überhaupt nicht gegeben habe und aus Gründen der Aufmerksamkeitssuche die initiale Aussage einfach erweitert worden sei. Dies sei keine böse Unterstellung, sondern ein Vorgang, der schlicht genauso schon vorgekommen sei. Nach wissenschaftlicher Bewertung sei ein schambelasteter Zeuge eher bereit, über das Nebengeschehen zu berichten, als sich mit dem Kerngeschehen zu beschäftigen. Bei der Klägerin sei das Gegenteil der Fall gewesen. Auch habe sie Rahmenhandlungen kaum spontan skizzieren können, sei einsilbig geblieben und wirkte so, als entwickele sie die Handlungsketten gerade erst. Diese bruchstückhafte Übermittlung von Informationen habe der Aussage jede Spontaneität genommen. Aufgabe der Sachverständigen sei es, eine Aussage zu analysieren und nicht mögliche Verdrängungsmechanismen zu reflektieren. Für die Glaubwürdigkeit einer Aussage sei die Konstanz und logische Konsistenz von zentraler Bedeutung. Erlebtes habe eine hohe Einprägungsintensität, die sich auch über die Zeit nicht erschüttern lasse. Mögen auch die präzisen Datierungen nicht mehr gelingen, rechtfertigte dies nicht, am Erlebnishintergrund zu zweifeln. Inkonstanzen im Kerngeschehen lassen dagegen erhebliche Zweifel aufkommen, ob die Angaben wahr seien. Aufgrund der Ressourcenverknappung habe ein Lügender Schwierigkeiten, insbesondere wenn zwischen den Aussage Jahre lägen, die aktuellen Angaben strukturgleich mit früheren Angaben zu rekonstruieren. Konkret Erlebtes werde dagegen über Bilder eingespeichert und lasse sich daher spontan, konstant, logisch konsistent und umfangreich vortragen. Genau hier lägen die Mängel in der Aussage der Klägerin. Nach der gängigen Literatur lasse sich auch aus den Symptomen der Klägerin nicht der Rückschluss ziehen, dass ein sexueller Missbrauch stattgefunden haben müsse.
Die Klägerin hat dagegen vorgetragen: Die Grundannahme der sog. Null-Hypothese könne im Sozialen Entschädigungsrecht keine Anwendung finden. Für die Frage, ob Aussagen glaubhaft seien, komme es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts an. Diese Verantwortung dürfe nicht auf den Sachverständigen verlagert werden. Im vorliegenden Fall sei ein aussagepsychologisches Gutachten sinnvoll. Der Senat hat die Sachverständige unter Hinweis auf das BSG-Urteil vom 17. April 2013, B 9 VG 1/12 R vom 17. April 2013 erneut angefragt, ob nach dem Beweismaßstab des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) die Angaben der Klägerin als glaubhaft anzusehen seien. In ihrer weiteren Stellungnahme vom 24. April 2013 hat Dr. B. ausgeführt: Nach der Aussagenanalyse seien die Angaben der Klägerin mit großer Wahrscheinlichkeit nicht glaubhaft. Es gebe Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch, z.B. im Sinne einer sexuellen Belästigung, der dann sukzessiv zur Vergewaltigung ausgebaut worden sei. Diese Annahme bleibe jedoch hypothetisch. Die Aussage der Klägerin sei nicht ausreichend zuverlässig und könne Ausdruck eines Suggestionsproduktes sein.
Der Senat hat vom Jugendamt B. die Jugendamtsakte beigezogen. Nach einem Aktenvermerk vom 5. Januar 1996 fand ein Gespräch mit mehreren Ärzten des Krankenhauses S. statt. Hiernach seien keine organischen, jedoch seelischen Schäden bei der Klägerin vorhanden. Sie habe ängstlich und wortkarg gewirkt. Sie habe nach ihren Angaben immer viel zu Hause in der Familie erledigen müssen. So habe sie ihre kleine Schwester zu Fuß über die viel befahrene Landstraße vom Kindergarten abholen müssen. Am 29. Dezember 1996 habe sie sich einer Krankenschwester anvertraut und dieser erzählt, dass sie von ihrem Vater seit dem siebten Lebensjahr sexuell belästigt werde. Der Vater habe sie derbe angefasst und sie aufgefordert, mit ihm ins Bett zu gehen. Es habe kein Geschlechtsverkehr stattgefunden. Sie wolle nicht mehr nach Hause zurück. Der Vater habe ihr angedroht, sie zu erschlagen. In einem Aktenvermerk vom 19. August 1996 gab Frau G. an: Der Klägerin gehe es im Vergleich zum letzten Besuch sehr gut. Sie wolle im Heim bleiben, habe jetzt einen Freund und wolle die Pille nehmen. Es habe Streit mit der Mutter über einen Brief der Oma gegeben. Sie wolle, dass ihre Mutter sie wieder besuche, da sie bisher alles mit ihr besprochen habe. In einem Vermerk vom 23. Dezember 1996 wird angegeben: Es habe Spannungen zwischen der Klägerin und ihrer Mutter gegeben. Hierbei zeichne sich eine Besserung ab, da sie zwischen dem 23. Dezember 1996 bis 1. Januar 1997 zu Hause gewesen sei. Unter dem 10. März 1997 wird berichtet, dass die Klägerin am 1. August 1997 eine Lehre als Köchin in I. aufgenommen habe. Am 12. Juni 1997 wird angegeben, die Klägerin habe gelernt selbstbewusster aufzutreten, was sich in den Hilfeplangesprächen zeige. Sie fahre an den Wochenenden nach Hause, wenn sie es für richtig halte. Am 21. November 1997 wird ein guter Verlauf der Lehrausbildung geschildert. In einem Antrag auf Gewährung von Hilfe für junge Volljährige vom 26. Juli 1998 gab die Klägerin schulische Probleme an. Die Beziehung zu den Eltern habe sich verbessert. So besuche sie ihre Eltern regelmäßig, wolle aber nicht nach Hause zurückkehren, da sie Angst vor ihrem Vater habe. Beim Abschlussgespräch am 30. April 1999 im Haus des AWO-Jugendhilfeverbundes H. habe die Klägerin gebeten, die Hilfe des Jugendamtes zum 1. Mai 1999 zu beenden. Sie lebe in einer kleinen Wohnung und setze ihre Ausbildung in I. fort. Sie werde von ihrer Mutter unterstützt. Das Verhältnis zwischen beiden habe sich verbessert. Am 18. Juni 1999 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung. Nach Angaben von Frau G. komme die Klägerin in der Wohnung nicht klar, habe finanzielle und gesundheitliche Probleme. Die Lehre könne nicht fortgesetzt werden.
In einem beigezogenen Bericht des Kreiskrankenhauses B. vom 13. August 1999 gab Chefarzt Dr. K. über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 15. Juli bis 5. August 1999 an: Die Klägerin habe angegeben, sie könne sich seit zwei Monaten nicht mehr freuen. Diesen Zustand habe sie mit 15 Jahren schon mal erlebt, als sie ins Heim gekommen sei. Sie habe ein Problem mit ihrem Vater, dadurch nachts Alpträume und könne damit nicht leben. Jetzt fühle sie sich einsam und "es sei alles wieder hochgekommen". Einen Tag vor der stationären Aufnahme sei sie bei der Polizei gewesen. Sie habe vor vierzehn Tagen eine Anzeige gegen den Vater erstattet, der sie sexuell missbraucht habe. Weder zum Vater noch zur Mutter bestünde Kontakt. Mit der Mutter gebe es aktuell Probleme, da sie ihr das Kindergeld wegnehmen wolle. Nach dem psychischen Aufnahmebefund habe sie gepflegt, mit lebhafter Gestik und Mimik und guter Auskunftsbereitschaft und Kooperation gewirkt.
Der Senat hat Befundberichte von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. und von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie G. eingeholt. Dr. L. hat am 7. Oktober 2013 bei der Klägerin einen Kopfschmerz vom Spannungstyp, eine rezidivierende depressive Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Essstörung diagnostiziert. In einem beigefügten Arztbrief des AWO-Fachkrankenhauses ... vom 26. Juni 2005 führte Chefarzt M. zu einer stationären Behandlung vom 24. November 2004 bis 15. März 2005 aus: Die Klägerin sei ab dem fünften Lebensjahr zehn Jahre lang sexuell missbraucht worden. Die Mutter habe sie geschlagen, als sie dies beobachtet habe und habe gemeint, dies sei ihre Schuld.
Fachärztin G. hat in einem Befundbericht vom 24. Oktober 2013 angegeben: Sie praktiziere nun in A. und habe die Klägerin vom 3. September 2010 bis Anfang 2012 behandelt. In einem undatierten Abschlussbericht hat sie angegeben: Durch das Muttersein sei die Klägerin jetzt wieder sensibilisiert für ihre eigene Lebensgeschichte. Gleichzeitig habe ihr Selbstbewusstsein zugenommen. Aktuell finde ein Umzug statt. Der Wunsch nach einem zweiten Kind bestehe.
In einem nicht-öffentlichen Termin vom 11. April 2014 hat der Zeuge E. W., der Bruder der Klägerin, bekundet: Er könne sich nicht mehr an seine polizeiliche Vernehmung erinnern. Er wisse nur noch, dass eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht O. habe stattfinden sollen. Nachdem der Berichterstatter dem Zeugen seine polizeiliche Aussage vorgelesen hat, hat der Zeuge erklärt: Den Inhalt der Aussage könne er bestätigen. Wenn er dies damals so gesagt habe, dann stimme das auch so.
Auf weitere Nachfrage hat der Zeuge erklärt: Der Vater sei äußerst gewalttätig gewesen. Er und seine Schwester hätten täglich Schläge bekommen. Er selbst sei wiederholt vom Vater eingesperrt worden und habe deswegen in geschlossenen Räumen eine Platzangst entwickelt. Diese Angstbelastung habe zur Ausmusterung bei der Bundeswehr geführt. Sein Vater habe ihm gegenüber sogar eine Morddrohung ausgesprochen. Wegen dieses Vorfalls sei er für kurze Zeit zu seiner Schwester N. nach I. gezogen und danach ins betreute Wohnen gekommen. Seit einem ¾ Jahr habe er über die sozialen Medien wieder Kontakt zu seine Schwester aufgenommen und mit ihr über den Termin gesprochen. Zu anderen Mitgliedern der Familie bestehe dagegen kein Kontakt mehr. Er könne sich an zwei Sachverhalte erinnern, die er zeitlich auf die Jahre 1994/1995 einschätze. Zu den beiden Zeitpunkten sei er wieder in seinem Zimmer eingesperrt worden, habe jedoch durch einen Türspalt das Wohnzimmer beobachten können. Hier habe er gesehen, wie sein Vater die Schwester zum Oralsex gezwungen habe. Die Abweichung zu seiner Aussage vor der der Polizei könne er nicht erklären. Vielleicht habe ihn die polizeiliche Vernehmung überfordert.
Wenn er gefragt werde, wann sein Vater den Schlaganfall erlitten habe, so könne er dies nicht beantworten. Er sei regelmäßig nach der Schule eingesperrt worden. Seine Schwester habe ihm gegenüber gesagt, der Vater habe sich nur Mädchen gewünscht und ihn deswegen abgelehnt. Die angegebenen sexuellen Handlungen dürften 15 bis 25 Minuten gedauert haben. Seine Beobachtungen habe er gegenüber der Schwester auch mitgeteilt. Dies könne 1998/1999 oder auch später gewesen sein. Mit 16 Jahren habe er die Familie verlassen. Am gestrigen Tag habe er mit seiner Schwester nicht über diese sexuellen Übergriffe gesprochen.
In der mündlichen Verhandlung des Senats vom 16. Juli 2014 hat die Mutter der Klägerin, nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht zur Sache ausgesagt und angegeben: Die Familie habe in zwei zusammengelegten Wohnungen gelebt. Wenn die Kinder nicht gehört hätten, könne es sein, dass sie "eine drauf gekriegt haben". Der Junge etwas mehr, weil er ein "Raudi" gewesen sei. Stubenarrest sei vorgekommen. Dabei seien die Kinder aber nicht eingeschlossen worden. Im Verhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Mann sei ihr nichts aufgefallen. Über sexuelle Belästigungen gegenüber der Klägerin könne sie nichts sagen. Sie habe den Eindruck gehabt, "dass alles in Ordnung ist". Ihr Mann habe viel getrunken und sei ein regelrechter Alkoholiker gewesen. Wenn er getrunken habe, sei er immer friedlich geblieben. Den Alkohol habe sie ihm meistens gekauft. Von den Vorwürfen habe sie erst erfahren, als die Klägerin im Krankenhaus gewesen sei. Ihr Mann und sie hätten über dieses Thema nie richtig gesprochen. Wenn es sexuelle Übergriffe gegeben habe, hätten diese auch mit der Jüngsten passiert sein müssen. Da sei jedoch garantiert nie etwas gewesen. Die Wohnung habe zwei Wohnzimmer gehabt. Der Fernseher habe in der linken Wohnstube gestanden. In der rechten Wohnstube hätten sich eine Couch, Tisch und Schränke befunden. In diesem Zimmer habe sich die Familie selten aufgehalten. Die linke Wohnstube habe einen Durchgang mit Bogen, aber keine Tür gehabt, so dass dieser Raum stets offen gewesen sei. Zwischen der Tür zu E. Zimmer und der linken Wohnstube dürfte eine Entfernung von vier Metern bestanden haben. Davor sei noch die Küche gewesen. Vom Bogen aus habe die Couch links gestanden. Geradeaus sei der Kachelofen gewesen und rechts habe der Fernseher gestanden. Wenn jemand auf der Couch gesessen habe und Fernsehen geschaut habe, hätte der Sohn von seinem Zimmer aus nichts sehen können. Vermutlich hätte er nur den offenen Bogen sehen können. Aus der Doppelwohnung seien sie im Dezember 1997 ausgezogen. Es sei ihr unangenehm gewesen, dass ihr Mann getrunken habe. Den Alkohol habe sie ihrem Mann besorgt, weil es sonst die Kinder hätten machen müssen. E. habe nicht immer dasselbe Kinderzimmer bewohnt. Er habe sein Kinderzimmer auch mal oben gehabt. Auch von dort hätte er das Wohnzimmer nicht einsehen können.
In der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2015 hat der Zeuge E. W. von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Die Klägerin hat auf Befragen angegeben: Sie sei fünf gewesen, als es das erste Mal passiert sei. Die letzte Tat müsse im Alter von 14 bis 15 Jahren gewesen sein. Auch ihr Opa habe etwas gemacht, wobei sie nicht mehr genau wissen, wie alt sie da gewesen sei.
Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte des Beklagten, die Schwerbehindertenakte L 7 SB 5/09 und Auszüge den Verwaltungsakten des Rentenversicherungsträgers sowie die Beiakte des Jugendamtes Börde haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist der Widerspruch fristgemäß erfolgt. Bereits am 31. März 2006 lag die schriftliche Vollmacht der Bevollmächtigten der Klägerin bei dem Beklagten vor. Mithin war der Beklagte gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) verpflichtet, den Bescheid vom 22. August 2006 an die Bevollmächtigte zuzustellen. Dies hat sie versäumt, was zur Unwirksamkeit der Zustellung geführt hatte (vgl. Engelhardt/App/Schlatmann, VwZG, 9. Auflage 2011, § 7 Rdn. 7). Dieser Zustellungsmangel konnte durch einen weiteren Zugang an die Bevollmächtigte der Klägerin geheilt werden (§ 8 VwZG). Nach unwiderlegbarer Einlassung der Bevollmächtigten der Klägerin hat sie erst am 26. September 2006 Kenntnis vom Bescheid vom 22. August 2006. Der Widerspruch erfolgte daher fristgemäß.
Die Klägerin hat jedoch weder einen Anspruch auf die Feststellung von Schädigungsfolgen noch einen Anspruch auf Versorgung nach den Vorschriften des OEG i.V.m. dem BVG. Weder nach ihren Angaben, dem Gutachten von Dr. B. noch den weiteren vom Senat ausgewerteten Unterlagen kann ein hinreichend konkreter Schädigungstatbestand im Sinne eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff i.S.d. § 1 Abs. 1 OEG festgestellt werden.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält eine natürliche Person, die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG besteht aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. Als tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt. Der tätliche Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zeichnet sich durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010, B 9 VG 1/09 R und Urteil vom 9. April 2011, B 9 VG 2710 R, jeweils zitiert nach juris). Ein sexueller Missbrauch von Kindern kann dabei auch ohne Anwendung von Gewalt das Merkmal des "tätlichen Angriffs" im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG erfüllen (BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995, 9 RVg 4/93, zitiert nach juris).
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) in Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Eine Sache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, das alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG bzw. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen (ständige Rechtsprechung des BSG, Urteile vom 24. November 2010, B 11 AL 35/09 R und vom 17. April 2013, B 9 V 1/12 R; Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B, juris).
Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgungsleistungen wegen der Folgen sexuell motivierter Übergriffe zwischen dem fünften und dem 15. Lebensjahr durch ihren Vater bzw. ihren Großvater. Nach der Auffassung des Senats sind die von ihr behaupteten Angriffe, die vom sexuellen Missbrauch bis zur Vergewaltigung sowie einem Messerangriff reichen, wenig wahrscheinlich.
Grundsätzlich müssen, wie oben dargestellt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Jahrelange, sexuell motivierte Angriffe des Vaters H. W. gegen die Klägerin stehen nicht im Vollbeweis fest. Bereits nach den Aussagen der im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen können die Vorgänge nur in sehr begrenztem Umfang nach Sachverhalt, Ort und Zeit sowie Umständen konkretisiert werden. Der Zeuge E. W., der im Erörterungstermin vom 11. April 2014 entgegen seiner früheren polizeilichen Vernehmung bekundet hat, der Vater habe Klägerin zum Oralsex in zwei Fällen gezwungen, hat diese Aussage in der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2015 nicht wiederholt, sondern von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Nach der Aussage der Mutter in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2014 hat E. W. von seinem Zimmer aus wahrscheinlich nicht sehen können, was sich im Wohnzimmer der Familie abgespielt hat. Dies weckt erhebliche Zweifel, ob die Angaben des Zeugen vom 11. April 2014 einen realen Hintergrund haben. Nachdem er diese Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2015 nicht wiederholt, sondern von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, sind seine Aussagen in sich selbst widersprüchlich und unglaubhaft. Auch die Mutter der Klägerin, die Zeugin M. S. hat in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2014 einen sexuellen Missbrauch der Klägerin nicht bekundet.
Bei der Beweisführung kommt der Klägerin grundsätzlich die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG zu Gute. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. § 15 KOVVfG soll der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte usw. nicht mehr erlangen konnten. Die Beweiserleichterung ist jedoch auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989, 9 RVg 3/89, juris). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet (BSG, Urteil vom 17. April 2013, B 9 V 1/12 R, juris).
Von einer Beweisnot der Klägerin ist im vorliegenden Fall auszugehen. Der Vater der Klägerin hat in seiner polizeilichen Vernehmung sexuell motivierte Übergriffe auf die Klägerin in Abrede gestellt und steht nach seinem Tod als Zeuge nicht mehr zur Verfügung. Sie hat für die von ihr geschilderten Vorfälle zwischen dem fünften bis 15. Lebensjahr im häuslichen Umfeld keine Zeugen und kann daher den Beweis nur durch eigene Angaben erbringen. Hinweise auf gynäkologische Auffälligkeiten oder Verletzungen im Genitalbereich liegen nicht vor.
Nach Würdigung aller Gesamtumstände, insbesondere des Sachverständigengutachtens von Dr. B. sowie ihren ergänzenden Stellungnahmen, den Bewertungen der Versorgungsärzte, sowie dem umfassenden Akteninhalt sieht sich der Senat außer Stande, den von der Klägerin behaupteten jahrelangen sexuellen Missbrauch hinsichtlich Ort, Zeit und Umständen zu konkretisieren und als überwiegend wahrscheinlich anzusehen. Es bestehen erhebliche Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin. Ihr Aussageverhalten ist von zahlreichen eklatanten Unstimmigkeiten und Widersprüchen geprägt.
So hat sie nach den Angaben der Zeugin Dr. G. im Jahr 1999 zufolge dieser gegenüber Tatschilderungen von sexuellen Übergriffen des Vaters bereits im Jahr 1996, jedoch ohne Geschlechtsverkehr, geschildert. Demgegenüber hatte die Klägerin aber der Mitarbeiterin des Jugendamtes Gertz zu diesem Zeitpunkt nur von sexuellen Belästigungen des Vaters berichtet, ohne diese weiter zu konkretisieren. Dies war offenbar auch der Hintergrund, warum gegen den Vater nicht schon im Jahr 1996 strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden waren. Einen vom Vater an ihr vollzogener Geschlechtsverkehr hat sie zu diesem Zeitpunkt noch klar verneint, was auch der Zeuge Dr. R. in seiner polizeilichen Vernehmung bestätigt hatte.
Unterstellt man dagegen die umfassenden Angaben der Klägerin bei der Polizei im Jahr 1999 als wahr, ist von zahlreichen sexuellen Missbrauchstaten und Vergewaltigungen des Vaters auszugehen. Dort bekundete sie über Jahre praktizierte tägliche sexuelle Übergriffe und ständige Vergewaltigungen des Vaters, sowie Gewaltanwendungen und Drohungen, die in einem Fall sogar mit einem Messer durchgeführt worden seien. Die Divergenz zwischen den Angaben der Klägerin im Jahr 1996 und 1999 bleiben gerade mit Blick auf die behaupteten Vergewaltigungen eklatant und gleichzeitig unerklärlich. Unverständlich bleibt auch, warum die Klägerin gegenüber den behandelnden Ärzten konkretere Angaben zu einem langjährigen sexuellen Missbrauch gemacht hatte, diese Angabe gegenüber der Mitarbeiterin des Jugendamtes jedoch nicht wiederholte und damit ein sofortiges Strafverfahren – wie im Jahr 1999 – verhindert hatte.
Die Angaben der Klägerin zum Umfang und der Qualität der an ihr begangenen Straftaten steigerte sich im weiteren Verlauf immer weiter. So gab sie gegenüber Ärzten im Jahr 2005 an, die Mutter habe die sexuellen Übergriffe gesehen und dies geduldet. In einem weiteren ärztlichen Bericht aus dem Jahr 2008 behauptete sie sogar, Todesangst vor der Mutter gehabt zu haben, da diese sie habe umbringen wollen und sie mittels nicht näher beschriebener "Unfälle" an Leib und Leben gefährdet habe. Auch die nach dem Jahr 1999 aufgestellte Behauptung, sie sei nicht nur vom Vater, sondern auch durch ihren Großvater vergewaltigt worden, findet sich weder in der polizeilichen Vernehmung noch in den dokumentierten Angaben der Klägerin in der Zeit davor.
Vor dem Hintergrund des aktuell geschilderten über zehn Jahren erlittenen Martyriums durch Vater und Großvater sowie Mutter wäre eine schwerste Traumatisierung der Klägerin im Jahr 1996 zu erwarten gewesen, die von den behandelnden Ärzten im Jahr 1996 nicht diagnostiziert worden und der Jugendamtsakte auch nicht zu entnehmen ist. Nach Aktenlage kam es während des Heimaufenthaltes ab dem Jahr 1996 sogar zu einem deutlichen Stabilisierungsprozess im Leben der Klägerin. Sie lebte im Heim geradezu auf, wollte sich wegen eines neuen Freundes die Pille verschreiben lassen, konnte eine Ausbildung beginnen und stabilisierte auch das Verhältnis zu ihren Eltern. Die Eintragungen des Jugendamtes zeichnen das Bild einer weitgehend positiven Persönlichkeitsnachreifung. Im Mai 1999 glaubte sie sich schon so selbstständig, dass sie eine Wohnung in I. bewohnen konnte und die Hilfe des Jugendamtes beenden wollte. Im Juni 1999 kam es dann zu einer dramatischen Wende des Geschehens, für die der Senat keine eindeutigen Gründe hat ermitteln können. Am 17. Juni 1999 machte die Klägerin gegenüber der Mitarbeiterin des Jugendamtes Angaben über einen langjährigen sexuellen Missbrauch sowie Vergewaltigungen, die von ihrem Vater verübt worden seien. Nach diesen Angaben kam es zu einer Anzeige sowie strafrechtlichen Ermittlungen gegen H. W., die in eine Anklageschrift und eine strafrichterliche Verhandlung mündeten.
Nach der überzeugenden Ansicht der Sachverständigen Dr. B. beruhen die Angaben der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf einem konkreten Erlebnishintergrund. Insbesondere im Kerngeschehen, das sich beim Opfer von Gewalttaten "an sich" wie in einem Bild bzw. Film "einbrennt" und immer wieder reproduzierbar ist, zeigen sich deutliche Abweichungen im Aussageverhalten. Die Sachverständige Dr. B. hat neben den bereits oben genannten Abweichungen beispielhaft auf signifikante Abweichungen zu den Themenkreisen des ersten sexuellen Übergriffs des Vaters, des genauen Ablauf der Vergewaltigungen, der Darstellung der Messerattacke, dem Störungsvorfall mit dem Bruder sowie die Aussageschwäche der Klägerin beim Nebengeschehen (z.B. Kondome) ausführlich und überzeugend herausgearbeitet.
Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben der Klägerin bestehen insbesondere wegen der deutlichen Hinweise für massive Taterweiterungen und Aufbauschungen. So hat sie beispielsweise nach der Schilderung in der polizeilichen Vernehmung auch ihrem Großvater sexuell motivierte Taten vorgeworfen. Ihrer Mutter hat sie, im völligen Gegensatz zu all ihren Angaben bis 1999 nun sogar "Anschlagsversuche" auf Leib oder Leben vorgeworfen. Auch die Erklärung der Klägerin in der Exploration bei der Sachverständigen Dr. B., wie es zur Rücknahme der Strafanzeige gekommen war (Bl. 192-193 der Gerichtsakte), ist wenig überzeugend. So konnte sie sich weder an ihr Anschreiben an das Gericht erinnern, noch an ihre genaue Motivlage, wie es zu diesem für sie gravierenden Sinneswandel gekommen war. Bemerkenswert ist auch die Angabe der Klägerin in einem ärztlichen Befund des Jahres 2008, sie sei vom Jugendamt "gezwungen" worden, Anzeige gegen den Vater zu erstatten. Für eine derartige Zwangslage bestehen keine Anhaltspunkte, vielmehr zeigt dieses Aussageverhalten eine Tendenz auf, die Verantwortung eigenen Verhaltens zu relativieren und die Realität mittels eigener Bewertungen zu verschieben.
Betrachtet man insbesondere das umfassend dokumentierte Aussageverhalten der Klägerin vor der Sachverständigen Dr. B., fehlt ihren Aussagen jedes Detailwissen gerade in den Nebenhandlungen (z.B. Kondom). Spontane Ausführungen über scheinbare Nebensächlichkeiten fehlen ebenso und nehmen der Aussage damit jede Lebendigkeit und Überzeugungskraft. Gerade schamgeprägte Erlebnisse führen dazu, dass der davon Betroffene Angaben zu dem schmerzhaften Geschehen typischerweise vermeidet und sich auf eher auf das Randgeschehen konzentriert (so Dr. B.). Bei der Klägerin zeigt sich ein geradezu gegenteiliges Aussageverhalten. Während sexuelle Handlungen zumindest vom äußeren Ablauf noch geschildert werden konnten, vermochte sie scheinbar nebensächliche Details und innere Eindrücke, die ein unmittelbar betroffenes Opfer als Eigengeschehen erinnern müsste, nicht schildern. Die Verarmung ihrer Aussage gerade im Kerngeschehen und den scheinbar nebensächlichen Details lassen auch mit Blick auf die schon genannten Widersprüche erhebliche Zweifel aufkommen, ob die dargestellten Geschehnisse tatsächlich auf konkreten Ereignissen beruhen.
Die angebliche Vergewaltigung des Großvaters hat weder im Jahr 1996 noch 1999, d.h. zu Zeiten als diese behaupteten Taten noch zeitnahe Folgen bei der Klägerin verursachen konnten, irgendeine Rolle gespielt. Wäre dies tatsächlich der Fall gewesen, hätte es nahegelegen, auch den Großvater zum Gegenstand der polizeilichen Vernehmung im Jahr 1999 zu machen. Auf dieser Linie liegt auch die grobe Veränderung des Aussageverhaltens der Klägerin zur Tatbeteiligung der Mutter. Während diese zunächst aus jedem Tatvorwurf von ihr ausgespart wurde, steigerte sie sich nach 1999 dahingehend, der Mutter Kenntnis und eigene Beobachtungen der an ihr begangenen Sexualstraftaten sowie sogar eigene Gewalthandlungen gegenüber der Klägerin vorzuwerfen, die bis zu vage angedeuteten Tötungsversuchen gereicht haben. Hätte die Mutter tatsächlich Tötungsabsichten gegenüber der Klägerin gehabt, hätte die Klägerin wohl kaum in den Jahren 1996 bis 1999 von einem zwar schwierigen, aber tendenziell besserungsfähigen und von ihr auch so gewünschten Verhältnis zur Mutter gesprochen.
Die Bewertungen von Dr. G. und Dr. R., sie hielten die im Jahr 1996 gemachten Angaben der Klägerin für glaubhaft, können an dieser Einschätzung nichts ändern. Für den Senat geht es gerade nicht nur um die Angaben aus dem Jahr 1996. Hätte die Klägerin daran konstant festgehalten, wäre zumindest von einer konsistenten Aussage auszugehen. Die Klägerin bietet jedoch seit 1996 immer neue und dramatisch gesteigerte Tatversionen, zu denen es in der Zeit zwischen dem fünften und 15. Lebensjahren gekommen sein soll. Bei den vielen Tatversionen, die im Kerngeschehen auch erheblich differieren bzw. einander widersprechen, war es dem Senat nicht möglich, auf tatsächliche tätliche Angriffe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu schließen.
Den von Dr. B. ausführlich explorierten Aussageinhalten der Klägerin fehlt im Kerngeschehen sowie bei der Aussagequalität hinsichtlich Detailreichtum sowie emotionaler Bildwiedergabe jede Lebendigkeit und Überzeugungskraft. Zudem lassen sich eklatante Widersprüche (siehe oben) nicht auflösen, so dass die Würdigung des gesamten Aussageverhaltens der Klägerin so wenig glaubhaft ist, dass die Bekundungen als unwahrscheinlich angesehen werden müssen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Klägerin in schwierigsten familiären Verhältnissen aufgewachsen ist und möglicherweise tatsächlich tätlichen Übergriffen von Dritten ausgesetzt war. Die genauen Umstände dieses Geschehens lassen sich jedoch nach Zeit, Ort und Umständen in keiner Weise mehr konkretisieren. Dem Senat ist es trotz erheblichen Aufwandes nicht gelungen, den Sachverhalt im Hinblick auf konkrete physische Angriffe Dritter auf die Klägerin weiter aufzuklären. Die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes führt aus Gründen der objektiven Beweislast dazu, einen Versorgungsanspruch der Klägerin abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter.
Am 27. September 2005 beantragte die am ... 1980 geborene Klägerin Beschädigtenversorgung beim Amt für Versorgung und Soziales nach dem OEG. Sie gab an, ihr am 3. September 2002 verstorbener Vater habe sie täglich misshandelt und vergewaltigt. Das Versorgungsamt zog die staatsanwaltliche Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Magdeburg 535 Js 5663/00 bei. Hiernach hatte eine Polizeibeamtin des Polizeireviers W. nach einem Hinweis des Jugendamtes den Vater – H. W. – am 17. Juni 1999 wegen sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung der Klägerin angezeigt.
In der ersten Zeugenvernehmung vom 15. Juni 1999 hatte die Klägerin zu Protokoll gegeben: Die schrecklichen Vorfälle hätten begonnen, als sie fünf Jahre alt gewesen sei. Es sei im Sommer gewesen. Die Mutter habe gearbeitet, während der Vater im Wohnzimmer Fernsehen schaute. Zu dieser Zeit sei der Vater noch der Liebste gewesen und sie habe mit ihm rumgeschmust. Dann habe der Vater die Hand der Klägerin an sein Geschlechtsteil geführt, festgehalten und sich bis zum Samenerguss befriedigt. Dies habe sich fast täglich wiederholt, bis sie sechs Jahre alt gewesen sei. Ca. drei Wochen nach ihrem sechsten Lebensjahr habe er (der Vater) sie zum ersten Mal vergewaltigt. In der zuvor geschilderten Weise habe er sich zunächst erregt, sei dann mit der Klägerin ins Schlafzimmer gegangen, habe sie aufgefordert, sich auszuziehen, habe sie mit Zungenkontakt auf den Mund geküsst, habe ihren Schlüpfer ausgezogen, sei mit seinem Finger in ihre Scheide eingedrungen und habe dann sein Geschlechtsteil etwas in die Scheide eingeführt. Dann habe er den Vorgang abgebrochen und habe in den Folgemonaten keinen Geschlechtsverkehr mehr ausgeführt. Sie habe ihn jedoch fast täglich mit der Hand an seinem Geschlechtsteil befriedigen müssen. Als sie acht Jahre alt gewesen sei, habe es wieder angefangen. Erst habe sie den Vater wieder mit der Hand befriedigen sollen, als dieser sein Geschlechtsteil in ihren Mund geführt habe und den Oralverkehr bis zum Samenerguss habe ausführen lassen. Anschließend habe sie sich auf dem Klo erbrechen müssen. Dies habe sich fast täglich wiederholt. Sie habe sich dann immer erbrechen müssen und nichts mehr essen und trinken können. Der Vater habe gedroht, sie zu erschlagen, wenn sie dies der Mutter erzähle. Später habe er wieder versucht, den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuführen. Sie habe geweint und ihn gebeten, damit aufzuhören, worauf der Vater ihr mit der flachen Hand so hart ins Gesicht geschlagen habe, dass ein Abdruck der Hand auf Wange verblieben sei. Sie habe bei dem Akt, genau wie beim ersten Mal, aus der Scheide geblutet und Unterleibsschmerzen gehabt. Der sexuelle Kontakt habe fast täglich stattgefunden. Entweder habe sie den Oralverkehr bis zum Samenerguss im Wohnzimmer ausführen müssen oder er habe den Geschlechtsverkehr mit ihr im Schlafzimmer versucht. Den Geschlechtsverkehr habe er dann bis zum vierzehnten Lebensjahr fast täglich bis zum Samenerguss ausgeführt und dabei jeweils ein Kondom benutzt. Bei Widerstand habe er mit Schlägen oder einem Teppichklopfer Gewalt ausgeübt, jedoch äußere Verletzungen insbesondere im Gesicht vermieden, um keinen Verdacht zu erregen. Mit der Zeit sei er immer brutaler geworden. Als sie vierzehn Jahre alt gewesen sei, habe der Vater einen Schlaganfall erlitten. Einige Tage vor seiner Krankenhausentlassung habe sie Angst vor seiner Rückkehr bekommen. Zunächst habe sie jedoch zwei bis drei Monate vor ihm Ruhe gehabt. Er sei halbseitig gelähmt gewesen. Anschließend sei der Vater wieder ins Krankenhaus gekommen. Kurz vor seiner erneuten Entlassung im Winter 1995 habe sie einen Nervenzusammenbruch wegen seiner Rückkehr erlitten. Mit hohem Fieber sei sie dann ins Krankenhaus eingeliefert worden. Im Krankenhaus habe sie sich einer Krankenschwester anvertraut, die es Dr. R. erzählt habe, der dann das Jugendamt informiert habe. Sie habe mit Selbstmord gedroht, um nicht nach Hause entlassen zu werden. In einer Nachvernehmung vom 14. Juli 1999 erklärte die Klägerin: Im Alter von 12 bis 13 Jahren sei es zu einer Bedrohung durch ihren Vater mit einem Messer gekommen. Das Messer, ca. 20 cm lang, mit schwarzem Kunststoffgriff und einer ca. 1,5 cm breiten Stahlklinge habe auf dem Küchentisch gelegen. Sie habe mit dem Rücken an der Küchentür gestanden und dem Vater zugeschaut. Was dieser genau gemacht habe, wisse sie nicht mehr. Eine Unterhaltung habe es dabei nicht gegeben. Plötzlich habe ihr Vater das Küchenmesser genommen, sich unmittelbar vor sie hingestellt und das Messer an ihren Bauch gehalten. Dabei habe sie die Messerspitze durch die Kleidung am Bauch gespürt. Dabei habe er gedroht: "Fräulein, wehe Du sagst etwas!".
Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. gab am 8. September 1999 polizeilich zu Protokoll: Die Klägerin sei zu ihr erstmals am 1. Februar 1996 in eine ambulante Behandlung gekommen. Zuvor habe sie mit ihr auf der Kinderstation gesprochen. Die Klägerin sei am 16. Januar 1996 in das Kinderheim L. eingewiesen worden. Hierbei habe sie angegeben, seit ihrem 7. Lebensjahr vom Vater sexuell missbraucht worden zu sein. Sie sei wiederholt gezwungen worden, sexuelle Handlungen am Geschlechtsteil des Vaters vorzunehmen. Zum Geschlechtsverkehr sei es dabei nie gekommen. In der Folgezeit sei die Klägerin im Kinderheim geblieben, habe über eine gebesserte familiäre Situation berichtet und im Februar 1997 eine Lehrstelle aufgenommen. Es bestünden keine Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit.
Der Stationsarzt Dr. R. gab in seiner polizeilichen Zeugenvernehmung vom 10. September 1999 an: In der Zeit vom 9. Dezember 1995 bis 16. Januar 1996 habe sich die Klägerin auf der Kinderstation im ...-Krankenhaus befunden. Sie habe einen sehr erschöpften, reduzierten und deutlich kranken Eindruck hinterlassen. Die vermutete Nierenentzündung habe sich nicht bestätigt. Eine gynäkologische Untersuchung habe nichts Auffälliges ergeben. Sie sei verhaltensauffällig gewesen und habe unter starken Schmerzen gelitten. Am 21. Behandlungstag habe sie dann erstmals angegeben, seit dem 6./7. Lebensjahr vom Vater regelmäßig sexuell belästigt worden zu sein, was auch zu stationären Aufenthalte wegen Nierenentzündungen geführt habe. In der weiteren Folge sei mit Zustimmung der Mutter die Unterbringung im L. veranlasst worden. Die Aussagen der Klägerin habe er als glaubhaft eingeschätzt.
Die Sachbearbeiterin des Jugendamtes G. gab in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 15. Juli 1999 an: Sie kenne die Familie W. seit ca. 1994. Im Jahr 1996 sei sie in das Krankenhaus " ..." in H. gerufen worden. Hierbei habe die Klägerin angegeben, sie werde vom Vater sexuell belästigt. Daraufhin sei die Aufnahme in ein Kinderheim veranlasst worden. Genaue Schilderungen der sexuell motivierten Handlungen des Vaters habe die Klägerin ihr gegenüber nicht gemacht. Dies habe sie veranlasst, weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft über den Sachverhalt zu informieren.
Der Bruder der Klägerin, E. W., bekundete am 10. Dezember 1999 vor der Polizei: Er habe zu der Klägerin ein vertrauensvolles Verhältnis. Sie habe ihm gegenüber vor ca. einem Jahr angegeben, der Vater habe sich an ihr vergangen. Als sie bereits in der Lehre gewesen sei, sei er über sie hergefallen, habe ihr die Kleider vom Leib gerissen und sie vergewaltigt. Bereits zuvor habe sie einmal angedeutet, dass er sich an ihr vergangen habe. Gesehen habe er solche sexuellen Handlungen nie. Er könne sich jedoch daran erinnern, einmal beim Nachhausekommen gesehen zu haben, dass die Klägerin und der Vater aus der Schlafstube herausgekommen seien. Die Klägerin habe eine gerötete linke Gesichtshälfte aufgewiesen. Der Vater habe so ausgesehen, als wenn er sich das Hemd gerade übergezogen habe. Vor dem Vater hätten alle Angst gehabt.
Die Mutter der Klägerin verweigerte anlässlich ihrer polizeilichen Befragung vom 27. Dezember 1999 die Aussage. Am selben Tage bestritt der beschuldigte Vater H. W. die Vorwürfe. Er habe seine Tochter nie angefasst. Das Gegenteil sei der Fall gewesen. So habe die Klägerin ihm einige Male zwischen die Beine gefasst.
Mit Anklageschrift vom 28. Februar 2001 legte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten H. W. insgesamt fünf Straftaten zu Last gelegt und beantragte, das Hauptsacheverfahren vor dem Schöffengericht des Amtsgericht O. zu eröffnen. Am 25. April 2001 erklärte die Klägerin gegenüber dem Amtsgericht O., die Anzeige zurücknehmen zu wollen, zu der sie durch das Jugendamt gedrängt worden sei. Sie verstehe sich inzwischen mit ihrer Familie sehr gut und wolle diese nicht zerstören. Der Vater habe die Taten jeweils unter Alkoholeinfluss begangen. In der mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2001 hat die Klägerin die Aussage unter Hinweis auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert und ihre Erklärung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber Dr. G. und Dr. R. widerrufen. Mit Urteil vom selben Tage wurde der Angeklagte W. freigesprochen.
Der Beklagte zog Arztbriefe des Kreiskrankenhauses B. vom 13. August 1999, des AWO-Fachkrankenhauses ..., Klinik für Psychiatrie und Neurologie vom 26. Juni 2005 und vom 8. September 2005 bei.
Am 31. März 2006 fragte der Prozessbevollmächtigte unter Vorlage einer Vollmacht beim Beklagten nach dem aktuellen Sachstand an. Mit einem an die Klägerin versandten Bescheid vom 22. August 2006 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung ab, da der schädigende Vorgang objektiv nicht nachzuweisen sei. Hiergegen richtete sich der Widerspruch vom 29. September 2006: Der Beklagte habe zu Unrecht nicht an die Rechtsvertretung der Klägerin zugestellt. Von den erstbehandelnden Ärzten Dr. R. und Dr. G. seien keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Klägerin geäußert worden. Vielmehr habe die Klägerin deliktstypische Verhaltensauffälligkeiten einer posttraumatischen Belastungsstörung nach sexuellem Missbrauch aufgewiesen. Aktuell befinde sich die Klägerin bei der Dipl.-Psych. K. in Behandlung. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 25. Februar 2008 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben und geltend gemacht: Der Prozessbevollmächtigte sei trotz frühzeitiger Vorlage einer Vollmacht nicht über den ablehnenden Bescheid informiert worden. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungszustellungsgesetz hätte die Zustellung an den Bevollmächtigten erfolgen müssen. Die Zustellung sei daher unwirksam und der Widerspruch als fristgemäß anzusehen. In der Sache sei die Klägerin bei den behandelnden Ärzten glaubwürdig aufgetreten. Auch habe der Bruder der Klägerin bestätigt, dass derartige Übergriffe durchaus stattgefunden haben könnten. Lediglich die Mutter und das Jugendamt hätten die Handlungen verharmlost. Der Beklagte machte in der Sache geltend: Der Nachweis eines jahrelangen sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch den Vater sei nicht geführt.
Das SG hat u.a. einen Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. eingeholt. Diese hat bei der Klägerin einen Spannungstypkopfschmerz, eine posttraumatische Belastungsstörung, eine rezidivierende depressive Störung sowie eine Essstörung diagnostiziert. In einem beigefügten Arztbrief des AWO Fachkrankenhauses ... vom 26. Juni 2005 hat Chefarzt M. berichtet: Die Klägerin habe angegeben, mit ihrer Vergangenheit nicht klarzukommen. Sie sei seit dem fünften Lebensjahr zehn Jahre lang sexuell missbraucht worden. Die Mutter habe ihr die Schuld gegeben und sie geschlagen. Aufgrund dieser Vorkommnisse habe sie mehrere Selbstmordversuche unternommen und sich dabei Verletzungen zugefügt. Der Vater habe zwei Mal versucht, sie umzubringen und sie mit einem Messer an Hals bzw. Bauch angegriffen.
Das SG hat ein aussageanalytisches Sachverständigengutachten der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. B. vom 17. Januar 2012 eingeholt. Auf die mittels Tonträger aufgenommenen Angaben der Klägerin während der Exploration vom 14. Dezember 2011 (Bl. 155 bis 203 d. GA) wird Bezug genommen. Zur Bewertung und Analyse der Aussagen hat die Sachverständige ausgeführt: Abweichend von der polizeilichen Zeugenvernehmung habe die Klägerin jetzt angegeben, sie habe bereits beim ersten sexuellen Kontakt mit dem Vater den Oralverkehr ausführen müssen. Die geschilderten sexuellen Praktiken seien im Kerngeschehen nicht konstant. In der aktuellen Exploration habe sie berichtet, der Vater sei von hinten in sie eingedrungen oder sei mit Geschlechtsteil in sie eingedrungen, während sie auf ihm gesessen habe. Demgegenüber habe sie in ihrer Zeugenvernehmung angegeben, der Vater sei wegen ihrer schwachen Körperkonstitution regelmäßig in der sog. Mönchsstellung in sie eingedrungen. Auch die geschilderte Messerattacke werde inkonstant dargestellt. In der polizeilichen Vernehmung habe sie angegeben, der Vater habe ihr das Messer an den Bauch gehalten, während aktuell das Messer an den Hals gehalten worden sei. Auch der Vorfall mit dem Bruder werde inkonstant dargestellt. Während sie nach dem Protokoll der polizeilichen Vernehmung beim Erscheinen des Bruders das Geschlechtsteil des Vaters in der Hand gehabt habe, gebe sie jetzt an, der Bruder sei während eines Oralverkehrs aufgetaucht. Auch habe es nach der jetzigen Schilderung zwei Störungen durch den Bruder gegeben. Inkonstant sei auch, dass die Mutter bei einem sexuellen Übergriff aufgetaucht sei, während dies in der Zeugenvernehmung bestritten worden sei.
Da der Betroffene das Kerngeschehen in Bildern abspeichere und damit die Handlung wie einen Film ablaufen lassen könne, sei die Aussagenkonstanz im Kerngeschehen ein Zentralmerkmal für Glaubwürdigkeit. Bemerkenswert an der Aussage der Klägerin sei die Unfähigkeit, Rahmenhandlungen spontan skizzieren zu können. Während sie die behaupteten sexuellen Übergriffe kurz habe benennen können, seien zu den vorbereitenden oder nachbereitenden Handlungen keine eigenständigen Angaben gemacht worden. Gerade bei mit Scham besetzten Ereignissen sei jedoch zu erwarten, dass der betroffene Zeuge eher in der Lage sei, Angaben zum Nebengeschehen zu machen, als den eigentlichen sexuellen Akt konkret zu schildern. Nur auf ausdrückliche Nachfrage habe die Klägerin weitere Angaben zu den verwendeten Kondomen sowie deren Entsorgung gemacht. Die darauf bezogenen Informationen seien bruchstückhaft und unspontan gegeben worden. Auch konnte die Klägerin ihre Angaben nicht gestisch untermalen. Gerade die Rahmenhandlungen eines Geschehens seien ohne konkreten Erlebnishintergrund schwer zu antizipieren, weshalb viele Details, wenn sie ungeordnet und spontan geäußert würden, "das Salz in der Suppe" einer Aussage seien. Einzig eine Aussage habe überzeugend gewirkt, als sie kurz vor der Aufnahme ins Kinderheim vom Vater am Handgelenk gepackt und ins kalte Schlafzimmer verbracht worden sei, wobei sie sich sehr verkrampft habe. Hierbei dränge sich jedoch der Gedanke auf, dass sie zwischenzeitlich begriffen habe, wie eine Aussage besser zur Anschauung kommen könne. Die Angaben zum Großvater seien demgegenüber detailreicher geschildert worden, während der gesamte Vorgang in der polizeilichen Aussage noch überhaupt nicht erwähnt worden sei, was auf eine Teilwahrheit hindeuten könnte, deren Hintergrund aber nicht konkretisierbar sei. Nach der vom Bundesgerichtshof geforderten Null-Hypothese sei nicht zu entkräften, dass die Aussage der Klägerin mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erlebnisbegründet sei.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 31. Mai 2012 abgewiesen und sich dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen der Sachverständigen gestützt.
Mit ihrer am 10. Juli 2012 gegen das am 19. Juni 2012 zugestellte Urteil eingelegten Berufung hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und geltend gemacht: Das aussagepsychologische Gutachten von Dr. B. sei nicht überzeugend. Zu Unrecht habe die Sachverständige mit einer Wahrnehmungsübertragungshypothese gearbeitet, die auf reinen Mutmaßungen beruhe. Auch die Annahme, es liege eine irrtümliche Falschaussage auf der Basis einer Autosuggestion vor, sei nicht nachvollziehbar. Es gäbe keinerlei Hinweise dafür, dass sie bereits vor Beginn der sexuellen Übergriffe psychisch krank gewesen sei. Das Aussageverhalten von ihr sei damit zu erklären, dass sie erst eine innere Hemmschwelle habe überwinden müssen, bevor sie ihre traumatischen Erlebnisse in vollem Ausmaß habe schildern können. Der Vorwurf der Sachverständigen, ihrer Aussage fehle es an Konsistenz verkenne, dass sie die "unangenehme Schilderung schnell hinter sich bringen wollte" und dies lediglich eine individuelle Bewältigungsstrategie gewesen sei. Die erheblichen Gewissenkonflikte hätten dann auch zur Rücknahme der Strafanzeige geführt. Ihre widersprüchlichen Angaben seien als zwangsläufige Konsequenz einer jahrelangen Verdrängung zu verstehen. Zur Aufrechterhaltung der "heilen Welt" habe sie, wie auch die Mutter, mit massiver Verdrängung reagiert. Die Ausführungen der Sachverständigen zur Phantasie- und Konfabulationshypothese wiesen Widersprüchlichkeiten auf. Während auf der einen Seite der Verdacht geäußert werde, sie habe aus unehrenhaften Motiven eine Falschaussage phantasiert, werde auf der anderen Seite ausgeführt, sie habe die von ihr Beschuldigten nicht unbedingt in ein hochgradiges negatives Licht gesetzt. Auch die Schlussfolgerung der Sachverständigen, ihr sei eine irrtümliche Falschaussage vorzuwerfen, könne nicht überzeugen. Dem habe sich das SG ohne tragfähige Begründung angeschlossen. Auch sei zu bezweifeln, ob es überhaupt eines aussagepsychologischen Gutachtens bedurft hätte. Zu bezweifeln sei auch, ob die Aussage der Klägerin als einziges Beweismittel angesehen werden könne. Sowohl die Zeugen G. und R. hätten sie für glaubhaft gehalten. Aus den vorliegenden Arztberichten ergebe sich eine Ablehnung des eigenen Körpers sowie Essstörungen und selbstverletzende Handlungen, die als typische Folge von sexueller Gewalt anzusehen seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 31. Mai 2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Februar 2008 aufzuheben, festzustellen, dass sie Opfer eines tätlichen Angriffs nach dem OEG geworden ist, und den Beklagten zu verurteilen, ihr eine Beschädigtenrente nach einem GdS von mindestens 50 ab 27. September 2005 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil und die erstinstanzlichen Beweiserhebung für zutreffend.
Der Senat hat Auszüge der Verwaltungsakte des Rentenversicherungsträgers eingeholt. Hiernach hatte die Klägerin im April 2006 einen Rentenantrag bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland gestellt. In einem eingeholten Befundbericht der Dipl.-Psych. K. vom 21. April 2006 wurden die Diagnosen Posttraumatische Belastungsstörung, Anpassungsstörung, rezidivierende depressive Störung sowie generalisierte Angststörung gestellt. Die Klägerin sei über 10 Jahre lang täglich in schwerer Weise traumatisiert worden. Infolge schwerer Misshandlungen und Missbräuche sei sie stark eingeschränkt, in sich gefangen und zugleich isoliert. Alles mache ihr Angst, ihr fehle die Orientierung und das eigene Vertrauen.
Dr. B. hatte in einem psychiatrischen Gutachten vom 30. November 2006 angegeben: Die Kindheit der Klägerin sei von schlimmen Erlebnissen und ständiger Angst geprägt worden. Sie habe über 10 Jahre lang körperliche Gewalt und sexuelle Übergriffe erleiden müssen. Sie habe sich auf Empfehlung ihrer Verhaltenstherapeutin einen Hund angeschafft und könne jetzt auch mal allein die Wohnung verlassen. Sie habe starke Kopfschmerzen und führe darüber Buch. Häufig grüble sie und denke über Selbstmord nach. Ein Einsatz im Erwerbsleben sei ausgeschlossen.
In einem Reha-Bericht des ... Klinikum für Rehabilitation ... über eine stationäre Behandlung vom 4. September bis 16. Oktober 2008 wird berichtet: Die Klägerin könne sich an nichts Schönes in der Kindheit erinnern. Es habe viele Schläge und andere Strafen gegeben. Sie habe keinen Kontakt zu anderen Kindern haben dürfen und sei oft im Keller eingesperrt worden. Auch habe es stunden- oder sogar tagelang nichts zu essen gegeben. Ab dem fünften Lebensjahr sei sie regelmäßig vom Vater und vom Großvater sexuell missbraucht worden. Die Mutter habe vom Missbrauch gewusst, habe aber genau wie andere (Oma und Nachbarn) die Sache totgeschwiegen. Von der Mutter habe sie sich massiv abgelehnt und bedroht gefühlt. Sie habe oft Angst gehabt, dass ihre Mutter sie umbringen wolle. Sie habe mehrere "Unfälle mit mir gebaut." Sehr belastend habe sie es erlebt, dass sie vom Jugendamt gezwungen worden sei, den Vater vor Gericht anzuzeigen. Im Jahr 1996/1997 habe sie eine schwere Magersucht entwickelt und sei auf 28 kg abgemagert. Ihr 56-jähriger Partner sei berentet. Der Kontakt zur Herkunftsfamilie sei abgebrochen. Der Bruder habe, nachdem er ihre Handynummer von der Oma erfahren habe, kürzlich drohende SMS an sie gesendet.
In einem weiteren Gutachten vom 28. November 2008 führt Dr. B. aus: Nach einer Reha-Kur sei es zu einer Retraumatisierung gekommen. Die Klägerin führe wiederholt selbstverletzende Handlungen durch. Das Leistungsvermögen sei derzeit aufgehoben.
Der Senat hat die Schwerbehindertenakte L 7 SB 5/09 beigezogen. Gegen einen Feststellungsbescheid mit einem Grad der Behinderung von 40 hatte die Klägerin Klage erhoben. In einem eingeholten Befundbericht vom Dipl.-Psychologin K. vom 10. September 2008 wurde über deutliche Verbesserungen berichtet. Derzeit seien leichtere bis mittelschwere Störungen festzustellen. Nach einem klagabweisenden Urteil vom 1. Dezember 2008 hatte die Klägerin Berufung eingelegt und ihr Begehren weiter verfolgt. Auf gerichtlichen Vorschlag des LSG Sachsen-Anhalt einigten sich die Beteiligten auf einen GdB von 50 seit September 2008.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. B. eingeholt, die ausführte: Die Methodik zur Bestimmung der Glaubhaftigkeit gehe von der Null-Hypothese, d.h. von der Annahme aus, dass die Aussage nicht glaubhaft sei. Davon ableitend würden Alternativhypothesen formuliert, die zur Erklärung einer möglichen Falschaussage dienten. Es gehe zentral um die Qualität einer Aussage. Diese müsse so beschaffen sein, dass sich eine Erlebnishypothese rechtfertigen könne, was bei der Klägerin nicht der Fall sei. Dass die Aussage der Klägerin auf Drittmaterial fuße, sei als Hypothese absolut realistisch und wissenschaftlich auch begründbar. Letztlich bestimme einzig und allein die Aussagequalität, ob eine Aussage als glaubhaft angesehen werden könne. Auch wenn sich ihr der Eindruck aufgedrängt habe, dass die initiale Beschreibung der damals fünfzehnjährigen Klägerin vielleicht Erlebnishintergrund gehabt habe, bleibe auch dies lediglich eine Mutmaßung. Welche Aussage sei die Richtige, die frühere, die aktuelle oder keine von beiden? Es sei wissenschaftlich belegt, dass gerade jüngere Menschen oft nach Gründen für ihre Probleme suchen würden und dann zu Autosuggestionen sowie Illusionsfehlern neigten. Suggerierte Aussagen veränderten sich während der Zeit und neigen zur Ausweitung, während das Kerngeschehen inkonstant bleibe. Dies sei auch bei der Klägerin so gewesen. Die Annahme der Klägerin, sie habe eine innere Hemmschwelle überwinden müssen, mag richtig sein. Genauso gut könne es jedoch auch sein, dass es den besagten sexuellen Missbrauch überhaupt nicht gegeben habe und aus Gründen der Aufmerksamkeitssuche die initiale Aussage einfach erweitert worden sei. Dies sei keine böse Unterstellung, sondern ein Vorgang, der schlicht genauso schon vorgekommen sei. Nach wissenschaftlicher Bewertung sei ein schambelasteter Zeuge eher bereit, über das Nebengeschehen zu berichten, als sich mit dem Kerngeschehen zu beschäftigen. Bei der Klägerin sei das Gegenteil der Fall gewesen. Auch habe sie Rahmenhandlungen kaum spontan skizzieren können, sei einsilbig geblieben und wirkte so, als entwickele sie die Handlungsketten gerade erst. Diese bruchstückhafte Übermittlung von Informationen habe der Aussage jede Spontaneität genommen. Aufgabe der Sachverständigen sei es, eine Aussage zu analysieren und nicht mögliche Verdrängungsmechanismen zu reflektieren. Für die Glaubwürdigkeit einer Aussage sei die Konstanz und logische Konsistenz von zentraler Bedeutung. Erlebtes habe eine hohe Einprägungsintensität, die sich auch über die Zeit nicht erschüttern lasse. Mögen auch die präzisen Datierungen nicht mehr gelingen, rechtfertigte dies nicht, am Erlebnishintergrund zu zweifeln. Inkonstanzen im Kerngeschehen lassen dagegen erhebliche Zweifel aufkommen, ob die Angaben wahr seien. Aufgrund der Ressourcenverknappung habe ein Lügender Schwierigkeiten, insbesondere wenn zwischen den Aussage Jahre lägen, die aktuellen Angaben strukturgleich mit früheren Angaben zu rekonstruieren. Konkret Erlebtes werde dagegen über Bilder eingespeichert und lasse sich daher spontan, konstant, logisch konsistent und umfangreich vortragen. Genau hier lägen die Mängel in der Aussage der Klägerin. Nach der gängigen Literatur lasse sich auch aus den Symptomen der Klägerin nicht der Rückschluss ziehen, dass ein sexueller Missbrauch stattgefunden haben müsse.
Die Klägerin hat dagegen vorgetragen: Die Grundannahme der sog. Null-Hypothese könne im Sozialen Entschädigungsrecht keine Anwendung finden. Für die Frage, ob Aussagen glaubhaft seien, komme es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts an. Diese Verantwortung dürfe nicht auf den Sachverständigen verlagert werden. Im vorliegenden Fall sei ein aussagepsychologisches Gutachten sinnvoll. Der Senat hat die Sachverständige unter Hinweis auf das BSG-Urteil vom 17. April 2013, B 9 VG 1/12 R vom 17. April 2013 erneut angefragt, ob nach dem Beweismaßstab des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) die Angaben der Klägerin als glaubhaft anzusehen seien. In ihrer weiteren Stellungnahme vom 24. April 2013 hat Dr. B. ausgeführt: Nach der Aussagenanalyse seien die Angaben der Klägerin mit großer Wahrscheinlichkeit nicht glaubhaft. Es gebe Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch, z.B. im Sinne einer sexuellen Belästigung, der dann sukzessiv zur Vergewaltigung ausgebaut worden sei. Diese Annahme bleibe jedoch hypothetisch. Die Aussage der Klägerin sei nicht ausreichend zuverlässig und könne Ausdruck eines Suggestionsproduktes sein.
Der Senat hat vom Jugendamt B. die Jugendamtsakte beigezogen. Nach einem Aktenvermerk vom 5. Januar 1996 fand ein Gespräch mit mehreren Ärzten des Krankenhauses S. statt. Hiernach seien keine organischen, jedoch seelischen Schäden bei der Klägerin vorhanden. Sie habe ängstlich und wortkarg gewirkt. Sie habe nach ihren Angaben immer viel zu Hause in der Familie erledigen müssen. So habe sie ihre kleine Schwester zu Fuß über die viel befahrene Landstraße vom Kindergarten abholen müssen. Am 29. Dezember 1996 habe sie sich einer Krankenschwester anvertraut und dieser erzählt, dass sie von ihrem Vater seit dem siebten Lebensjahr sexuell belästigt werde. Der Vater habe sie derbe angefasst und sie aufgefordert, mit ihm ins Bett zu gehen. Es habe kein Geschlechtsverkehr stattgefunden. Sie wolle nicht mehr nach Hause zurück. Der Vater habe ihr angedroht, sie zu erschlagen. In einem Aktenvermerk vom 19. August 1996 gab Frau G. an: Der Klägerin gehe es im Vergleich zum letzten Besuch sehr gut. Sie wolle im Heim bleiben, habe jetzt einen Freund und wolle die Pille nehmen. Es habe Streit mit der Mutter über einen Brief der Oma gegeben. Sie wolle, dass ihre Mutter sie wieder besuche, da sie bisher alles mit ihr besprochen habe. In einem Vermerk vom 23. Dezember 1996 wird angegeben: Es habe Spannungen zwischen der Klägerin und ihrer Mutter gegeben. Hierbei zeichne sich eine Besserung ab, da sie zwischen dem 23. Dezember 1996 bis 1. Januar 1997 zu Hause gewesen sei. Unter dem 10. März 1997 wird berichtet, dass die Klägerin am 1. August 1997 eine Lehre als Köchin in I. aufgenommen habe. Am 12. Juni 1997 wird angegeben, die Klägerin habe gelernt selbstbewusster aufzutreten, was sich in den Hilfeplangesprächen zeige. Sie fahre an den Wochenenden nach Hause, wenn sie es für richtig halte. Am 21. November 1997 wird ein guter Verlauf der Lehrausbildung geschildert. In einem Antrag auf Gewährung von Hilfe für junge Volljährige vom 26. Juli 1998 gab die Klägerin schulische Probleme an. Die Beziehung zu den Eltern habe sich verbessert. So besuche sie ihre Eltern regelmäßig, wolle aber nicht nach Hause zurückkehren, da sie Angst vor ihrem Vater habe. Beim Abschlussgespräch am 30. April 1999 im Haus des AWO-Jugendhilfeverbundes H. habe die Klägerin gebeten, die Hilfe des Jugendamtes zum 1. Mai 1999 zu beenden. Sie lebe in einer kleinen Wohnung und setze ihre Ausbildung in I. fort. Sie werde von ihrer Mutter unterstützt. Das Verhältnis zwischen beiden habe sich verbessert. Am 18. Juni 1999 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung. Nach Angaben von Frau G. komme die Klägerin in der Wohnung nicht klar, habe finanzielle und gesundheitliche Probleme. Die Lehre könne nicht fortgesetzt werden.
In einem beigezogenen Bericht des Kreiskrankenhauses B. vom 13. August 1999 gab Chefarzt Dr. K. über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 15. Juli bis 5. August 1999 an: Die Klägerin habe angegeben, sie könne sich seit zwei Monaten nicht mehr freuen. Diesen Zustand habe sie mit 15 Jahren schon mal erlebt, als sie ins Heim gekommen sei. Sie habe ein Problem mit ihrem Vater, dadurch nachts Alpträume und könne damit nicht leben. Jetzt fühle sie sich einsam und "es sei alles wieder hochgekommen". Einen Tag vor der stationären Aufnahme sei sie bei der Polizei gewesen. Sie habe vor vierzehn Tagen eine Anzeige gegen den Vater erstattet, der sie sexuell missbraucht habe. Weder zum Vater noch zur Mutter bestünde Kontakt. Mit der Mutter gebe es aktuell Probleme, da sie ihr das Kindergeld wegnehmen wolle. Nach dem psychischen Aufnahmebefund habe sie gepflegt, mit lebhafter Gestik und Mimik und guter Auskunftsbereitschaft und Kooperation gewirkt.
Der Senat hat Befundberichte von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. und von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie G. eingeholt. Dr. L. hat am 7. Oktober 2013 bei der Klägerin einen Kopfschmerz vom Spannungstyp, eine rezidivierende depressive Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Essstörung diagnostiziert. In einem beigefügten Arztbrief des AWO-Fachkrankenhauses ... vom 26. Juni 2005 führte Chefarzt M. zu einer stationären Behandlung vom 24. November 2004 bis 15. März 2005 aus: Die Klägerin sei ab dem fünften Lebensjahr zehn Jahre lang sexuell missbraucht worden. Die Mutter habe sie geschlagen, als sie dies beobachtet habe und habe gemeint, dies sei ihre Schuld.
Fachärztin G. hat in einem Befundbericht vom 24. Oktober 2013 angegeben: Sie praktiziere nun in A. und habe die Klägerin vom 3. September 2010 bis Anfang 2012 behandelt. In einem undatierten Abschlussbericht hat sie angegeben: Durch das Muttersein sei die Klägerin jetzt wieder sensibilisiert für ihre eigene Lebensgeschichte. Gleichzeitig habe ihr Selbstbewusstsein zugenommen. Aktuell finde ein Umzug statt. Der Wunsch nach einem zweiten Kind bestehe.
In einem nicht-öffentlichen Termin vom 11. April 2014 hat der Zeuge E. W., der Bruder der Klägerin, bekundet: Er könne sich nicht mehr an seine polizeiliche Vernehmung erinnern. Er wisse nur noch, dass eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht O. habe stattfinden sollen. Nachdem der Berichterstatter dem Zeugen seine polizeiliche Aussage vorgelesen hat, hat der Zeuge erklärt: Den Inhalt der Aussage könne er bestätigen. Wenn er dies damals so gesagt habe, dann stimme das auch so.
Auf weitere Nachfrage hat der Zeuge erklärt: Der Vater sei äußerst gewalttätig gewesen. Er und seine Schwester hätten täglich Schläge bekommen. Er selbst sei wiederholt vom Vater eingesperrt worden und habe deswegen in geschlossenen Räumen eine Platzangst entwickelt. Diese Angstbelastung habe zur Ausmusterung bei der Bundeswehr geführt. Sein Vater habe ihm gegenüber sogar eine Morddrohung ausgesprochen. Wegen dieses Vorfalls sei er für kurze Zeit zu seiner Schwester N. nach I. gezogen und danach ins betreute Wohnen gekommen. Seit einem ¾ Jahr habe er über die sozialen Medien wieder Kontakt zu seine Schwester aufgenommen und mit ihr über den Termin gesprochen. Zu anderen Mitgliedern der Familie bestehe dagegen kein Kontakt mehr. Er könne sich an zwei Sachverhalte erinnern, die er zeitlich auf die Jahre 1994/1995 einschätze. Zu den beiden Zeitpunkten sei er wieder in seinem Zimmer eingesperrt worden, habe jedoch durch einen Türspalt das Wohnzimmer beobachten können. Hier habe er gesehen, wie sein Vater die Schwester zum Oralsex gezwungen habe. Die Abweichung zu seiner Aussage vor der der Polizei könne er nicht erklären. Vielleicht habe ihn die polizeiliche Vernehmung überfordert.
Wenn er gefragt werde, wann sein Vater den Schlaganfall erlitten habe, so könne er dies nicht beantworten. Er sei regelmäßig nach der Schule eingesperrt worden. Seine Schwester habe ihm gegenüber gesagt, der Vater habe sich nur Mädchen gewünscht und ihn deswegen abgelehnt. Die angegebenen sexuellen Handlungen dürften 15 bis 25 Minuten gedauert haben. Seine Beobachtungen habe er gegenüber der Schwester auch mitgeteilt. Dies könne 1998/1999 oder auch später gewesen sein. Mit 16 Jahren habe er die Familie verlassen. Am gestrigen Tag habe er mit seiner Schwester nicht über diese sexuellen Übergriffe gesprochen.
In der mündlichen Verhandlung des Senats vom 16. Juli 2014 hat die Mutter der Klägerin, nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht zur Sache ausgesagt und angegeben: Die Familie habe in zwei zusammengelegten Wohnungen gelebt. Wenn die Kinder nicht gehört hätten, könne es sein, dass sie "eine drauf gekriegt haben". Der Junge etwas mehr, weil er ein "Raudi" gewesen sei. Stubenarrest sei vorgekommen. Dabei seien die Kinder aber nicht eingeschlossen worden. Im Verhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Mann sei ihr nichts aufgefallen. Über sexuelle Belästigungen gegenüber der Klägerin könne sie nichts sagen. Sie habe den Eindruck gehabt, "dass alles in Ordnung ist". Ihr Mann habe viel getrunken und sei ein regelrechter Alkoholiker gewesen. Wenn er getrunken habe, sei er immer friedlich geblieben. Den Alkohol habe sie ihm meistens gekauft. Von den Vorwürfen habe sie erst erfahren, als die Klägerin im Krankenhaus gewesen sei. Ihr Mann und sie hätten über dieses Thema nie richtig gesprochen. Wenn es sexuelle Übergriffe gegeben habe, hätten diese auch mit der Jüngsten passiert sein müssen. Da sei jedoch garantiert nie etwas gewesen. Die Wohnung habe zwei Wohnzimmer gehabt. Der Fernseher habe in der linken Wohnstube gestanden. In der rechten Wohnstube hätten sich eine Couch, Tisch und Schränke befunden. In diesem Zimmer habe sich die Familie selten aufgehalten. Die linke Wohnstube habe einen Durchgang mit Bogen, aber keine Tür gehabt, so dass dieser Raum stets offen gewesen sei. Zwischen der Tür zu E. Zimmer und der linken Wohnstube dürfte eine Entfernung von vier Metern bestanden haben. Davor sei noch die Küche gewesen. Vom Bogen aus habe die Couch links gestanden. Geradeaus sei der Kachelofen gewesen und rechts habe der Fernseher gestanden. Wenn jemand auf der Couch gesessen habe und Fernsehen geschaut habe, hätte der Sohn von seinem Zimmer aus nichts sehen können. Vermutlich hätte er nur den offenen Bogen sehen können. Aus der Doppelwohnung seien sie im Dezember 1997 ausgezogen. Es sei ihr unangenehm gewesen, dass ihr Mann getrunken habe. Den Alkohol habe sie ihrem Mann besorgt, weil es sonst die Kinder hätten machen müssen. E. habe nicht immer dasselbe Kinderzimmer bewohnt. Er habe sein Kinderzimmer auch mal oben gehabt. Auch von dort hätte er das Wohnzimmer nicht einsehen können.
In der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2015 hat der Zeuge E. W. von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Die Klägerin hat auf Befragen angegeben: Sie sei fünf gewesen, als es das erste Mal passiert sei. Die letzte Tat müsse im Alter von 14 bis 15 Jahren gewesen sein. Auch ihr Opa habe etwas gemacht, wobei sie nicht mehr genau wissen, wie alt sie da gewesen sei.
Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte des Beklagten, die Schwerbehindertenakte L 7 SB 5/09 und Auszüge den Verwaltungsakten des Rentenversicherungsträgers sowie die Beiakte des Jugendamtes Börde haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist der Widerspruch fristgemäß erfolgt. Bereits am 31. März 2006 lag die schriftliche Vollmacht der Bevollmächtigten der Klägerin bei dem Beklagten vor. Mithin war der Beklagte gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) verpflichtet, den Bescheid vom 22. August 2006 an die Bevollmächtigte zuzustellen. Dies hat sie versäumt, was zur Unwirksamkeit der Zustellung geführt hatte (vgl. Engelhardt/App/Schlatmann, VwZG, 9. Auflage 2011, § 7 Rdn. 7). Dieser Zustellungsmangel konnte durch einen weiteren Zugang an die Bevollmächtigte der Klägerin geheilt werden (§ 8 VwZG). Nach unwiderlegbarer Einlassung der Bevollmächtigten der Klägerin hat sie erst am 26. September 2006 Kenntnis vom Bescheid vom 22. August 2006. Der Widerspruch erfolgte daher fristgemäß.
Die Klägerin hat jedoch weder einen Anspruch auf die Feststellung von Schädigungsfolgen noch einen Anspruch auf Versorgung nach den Vorschriften des OEG i.V.m. dem BVG. Weder nach ihren Angaben, dem Gutachten von Dr. B. noch den weiteren vom Senat ausgewerteten Unterlagen kann ein hinreichend konkreter Schädigungstatbestand im Sinne eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff i.S.d. § 1 Abs. 1 OEG festgestellt werden.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält eine natürliche Person, die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG besteht aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. Als tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt. Der tätliche Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zeichnet sich durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010, B 9 VG 1/09 R und Urteil vom 9. April 2011, B 9 VG 2710 R, jeweils zitiert nach juris). Ein sexueller Missbrauch von Kindern kann dabei auch ohne Anwendung von Gewalt das Merkmal des "tätlichen Angriffs" im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG erfüllen (BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995, 9 RVg 4/93, zitiert nach juris).
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) in Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Eine Sache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, das alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG bzw. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen (ständige Rechtsprechung des BSG, Urteile vom 24. November 2010, B 11 AL 35/09 R und vom 17. April 2013, B 9 V 1/12 R; Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B, juris).
Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgungsleistungen wegen der Folgen sexuell motivierter Übergriffe zwischen dem fünften und dem 15. Lebensjahr durch ihren Vater bzw. ihren Großvater. Nach der Auffassung des Senats sind die von ihr behaupteten Angriffe, die vom sexuellen Missbrauch bis zur Vergewaltigung sowie einem Messerangriff reichen, wenig wahrscheinlich.
Grundsätzlich müssen, wie oben dargestellt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Jahrelange, sexuell motivierte Angriffe des Vaters H. W. gegen die Klägerin stehen nicht im Vollbeweis fest. Bereits nach den Aussagen der im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen können die Vorgänge nur in sehr begrenztem Umfang nach Sachverhalt, Ort und Zeit sowie Umständen konkretisiert werden. Der Zeuge E. W., der im Erörterungstermin vom 11. April 2014 entgegen seiner früheren polizeilichen Vernehmung bekundet hat, der Vater habe Klägerin zum Oralsex in zwei Fällen gezwungen, hat diese Aussage in der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2015 nicht wiederholt, sondern von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Nach der Aussage der Mutter in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2014 hat E. W. von seinem Zimmer aus wahrscheinlich nicht sehen können, was sich im Wohnzimmer der Familie abgespielt hat. Dies weckt erhebliche Zweifel, ob die Angaben des Zeugen vom 11. April 2014 einen realen Hintergrund haben. Nachdem er diese Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2015 nicht wiederholt, sondern von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, sind seine Aussagen in sich selbst widersprüchlich und unglaubhaft. Auch die Mutter der Klägerin, die Zeugin M. S. hat in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2014 einen sexuellen Missbrauch der Klägerin nicht bekundet.
Bei der Beweisführung kommt der Klägerin grundsätzlich die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG zu Gute. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. § 15 KOVVfG soll der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte usw. nicht mehr erlangen konnten. Die Beweiserleichterung ist jedoch auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989, 9 RVg 3/89, juris). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet (BSG, Urteil vom 17. April 2013, B 9 V 1/12 R, juris).
Von einer Beweisnot der Klägerin ist im vorliegenden Fall auszugehen. Der Vater der Klägerin hat in seiner polizeilichen Vernehmung sexuell motivierte Übergriffe auf die Klägerin in Abrede gestellt und steht nach seinem Tod als Zeuge nicht mehr zur Verfügung. Sie hat für die von ihr geschilderten Vorfälle zwischen dem fünften bis 15. Lebensjahr im häuslichen Umfeld keine Zeugen und kann daher den Beweis nur durch eigene Angaben erbringen. Hinweise auf gynäkologische Auffälligkeiten oder Verletzungen im Genitalbereich liegen nicht vor.
Nach Würdigung aller Gesamtumstände, insbesondere des Sachverständigengutachtens von Dr. B. sowie ihren ergänzenden Stellungnahmen, den Bewertungen der Versorgungsärzte, sowie dem umfassenden Akteninhalt sieht sich der Senat außer Stande, den von der Klägerin behaupteten jahrelangen sexuellen Missbrauch hinsichtlich Ort, Zeit und Umständen zu konkretisieren und als überwiegend wahrscheinlich anzusehen. Es bestehen erhebliche Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin. Ihr Aussageverhalten ist von zahlreichen eklatanten Unstimmigkeiten und Widersprüchen geprägt.
So hat sie nach den Angaben der Zeugin Dr. G. im Jahr 1999 zufolge dieser gegenüber Tatschilderungen von sexuellen Übergriffen des Vaters bereits im Jahr 1996, jedoch ohne Geschlechtsverkehr, geschildert. Demgegenüber hatte die Klägerin aber der Mitarbeiterin des Jugendamtes Gertz zu diesem Zeitpunkt nur von sexuellen Belästigungen des Vaters berichtet, ohne diese weiter zu konkretisieren. Dies war offenbar auch der Hintergrund, warum gegen den Vater nicht schon im Jahr 1996 strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden waren. Einen vom Vater an ihr vollzogener Geschlechtsverkehr hat sie zu diesem Zeitpunkt noch klar verneint, was auch der Zeuge Dr. R. in seiner polizeilichen Vernehmung bestätigt hatte.
Unterstellt man dagegen die umfassenden Angaben der Klägerin bei der Polizei im Jahr 1999 als wahr, ist von zahlreichen sexuellen Missbrauchstaten und Vergewaltigungen des Vaters auszugehen. Dort bekundete sie über Jahre praktizierte tägliche sexuelle Übergriffe und ständige Vergewaltigungen des Vaters, sowie Gewaltanwendungen und Drohungen, die in einem Fall sogar mit einem Messer durchgeführt worden seien. Die Divergenz zwischen den Angaben der Klägerin im Jahr 1996 und 1999 bleiben gerade mit Blick auf die behaupteten Vergewaltigungen eklatant und gleichzeitig unerklärlich. Unverständlich bleibt auch, warum die Klägerin gegenüber den behandelnden Ärzten konkretere Angaben zu einem langjährigen sexuellen Missbrauch gemacht hatte, diese Angabe gegenüber der Mitarbeiterin des Jugendamtes jedoch nicht wiederholte und damit ein sofortiges Strafverfahren – wie im Jahr 1999 – verhindert hatte.
Die Angaben der Klägerin zum Umfang und der Qualität der an ihr begangenen Straftaten steigerte sich im weiteren Verlauf immer weiter. So gab sie gegenüber Ärzten im Jahr 2005 an, die Mutter habe die sexuellen Übergriffe gesehen und dies geduldet. In einem weiteren ärztlichen Bericht aus dem Jahr 2008 behauptete sie sogar, Todesangst vor der Mutter gehabt zu haben, da diese sie habe umbringen wollen und sie mittels nicht näher beschriebener "Unfälle" an Leib und Leben gefährdet habe. Auch die nach dem Jahr 1999 aufgestellte Behauptung, sie sei nicht nur vom Vater, sondern auch durch ihren Großvater vergewaltigt worden, findet sich weder in der polizeilichen Vernehmung noch in den dokumentierten Angaben der Klägerin in der Zeit davor.
Vor dem Hintergrund des aktuell geschilderten über zehn Jahren erlittenen Martyriums durch Vater und Großvater sowie Mutter wäre eine schwerste Traumatisierung der Klägerin im Jahr 1996 zu erwarten gewesen, die von den behandelnden Ärzten im Jahr 1996 nicht diagnostiziert worden und der Jugendamtsakte auch nicht zu entnehmen ist. Nach Aktenlage kam es während des Heimaufenthaltes ab dem Jahr 1996 sogar zu einem deutlichen Stabilisierungsprozess im Leben der Klägerin. Sie lebte im Heim geradezu auf, wollte sich wegen eines neuen Freundes die Pille verschreiben lassen, konnte eine Ausbildung beginnen und stabilisierte auch das Verhältnis zu ihren Eltern. Die Eintragungen des Jugendamtes zeichnen das Bild einer weitgehend positiven Persönlichkeitsnachreifung. Im Mai 1999 glaubte sie sich schon so selbstständig, dass sie eine Wohnung in I. bewohnen konnte und die Hilfe des Jugendamtes beenden wollte. Im Juni 1999 kam es dann zu einer dramatischen Wende des Geschehens, für die der Senat keine eindeutigen Gründe hat ermitteln können. Am 17. Juni 1999 machte die Klägerin gegenüber der Mitarbeiterin des Jugendamtes Angaben über einen langjährigen sexuellen Missbrauch sowie Vergewaltigungen, die von ihrem Vater verübt worden seien. Nach diesen Angaben kam es zu einer Anzeige sowie strafrechtlichen Ermittlungen gegen H. W., die in eine Anklageschrift und eine strafrichterliche Verhandlung mündeten.
Nach der überzeugenden Ansicht der Sachverständigen Dr. B. beruhen die Angaben der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf einem konkreten Erlebnishintergrund. Insbesondere im Kerngeschehen, das sich beim Opfer von Gewalttaten "an sich" wie in einem Bild bzw. Film "einbrennt" und immer wieder reproduzierbar ist, zeigen sich deutliche Abweichungen im Aussageverhalten. Die Sachverständige Dr. B. hat neben den bereits oben genannten Abweichungen beispielhaft auf signifikante Abweichungen zu den Themenkreisen des ersten sexuellen Übergriffs des Vaters, des genauen Ablauf der Vergewaltigungen, der Darstellung der Messerattacke, dem Störungsvorfall mit dem Bruder sowie die Aussageschwäche der Klägerin beim Nebengeschehen (z.B. Kondome) ausführlich und überzeugend herausgearbeitet.
Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben der Klägerin bestehen insbesondere wegen der deutlichen Hinweise für massive Taterweiterungen und Aufbauschungen. So hat sie beispielsweise nach der Schilderung in der polizeilichen Vernehmung auch ihrem Großvater sexuell motivierte Taten vorgeworfen. Ihrer Mutter hat sie, im völligen Gegensatz zu all ihren Angaben bis 1999 nun sogar "Anschlagsversuche" auf Leib oder Leben vorgeworfen. Auch die Erklärung der Klägerin in der Exploration bei der Sachverständigen Dr. B., wie es zur Rücknahme der Strafanzeige gekommen war (Bl. 192-193 der Gerichtsakte), ist wenig überzeugend. So konnte sie sich weder an ihr Anschreiben an das Gericht erinnern, noch an ihre genaue Motivlage, wie es zu diesem für sie gravierenden Sinneswandel gekommen war. Bemerkenswert ist auch die Angabe der Klägerin in einem ärztlichen Befund des Jahres 2008, sie sei vom Jugendamt "gezwungen" worden, Anzeige gegen den Vater zu erstatten. Für eine derartige Zwangslage bestehen keine Anhaltspunkte, vielmehr zeigt dieses Aussageverhalten eine Tendenz auf, die Verantwortung eigenen Verhaltens zu relativieren und die Realität mittels eigener Bewertungen zu verschieben.
Betrachtet man insbesondere das umfassend dokumentierte Aussageverhalten der Klägerin vor der Sachverständigen Dr. B., fehlt ihren Aussagen jedes Detailwissen gerade in den Nebenhandlungen (z.B. Kondom). Spontane Ausführungen über scheinbare Nebensächlichkeiten fehlen ebenso und nehmen der Aussage damit jede Lebendigkeit und Überzeugungskraft. Gerade schamgeprägte Erlebnisse führen dazu, dass der davon Betroffene Angaben zu dem schmerzhaften Geschehen typischerweise vermeidet und sich auf eher auf das Randgeschehen konzentriert (so Dr. B.). Bei der Klägerin zeigt sich ein geradezu gegenteiliges Aussageverhalten. Während sexuelle Handlungen zumindest vom äußeren Ablauf noch geschildert werden konnten, vermochte sie scheinbar nebensächliche Details und innere Eindrücke, die ein unmittelbar betroffenes Opfer als Eigengeschehen erinnern müsste, nicht schildern. Die Verarmung ihrer Aussage gerade im Kerngeschehen und den scheinbar nebensächlichen Details lassen auch mit Blick auf die schon genannten Widersprüche erhebliche Zweifel aufkommen, ob die dargestellten Geschehnisse tatsächlich auf konkreten Ereignissen beruhen.
Die angebliche Vergewaltigung des Großvaters hat weder im Jahr 1996 noch 1999, d.h. zu Zeiten als diese behaupteten Taten noch zeitnahe Folgen bei der Klägerin verursachen konnten, irgendeine Rolle gespielt. Wäre dies tatsächlich der Fall gewesen, hätte es nahegelegen, auch den Großvater zum Gegenstand der polizeilichen Vernehmung im Jahr 1999 zu machen. Auf dieser Linie liegt auch die grobe Veränderung des Aussageverhaltens der Klägerin zur Tatbeteiligung der Mutter. Während diese zunächst aus jedem Tatvorwurf von ihr ausgespart wurde, steigerte sie sich nach 1999 dahingehend, der Mutter Kenntnis und eigene Beobachtungen der an ihr begangenen Sexualstraftaten sowie sogar eigene Gewalthandlungen gegenüber der Klägerin vorzuwerfen, die bis zu vage angedeuteten Tötungsversuchen gereicht haben. Hätte die Mutter tatsächlich Tötungsabsichten gegenüber der Klägerin gehabt, hätte die Klägerin wohl kaum in den Jahren 1996 bis 1999 von einem zwar schwierigen, aber tendenziell besserungsfähigen und von ihr auch so gewünschten Verhältnis zur Mutter gesprochen.
Die Bewertungen von Dr. G. und Dr. R., sie hielten die im Jahr 1996 gemachten Angaben der Klägerin für glaubhaft, können an dieser Einschätzung nichts ändern. Für den Senat geht es gerade nicht nur um die Angaben aus dem Jahr 1996. Hätte die Klägerin daran konstant festgehalten, wäre zumindest von einer konsistenten Aussage auszugehen. Die Klägerin bietet jedoch seit 1996 immer neue und dramatisch gesteigerte Tatversionen, zu denen es in der Zeit zwischen dem fünften und 15. Lebensjahren gekommen sein soll. Bei den vielen Tatversionen, die im Kerngeschehen auch erheblich differieren bzw. einander widersprechen, war es dem Senat nicht möglich, auf tatsächliche tätliche Angriffe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu schließen.
Den von Dr. B. ausführlich explorierten Aussageinhalten der Klägerin fehlt im Kerngeschehen sowie bei der Aussagequalität hinsichtlich Detailreichtum sowie emotionaler Bildwiedergabe jede Lebendigkeit und Überzeugungskraft. Zudem lassen sich eklatante Widersprüche (siehe oben) nicht auflösen, so dass die Würdigung des gesamten Aussageverhaltens der Klägerin so wenig glaubhaft ist, dass die Bekundungen als unwahrscheinlich angesehen werden müssen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Klägerin in schwierigsten familiären Verhältnissen aufgewachsen ist und möglicherweise tatsächlich tätlichen Übergriffen von Dritten ausgesetzt war. Die genauen Umstände dieses Geschehens lassen sich jedoch nach Zeit, Ort und Umständen in keiner Weise mehr konkretisieren. Dem Senat ist es trotz erheblichen Aufwandes nicht gelungen, den Sachverhalt im Hinblick auf konkrete physische Angriffe Dritter auf die Klägerin weiter aufzuklären. Die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes führt aus Gründen der objektiven Beweislast dazu, einen Versorgungsanspruch der Klägerin abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
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