L 1 R 271/15 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 2 SF 62/13 E
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 271/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. Mai 2015 wird dieser dahingehend abgeändert, dass die dem Beschwerdegegner aus der Landeskasse zu erstattenden Kosten auf insgesamt 345,10 EUR festgesetzt werden.

Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:
I.

Umstritten ist die Höhe der dem Beschwerdegegner aus der Landeskasse zu erstattenden fiktiven Terminsgebühr.

Der Beschwerdegegner vertrat eine Klägerin im Gerichtsverfahren beim Sozialgericht Magdeburg (SG, S 46 R 900/85) und im anschließenden Berufungsverfahren beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG, L 1 R 213/12). Die Klägerin begehrte von der Deutschen Rentenversicherung Bund die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente. Nach der Begründung der am 1. April 2010 erhobenen Klage holte das SG Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin ein und bewilligte dieser mit Beschluss vom 22. November 2010 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdegegners. Anschließend veranlasste es ein Sachverständigengutachten durch die Fachärztin für Innere Medizin Dr. H. vom 25. Juli 2011. In der Folge stellte die Klägerin einen Befangenheitsantrag gegen Dr. H., den das SG mit Beschluss vom 7. November 2011 ablehnte. Im weiteren Verlauf erfolgten mehrere Stellungnahmen der Beteiligten sowie von Dr. H. Der Rechtsstreit wurde schließlich durch klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG vom 23. April 2012 in der ersten Instanz beendet. Auf die Berufung der Klägerin hat der Senat diesen Gerichtsbescheid abgeändert und die Deutsche Rentenversicherung Bund verurteilt, der Klägerin ab 1. Mai 2009 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit und ab dem 1. Januar 2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren (Urteil vom 24. April 2014).

Der Beschwerdegegner beantragte mit Schriftsatz vom 10. Mai 2012 die Festsetzung seiner Auslagen und Gebühren (bezogen auf die erste Instanz) aus der Landeskasse in Höhe von 464,10 EUR, darunter eine fiktive Terminsgebühr nach dem Vergütungsverzeichnis (VV, Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG) Nr. 3106 in der vor dem 1. August 2013 geltenden Fassung (alte Fassung, a.F.) in Höhe von 200,00 EUR plus Mehrwertsteuer. Daraufhin setzte die Urkundsbeamtin des SG mit Beschluss vom 7. Juni 2012 die dem Beschwerdegegner aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung auf 249,90 EUR fest. Sie berücksichtigte als fiktive Terminsgebühr lediglich 20,00 EUR plus Mehrwertsteuer. Ansonsten entschied sie antragsgemäß. Zur Begründung führte sie aus, die beantragte Höhe der Terminsgebühr sei unangemessen hoch. Es liege hier eine Tätigkeit mit, verglichen mit der Vorbereitung und Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung, erheblich geringerem Aufwand für den Beschwerdegegner vor.

Wegen dieses Beschlusses hat der Beschwerdegegner am 26. Juni 2012 das SG angerufen. Er hat vorgetragen, die festgesetzten Gebühren seien unangemessen. Das SG hat schließlich mit Beschluss vom 22. Mai 2015 die dem Beschwerdegegner aus der Landeskasse zu erstattenden Kosten auf insgesamt 464,10 EUR festgesetzt. Insgesamt sei für den Beschwerdegegner ein durchschnittlicher fiktiver Termin gegeben. Zwar sei in der Regel im Falle des Erlasses eines Gerichtsbescheides eher von einem unterdurchschnittlichen fiktiven Termin auszugehen, da nach den Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vom Vorliegen einer einfachen Sach- und Rechtslage auszugehen sei. Dies könne für den vorliegenden Fall allerdings nicht festgestellt werden. Das Gericht habe mehrere Befundberichte und auch ein Sachverständigengutachten eingeholt. Zu diesem Gutachten seien weitergehende ausführliche Auseinandersetzungen und ergänzende Stellungnahmen der Gutachterin erfolgt, mit denen sich habe befasst werden müssen. Die Sache sei zwischen den Beteiligten insgesamt streitig gewesen, als der Gerichtsbescheid ergangen sei. Insoweit wäre hier ein Termin mit einer umfänglicheren Erörterung der medizinischen Befunde und des Gutachtens erforderlich gewesen, ebenso eine Erörterung der Rechtslage dahingehend, ob die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente vorliegen. Daher sei hier nicht erkennbar, dass die Erörterung all dieser Fragen zu einem unterdurchschnittlichen Termin geführt hätte. Der anwaltliche Aufwand für den Termin und auch die Schwierigkeit seien wenigstens als durchschnittlich einzuschätzen. Die Bedeutung der Sache, auch im Termin, sei für die Klägerin bei ihren unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen überdurchschnittlich gewesen. Im vorliegenden Einzelfall sei daher vom Anfall der Mittelgebühr hinsichtlich der Terminsgebühr auszugehen. Daraus ergebe sich eine Summe von 464,10 EUR.

Gegen den ihm am 12. Juni 2015 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 16. Juni 2015 Beschwerde beim SG eingelegt, das diese an das LSG weiter geleitet hat. Die fiktive Terminsgebühr sei zu hoch bemessen worden und gegenüber der Landeskasse unbillig. Vorliegend sei das Verfahren im ersten Rechtszug durch Gerichtsbescheid beendet worden. Danach sei zunächst bei der Bestimmung einer angemessenen Höhe der fiktiven Terminsgebühr von der Hälfte der Mittelgebühr auszugehen (Sächsisches LSG, Beschluss vom 3. Juli 2013, L 8 R 665/12 B KO, juris). Wenn aber, wie hier, bereits das Gericht feststelle, dass die Sache in der Entscheidung keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweise und der Sachverhalt geklärt sei und es deshalb entbehrlich sei, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, und das Gericht durch Gerichtsbescheid entscheide, könne der Beschwerdegegner auch nicht mehr als die Mindestgebühr verdient haben, weil eben kein Aufwand mehr betrieben worden sei. Die Ausführungen des SG in dem angegriffenen Beschluss könnten lediglich als Kriterien hinsichtlich einer angemessenen Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3103 a.F. herangezogen werden. Dies habe mit der durch die Urkundsbeamtin festgesetzten Mittelgebühr bereits ausreichend Berücksichtigung gefunden und sei auch nicht streitig gestellt worden. Daraus ergebe sich eine Gesamtgebühr in Höhe von 249,90 EUR. Im Übrigen habe die Sache grundsätzliche Bedeutung.

Der Beschwerdegegner hat argumentiert, die von dem Beschwerdeführer angesetzten Gebühren seien nicht mehr auskömmlich. Zu berücksichtigen sei im vorliegenden Fall ferner, dass das LSG der Klägerin in dem Berufungsverfahren vollumfänglich die Rente zugesprochen habe, weil die Entscheidung des SG in der Sache rechtswidrig gewesen sei. Außerdem sei das SG gehindert gewesen, tatsächlich durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Insoweit könne nunmehr der Beschwerdeführer nicht die rechtswidrige Begründung des SG, es handele sich um eine einfache und nicht grundsätzliche Angelegenheit, zur Begründung nehmen, um die Gebühren zu verweigern. Im Übrigen sei das Absehen von einer mündlichen Verhandlung grundsätzlich die Ausnahme. Bei der hier betroffenen Kammer werde jedoch fast immer durch Gerichtsbescheid entschieden.

Dem Senat lagen die Akten des Vergütungsfestsetzungsverfahrens einschließlich des Prozesskostenhilfe-Beiheftes sowie die Gerichtsakten des Verfahrens S 46 R 90085/10 (SG) bzw. L 1 R 213/12 (LSG) und die vom Beschwerdegegner übersandten eigenen Verfahrensakten der ersten Instanz vor.

II.

Gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG entscheidet das Gericht durch den Berichterstatter als Einzelrichter über die Beschwerde, weil die angefochtene Entscheidung ebenfalls von einem Einzelrichter erlassen wurde. Die Voraussetzungen für eine Übertragung auf den Senat gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG sind hier nicht erfüllt. Danach überträgt der Berichterstatter das Verfahren dem Senat, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das ist hier nicht der Fall. Das SG ist in seinem Beschluss vom 22. Mai 2015 zu Recht davon ausgegangen, dass keine grundsätzliche Bedeutung vorliegt und es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt. Besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art sind ebenfalls nicht gegeben. Hinzu kommt, dass hier VV Nr. 3106 in der vor dem 1. August 2013 geltenden Fassung anzuwenden ist (§ 60 Abs. 1 Satz 1 RVG). Da die Neuregelung ab 1. August 2013 zwischen berufungsfähigen und nicht berufungsfähigen Gerichtsbescheiden differenziert (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 14. September 2015, L 8 AS 417/15 B KO, juris), handelt es sich hier um eine Rechtsfrage mit abnehmender Bedeutung.

Die Beschwerde ist zulässig. Der Beschwerdewert ist überschritten (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG), denn streitig ist eine Differenz zwischen beantragter und festgesetzter Gebühr in Höhe von mehr als 200,00 EUR. Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.

Die Beschwerde ist auch zum Teil begründet. Das SG hat die dem Beschwerdegegner aus der Landeskasse zu zahlende Terminsgebühr nach VV Nr. 3106 a.F. zu hoch festgesetzt.

Der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt erhält die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Landeskasse (§ 45 Abs. 1 RVG). Der Vergütungsanspruch bestimmt sich nach den Beschlüssen, durch die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet wurde (§ 48 Abs. 1 Satz 1 RVG). Für die Höhe der Vergütung ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG auf das VV zurückzugreifen, wobei in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen – wie hier – das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist (§ 183 SGG), Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG).

Die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV a.F. ist hier vom SG zu hoch festgesetzt worden. Diese entstand auch, wenn – wie hier – nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wurde (Nr. 3106 Satz 2 VV a.F.). Innerhalb des hiernach einschlägigen Gebührenrahmen von 20,00 EUR bis 380,00 EUR bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisses des Auftraggebers nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG).

Bei einer – wie hier – fiktiven Terminsgebühr stoßen diese Bestimmungsgrundsätze allerdings an ihre Grenzen, denn tatsächlich hat kein Termin stattgefunden, nach dem sich die Gebühr bestimmen lässt. Auf das "Surrogat" einer mündlichen Verhandlung ist insoweit nicht abzustellen. Auch die voraussichtliche Dauer einer mündlichen Verhandlung eignet sich nicht als Anknüpfungspunkt der Bestimmung, denn sie ist nur schwer abzuschätzen. Vielmehr ist ausgehend von Sinn und Zweck der fiktiven Terminsgebühr – nämlich dem Anwalt das gebührenrechtliche Interesse an einer unter Umständen zeitintensiven Terminsdurchführung zu nehmen, um so die Gerichte zu entlasten und den Beteiligten zeit- und kostenintensive Verfahren zu ersparen (vgl. BT-Drucksache 15/1971, S. 208 ff.) – sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der Rechtsanwalt zugleich jeglichen Aufwand im Zusammenhang mit einer mündlichen Verhandlung erspart, dem Gebühreninteresse des Rechtsanwalts in durchschnittlich gelagerten Sozialrechtsfällen regelmäßig mit der Festsetzung einer fiktiven Terminsgebühr in Höhe der hälftigen Mittelgebühr Rechnung getragen (Sächsisches LSG, Beschluss vom 3. Juli 2013, L 8 R 665/12 B KO, juris, Rdnr. 27). Diese Auffassung des Sächsischen LSG überzeugt.

Besonderheiten, die zum Beispiel bei sehr schwierigen oder aufwändigen Verfahren eine hiervon abweichende Bestimmung gebieten könnten, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Es besteht aber auch kein Anlass, hier eine fiktive Terminsgebühr unterhalb der hälftigen Mittelgebühr in Ansatz zu bringen. Es handelte sich in der ersten Instanz alles in allem um einen durchschnittlich gelagerten Fall.

Zwar ist in der Regel im Falle des Erlasses eines Gerichtsbescheides eher von einem unterdurchschnittlichen Aufwand auszugehen, da § 105 Abs. 1 SGG das Vorliegen einer einfachen Sach- und Rechtslage voraussetzt. Im vorliegenden Fall hat das SG aber mehrere Befundberichte und ein Sachverständigengutachten eingeholt. Zu diesem Gutachten sind weitergehende Auseinandersetzungen, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit einem Ablehnungsantrag gegen die Gutachterin, erfolgt. Die Sache ist zwischen den Beteiligten insgesamt streitig gewesen, als der Gerichtsbescheid ergangen ist. Als ein Indiz dafür, dass das Verfahren nicht ganz einfach gelagert war, ist zudem darauf zu verweisen, dass der Senat den Gerichtsbescheid des SG auf die Berufung der Klägerin hin abgeändert und die Deutsche Rentenversicherung Bund verurteilt hat, dieser ab dem 1. Mai 2009 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit und ab dem 1. Januar 2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren (Urteil vom 24. April 2014, L 1 R 213/12).

Die weiteren Gebühren- und Auslagentatbestände sind nicht streitig und der Höhe nach zutreffend festgesetzt worden.

Damit ergibt sich folgende Berechnung:

Verfahrensgebühr VV Nr. 3103 a.F. 170,00 EUR

Terminsgebühr VV Nr. 3106 a.F. 100,00 EUR

VV Nr. 7002 a.F. 20,00 EUR

netto 290,00 EUR

VV Nr. 7008 a.F. 55,10 EUR

gesamt 345,10 EUR

Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG). Sie ist nicht weiter mit der Beschwerde anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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